"Doppelleben" - eine Ranma ½ Fanfiction

von WASABAH!!!



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Legaler Hinweis oder Disclaimer:

Ranma ½ und alle damit verbundenen Charaktere und Geschehnisse sind

Eigentum von Rumiko Takahashi, Shogagukan, Viz und Ehapa. Ich habe keinerlei

Rechte daran und werde diese Fanfiction nicht aus finanziellem Zweck schreiben.

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So, endlich bin ich dazu gekommen, einen weiteren Teil von Doppelleben zu schreiben, mehr oder weniger pünktlich zu Sylvester! :D Der Teil ist mir irgendwie zu lang geworden, bzw. die Handlung schreitet zu wenig voran. Ich hoffe, dass er euch trotzdem gefällt. Ich weiß, dass es lange gedauert hat, bis dieser Teil gekommen ist, aber mein Computer ist leider kaputt und daher kann ich nur an dem PC meiner Mutter weiterschreiben...Allerdings ist mein großer Bruder samt Freundin über Sylvester nach hause gekommen, so dass dieser Computer nicht immer frei ist und ungestörtes Arbeiten manchmal doch nicht möglich ist. Meine neue Hardware ist aber schon bestellt, nur sind da immer diese blöden Feiertage! _ Auf jeden Fall steht die Handlung bis zum bitteren Ende jetzt mehr oder weniger genau in meinem Kopf fest, und wenn es so weitergeht, werden das glaube ich doch noch einige Kapitel mehr als eigentlich geplant. ^^ So, dann will ich mal aufhören, euch zuzutexten (Liest das hier überhaupt jemand? Wenn ja, würde mich das doch sehr freuen ) und euch lieber einen guten und problemlosen Rutsch ins neue Jahr wünschen! Und jetzt viel Spaß beim Lesen! P.S.: Ich freue mich über jeden einzelnen Kommentar, ob er nun positive oder negative Kritik enthält! Also bitte scheut euch nicht!

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Kapitel 11 - Reise in die Höhle des Löwen: Der Ausruf verlor sich im Wind, der mit einem Mal aussetzte. Kein Blättchen regte sich. Leicht vorgebeugt und mit weit aufgerissenen Augen saß Alexandra da und versuchte, die Information zu verarbeiten. Erst nach einiger Zeit gewann sie ihre Fassung zurück. "Ge.Geschwister?", hauchte sie kaum hörbar. "Ja.", antwortete Lars leise. "Dieser Junge, mit dem du die Sandschule gebaut hast, das war ich. Als du es erwähnt hast, konnte ich mich plötzlich daran erinnern, als wäre es erst gestern gewesen." Alexandras Augen weiteten sich immer mehr. "Aber.das heißt ja.". Ihre Stimme erstarb, so dass Lars ihren Satz aufgriff und weiterführte: "Dass du jahrelang in unmittelbarer Nähe deiner Eltern gelebt hast, und du sie wieder sehen kannst, sobald sie von ihrer Kreuzfahrt wiederkommen." Alexandra runzelte die Stirn. "Aber haben sie dir denn nie erzählt, dass du eine Schwester hast? Haben sie nie nach mir gesucht?" Lars senkte traurig den Kopf, wodurch Alexandra die Antwort schon wusste, bevor Lars sie überhaupt über die Lippen brachte. Langsam wurden ihre Augen feucht. "Nein.", flüsterte Lars. Eine Träne stahl sich aus Alexandras Auge. Schnell wischte sie sie mit dem Ärmel ab. Doch Lars hatte es bemerkt und meinte mitfühlend: "Du brauchst dich deiner Tränen nicht zu schämen, mir ist auch zum Heulen zumute. Weine dich ordentlich aus, das ist manchmal ungemein befreiend." Alexandra fing an zu schluchzen und warf sich Lars an die Brust. Langsam legte Lars seine Arme um ihren zitternden, bebenden Körper und drückte sie an sich. Er hatte mit einem Mal einen dicken Kloß im Hals. Er schloss die Augen und umklammerte Alexandra ein wenig fester. All die Jahre hatte er eine Schwester gehabt, ohne es zu wissen. Was hätten sie nur für eine schöne Zeit miteinander erleben können! Mit der Zeit erstarben Alexandras Schluchzer. Lars konnte regelrecht fühlen, wie sich ihr Körper entspannte. Nach einer Weile hielt Lars sie ein Stückchen von sich und entdeckte mit einem Lächeln auf den Lippen, dass sie eingeschlafen war. Vorsichtig hob Lars sie hoch und trug sie in das Schlafzimmer, wo er sie sanft in die weichen Kissen bettete. Liebevoll deckte Lars Alexandra zu und betrachtete sie dann noch lächelnd eine Weile. Schließlich stand er leise seufzend auf und verließ das Zimmer. Als er die Tür schloss, erhaschte er noch einen letzten Blick auf ihr friedliches Gesicht. Unwillkürlich musste er grinsen. Es war ein tolles Gefühl, Geschwister zu haben. Lars trat wieder an das Geländer des kleinen Balkons und sah zu den Sternen am dunklen Nachthimmel hinauf. Eine Weile blieb er so regungslos und mit den Gedanken völlig woanders stehen. Er wusste einfach nicht, was er von dieser