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Alisha Trejo fühlte sich ein wenig verloren, als sie auf dem großen Parkplatz stand und am riesigen Hauptgebäude der Stanton-Universität hinaufsah. Es war ein schöner, alter Steinbau aus dem späten 18.Jahrhundert, der da majestätisch auf sie herabblickte. Bestimmt hatte er in den vergangenen Jahrhunderten wesentlich mehr zu sehen bekommen, als sie es in ihrem Leben je tun würde. Sie schluckte und versuchte, das aufkommende Gefühl der Einsamkeit zu unterdrücken. Es würde schon nicht so schlimm werden. Mit gemischten Gefühlen blickte sie dem Taxi nach, das sie hergebracht hatte und gerade um die Ecke verschwand. Dann atmete sie tief durch. Nur nicht unterkriegen lassen. Sie packte ihre Taschen und Koffer und begann, sie die ersten Stufen der großen Freitreppe heraufzuschleppen.
Wie erwartet, kamen ihr nicht sehr viele Leute entgegen; es war Samstagmittag und die meisten schliefen immer noch, um sich von der gestrigen und für die heutige Party zu erholen oder waren weggefahren. Nach einem kurzen Gespräch mit dem Dekan, einem sehr autoritär wirkenden Mann in den frühen Sechzigern, hatte sie sich im Verwaltungsbüro eingetragen und ihre Zimmernummer sowie einen Schlüssel erhalten. Nun stand sie wieder oben auf der Freitreppe. Von hier aus hatte man einen kleinen Überblick über Teile des Parks sowie einige nebenstehende Gebäude. Das Haus, in dem sie die nächsten Monate über wohnen würde lag ein ganzes Stück entfernt und war von ihrem jetzigen Standpunkt aus nicht zu sehen. Mit einem kleinen Seufzer machte sie sich auf den Weg.
Als sie eine knappe halbe Stunde später leicht verschwitzt endlich am richtigen Haus angelangt war, schickte sie ein Dankgebet zum Himmel. Dieses Institut war nicht für Neuankömmlinge konzipiert, auf gar keinen Fall. Und man mußte sicher einen sehr gut ausgebildeten Orientierungsinn besitzen, um in der Lage zu sein, auch wieder alleine den Rückweg finden. "Na toll, den habe ich nicht", murmelte sie. "Ich hab' ja schon Schwierigkeiten, mein Auto nach zwei Stunden wiederzufinden."
"Wie bitte?" fragte eine Stimme hinter ihr. Alisha wandte sich um. Vor ihr stand ein hübsches Mädchen, deren schlanker Körper in einem teuren Markenkostüm steckte. Wie üblich fühlte Alisha sich sofort irgendwie unterlegen. Minderwertig. In ihrer verwaschenen Jeans und ihrem alten T-Shirt sah sie bestimmt nicht gerade sehr attraktiv aus.
Das Mädchen lächelte ein wenig gekünstelt, aber dennoch freundlich. "Ich fragte: wie bitte?"
"Achso, ich, ähm, äh", reiß dich zusammen, bevor du gleich zur kompletten Idiotin abgestempelt wirst, wies sie sich selbst zurecht und räusperte sich. "Zimmer 207?"
"Das befindet sich im zweiten Stock; die Treppe hoch und dann links und an der nächsten Ecke rechts." Das Mädchen streckte ihr die Hand entgegen. Ihre Haut war samtweich und die Fingernägel penibel gefeilt und mit pastellfarbenem Nagellack veredelt. "Ich bin Harmony Ward, Studentin im vierten Semester und Vizepräsidentin der Gamma Phi Deltas. Gehe ich recht in der Annahme, daß du neu hier bist?" Sie musterte Alisha von Kopf bis Fuß, wobei ihre Kleidung oder ihre Figur offensichtlich ziemlich schlecht wegkam, doch als sie ihr Gesicht betrachtete, lächelte sie.
Alisha setzte ihr Gepäck ab und wischte sich ihre feuchte Hand an der Hose ab, bevor sie die Begrüßungsgeste erwiderte. "Alisha Trejo, zweites Semester. Vom St. Johns gewechselt."
