[~~ leitet Rückblick ein - ihr kennt das Spiel...]
Ranma blinzelte. Die rötlichen, lauen Strahlen der Abendsonne kribbelten leicht in seiner Nase. Etwas war anders als sonst, wenn er aufwachte. Der Boden war härter und sehr uneben und... klumpig? Anstatt des Dufts von Kasumis leckerem Frühstück, füllte sich seine Nase mit erdiger, feuchter Luft. Es roch nach Holz, nassem Holz und alten Pilzen. Langsam öffnete er die Augen. Erschrocken sprang er plötzlich auf. "WAS ZUR...?" setzte er erregt an, hielt aber abrupt inne als er durch die Lautstärke seiner eigenen Stimme einen stechenden Schmerz im Kopf verspürte. Nur aus dem Augenwinkel bemerkte er, dass etwas kleines Weißes aus einem der Knopflöcher seines Hemdes auf den Boden segelte. Stumm verfolgte er den Kurs des dünnen Blatt Papiers und rieb sich die Nase, als er sich schließlich hinunter beugte, um es aufzuheben. Neugierig faltete er es auseinander. Auf einmal umfasste er das Papier fester und zog es ganz straff, unfähig zu akzeptieren, was darauf geschrieben wurde. Mit rot anlaufenden Augen und zitternder Stimme las er laut vor:
"Mein Sohn, ich habe dich auf diese Trainingsreise geschickt, damit du zur vollkommenen Vollendung deiner Fähigkeiten als Martial Artist kommen sollst. Du befindest dich unmittelbar vor der sagenumwobenen 'Ninshiki no Izumi' - der Quelle der Erleuchtung. Ihre Macht ist stets ein unlösbares Rätsel gewesen. Verzeih deinem alten Vater, es führte kein Weg drum herum, dich KO zu schlagen. Ja, die Aufgaben eines Lehrers und Erziehers sind wahrlich oft nicht leicht zu meistern. Doch es führt alles zu deinem Besten, das wirst du früh genug selbst erkennen. Ranma, mein Junge, enttäusche mich nicht. Halte dich immer in der Nähe der Ninshiki no Izumi auf, um deinen Weg als Martial Artist zu finden."
Ein irres Lachen entfuhr Ranma als er seinen Kopf mit geweiteten Augen in den Nacken warf. "Ninshiki no Izumi? NINSHIKI NO IZUMI? Was soll das sein? Eine Art Gehirnwäschebad?" Außer sich stampfte er mit qualmendem Kopf von einem Bein aufs andere. "Oyaji... Der alte Sack will mich zum Idioten halten!" Knurrend zerknüllte er den kleinen Zettel und holte weit aus, um ihn mit einem kräftigen Wurf ins Nichts zu befördern, ließ jedoch nach kurzem Zögern seinen Arm sinken und blickte auf die krakeligen Zeilen, die sein Vater ihm hinterlassen hatte. Erschöpft lehnte er sich gegen einen Baumstamm und ließ sich langsam auf seinen Rucksack fallen, als ihm die Kraft aus seinen wackligen Beinen entfuhr. Mit einem tiefen Atemzug schloss er seine Augen und ließ die Geschehnisse der letzten 24 Stunden vor seinem inneren Auge Revue passieren.
***
Nachdem er müde und verspätet von der Schule zurückgekehrt war, freute er sich nach dem anstrengenden Reinigungsdienst auf einen faulen Nachmittag mit Kasumis köstlichem Tee und ein paar Knabbereien. Wenn er sich erst gestärkt hatte, das wusste er, würde er Akane aus ihrem Zimmer locken und handeln. Irgendetwas würde er tun, irgendwie. Es musste eine Möglichkeit geben, um sie wieder zum Reden zu bringen. Die beißende Stille hielt er einfach nicht mehr aus. Sie machte ihn wahnsinnig, zerfraß ihn innerlich. Sich mit seiner 'Verlobten' zu streiten war eine Sache, von ihr auf kühle, gefühllose Art abgewiesen zu werden eine andere. Als er jedoch das Tendo- Haus betrat, wurde er von Kasumi informiert, dass Akane noch nicht zurück sei und sie auch keine Nachricht über die Dauer ihrer Abwesenheit hinterlassen hatte. Seufzend und demotiviert schleppte sich Ranma die Treppe hinauf und blieb vor ihrer Zimmertür stehen. "Akane...", schrie sein Herz verzweifelt, doch Ranma brachte nur ein Flüstern hervor, das er so leise und vorsichtig aussprach, dass er selbst es kaum hörte.
Beim Gedanken an das Mädchen mit den dunklen, seidigen Haaren und den großen, braunen Augen mischte sich ein Gefühl aus vertrauter, angenehmer Wärme und kalter, nackter Angst in ihm. Schutzsuchend zog er seine Schultern näher zu seinem Gesicht und spielte für einen Augenblick mit dem Gedanken, ihr Zimmer zu betreten und die Spuren ihrer Anwesenheit in sich aufzunehmen. Wie sehr wünschte er sich, er könnte kurz, nur für einen winzigen Moment, an ihrem Kopfkissen schnuppern, ihren süßlichen Duft einatmen... Aber nein. Wenn ihn jemand dabei ertappen würde, erkannte er, wären alle Chancen wieder normal mit ihr zu kommunizieren, ein für allemal dahin. Er seufzte schwer, unklar darüber, in welche Richtung des Hauses er sich bewegen sollte, als auf einmal Genma hektisch mit gepackten Rucksäcken angelaufen kam und eilig etwas von einer wichtigen Trainingsreise, die partout sofort anzutreten sein müsse, daher brabbelte. Ranma schaute durch seinen Vater hindurch und hörte ihm nur mit halbem Ohr zu. Er konnte nicht sofort abreisen. Was war mit Akane? Sollte er sich nicht von ihr verabschieden?
Ihm spukten die Ereignisse des Schultags im Kopf, während sein Vater nervös an seinem Ärmel zog.
~~
An jenem letzten Schultag vor den Ferien hatte er es erkannt. Akane hatte sich verändert. Sie war nicht mehr die selbe wie vorher. In ihrem Haus, ihrem Zimmer, ihrem Körper wohnte nun eine vollkommen neue Person. Zumindest war sie das ihm gegenüber. Mit gekräuselter Stirn stellte er fest, dass es keinesfalls so war, dass er die neue Akane nicht ausstehen konnte. Sie war ein süßes Mädchen, fleißig in der Schule und hatte ständig irgendwelche lustigen Ideen parat. Es war lediglich so, dass in ihm etwas fehlte. Verträumt fuhren seine Blicke über den Körper seiner Verlobten, als er ihr auf dem Weg zur Schule aus einer guten Entfernung still und heimlich hinterher schlich. Was blieben ihm noch für Optionen offen? Könnte er sie doch nur einmal wieder "Trottel" rufen hören. Mit einem traurigen Lächeln im Gesicht schüttelte er leicht seinen Kopf. "Kann es sein, dass mir jemand fehlt, den ich nicht ausstehen kann?" Der Gedanke, dass es ihm auf eine seltsame Art und Weise gefiel, sich mit einer bestimmten Person zu streiten, bereitete ihm ein sehr ungutes Gefühl. "Bin ich vielleicht wirklich pervers?" fragte er sich zögernd und rollte unsicher seine Augen von einer Seite zur anderen. Dann ließ er seinen Kopf sinken und vergrub seine Hände in den Hosentaschen, als er halbherzig einen Stein kickte. "Nein, das ist es nicht. Das KANN es nicht sein. Alles, worum es sich hier dreht, ist ein Kampf. Genau, es ist nichts weiter als ein Kampf." murmelte er. "Aber was kann ich tun, damit du wieder mit mir... Ehm ich meine, damit ich diesen Kampf gewinne?" Mit glänzenden Augen richtete er seinen Blick wieder auf die zierliche Gestalt, deren türkiser Rock mit jedem Schritt leicht aufwippte.
