Kapitel 4 - ein kleines Verhör
Am nächsten Morgen erwachte Haruka zerknittert, mit schmerzendem Schädel aus einer viel zu kurzen Nacht. Der Schlaf hatte sie erst spät ereilt und war dann nur leicht und sehr unruhig gewesen. Mit verquollenen Augen starrte das Kind vor sich hin und war beinahe zu müde den Löffel voll Müsli zu den Lippen zu führen. Ihr morgendlicher Appetit wollte heute einfach nicht kommen. Aber dennoch rotierten ihre Gedanken schon wieder, bis ihr der Kopf rauchte. Immer und immer wieder kreisten ihre Überlegungen darum, woher nur diese unnatürlichen Geräusche gekommen waren. Das neugierige Mädchen war sich ganz sicher, sich das nicht nur eingebildet zu haben. Sie konnte doch nicht nur geträumt haben. Nein! Dann wäre sie nicht so Müde.... Ganz anders als sonst, konnte Haruka es diesmal kaum erwarten, dass ihre Unterrichtsstunden bei Merl begannen. Als erstes war Englisch an der Reihe, und die nicht wirklich fleißige Schülerin zögerte den Unterricht heraus, indem sie ihre Lehrerin mit Fragen löcherte. "Doch wirklich!" beharrte Haruka mit eindringlichem Tonfall. "Das war nicht nur der Wind!" Da war ein Weinen! Und es kam hier aus dem Haus! Da bin ich mir ganz sicher! Es wird ja wohl nicht Spuken!" Das Mädchen nickte ohne Unterlass mit weit aufgerissenen Augen, um den Wahrheitsgehalt ihrer Aussage noch zu unterstreichen. Merl Kinshima, schüttelte ungläubig den Kopf. Sie war sehr verwundert über die plötzliche Begeisterungsfähigkeit dieses sonst so gleichgültigen, wenig lebhaften Kindes. Begeisterungsfähigkeit war natürlich nicht wirklich die richtige Bezeichnung. Aber Neugierde, in welcher Hinsicht auch immer, war zumindest ein Zeichen für Interesse. "Kind! - Es freut mich ja, dass du eine so lebhafte Fantasie hegst, aber dennoch, es gibt hier niemanden, der .... oh Moment!" In diesem Augenblick wurde eine deutliche Wandlung der Mimik in dem gesetzten Gesicht, der älteren Frau sichtbar. Sie hatte offensichtlich ein Einfall. Fragend hob Haruka eine Augenbraue. "Aber sicher doch!" Führ Merl fort. "Es hat jemand geweint!" "So?" "Ja! Dina, das junge Hausmädchen hat sich gestern in der Küche verletzt. Sie wollte Brot schneiden. Und da hat sie sich ziemlich heftig in den Finger geschnitten. Sie ist manchmal so tollpatschig!" erleichtert lachte die Lehrerin auf. Bildete Haruka es sich nur ein? Oder hatte Merl sich da gerade noch mal so gefangen? Das aufmerksame Mädchen war sich beinahe sicher, einen kurzen Anflug von Alarmiertheit über das Gesicht ihres Gegenübers huschen gesehen zu haben. Aber gleich darauf hatte sich die Hausangestellte wieder im Griff. Ich werde schon herausbekommen, was ihr hier alle vor mir verbergt. Dachte Haruka entschlossen bei sich. Sie wollte zu gerne entgegen allen Verboten, den östlichen Flügel des Hauses erschließen. Denn die Vermutung, dass sich dort etwas verbarg, das die Geräusche der vergangenen Nacht erklären würde, verfestigte sich immer mehr in ihrem sturen Köpfchen.
