2. Eine eigenwillige Schlange
Die Sonnenscheibe erklomm langsam die östlichen Karpaten und tauchte das kleine Tal im Herzen Rumäniens in ein trübes Morgenlicht. Charlie hielt im Laufen inne und wandte blinzelnd den Kopf. Er versuchte, die Urzeit am Stand der Sonne zu bestimmen – auf Muggel-Art, wie sein Vater mit leuchtenden Augen mitteilen würde. Abschätzend zog er die Stirn kraus. Sieben Uhr, naja, vielleicht auch halb acht. Ganz genau konnte man das nie erkennen, was einer der wesentlichen Nachteile aller Methoden war, die sich diese Menschen ohne magische Fähigkeiten einfallen ließen! Er war sich jedoch sicher, um Punkt halb sieben losgelaufen zu sein. Also hatte er den Weg zum Gebirgssee und wieder zurück in höchstens einer Stunde hinter sich gebracht, und das war immerhin eine Strecke von zwölf Kilometern. Nicht gerade seine Bestzeit, aber akzeptabel. Er erinnerte sich zwangsläufig, wie Steve, sein Kollege, beim gestrigen Mittagessen damit geprahlt hatte, die Strecke in rund fünfundvierzig Minuten gelaufen zu sein. Doch Charlie hielt es für wahrscheinlicher, dass er die Wahrheit gern ein wenig überstrapazierte. In der Tat war wohl die hübsche Drachenforscherin Cecile Auslöser für Steve´s Aufschneiderei gewesen. Charlie dachte an Steve´s Gesicht und musste grinsen. Die vor Eifer leuchtend glühenden Augen und ebensolchen Wangen, als er sich Cecile´s bewundernder Blicke gewahr wurde, waren ein Bild für Götter gewesen! Wenn sie zusammen joggten, war es jedenfalls zumeist Charlie, der den älteren Kollegen in einer Staubwolke hinter sich ließ. Natürlich hatte er davon nichts verlauten lassen. Er hatte den alten Steve mit der Zeit viel zu gut leiden können, um ihm seine Show zu stehlen – obwohl es ihn schon in den Fingern gejuckt hatte, seinen Kollegen zu einem Wettlauf herauszufordern. Mit Zeituhr diesmal, selbstverständlich! Vielleicht gegen Abend, wenn er sich von seinem eigenen Lauf wieder einigermaßen erholt hatte ... ?
Charlie trabte gemächlich den Berghang hinab, vorbei an einigen aufgeschlagen Zelten und dem Außenzaun des Drachengeheges. Von hier aus waren nicht viele der riesigen Tiere zu sehen. Dicht vor dem Zaun schlief das junge Dornenschwanzweibchen, weiter hinten frühstückte die Ägyptische Sandechse ein Mahl aus toten Springmäusen, Mungos und Maulbeeren. Charlie stieß einen lauten Pfiff aus. Sofort hoben beide Tiere die Köpfe und blickten ihn aus gigantischen schwarzen Augenbällen an. Als sie jedoch erkannten, dass nichts besonderes los war, wandten sie sich wieder, kleine, träge Rauchfahnen ausstoßend, ihrem Nickerchen beziehungsweise Frühstück zu.
Charlie wandte sich ab und schlenderte durch das Camp mit seinen spitzen, sandfarbigen Zelten. Zu dieser frühen Stunde regte sich auch hier noch nicht besonders viel. Ein paar Frühaufsteher hatten auf einer freien Fläche ein Feuer entzündet und brieten Würstchen und Kartoffeln am Spieß. Der Duft wehte zu ihm herüber und er wollte sich gerade zu ihnen gesellen, als ihn ein ungeduldiger Ruf ablenkte.
„Charlie!" Es war Mr. McDougal, Leiter des Drachenforschungscamps und Träger des Drákon-Ordens, wie unter den jungen Zauberern gemunkelt wurde. Charlie hob den Kopf. Die breitschultrige Gestalt des Anführers stand vor dem Eingang seines Zeltes, einem haushohen Bau, der im Zentrum ihres Camps aufgeschlagen war. Vor der aufgehenden Sonne wirkte McDougal wie ein gigantischer schwarzer Schatten, der ihn mit fuchtelnden Armen heranwinkte. Charlie setzte sich folgsam in Bewegung. Beim Näherkommen erkannte er, dass eine zweite Gestalt neben ihm stand. Sie war so klein und schmal, dass sie ihm zunächst kaum aufgefallen war, und wirkte neben der hochgewachsenen Statur des Anführers wie ein Kind.