Sogar als Shampoo in der Mittagspause in die Schule kam und ihn vor den Augen der gesamten Klasse nach draußen auf die Wiese zerrte, um ihn dort mit Hausmannskost zu verwöhnen, hielt sich Akane zurück. Normalerweise kann er selbst es nicht ausstehen, wenn Shampoo so aufdringlich ist. Sie ist ganz sicher ein hübsches Mädchen und irgendwie süß. Aber auf unerklärliche Weise schüttelte er sich schon allein bei dem Gedanken, ihr nahe zu sein. Ihre ständigen Annäherungsversuche widerten ihn an. An diesem Tag jedoch wollte Ranma aufs Ganze gehen und Akanes schwächsten Punkt treffen. Er schickte Shampoo nicht sofort weg. Akane hatte sich noch nie zurückhalten können, wenn Shampoo um ihn herumtänzelte. Nicht mal damals, als sie ihr Gedächtnis verloren hatte. Aber diesmal schenkte Akane ihnen beiden nicht mal besondere Aufmerksamkeit. Er bemerkte, wie sie kurz herüber schaute und für den Bruchteil einer Sekunde trafen sich ihre Blicke. Es war etwas Seltsames in ihrem Gesichtsausdruck. Beinahe Erleichterung und noch etwas anderes. Aber warum? Aus welchem Grund sollte sie sich freuen, wenn Shampoo mit Ranma alleine sein wollte? Ranma hatte seine letzte und zugleich auch gefährlichste Waffe eingesetzt. Und sie verfehlte ihre Wirkung komplett. Dabei war er sich so sicher gewesen, dass Akane ihm bloß - für was auch immer - eins auswischen wollte mit dieser Schweigetaktik. Gegen Ende dieses 'Kampfes' wurde er immer verzweifelter, da seine Chancen auf den Sieg dahinschwanden. Als sie aber vollständig im Nichts versanken, war dieses 'Es' wieder da, ganz tief in seinem Bauch. Qualvoll begann es sich auszubreiten, kroch in jedes seiner Glieder, in jeden einzelnen Muskel. Konnte es sein, dass er tatsächlich verloren hatte? War dieses ganze seltsame Theater nun endlich vorbei? Verzweifelt versuchte er an diesem Hoffnungsstrang festzuhalten, wenn ihm auch eine innere Stimme ins Ohr flüsterte: "Sie möchte dich einfach nicht in ihrem Leben haben. Die ganze Zeit über hast du dir etwas vorgemacht und das weißt du auch." Ranmas Augen wurden leer und glasig als er der weisen Stimme lauschte. "Für sie war es nie ein Kampf."
Während Shampoo seine Hand nahm und ihn ungeduldig aus dem Klassenzimmer zerrte, wehrte er sich nicht. Wortlos schaute er Akane hinterher. Längst hatte sie sich wieder ihren Freundinnen zugewandt und stand mit dem Rücken zu ihm. Es vergingen nur wenige Sekunden, aber die Zeit schien still zu stehen. Er fokussierte sie, wanderte mit seinem Blick über ihr eigenartiges Katzenkostüm: die spitzen braun-schwarzen Plüschöhrchen, die sie sich mit einem Haarreif aufgesetzt hatte, das in den selben Farben gestreifte Schwänzchen, welches lustig hin und her wackelte, wenn sie sich nur ein wenig bewegte und die riesigen flauschigen Pfoten, die sie sich über Hände und Füße gestreift hatte und, wenn überhaupt, nur für eine Minute abnahm, um ihr Essen hastig herunterzuschlingen. Der Overall, den sie dazu trug, stand ihr überraschend gut. Er lag extrem eng an und betonte ihre zarte, weibliche Figur; die schmalen Schultern, den langen Hals, die Wespentaille. "Sie ist süß", flüsterte Ranma entgeistert, als die Bilder um ihn herum plötzlich wie hinter einem dichten Nebel verschwommen. Geistesabwesend realisierte er nicht, dass er sich längst nicht mehr im Schulgebäude befand.
Wie ein Zombie saß er stumm mit starrem Blick auf der Wiese und ließ sich von der chinesischen Amazone füttern, mit seinen Gedanken stets bei einem ganz anderen Katzenmädchen. Das, welches nie so nett und süß zu ihm sein konnte, wie jenes Katzenmädchen unmittelbar vor ihm. Die Verwirrung in seinem Kopf nahm überhand und ließ ihn in Gedanken sämtliche Erinnerungen, die er mit Akane teilte, bereisen. Er musste an diesen dämlichen Kochwettbewerb denken, der zwischen Akane, Ukyo, Shampoo und Kodachi stattgefunden hatte. Was hatte sie sich dabei gedacht? Als wenn sie auch nur die geringste Chance auf einen Sieg gehabt hätte? Bei ihren Kochkünsten... Dabei fiel ihm auch wieder ein, wie fürchterlich sie ihn vor einiger Zeit ständig drängelte, ihre "Kekse" zu kosten. Scheußlich waren die. Echt rücksichtslos von ihr, ihm so etwas vorzusetzen. Dann schweiften seine Gedanken weiter zu den unzählig vielen Schlägen in allen nur erdenklichen Variationen; mit schweren Holzhämmern, Tischen, Bratpfannen, Kannen, Fäusten, Küchengeräten,... Wann immer eine seiner anderen 'Verlobten' auftauchte und ihn anhimmelte, rastete sie aus. Sie war einfach hysterisch und brutal. Wenn es wenigstens einen vernünftigen Grund dafür gegeben hätte. Schließlich hasste sie ihn, das war nicht zu übersehen. Dennoch war sie allem Anschein nach eifersüchtig.
"Warum ist sie nur manchmal so unausstehlich?" murmelte Ranma wie in Trance vor sich hin, ohne Shampoo auch nur ein Fünkchen Beachtung zu schenken. "Wie kann man nur eifersüchtig sein, wenn man nicht mal..." Auf einmal leuchteten seine Augen auf. Konzentriert begann er all jene Erinnerungen, noch einmal zurückzurufen. Dieser Kochwettbewerb, der galt doch schließlich ihm. Er, Ranma Saotome, war der Hauptpreis. Sozusagen. Und die Kekse durfte niemand anderes probieren. Sie hatte sie extra für ihn gebacken und sich dafür sogar mehrere Backbücher gekauft. "Sie schien wirklich traurig gewesen zu sein, als ich sie erst nicht essen wollte", murmelte er weiter. "Und als ich es dann doch tat, erhellte sich ihr Gesicht vor Freude." Angestrengt überlegte er. Bisher hatte er immer vermutet, dass sie unwahrscheinlich schadenfroh gewesen sein musste, wenn sie sich so darüber freute, dass er dieses widerliche Gebäck herunterschlucken musste. Als er aber nun genauer darüber nachdachte, erkannte er, dass dieses strahlende Lächeln, das sie ihm damals geschenkt hatte, viel zu freundlich und warm war, als dass es einen derartig gemeinen Hintergrund haben könnte. Außerdem war es eigentlich gar nicht Akanes Art, so mies zu sein. Jedenfalls nicht in diesem Sinne. Schließlich konnte sie auch ganz schön fest zuschlagen, wenn die anderen Mädchen ins Spiel kamen und sie sich zwischen ihnen beiden drängten. Ranma hielt erschrocken seinen Atem an. Zwischen ihnen! Plötzlich fiel es ihm wie Schuppen von den Augen. "Sie hasst mich gar nicht. Sie ist einfach nur genauso stur wie i-- Ehh... sie will einfach nicht zeigen, dass sie mich mag. Oder zumindest, dass ich ihr nicht egal bin." Ein Lächeln legte sich über sein Gesicht. "Ob sie... mich mag?" fragte er sich und spürte deutlich, wie sich seine Wangen rot färbten, als er auf einmal etwas schweres an seiner Brust bemerkte. Erschrocken schaute er hinunter.
"Aiya! Aber Airen, natürlich mag Shampoo dich. Wir heiraten, ja?"
"Hyaaaaahh!!!!" Mit einem Sprung befreite sich Ranma von seiner aufdringlichen, selbsternannten 'Verlobten' und starrte sie aus einem mehr oder weniger sicheren Abstand von einigen Metern mit weit aufgerissenen Augen an. "Shampoo! Was machst du denn hier?" keuchte er atemlos.
