Kapitel 5. In der Nacht im Wald


Da sich Amrod und Artanis sich erst einmal mit Daeron und Silmariel unterhalten wollten, sie hatten sich ja einiges zu erzählen, sah sich Mirawen auf eigene Faust um.
Bald traf sie auf ein paar Elbenkinder, die etwas spielten. Drei Jungen und ein Mädchen. Als diese das Hobbitmädchen bemerkten, beäugten sie es zunächst interessiert. Dann ergriff einer der drei Jungen das Wort, „Ich bin Legolas, Sohn von König Thranduil. Und das sind Finrod, Maglor und Nessa", er wies der Reihe nach auf die Burschen und das Mädchen. „Wie ist dein Name?"
„Ich bin Mirawen."
Legolas setzte einen etwas ungläubigen Gesichtsausdruck auf, „Ein Hobbit mit einem Elbennamen. Was es nicht alles gibt. Du kommst aus Bruchtal, oder?"
„Ja genau. Seit ich ganz klein war, lebe ich dort."
Er nickte nachdenklich, „Willst du mitspielen?"
„Gern, wenn ihr mich lasst."
„Du darfst mitmachen. Aber unter einer Bedingung", Legolas grinste verschmitzt, „Zuerst musst du deinen Mut unter Beweis stellen. Wie wir es alle getan haben."
Mirawen bedachte den Jungen ihr gegenüber mit einem herausfordernden Blick, „Was muss ich tun?"
Legolas wechselte ein paar Worte mit seinen Kumpels, woraufhin sie bestätigend nickten.
„Dann komm mal mit", er setzte sich in Bewegung, die anderen taten es ihm gleich.
Sie gingen etwa fünf Minuten durch den Wald, bis sie zu einer kleinen Lichtung kamen, in deren Mitte ein paar große Steine lagen."
„So, da wären wir", Legolas griff nach dem kleinen Messer, das er am Gürtel trug und legte es auf einen der Steine, „Du wirst heue nacht hierher zurück kehren und mein Messer holen. Wenn du dich traust."

Gesagt getan. Es war vollkommen finster als sich Mirawen mit den vier Elben am Beginn des Pfades, der in den Wald führte, traf.
Legolas musterte sie eindringlich, „Bist du bereit?"
„Natürlich."
Einer der anderen Jungen, Finrod, setzte einen wissenden Gesichtsausdruck auf, „Wir sollten dich warnen. Im Wald gibt es Orks. Wenn es dunkel ist erwachen sie und lauern." Er hob seine Hände und krümmte die Finger zu Krallen.
Maglor ging sofort darauf ein, „Ja, und das zarte Fleisch von unvorsichtigen kleinen Hobbitmädchen haben sie besonders gern."
„Wenn du dich traust, dann geh jetzt", meinte Legolas, „Und sei schnell und leise. Sonst hören dich die Orks."
Mirawen gab keine Antwort, sondern drehte sich um und folgte dem Weg in den Wald.

Es war stockdunkel. Man konnte kaum die Hand vor Augen sehen. Die Bäume waren nur als geisterhafte Schatten zu erkennen. Die Nacht war ungewöhnlich still. Mirawen fühlte, wie ihr ein kalter Schauer über den Rücken jagte.
Unheimlich war es hier. Von der Finsternis dieses Waldes ging etwas Bedrohliches aus. Anders als in Bruchtal. Die dortigen Wälder wirkten beruhigend.
Sie war heilfroh, als sie endlich auf der Lichtung ankam. Doch das Messer lag nicht mehr auf dem Stein. Widerwillig ging sie in die Knie und suchte den Boden danach ab. Es dauerte einige Zeit, bis sie es im Gras fand. Erleichtert hob sie es auf und trat den Rückweg an.
Erst ein paar Schritte hatte sie zurück gelegt, als sie aus dem Augenwinkel eine Bewegung wahrnahm. Sie wirbelte herum, aber konnte jedoch nichts erkennen. Vermutlich hatte sie sich geirrt.
Doch das Gefühl, dass sie nicht allein war, wurde stärker und stärker. Furcht ergriff sie und sie rannte los so schnell sie konnte. Ein paar Mal blickte sie zurück, um sich zu vergewissern, dass es nichts gab, das ihr folgte.
Plötzlich stieß sie gegen ein Hindernis. Es gab nach und sie fiel nach vorne, landete auf etwas Weichem.
„Hey!", eine Gestalt richtete sich auf. Mirawen atmete erleichtert auf, als sie Nessa erkannte.
„Was machst du denn hier?"
„Dich suchen. Du hättest schon längst wieder zurück sein sollen."
„Ja... das Messer ist von dem Stein gefallen, ich musste es erst suchen."
Nessa lächelte, „Schon gut. Mir brauchst du nichts erklären. Hauptsache du hast es gefunden. Legolas wäre nicht glücklich, wenn es weg gewesen wäre."
Mirawen schwieg einen Moment, blickte auf das Messer in ihrer Hand herab, „Habe ich die Mutprobe bestanden?"
„Das will ich meinen", sie grinste wissend, „Dass du mutig bist, müssen sogar die Jungs zugeben, ob es ihnen passt oder nicht."
„Sag mal, hast du auch so etwas Ähnliches gemacht, um deinen Mut zu beweisen."
Nessa nickte, „Allerdings. Ich musste auch bei Nacht in den Wald gehen. Und ich verrate dir etwas. So eine Angst wie damals hatte ich noch nie."
„Gibt es dort draußen echt Orks?"
„Also im Düsterwald gibt es schon welche, aber sie wagen sich niemals so nah an unsere Siedlungen heran."
„Und hast du schon mal einen gesehen?"
„Nein, noch nie. Zum Glück. Und was man so hört, kann ich auch in Zukunft gut und gerne darauf verzichten."

Die beiden Mädchen gingen angeregt redend dorthin zurück, wo Legolas, Finrod und Maglor warteten. Die drei schienen recht überrascht zu sein, dass Mirawen das Messer tatsächlich geholt hatte.
Aber sie hielten Wort und versprachen das Hobbitmädchen in ihrer Runde aufzunehmen.