Kapitel 6. Orks!


Der Sommer verging schnell. Aber nicht zu schnell für Mirawen. Obwohl sie sich mit Legolas und seinen Freunden gut verstand und immer viel Spaß hatte, wenn sie zusammen die Elbenstadt unsicher machten, vermisste sie doch Bruchtal.
Als sich der Sommer dem Ende zuneigte, freute sie sich richtig auf die Heimkehr.

Der Rückweg über den Pass des Caradhras verlief ohne Zwischenfälle, sodass Amrod, Artanis und Mirawen recht bald in Bruchtal ankamen. Als sie über die Brücke gingen, wurde ein Bellen hörbar und Tuor stürmte auf die drei Wanderer zu.
Vor Elronds Haus trafen sie auf Elladan und Elrohir, die hier draußen mit dem Hund gespielt hatten.
„Hallo halbe Portion", meinte Elrohir grinsend.
Mirawen bedachte ihn mit einem gespielt giftigen Blick, „Jetzt weiß ich wieder was mir überhaupt nicht abgegangen ist."

In diesem Moment trat Elrond aus dem Haus, „Alae! Schön euch wieder zu sehen. Wie war euer Sommer?"
Amrod erwiderte den Gruß, „Es war sehr schön. Und bei dir?"
Während sich die Erwachsenen in ein Gespräch vertieften, blieb Mirawen bei den Burschen.
„Sagt mal, wo ist Arwen?"
„In Lothlórien mit Mutti", gab Elladan zur Antwort, „Aber nächste Woche kommt sie wieder."

Mirawen freute sich auf Arwens Rückkehr. Die beiden Freundinnen hatten sich bestimmt einiges zu erzählen.
Etwas mehr als eine Woche nach ihrer Ankunft erreichte am späten Nachmittag ein Reiter Bruchtal. Das weiße Pferd war nassgeschwitzt, es sah aus, als wäre es tagelang schnell unterwegs gewesen.
Direkt vor Elronds Haus bracht der Reiter das Tier zum Stehen und sprang ab. Es handelte sich um einen ziemlich großen Elben, bewaffnet mit Pfeil und Bogen. Er hob eine wesentlich kleinere zartere Gestalt vom Rücken des Pferdes, bevor er geradewegs zu Elrond ging.

Erst als die Person, die der Elb mitgebracht hatte, die Kapuze ihres Mantels zurück strich, erkannte Mirawen, dass es sich bei ihr um Arwen handelte. Aber sie sah nicht gut aus. Ihr Gesicht war leichenblass und ihre Augen gerötet. Bevor sie eine Frage an sie richten konnte, kam Elrond aus dem Haus. Er nahm seine Tochter in die Arme, die daraufhin zu schluchzen begann. Dann wandte er sich wieder dem anderen Elben zu.
„Sagt mir, Haldir, was ist geschehen? Und wo ist Celebrian?"
Der Angesprochene setzte zu einer Antwort an, „Es wurden Orks in der Gegend gesehen, deshalb begleitete Finarfin Celebrian und Arwen. Aber er konnte nichts tun, als die Orks angriffen. Es gab einen Kampf und Celebrian und Arwen wurden von den Kreaturen verschleppt. Zum Glück konnte Finarfin zurück kehren und Hilfe holen. Meine Männer spürten die Orks auf. Wir konnten Arwen befreien. Aber für Celebrian war es leider zu spät. Die Bestien hatten sie zu Tode gefoltert."
Bei diesen Worten wich jegliche Farbe aus Elronds Gesicht. Er schlang die Arme noch fester um seine Tochter.
Haldir wartete, bis er sich wieder einigermaßen im Griff hatte, „Es tut mir so leid."
„Unsinn, dich trifft keine Schuld. Ich bin dir so dankbar, dass du mir wenigstens meine Tochter zurück gebracht hast."
„Kein einziger dieser Orks überlebte. Vielleicht tröstet dich das."
„Es ist gut zu wissen, dass sie nicht mehr morden werden", er hielt inne, „Sei heute Nacht Gast in meinem Haus."
Er ging mit Arwen hinein. Haldir folgte den beiden.

Etwas später beschloss Mirawen ihre Freundin zu besuchen. Elrond schien überrascht sie zu sehen, „Du willst bestimmt zu Arwen. Sie ist oben in ihrem Zimmer. Bestimmt freut sie sich dich zu sehen. Es ist Schlimmes passiert."
Sie nickte, „Ich weiß, ich habe deine Unterhaltung mit Haldir zufällig gehört."
„Das ist gut. Es erspart mir die Worte."

Mirawen klopfte zaghaft an die Tür zu Arwens Zimmer. Ein leises herein erklang. Sofort, als sie in den Raum trat, sah sie Arwen, die auf ihrem Bett lag.
„Hallo", sagte sie, „Ich habe schon gehört, was geschehen ist."
Arwen sah auf, bedeutete ihr sich neben sie auf das Bett zu setzen.
„Möchtest du vielleicht darüber reden?"
„Wenn du mir zuhören willst."
Mirawen legte den Arm um Arwens Schultern, „Ich bin doch deine Freundin. Natürlich höre ich dir zu."
Sie nickte und begann stockend zu berichten.

