Kapitel 3
Flügelkämpfe
Logan roch Kate schon, als sie die Gartentür öffnete. Er roch das Tier in ihr, wie er verwundert feststellte und seine Neugierde, was in ihr stecken mochte, wuchs. Er beobachtete, wie sie auf die Terrasse hinaustrat, eine Schachtel Zigaretten aus der Hosentasche fischte und sich mit sichtlichem Behagen eine ansteckte.
Von Mal zu Mal hatte sie weniger mit Jean gemeinsam und er wusste nicht, ob ihn das störte. Äußerlich gab es einige Gemeinsamkeiten zwischen den Schwestern, die Art, wie sie lächelten oder die Farbe der Augen. Doch Kate hatte nichts von Jeans Eleganz und Sanftheit, im Gegenteil. Ihr schroffes Auftreten und lässiges Äußeres, die Art, wie sie sich bewegte und sprach, das alles arbeitete gegen seinen ersten Eindruck, den er von ihr gewonnen hatte.
Sie bemerkte ihn, machte aber keine Anstalten, zu ihm herüberzugehen. Mit verschränkten Armen rauchte sie, mit ihrem schmalen Körper so wenig Platz im kalten Wind einnehmend wie möglich.
"Logan!"
"Scott", sagte er resigniert, als der jüngere Mann hinter ihm auftauchte. Der Moment war verflogen. Kate wanderte in den Garten hinab und entschwand seinem Blick. Nur kalter Tabakrauch wehte zu ihm herüber. "Was gibt es?"
"Ich denke, ich wiederhole mich, aber Du solltest die Finger von ihr lassen."
Logan hob eine Augenbraue.
"Was weißt Du, was ich nicht weiß, Kleiner? Du leidest wohl unter Hirngespinsten." Sein harter Ton tat ihm ein wenig leid, aber er hasste es nun mal, von Scott gemaßregelt zu werden. Bei Jean hatte dieser zumindest ein Anrecht darauf gehabt. "Und selbst wenn, was ging es Dich an?" Ein verrückter Gedanke, zugegebenermaßen.
"Du starrst sie an wie einen schmackhaften Leckerbissen", behauptete Scott. "Aber glaub mir, diese Frau verschlingt Männer wie Dich zum Frühstück. Doch soweit sollte es gar nicht kommen. Noch mal, Finger weg. Sie gehört zur Familie."
Logan hob in einer abwehrenden Geste die Hände, dann langte er lässig nach der Zigarre in seiner Brusttasche und steckte sie sich an. Unter gesenkten Lidern und über die Flamme des Feuerzeugs hinweg beobachtete er, wie Scott ein wenig zurückwich.
"Keine Sorge", murmelte er. "Wenn ich Bedarf an Frauen habe, dann werde ich mir sicher kein verwahrlostes, halbverhungertes Wesen wie sie aussuchen!"
Dass er in seinem Dementi einen Schritt zu weit gegangen war, merkte er erst, als Scotts Faust mit einem ziemlichen Krachen auf seiner Schläfe auftraf. Der Schmerz war weniger stark als die Überraschung, dennoch taumelte er einen Schritt zurück und verlor die Zigarre.
Scott holte erneut aus, doch dieses Mal war Logan vorbereitet und tauchte unter dem Schlag hinweg. Obwohl ihm bewusst war, dass er gegen einen Freund vorging, rauschte plötzliche Kampfeslust durch seine Adern und er sah rot. Mit einem Knurren riss er Scott von den Beinen und gemeinsam fielen sie in ein abschüssiges Blumenbeet. Scott versuchte dem stählernen Griff zu entkommen und schlug mehrere Male auf Logans Rippen ein. In ihrer Umklammerung rollten sie durch die feuchte Erde, keuchend. Logan holte zu einem Kopfstoß aus, um Scott endgültig schachmatt zu setzen, als plötzlich eine Gestalt mit erstaunlicher Wucht gegen seine Seite prallte und ihn von seinem Gegner hinunterriss.
Er konnte es nicht verhindern, aber sein Kopf befahl ihn in diesem Moment, den unbekannten Angreifer zu erledigen. Klingen schossen aus seiner rechten Hand und er holte zum Stoß aus, als er den Körper unter sich riss und mit einer Hand an der Kehle fixierte.