"St. Johns, St. Johns ....", Harmony schien angestrengt nachzudenken, "eine Klosterschule?"
"Nein", sie winkte ab, "aber 's ist nicht so bekannt."
"Harmony, kommst du?" Ein Mädchen kam mit gezierten Bewegungen auf sie zu und warf Alisha einen halbherzigen Blick zu. Auch sie trug exklusive Mode, war aber bei weitem nicht so hübsch wie ihre Freundin, bei der sie sich einhakte.
Harmony stellte die beiden einander kurz vor, doch allein dieselbe Luft wie das neue Mädchen atmen zu müssen, schien schon weit unter ihrem üblichen Niveau zu sein.
"Heute abend findet eine kleine Party in unserem Verbindungshaus statt. Vielleicht hast du Lust, zu kommen?" Die Frage schien ernst gemeint zu sein. Alisha hatte zwar nicht besonders große Lust, doch immerhin war Harmony das erste freundliche Gesicht, das sie in den letzten zwei Tagen gesehen hatte. "Ich schau' mal ....", erwiderte sie ausweichend.
"Es wird dir sicher gefallen. Willst du feiern wie bei den Weltstars, komm zu uns, den Gamma Phi Deltas."
Alisha grinste und hatte Mühe, nicht herauszuplatzen.
"Harmony." Ihre Freundin zog sie mit sich fort. "Was wolltest du denn von der ?" hörte Alisha sie fragen.
"Nicht so laut", wurde sie ermahnt. "Ich habe sie eingeladen. Du solltest deiner Schwester mehr vertrauen. Sie hat die richtigen Anlagen, glaub' mir. Sie ist nur ein bißchen mitgenommen von der Reise. Aber das Startkapital hat sie auf jeden Fall. Für solche Dinge habe ich ein Händchen." Sie winkte ihrem möglichen neuen Verbindungsmitglied über die Schulter zu, dann hielt sie inne und betrachtete ihre Finger. "Und ich muß sagen, daß es ein sehr gepflegtes Händchen ist." Sie brachen beide in albernes Gekicher aus und verschwanden dann nach draußen.
Sie wußte immer noch nicht so recht, was sie von der ganzen Sache halten sollte, als sie vor Nummer 207 stand. Zögernd klopfte sie an, doch im Zimmer regte sich auch nach wiederholtem Klopfen nichts. Sie öffnete sie vorsichtig und warf einen Blick in den Raum, doch niemand war zu sehen. Andererseits wollte sie auch nicht einfach so hineingehen. Gut, sie zahlte für diese Unterkunft – und nicht gerade wenig – aber dennoch war es ihr unangenehm. Woher wußte sie denn, wie ihre neue Mitbewohnerin das Zimmer aufgeteilt hatte? Gut, das würde sie vermutlich daran erkennen können, welches Bett bzw. welche Schränke belegt waren, dennoch.... sie zögerte. Schließlich wollte sie nicht gleich am Anfang ins Fettnäpfchen treten. "Regarding all the peace you see, you can call me Harmony", sang sie leise, denn seit sich Harmony ihr vorgestellt hatte, wurde sie diesen Ohrwurm nicht mehr los. In der neunten Klasse hatten sie und ihre Freundin dieses Lied über eine exaltierte Mitschülerin gedichtet, deren stetes Bestreben, "everybody's darling" zu sein, ihnen ziemlichauf die Nerven gefallen war.
Also setzte sie sich auf ihren Koffer und begann, ein Buch zu lesen. Während sie wartete, wurde sie ein paarmal angesprochen und gefragt, ob sie nicht lieber hineingehen oder zumindest im Aufenthaltsraum warten wolle, doch sie lehnte dankend ab, weil sie Angst hatte, ihre neue Mitbewohnerin zu verpassen. Außerdem hatte sie keine Lust, ihr Gepäck an diesem Tag noch einmal durch die Gegend zu schleppen. Zumindest erfuhr sie so in Ansätzen, daß ihre Kommilitonin Zoe Brooks hieß, "den verrücktesten Bruder an der ganzen Uni hatte", selber aber, wie ihr versichert wurde, "in keinster Weise psychische Störungen aufwies" und "eigentlich ganz nett" war. Alisha war sich nicht ganz sicher, ob sie das gut oder schlecht finden sollte, doch im Grunde genommen gab sie auch nicht viel auf Gerüchte und ähnliches und machte sich lieber selbst ein Bild von allem.