Verwundert blickte sie ihn an und schien auf Anhieb die richtigen Worte nicht gefunden zu haben. Allein der Schulgong rettete ihn aus dieser unangenehmen Situation.
"Ich muss weg", rief Ranma eilig und verschwand mit schnellen Schritten im Schulgebäude. "Ob sie mich wirklich mag?" fuhr es Ranma wieder in den Sinn. Es begann seltsam in seinem Baum zu kribbeln. Hastig riss er die Tür zum Klassenzimmer auf. Glücklicherweise war der Lehrer noch nicht da. Sein Blick fiel als erstes auf Akane. Sie saß bereits auf ihrem Platz. Um sie herum standen ein paar Mädchen. Akane erzählte etwas und alle fingen an zu lachen. Auch sie. Vergnügt schloss sie ihre Augen und hielt sich schüchtern die leicht gekrümmten Finger vor ihren kleinen, roten Mund. Dann öffnete sie wieder fröhlich ihre Augen und setzte mit erhobenem Zeigefinger an, weiterzureden. In dem Moment sah sie ihn plötzlich vor sich stehen, lächelnd, aufgeregt und ein wenig so, wie er ihr so oft in ihren Träumen erschienen war. Sie hörte abrupt auf zu erzählen und ihre Mundwinkel sanken schlagartig nach unten. Mit auf ihm gerichteten Blick weiteten sich ihre Augen, als hätte sie einen Geist gesehen. Sofort stieg ihr die Röte ins Gesicht. Ihre Freundinnen stupsten sie leicht an, um sie aufzufordern, weiter zu reden, doch sie blieb still. Beschämt sank ihr Blick zu Boden. Sie fluchte. Ranma hatte es nicht gehört, aber er konnte es von ihren Lippen ablesen. Langsam verschwand auch sein Lächeln wieder. Auf dem Weg zu seinem Platz überlegte er, ob er denn total falsch gelegen hätte. Dann erst wurde ihm die Bedeutung ihrer Veränderung wirklich bewusst. Vielleicht hatte sie ihn irgendwann einmal gemocht. Aber nun war er ihr egal. Sie scherte sich nicht mehr darum, mit wem er sich traf oder wessen Essen er zu sich nahm. Sie wollte nichts mehr mit ihm zu tun haben. Aber warum auf einmal? Was hatte er in letzter Zeit anders gemacht als früher?
"Seit dem Tag, an dem ich hier angekommen bin", dachte er sich "hatten wir uns immer nur gestritten. Oder fast immer. Sie hat mich beleidigt und mich geschlagen. Ich hätte wohl auch netter zu ihr sein können. Obwohl es stimmt, sie ist tatsächlich ein Machoweib. Oder 'war' sie es eher? Kann es denn sein...? Seit wir uns kennen, habe ich mich ständig darüber aufgeregt und mir gewünscht, dass sie anders wäre. Und jetzt..." Er runzelte die Stirn. In seinen Augen glänzte für einen Moment etwas auf, das wie Furcht aussah. "Jetzt vermisse ich dieses 'unausstehliche Machoweib'...".
Der Unterricht hatte bereits angefangen. Er schaute zu Akane, die wieder in ihrer normalen Schuluniform dasaß. Ihr dunkles Haar hing glänzend über ihrem zierlichen Nacken. Mit dem Kopf nur leicht zu ihr geneigt und dem Kinn in die Hand gestützt beobachtete er, wie sie sich einen Stift nahm, um aufzuschreiben, was der Lehrer diktierte. Ihre Haltung, jede ihrer Bewegungen war so anmutig und doch nahm er ein leichtes Zittern ihrer Hände wahr. Ob sie wirklich so konzentriert beim Unterricht war, wie sie vorgab? Sie wirkte so lieb und unschuldig, wie nie zuvor - in wachem Zustand.
"Woran sie wohl gerade denkt?"
Als sie sich zu ihrer Tasche hinunterbeugte und sich dafür leicht zur Seite drehte, erkannte er ihr Profil und bemerkte wieder dieses seltsame Etwas in ihrem Gesicht. "Ach Akane...", seufzte sein Herz als seine Augen und all seine Sinne nicht von ihr lassen konnten.
~~
Ranma war nicht mehr dazu gekommen, sich näher mit den Überlegungen der letzten Schulstunde auseinander zu setzen. Er konnte sich noch nicht mal dazu entscheiden, ob er Akane ganz offen auf ihre Veränderung ansprechen sollte, denn sein Vater bestand darauf, dass sie ohne jede Verzögerung auf der Stelle abreisten. Als Ranma sich allmählich sammelte und ihn wütend nach dem Grund für die plötzliche Hektik fragte, bekam er jedoch keine Antwort, da Genma es wieder einmal vorgezogen hatte, die Welt als Panda zu durchforsten. Ranma hatte seine Ausreden und sein peinliches Verhalten so satt und war drauf und dran, ihn wie so oft zuvor mit einem kräftigen Tritt in des Pandas Allerwertesten in den Gartenteich zu befördern, hielt dann aber im letzten Moment inne und seufzte resigniert.
Er schaute zu Akanes Zimmertür, zu ihrem Namensschildchen in Form einer kleinen gelben Ente, zu dem Türgriff, den sie jeden Tag scheinbar so bedeutungslos mit ihren zarten, kleinen Händen berührte. Einen Augenblick lang war er still und ignorierte das nervöse Tanzen des dicken Pandas, der bereits in Aufbruchstimmung war. Sehnsüchtig stellte Ranma sich vor, wie es wäre, wenn alles wieder beim Alten sein würde. Wäre sie zu diesem Zeitpunkt zuhause gewesen, dann hätte er an ihre Tür geklopft. Und sie hätte ihm daraufhin geöffnet und ihn überrascht mit ihren großen, braunen Augen angeschaut. Oder sie hätte ihn frech angelächelt und gefragt, ob sie ihm wieder bei den Hausaufgaben helfen sollte. Am wahrscheinlichsten aber war, dass sie ihn wütend zurück zu Shampoo geschickt und ihn dann als Perversen beschimpft hätte. Aber sie war nicht da. Und selbst wenn, würde sie nicht mit ihm reden, ihn nicht ansehen, ihm noch nicht einmal öffnen. Er fasste sich an den Bauch, als der Schmerz stechend wurde. "Warum" - diese Frage wollte partout nicht seinen Kopf verlassen. Traurig sanken seine Lider, als er die Antwort für sich entdeckt hatte. "Ich schätze, ich habe sie wohl ein Mal zu oft verletzt." Angestrengt schluckte er in dem Versuch, den Schmerz, den er empfand irgendwo tief in sich zu vergraben. Alles, was er sich in diesem Augenblick wünschte, war noch eine zweite Chance, war noch einmal Akanes helles, freundliches Lächeln zu sehen, das nur an ihn gerichtet war. Diesmal würde er zurücklächeln, er würde...
"Etwas Abstand kann vielleicht nicht schaden", sprach er in Gedanken zu sich selbst. "Alles, was ich jetzt tun kann, ist ihr etwas Zeit geben. Und ein gutes hartes Training lenkt mich sicher für eine Weile ab." Überrascht bemerkte er, dass er noch immer auf die geschlossene Tür starrte. Kopfschüttelnd wandte er sich zu seinem Vater und gab ihm bescheid, dass sie los könnten. Er erreichte bereits die Treppe, als er sich noch einmal umdrehte und sich ein letztes Mal Akane im Türrahmen stehend vorstellte. In diesem Augenblick gestand er sich endlich ein, was er so lange Zeit verleugnet hatte: "Ich mag sie. Ich brauche sie."
***
Und nun war er also hier, irgendwo in einem dichten Wald in den Bergen. "Was hat sich Oyaji nur dabei gedacht?" fragte er sich. "Erst ist er ganz wild darauf, mit mir hierher zu kommen und dann verschwindet der Alte plötzlich spurlos, nachdem er mich KO geschlagen hat." Vorsichtig tastete er sich über den Kopf und fand eine dicke Beule. "Ob er sich wieder als Panda von irgendeinem armen Kind aushalten lässt?" Entnervt stöhnte er bei dieser Vorstellung.