Erst der fassungslose Blick eines grünen Augenpaares brachte ihm zum Innehalten. Schwer atmend starrte er auf Kate hinunter, deren Wange nur einen Zentimeter von den Klingen entfernt war.
***
Kate sah hinauf in Logans funkelnde Augen und seine zornverzerrte Miene. Es dauerte einige Momente, bis die Erkenntnis in ihm durchzusickern schien und sie erkannte sein Entsetzen über das, was er fast getan hätte.
Dann wurde er von Scott auf die Beine gerissen, doch dieses Mal wehrte sich der kräftige Mann nicht. Die Klauen aus Metall zogen sich in seine Hand zurück und mit einem kurzen, seltsam verlorenen Blick sah er es geschehen.
Eine Hand an der engen Kehle, kam Kate auf die Beine, klopfte sich die Erde notdürftig von der Hose und bemühte sich um ein Grinsen. Doch keiner der Männer schien sie wahrzunehmen. Beide kochten vor Wut und maßen sich mit Blicken, die eine erneute Runde ankündigten. Kate konnte sich nicht erklären, warum es überhaupt zwischen Scott und Logan zu der Prügelei gekommen war.
Mit einer Hand wischte sich Scott das Blut von seiner aufgeplatzten Lippe.
"Dir ist auch nichts heilig. Erst versuchst Du mir die Frau zu stehlen und dann beleidigst Du auch noch Kate! Was glaubst Du, wer Du bist?", stieß er hervor. Sein Atem kam stoßweise, seine Hände zitterten vor unterdrücktem Zorn. Logan blieb, im Gegensatz zu ihm, bemerkenswert ruhig, doch Kate erkannte, dass sein Verhalten lang trainiert war. So trainiert wie seine Reflexe.
"So, jetzt kommen wir also zum Kern der Sache!", sagte Logan kalt und massierte seine Fäuste, bereit, es mit allem und jedem aufzunehmen. "Es geht hier um Jean und um nichts anderes. Konntest es wohl gar nicht erwarten, mir endlich eine reinzuhauen? Hat ja ziemlich lange gedauert!"
Scotts Gesichtszüge entgleisten und auch Kate war für einen Moment wie erstarrt. Logan und Jean? Doch sie schob den Gedanken beiseite und eilte zwischen die beiden Rivalen.
"Ruhe, Jungs!", befahl sie. Beruhigend legte sie Scott die eine Hand auf den Arm und die andere auf Logans Schulter. "Ich habe keine Lust, auch in der zweiten Runde als Prügelknabe zu dienen."
"Vielleicht solltest Du Dich da raushalten. Das muss endlich jetzt geklärt werden", sagte Logan, doch er machte keine Anstalten, sich an ihr vorbeizudrängen. Immerhin musste er in diesem Moment spüren, wie sich ihre Finger zu Klauen verjüngten und sich durch den Stoff seines Hemd bohrten, ohne die Haut zu verletzen.
Nach einem unendlich lang dauernden Moment ließ Logan die angespannten Schultern fallen und ging wortlos davon. Scott machte Anstalten ihm nachzusetzen, doch Kate hielt ihn fest, ihre ganze Kraft einsetzend, gegen die er nicht ankommen konnte.
"Es ging hier wohl wirklich nicht darum, dass er mich beleidigt hat, oder?" fragte sie leise und spürte, wie er sich langsam beruhigte. Ihn guten Gewissens loslassend, suchte sie nach einem Taschentuch und drückte es ihm in die Hand. Schweigend wischte er sich das Blut vom Gesicht. Kate wünschte sich, seine Augen sehen zu können, als er zu Boden starrte und mit keiner Antwort dienen konnte. Mit ihrer Weisheit am Ende und mit dem dringenden Bedürfnis nach einer Dusche, setzte sie hinzu: "Versprich mir, keinen Unsinn zu machen. Was immer Ihr beide zu klären habt, macht es. Aber nicht auf diese Weise. Du hättest ernsthaft verletzt werden können"
Sie strich ihm hilflos noch einmal über die Schulter und kletterte dann über das zerstörte Blumenbeet auf die Terrasse zurück. Dabei fiel ihr auf, dass sie genau wie Dr. Xavier geklungen hatte. Dieser Ort machte wohl alle verrückt.