Etwa zwei Stunden später bekam sie die Gelegenheit dazu. Ein großes, dunkelhaariges Mädchen ging an ihr vorbei und betrat das Zimmer, dann machte es wieder zwei Schritte zurück und sah fragend auf sie herab. "Willst du zu mir?"
"Kann schon sein. Bist du Zoe Brooks?"
Die sah sie ein wenig mißtrauisch an. "Ja ....?"
Alisha schlug ihr Buch zu und stand auf. "Ich bin Alisha Trejo."
Keine Reaktion.
"Die Neue?" fügte sie hinzu und hielt Zoe die Hand hin.
Die schlug ein, sah sie aber immer noch irritiert an. "Von wem?" fragte sie, verbesserte sich dann aber schnell, "ich meine: hä?"
"Die neue Mitbewohnerin ....?" War sie vielleicht im falschen Film und wenn ja, konnte er vielleicht wenigstens so lange dauern, bis sie eine Weile in einem weichen Bett geschlafen hatte?
"Du kannst gerne im Verwaltungsbüro nachfragen, aber auf diesem Zettel hier", sie zog ein Formular aus ihrer Tasche hervor, "steht, daß ich, also, daß du ...." Alisha zeigte erst auf Zoe und sich, formte dann die Hände zu einem Hausdach und zeigte auf das Zimmer. Dann zuckte sie mit den Schultern. Sowas hatte ihr gerade noch gefehlt; das konnte ja heiter werden. Zoe lachte, als sie ihren Gesichtsausdruck sah. "Du brauchst dich nicht auszuweisen, ich glaub' dir ja. Es ist nur so typisch: die vergeben ein Zimmer und halten es nicht für möglich, es den Betreffenden auch mitzuteilen. Naja, immerhin besser, als wenn sie dir in einer vollkommen ausgebuchten Stadt ein Zimmer reservieren und wenn du nach einem Flug mit siebeneinhalbstündiger Verspätung endlich ankommst ist nur noch die Besenkammer frei." Sie ergriff zwei Taschen und ging voran. "Kein Scherz, ist mir echt schon passiert."
Alisha grinste. "Aus demselben Grund hab' ich Paris bei Nacht kennengelernt.."
"Wie romantisch", schwärmte Zoe und schloß die Tür. "Erinnert mich an Before Sunrise."
"Habe ich nicht erwähnt, daß ich mit Ethan Hawke da war?" witzelte Alisha und Zoe spann weiter:" Du kamst mir gleich so bekannt vor."
Alisha begann zu lachen und Zoe fiel mit ein. Dann ging sie zum Kühlschrank und holte eine angebrochenen Flasche Weißwein heraus. "Ein kleiner Begrüßungstrunk. Ich hoffe, du magst ihn", sagte sie. "Der Champagner ist nämlich leider gerade ausgegangen."
"Was denn, du hast nicht mal Piper Heidsieck da?" tat Alisha entgeistert.
"Tut mir leid, aber Piper wollte nicht hier einziehen."
"Dann gibt es wahrscheinlich auch keinen Kaviar." Sie zog einen Flunsch.
"Du kannst Schwarze Johannisbeerkonfitüre haben, die sieht so ähnlich aus." Sie kicherten wieder los, dann stießen sie an. "Willkommen im Hilton der Unis", grinste Zoe. "Nein, im Ernst; willkommen in Stanton; im Hill House und ganz besonders in deinem neuen Zimmer", sie umarmte ihre neue Mitbewohnerin kurz, "ich hoffe, dir gefällt's hier."
