Kapitel 7. Überwindung


In Bruchtal hatte sich seit jenem schicksalhaften Tag, an dem Haldir mit Arwen angekommen war, Einiges verändert. Elrond hatte sich verändert. Er litt sehr unter dem Verlust seiner Frau. Mehr als er es sich selbst eingestand. Aber die Personen um ihn herum, seine Freunde, spürten das.
Am schlimmsten war es wohl für Arwen. Sie war dabei gewesen, als ihre Mutter zu Tode gefoltert worden war. Hatte alles mitgehört.
Mirawen wusste langsam nicht mehr, wie sie ihre Freundin aufzuheitern vermochte. Arwen hatte zu nichts Lust, schloss sich die meiste Zeit in ihrem Zimmer ein. Anfangs war es dem Hobbitmädchen ein paar Mal gelungen, sie dazu zu bewegen hinaus zu gehen und mit ihr auszureiten. Aber jetzt nicht mehr. Selbst Elrond hatte keine Ahnung, was er tun konnte.

Es war früher Nachmittag. Mirawen ging hinüber zu Elronds Haus. Sie hatte vor einen neuerlichen Versuch zu starten ihre Freundin zu überreden irgendetwas mit ihr zu unternehmen.
Elrond rechnete ihr diese unablässigen Bemühungen hoch an. Das hatte er schon mehrmals gesagt.
„Hallo Mirawen. Gut, dass du kommst. Ich weiß langsam nicht mehr was ich tun soll. Es wird immer schlimmer anstatt besser. Heute hat sie sich geweigert zum Essen runter zu kommen."
„Ich werde mein Glück versuchen", antwortete sie lächelnd. Bevor sie hinauf ging, nahm sie einen Apfel aus der Obstschale, die am Tisch stand.

Arwen hatte die Tür abgesperrt und zeigte zunächst keinerlei Reaktion auf Mirawens Klopfen.
„Arwen, ich bin es, Mira. Komm schon, mach auf, ja?"
Dumpf und leise kam die Antwort, „Bitte lass mich allein."
Sie seufzte, „Jetzt hör mir mal zu. Ich bin doch deine Freundin und ich mache mir Sorgen um dich." Einen Moment lang überlegte sie, „Ich mache dir ein Angebot. Du lässt mich rein, damit ich dir das sagen kann, was ich zu sagen habe. Wenn du mich dann raus schmeißt, gehe ich. In Ordnung?"
Arwen gab keine Antwort. Jedoch klickte es einige Augenblicke später, als der Schlüssel im Schloss umgedreht wurde.
Mirawen trat in das Zimmer. Vor ihr stand Elronds Tochter. Leichenblass, mit dunklen Ringen unter den Augen.

„Also was willst du?" Sie schien nur darauf bedacht zu sein die ungebetene Besucherin so schnell wie möglich wieder los zu werden.
„Mit dir reden!"
Bei diesen Worten seufzte Arwen tief und ließ sich aufs Bett fallen.
„Ich habe dir etwas mitgebracht", sie hielt ihr den Apfel unter die Nase.
„Ich bin nicht hungrig."
Jetzt wurde es Mirawen zu bunt", Was soll das eigentlich? Ich kann ja verstehen, dass das was du erlebt hast sehr schlimm war, aber du kannst dich nicht auf ewig hier drin vor deinen Ängsten verstecken."
„Was weißt du schon?"
„Ich weiß, dass sich dein Vater große Sorgen um dich macht. Denk mal nach. Für ihn war dieser Verlust ebenso schmerzhaft. Dein momentanes Verhalten macht das Ganze noch schlimmer für ihn." Sie holte Luft, „Ich werde nicht gehen, ehe du nicht diesen Apfel gegessen hast und eingewilligt hast mit mir hinaus zu kommen."
„Das werde ich nicht!"
Mirawen antwortete lauter, als ihr lieb war, „Verdammt, verstehst du das nicht? Dein Verhalten bringt dir deine Mutter auch nicht wieder! Du musst anfangen dich deinen Gefühlen zu stellen. Du musst dein Leben fortsetzen. Auch ohne sie."
Arwen wusste anscheinend nicht, was sie antworten sollte.
Das Hobbitmädchen hatte sich richtig in Rage geredet. „Und wenn du es schon nicht für dich oder deinen Vater tun willst, dann tu wenigstens für mich", sie pausierte, dachte nach, „Ich habe nicht so viel Zeit wie du, deine Brüder oder die anderen Elbenkinder. Und das was mir gegeben ist, werde ich nützen, indem ich es mit denen verbringe, die mir lieb sind. Dazu gehörst auch du! Und jetzt komm schon. Draußen ist ein herrlicher Herbstag. Wie geschaffen zum Ausreiten. Nimloth wartet auf dich."

Das andere Mädchen schwieg. Aber es war ihr anzusehen, dass es hinter ihrer Stirn arbeitete.
„Du hast recht. Ich kann nicht immerzu davon laufen." Schließlich erhob sie sich und ging langsam zu der Kommode. „Geh du schon mal vor. Ich ziehe mich schnell um, dann komme ich nach."
Mirawens Gesicht wandelte sich augenblicklich zu einem Lächeln, „On Ordnung. Aber wenn du nicht in fünf Minuten unten bist, komme ich und zerre dich hinaus, klar?"
Arwen brachte ein schwaches Lächeln zustande.

Die beiden Mädchen genossen die letzen schönen Herbsttage in vollen Zügen.
Mit seiner Tochter begann auch Elrond den Schmerz des Verlustes zu überwinden. Das Leben in Bruchtal begann sich langsam zu normalisieren.

Es dauerte jedoch noch einige Zeit bis Arwen ganz darüber hinweg gekommen war. Ein paar Mal hatte sie einen Rückfall in ihre Trauerstimmung, doch Mirawen schaffte es immer sie wieder aufzuheitern. Erst als es wieder Frühling wurde schien Arwen es endlich ganz überwunden zu haben. Sie war fast wieder so wie früher. Fast. Ihr Herz hatte einen Riss, der niemals ganz heilen würde.