***
Mit eine schlechten Gewissen, das seinesgleichen suchte - wann zum Teufel hatte er sich Prinzipien zugelegt? -, schlich sich Logan zurück ins Haus, eine nicht wirklich unauffällige Spur feuchter Erde zurücklassend.
Er hoffte nur, dass ihn niemand sah und dass der Zwischenfall nicht weiter ausufern würde.
"Logan", sagte der Professor, der ihn am Fuß der Treppe abfing und damit seine Hoffnungen schnell und schmerzlos begrub. "Musste das denn wirklich sein?"
Logan widerstand dem Verlangen, den Kopf einzuziehen. Es war wohl naiv gewesen zu glauben, dass der allwissende Schulleiter gerade an diesem Morgen nicht ganz so allwissend war. Also würde ihm nichts weiter übrigbleiben, als seine Schuld einzugestehen. Zumindest eine Teilschuld. Aber nicht, ohne sich zu verteidigen.
"Er hat angefangen!" In dem Moment, in dem er die Worte formulierte, erkannte er, wie kindisch er klang. Noch dazu beschlich ihn die Ahnung, dass er mit dieser unüberlegten Auseinandersetzung so etwas wie ein Schuldgeständnis abgelegt hatte.
Dabei war es doch nur ein verdammter Kuss gewesen, den er Jean gestohlen hatte. Niemand würde davon erfahren außer ihm selbst. Aber das genügte, um sich noch schlechter zu fühlen.
Xavier schüttelte ratlos den Kopf.
"Dein Temperament ist eine Deiner größten Stärken, doch es stellt auch eine große Gefahr da, wenn Du es nicht kontrollieren kannst. Kate und Scott mögen Dir in Auf den Lippen ndes Professors erschien ein dünnes Lächeln, nicht unbedingt unfreundlich. Aber enttäuscht. Logan beschloss, den Tag aus seinem Gedächtnis zu streichen. Es war alles so einfach gewesen, als er allein unterwegs gewesen war. Keine Verpflichtungen, niemand, dem er Rechenschaft schuldig gewesen war. Keine Verwirrungen über Gefühle und Treue. Xavier schien zu ahnen, was er dachte, denn er setzte nach einem kleinen Moment hinzu: "Ich werde in nächster Zeit eine Aufgabe für Dich finden, die Deine Teamgeist und Deine Selbstkontrolle stärken wird."
Logan schwante Übles.
"Ich soll doch nicht zusammen mit Scott das Beet neu bepflanzen, oder?"
"Nein, das war nicht die Aufgabe, die ich Dir zugedacht hatte. Aber ich behalte das im Hinterkopf, falls so etwas noch einmal passiert. - Und jetzt geh duschen, kühl Dich ein wenig ab und sei in einer Stunde in meinem Büro. Es wird Zeit, dass Du und Scott Euer Angelegenheiten klärt."
"Ähm!", wollte Logan widersprechen, doch der Professor, keine Widerrede duldend, rollte bereits über den Flur davon. Fluchend ging Logan die Treppe hinauf und die wenigen Schüler, die ihm begegneten, beeilten sich, ihm schleunigst aus dem Weg zu gehen.
Zum zweiten Mal in dieser Woche krachte seine Zimmertür ins Schloss. Wütend riss er sich die Kleidung vom Körper und wollte ins Bad gehen, als er an der Körperseite, an der Kate ihn angesprungen hatte, einige kapitale blaue Flecken entdeckte, die er durch den Adrenalinschub der Kampfes nicht gespürt hatte. Seine Selbstheilungskräfte einschätzend, musste es ihr tatsächlich gelungen sein, ihm ohne Probleme einige Rippen einzudrücken. Er blieb noch stehen, beobachtend, wie die Blutergüsse kleiner wurden.
Also noch ein Irrtum. Es steckte eine Menge Kraft in Kate und noch dazu einige spitze Krallen, die sie sicher ohne Zögern einsetzen würde. Unwillig stellte Logan fest, dass sein Körper bei der Erinnerung an Kate, wie sie unter ihm lag, reagierte und kam sich wieder einmal wie ein Verräter vor.
Er musste es wohl wirklich verdammt nötig haben. Erst die Verlobte eines anderen Mannes küssen und dann über deren Schwester phantasieren.
Logan stapfte ins Bad und stellte die Dusche auf eiskalt.