Sache halte sollte und wie er sie einordnen sollte. Fragen über Fragen, auf die er keine Antwort fand, schwirrten durch seinen Kopf. Dann, wie um alle Probleme von sich abzustreifen, schüttelte er sich. Shampoo kam ihm wieder in den Sinn, er hatte sie wegen den letzten Vorkommnissen fast vergessen. Entschlossen schwang Lars sich über das Geländer des Balkons und segelte dem Boden entgegen. Weich und lautlos landete er im Gras. Langsam richtete Lars sich auf und ging einige Schritte auf die Wiese, um sich Platz zu verschaffen. Er rutschte in die Grundkampfstellung. Er hatte noch viel vor sich, da konnte er mehr als nur genug Training gebrauchen. Stundenlang trainierte er an seinen Kampftechniken. Als die Morgendämmerung einsetzte, legte Lars eine kurze Pause ein, um den rötlichen Sonnenaufgang zu beobachten. Doch schon bald darauf bewegte er sich wieder lautlos über das vom Morgentau benetzte Gras. Das Training machte Lars allgemein Spaß, doch an diesem Morgen war etwas anders. Die Stille, die ihn umgab, seine Einsamkeit, das feuchte Gras und die aufgehende Sonne, all das brachte eine eigenartige Atmosphäre voller Ruhe und Sinnlichkeit, die man einfach nur genießen konnte. Lars trainierte weiter, doch irgendwann überkam ihm das unangenehme Gefühl, beobachtet zu werden. Er ließ seinen Blick schweifen und entdeckte kurz darauf Alexandra, die ihm, locker auf das Balkongeländer aufgestützt, zusah. Lächelnd winkte sie ihm zu und rief: "Hast du Hunger? Das Frühstück ist fertig!" Erfreut rief Lars "Ich komme!" und lief auf das Reihenhaus zu. Blitzschnell kletterte er von über einen Balkon in der ersten Etage hinauf auf den von Alexandra. Die sah ihn ein wenig erstaunt und überrumpelt an, als Lars so plötzlich vor ihr auftauchte. "Guten Morgen!", grinste Lars sie an. "Ja, Guten Morgen.", antwortete Alexandra. "Wollen wir gleich essen?" Lars gähnte herzhaft und meinte dann: "Ich gehe erst noch duschen, einverstanden? Ich will mir keine Erkältung holen und wirklich appetitlich ist es auch nicht, wenn ich so verschwitzt am Frühstückstisch sitze, oder?" Alexandra stimme grinsend zu, in dem sie nickte. "Ich mache dir dann schon mal einen Kaffee!", rief sie ihm noch über die Schulter hinweg zu, denn sie war schon auf dem Weg in die Küche. Lars begab sich ins Badezimmer, entkleidete sich und genoss das heiße Wasser, wie es an seinem Körper hinunterrieselte. Zweimal sackte ihm sein Kopf vor lauter Müdigkeit auf die Brust, er konnte sich aber immer noch rechtzeitig zusammenreißen. Um ein wenig wacher zu werden, stellte er das Wasser auf kalt um. Zitternd hielt Lasso dem unerbittlichen Strahl eine halbe Minute lang stand, doch dann wurde es ihr zu viel und sie drehte das Wasser ganz ab. Verschlafen stolperte sie aus der Dusche, trocknete sich ab und zog sich an. Mit tief herunterhängenden Armen und halb geschlossenen Augen tapste sie ins Esszimmer, wo sie sich seufzend am Frühstückstisch niederließ. Alexandra war noch in der Küche zugange, rief aber schon kurz darauf: "Der Kaffee ist gleich fertig!" Eine gute Minute später kam sie aus der Küche und blieb ruckartig stehen, als sie Lasso erblickte. Der Mund klappte ihr auf und ihre Augen weiteten sich. Beinahe wäre ihr die Kaffeekanne, die sie in der Hand hielt, heruntergefallen. Lasso bemerkte all dies nicht, sondern ließ ihren Kopf verdächtig weit nach unten hängen. Schließlich errang Alexandra ihre Fassung wieder und fragte nervös: "Entschuldigung? Aber wer sind sie?" Lasso zuckte zusammen und sah dann mit verschlafenen Augen auf. "Wer ich bin? Lars, dein Bruder! Wer denn sonst?" Mit großen Augen starrte Alexandra ihn an. "Aber.aber du bist doch ein Mädchen!" Lasso schreckte hoch und sah dann an sich herunter. Das fremde Mädchen murmelte verärgert etwas, was Alexandra jedoch nicht verstehen konnte. Dann stand es auf und verschwand mit den Worten "Warte, ich zeige dir etwas!" in der Küche. Völlig verwirrt starrte Alexandra dem Mädchen hinterher. Wie war es in ihre Wohnung gekommen? Sie schreckte auf, als sie bemerkte, dass das Mädchen mit einem Topf voll dampfendem Wasser vor ihr stand und etwas zu ihr sagte. "Pass auf und sieh jetzt genau hin!". Das Mädchen kippte sich das kochende Wasser über den Kopf, bevor Alexandra reagieren konnte. Erstaunt schnappte sie nach Luft, als sich das Mädchen plötzlich in Lars verwandelte. Verlegen grinste er sie an und meinte: "Lass uns doch erst einmal anfangen zu essen, ich verhungere gleich. Dabei erzähle ich dir dann die ganze Geschichte!"