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Alisha rollte sich gerade noch einmal zufrieden in ihrem neuen Bett zusammen, als jemand sie sanft an der Schulter berührte. "Alisha?" fragte Zoe. "In etwa zwanzig Minuten gibt es Abendbrot."
Sie hätte liebend gerne weiter geschlafen, aber sie hielt es für unhöflich, gleich am ersten Abend zu fehlen, und so trottete sie zehn Minuten später hinter Zoe her zum Speisesaal. Ihre Befürchtungen, alleine in den Menschenmassen zu versinken, wurden glücklicherweise nicht erfüllt. Erstens war es nicht besonders voll, was, wie ihr versichert wurde, nur am Wochenende der Fall war, ansonsten "hätte selbst Jesus mit seinem Fisch-und Brot oder Wein wie-auch-immer-Hokuspokus seine Schwierigkeiten gehabt", wie Zoe es treffend beschrieb. Und zweitens nahm Zoe sie wie selbstverständlich mit zu ihren Freunden an den Tisch und stellte sie allen vor. Es wurde ein lustiger Abend und sie gingen erst, als die Küchenkräfte ihnen drohten, sie zum Abwasch abzukommandieren, wenn sie den Saal nicht sofort verließen. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte Alisha tausend Fragen über sich, ihre Herkunft, ihren Nachnamen und ihren Wechsel mitten im Semester beantworten müssen, wozu sie jedoch gerne bereit gewesen war. Vielleicht würde die Zeit hier doch nicht annähernd so trostlos verlaufen, wie sie zunächst geglaubt hatte.
Wieder zurück in ihrem Zimmer, packte sie mit Zoes Hilfe ihre Sachen aus, dann streckten sie sich beide auf ihren Betten aus, tranken noch ein Glas Wein und plapperten munter drauflos wie zwei alte Schulfreundinnen, die sich seit Jahren nicht mehr gesehen hatten. Mitten im schönsten Lachkrampf darüber, daß Alisha bei ihrem Versuch, ihr heruntergefallenes Kissen vom Boden aufzuheben ebenfalls vom Bett fiel, wurde die Tür schwungvoll geöffnet. Ein junger Mann um die zwanzig, mit weißblond gefärbten Haaren trat ein, in der Hand einen Zehndollarschein. "Zoe-Darling, was hältst du davon, heute abend ins Kino zu gehen, am besten in Titanic, Vom Winde verweht oder Gladiator?" fragte er mit einem strahlenden Lächeln.
Sie grinste. "An und für sich sehr viel; nur wird dir das leider gar nichts bringen. Was nicht heißt, daß du die zehn Dollar wieder wegstecken mußt." Sie deutete mit dem Kopf zum zweiten Bett. "Darf ich vorstellen: Damon, mein Bruder, das ist Alisha Trejo, meine neue Mitbewohnerin."
Er wandte sich erstaunt um. Dann seufzte er theatralisch. "Ich hatte geahnt, daß die rosigen Zeiten eines Tages enden würden. Nur, daß es so bald sein mußte ....egal." Er straffte die Schultern und trat auf sie zu. Ihre dunklen Augen betrachteten ihn interessiert. "Freut mich", sagte sie, als sie sich die Hände reichten. Normalerweise war sie Männern, die sie nicht kannte, gegenüber immer ein wenig schüchtern, doch der Wein hatte sie in dieser Hinsicht ein wenig lockerer werden lassen.
"Mich auch", erwiderte er lächelnd. Dann beugte er sich zu ihr herunter. Ein wenig verunsichert lehnte sie sich zur Seite. Damon bemerkte es und grinste sie an. "Was denn; willst du keinen Begrüßungskuß?" Sie sah ihn einen Moment lang entgeistert an, dann prustete sie los.
"Keine Angst, wenn er seine Medizin nimmt, ist er eigentlich ganz harmlos", warf seine Schwester ein.