Aus der Ferne hörte er das Plätschern eines kleinen Wasserfalls. "'Ninshiki no Izumi', ja? So ein Blödsinn. Warum hat er mich an diesen bescheuerten Ort gebracht? 'Halte dich immer in der Nähe der Quelle der Erleuchtung auf, um deinen Weg als Martial Artist zu finden' schreibt dieser Trottel mir auf einen Zettel und dann haut er einfach ab. Toller Vater!" Wütend sprang er auf und boxte in den Baumstamm. Die idyllische Stille des Waldes wurde für einige Momente unterbrochen. "Was hat das denn mit Martial Arts zu tun, wenn ich in diesem blöden kleinen Gewässer bade?" Er ließ seine Faust sinken. "Komisch ist es allerdings schon. Ich habe bisher noch nie eine heiße Quelle mit Wasserfall gesehen." Nach einer kurzen Pause zuckte er schwerfällig mit den Schultern. "Aber ich bin schließlich hier, um zu trainieren und nicht, um irgendwelche Touristenattraktionen zu bestaunen. Sobald ich Paps gefunden habe, muss ich dringend von hier verschwinden. Das ist die reinste Zeitverschwendung, wo ich doch so viel zu klären habe mit Akane." Akane... Seine Gesichtszüge wurden weicher als ein heller Schimmer über seine Augen fuhr. Etwas bitterlich lachte er in sich hinein und massierte sich seine leicht schmerzende Stirn mit Daumen und Mittelfinger. "Egal wo ich auch hingehe, vergessen kann ich sie sowieso nicht."
Im selben Augenblick nahm er ganz in der Nähe von sich Schritte wahr. Suchend drehte er sich in alle Richtungen um bis er plötzlich ein Mädchen sah, dass mit kleinen, aber schnellen Schritten an ihm vorüber huschte. Er sah sie nur von hinten, aber irgendwie kam ihm diese Gestalt bekannt vor. Halbherzig bemühte er sich einen Moment lang sich zu erinnern.
"Na klar, warum ist mir das nicht früher eingefallen?" Er tippte sich an den Kopf und kicherte, als er ihren purpur-roten Kimono, die hölzernen Sandalen und das blaue, dünne Tuch, das sie sich um den Kopf gewickelt hatte beobachtete. "Sie sieht aus wie eine von diesen chinesischen Puppen!" Bestätigend nickte er zu sich selbst, gab sich jedoch aus einem unerfindlichen Grund nicht ganz zufrieden mit dieser Erklärung. Seine Gedanken über eventuelle Ähnlichkeiten schob er aber schnell beiseite, da ihm plötzlich eine Idee kam. "Sie sieht nicht gerade so aus, als wäre sie wie ich auf Trainingsreise. Das heißt, hier muss es irgendwo in der Nähe ein Dorf geben. Vielleicht kann ich von dort aus ja zuhause anrufen und fragen, ob sich dieser faule Panda wieder hat blicken lassen."
"Hey, du! Warte doch mal kurz!" rief er und war gerade dabei, auf das Mädchen zuzulaufen, als plötzlich ein älterer Herr neben ihm auftauchte und ihn freundlich anlächelte.
"Kann ich Ihnen irgendwie behilflich sein, Fremder?" sagte er mit einer wohligen, warmen Stimme.
Ranma stutzte und wandte sich ihm zu, ohne das Mädchen weiter zu beachten. So schnell wie sie gelaufen war, hatte sie ihn sowieso nicht mehr gehört, dachte er sich. Vor sich sah er einen alten Mann mit einem langen Bart stehen. So weiß wie sein Haar war auch sein knöchellanges Gewandt.
"Eeehm", fing er geistreich an. "Ja, tatsächlich könnten sie das. Ich müsste dringend mal jemanden anrufen. Gibt es hier in der Nähe ein Telefon?"
Der Mann schaute ihn unverwandt an. "Sie werden verzeihen, aber sie müssen sich doch erinnern, wie sie hierher gekommen sind. Und da gibt es sicher ein Telefon, junger Herr."
Ranma rollte mit den Augen. "Ja schauen sie. Dieser dumme Panda hat mich an diesen Ort gelockt und mich dann KO geschlagen, weil ich wieder nachhause wollte. Dann schleppte er mich hierher, als ich noch bewusstlos war und hinterließ mir nur diesen blöden Brief, ehe er sich einfach aus dem Staub gemacht hat!" Kopfschüttelnd wedelte er mit einem kleinen dünnen Blatt Papier. "Tss... Und so einer nennt sich Vater. Ist doch echt unglaublich, oder? Das grenzt ja an Körperverletzung."
"Das grenzt an...", begann der ältere Mann langsam zu wiederholen, als ihn die Sprache für einen Augenblick verließ. Er konnte seinen erstaunten Blick nicht von der riesigen Beule an Ranmas Stirn lassen, die in den blassen Sonnenstrahlen, welche durch die Äste drangen, in einem kräftigen Purpur leuchtete. So etwas hatte der Fremde ganz sicher noch nie gesehen. Und wenn doch, dann sicher nicht an einer Person, die bei vollem Bewusstsein ist und allem Anschein nach nicht einmal größere Schmerzen verspürt. Dann wandelte sich sein Gesichtsausdruck in Besorgnis. "Ganz ruhig, mein junger Freund. Sie meinen also, ihr Vater sei ein Panda und hat sie bewusstlos im Wald ausgesetzt?"
Ranma ließ seine Schultern hängen und stieß einen schweren Seufzer aus. "Oh man, ich hab' echt Erholung nötig" sagte er nach der Erkenntnis, dass er viel zu viel verraten hat.
Der alte Mann schlussfolgerte, dass sich der junge Fremde mit dem dunklen Zopf eine schwere Kopfverletzung zugezogen hatte und bloß halluzinierte. So beschloss er, sich seiner anzunehmen. "Ganz ruhig, ganz ruhig. Das wird schon alles wieder. Zunächst einmal werde ich Sie in mein Dorf bringen." Mit einem skeptischen Blick neigte er seinen Kopf zur Seite und murmelte verstohlen hinter seinen dichten, weißen Barthaaren: "Da werden Sie dann erst mal einen Beruhigungstee bekommen."
Ranma schaute zu ihm auf. "Aber was ist nun mit dem Telefon?"
"Ja, Telefone gibt es dort auch." Er nickte und machte eine Geste. "Folgen sie mir einfach. Und passen Sie auf, dass sie über keine Wurzel stolpern."
"Ehm... Klar!"
***
"Komisch." Akane drehte sich um, erblickte aber niemanden. Verwundert lief sie ein paar Schritte zurück, schaute sich in allen Richtungen um, doch es war weit und breit keine Menschenseele zu sehen. Dann machte sie ihren Weg zurück zur Hütte.
Nachdenklich tippte sie sich mit der Spitze ihres Zeigefingers ans Kinn. "Ich hätte schwören können, Ranmas Stimme gehört zu haben." Ungläubig schüttelte sie ihren Kopf. "Jetzt folgt er mir in meinen Gedanken sogar schon bis hier her."
Mit ihren hölzernen Sandalen, die sie von den freundlichen Dorfbewohnern zusammen mit einem Kimono, sowie ein paar anderen Textilien geschenkt bekam, nachdem sie sich als gute Freundin von Ryoga Hibiki vorgestellt hatte, tippelte sie in kleinen, aber schnellen Schritten über den erdigen Waldboden.