Immer noch konfus stimmte Alexandra zu und füllte ihnen beiden Kaffee ein, bevor sie sich wie Lars ebenfalls setzte. Während sie aßen erfuhr Alexandra dann alles über den Fluch, der Lars anlastete. Nachdem sie zu zweit den Tisch abgedeckt hatten, setzten sie sich auf das Sofa und sahen ein wenig fern. Lars war schon so gut wie eingeschlafen, als Alexandra ihn aufgeregt anstieß. "Schau dir das mal an!" Lars schreckte auf und folgte mit seinem Blick Alexandras Finger, der auf den Fernseher gerichtet war. Erst realisierte er vor lauter Müdigkeit gar nicht, was seine Augen da sahen. Doch mit einem Mal wurde es ihm bewusst und er jappste erschrocken auf. ".Diese unglaublichen Bilder vom Olympiastadion werden live von unserem wagemutigem Kamerateam aus einem Helikopter übertragen." Verwackelt kam das Olympiastadion in Sicht, war aber kaum noch als solches zu erkennen. Nur mit viel Fantasie konnte man sich die Aufbauten unter der gewaltigen Kuppel aus Metall, deren Oberfläche in ständiger Bewegung schien, vorstellen. Es war dasselbe Stadion, dass ihm der Engel gezeigt hatte, nur dass die Metallkuppel keine Löcher mehr aufwies und nur noch vereinzelt Menschen auf das Stadion zugingen und darin verschwanden. "Da muss Shampoo irgendwo drin sein!", flüsterte Lars entsetzt. Alexandra wollte gerade fragen, wie Lars auf die absurde Idee kam, dass sich in dem Gebilde Duschshampoo befand, als ihr Blick erneut von den Geschehnissen im Fernseher gefesselt wurde. Der Helikopter flog immer tiefer, bis er dicht über der Kuppel schwebte. Die Kamera schwenkte zitternd auf die Oberfläche des Gebildes, doch plötzlich löste sich blitzschnell etwas aus der Kuppel. Alexandra hätte schwören können, dass die Oberfläche sich bewegte, als wäre sie lebendig. Sekundenbruchteile später wurde die Kamera herumgerissen, so dass verwackelt das Cockpit des Helikopters ins Blickfeld kam. Es war kurz eine verschwommene Gestalt, Alexandra nahm an, dass es der Pilot war, zu erkennen. Dann wurde mit einem Schlag alles Rot. Abrupt war mit einem Mal nur noch Schnee zu sehen. Eine Totenstille lastete auf dem Raum, Lars und Alexandra starrten immer noch fassungslos auf den Fernseher. Plötzlich war die Moderatorin wieder zu vernehmen. "Oh mein Gott! Ähm.Das war der Livebericht unserer Kollegen vor Ort." Alexandra schaltete den Fernseher ab. Langsam ließ sie die Hand mit der Fernbedienung sinken und starrte in die Ferne. Sie erschrak fast zu Tode, als Lars plötzlich rief: "Ich muss die Invasion stoppen und Shampoo retten! Ich muss sofort los!" Im nächsten Augenblick lag er schnarchend auf dem Sofa.

Ryogas Kopf brummte. Irgendetwas Schweres lag auf seinem Bauch. Stöhnend rieb er sich den Kopf und öffnete dann langsam die Augen. Kurz verschwommen, dann klar wie eh und je sah er in einen blauen, bis auf ein paar Ausnahmen wolkenlosen Himmel hinauf. Langsam und immer noch leicht benommen hob er den Kopf und entdeckte, dass Ukyo quer auf ihm lag. Sie hatte ihre Augen geschlossen, ihre langen Haare schlängelten sich wirr um ihren Kopf herum. Ryoga konnte nicht anders als beim Anblick dieser friedlichen Schönheit zu lächeln. Langsam streckte er die Hand aus und legte sie vorsichtig auf Ukyos Kopf. Leise, um sie nicht zu abrupt zu wecken, sprach er sie an: "Hey, Ukyo! Wach auf!" Nach einigen Sekunden regte sich Ukyo leicht und schlug schließlich langsam die Augen auf. Sie brauchte eine Zeit, um zu realisieren, wo sie sich befand und rutschte dann langsam von Ryoga herunter, um sich aufzusetzen. Verwirrt sah sie sich um. "Wo sind wir hier?", fragte sie Ryoga. Der richtete sich ebenfalls auf und sah sich erstaunt um. Erst jetzt bemerkte er, wo sie waren. Sein Blick schweifte von einem Geschäft zum nächsten. Sie saßen mitten auf einer Einkaufsstraße. "Ich.ich weiß nicht! Es scheint aber irgendeine Großstadt zu sein." Noch während er sprach, entdeckte er Akane und Ranma, die einige Meter von ihnen entfernt auf dem Asphalt lagen. "Hey, Ukyo!", machte Ryoga sie auf die beiden aufmerksam und ging dann zu ihnen. Während er Ranma vorsichtig weckte, tat Ukyo es ihm mit Akane gleich. Nicht minder verwirrt, als Ukyo und Ryoga es eben gewesen waren, sahen sich die beiden um. "Sind wir in einer anderen Welt?", fragte Ranma unvermittelt. "Akane, wo sind wir?", fragte er sie barsch. Akane sah ihn mit großen Augen erstaunt an. "Woher soll ich das denn wissen?" Ranma antwortete gereizt: "Du hast uns doch hierher gebracht, indem du dieses Portal aus dieser komischen Metallkugel heraufbeschwört hast!" Akanes Augen weiteten sich noch ein wenig mehr. "Beschwört? Ich?", fragte sie verwundert. "Willst du etwa sagen, dass du dich nicht mehr daran erinnern kannst?", entgegnete Ranma ihr mit einer Gegenfrage. "Woran erinnern?" Ranma runzelte die Stirn. "Daran, dass du mitten beim Essen