"Und da ist sie ja", rief er, hob die Flasche auf, die am Boden stand und richtete sich wieder auf. "Na na, ihr solltet sowas nicht trinken." Er setzte die Flasche an die Lippen und nahm einen tiefen Schluck. "Sowas ist schädlich." Er trank weiter. "Trejo?" fragte er dann. "Bist du mit Danny verwandt?"
Sie schüttelte den Kopf.
"Ich bin nicht der erste, der dich das fragt oder?"
Sie grinste. "Nein, aber mach' dir nichts draus. Ich bin dran gewöhnt."
"Damon Brooks!!"
Linda, ein blondes Mädchen, das Alisha vorhin beim Essen kennengelernt hatte, kam durch die immer noch offenstehende Tür auf ihn zugelaufen und zog etwas aus seiner Gesäßtasche. Es war ein roter Slipper, der ziemlich zerknautscht aussah. Mit einem empörten Schnauben zog sie ihm damit eins über. "Dafür habe ich zwanzig Dollar ausgegeben!"
"Was denn, und dafür hast du nicht mal ein komplettes Paar bekommen?"
Sie schnappte nach Luft. "Den habe ich den ganzen Tag über gesucht!"
"Moment mal, wenn ich mich recht erinnere, hast du ihn sehr freiwillig nach mir geworfen", verteidigte er sich.
Linda verpaßte ihm noch eins mit dem Slipper. "Wenn du wenigstens singen könntest."
Sie drehte den Gymnastikschuh hin und her. "Na toll, wird super aussehen morgen beim Training. Miss Knautsch."
"Anti-Falten-Creme soll da Wunder wirken."
"DAMON!!"
"LINDA!!" ahmte er sie nach.
"Idiot!" Sie versetzte ihm noch einen Rippenstoß.
"Davon wird es auch nicht besser", sagte er unbeeindruckt. "Schmeiß das nächste Mal einfach mit Stiften oder Büchern wie alle anderen auch. Die lassen sich auch besser verkaufen."
Sie stöhnte genervt auf und verließ dann kopfschüttelnd, aber grinsend den Raum.
"Warum sprechen eigentlich alle nur von der ständig zunehmenden Gewalt an Schulen?" wollte er von Zoe wissen.
"Vielleicht gibt es da noch mehr von deiner Sorte." Sie wandte sich an Alisha und erklärte: "Er ist heute morgen mal wieder auf die glorreiche Idee gekommen, uns mit einer seiner Arien aus dem Schlaf zu reißen."
Damon warf beleidigt den Kopf in den Nacken. "Das Talent vieler großer Sänger wurde zu Lebzeiten nicht erkannt."
"Aber die hatten wenigstens welches. In deinem Fall würde ich mich nicht auf post mortalen Ruhm verlassen."
Er warf seiner Schwester einen herablassenden Blick zu, was sie nicht weiter beachtete. "Und? Was machst du nun heute abend, Bruder, der du mich beim Essen versetzt hast? Da fällt mir ein; wo warst du überhaupt?"
Ein breites Grinsen legte sich auf sein Gesicht. "Sagen wir .... ich war beschäftigt.." Er seufzte genießerisch. "Und, wie steht's? Wollt ihr zwei nicht heute abend noch was unternehmen? Etwas, was möglichst lange dauert?" Er sah die beiden auffordernd an und Alisha, deren Verstand dank des Weines etwas langsamer als üblich arbeitete, begriff endlich, was die drei Filmvorschläge von Damon gemeinsam hatten; ihre Länge. Sie strich sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht und begann zögernd: "Also, ich hab' eventuell wirklich was vor."
"Achja?" Zwei interessierte Gesichter wandten sich ihr zu.
"Naja, nichts besonderes .... so 'ne Harmony Irgendwie hat mich eingeladen." Eine bekannte Melodie in ihrem Kopf begann sofort den Endloslauf.
Wie auf Kommando fingen Zoe und ihr Bruder an, wie Cheerleader imaginäre Pompons durch die Luft zu wirbeln und zu rufen: "Willst du zur Elite gehören; mußt du den heiligen Eid uns schwören. Als unsere Schwester bist du niemals allein und stolz darauf, eine Gamma Phi Delta zu sein!!" Irritiert blickten sie Alisha an, die laut losprustete. Deren Lachen erstarb allmählich. "Oh. Das .... das war doch nicht euer Ernst oder?"