„Guten Morgen!", empfing McDougal ihn, als er nur noch wenige Meter von ihnen entfernt war. „Darf ich vorstellen", erklärte er förmlich, „dies ist Miss Chang aus London. Sie arbeitet im Zaubereiministerium, in der Abteilung zur Führung und Aufsicht Magischer Geschöpfe. Ich habe Ihnen doch von ihr erzählt, nicht wahr?"
Charlie blickte sie überrascht an. Das hübsche Gesicht der jungen Hexe rief Erinnerungen in ihm wach, doch er konnte sich noch nicht entsinnen, woher er sie kannte. Vergeblich suchte er in ihrer Miene nach irgendeiner Reaktion des Wiedererkennens, scheinbar erinnerte sie sich nicht. Ihre dunklen Mandelaugen musterten ihn ausdruckslos wie die einer Sphinx und um ihre pfirsichfarbenen Lippen spielte kaum der Hauch eines Lächelns. Ob sie einen Spaß verstehen würde? In Charlies Augen trat ein freches Glitzern. „Jep, ich erinnere mich, dass sie von ihr sprachen, Sir", grinste er. „Die Tippse von Amos Diggory!"
McDougal zog hörbar die Luft ein und warf seinem Angestellten einen verärgerten Blick zu. Die junge Frau hob lediglich eine Augenbraue. „Dies", erklärte McDougal mit einem Seufzen, „ist Mr. Weasley, einer der jüngsten Mitarbeiter. Er wird Sie freundlicherweise auf einen Rundgang mitnehmen und Sie in die wichtigsten Grundlagen unserer Projekte einweisen. Nicht wahr, Mr. Weasley?"
Er musterte ihn mit strenger Miene. Charlie schluckte. „Klar, Sir!" Irrte er sich, oder hatte die Sphinx soeben gelächelt?
„Miss Changs Kenntnisse über die chinesischen und japanischen Drachenarten werden besonders von Nutzen sein", fuhr McDougal geschäftig fort. „Ich überlege deshalb, sie für die Arbeit mit dem Chinesischen Feuerball und dem Fünfklauigen Lindwurm einzusetzen. Doch zunächst soll sie sich einen Gesamteindruck über unsere Projekte schaffen. Melden Sie sich wieder um zehn Uhr, dann werden wir alles weitere besprechen!" Er wandte sich um und schlurfte mit schweren Schritten von dannen.
Lächelnd streckte Charlie der jungen Frau seine Hand hin, wobei er vergaß, dass sie vom Laufen immer noch schweißnass war. „Charlie! Wir duzen uns hier alle. Bloß McDougal legt immer noch Wert darauf, mit Sir angeredet zu werden."
Skeptisch beäugte sie seine Hand, ergriff sie dann aber doch. Sie hatte kalte, schneeweiße kleine Hände. Charlie hatte das Gefühl, wenn er ein wenig kräftiger zudrückte, würden sie zerbrechen wie Porzellan.
„Tal", sagte sie. Dafür, dass sie den Mund kaum bewegt hatte, klang das Wort äußerst klar und deutlich. Charlie blickte sie an. „Tal! Natürlich, du kamst mir gleich bekannt vor. Waren wir nicht zusammen auf Hogwarts?"
Sie schenkte ihm einen intensiven Blick, wandte sich dann jedoch ab, schulterte ihre Tasche und schritt langsam auf das Drachengehege zu. „Kann sein", hörte Charlie sie sagen.
Hastig lief er hinter ihr her. „Zaubertränke bei Professor Snape!", rief er. „Du hast vor mir gesessen, vier Jahre lang. Ich weiß noch genau, wie der alte Schleimbeutel dich und deine Freundinnen immer bevorzugt hat!"
„Das mag daran liegen, dass er der Leiter unseres Hauses war", erwiderte Tal schlicht.
Charlie schloss zu ihr auf. „Aber nach der vierten Klasse bist du abgegangen", erinnerte er sich. „Ich habe dich seitdem nie wieder gesehen. Hab mich immer gefragt, was aus dir wohl geworden ist."
Tal blieb stehen. Ihre Mandelaugen funkelten leicht sarkastisch. „Was soll denn großartig aus einem werden, ohne einen vernünftigen Schulabschluss?", fragte sie zurück. „Du ahnst nicht, wie hart ich um den Job im Zaubereiministerium gekämpft habe. Letztendlich habe ich es nur geschafft, weil ich so gut in Pflege magischer Geschöpfe war. In allen anderen Fächern war ich kaum ausreichend. Wie auch immer, Papierkram, Telefondienst und sonstige Sekretärsjobs waren besser als nichts." Sie zuckte mit den Schultern.