aufgestanden bist, deine - übrigens verdammt heiße - Suppe in alle Richtungen verteilt hast, irgendwelche Zauberformeln gemurmelt hast, ein Schutzschild oder was das auch immer war um dich herum errichtet hast und letztendlich eine Art Tor geöffnet hast und einfach hindurchmarschiert bist!" Akane sah ihn verwundert an. "Nein, daran kann ich mich nicht erinnern. Aber du brauchst nicht gleich so gereizt zu reagieren!", schwang ein leicht verärgerter Unterton in ihrer Stimme mit. Mit einem Mal schrie Ranma, so dass die drei anderen erschrocken zurückzuckten: "Ich bin nicht gereizt verdammt! Ich will nur verflucht noch mal wissen, wo wir sind!" Verletzt schaute Akane zur Seite. Dann hob sie den Kopf wieder und funkelte Ranma wütend an. "Da bist du nicht der Einzige! Und woher soll ich wissen, wo wir sind? Ich kann mich noch nicht einmal mehr daran erinnern, was überhaupt passiert ist! Dann trifft mich ja wohl keine Schuld!" Ranma, der ohnehin schon in Rage geraten war, regte sich immer mehr auf. "Wer hat sich denn diesen blöden Ring an den Finger gesteckt?", deutete er auf den Ring, der Akanes Hand zierte. "Hat dir keiner beigebracht, dass man unbekannte Sachen, vor allen Dingen wenn sie mit einer selbstrollenden Metallkugel ins Haus gerollt kommen, nicht einfach so anfasst und benutzt?" Ukyo und Ryoga wurde die Unterhaltung immer unangenehmer, denn Ranma und Akane waren beide sichtbar wütend und die Konversion auf bestem Wege, in einem Streit zu enden. Wutentbrannt sprang Akane auf und zischte: "Willst du etwa sagen, dass ich an all dem Schuld bin?" Ranma tat es ihr gleich und stand langsam auf. "Oh ja, das bist du, du verdammtes Machoweib! Wer denn sonst?" Schon im nächsten Augenblick bereute Ranma, was er gesagt hatte, denn er fing, wenn auch nur kurz, Akanes verletzten Blick auf. Im nächsten Moment verpasste sie ihm eine schallende Ohrfeige. Sofort darauf drehte Akane sich abrupt um und rannte davon, wobei eine glitzernde Träne zu Boden fiel. Mit tiefer Betroffenheit sah Ranma Akane hinterher und legte seine Hand auf die brennende Wange. "Akane! Komm zurück!", rief Ukyo ihr erfolglos hinterher. Wütend drehte sie sich zu Ranma um. "Jetzt lauf ihr schon hinterher und entschuldige dich!" Doch Ranmas alte Sturheit kam wieder zutage und so erwiderte er: "Pah! Soll dieses Machoweib doch selber sehen, wo es bleibt!" Ryoga seufzte leise, nur zu gut konnte er sich noch an die alten Zeiten erinnern. Er sah die Straße hinunter, auf der Akane verschwunden war. "Hat jemand gesehen, in welche Richtung sie gelaufen ist?", fragte er nüchtern in die Runde. Ukyo und Ranma schüttelten den Kopf. "Na toll! Hat jemand eine Idee, wie wir sie jetzt finden sollen?" Ein betretenes Schweigen machte sich breit. "Dann lasst uns zusammenbleiben und nach ihr suchen!", meinte er und marschierte los. Ukyo lief ihm hinterher, packte ihn bei den Schulter und drehte ihn einmal um einhundertachtzig Grad herum. "In die Richtung ist Akane gelaufen, du kleiner Trottel!", flüsterte sie, wobei sie ein Kichern nicht unterdrücken konnte. Verlegen grinste Ryoga und ließ sich dann von Ukyo führen, indem sie sich bei ihm einhakte. Ranma trottete ihnen mürrisch hinterher, in seinem Inneren aber machte er sich heftigste Vorwürfe. Keiner von ihnen merkte, dass die Straßen menschenleer waren und sie aus vielen Fenster beobachtete wurden.

Lars rekelte sich genüsslich und schlug dann langsam die Augen auf. Er brauchte eine Weile, um zu begreifen, dass er, gewärmt von einer Decke, auf dem Sofa in Alexandras Wohnung lag. Ruckartig setzte er sich auf, als ihm die letzten Ereignisse wieder einfielen. In diesem Augenblick kam Alexandra lächelnd aus der Küche, bestrahlt von den goldenen Sonnenstrahlen, die durch die Glastür zum Balkon in das Zimmer fielen, und wünschte ihm einen guten Morgen. "Guten Morgen! Wie lange habe ich geschlafen?", fragte Lars sofort. "Einen Tag! Du musst wirklich ziemlich müde gewesen sein! Ich wollte dich ja noch in mein Bett verfrachten, aber dazu bin ich wohl zu schwach und wecken wollte ich dich auch nicht.", erwiderte sie strahlend. Lars sprang entsetzt auf und rief: "Ich muss sofort los! Ich muss Shampoo retten!" Dann dachte er plötzlich angestrengt nach und fragte Alexandra: "Wo ist dieses Stadion überhaupt?" Unwillkürlich musste sie lachen. "In München!" Wieder dachte Lars nach. "Ähm.und wie weit ist das von hier?" Jetzt war es an Alexandra, kurz nachzudenken. "Ich weiß nicht genau. Aber so an die siebenhundert Kilometer dürften es schon sein! Mit der Bahn braucht man ungefähr sechs Stunden von hier aus." Entgeistert starrte Lars sie an. Dann fasste er einen Entschluss. "Ich muss sofort los, nach München. Du bleibst am Besten hier, hier bist du sicher." Er drehte sich um und wollte gehen, als Alexandras Ruf ihn innehalten ließ.

