Kapitel 18
Durch ein paar Bruchlandungen behindert, kam Lucius schließlich müde und zerschlagen wieder in Malfoy Manor an.
Diesmal war es ihm egal, ob ihn einer der Bediensteten sah, er flog direkt auf das Balkongeländer vor seinem Schlafzimmer, verwandelte sich zurück und betrat unbemerkt das Haus.
Nachdem er Irial sicher in einem Versteck im Kopfteil des Bettes verstaut hatte ging er ins Badezimmer und ließ sich ein Bad ein. Das heiße Wasser würde seinen verspannten Muskeln sicher gut tun.
Seufzend streckte er sich in der Wanne aus und wollte an nichts mehr denken.
Doch sein Geist fand keinen Frieden.
Er erinnerte sich daran, dass es noch gar nicht so lange her war, dass er hier mit ihr ein paar nette Wasserspiele gespielt hatte.
Der Gedanke trieb ihn schnell wieder aus dem Wasser. Er trocknete sich ab und kleidete sich an.
Dabei fiel ihm das weiße Hemd, das Yi Min getragen hatte, als sie im Garten getanzt hatte, in die Hände.
Seine Finger streichelten den Stoff. In den Falten steckte immer noch ihr betörender Duft nach Orangenblüten.
Unwirsch warf er das Hemd zurück auf die Sessellehne.
Dann fiel sein Blick auf das Bett.
Das war zuviel.
Alles hier erinnerte ihn an Yi Min.
Und diese Erinnerungen marterten ihn, stachen ihn wie glühende Nadeln.
Er floh aus dem Zimmer.
Irrte ziellos im Haus umher.
Doch dann fiel ihm etwas anderes ein.
Da war noch eine unerledigte Sache, derer er sich annehmen musste.
Auf seinem Gesicht zeigten sich wieder die harten Züge, die man von Lucius gewohnt war.
Festen Schrittes ging er hinunter in den Salon um seinen Sohn zur Rede zu stellen.
Draco war tatsächlich noch da.
Martha und James hatten sich an Lucius' Anweisungen gehalten.
Sein Sohn saß mit schmerzgepeinigtem Gesichtsausdruck in einem der Sessel, an seiner Schläfe war ein Verband und er hielt sich die Seite.
Martha hatte sich um ihn gekümmert und als sie Lucius jetzt hereinkommen sah, huschte sie zu ihm und berichtete ihm flüsternd über den Zustand des Jungen.
Draco hatte sich beim Aufprall gegen die Wand eine Platzwunde an der Schläfe, eine gestauchte Schulter und eine gebrochene Rippe zugezogen.
Also fast die gleichen Verletzungen, die Yi Min von dem Autounfall davongetragen hatte.
Es war verhext.
Alles erinnerte ihn an sie.
Wieder durchzuckte ihn der Schmerz des Verlusts.
Doch als er seinen Sohn dann ansah, glitzerten seine Augen kalt wie Eis.
„Wie konntest du kleines Scheusal ihr nur so etwas antun" flüsterte Lucius bedrohlich.
„Wie meinst du das? Ich habe doch gar nichts gemacht. Sie hat mich gegen die Wand geworfen, das hast du doch gesehen. Sie war es die...".
„LÜG MICH NICHT AN!!!" brüllte Lucius und Draco zuckte zusammen.
„Ich weis alles über deinen kleinen hinterhältigen Plan, den du zusammen mit Severus ausgeheckt hast".
Draco wurde noch blasser.
„Ha..hat der Professor es dir erzählt?" fragte er zaghaft.
„Oh ja. Bevor er seinen letzten Atemzug ausgehaucht hat".
Dracos Gesicht war weiß wie frisch gefallener Schnee.
„Aber Vater, du meinst... du hast ....ihn umgebracht?"" stotterte er fassungslos.
„Das war nicht mehr nötig. Das hatte Yi Min bereits erledigt. Ich habe nur noch etwas nachgeholfen". Lucius wusste nicht, warum er es ihm überhaupt erzählte.
Jetzt kam Leben in Draco.
„VATER!! Wie konntest du nur. Deinen besten Freund umbringen für ein wertloses, widerliches nichtmenschliches Scheusal, dass..." weiter kam Draco nicht denn sein Vater war auf ihn zugestürmt und hatte ihn hart geohrfeigt.
„Das Scheusal bist du. Du hast doch überhaupt keine Ahnung, was echte Gefühle bedeuten" zischte Lucius.
„Gefühle? GEFÜHLE??? Wie kannst du nur so tief sinken und dich mit..." Dracos Worte erstarben in einem Röcheln.
Er griff sich an den Hals und wand sich.
Vor ihm stand sein Vater, die Hand ausgestreckt und die Finger schlossen sich unbarmherzig zur Faust. Mit magischer Kraft drückte er seinem Sohn die Kehle zu.
Blinder Hass und verzweifelte Wut kochten in Lucius.
Er war bereit, sein eigen Fleisch und Blut zu töten.
Draco wand sich unter dem eisernen Griff der magischen Schlinge.
Doch als es schon beinahe zu spät war, lockerte Lucius die Umklammerung.
Er brachte es doch nicht fertig seinen Sohn zu töten.
Schweratmend wankte er zur Tür.
Draco gab ein klägliches Wimmern von sich.
