9. Zwei unterschiedliche Mächte

In der alten, halb zerfallenen Holzhütte mitten im Wald von Albanien stand der kleine, grauhaarige Zauberer am Fenster und huschte aufgeregt hin und her.

„Es läuft alles genau nach Plan, mein Gebieter!", rief er und bekam vor Aufregung schweißnasse Hände. „Oh, es funktioniert, ja, es funktioniert!"

Die giftgrüne Boa lag bewegungslos hinter ihm auf dem Holzboden und beobachtete ihn scharf. Ihre schlitzförmigen Pupillen zeigten sich von der Euphorie des Dieners kaum beeindruckt.

„Du scheinst dir deiner Sache ja sehr sicher zu sein, Wurmschwanz!", bemerkte sie züngelnd.

Ein wenig verlegen fuhr Wurmschwanz herum. „Oh, verzeiht meinen Ausbruch, Herr!", erwiderte er rasch. „Ich weiß, es ist noch ein wenig verfrüht für einen Triumph, aber ..."

„Allerdings, Wurmschwanz! Anstatt dich für deine Heldentaten zu rühmen, solltest du dich besser auf die Ausführung deines Plans konzentrieren!"

Der kleine grauhaarige Zauberer fuhr erschrocken zusammen. „V-verzeiht mir, Herr!", stotterte er hastig. „Selbstverständlich wollte ich mich nicht ... für etwas rühmen, was ich nur Dank Eurer Hilfe vollbracht habe ..."

„Es sei dir vergeben!", unterbrach ihn die Schlange gnädig. „Offen gesagt hätte ich es nie für möglich gehalten, dass dein mickriger Wille ausreichen könnte, um eine Hexe zu kontrollieren. Wie es scheint, habe ich mich getäuscht."

Angesichts des Lobs seines Herren fuhr Wurmschwanz puterrot an. „Oh, Herr!", stammelte er freudig, „oh, sie ist so absolut willig, Herr! Ich spüre es bei jedem Mal deutlicher. Ein sehnlicher Durst, sich zu beweisen. Sie giert geradezu nach Erfolg und Anerkennung!"

Die Boa rührte sich kaum. „Mag sie soviel gieren, wie die will. Hauptsache, ihr Körper ist kompatibel genug, um meinen Geist in ihn zu transferieren."

„Oh, ich bin mir sicher, Herr!", versicherte der kleine Zauberer rasch. „Sie hat feinstes Slytherin-Blut in den Adern. Ich spüre es ganz deutlich!"

Unbeeindruckt zuckte die Schlange mit dem Schwanzende.

„Und zeitweise", fuhr ihr Diener beifallheischend fort, „zeitweise vermag ich sie sogar zu kontrollieren, ohne dafür den Rubin zu verwenden. Die Kraft des Steins ist weitreichender, als ich ahnte, und sie ist so ... so unglaublich folgsam. Es ist fast so, als hätte ich eine Seite in ihr wachgerüttelt, die schon lange existierte. Und durch meinen Zauber erwacht sie nun vollkommen zum Leben! Nicht mehr lange, und ihr und mein Wille wird eins sein, Herr. Eins!"

„Wie du meinst, Wurmschwanz!", antwortete die Boa gelassen. „Weshalb zeigst du mir nicht, welche Fortschritte du gemacht hast? Rufe sie! Es wäre doch interessant, zu wissen, was sie inzwischen bewerkstelligt hat. Meinst du nicht?"

Der kleine Zauberer schien ein wenig verunsichert. Doch als er den stechenden Blick der Schlange auf seinem Körper spürte, nickte er unverzüglich.

„Ich werde den Rubin erwecken, Meister!", rief er eifrig. „Ihr werdet sehen, dass ich Euch nicht enttäuscht habe!"