"Warte! Nimm mich mit, bitte! Ich kann es nicht mit ansehen, wie ich meinen Bruder schon nach so kurzer Zeit wieder verliere! Bitte, nimm mich mit!" Lars erwiderte barsch: "Nein, ich kann nicht zulassen, dass du in Gefahr gerätst!" Alexandra flüsterte leise: "Bitte! Ich bin lieber in Gefahr und mit meinem Bruder zusammen, als dass ich wieder völlig allein bin." Das wirkte. Lars drehte sich um und sah Alexandra an, die traurig zu Boden sah. Er zögerte lange mit der Entscheidung. Schließlich gab er seufzend nach, indem er meinte: "Na gut, du kannst mitkommen!" Erfreut sah Alexandra auf. "Ich muss noch eben ein paar Sachen packen, okay?" Lars nickte und ließ sich dann wieder auf das Sofa nieder, während Alexandra alle möglichen Sachen in einen Rucksack stopfte. Nach einer Viertelstunde stand sie mit umgeschnalltem Rucksack vor Lars und rief: "Es kann losgehen!"

Während sie in Richtung von Lars Zuhause marschierten, erklärte Lars in groben Zügen, worum es bei der ganzen Sache überhaupt ging. Bevor sie ihre Reise antraten, wollte Lars noch versuchen, seine Ninjaidos und Ninjaboules aus seinem Zimmer zu holen. Weitere zehn Minuten später drückte er langsam die halboffene Haustür seines Elternhauses auf. Im Haus regte sich nichts. Vorsichtig betrat er das Wohnzimmer, einen Arm nach hinten um Alexandra gelegt, die sich furchtsam an ihn drückte. Sie blieben eine Weile im Zimmer stehen, wobei Lars sich aufmerksam umsah und mit pochendem Herzen nach irgendwelchen verdächtigen Geräuschen lauschte. Doch es herrschte eine drückende Stille. Langsam arbeiteten sich Lars und Alexandra die Treppe hinauf, bis sie im Flur an der Stelle standen, an der Lars nur knapp mit dem Leben davongekommen war. Die Tür zu dem Schlafzimmer seiner Eltern stand sperrangelweit offen. Vorsichtig lugte Lars in den Raum und atmete erleichtert auf, als er nur noch ein paar Kabel auf dem Boden entdeckte, das letzte Anzeichen der eigenartigen Kreaturen, die hier gehaust hatten. Er wandte sich ab und ging in sein Zimmer, dass sich in dem gleichen Zustand befand wie er es verlassen hatte. Alexandra stand in der Tür und sah sich um. "Das ist also dein Zimmer?", fragte sie. Lars nickte nur und wühlte weiter in seinen Sachen, bis er die Ninjaidos und die Ninjaboules in den Händen hielt. Wortlos befestigte er die Schlaufen mit den Ninjaboules an seiner Hose und streifte sich dann die Ninjaidos über. Lars sah sich noch einmal um und meinte dann: "Ich habe alles." Mit entschlossener, grimmiger Miene sah er Alexandra an. "Lass uns gehen." Er ging los und trat auf eine Zeitschrift, die auf dem Teppichboden keinen Halt fand, so dass Lars sich plötzlich in der Luft wiederfand. Krachend stürzte er auf seinen Rücken. Alexandra fing an zu kichern, konnte ein lautes Lachen aber gerade noch unterdrücken. Verlegen stand Lars auf und wischte sich den imaginären Staub von den Hosen. "Du solltest in deinem Zimmer wirklich einmal aufräumen!", prustete Alexandra los. Dann konnte sie einfach nicht mehr an sich halten und bog sich vor Lachen. Auch Lars finsterer Blick konnte sie davon nicht abbringen, im Gegenteil. Verzweifelt rang sie ob seines Anblickes nach Luft und hielt sich den Bauch vor Lachen. Zwanzig Minuten später erreichten sie den Bahnhof. Alexandra kicherte immer noch vor sich hin. Sie betraten den Bahnsteig und machten vor einem Fahrkartenautomaten halt. Lars griff in seine Taschen und wühlte eine Weile darin herum, bis er mit einem Mal erstarrte. Sich verlegen am Kopf kratzend drehte er sich zu Alexandra um und fragte: "Hast du zufälligerweise noch etwas Geld bei dir?" Wie vom Blitz getroffen starrte sie Lars eine Weile an, dann schüttelte sie stumm den Kopf. Hinter ihnen fuhr die Bahn ein, deren kreischende Bremsen versuchten, die Wagons zum Stillstand zu bringen. Lars schnappte Alexandra am Arm und zog sie hinter sich her in den Zug hinein. "Gut. Ich auch nicht!", sagte er und ließ sich auf eine zerstochene und besprayte Sitzbank fallen. Ruckartig fuhr die Bahn an, so dass Alexandra es Lars ungewollt gleichtat. Seufzend starrte sie aus dem zerkratztem Fenster und sah zu, wie ihre Heimatstadt immer schneller an ihnen vorbeirauschte. "Hoffentlich werden wir nicht kontrolliert!", sprach sie ihren Wunsch aus. Lars lachte humorlos und meinte: "Bei unserem Glück findet gerade heute die einzige Fahrkartenkontrolle in unserem Zug statt." Darauf wusste Alexandra nichts zu erwidern