"Willst du denn nicht zur Elite gehören?" erkundigte sich Damon leise verständnislos, dann sah er seine immer noch giggelnde Schwester tadelnd an. "Wenn du lachst, glaubt sie uns natürlich nicht!"
"Ihihihi", machte sie nur.
"Mal im Ernst", klärte er Alisha auf, "die Gamma Phi Deltas gehören zu den beiden beliebtesten Studentinnenverbindungen hier. Insgesamt gibt es auf unserem Campus fünf Schwestern- und sieben Bruderschaften. Und die Gamma Phi Deltas liefern sich heiße Gefechte um den Spitzenplatz mit den äh –"
"My Lambdas, die jedoch schon ein wenig länger als sie existieren", half ihm seine Schwester. "Wenn du zu den angesagtesten Leuten hier gehören willst, solltest du dich um die Mitgliedschaft in einer von beiden bewerben. Du kannst dich glücklich schätzen, daß du sogar von unserem Edelprinzeßchen Harmony persönlich entdeckt worden bist, es gibt 'ne Menge Mädchen, deren größter Traum es ist, auch nur einmal in die Gunst eines freundlichen Wortes von ihrer Seite zu kommen und die dann ihr restliches Leben depressiv dahinsiechen, weil er nicht in Erfüllung gegangen ist."
"Und welcher von beiden gehörst du an?" wollte ihre Kommilitonin wissen.
"Moi??" Zoe wies auf sich und hob dann abwehrend die Hände. "Bitte! Das ist in meinen Augen Kinderkram. Aber wenn du mehr darüber wissen willst, halte dich an meinen Bruder, der kann dir noch viel über perverse Aufnahmerituale an düsteren, geheimen Orten erzählen, davon hat er nämlich –"
"Hey, nichts gegen die Alpha Omegas, okay?" Er streckte die Brust heraus und lächelte. "Das ist nämlich mein Verein", sagte er stolz.
"Im Grunde genommen ist es nur ein Saufclub. Sex Drugs 'n Rock 'n Roll, so 'n typisches Männerding eben."
"Hör nicht auf sie; sie ist nur sauer, weil keiner sie wollte."
"Moooment mal, Bruder Großkotz, die Lambdas sind damals auf mich zugekommen, nicht umgekehrt! Und ich habe nein zu ihnen gesagt, ebenfalls nicht umgekehrt!" Sie grinste verschmitzt. "Ich glaube, das haben sie mir nie verziehen."
"Wouw, Schwester Spießig hat gesprochen." Damon rümpfte die Nase und nahm noch einen großen Schluck Wein. "Beachte sie einfach nicht weiter. Wenn du hier eine wirklich coole Zeit verbringen willst, halte dich nicht an solche Versager." Ohne zu unterbrechen fing er ein Kissen auf, das in seine Richtung flog. "Irgendwie hatten wir das heute schon mal." Er warf es zur Seite. "Wenn du willst, bring' ich dich hin."
"Ich denke, du hast was vor", erinnerte ihn Zoe.
"Ach ja .... da gab es ja diese unvorhergesehen Schwierigkeiten .... das war nicht persönlich gemeint." Er kratzte sich nachdenklich am Kopf, dann erschien sein zufriedenes Grinsen wieder. "Aber wer sagt denn, daß man das eine nicht mit dem anderen verbinden kann? Wenn Harmony erstmal jemanden zum Zutexten entdeckt hat, dann läßt sie so schnell nicht wieder los. Und das bedeutet für mich ...." Statt einer Antwort wurde sein Grinsen nur noch ein Stück größer.
Alisha sah unentschieden zu Zoe hinüber. "Keine Angst", beruhigte die sie, "ich lasse dich schon nicht mit diesen Chaoten alleine, sonst verdrehen die dir noch völlig deinen Verstand."
