Was ist schon normal?

Am Ende des Tunnels angekommen entdeckt er, dass das Verschlussgitter schon entfernt wurde und denkt sich das sie wohl tatsächlich hier lang kam, während er hinausklettert. Draußen erwartet ihn der trostlose Vorplatz einer Nervenheilanstalt und ihn beschleicht das ungute Gefühl das sie genau dort hineingegangen ist. Immer auf der Hut geht er also langsam in Richtung der Treppen die hineinführen und lässt dabei weder die verwirrt vor sich hin brabbelnde Frau, noch jene die wie Jesus an ein Kreuz geschlagen wurde, aus den Augen.

Innen dagegen sieht es aus wie die heruntergekommene Version eines Gefängnisses, welches ihn erwartet, als er hineingeht. Ein Ort der verlassen scheint und ein Teil von ihm hofft das es auch so ist. Er findet einen Empfangsbereich mit alten Patientenakten und hat keine Ahnung wonach er sucht, aber die Akte eines Leonard Wolf liegt oben auf und der Schlüssel 12 zu dessen Zelle fehlt. Zu wissen das er sich hier an Strohhalme klammert, wäre seiner Meinung nach nett ausgedrückt, aber es ist das beste was er hat und vielleicht findet er so ja tatsächlich Mutter und Tochter oder wenigstens irgendetwas über diesen völlig abgefuckten Ort heraus.

Sein Weg führt ihn vorbei an alten Betten, auf denen eine Art Beinprothese zu liegen scheint; an herunterhängenden losen Elektrokabeln; an blutverschmierten Infusionsständern und einem Lageplan der einzelnen Patientenzimmer. Er studiert ihn und geht dann vorbei an einem toten Monster, das vielleicht irgendwann einmal Patient der Anstalt gewesen sein könnte, wenn man bedenkt wie menschlich es in seiner Pyjamahose wirkt. Das Blut sickert immer noch langsam aus einer Kopfwunde und Dean kommt nicht umhin zu bemerken, dass das Mädchen, das er verfolgt, anscheinend bewaffnet und bereit ist, diese in dieser Vorhölle auch zu benutzen.

Danach trifft auch er erneut auf Erinnerungen an seine eigene Hölle. Nach Treppen und einem Korridor geht er in Raum 12, dessen Tür aus den Angeln gerissen wurde. Kettenreste sind noch am Boden befestigt und er erinnert sich, erinnert sich als er in trostlosen Räumen an Ketten hing. Festgezurrt und unfähig sich zu bewegen war er seinen Folterern hilflos ausgeliefert. Er spürt den Schmerz als wäre es gestern gewesen; wenn sie Tag um Tag zu ihm kamen um auf die unterschiedlichsten Art und Weisen sein Fleisch von seinem Körper zu bekommen. Sein Blut pulsiert unter seiner ihm zu eng werden Haut und er kann die wachsende Panik spüren. Spürt wie sich ihm der Hals zuschnürt, während er verzweifelt versucht zu atmen und rennt. Rennt blind davon bevor sie ihn zu übermannen droht.

Er rennt durch einen Gang und stolpert über einen abgetrennten Arm, der auf dem Boden liegt, von dem er nicht herausfinden will wie er da hingelangte. Hört das Stöhnen anderer verborgen hinter Zellentüren und sieht sich um. Noch mehr Arme liegen verstreut herum und Blut sickert durch die Waben des Metallgitters, auf dem er sich befindet. Sein Blick fällt nach unten in die Gesichter unzähliger Köpfe. Dicht an dicht drängen sie sich und seine Sicht verschwimmt.

Aus deren unscheinbarem Antlitz wird sein Spiegelbild. Starr und leblos; Schmerz verzerrt zu einem lautlosen Schrei; flehend, bettelnd und wimmernd; schwarze Augen eines Dämons, dessen Schuld so unsagbar tief sitzt. Er schreckt keuchend zurück und rappelt sich auf. Kämpft mit der wachsenden Übelkeit und geht lieber zügig weiter.

Geht weiter durch Gänge aneinander gereihter Metallboxen. Kann unendlich weit sehen und sieht doch nichts und niemanden. Er weiß nicht ob er froh darüber sein sollte. Je weiter er geht, desto häufiger sind die Boxen mit Fetzen bedeckt, von denen er nicht herausfinden will woraus sie bestehen. Nehmen ihm die Sicht in die Ferne und schützen ihn vor Blicken. Wirklich froh darüber ist er erst als er das quietschende Kratzen von Metall auf Metall hört. Ein langsames aber stetiges schlurfen kraftvoller Schritte in einiger Entfernung und doch nicht weit genug.

Er sieht das Monster durch die Metallgitter. Das Wesen ist bestimmt einen Meter größer als er selbst in seiner blutigen Lederschürze, den schweren Stiefeln und dem riesigen Schwert, das es hinter sich her zerrt und das für die unangenehmen Geräusche sorgt. Statt eines Kopfes trägt es eine Art Helm. Wie eine metallene Pyramide geformt ragt er in die Höhe. Unheilvoll scheint das Monster seiner Wege zu gehen ohne sie zu sehen und Dean hofft das sich ihre nie kreuzen werden.

Er ändert also die Richtung seiner Schritte. Entfernt sich langsam und leise, aber stetig von dem Monster und hier erwarten ihn eng aneinander liegende Wände aus nasser Haut und herausgerissenen Gedärmen, soweit er das im flackernden Licht der Lampen über sich erkennen kann. Blut befleckt hängen sie in Fetzen herunter, als er sich langsam seinen Weg hindurch bahnt.

All das ist ihm lieber als das Spiegelbild seiner Angst. Er will sie nicht, kann sie hier nicht gebrauchen, wenn sie ihn lähmt und daran hindert seinen Job zu machen. Mit totem Fleisch kann er wenigstens arbeiten und den Ekel, der sich langsam unter seinen Fingerspitzen beginnend seinen Körper entlang ausbreitet, einfach herunterschlucken. Monster kann er töten oder ihnen, wenn möglich, aus dem Weg gehen. Für den Rest ist er zu nüchtern um ihn zu ertragen.

Er geht weiter als er das Mädchen in Begleitung eines jungen Mannes rennen sieht. Sie flüchten aus einer Doppeltür heraus an ihm vorbei, als er sich gerade durch eine besonders enge Stelle zwängt, laufen hinaus und er ihnen hinterher. Ruft nach ihnen, doch sie scheinen ihn nicht hören zu können. Während sie in einer Welt aus sepiafarbenem Zwielicht verschwinden breitet sich um ihn herum wieder dichter Nebel aus. Seine Umgebung hat sich von Neuem verändert und er scheint wieder allein zu sein.