und lenkte ihren Blick wie Lars erneut aus dem Fenster. Eine knappe halbe Stunde später fuhr die Bahn in den Hauptbahnhof ein. Zischend und klappernd öffneten sich die Schiebetüren und warfen die Insassen der Wagons mitten hinein in das gehetzte Treiben der Massen, welches sogar die unsportlichsten aller Unsportlichen wenigstens in einen behäbigen Laufschritt zwingt und so nur auf großen Bahnhöfen aufzufinden ist. Inmitten dieser vorbeidrängenden, rempelnden und drängenden Menschen standen Lars und Alexandra nun Hand in Hand, um sich nicht zu verlieren, und sahen sich um, bis Lars ein über allem schwebendes, weißes I auf blauem Hintergrund entdeckte. Er zog Alexandra hinter sich her und gliederte sich in die Menschenmassen ein. Sie hasteten eine Treppe hinauf, beobachtet von gelangweilten Rolltreppenfahrern, und bahnten sich ihren Weg durch die vielen Leute hindurch, bis sie schließlich vor dem Informationsstand der deutschen Bahn standen. Ungeduldig warteten die beiden Geschwister, bis sie an der Reihe waren. Als es schließlich so weit war, begrüßte sie ein etwas älterer Mann und erkundigte sich nach ihrem Begehr. "Guten Tag, können sie uns bitte sagen, wann der nächste Zug nach München geht?", fragte Lars sofort. "Natürlich, einen Moment bitte." Gemächlich kramte der Mann eine Brille aus seiner Brusttasche und setzte sie sich weit vorne auf die Nase. Anschließend blätterte er in einigen Papieren und neigte den Kopf ein wenig nach hinten, um durch seine Brille auf die Blätter nieder sehen zu können, während direkt vor ihm ein flimmernder Bildschirm auf seinen Einsatz wartete. "Ah, da haben wir es ja." Nach einiger Zeit schien der Mann fündig geworden zu sein. Er sah auf und betrachtete Lars und Alexandra. "Nun, den ICE haben sie gerade um eine Minute verpasst. Der nächste ist ein IC und fährt um vierzehn Uhr neunundzwanzig auf Gleis elf ein." Lars Blick huschte zu einer großen Uhr hinter dem Mann. "Also in zehn Minuten.", murmelte er. "Vielen Dank!", wandte er sich wieder an den Herrn hinter dem Informationsschalter. Dann machten er und Alexandra Platz für andere Personen in Eile. Ohne Hast bummelten sie auf der Galerie entlang und beobachteten das geschäftige Treiben auf derselbigen und den Bahngleisen, bis sie schließlich die Treppe zu Gleis elf hinunterstiegen. "Wie gedenkt der Herr eigentlich zu zahlen?", wandte Alexandra sich unvermittelt an Lars, während sie auf dem Bahnsteig auf den Zug warteten. "Genauso wie auf dem Weg hierher!", grinste dieser sie an. "Aber...", hob Alexandra an, wurde aber von dem Gequietsche und Gekreische des einfahrenden Zuges übertönt und somit gezwungen, ihren Satz bereits beim ersten Worte abzubrechen. Sofort als der Zug zum Stillstand gekommen war, kletterten die Beiden in den Intercity. Kaum jemand stieg mit ihnen ein und kaum jemand schien sich in dem Wagon, den sie gerade betraten, zu befinden. Lars war schon vorher aufgefallen, wie wenig Leute auf dem Bahnsteig gestanden hatten und den Zug erwarteten. Ein unbehagliches Gefühl machte sich daher in ihm breit, als er sich auf der Sitzbank niederließ, während Alexandra ihm gegenüber Platz nahm. Nach einigen Minuten setzte sich der Zug schließlich ruckend in Bewegung und machte sie so beide zu Schwarzfahrern, was im Moment aber keinen von ihnen wirklich kratzte. "Wir haben eine lange Fahrt und danach noch einige andere Strapazen vor uns. Wir sollten uns ausruhen, solange es noch möglich ist!", meinte Lars und schloss die Augen. Alexandra nickte und tat es ihm gleich. Eine Weile später wurde Lars durch eine zerrende Hand an seinem Arm geweckt. Murmelnd und noch im Halbschlaf öffnete er die Augen. Doch als er ein grimmiges Gesicht, gekrönt mit einer Schaffnermütze, erblickte, war er mit einem Schlage hellwach. "Ihre Fahrkarten bitte!", nuschelte der Schaffner ungeduldig. "Natürlich, einen Moment bitte!", erwiderte Lars und wühlte zum Schein in seinen Taschen, wobei sein Herz zum Zerbersten schnell pochte. Er hatte keine Ahnung, was er jetzt tun sollte. "Wieso zum Teufel habe ich mir das nicht vorher überlegt?", fragte er sich in Gedanken. Auch Alexandra schlug nun die Augen auf. Mit einem Blick hatte sie die Situation erfasst. "Hast du die Fahrkarten doch genommen? Ich dachte, du hättest sie in meinen Rucksack getan!", sprach sie Lars an. "Achja, natürlich! Wie konnte ich das bloß vergessen?", lachte dieser etwas zu laut und schrill. Alexandra