Als hätte sie einen Verdacht, verstand sich Merl Kinshima geschickt darauf, Haruka mit unzähligen Aufgaben und Anweisungen zu beschäftigen, damit sie von ihren Grübeleien abgelenkt würde. So kam sie diesen Tag über nicht dazu ihrem Forschungsdrang nach zu gehen. Am Abend war sie so erschöpft, dass sie müde auf ihr Bett sank und auf der Stelle einschlief. Aber dennoch lies ihr Unterbewusstsein dem verwirrten Mädchen keine Ruhe. Schreie, und undeutliche Bilder des Hauses und seiner Angestellten schwirrten düster und alptraumhaft durch ihre Träume. Es war spät in der Nacht, als Haruka ruckartig aus dem Schlaf hochfuhr. Erschüttert hatte sie realisiert, dass nicht alles aus ihrem Traum irreal war. Nahtlos hatten sich die hysterisch meckernden Schreie in den Kontext der Traumbilder gemischt. Aber nun war klar, dass diese gruselige Geräuschkulisse auch im Wachzustand anhielt. Das schlaftrunkene Mädchen kniff sich einmal, lauschte erneut und war blitzartig hellwach. Wer oder was schrie da so entsetzlich durchdringend, dass es über den ganzen Hof bis an ihr Ohr drang. Ihr erster Impuls war, sich etwas in die Ohren zu stopfen, die Decke über den Kopf zu ziehen und sich tief im Schutze der Federn zu vergraben. Aber was brachte ihr das? Ändern würde das auf Dauer auch nichts. Und man konnte eine Angst nur loswerden, indem man sie ergründete. Manchmal hasste Haruka den gnadenlosen Realismus, den ihr Vater ihr mit in die Wiege gelegt hatte. Sie war ihm ähnlicher, als sie immer hatte wahrhaben wollen. Und nun? Was galt es zu tun? Sie musste der Sache wohl oder übel auf den Grund gehen. Vorsichtig streckte die kleine Detektivin ihre nackten Füße unter der Decke hervor. Ein Schauer durchdrang sie beim Berühren des Kalten Bodens. Mit einem Satz sprang sie aus dem Bett zog sich schnell ihr schwarzes Sweatshirt über und schlich auf den Gang hinaus. Alle Mühen der Angestellten, sie zu kindgerechterer, heller Kleidung zu überreden, waren gnadenlos an ihr abgeprallt. Keiner würde sie überreden können dieses Zeug zu tragen. Schwarz war ihre Farbe. Und nichts anderes sollte sie zieren, als der für ein kleines Kind ungewöhnliche, altmodische Gürtel, den ihr Vater ihr kurz vor seinem Tod geschenkt hatte. Er war das einzige, was die Waise von ihrem Vater noch besaß. Alles Andere musste sie zurücklassen. Man hatte ihr erklärt es sei zu gefährlich und würde unnötige Spuren zu ihr legen. Aber was sollten die Verbrecher schon von ihr wollen? Sie hatten sie schon einmal verschont, als sie sich doch unendlich gewünscht hatte, mit ihrem Vater gehen zu können. Mit einem Kopfschütteln wischte sie diese Grübeleien beiseite. Das war jetzt bei Gott der schlechteste Moment in tiefes Brüten zu verfallen. Jetzt musste sie vorsichtig sein und aufmerksam Beobachten. Leise schlich das blonde Mädchen durch die nachtdunklen Gänge. Dicht an die Wand gedrückt tastete sie sich weiter vorwärts auf ihrem gezielten Weg Richtung Ostflügel...
Am nächsten Morgen erwachte Haruka zerknittert, mit schmerzendem Schädel aus einer viel zu kurzen Nacht. Der Schlaf hatte sie erst spät ereilt und war dann nur leicht und sehr unruhig gewesen. Mit verquollenen Augen starrte das Kind vor sich hin und war beinahe zu müde den Löffel voll Müsli zu den Lippen zu führen. Ihr morgendlicher Appetit wollte heute einfach nicht kommen. Aber dennoch rotierten ihre Gedanken schon wieder, bis ihr der Kopf rauchte. Immer und immer wieder kreisten ihre Überlegungen darum, woher nur diese unnatürlichen Geräusche gekommen waren. Das neugierige Mädchen war sich ganz sicher, sich das nicht nur eingebildet zu haben. Sie konnte doch nicht nur geträumt haben. Nein! Dann wäre sie nicht so Müde.... Ganz anders als sonst, konnte Haruka es diesmal kaum erwarten, dass ihre Unterrichtsstunden bei Merl begannen. Als erstes war Englisch an der Reihe, und die nicht wirklich fleißige Schülerin zögerte den Unterricht heraus, indem sie ihre Lehrerin mit Fragen löcherte. "Doch wirklich!" beharrte Haruka mit eindringlichem Tonfall. "Das war nicht nur der Wind!" Da war ein Weinen! Und es kam hier aus dem Haus! Da bin ich mir ganz sicher! Es wird ja wohl nicht Spuken!" Das Mädchen nickte ohne Unterlass mit weit aufgerissenen Augen, um den Wahrheitsgehalt ihrer Aussage noch zu unterstreichen. Merl Kinshima, schüttelte ungläubig den Kopf. Sie war sehr verwundert über die plötzliche Begeisterungsfähigkeit dieses sonst so gleichgültigen, wenig lebhaften Kindes. Begeisterungsfähigkeit war natürlich nicht wirklich die richtige Bezeichnung. Aber Neugierde, in welcher Hinsicht auch immer, war zumindest ein Zeichen für Interesse. "Kind! - Es freut mich ja, dass du eine so lebhafte Fantasie hegst, aber dennoch, es gibt hier niemanden, der .... oh Moment!" In diesem Augenblick wurde eine deutliche Wandlung der Mimik in dem gesetzten Gesicht, der älteren Frau sichtbar. Sie hatte offensichtlich ein Einfall. Fragend hob Haruka eine Augenbraue. "Aber sicher doch!" Führ Merl fort. "Es hat jemand geweint!" "So?" "Ja! Dina, das junge Hausmädchen hat sich gestern in der Küche verletzt. Sie wollte Brot schneiden. Und da hat sie sich ziemlich heftig in den Finger geschnitten. Sie ist manchmal so tollpatschig!" erleichtert lachte die Lehrerin auf. Bildete Haruka es sich nur ein? Oder hatte Merl sich da gerade noch mal so gefangen? Das aufmerksame Mädchen war sich beinahe sicher, einen kurzen Anflug von Alarmiertheit über das Gesicht ihres Gegenübers huschen gesehen zu haben. Aber gleich darauf hatte sich die Hausangestellte wieder im Griff. Ich werde schon herausbekommen, was ihr hier alle vor mir verbergt. Dachte Haruka entschlossen bei sich. Sie wollte zu gerne entgegen allen Verboten, den östlichen Flügel des Hauses erschließen. Denn die Vermutung, dass sich dort etwas verbarg, das die Geräusche der vergangenen Nacht erklären würde, verfestigte sich immer mehr in ihrem sturen Köpfchen.