„Weshalb bist du überhaupt abgegangen?", fragte Charlie zögernd. „Du hättest weitaus bessere Jobs machen können."
„Das hier ist ein besserer Job!" Tal blickte ihn an und um ihre Mundwinkel zuckte ein Lächeln. „Zeig mir eure Drachen! Ich will sie alle sehen!"
Charlie erwiderte ihr Lächeln. Die junge Hexe fing an ihm zu gefallen, ihre Augen strahlten beim Gedanken an Drachen wie die eines kleinen Kindes. Inzwischen hatten sie die äußere Umzäunung des Geheges erreicht. Charlie kletterte auf den Zaun, während Tal sich interessiert darüber beugte.
„Hier, Madam, sehen Sie den Dornenschwanz", verkündete er mit einer ausladenden Bewegung. Tal machte große Augen. „Er ist ein letztes Überbleibsel aus prähistorischen Zeiten", fuhr Charlie fort. „Heute kommt er nur noch vereinzelt in den Tropen Südamerikas vor."
„Und wer ist das dort?" Tal zeigte auf einen kleinen rundlichen Drachen mit graublauen Schuppen.
Charlie folgte ihrem Blick. „Ein Schwedischer Kurzschnäuzler. Diese, inzwischen in ganz Skandinavien verbreitete Drachenart, hält sich vor allem an den Küstenregionen auf. Beobachten Sie nur das Farbenspiel seiner Schuppen unter dem blauen Himmel! Er ernährt sich vor allem von Krabben und Seefischen, diese werden wöchentlich aus einem Stockholmer Konzern geliefert ..."
„Was tust du da!", unterbrach Tal seinen überschwänglichen Vortrag. Charlie, der soeben im Begriff war, vom Zaun ins Drachengehege zu springen, wandte sich um.
„Du wolltest doch Drachen sehen, oder nicht?", grinste er. „So dicht vor dem Zaun wirst du nur wenige finden. Na los, komm!"
Tal zögerte sichtlich. „Bist du sicher, dass das eine gute Idee ist?"
„Keine Sorge, sie beißen nicht! Naja, meistens jedenfalls nicht." Charlie musste lachen, als er ihr erschrockenes Gesicht sah. „Außerdem haben sie gerade gefrühstückt. Danach rühren sie sich für die nächsten Stunden kaum noch, höchstens, um ein paar Moskitos zu verscheuchen."
Misstrauisch zog Tal die Brauen zusammen, doch als Charlie sich in Bewegung setzte, nahm sie rasch Anlauf und sprang mit einem Satz über den Zaun.
„Wie groß ist das Gehege?", fragte sie und blickte sich staunend um.
„Ein paar zig Hektar werden es schon sein. Große Tiere brauchen viel Platz." Charlie blieb stehen. Direkt links von ihnen neben einem Strauch putzte sich ein graublau geschuppter Drache, den Tal zunächst für unbelebten Fels gehalten hatte. Ihr Herz tat einen kurzen Aussetzer, doch sie fing sich rasch wieder und schüttelte das schwarze Haar aus dem Gesicht.
„Ist das ein einheimischer Drache?", wollte sie wissen.
„Könnte man denken, ja. Tatsächlich ist es ein Fünfklauiger Lindwurm. Seine Schuppen nehmen die Farbe des Steins an, um sich zu tarnen."
Tal betrachtete den graublauen, schlangengleichen Drachenkörper und ärgerte sich unverzüglich, dass sie ihn nicht sofort erkannt hatte. Jetzt sah sie auch deutlich die langen, kirschfarbenen Barthaare und die fünf Klauen an jeder Tatze des Drachen. Sie waren ein eindeutiges Erkennungsmerkmal, da alle anderen Drachenarten lediglich vier Klauen besaßen.
„Wir nennen ihn Apophis", sagte Charlie gerade. „Ich meine, sie, ist ein Weibchen – nach dem Drachen der Dunkelheit, der jeden Morgen vom Sonnengott Ra besiegt wurde. Naja, daran glauben zumindest einige Muggel!"
„Lindwürmer sind empfindlich gegen Sonnenlicht", stimmte Tal nachdenklich zu, oder besser gesagt, wollte zustimmen, denn im selben Augenblick zerschnitt ein ohrenbetäubendes Brüllen die Luft. Tal roch die verbrannten Zweige, noch bevor sie sehen konnte, was geschehen war. Der Strauch brannte lichterloh. Der Drache hatte Feuer gespieen.