Eilig huschte er zu einer goldenen Säule, die ihm an Größe beinahe gleich war und breitete die Arme aus. Ganz oben auf der Säule lag ein Kissen, und darauf ein faustgroßer, funkelnd roter Stein. Wurmschwanz murmelte einige unverständliche Worte und schwenkte leicht seinen Zauberstab hin und her. Zunächst sah es so aus, als würde nichts geschehen. Doch dann, ganz langsam, stieg eine feine rötlichweiße Rauchfahne aus dem Stein auf. Wurmschwanz´ Gesicht lief erneut rot an, nicht vor Scham diesmal, sondern vor lauter Anstrengung, den Zauber aufrecht zu verhalten. Seine Züge waren in eiserner Konzentration angespannt. Die dünne Rauchfahne stieg immer weiter empor, kroch um ihn herum und verdichtete sich zusehends zu dickeren, rotweißen Nebelschwaden. Wie von einem nichtvorhandenen Wind getrieben versammelten sich diese vor seinen Augen zu einer fast undurchdringlichen gebündelten Wolke. Und in ihrem umherziehenden Nebel gaben sie ein kreisrundes Bild frei. Es wuchs und wuchs mit jeder Sekunde, wurde immer heller und heller, und schon bald erkannte Wurmschwanz das wohlbekannte Gesicht der Schlangenherrin in ihm.

Es sah noch genauso aus, wie er es in Erinnerung hatte. Die anmutigen, asiatischen Züge mit ihren schmalen, weit auseinander stehenden Augen und geschwungenen Augenbrauen. Die schneeweiße Haut, die in unmittelbarem Kontrast zu dem tiefschwarzen Haar stand, welches ihr schmales Gesicht umrahmte. Er straffte seine Haltung und räusperte sich.

„Ich grüsse dich, Schlangenherrin!", rief er in seinem gewöhnlichen Gruß. „Ich sehe, deine Erinnerungen kehren zurück. Bist du bereit, dem Herrn deinen Dienst zu erweisen?"

Die junge Hexe erwiderte seinen Gruß, indem sie leicht ihren Kopf senkte und die Augen niederschlug. Dann hob sie den Kopf erneut und schien ihm direkt in die Augen zu blicken. Wurmschwanz wusste natürlich, dass sie ihn nicht wirklich sehen konnte, doch ihr Blick hatte etwas stechendes, das ihm einen kalten Schauer über den Rücken jagte. Als er ihren Blick erwiderte, war nicht zu sagen, welcher von beiden durchdringender war.

„Ich bin bereit!", sagte sie mit tonloser Stimme.

Wurmschwanz starrte sie an und regte sich nicht.

„Jetzt frag sie, ob sie die zweite Zutat beschafft hat!", befahl die Boa zu seinen Füßen ungeduldig.

Der kleine Zauberer riss sich zusammen. „Hast du ... hast du die Dracheneier beschafft, so wie ich dir befohlen habe?", fragte er schnell.

Bei seinen Worten schien sie leicht zusammenzuzucken, doch im nächsten Moment war ihr Gesicht wieder ruhig und gefasst. „Es ist mir misslungen, Herr", gab sie zu. „Trotz aller Vorbereitungen und aller Hilfe, die ihr mir gabt."

Wurmschwanz glaubte, seinen Ohren nicht zu trauen. Schon sah er sich jämmerlich scheitern, wie so oft, wenn er sich nur noch wenige Meter vor der Zielgeraden geglaubt hatte. Die Boa zu seinen Füßen zischte verärgert.

„Wie, beim großen Salazar Slytherin, konntest du es vermasseln!", schrie Wurmschwanz aufgebracht. „Wie konntest du Lord Voldemord nur so bitterlich enttäuschen?"

„Es ist mir misslungen, Herr", wiederholte die Schlangenherrin ohne eine Miene zu verziehen. „Ich lenkte die anderen ab, schlich mich zu dem Drachen und überwältigte ihn ... ja, ich hielt die Brut des Lindwurms bereits in meinen Händen. Doch dann passierte irgendetwas und mein Plan war gescheitert. Näheres kann ich nicht sagen. Ich erinnere mich nicht mehr."

Wurmschwanz huschte nervös auf und ab. „Was soll ich nur tun ... was tue ich jetzt nur ...", murmelte er unentwegt vor sich hin.

„Nur die Ruhe, Wurmschwanz." Die giftgrüne Schlange betrachtete ihn gelassen. „Wer beim ersten Mal scheitert, sollte aus seinen Fehlern lernen. Du wirst die Dienerin noch ein zweites Mal ausschicken, und diesmal wird sie keinen Fehler machen. Sie ist eine Slytherin! Sie genießt mein vollstes Vertrauen."