---
Anmerkung der Autorin:
So, Freunde der Nacht. Dieser Teil sollte eigentlich länger werden, aber dann habe ich mich doch dazu entschlossen, die weiteren Ideen in den nächsten Teil erst mit einzubringen. Das passt einfach besser zum Kapiteltitel. Na? Na? Schon rausgekriegt, was es mit den einzelnen Titeln auf sich hat? lol Derjenige, der's als erster herauskriegt, bekommt von mir einen großen Eisbecher! ^.~
Oh ja... der nächste Teil wird auch wieder etwas spannender. Versprochen. ~.~
Ranma blinzelte. Die rötlichen, lauen Strahlen der Abendsonne kribbelten leicht in seiner Nase. Etwas war anders als sonst, wenn er aufwachte. Der Boden war härter und sehr uneben und... klumpig? Anstatt des Dufts von Kasumis leckerem Frühstück, füllte sich seine Nase mit erdiger, feuchter Luft. Es roch nach Holz, nassem Holz und alten Pilzen. Langsam öffnete er die Augen. Erschrocken sprang er plötzlich auf. "WAS ZUR...?" setzte er erregt an, hielt aber abrupt inne als er durch die Lautstärke seiner eigenen Stimme einen stechenden Schmerz im Kopf verspürte. Nur aus dem Augenwinkel bemerkte er, dass etwas kleines Weißes aus einem der Knopflöcher seines Hemdes auf den Boden segelte. Stumm verfolgte er den Kurs des dünnen Blatt Papiers und rieb sich die Nase, als er sich schließlich hinunter beugte, um es aufzuheben. Neugierig faltete er es auseinander. Auf einmal umfasste er das Papier fester und zog es ganz straff, unfähig zu akzeptieren, was darauf geschrieben wurde. Mit rot anlaufenden Augen und zitternder Stimme las er laut vor:
"Mein Sohn, ich habe dich auf diese Trainingsreise geschickt, damit du zur vollkommenen Vollendung deiner Fähigkeiten als Martial Artist kommen sollst. Du befindest dich unmittelbar vor der sagenumwobenen 'Ninshiki no Izumi' - der Quelle der Erleuchtung. Ihre Macht ist stets ein unlösbares Rätsel gewesen. Verzeih deinem alten Vater, es führte kein Weg drum herum, dich KO zu schlagen. Ja, die Aufgaben eines Lehrers und Erziehers sind wahrlich oft nicht leicht zu meistern. Doch es führt alles zu deinem Besten, das wirst du früh genug selbst erkennen. Ranma, mein Junge, enttäusche mich nicht. Halte dich immer in der Nähe der Ninshiki no Izumi auf, um deinen Weg als Martial Artist zu finden."
Ein irres Lachen entfuhr Ranma als er seinen Kopf mit geweiteten Augen in den Nacken warf. "Ninshiki no Izumi? NINSHIKI NO IZUMI? Was soll das sein? Eine Art Gehirnwäschebad?" Außer sich stampfte er mit qualmendem Kopf von einem Bein aufs andere. "Oyaji... Der alte Sack will mich zum Idioten halten!" Knurrend zerknüllte er den kleinen Zettel und holte weit aus, um ihn mit einem kräftigen Wurf ins Nichts zu befördern, ließ jedoch nach kurzem Zögern seinen Arm sinken und blickte auf die krakeligen Zeilen, die sein Vater ihm hinterlassen hatte. Erschöpft lehnte er sich gegen einen Baumstamm und ließ sich langsam auf seinen Rucksack fallen, als ihm die Kraft aus seinen wackligen Beinen entfuhr. Mit einem tiefen Atemzug schloss er seine Augen und ließ die Geschehnisse der letzten 24 Stunden vor seinem inneren Auge Revue passieren.
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Nachdem er müde und verspätet von der Schule zurückgekehrt war, freute er sich nach dem anstrengenden Reinigungsdienst auf einen faulen Nachmittag mit Kasumis köstlichem Tee und ein paar Knabbereien. Wenn er sich erst gestärkt hatte, das wusste er, würde er Akane aus ihrem Zimmer locken und handeln. Irgendetwas würde er tun, irgendwie. Es musste eine Möglichkeit geben, um sie wieder zum Reden zu bringen. Die beißende Stille hielt er einfach nicht mehr aus. Sie machte ihn wahnsinnig, zerfraß ihn innerlich. Sich mit seiner 'Verlobten' zu streiten war eine Sache, von ihr auf kühle, gefühllose Art abgewiesen zu werden eine andere. Als er jedoch das Tendo- Haus betrat, wurde er von Kasumi informiert, dass Akane noch nicht zurück sei und sie auch keine Nachricht über die Dauer ihrer Abwesenheit hinterlassen hatte. Seufzend und demotiviert schleppte sich Ranma die Treppe hinauf und blieb vor ihrer Zimmertür stehen. "Akane...", schrie sein Herz verzweifelt, doch Ranma brachte nur ein Flüstern hervor, das er so leise und vorsichtig aussprach, dass er selbst es kaum hörte.
Beim Gedanken an das Mädchen mit den dunklen, seidigen Haaren und den großen, braunen Augen mischte sich ein Gefühl aus vertrauter, angenehmer Wärme und kalter, nackter Angst in ihm. Schutzsuchend zog er seine Schultern näher zu seinem Gesicht und spielte für einen Augenblick mit dem Gedanken, ihr Zimmer zu betreten und die Spuren ihrer Anwesenheit in sich aufzunehmen. Wie sehr wünschte er sich, er könnte kurz, nur für einen winzigen Moment, an ihrem Kopfkissen schnuppern, ihren süßlichen Duft einatmen... Aber nein. Wenn ihn jemand dabei ertappen würde, erkannte er, wären alle Chancen wieder normal mit ihr zu kommunizieren, ein für allemal dahin. Er seufzte schwer, unklar darüber, in welche Richtung des Hauses er sich bewegen sollte, als auf einmal Genma hektisch mit gepackten Rucksäcken angelaufen kam und eilig etwas von einer wichtigen Trainingsreise, die partout sofort anzutreten sein müsse, daher brabbelte. Ranma schaute durch seinen Vater hindurch und hörte ihm nur mit halbem Ohr zu. Er konnte nicht sofort abreisen. Was war mit Akane? Sollte er sich nicht von ihr verabschieden?
Ihm spukten die Ereignisse des Schultags im Kopf, während sein Vater nervös an seinem Ärmel zog.
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An jenem letzten Schultag vor den Ferien hatte er es erkannt. Akane hatte sich verändert. Sie war nicht mehr die selbe wie vorher. In ihrem Haus, ihrem Zimmer, ihrem Körper wohnte nun eine vollkommen neue Person. Zumindest war sie das ihm gegenüber. Mit gekräuselter Stirn stellte er fest, dass es keinesfalls so war, dass er die neue Akane nicht ausstehen konnte. Sie war ein süßes Mädchen, fleißig in der Schule und hatte ständig irgendwelche lustigen Ideen parat. Es war lediglich so, dass in ihm etwas fehlte. Verträumt fuhren seine Blicke über den Körper seiner Verlobten, als er ihr auf dem Weg zur Schule aus einer guten Entfernung still und heimlich hinterher schlich. Was blieben ihm noch für Optionen offen? Könnte er sie doch nur einmal wieder "Trottel" rufen hören. Mit einem traurigen Lächeln im Gesicht schüttelte er leicht seinen Kopf. "Kann es sein, dass mir jemand fehlt, den ich nicht ausstehen kann?" Der Gedanke, dass es ihm auf eine seltsame Art und Weise gefiel, sich mit einer bestimmten Person zu streiten, bereitete ihm ein sehr ungutes Gefühl. "Bin ich vielleicht wirklich pervers?" fragte er sich zögernd und rollte unsicher seine Augen von einer Seite zur anderen. Dann ließ er seinen Kopf sinken und vergrub seine Hände in den Hosentaschen, als er halbherzig einen Stein kickte. "Nein, das ist es nicht. Das KANN es nicht sein. Alles, worum es sich hier dreht, ist ein Kampf. Genau, es ist nichts weiter als ein Kampf." murmelte er. "Aber was kann ich tun, damit du wieder mit mir... Ehm ich meine, damit ich diesen Kampf gewinne?" Mit glänzenden Augen richtete er seinen Blick wieder auf die zierliche Gestalt, deren türkiser Rock mit jedem Schritt leicht aufwippte.
