Du kannst nicht jeden retten!
Dean geht weiter, denn er weiß nicht was er sonst tun soll. Das Mädchen ist in den Flammen verschwunden. Sharon vermutlich, auch wenn sie nicht die ist die er suchte, als er loszog. Diese Welt ist schlimmer, als er sich gedacht hat und er hat Angst schon wieder Jahre verloren zu haben. Er weiß nicht wie lange er schon gefangen und wie viel Zeit für Sam vergangenen ist. Kann einfach nur weiter gehen im tristen Nebel.
Haus um Haus zieht schemenhaft an seiner Seite vorbei und eine drückende Ruhe die schwer auf seinen Nerven lastet, umgibt ihn. Nichts außer Asche und zurück gelassenem Schrott. Vergessen wie die Seelen dieser Stadt und vielleicht auch wie er, denkt er sich, während er weitergeht.
Mit einem Mal durchzieht der markerschütternde Schrei eines Kindes die Düsternis. Lässt ihn erneut rennen und er sieht, wie Rose die Kirche betritt. Er rennt ihr hinterher. Die Stufen hinauf ist er fast am Ziel als Castiel ihm den Weg versperrt.
„Du kannst ihnen nicht helfen. Ihre Seelen sind schon seit Langem verloren."
„Castiel? Wie bist du hierhergekommen?", fragt ihn Dean überrascht, während er ein Stück weit zurückschreckt. „Wovon zum Geier sprichst du? Ich bin hier um Mrs. Da Silva und ihre Tochter zu finden und nach Hause zu bringen, also geh mir aus dem Weg."
„Dean, du kannst ihnen nicht helfen. Sie sind in einer anderen Welt. Sie durchleben ihre ganz eigene Hölle immer und immer wieder. Es ist ihr Schicksal und du kannst nichts dagegen machen", sagt Castiel und sieht ihn eindringlich an.
Dean mag die Art wie er es sagt überhaupt nicht. Er braucht kein Mitleid und er braucht schon gar nicht die Erlaubnis eines Engels, denkt er sich, während er versucht an ihm vorbeizukommen. Von drinnen hören sie stimmen. Rose versucht laut gegen das Gezeter hunderter Stimmen entgegen zusprechen. Hexe wird sie immer wieder genannt, während sie dagegen anhält.
„Warum sagen sie ihnen nicht die Wahrheit. Sagen sie ihnen die Wahrheit, die nicht einmal sie selbst wahrhaben wollen. Es gab keine Apokalypse! Ihr seid in dem Feuer verbrannt, das ihr selbst angezündet hattet und nichts kann Euch retten, denn ihr seid schon verdammt!", brüllt sie laut ihren Peinigern entgegen.
„Ergreift sie. Verbrennt sie. Verbrennt sie als Hexe!"
„Verbrennt sie!"
„Verbrennt sie!"
Es ist ein lauter Chor, der immer wieder das Gleiche fordert.
„Cas, du musst mich da rein lassen. Sie werden sonst sie und ihre Tochter töten", sagt Dean und er hasst den flehenden Unterton seiner Stimme.
„Dean, hast du denn nicht zugehört. Du kannst ihnen nicht mehr helfen. Sie alle dort drinnen haben ihre Aufgabe und jeder hat seine Rolle zu spielen, damit passieren kann was passieren muss. Diese Welt ist eine Schleife. Du hattest nie die Chance irgendetwas da drin zu verändern. Es tut mir leid, Dean, aber du kannst nicht jeden retten."
Er kann nicht glauben was er da hört, will es nicht wahrhaben und doch sieht er die Aufrichtigkeit seiner Worte in Castiel's Gesicht. Er blickt um ihn herum. Hindurch durch die weit offene Tür der Kirche. Lauscht auf die sich verändernden Geräusche in absoluter Dunkelheit. Die Hölle und das Böse haben die Kirche erreicht.
Unter dem erhabenen Klang einer Orgel steigt es aus den Tiefen empor. Lässt das Metall unzähliger Ranken aus NATO-Stacheldraht kreischend gegeneinander schleifen, als würde jemand mit Fingernägeln über eine Tafel kratzen. Sie tragen Alessa in ihrem Krankenbett an das sie über Jahrzehnte gebunden war. Tragen sie hinaus aus der Hölle aus der sie nun auferstanden ist, aber das einzige, was Dean davon mitbekommt, sind die Schreie.
Panisch versuchen die Menschen der Kirche zu entfliehen. Schlagen verzweifelt gegen geschlossene Türen die nur auf ihrer Seite existieren und haben doch keine Chance. Dean kann es hören. Die Schreie die erst bis zu einem kreischen anschwellen und dann für immer verstummen. Das Metall, das über Holz und Knochen kratzt. Das zerschneidet und zerreißt, bis Blut und Körpermasse spritzt. Dumpfes feuchtes klatschen auf allen Oberflächen. Das Böse hinterlässt einen See aus Qualen, aus Sünde, Blut und Schuld, um zu läutern.
„Wir sollten jetzt gehen, Dean", sagt Castiel erneut, ohne zu zeigen, ob ihn die Geräusche irgendwie berühren.
„Ja" ist alles was Dean antwortet. Es war umsonst. Alles was er die letzten Tage getan hatte. Alles was er auf sich genommen und ertragen hatte. All das sinnlose Rennen, von dem er nicht wusste das es längst zu spät war.
Nur entfernt spürt er die Hand des Engels auf seiner Schulter, dann sind sie verschwunden.
Silent Hill hüllt sich erneut in Nebel, während sich auch Mutter und Tochter auf den Weg nach Hause machen.