Als hätte sie einen Verdacht, verstand sich Merl Kinshima geschickt darauf, Haruka mit unzähligen Aufgaben und Anweisungen zu beschäftigen, damit sie von ihren Grübeleien abgelenkt würde. So kam sie diesen Tag über nicht dazu ihrem Forschungsdrang nach zu gehen. Am Abend war sie so erschöpft, dass sie müde auf ihr Bett sank und auf der Stelle einschlief. Aber dennoch lies ihr Unterbewusstsein dem verwirrten Mädchen keine Ruhe. Schreie, und undeutliche Bilder des Hauses und seiner Angestellten schwirrten düster und alptraumhaft durch ihre Träume. Es war spät in der Nacht, als Haruka ruckartig aus dem Schlaf hochfuhr. Erschüttert hatte sie realisiert, dass nicht alles aus ihrem Traum irreal war. Nahtlos hatten sich die hysterisch meckernden Schreie in den Kontext der Traumbilder gemischt. Aber nun war klar, dass diese gruselige Geräuschkulisse auch im Wachzustand anhielt. Das schlaftrunkene Mädchen kniff sich einmal, lauschte erneut und war blitzartig hellwach. Wer oder was schrie da so entsetzlich durchdringend, dass es über den ganzen Hof bis an ihr Ohr drang. Ihr erster Impuls war, sich etwas in die Ohren zu stopfen, die Decke über den Kopf zu ziehen und sich tief im Schutze der Federn zu vergraben. Aber was brachte ihr das? Ändern würde das auf Dauer auch nichts. Und man konnte eine Angst nur loswerden, indem man sie ergründete. Manchmal hasste Haruka den gnadenlosen Realismus, den ihr Vater ihr mit in die Wiege gelegt hatte. Sie war ihm ähnlicher, als sie immer hatte wahrhaben wollen. Und nun? Was galt es zu tun? Sie musste der Sache wohl oder übel auf den Grund gehen. Vorsichtig streckte die kleine Detektivin ihre nackten Füße unter der Decke hervor. Ein Schauer durchdrang sie beim Berühren des Kalten Bodens. Mit einem Satz sprang sie aus dem Bett zog sich schnell ihr schwarzes Sweatshirt über und schlich auf den Gang hinaus. Alle Mühen der Angestellten, sie zu kindgerechterer, heller Kleidung zu überreden, waren gnadenlos an ihr abgeprallt. Keiner würde sie überreden können dieses Zeug zu tragen. Schwarz war ihre Farbe. Und nichts anderes sollte sie zieren, als der für ein kleines Kind ungewöhnliche, altmodische Gürtel, den ihr Vater ihr kurz vor seinem Tod geschenkt hatte. Er war das einzige, was die Waise von ihrem Vater noch besaß. Alles Andere musste sie zurücklassen. Man hatte ihr erklärt es sei zu gefährlich und würde unnötige Spuren zu ihr legen. Aber was sollten die Verbrecher schon von ihr wollen? Sie hatten sie schon einmal verschont, als sie sich doch unendlich gewünscht hatte, mit ihrem Vater gehen zu können. Mit einem Kopfschütteln wischte sie diese Grübeleien beiseite. Das war jetzt bei Gott der schlechteste Moment in tiefes Brüten zu verfallen. Jetzt musste sie vorsichtig sein und aufmerksam Beobachten. Leise schlich das blonde Mädchen durch die nachtdunklen Gänge. Dicht an die Wand gedrückt tastete sie sich weiter vorwärts auf ihrem gezielten Weg Richtung Ostflügel...