Flügelkämpfe
Logan roch Kate schon, als sie die Gartentür öffnete. Er roch das Tier in ihr, wie er verwundert feststellte und seine Neugierde, was in ihr stecken mochte, wuchs. Er beobachtete, wie sie auf die Terrasse hinaustrat, eine Schachtel Zigaretten aus der Hosentasche fischte und sich mit sichtlichem Behagen eine ansteckte.
Von Mal zu Mal hatte sie weniger mit Jean gemeinsam und er wusste nicht, ob ihn das störte. Äußerlich gab es einige Gemeinsamkeiten zwischen den Schwestern, die Art, wie sie lächelten oder die Farbe der Augen. Doch Kate hatte nichts von Jeans Eleganz und Sanftheit, im Gegenteil. Ihr schroffes Auftreten und lässiges Äußeres, die Art, wie sie sich bewegte und sprach, das alles arbeitete gegen seinen ersten Eindruck, den er von ihr gewonnen hatte.
Sie bemerkte ihn, machte aber keine Anstalten, zu ihm herüberzugehen. Mit verschränkten Armen rauchte sie, mit ihrem schmalen Körper so wenig Platz im kalten Wind einnehmend wie möglich.
"Logan!"
"Scott", sagte er resigniert, als der jüngere Mann hinter ihm auftauchte. Der Moment war verflogen. Kate wanderte in den Garten hinab und entschwand seinem Blick. Nur kalter Tabakrauch wehte zu ihm herüber. "Was gibt es?"
"Ich denke, ich wiederhole mich, aber Du solltest die Finger von ihr lassen."
Logan hob eine Augenbraue.
"Was weißt Du, was ich nicht weiß, Kleiner? Du leidest wohl unter Hirngespinsten." Sein harter Ton tat ihm ein wenig leid, aber er hasste es nun mal, von Scott gemaßregelt zu werden. Bei Jean hatte dieser zumindest ein Anrecht darauf gehabt. "Und selbst wenn, was ging es Dich an?" Ein verrückter Gedanke, zugegebenermaßen.
"Du starrst sie an wie einen schmackhaften Leckerbissen", behauptete Scott. "Aber glaub mir, diese Frau verschlingt Männer wie Dich zum Frühstück. Doch soweit sollte es gar nicht kommen. Noch mal, Finger weg. Sie gehört zur Familie."
Logan hob in einer abwehrenden Geste die Hände, dann langte er lässig nach der Zigarre in seiner Brusttasche und steckte sie sich an. Unter gesenkten Lidern und über die Flamme des Feuerzeugs hinweg beobachtete er, wie Scott ein wenig zurückwich.
"Keine Sorge", murmelte er. "Wenn ich Bedarf an Frauen habe, dann werde ich mir sicher kein verwahrlostes, halbverhungertes Wesen wie sie aussuchen!"
Dass er in seinem Dementi einen Schritt zu weit gegangen war, merkte er erst, als Scotts Faust mit einem ziemlichen Krachen auf seiner Schläfe auftraf. Der Schmerz war weniger stark als die Überraschung, dennoch taumelte er einen Schritt zurück und verlor die Zigarre.
Scott holte erneut aus, doch dieses Mal war Logan vorbereitet und tauchte unter dem Schlag hinweg. Obwohl ihm bewusst war, dass er gegen einen Freund vorging, rauschte plötzliche Kampfeslust durch seine Adern und er sah rot. Mit einem Knurren riss er Scott von den Beinen und gemeinsam fielen sie in ein abschüssiges Blumenbeet. Scott versuchte dem stählernen Griff zu entkommen und schlug mehrere Male auf Logans Rippen ein. In ihrer Umklammerung rollten sie durch die feuchte Erde, keuchend. Logan holte zu einem Kopfstoß aus, um Scott endgültig schachmatt zu setzen, als plötzlich eine Gestalt mit erstaunlicher Wucht gegen seine Seite prallte und ihn von seinem Gegner hinunterriss.
Er konnte es nicht verhindern, aber sein Kopf befahl ihn in diesem Moment, den unbekannten Angreifer zu erledigen. Klingen schossen aus seiner rechten Hand und er holte zum Stoß aus, als er den Körper unter sich riss und mit einer Hand an der Kehle fixierte.