„Verdammt!", zischte Charlie und stürzte auf den Strauch zu, den Zauberstab bereits in der Hand. Tal eilte ihm nach. Dichter schwarzer Rauch quoll auf und brannte in ihrer Lunge.
Charlie zielte mit seinem Zauberstab direkt auf die Pflanze. „Ventûs!", rief er. Es gab einen heftigen Windstoß, der durch sein Haar fegte und den kleinen Strauch beinahe umgenietet hätte. Die Flammen schienen sich daran jedoch nicht im geringsten zu stören. Tatsächlich fraßen sie sich nur noch gieriger durch das dichte Blattwerk.
Tal schob ihn sanft zur Seite. „Warte. Ich mache das."
Widerwillig machte Charlie ihr Platz und beobachtete, wie sie langsam ihren Zauberstab zückte und leicht hin und her schwang. „Aquatio!", sagte sie mit ihrer klaren Stimme und schickte einen Strom Wasser auf den lichterloh brennenden Strauch. Sofort erloschen die Flammen; der kleine Strauch kippte, ersoffen durch das viele Wasser, kraftlos in sich zusammen. Tal ließ die Hand sinken und nickte zufrieden.
„Nicht schlecht!", kommentierte Charlie und betrachtete die schwarzen, verkohlten Zweige. „Aber die Pflanze ist hinüber! So ein Mist, das war der Maulbeerstrauch für die Ägyptische Sandechse. Wird nicht leicht sein, einen neuen zu beschaffen."
Mit einem Mal unbeweglich starrte Tal auf die verbrannte Pflanze. „Zünde kein Feuer an, das du nicht wieder löschen kannst", sagte sie leise.
Charlie blickte sie verdutzt an. „Was?"
„Ein Sprichwort in meinem Volk." Tal wandte langsam den Kopf und lächelte ihn aus ihren dunklen Mandelaugen an. „Zünde kein Feuer an, das du nicht wieder löschen kannst! Sonst könnte es böse enden."
„Ich hab das Feuer nicht angezündet!", verteidigte sich Charlie irritiert. „Das war der Fünfklauige Lindwurm!"
„Der nur hier ist, weil ihr ihn hergebracht habt", widersprach Tal hartnäckig. „Aber wie auch immer. Deinen Maulbeerstrauch kannst du jedenfalls vergessen. Lass uns weitergehen!"
Sie warf graziös das schwarze Haar in den Nacken und machte auf dem Absatz kehrt. Kopfschüttelnd folgte Charlie ihr.
Es dauerte nicht lange, bis sie den größten Teil des Geheges hinter sich gebracht hatten. Tals anfängliche Skepsis hatte sich in regelrechte Begeisterung umgekehrt. Wie eine Antilope sprang sie vor Charlie her, der, wiederum voll in seinem Element, die Rolle des Touristenführers spielte.
„Walisischer Grünling – Seeschlange – Norwegischer Stachelbuckel – Ägyptisches Wüstenchamäleon!", rief er und deutete auf die gigantischen Tiere links und rechts von ihnen. „Bitte beachten Sie, dass das Wüstenchamäleon in der Lage ist, nicht nur die Farbe, sondern sogar das Material seiner Schuppen seiner Umgebung anzugleichen. Es wäre deshalb nicht ratsam, es auf Wasser oder glühende Lava zu setzen!"
Tal stellte erschöpft ihre Tasche ab und sah tatsächlich aus, als müsse sie sich ein Grinsen verkneifen.
Sieh an! Die Sphinx kann lachen!
„Sehr beeindruckend!", kommentierte Tal mit hochgezogenen Brauen und blickte zu ihm hoch. „Wenn du mir jetzt noch mein Zimmer zeigen würdest, wäre ich wunschlos glücklich."
Charlie nickte. „Sehr wohl, Ma´am, ein Ein-Quadratmeter-Einzelzimmer ist schon für Sie reserviert ..." Stirnrunzelnd beobachtete er, wie sie ihre Tasche schulterte und sich in sichtbar geneigter Haltung anschickte, ihm zu folgen. Es fehlte nicht viel und Charlie hätte das Gefühl, sie würde im nächsten Moment in der Mitte auseinanderbrechen.
„Lass mich das tragen!", befahl er kurzentschlossen.
Tal schien ein wenig zu zögern. „Naja, okay, wenn du meinst ..."
Kaum hatte Charlie die Tasche auf die Schultern gehievt, fühlte er auch schon, wie die Last ihn langsam aber sicher zu Boden zog.