Sogar als Shampoo in der Mittagspause in die Schule kam und ihn vor den Augen der gesamten Klasse nach draußen auf die Wiese zerrte, um ihn dort mit Hausmannskost zu verwöhnen, hielt sich Akane zurück. Normalerweise kann er selbst es nicht ausstehen, wenn Shampoo so aufdringlich ist. Sie ist ganz sicher ein hübsches Mädchen und irgendwie süß. Aber auf unerklärliche Weise schüttelte er sich schon allein bei dem Gedanken, ihr nahe zu sein. Ihre ständigen Annäherungsversuche widerten ihn an. An diesem Tag jedoch wollte Ranma aufs Ganze gehen und Akanes schwächsten Punkt treffen. Er schickte Shampoo nicht sofort weg. Akane hatte sich noch nie zurückhalten können, wenn Shampoo um ihn herumtänzelte. Nicht mal damals, als sie ihr Gedächtnis verloren hatte. Aber diesmal schenkte Akane ihnen beiden nicht mal besondere Aufmerksamkeit. Er bemerkte, wie sie kurz herüber schaute und für den Bruchteil einer Sekunde trafen sich ihre Blicke. Es war etwas Seltsames in ihrem Gesichtsausdruck. Beinahe Erleichterung und noch etwas anderes. Aber warum? Aus welchem Grund sollte sie sich freuen, wenn Shampoo mit Ranma alleine sein wollte? Ranma hatte seine letzte und zugleich auch gefährlichste Waffe eingesetzt. Und sie verfehlte ihre Wirkung komplett. Dabei war er sich so sicher gewesen, dass Akane ihm bloß - für was auch immer - eins auswischen wollte mit dieser Schweigetaktik. Gegen Ende dieses 'Kampfes' wurde er immer verzweifelter, da seine Chancen auf den Sieg dahinschwanden. Als sie aber vollständig im Nichts versanken, war dieses 'Es' wieder da, ganz tief in seinem Bauch. Qualvoll begann es sich auszubreiten, kroch in jedes seiner Glieder, in jeden einzelnen Muskel. Konnte es sein, dass er tatsächlich verloren hatte? War dieses ganze seltsame Theater nun endlich vorbei? Verzweifelt versuchte er an diesem Hoffnungsstrang festzuhalten, wenn ihm auch eine innere Stimme ins Ohr flüsterte: "Sie möchte dich einfach nicht in ihrem Leben haben. Die ganze Zeit über hast du dir etwas vorgemacht und das weißt du auch." Ranmas Augen wurden leer und glasig als er der weisen Stimme lauschte. "Für sie war es nie ein Kampf."
Während Shampoo seine Hand nahm und ihn ungeduldig aus dem Klassenzimmer zerrte, wehrte er sich nicht. Wortlos schaute er Akane hinterher. Längst hatte sie sich wieder ihren Freundinnen zugewandt und stand mit dem Rücken zu ihm. Es vergingen nur wenige Sekunden, aber die Zeit schien still zu stehen. Er fokussierte sie, wanderte mit seinem Blick über ihr eigenartiges Katzenkostüm: die spitzen braun-schwarzen Plüschöhrchen, die sie sich mit einem Haarreif aufgesetzt hatte, das in den selben Farben gestreifte Schwänzchen, welches lustig hin und her wackelte, wenn sie sich nur ein wenig bewegte und die riesigen flauschigen Pfoten, die sie sich über Hände und Füße gestreift hatte und, wenn überhaupt, nur für eine Minute abnahm, um ihr Essen hastig herunterzuschlingen. Der Overall, den sie dazu trug, stand ihr überraschend gut. Er lag extrem eng an und betonte ihre zarte, weibliche Figur; die schmalen Schultern, den langen Hals, die Wespentaille. "Sie ist süß", flüsterte Ranma entgeistert, als die Bilder um ihn herum plötzlich wie hinter einem dichten Nebel verschwommen. Geistesabwesend realisierte er nicht, dass er sich längst nicht mehr im Schulgebäude befand.
Wie ein Zombie saß er stumm mit starrem Blick auf der Wiese und ließ sich von der chinesischen Amazone füttern, mit seinen Gedanken stets bei einem ganz anderen Katzenmädchen. Das, welches nie so nett und süß zu ihm sein konnte, wie jenes Katzenmädchen unmittelbar vor ihm. Die Verwirrung in seinem Kopf nahm überhand und ließ ihn in Gedanken sämtliche Erinnerungen, die er mit Akane teilte, bereisen. Er musste an diesen dämlichen Kochwettbewerb denken, der zwischen Akane, Ukyo, Shampoo und Kodachi stattgefunden hatte. Was hatte sie sich dabei gedacht? Als wenn sie auch nur die geringste Chance auf einen Sieg gehabt hätte? Bei ihren Kochkünsten... Dabei fiel ihm auch wieder ein, wie fürchterlich sie ihn vor einiger Zeit ständig drängelte, ihre "Kekse" zu kosten. Scheußlich waren die. Echt rücksichtslos von ihr, ihm so etwas vorzusetzen. Dann schweiften seine Gedanken weiter zu den unzählig vielen Schlägen in allen nur erdenklichen Variationen; mit schweren Holzhämmern, Tischen, Bratpfannen, Kannen, Fäusten, Küchengeräten,... Wann immer eine seiner anderen 'Verlobten' auftauchte und ihn anhimmelte, rastete sie aus. Sie war einfach hysterisch und brutal. Wenn es wenigstens einen vernünftigen Grund dafür gegeben hätte. Schließlich hasste sie ihn, das war nicht zu übersehen. Dennoch war sie allem Anschein nach eifersüchtig.
"Warum ist sie nur manchmal so unausstehlich?" murmelte Ranma wie in Trance vor sich hin, ohne Shampoo auch nur ein Fünkchen Beachtung zu schenken. "Wie kann man nur eifersüchtig sein, wenn man nicht mal..." Auf einmal leuchteten seine Augen auf. Konzentriert begann er all jene Erinnerungen, noch einmal zurückzurufen. Dieser Kochwettbewerb, der galt doch schließlich ihm. Er, Ranma Saotome, war der Hauptpreis. Sozusagen. Und die Kekse durfte niemand anderes probieren. Sie hatte sie extra für ihn gebacken und sich dafür sogar mehrere Backbücher gekauft. "Sie schien wirklich traurig gewesen zu sein, als ich sie erst nicht essen wollte", murmelte er weiter. "Und als ich es dann doch tat, erhellte sich ihr Gesicht vor Freude." Angestrengt überlegte er. Bisher hatte er immer vermutet, dass sie unwahrscheinlich schadenfroh gewesen sein musste, wenn sie sich so darüber freute, dass er dieses widerliche Gebäck herunterschlucken musste. Als er aber nun genauer darüber nachdachte, erkannte er, dass dieses strahlende Lächeln, das sie ihm damals geschenkt hatte, viel zu freundlich und warm war, als dass es einen derartig gemeinen Hintergrund haben könnte. Außerdem war es eigentlich gar nicht Akanes Art, so mies zu sein. Jedenfalls nicht in diesem Sinne. Schließlich konnte sie auch ganz schön fest zuschlagen, wenn die anderen Mädchen ins Spiel kamen und sie sich zwischen ihnen beiden drängten. Ranma hielt erschrocken seinen Atem an. Zwischen ihnen! Plötzlich fiel es ihm wie Schuppen von den Augen. "Sie hasst mich gar nicht. Sie ist einfach nur genauso stur wie i-- Ehh... sie will einfach nicht zeigen, dass sie mich mag. Oder zumindest, dass ich ihr nicht egal bin." Ein Lächeln legte sich über sein Gesicht. "Ob sie... mich mag?" fragte er sich und spürte deutlich, wie sich seine Wangen rot färbten, als er auf einmal etwas schweres an seiner Brust bemerkte. Erschrocken schaute er hinunter.
"Aiya! Aber Airen, natürlich mag Shampoo dich. Wir heiraten, ja?"
"Hyaaaaahh!!!!" Mit einem Sprung befreite sich Ranma von seiner aufdringlichen, selbsternannten 'Verlobten' und starrte sie aus einem mehr oder weniger sicheren Abstand von einigen Metern mit weit aufgerissenen Augen an. "Shampoo! Was machst du denn hier?" keuchte er atemlos.