Der grauhaarige Zauberer hielt inne und musterte die Schlange ungläubig. Doch als die Worte des Herrn seinen Verstand erreichten hatten, stahl sich ein Lächeln in seine kleinen Augen.

„Ah, natürlich, Herr!", rief er strahlend. „Natürlich, das werde ich tun! Ich werde es ihr einfach noch einmal befehlen. Und diesmal wird sie Erfolg haben, das schwöre ich!" Er lachte leise vor sich hin.

„Dann tu es, Wurmschwanz!", zischte die Schlange ungeduldig. Als der Diener sich hastig abgewendet hatte, schüttelte sie missbilligend den Kopf. „Es ist kaum zu glauben, welche Schwachköpfe unter mir dienen!"

Wurmschwanz trat vor den Nebel und hob verschwörerisch die Arme. „Noch in dieser Nacht wirst du die Lindwurmeier beschaffen, Schlangenherrin!", rief er. „Und diesmal wirst du noch klüger und vorausschauender arbeiten. Keine Fehlschläge mehr, hast du verstanden? Die Geduld deines Herrn ist langsam erschöpft!"

Sie nickte folgsam. „Ich verstehe, mein Gebieter. Was soll ich tun, wenn ich die fehlende Zutat beschafft habe?"

„Dann wirst du das Elixier für deinen Herrn brauen", erwiderte Wurmschwanz. „Und auf weitere Befehle warten und ..." Mit einem Mal stockte er. Der Nebel um den Stein hatte abrupt angefangen, sich zu lichten. Eben noch war das Bild der Schlangenherrin scharf und klar gewesen. Doch nun wurde es immer undeutlicher und drohte, sich in Luft aufzulösen wie die rauchigen Nebelschwaden. Er schüttelte verwirrt den Kopf.

„Was geschieht hier?", rief er nervös. „Schlangenherrin!"

Doch im selben Moment war ihr Bild verschwunden. Der rotweiße Nebel tänzelte noch ein wenig um seine Nase und verschwand dann mit einem Zischen in dem glühenden Stein, der ihn in sich aufnahm und erlosch.

Wurmschwanz stand mit offenem Mund da, bemüht, seine Fassung wiederzuerlangen. Auch die Boa zu seinen Füßen schien ihre Gelassenheit verloren zu haben. „Was ist geschehen, Wurmschwanz? Das gefällt mir ganz und gar nicht!"

„Der Rubin ist ... erloschen, Herr!", murmelte Wurmschwanz ungläubig. „Verzeiht, mein Gebieter! Mir scheint, ich habe die Verbindung unwissentlich unterbrochen. Mein Zauber schien nicht so mächtig gewesen zu sein, wie ich geglaubt habe ..."

„Deine bemitleidenswerten Zauberkünste in Ehren!", zischte die Boa zornig. „Doch du weißt ganz genau, dass du nicht für diesen Vorfall verantwortlich warst. Ich spürte die Gegenwart eines zweiten Zauberers ... und ich halte es für äußerst unwahrscheinlich, dass ich mich da irren sollte!"

Wurmschwanz blickte die Schlange ängstlich an. „Möglich, Herr!", räumte er zögernd ein. „Ich kann nicht immer mit Gewissheit sagen, dass die Schlangenherrin allein ist, wenn ich sie rufe. Vielleicht ... hat dieser Zauberer meine Verbindung durchbrochen, doch ... ich bin sicher, mein letzter Befehl dürfte noch bei ihr angekommen sein, Herr!"

Die Augen der Schlange sprühten geradezu vor Zorn. Blitzschnell wand sie sich am Körper ihres Dieners empor, und noch ehe dieser reagieren konnte, hatte sie dessen Hals bereits fest umwickelt wie eine tödliche Schlinge. Wurmschwanz blickte erschrocken um sich und schnappte nach Luft.

„Versuch nicht, mich für dumm zu verkaufen!", giftete die Boa züngelnd. „Eine Verbindung dieser Art kann nicht von außen durchbrochen werden, das weißt du genau! Sie war es! Die Schlangenherrin und niemand sonst hat die Verbindung durchbrochen! Ich frage mich, weshalb?"