begann, in ihrem Rucksack herumzuwühlen, während der Schaffner ungeduldig mit einem Finger auf seine Zange zur Bestätigung der Fahrkartenkontrolle klopfte. Lars bemerkte das sehr wohl. Um noch ein wenig Zeit zu gewinnen, sagte er mit einem Seitenblick auf den Schaffner: "Ach, jetzt fällt es mir wieder ein! Ich hatte sie in die Vordertasche gepackt!" Alexandra gab ein inszeniertes Stöhnen von sich und zog den Reißverschluss des Rucksackes zu, um ihre Hände dann in der kleineren Tasche verschwinden zu lassen. Genervt fragte der Schaffner: "Haben sie etwa keine Fahrkarten?" Schnell rief Lars: "Doch, doch! Natürlich haben wir welche, was denken sie denn? Hast du sie endlich?", wandte er sich wieder an Alexandra. Aber die schüttelte mit gespieltem Entsetzen den Kopf. "Jemand muss sie uns geklaut haben, als wir geschlafen haben!" Wie als hätte er damit gerechnet, zog der Schaffner einen Block mit Fahrkarten aus der Jackentasche und kritzelte mit einem Kugelschreiber darauf herum. "Das macht dann...", ratterte er einen Text herunter, den er wohl auswendig kannte, doch Lars hörte schon gar nicht mehr zu. Fieberhaft suchte er nach einem Weg aus dieser verzwickten Situation. "Wir haben kein Geld.", unterbrach er schließlich den Wortschwall des Schaffners. Irritiert sah dieser ihn an. "Wie bitte?" "Ich sagte", schluckte Lars, "wir haben kein Geld!" Nur kurz sah der Schaffner ihn an, dann meinte er: "Dann muss ich sie bei der nächsten Station leider rauswerfen." Erschrocken sprang Lars auf. "Nein! Nein..." Unerbittlich schüttelte der Mann den Kopf. "Es tut mir leid, aber so sind die Regeln. Außerdem können sie von Glück reden, dass ich kein Strafgeld von ihnen kassiere oder wenigstens ihre Personalien aufnehmen, denn zu solch einem Stress habe ich heute absolut keine Lust! Aber vielleicht überlege ich es mir ja anders, wenn sie weiter so einen Aufstand machen!", drohte der Schaffner. "Aber...ich...wir müssen nach München! Unbedingt! Das ist wichtig, verflucht noch mal!" Verzweifelt suchte Lars nach Worten. "Ja, ja. Das sagen sie alle!", winkte der Mann in Uniform locker ab. Plötzlich ging alles ganz schnell. Lars schlug dem Schaffner auf den Kopf, Alexandra sprang schreiend auf und der Schaffner stolperte rückwärts, während seine Utensilien klappernd auf dem Boden aufschlugen, und fiel nieder. Doch Lars hatte nicht mit der Widerstandsfähigkeit der Mütze des Mannes gerechnet, eigentlich hatte er erwartet, dass der Schaffner nun ohnmächtig war. Doch der rutschte panisch von Lars weg und wühlte in seinen Taschen, bis er einen Revolver hervorzog und ihn zitternd auf Lars hielt. "Keine Bewegung!", brüllte der Mann und fuchtelte mit der Waffe hektisch in der Luft herum. "Verdammt, Mann! Wieso zur Hölle hat ein Schaffner eine Pistole?", rief Lars völlig überrumpelt und hob aus einem Instinkt heraus die Hände über den Kopf. Ihm wie auch Alexandra war die Angst ins Gesicht geschrieben. Sie hatte sich wieder auf die Sitzbank fallen gelassen und drückte sich nun verstört in eine Ecke. "Wieso?" Keuchend richtete sich der Schaffner wieder auf. "Weil ich genau wusste, dass eines Tages so ein Irrer kommen und auf mich einschlagen würde! Und wie du siehst, kann mir in so einer Situation nur mein kleines Baby hier helfen!" Mit einem irren Grinsen streichelte der Mann den Lauf seines Revolvers. Mit diesen Worten wuchs Lars Angst noch mehr, denn er hatte es hier offensichtlich mit einem geistlich nicht mehr ganz gesundem Mann zu tun. Überdeutlich nahm er jedes Detail war. Einige Strähnen des sonst anscheinend glattgekämmten, gräulichen Haares hatten sich aufgrund des Schlages von ihrer eigentlichen Bestimmung, dem Bedecken der Blöße des Kopfes, abgewandt und fielen nun vornüber in das Gesicht des Mannes. Ohne ihnen besondere Beachtung zu schenken, was sonst sicher gegenteilig der Fall war, bettete der Schaffner sie wieder an den ihnen ursprünglich zugedachten Platz zurück, damit seine dunklen, gehetzt hin und her zuckenden Augen, die unter buschigen Augenbrauen hervorstachen, freie Sicht hatten. Während er mit seiner Hand durch den breiten und wie sein Haar angegrauten Schnurrbart fuhr, der seinen kleinen, halbgeöffneten Mund kontrastierte, in dem für einen Moment gut gepflegte und regelmäßige Zähne zu erblicken waren, rümpfte er kurz die dickliche Nase. "Siebzehn Jahre lang immer und immer wieder von einem Ende des Zuges bis zum Anderen rennen