Die Augen der Schlange

Ohne Herz sieht man, und erkennt doch nichts,
hört man, und versteht doch nichts,
isst man und schmeckt doch nichts.
(chin. Weisheit)

Summary: Eine Charlie Weasley-Fanfic. Tal Chang, die junge Drachenforscherin, wird von bösen Mächten befallen und ist im Begriff, dem Dunklen Lord zur Wiederauferstehung zu verhelfen. Hat sich Charlie in ihr getäuscht, oder ist Tal wirklich unschuldig, wie sie behauptet?
Note: Die Story ist irgendwann zwischen Harry´s drittem und viertem Schuljahr angesiedelt, als Voldemord noch körperlos war.
Disclaimer: „Harry Potter" gehört J.K. Rowling; ich leihe ihre Figuren nur zum Spaß, nicht um Profit zu machen.

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Prolog

Feiner, rötlichweißer Dunst stieg aus dem Stein auf und kroch die Zimmerdecke empor. Er fühlte sein Herz schneller schlagen, wie nach einem Dauerlauf und doch anders. Hastiger, unregelmäßiger. Lauter. Ein eigenartiger Geruch entfaltete sich und vermischte sich mit der abgestandenen Zimmerluft. Er stieg ihm geradewegs in die Nase – der Geruch von Erfolg. Nein, besser noch – der Geruch von Macht, von nie erkannten Fähigkeiten, die nun endlich, Dank der Hilfe seines Meisters, in Erscheinung traten. Er hatte es geschafft! Er war nie ein guter Zauberer gewesen, nie geschickt im Umgang mit Zaubersprüchen oder -tränken, und dennoch hatte er es vollbracht, er hatte den Rubin zum Leben erweckt! Ehrfürchtig betrachtete er den Stein, dessen rotweißer Nebel ihn nun vollkommen umhüllt hatte. Als er ihn vorsichtig mit den Händen berühren wollte, zuckte er zurück. Der Stein war glühend heiß. Gespannt sah er zu, wie sich inmitten des Nebels langsam ein kreisrundes, pechschwarzes Gebilde formte. Es sah aus wie ein Fenster in einen dunklen Raum, und ebendies war es auch, obgleich er sich dessen in diesem Moment nicht bewusst war. So wartete und wartete er, dass die Finsternis sich aufklaren würde, doch nichts dergleichen geschah. Voller Enttäuschung stampfte er mit dem Fuß auf und fluchte. Er war so nah daran gewesen, seinen Meister zu beeindrucken. So nah daran, ihn schon bald von seinem Leid zu erlösen und ihm einen menschlichen Körper zu schenken. Es wäre wahrlich das größte Geschenk gewesen, das er ihm als sein Diener hätte überbringen können, doch er hatte wieder versagt! Von Zorn gepackt, stieß er einen Wutschrei aus.

„Was soll der Lärm, Wurmschwanz!", erklang eine zischende Stimme in seinem Rücken.

Der Angesprochene wirbelte erschrocken herum. Dicht hinter ihm schlängelte sich eine giftgrüne Boa über den blanken Holzfußboden. Ihre schlitzförmigen Pupillen musterten ihn voller Verachtung.

„Herr, Ihr seid es!" Der kleine grauhaarige Zauberer blickte teils erleichtert, teils verängstigt drein. „Verzeiht, dass ich Euch nicht gleich erkannt habe. Was ist mit dem Fuchs ..."

„Sein Körper war nicht mehr kräftig genug!", entgegnete die Schlange züngelnd. „Seit ich ihn bewohnt hatte, siechte er nur noch schneller dahin. Mir blieb gerade noch genügend Zeit, um meinen Geist in ein anderes Wesen zu transferieren. Glücklicherweise war diese Schlange in greifbarer Nähe. Sie war ein äußerst zufriedenstellender Ersatz. Ich mag Schlangen, das weißt du doch, Wurmschwanz? Schade, dass in diesem Wald nicht mehr von ihnen hausen."

Der Diener nickte heftig. „Nein, Herr. Ich meine, ja, Herr. Ich meine .."

„Was ist los mit dir, Wurmschwanz?", fragte die Boa und legte den flachen Kopf schief. „Aus welchem Grund bist du so nervös? Glaube ja nicht, du könntest mir etwas verheimlichen! Ich erkenne dein schlechtes Gewissen doch noch bevor ich dich ansehe!"