Der kleine Zauberer wand sich verzweifelt im Würgegriff der Schlange, die sich auf seine Befreiungsversuche hin jedoch nur noch fester um seinen Hals schnürte. Seine Augen traten hervor. „Bitte, Herr!", flehte er verzweifelt. „Ich ... bekomme keine ... Luft ..."

Weshalb, Wurmschwanz!", beharrte die Schlange. „Weshalb könnte sie auf den Gedanken kommen, die Verbindung zu unterbrechen, wenn sie doch so, wie du sagst, gierig deinem mickrigen kleinen Willen folgt?"

„Etwas dieser Art ist ... schon einmal passiert, Herr!", presste Wurmschwanz widerwillig hervor. „Als sie die Dracheneier in der Hand hielt. Ihre Habgier ... vermischte sich mit meiner, wurde immer stärker, und dann ... war sie fort. Ich machte den Zauber dafür verantwortlich ... schließlich hatte ich den Rubin nicht beschworen, und die Verbindung war ohnehin sehr schwach ..."

Die Schlange legte nachdenklich den Kopf schief. „Hmm ... sehr seltsam, was du da erzählst, Wurmschwanz", überlegte sie. „Und dennoch scheint es keine andere Erklärung zu geben."

„Ich schwöre, es ... ist wahr, Herr!", beteuerte Wurmschwanz mit kraftloser Stimme. „Ich lüge Euch nicht an, Herr! Bitte ... lasst mich los!"

Die Schlange dachte noch einen Moment lang nach, dann blickte sie ihren Diener an. Sein Gesicht war inzwischen bläulich angelaufen und sein Atem kaum mehr als ein kraftloses Röcheln. Ohne ein Wort glitt sie widerwillig von seinem Hals. Wurmschwanz fasste sich an die Kehle, taumelte und fiel keuchend zu Boden.

„Steh auf, Wurmschwanz!", zischte die Schlange ungeduldig. „Könnte ich nur aus diesem Körper raus, so würde ich dir einen Cruciatus-Fluch auf den Hals hetzen, darauf kannst du Gift nehmen! Etwas in unserem Plan ist aus dem Ruder geraten, und wir sollten es schleunigst wieder bereinigen. Dieser Zauberer muss großen Einfluss auf die Schlangenherrin haben ... obwohl mir beim besten Willen nicht einfällt, weshalb!" Sie blickte sich um. „Wurmschwanz!"

Winselnd und luftschnappend kroch der kleine Zauberer auf seine Füße und fuhr sich durch das spärliche graue Haar. „Ich weiß es auch nicht, mein Gebieter!", murmelte er. „Da sind seltsame Gefühle in ihr ... ich spürte sie, neben ihrer Habgier und ihrem Hunger nach Erfolg. Äußerst widersprüchlich! Doch sie sind scheinbar stärker, als ich glaubte. Ja, sie scheint äußerst starke Gefühle für diesen ... Zauberer zu haben, Herr!"

„Gefühle!" Die Schlange gab ein missbilligendes Zischen von sich. „Diese Gefühle durchkreuzen meinen Plan enorm, das ist dir doch klar, Wurmschwanz?"

Zögernd und verunsichert nickte sein Diener. „Ja, Herr, ich verstehe! Was ... soll ich nun tun, mein Gebieter?"

„Sorge dafür, dass sie das Elixier fertig stellt!", erwiderte die Schlange. „Versuche, den Zauber so weit zu intensivieren, dass sie ihn nicht mehr von sich aus brechen wird. Und wenn ihr dieser ... Zauberer in die Quere kommt, dann sorge dafür, dass er beseitigt wird!"

Mit funkelnden Augen fuhr sie herum und musterte ihn scharf. Wurmschwanz erzitterte unter ihrem Blick. Seine Hände wanderten in angstvoller Vorahnung an seine Kehle, doch die Boa rührte sich nicht. „Ich kann mich doch auf dich verlassen, Wurmschwanz?", zischte sie leise.

Sein Diener schluckte und nickte dann hastig. „Selbstverständlich, Herr!", antwortete er rasch.