„Gott!", keuchte er. „Was hast du da drin? Steine?"
Tals sahneweißen Wangen schienen eine Spur mehr Farbe anzunehmen. „Oh, das ist nur Serpensia", entgegnete sie hastig. „Warte", sie nahm Charlie die Tasche wieder ab, „ich lasse sie raus. Sie kann selber kriechen."
Befremdet starrte Charlie sie an. „Kriechen? Was hast du da drin?"
Tal lächelte geheimnisvoll und zog ohne ein weiteres Wort den Reißverschluss auf. Sekundenbruchteile später erschien ein flacher Reptilienkopf mit schlitzförmigen Pupillen und einer langen gespaltenen Zunge, die aufgeregt umherzüngelte. Charlie wäre fast nach hinten weggestolpert. Mit offenem Mund starrte er auf die braun-gelb gefleckte Schlange, die langsam aus der Taschenöffnung glitt und neugierig auf dem Boden herum huschte. Tal sah äußerst stolz aus.
„Was ... ist ... denn das?", brachte Charlie mühsam hervor.
„Eine Python. Serpensia. Also, ich glaube, sie ist eine Tigerpython. Die Flecken auf ihrer Haut sehen doch aus wie bei einem Leoparden. Oder was meinst du?"
Charlie blickte sie verwirrt an und wieder auf die Schlange, und vollführte sogleich tänzelnde Bewegungen, als sie sich seinen Füßen näherte, um ihr auszuweichen. Er wusste, dass er dämlich aussehen musste und es lag ihm fern, Tal zu beleidigen. Doch angesichts der sich windenden, hin und her kriechenden Schlange standen ihm die Haare zu Berge. Er verzog angeekelt das Gesicht. „Wieso hältst du dir eine Schlange?", fragte er sie.
Tals Augen funkelten. „Ich wollte schon immer eine Schlange haben! Schon in der Schule wollte ich eine! Fast alle Slytherins hatten Schlangen. Damals war es äußerst in, sich das eigene Wappentier zu halten, bis Professor Dumbledore es schließlich verbot. Er hielt es für zu gefährlich!" Sie verdrehte die Augen.
Charlie schüttelte den Kopf. „Ihr hattet sie schließlich auch nicht mehr alle!", platzte es aus ihm heraus, ohne dass er merkte, wie schroff es klang. „Schlangen als Haustiere! Höchst ungewöhnlich."
„Wir waren nicht wie die Gryffindors, Hufflepuffs und Ravenclaws. Vielleicht waren wir ein ungewöhnliches Haus. So etwas kannst du natürlich nicht verstehen!" Charlie glaubte, eine Prise Stolz in ihren Worten zu hören, gewürzt mit einer guten Portion der scheinbar angeborenen Arroganz aller Slytherins.
„Du hast dich verändert!", stellte er fest.
Bedauerlich! Bis eben hast du mir nämlich noch äußerst gut gefallen ...
Tals Kopf schnellte hoch. „Habe ich nicht!", zischte sie leise. „Ich wollte wirklich schon immer eine Schlange. Natürlich kriegte ich keine. Meine Eltern gaben mir im dritten Jahr so eine blöde Zwergohreule!"
„Ist auch wesentlich praktischer", entgegnete Charlie ungerührt. „Erledigt deine Post und so."
„Ja, und kreischt und macht Dreck und hinterlässt überall Federn." Tal schüttelte unwirsch den Kopf. „Und sie frisst Würmer, das mag ich nicht. Man sollte nichts fressen, was unschuldig dahinkriecht!"
Charlie beobachtete Tal mit wachsendem Argwohn. Die Faszination, mit welcher sie das kriechende Ungetüm anblickte, erinnerte ihn an seine eigene, im Bezug auf seinen ersten Nimbus ´92. Bloß, das er damals knapp elf Jahre alt gewesen war und ein Besen ja auch bei weitem nicht so viel Schaden anrichten konnte wie eine Schlange. Zumindest, wenn man mit ihm auf der Erde blieb.
„Es ist gleich zehn Uhr", bemerkte er, ein wenig schärfer als beabsichtigt. „Du solltest dich bei McDougal melden. Ach ja, und wenn ich dir ´nen Rat geben darf – lass dein Schlangenvieh besser in der Tasche. Ich weiß nicht, ob dem Chef das gefallen wird!"
Ohne ein weiteres Wort drehte er sich um und stapfte zügig von dannen, Tals verärgerte Blicke ignorierend, die wie eine Ladung Blitze an seinem Körper abprallten.