Verwundert blickte sie ihn an und schien auf Anhieb die richtigen Worte nicht gefunden zu haben. Allein der Schulgong rettete ihn aus dieser unangenehmen Situation.
"Ich muss weg", rief Ranma eilig und verschwand mit schnellen Schritten im Schulgebäude. "Ob sie mich wirklich mag?" fuhr es Ranma wieder in den Sinn. Es begann seltsam in seinem Baum zu kribbeln. Hastig riss er die Tür zum Klassenzimmer auf. Glücklicherweise war der Lehrer noch nicht da. Sein Blick fiel als erstes auf Akane. Sie saß bereits auf ihrem Platz. Um sie herum standen ein paar Mädchen. Akane erzählte etwas und alle fingen an zu lachen. Auch sie. Vergnügt schloss sie ihre Augen und hielt sich schüchtern die leicht gekrümmten Finger vor ihren kleinen, roten Mund. Dann öffnete sie wieder fröhlich ihre Augen und setzte mit erhobenem Zeigefinger an, weiterzureden. In dem Moment sah sie ihn plötzlich vor sich stehen, lächelnd, aufgeregt und ein wenig so, wie er ihr so oft in ihren Träumen erschienen war. Sie hörte abrupt auf zu erzählen und ihre Mundwinkel sanken schlagartig nach unten. Mit auf ihm gerichteten Blick weiteten sich ihre Augen, als hätte sie einen Geist gesehen. Sofort stieg ihr die Röte ins Gesicht. Ihre Freundinnen stupsten sie leicht an, um sie aufzufordern, weiter zu reden, doch sie blieb still. Beschämt sank ihr Blick zu Boden. Sie fluchte. Ranma hatte es nicht gehört, aber er konnte es von ihren Lippen ablesen. Langsam verschwand auch sein Lächeln wieder. Auf dem Weg zu seinem Platz überlegte er, ob er denn total falsch gelegen hätte. Dann erst wurde ihm die Bedeutung ihrer Veränderung wirklich bewusst. Vielleicht hatte sie ihn irgendwann einmal gemocht. Aber nun war er ihr egal. Sie scherte sich nicht mehr darum, mit wem er sich traf oder wessen Essen er zu sich nahm. Sie wollte nichts mehr mit ihm zu tun haben. Aber warum auf einmal? Was hatte er in letzter Zeit anders gemacht als früher?
"Seit dem Tag, an dem ich hier angekommen bin", dachte er sich "hatten wir uns immer nur gestritten. Oder fast immer. Sie hat mich beleidigt und mich geschlagen. Ich hätte wohl auch netter zu ihr sein können. Obwohl es stimmt, sie ist tatsächlich ein Machoweib. Oder 'war' sie es eher? Kann es denn sein...? Seit wir uns kennen, habe ich mich ständig darüber aufgeregt und mir gewünscht, dass sie anders wäre. Und jetzt..." Er runzelte die Stirn. In seinen Augen glänzte für einen Moment etwas auf, das wie Furcht aussah. "Jetzt vermisse ich dieses 'unausstehliche Machoweib'...".
Der Unterricht hatte bereits angefangen. Er schaute zu Akane, die wieder in ihrer normalen Schuluniform dasaß. Ihr dunkles Haar hing glänzend über ihrem zierlichen Nacken. Mit dem Kopf nur leicht zu ihr geneigt und dem Kinn in die Hand gestützt beobachtete er, wie sie sich einen Stift nahm, um aufzuschreiben, was der Lehrer diktierte. Ihre Haltung, jede ihrer Bewegungen war so anmutig und doch nahm er ein leichtes Zittern ihrer Hände wahr. Ob sie wirklich so konzentriert beim Unterricht war, wie sie vorgab? Sie wirkte so lieb und unschuldig, wie nie zuvor - in wachem Zustand.
"Woran sie wohl gerade denkt?"
Als sie sich zu ihrer Tasche hinunterbeugte und sich dafür leicht zur Seite drehte, erkannte er ihr Profil und bemerkte wieder dieses seltsame Etwas in ihrem Gesicht. "Ach Akane...", seufzte sein Herz als seine Augen und all seine Sinne nicht von ihr lassen konnten.
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Ranma war nicht mehr dazu gekommen, sich näher mit den Überlegungen der letzten Schulstunde auseinander zu setzen. Er konnte sich noch nicht mal dazu entscheiden, ob er Akane ganz offen auf ihre Veränderung ansprechen sollte, denn sein Vater bestand darauf, dass sie ohne jede Verzögerung auf der Stelle abreisten. Als Ranma sich allmählich sammelte und ihn wütend nach dem Grund für die plötzliche Hektik fragte, bekam er jedoch keine Antwort, da Genma es wieder einmal vorgezogen hatte, die Welt als Panda zu durchforsten. Ranma hatte seine Ausreden und sein peinliches Verhalten so satt und war drauf und dran, ihn wie so oft zuvor mit einem kräftigen Tritt in des Pandas Allerwertesten in den Gartenteich zu befördern, hielt dann aber im letzten Moment inne und seufzte resigniert.
Er schaute zu Akanes Zimmertür, zu ihrem Namensschildchen in Form einer kleinen gelben Ente, zu dem Türgriff, den sie jeden Tag scheinbar so bedeutungslos mit ihren zarten, kleinen Händen berührte. Einen Augenblick lang war er still und ignorierte das nervöse Tanzen des dicken Pandas, der bereits in Aufbruchstimmung war. Sehnsüchtig stellte Ranma sich vor, wie es wäre, wenn alles wieder beim Alten sein würde. Wäre sie zu diesem Zeitpunkt zuhause gewesen, dann hätte er an ihre Tür geklopft. Und sie hätte ihm daraufhin geöffnet und ihn überrascht mit ihren großen, braunen Augen angeschaut. Oder sie hätte ihn frech angelächelt und gefragt, ob sie ihm wieder bei den Hausaufgaben helfen sollte. Am wahrscheinlichsten aber war, dass sie ihn wütend zurück zu Shampoo geschickt und ihn dann als Perversen beschimpft hätte. Aber sie war nicht da. Und selbst wenn, würde sie nicht mit ihm reden, ihn nicht ansehen, ihm noch nicht einmal öffnen. Er fasste sich an den Bauch, als der Schmerz stechend wurde. "Warum" - diese Frage wollte partout nicht seinen Kopf verlassen. Traurig sanken seine Lider, als er die Antwort für sich entdeckt hatte. "Ich schätze, ich habe sie wohl ein Mal zu oft verletzt." Angestrengt schluckte er in dem Versuch, den Schmerz, den er empfand irgendwo tief in sich zu vergraben. Alles, was er sich in diesem Augenblick wünschte, war noch eine zweite Chance, war noch einmal Akanes helles, freundliches Lächeln zu sehen, das nur an ihn gerichtet war. Diesmal würde er zurücklächeln, er würde...
"Etwas Abstand kann vielleicht nicht schaden", sprach er in Gedanken zu sich selbst. "Alles, was ich jetzt tun kann, ist ihr etwas Zeit geben. Und ein gutes hartes Training lenkt mich sicher für eine Weile ab." Überrascht bemerkte er, dass er noch immer auf die geschlossene Tür starrte. Kopfschüttelnd wandte er sich zu seinem Vater und gab ihm bescheid, dass sie los könnten. Er erreichte bereits die Treppe, als er sich noch einmal umdrehte und sich ein letztes Mal Akane im Türrahmen stehend vorstellte. In diesem Augenblick gestand er sich endlich ein, was er so lange Zeit verleugnet hatte: "Ich mag sie. Ich brauche sie."
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Und nun war er also hier, irgendwo in einem dichten Wald in den Bergen. "Was hat sich Oyaji nur dabei gedacht?" fragte er sich. "Erst ist er ganz wild darauf, mit mir hierher zu kommen und dann verschwindet der Alte plötzlich spurlos, nachdem er mich KO geschlagen hat." Vorsichtig tastete er sich über den Kopf und fand eine dicke Beule. "Ob er sich wieder als Panda von irgendeinem armen Kind aushalten lässt?" Entnervt stöhnte er bei dieser Vorstellung.
