Kapitel 4. Die Reise in den Düsterwald


Es war ein lauer Abend am Anfang des Sommers. Die zwölfjährige Mirawen saß auf ihrem Bett und blätterte in einem Buch. Daneben lag Tuor am Boden. Seit drei Jahren war er voll ausgewachsen und reichte dem Hobbitmädchen bis zur Brust.

Da wurde die Tür leise geöffnet und Artanis trat in das Zimmer. Sie setzte sich neben Mirawen aufs Bett und warf einen Blick in das Buch.
„Was liest du denn da?"
„Das ist die Geschichtensammlung, die mir ada* vor ein paar Jahren geschenkt hat."
„Hast du die nicht jetzt schon mindestens drei Mal gelesen?"
Mirawen grinste, „Vier Mal. Ich liebe diese Geschichten ganz einfach."
Ein Lächeln fand den Weg auf Artanis' Gesicht, „Ja, das habe ich gemerkt. Aber du solltest jetzt schlafen gehen. Wir haben morgen einen anstrengenden Tag vor uns."
Sie nickte und legte das Buch auf das Nachtkästchen, „Ja nana. Gute Nacht."
„Träum was Schönes." Artanis gab ihr noch einen Kuss auf die Stirn, bevor sie das Zimmer wieder verließ.

Mirawen lag noch einige Zeit wach. Sie war ziemlich aufgeregt. Denn morgen durfte sie zum ersten Mal mit über den Caradhras nach Düsterwald gehen. Darauf die Heimat ihrer Eltern kennen zu lernen, freute sie sich schon sehr.

Früh am nächsten Tag stand sie auf. Während sie noch ein paar Dinge in ihrem Rucksack verstaute, sprang Tuor bellend um sie herum. Er hatte längst bemerkt, dass Reisevorbereitungen im Gange waren und wollte auf gar keinen Fall übersehen werden. Doch der Caradhras war ungeeignet für Hunde. Also musste er in Bruchtal bleiben. Elronds Söhne freuten sich schon darauf ihn während dieser Zeit ganz für sich zu haben.

Mirawen verabschiedete sich noch von Arwen, Elladan, Elrohir und Elrond, und dann ging es endlich los. Tuor, den Elrond fest hielt, bellte wie verrückt und wollte hinterher laufen.
Als sie die Brücke überquerten, schaffte es der Hund schließlich sich los zu reißen. Elrond musste nachgeben, sonst hätte ihn Tuor vermutlich einfach mit sich gezerrt. Schnell hatte er Mirawen eingeholt und bellte sie freudig an.
Doch diese sah davon ab ihn noch einmal zu streicheln, sondern deutete in Richtung Elrond, „Was soll das? Wirst du wohl zurück gehen? Aber schnell".
Aber der Hund dachte gar nicht daran. Es dauerte einige Zeit, bis Elrond ihn ins Haus verfrachten konnte.

Schließlich hatten sie Bruchtal verlassen und folgen der Straße zum Caradhras. Nach einem halben Tagesmarsch kamen sie am Fuß des Berges an, und der Weg führte steil aufwärts. Nach einer kleinen Pause begannen sie den Aufstieg.
Weiter oben machten sie ein weiteres Mal Rast. Es lag zwar kein Schnee, aber es war dennoch ziemlich kühl.
Ein paar Mal sahen sie einige schwarze Vögel vorbei fliegen.
Als einer von ihnen besonders nahe heran kam, hielt Amrod an, um seinen Flug zu beobachten. „crebain**", stellte er bei Mirawens fragenden Blick fest, „Im Tal sieht man sie kaum."

Erst direkt oben am Pass lag ein wenig Schnee. Amrod und Artanis gingen langsamer, als sie es gewohnt waren, denn sonst würde Mirawen unweigerlich zurück bleiben. Sie kamen jedoch ziemlich gut voran und brachten den Pass recht schnell hinter sich.
Bald erreichten sie das Schattenbachtal. Von dort aus folgten sie der Alten Waldstraße, die direkt durch den Düsterwald führte. Erst spät bogen sie nach Norden auf einen weit schmaleren Pfad ab.
Die Bäume waren hier ziemlich dicht und vor allem sehr hoch, sodass nur ein Teil des Sonnenlichtes bis zum Waldboden drang.
Artanis merkte schnell, dass sich Mirawen nicht sonderlich wohl in ihrer Haut fühlte. „Was hast du denn?"
„Es... es ist hier so unheimlich", antwortete diese leise, „Wann sind wir endlich da?"
„Ein bisschen dauert es schon noch."
„Wie lange ist ein bisschen?"
„Das kommt darauf an, wie schnell wir gehen."
„Dann gehen wir eben schneller."
Bei diesen Worten konnte sich Artanis ein Grinsen nicht verkneifen.

Endlich erreichten sie einen Teil des Waldes, der heller und freundlicher schien. Sie hatten das Reich der Waldelben betreten. Es dauerte auch nicht mehr lange, bis sie bei den Siedlungen ankamen.

Ein Elb kam ihnen entgegen. „Mae govannen Amrod und Artanis", grüßte er.
Amrod erwiderte das Lächeln, „Mae govannen Daeron. Lange nicht gesehen. Wo hast du Silmariel gelassen?"

Der Elb namen Daeron musterte das Hobbitmädchen, das sich im Hintergrund gehalten hatte, „Und du musst Mirawen sein. Freut mich dich kennen zu lernen."



* ada = Vati (von adar = Vater)
** crebain = Raben