„Wir hatten die Wälder Lóriens noch nicht lange hinter uns gelassen, als plötzlich eine ganze Horde dieser fürchterlichen Orks uns überfiel. Sie kamen von allen Seiten. Wir waren nur zu dritt und hatten keine Chance gegen die Überzahl. Ich sah, wie sie sich nana krallten, bevor auch ich hoch gehoben wurde. Von dem Gestank des Orks, der mich trug, wurde mir schlecht.
Erst, als ich wieder abgesetzt wurde, schaffte ich es einen halbwegs klaren Gedanken zu fassen. Ich sah mich nach nana um, aber ich konnte sie nirgends entdecken. Zum Glück waren keine Orks in meine Nähe, also versuchte ich die Fesseln irgendwie loszuwerden. Aber ich schaffte es nicht, sie waren zu fest und meine Handgelenke wurden taub.
Dann hörte ich die Schreie. Sie waren nicht sehr weit weg und ich erkannte nanas Stimme. Dazu grunzen die Orks. Sie folterten sie. Irgendwann hörten die Schreie dann auf. Ich wusste nicht so recht, was das zu bedeuten hatte.
Plötzlich erklangen Stimmen und Pfeile schwirrten durch die Luft. Haldirs Männer hatten uns endlich gefunden. Einer von ihnen hob mich hoch und brachte mich weg. Ich konnte nana immer noch nicht sehen.
Erst als Haldir mit mir nach Bruchtal aufbrach, begriff ich die Wahrheit."

Tränen traten in ihre Augen.
Mirawen hielt sie tröstend fest, „Es muss sehr schlimm gewesen sein, aber du wirst deine Mutter einmal wieder sehen. Sie wartet in Valinor auf dich."
„Bis dorthin ist es eine Ewigkeit."
„Das mag sein. Aber eine, die irgendwann endet. Und bis es so weit ist, hast du noch die Erinnerung. Vergiss nicht, sie wird in Gedanken immer bei dir sein."
Arwen musterte das Hobbitmädchen, „Mein Problem muss dir albern vorkommen. Vermutlich findest du es ziemlich ungerecht, dass mir die Ewigkeit, die ich habe, zu lange ist, während deine Zeit hier nur ein Bruchteil davon ist."
„Nein, das tu ich nicht. Wieso sollte ich? Meine Zeit hätte wohl schon damals in der Wildnis geendet, als ich noch ganz klein war, wenn Amrod und Artanis mich nicht gefunden hätten. Sie gaben mir ein Stück von ihrer Ewigkeit."
„Findest du es gar nicht beunruhigend, dass deine Tage hier nur so begrenzt sich im Vergleich zu den anderen Bewohnern von Bruchtal?"
„Ehrlich gesagt habe ich darüber noch nicht nachgedacht. Aber ich wüsste nicht was schlimmer ist. Das Wissen, dass das eigene Dasein nur kurz wehrt, oder die Ewigkeit ohne Mutter verbringen zu müssen. Zu wissen, dass sie nicht daran teilhaben kann, wie ich erwachsen werde. Ihre Enkelkinder niemals sehen wird." Sie hielt inne, „Und ich wüsste auch nicht, ob ich es verkraften würde, wenn ich die Dinge erlebt hätte, die du erlebt hast."

Mirawen warf einen schnellen Blick aus dem Fenster. Draußen war es inzwischen dunkel geworden.
„Ich glaube ich sollte jetzt wohl besser nach Hause gehen." Sie stand auf, doch als sie zur Tür gehen wollte, griff Arwen nach ihrem Arm.
„Bitte geh nicht. Könntest du heute nach vielleicht hier bleiben? Es hört sich für dich wohl dumm an, aber ich habe Angst. Das Gefühl, dass mich die widerlichen Fratzen der Orks aus den dunklen Ecken anstarren, ist fürchterlich."
Sie lächelte, „Das ist doch nicht dumm. Ich bleibe gern hier, wenn du dich dann besser fühlst."
„Danke. Das tu ich." Arwen griff in die Tasche ihres Gewandes und nahm etwas heraus. In ihrer Handfläche lag eine Kette mit einem kleinen silbernen Anhänger in Form eines fliegenden Vogel, „Diese Kette ein Geschenk von Galadriel, meiner Großmutter, der Herrin von Lórien, für dich."
„Sie ist wunderschön. Womit habe ich das denn verdient?"
„Galadriel sagt, wenn du deinen Weg einmal aus den Augen verlieren solltest, wird dieser Vogel dich aus der Verwirrung leiten. Und sie hofft, dass sich für dich einmal die Gelegenheit ergibt nach Lórien zu kommen."
Arwen hängte ihrer Freundin die Kette um den Hals.
Und als Mirawen den Vogel zwischen in ihren Fingern und von allen Seiten betrachtete, war ihr, als würde sie eine leise Melodie elbischer Worte von einem weit entfernten Ort hören.