Erst der fassungslose Blick eines grünen Augenpaares brachte ihm zum Innehalten. Schwer atmend starrte er auf Kate hinunter, deren Wange nur einen Zentimeter von den Klingen entfernt war.
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Kate sah hinauf in Logans funkelnde Augen und seine zornverzerrte Miene. Es dauerte einige Momente, bis die Erkenntnis in ihm durchzusickern schien und sie erkannte sein Entsetzen über das, was er fast getan hätte.
Dann wurde er von Scott auf die Beine gerissen, doch dieses Mal wehrte sich der kräftige Mann nicht. Die Klauen aus Metall zogen sich in seine Hand zurück und mit einem kurzen, seltsam verlorenen Blick sah er es geschehen.
Eine Hand an der engen Kehle, kam Kate auf die Beine, klopfte sich die Erde notdürftig von der Hose und bemühte sich um ein Grinsen. Doch keiner der Männer schien sie wahrzunehmen. Beide kochten vor Wut und maßen sich mit Blicken, die eine erneute Runde ankündigten. Kate konnte sich nicht erklären, warum es überhaupt zwischen Scott und Logan zu der Prügelei gekommen war.
Mit einer Hand wischte sich Scott das Blut von seiner aufgeplatzten Lippe.
"Dir ist auch nichts heilig. Erst versuchst Du mir die Frau zu stehlen und dann beleidigst Du auch noch Kate! Was glaubst Du, wer Du bist?", stieß er hervor. Sein Atem kam stoßweise, seine Hände zitterten vor unterdrücktem Zorn. Logan blieb, im Gegensatz zu ihm, bemerkenswert ruhig, doch Kate erkannte, dass sein Verhalten lang trainiert war. So trainiert wie seine Reflexe.
"So, jetzt kommen wir also zum Kern der Sache!", sagte Logan kalt und massierte seine Fäuste, bereit, es mit allem und jedem aufzunehmen. "Es geht hier um Jean und um nichts anderes. Konntest es wohl gar nicht erwarten, mir endlich eine reinzuhauen? Hat ja ziemlich lange gedauert!"
Scotts Gesichtszüge entgleisten und auch Kate war für einen Moment wie erstarrt. Logan und Jean? Doch sie schob den Gedanken beiseite und eilte zwischen die beiden Rivalen.
"Ruhe, Jungs!", befahl sie. Beruhigend legte sie Scott die eine Hand auf den Arm und die andere auf Logans Schulter. "Ich habe keine Lust, auch in der zweiten Runde als Prügelknabe zu dienen."
"Vielleicht solltest Du Dich da raushalten. Das muss endlich jetzt geklärt werden", sagte Logan, doch er machte keine Anstalten, sich an ihr vorbeizudrängen. Immerhin musste er in diesem Moment spüren, wie sich ihre Finger zu Klauen verjüngten und sich durch den Stoff seines Hemd bohrten, ohne die Haut zu verletzen.
Nach einem unendlich lang dauernden Moment ließ Logan die angespannten Schultern fallen und ging wortlos davon. Scott machte Anstalten ihm nachzusetzen, doch Kate hielt ihn fest, ihre ganze Kraft einsetzend, gegen die er nicht ankommen konnte.
"Es ging hier wohl wirklich nicht darum, dass er mich beleidigt hat, oder?" fragte sie leise und spürte, wie er sich langsam beruhigte. Ihn guten Gewissens loslassend, suchte sie nach einem Taschentuch und drückte es ihm in die Hand. Schweigend wischte er sich das Blut vom Gesicht. Kate wünschte sich, seine Augen sehen zu können, als er zu Boden starrte und mit keiner Antwort dienen konnte. Mit ihrer Weisheit am Ende und mit dem dringenden Bedürfnis nach einer Dusche, setzte sie hinzu: "Versprich mir, keinen Unsinn zu machen. Was immer Ihr beide zu klären habt, macht es. Aber nicht auf diese Weise. Du hättest ernsthaft verletzt werden können"
Sie strich ihm hilflos noch einmal über die Schulter und kletterte dann über das zerstörte Blumenbeet auf die Terrasse zurück. Dabei fiel ihr auf, dass sie genau wie Dr. Xavier geklungen hatte. Dieser Ort machte wohl alle verrückt.