„Du bist nicht länger mein Sohn. Ich will dich niemals wiedersehen und du wirst dieses Haus nie wieder betreten" flüsterte Lucius.
„Während der Schulzeit bleibst du in Hogwarts und in den Ferien kannst du meinetwegen zu deiner Mutter gehen. Oder in die Hölle. Es ist mir gleich".
Mit diesen Worten verließ Lucius den Salon, gab der in der Vorhalle wartenden Haushälterin präzise Anweisungen bezüglich des Rauswurfs von Draco und schleppte sich dann in sein Arbeitszimmer.
Schwerfällig ließ er sich auf dem Sessel hinter seinem Schreibtisch nieder und rieb sich die Augen.
Blicklos starrte er eine Zeitlang umher.
Seine Finger strichen über die Kante des Tischs.
Hier hatte alles Schöne angefangen. Hier hatte sie sich ihm zum ersten Mal hingegeben.
Er glaubte, die zärtliche Berührung ihrer Hand auf seinen Haaren zu spüren.
Glaubte, ihren Duft wahrzunehmen.
Doch sie war nicht da.
Er fühlte sich so müde, zerschlagen und einsam.
Ja, einsam.
Zum ersten Mal in seinem Leben.
Und noch ein anderes Gefühl, offenbarte sich ihm.
Liebe.
Ja, er hatte Yi Min geliebt.
Das wurde ihm erst jetzt mit aller Macht bewusst.
Er liebte sie mit jeder Faser seines Herzens.
Der Eispanzer, der so lange Jahre um sein Herz gelegen hatte, war getaut, verschwunden.
Obwohl sie nur so kurze Zeit zusammen gewesen waren, hatte er sich mit ihr immer vollständig gefühlt.
Ihm wurde bewusst, dass er sein ganzes Leben auf der Suche nach dem einen Menschen gewesen war, der seinem Leben einen Sinn geben konnte.
Der ihn vorbehaltlos liebte, egal, was er in der Vergangenheit getan hatte oder gezwungen war zu tun.
Er war sich der Leere in seinem Leben nie richtig bewusst gewesen, bis heute.
Ihm viel ein Sprichwort ein. Die Summe unseres Lebens sind die Stunden in denen wir liebten.
Nun, danach gerechnet war er eben erst neu geboren. Und doch schon wieder dem Tode geweiht.
Zu kurz, viel zu kurz waren die wenigen Stunden der Liebe mit ihr gewesen.
Noch niemals zuvor hatte er geliebt.
Höfliche Zuneigung vielleicht.
Mehr nicht.
Er hatte sein Leben damit vergeudet, sich in Düsternis und Grausamkeit zu hüllen.
Der Panzer war allumfassend gewesen.
Lucius war böse.
Doch die Betonung lag auf war.
Sie hätte ihn lehren können, gut zu sein. Ihren Einfluss auf ihn konnte er schon jetzt nicht leugnen.
Denn sonst hätte er seinen Sohn wohl vorhin umgebracht ohne mit der Wimper zu zucken.
Der alte Lucius wäre dazu in der Lage gewesen.
Doch der neue Lucius nicht.
Ihm fiel noch etwas ein, was Yi Min während einer ihrer Unterhaltungen gesagt hatte: Niemand ist zufällig gut. Diese Tugend muss man lernen.
Wie recht sie gehabt hatte.
Er hatte bereits von ihr gelernt.
Yi Min.
Yi Min die Baumelfe.
Yi Min, das kluge, wunderschöne und so geheimnisvolle Geschöpf.
Dieser Wildfang, der ihn mit seiner Leidenschaft am Leben und an der Liebe immer wieder überrascht und dann mitgerissen hatte.
Deren Mut und Durchhaltevermögen ihn sehr beeindruckt hatten.
Auch sie hatte ihn geliebt. Er konnte nicht sagen warum er sich dessen so sicher war, doch er war es.
Vielleicht nicht am Anfang.
Was wäre auch wirklich zu viel verlangt gewesen.
Er wusste bis heute nicht, warum sie ihre Meinung über ihn geändert und sich ihm vorbehaltlos hingegeben hatte, nach Allem was der ihr angetan hatte.
Sicher, einen Teil davon hatte sie ihm schmerzvoll zurück gezahlt.
Aber eigentlich war es vollkommen unwichtig, wie es begonnen hatte.
Wichtig war nur, sie hatten sich geliebt.
Und jetzt hatte das grausame Schicksal sie ihm wieder genommen.
Die Mächte hatten ihm den einzigen Menschen wieder geraubt, der Lucius teurer war als sein eigenes Leben.
Ja, er hätte sein Leben gegeben, wenn er dadurch ihres hätte retten können.
Doch es war ihm verwehrt geblieben.
Und so blieb er zurück.
Allein und gefangen in seiner unendlichen Trauer.
Die Traurigkeit überkam ihn nun gänzlich.
Seine Augen wurden feucht.
Und eine einzelne, silberne Träne löste sich aus seinen eisblauen Augen.
Glitzerte kostbar wie ein Diamant auf seiner Wange.
Ende
- LUCIUS Teil 2 is available -
(begonnen am 20. Mai 2003 / fertig gestellt am 03. Juni 2003)
Musik: Soundtrack zu 1492 – Conquest of Paradise von Vangelis und
Volumen Diez von Café del Mar.