„Es ist nichts, Herr!", beteuerte der Zauberer, doch seine zitternden Hände verrieten ihn.

Misstrauisch sah die Schlange im Raum umher. Erst jetzt erblickten ihre funkelnden Augen den Edelstein, dessen Dunst sich inzwischen wie ein Netz um den nachtschwarzen Kreis wob. Ihr Schwanzende zuckte.

„Der Rubin!", zischte sie. „Ich kann mich nicht daran erinnern, dir die Erlaubnis gegeben zu haben, ihn noch einmal zu benutzen, Wurmschwanz!"

Der Diener wand sich vor Unbehagen. Ängstlich fuhr er sich durch die spärlichen grauen Haare und holte mehrmals Luft, ehe er es wagte zu sprechen. „Ich – ich verstehe nicht, was schiefgegangen sein könnte, mein Gebieter!", stotterte er. „Ich habe all Eure Anweisungen befolgt, genau wie beim ersten Mal! Ich begreife nicht, weshalb ich nichts ... sehe!"

„Hmm ..." Die Boa schlängelte langsam um seine Füße herum und gab in regelmäßigen Abständen kurze, verärgerte Zischlaute von sich. Wurmschwanz´ Haltung versteifte sich, als sie langsam an seinem Bein hinaufkroch und sich wie eine Kette um seinen Hals legte. Der Schweiß trat ihm auf die Stirn.

„Zumindest hast du den Stein zum Glühen gebracht", sagte die Schlange gelassen und stieß ein weiteres Zischen aus. „Eigentlich ein sicheres Zeichen dafür, dass die Verbindung besteht."

Erleichtert nickte sein Diener. „Ja, Herr! Ja, ich habe es geschafft!"

„Dennoch", fuhr die Schlange dicht an seinem Ohr fort, „ist in dem Nebel nichts als Dunkelheit zu erkennen! Wie erklärst du dir dieses Phänomen, Wurmschwanz?"

Abrupt zog sich der Schlangenkörper ein wenig fester um seinen Hals, und die Erleichterung des Dieners verwandelte sich in blanke Furcht. „Vielleicht ... schläft sie gerade, Herr!", presste er luftringend hervor. „Wenn ihre Augen geschlossen sind, dann ... würden wir nichts als Dunkelheit erkennen!"

„Geschöpfe ihres – unseresgleichen besitzen keine gewöhnlichen Augenlider, Wurmschwanz!", erwiderte die Boa ungeduldig. „Die unsrigen sind transparent. Wir schlafen quasi mit offenen Augen."

„Dann ... ist es vielleicht um sie herum dunkel, Herr. Vielleicht befindet sie sich in einem dunklen Raum."

„Das mag eine Erklärung sein." Die Boa hielt kurz inne, dann lockerte sie ihren Würgegriff und ließ sich von den Schultern ihres Dieners zu Boden fallen. Der kleine Zauberer schnappte nach Luft.

„Gib dieses Experiment auf, Wurmschwanz!", rief die Schlange, während sie sich mit erstaunlich schnellen Bewegungen auf die Tür zu schlängelte. „Die Botin hat meinen Todesser nicht erreicht. Ihre Mission ist damit beendet. Gib es auf und suche endlich nach Möglichkeiten, mich aus diesem Körper zu befreien!"

Der Diener wandte sich hastig um. „Aber sie ist eine Möglichkeit, Herr! Vielleicht die beste, die ich bisher gefunden habe!"

Abrupt hielt die Schlange in ihren Bewegungen inne. „Sprich weiter, Wurmschwanz!", forderte sie auf.

„Die Botin hat ... sie hat ... einen neuen Herrn gefunden!", stotterte sein Diener aufgeregt. „Ich meine, eine neue Herrin. Sie wird in der Lage sein, die nötigen Zutaten zu beschaffen, die Euch zu neuem Leben verhelfen werden. Und das beste ist: Sie ist absolut kompatibel! Ich bin mir sicher, mein Gebieter. Ihr wisst, was das bedeutet?"

Erwartungsvoll blickte er auf die Boa hinab. Ihr Schwanzende zuckte und langsam wandte sie den Kopf nach ihm. Die pechschwarzen Pupillenschlitze schienen ihn geradewegs zu durchbohren.

„Fahre fort, Wurmschwanz!", zischte sie leise. „Doch enttäusche mich nicht. Noch einen Fehlschlag von dir kann ich nicht akzeptieren. Du weißt, was das bedeutet!" Und sie kroch von dannen.