Aus der Ferne hörte er das Plätschern eines kleinen Wasserfalls. "'Ninshiki no Izumi', ja? So ein Blödsinn. Warum hat er mich an diesen bescheuerten Ort gebracht? 'Halte dich immer in der Nähe der Quelle der Erleuchtung auf, um deinen Weg als Martial Artist zu finden' schreibt dieser Trottel mir auf einen Zettel und dann haut er einfach ab. Toller Vater!" Wütend sprang er auf und boxte in den Baumstamm. Die idyllische Stille des Waldes wurde für einige Momente unterbrochen. "Was hat das denn mit Martial Arts zu tun, wenn ich in diesem blöden kleinen Gewässer bade?" Er ließ seine Faust sinken. "Komisch ist es allerdings schon. Ich habe bisher noch nie eine heiße Quelle mit Wasserfall gesehen." Nach einer kurzen Pause zuckte er schwerfällig mit den Schultern. "Aber ich bin schließlich hier, um zu trainieren und nicht, um irgendwelche Touristenattraktionen zu bestaunen. Sobald ich Paps gefunden habe, muss ich dringend von hier verschwinden. Das ist die reinste Zeitverschwendung, wo ich doch so viel zu klären habe mit Akane." Akane... Seine Gesichtszüge wurden weicher als ein heller Schimmer über seine Augen fuhr. Etwas bitterlich lachte er in sich hinein und massierte sich seine leicht schmerzende Stirn mit Daumen und Mittelfinger. "Egal wo ich auch hingehe, vergessen kann ich sie sowieso nicht."
Im selben Augenblick nahm er ganz in der Nähe von sich Schritte wahr. Suchend drehte er sich in alle Richtungen um bis er plötzlich ein Mädchen sah, dass mit kleinen, aber schnellen Schritten an ihm vorüber huschte. Er sah sie nur von hinten, aber irgendwie kam ihm diese Gestalt bekannt vor. Halbherzig bemühte er sich einen Moment lang sich zu erinnern.
"Na klar, warum ist mir das nicht früher eingefallen?" Er tippte sich an den Kopf und kicherte, als er ihren purpur-roten Kimono, die hölzernen Sandalen und das blaue, dünne Tuch, das sie sich um den Kopf gewickelt hatte beobachtete. "Sie sieht aus wie eine von diesen chinesischen Puppen!" Bestätigend nickte er zu sich selbst, gab sich jedoch aus einem unerfindlichen Grund nicht ganz zufrieden mit dieser Erklärung. Seine Gedanken über eventuelle Ähnlichkeiten schob er aber schnell beiseite, da ihm plötzlich eine Idee kam. "Sie sieht nicht gerade so aus, als wäre sie wie ich auf Trainingsreise. Das heißt, hier muss es irgendwo in der Nähe ein Dorf geben. Vielleicht kann ich von dort aus ja zuhause anrufen und fragen, ob sich dieser faule Panda wieder hat blicken lassen."
"Hey, du! Warte doch mal kurz!" rief er und war gerade dabei, auf das Mädchen zuzulaufen, als plötzlich ein älterer Herr neben ihm auftauchte und ihn freundlich anlächelte.
"Kann ich Ihnen irgendwie behilflich sein, Fremder?" sagte er mit einer wohligen, warmen Stimme.
Ranma stutzte und wandte sich ihm zu, ohne das Mädchen weiter zu beachten. So schnell wie sie gelaufen war, hatte sie ihn sowieso nicht mehr gehört, dachte er sich. Vor sich sah er einen alten Mann mit einem langen Bart stehen. So weiß wie sein Haar war auch sein knöchellanges Gewandt.
"Eeehm", fing er geistreich an. "Ja, tatsächlich könnten sie das. Ich müsste dringend mal jemanden anrufen. Gibt es hier in der Nähe ein Telefon?"
Der Mann schaute ihn unverwandt an. "Sie werden verzeihen, aber sie müssen sich doch erinnern, wie sie hierher gekommen sind. Und da gibt es sicher ein Telefon, junger Herr."
Ranma rollte mit den Augen. "Ja schauen sie. Dieser dumme Panda hat mich an diesen Ort gelockt und mich dann KO geschlagen, weil ich wieder nachhause wollte. Dann schleppte er mich hierher, als ich noch bewusstlos war und hinterließ mir nur diesen blöden Brief, ehe er sich einfach aus dem Staub gemacht hat!" Kopfschüttelnd wedelte er mit einem kleinen dünnen Blatt Papier. "Tss... Und so einer nennt sich Vater. Ist doch echt unglaublich, oder? Das grenzt ja an Körperverletzung."
"Das grenzt an...", begann der ältere Mann langsam zu wiederholen, als ihn die Sprache für einen Augenblick verließ. Er konnte seinen erstaunten Blick nicht von der riesigen Beule an Ranmas Stirn lassen, die in den blassen Sonnenstrahlen, welche durch die Äste drangen, in einem kräftigen Purpur leuchtete. So etwas hatte der Fremde ganz sicher noch nie gesehen. Und wenn doch, dann sicher nicht an einer Person, die bei vollem Bewusstsein ist und allem Anschein nach nicht einmal größere Schmerzen verspürt. Dann wandelte sich sein Gesichtsausdruck in Besorgnis. "Ganz ruhig, mein junger Freund. Sie meinen also, ihr Vater sei ein Panda und hat sie bewusstlos im Wald ausgesetzt?"
Ranma ließ seine Schultern hängen und stieß einen schweren Seufzer aus. "Oh man, ich hab' echt Erholung nötig" sagte er nach der Erkenntnis, dass er viel zu viel verraten hat.
Der alte Mann schlussfolgerte, dass sich der junge Fremde mit dem dunklen Zopf eine schwere Kopfverletzung zugezogen hatte und bloß halluzinierte. So beschloss er, sich seiner anzunehmen. "Ganz ruhig, ganz ruhig. Das wird schon alles wieder. Zunächst einmal werde ich Sie in mein Dorf bringen." Mit einem skeptischen Blick neigte er seinen Kopf zur Seite und murmelte verstohlen hinter seinen dichten, weißen Barthaaren: "Da werden Sie dann erst mal einen Beruhigungstee bekommen."
Ranma schaute zu ihm auf. "Aber was ist nun mit dem Telefon?"
"Ja, Telefone gibt es dort auch." Er nickte und machte eine Geste. "Folgen sie mir einfach. Und passen Sie auf, dass sie über keine Wurzel stolpern."
"Ehm... Klar!"
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"Komisch." Akane drehte sich um, erblickte aber niemanden. Verwundert lief sie ein paar Schritte zurück, schaute sich in allen Richtungen um, doch es war weit und breit keine Menschenseele zu sehen. Dann machte sie ihren Weg zurück zur Hütte.
Nachdenklich tippte sie sich mit der Spitze ihres Zeigefingers ans Kinn. "Ich hätte schwören können, Ranmas Stimme gehört zu haben." Ungläubig schüttelte sie ihren Kopf. "Jetzt folgt er mir in meinen Gedanken sogar schon bis hier her."
Mit ihren hölzernen Sandalen, die sie von den freundlichen Dorfbewohnern zusammen mit einem Kimono, sowie ein paar anderen Textilien geschenkt bekam, nachdem sie sich als gute Freundin von Ryoga Hibiki vorgestellt hatte, tippelte sie in kleinen, aber schnellen Schritten über den erdigen Waldboden.
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Anmerkung der Autorin:
So, Freunde der Nacht. Dieser Teil sollte eigentlich länger werden, aber dann habe ich mich doch dazu entschlossen, die weiteren Ideen in den nächsten Teil erst mit einzubringen. Das passt einfach besser zum Kapiteltitel. Na? Na? Schon rausgekriegt, was es mit den einzelnen Titeln auf sich hat? lol Derjenige, der's als erster herauskriegt, bekommt von mir einen großen Eisbecher! ^.~
Oh ja... der nächste Teil wird auch wieder etwas spannender. Versprochen. ~.~