***
Mit eine schlechten Gewissen, das seinesgleichen suchte - wann zum Teufel hatte er sich Prinzipien zugelegt? -, schlich sich Logan zurück ins Haus, eine nicht wirklich unauffällige Spur feuchter Erde zurücklassend.
Er hoffte nur, dass ihn niemand sah und dass der Zwischenfall nicht weiter ausufern würde.
"Logan", sagte der Professor, der ihn am Fuß der Treppe abfing und damit seine Hoffnungen schnell und schmerzlos begrub. "Musste das denn wirklich sein?"
Logan widerstand dem Verlangen, den Kopf einzuziehen. Es war wohl naiv gewesen zu glauben, dass der allwissende Schulleiter gerade an diesem Morgen nicht ganz so allwissend war. Also würde ihm nichts weiter übrigbleiben, als seine Schuld einzugestehen. Zumindest eine Teilschuld. Aber nicht, ohne sich zu verteidigen.
"Er hat angefangen!" In dem Moment, in dem er die Worte formulierte, erkannte er, wie kindisch er klang. Noch dazu beschlich ihn die Ahnung, dass er mit dieser unüberlegten Auseinandersetzung so etwas wie ein Schuldgeständnis abgelegt hatte.
Dabei war es doch nur ein verdammter Kuss gewesen, den er Jean gestohlen hatte. Niemand würde davon erfahren außer ihm selbst. Aber das genügte, um sich noch schlechter zu fühlen.
Xavier schüttelte ratlos den Kopf.
"Dein Temperament ist eine Deiner größten Stärken, doch es stellt auch eine große Gefahr da, wenn Du es nicht kontrollieren kannst. Kate und Scott mögen Dir in Auf den Lippen ndes Professors erschien ein dünnes Lächeln, nicht unbedingt unfreundlich. Aber enttäuscht. Logan beschloss, den Tag aus seinem Gedächtnis zu streichen. Es war alles so einfach gewesen, als er allein unterwegs gewesen war. Keine Verpflichtungen, niemand, dem er Rechenschaft schuldig gewesen war. Keine Verwirrungen über Gefühle und Treue. Xavier schien zu ahnen, was er dachte, denn er setzte nach einem kleinen Moment hinzu: "Ich werde in nächster Zeit eine Aufgabe für Dich finden, die Deine Teamgeist und Deine Selbstkontrolle stärken wird."
Logan schwante Übles.
"Ich soll doch nicht zusammen mit Scott das Beet neu bepflanzen, oder?"
"Nein, das war nicht die Aufgabe, die ich Dir zugedacht hatte. Aber ich behalte das im Hinterkopf, falls so etwas noch einmal passiert. - Und jetzt geh duschen, kühl Dich ein wenig ab und sei in einer Stunde in meinem Büro. Es wird Zeit, dass Du und Scott Euer Angelegenheiten klärt."
"Ähm!", wollte Logan widersprechen, doch der Professor, keine Widerrede duldend, rollte bereits über den Flur davon. Fluchend ging Logan die Treppe hinauf und die wenigen Schüler, die ihm begegneten, beeilten sich, ihm schleunigst aus dem Weg zu gehen.
Zum zweiten Mal in dieser Woche krachte seine Zimmertür ins Schloss. Wütend riss er sich die Kleidung vom Körper und wollte ins Bad gehen, als er an der Körperseite, an der Kate ihn angesprungen hatte, einige kapitale blaue Flecken entdeckte, die er durch den Adrenalinschub der Kampfes nicht gespürt hatte. Seine Selbstheilungskräfte einschätzend, musste es ihr tatsächlich gelungen sein, ihm ohne Probleme einige Rippen einzudrücken. Er blieb noch stehen, beobachtend, wie die Blutergüsse kleiner wurden.
Also noch ein Irrtum. Es steckte eine Menge Kraft in Kate und noch dazu einige spitze Krallen, die sie sicher ohne Zögern einsetzen würde. Unwillig stellte Logan fest, dass sein Körper bei der Erinnerung an Kate, wie sie unter ihm lag, reagierte und kam sich wieder einmal wie ein Verräter vor.
Er musste es wohl wirklich verdammt nötig haben. Erst die Verlobte eines anderen Mannes küssen und dann über deren Schwester phantasieren.
Logan stapfte ins Bad und stellte die Dusche auf eiskalt.