und dabei immer schön freundlich nach den Fahrkarten fragen!", setzte er an, doch Lars unterbrach ihn, indem ihm ein "Freundlich?" entfuhr. "Halt dein Maul!", brüllte ihn der Mann an, wobei feine Speicheltropfen durch die Luft segelten. "Und dann diese jungen Leute!", setzte er seine Rede fort. "Bezahlen? Bezahlen? Wofür sollen wir denn bezahlen? Die Bahn hat doch genug Geld! Als wenn ich etwas dafür könnte! Ich tue doch nur meinen Job, verdammt! Da kann ich ja wohl ein bisschen Respekt erwarten! Und was machen diese Flegel? Mich beschimpfen, bepöbeln und sich über mich lustig machen! Siebzehn Jahre lang! Weißt du wie das ist? Weißt du wie das ist?" Lars schüttelte den Kopf und vermied jede weitere unnötige Bewegung. "Wie sollst du es auch wissen können? Du bist schließlich einer von ihnen! Ich habe es so satt! So verflucht satt! Aber ich habe ja geahnt, dass diese Bande von Gören eines Tages selbst vor Gewalt nicht mehr zurückschrecken wird und mir das letzte bisschen Respekt raubt." Mit einem Male fing der Schaffner wieder an zu brüllen. "Und du hast mir fast das letzte bisschen Respekt geraubt, verdammt noch mal! Aber!", wedelte er mit der Waffe herum, "Aber ich habe mein Gesicht gerade noch gewahrt! Dank meinem Baby! Denn ich habe ja geahnt, dass die Gören eines Tages auch vor der Gewalt nicht mehr zurückschrecken würden..." Gedankenverloren betrachtete er den Revolver, während er ihn vorsichtig streichelte. Lars nutzte den Moment der Unaufmerksamkeit und trat dem Schaffner die Waffe aus der Hand. Während der Mann sich schreiend vor Schmerzen die Hand hielt, schnappte sich Lars Alexandras Arm und zog sie an dem in die Knie gegangenen Schaffner vorbei. Sie stürmten hintereinander den Gang hinauf bis zum Ende des Abteils, wo Lars die Schiebetür aufriss. Während sie sich in dem kleinen Raum mit den Türen nach draußen aufhielten, da Lars verzweifelt versuchte, die Schiebetür dazu zu bewegen, ihnen den Weg frei zu machen, schloss Alexandra die Tür, durch die sie gerade gekommen waren und versuchte panisch keuchend durch das Glasfenster der Schiebetür den Schaffner auszumachen. In dem Augenblick, in dem die Schiebetür unter Lars Händen endlich nachgab, erblickte Alexandra den Schaffner, der mit dem Revolver in der Hand auf den Gang hastete. Noch während sie schrie und sie von Lars gepackt und hinter ihm her in das nächste Abteil gezerrt wurde, entdeckte der Schaffner die Beiden und riss die Waffe hoch. Noch in der Bewegung drückte er ab. Ein ohrenbetäubender Knall hallte durch den Zug, fast zeitgleich zersplitterte die Glasscheibe der ersten Schiebetür. Noch während der Mann durch den Rückschlag leicht rückwärts taumelte, begriff er, dass er zu hoch gezielt hatte, legte neu an und drückte erneut ab. Die Kugel zischte aus dem Lauf und machte sich mit einer wahnsinnigen Geschwindigkeit auf ihren todbringenden Weg. Zwanzig Meter vor ihr brüllte Lars "Runter!" und ließ sich fallen, wobei er Alexandra am Arm mitriss. Als die Kugel durch das nicht mehr vorhandene Fenster der ersten Schiebetür raste, befanden Lars und Alexandra sich gerade mitten im Fall, wobei Alexandras Haare langsamer waren als sie selbst und senkrecht in der Luft schwebten. Die Revolverkugel ließ sich auf ihrem Wege nicht beirren und durchbrach problemlos das letzte Hindernis auf ihrem Weg zu ihrem Ziel. Erst, als die Kugel schon Abstand zu dem Fenster gewonnen hatte, zerbrach es klirrend. Das Geschoss jagte auf einen schimmernden Teppich aus Haaren zu und durchschlug ihn wie Butter. Gleich darauf schoss es auf Lars Hinterkopf zu, doch er riss ihn im letzten Augenblick herunter, so dass die Kugel nur eine kleine Schneise in seine Haare schlug. Nach diesem Sekundenbruchteil voller Angst zischte die Kugel davon und blieb mit einem knirschenden Geräusch in der Mitte der Fensterscheibe der Schiebetür am anderen Ende des Abteils hängen. Im selben Moment, als die Körper von Lars und Alexandra auf dem Boden aufschlugen, zerplatzte die Scheibe, so dass die durch die Luft wirbelnden Scherben die Revolverkugel mit in die Tiefe rissen. Einige Herzschläge lang vernahm Lars nur das Keuchen von sich und Alexandra. Dann sah er über die Schulter und fragte sie flüsternd: "Alles in Ordnung?" Alexandra war völlig außer Atem und konnte daher als Antwort nur nicken. Lars hielt ihr seine Hand hin und richtete sich halb auf. Sie ergriff seine Hand und nickte dann erneut stumm. Sofort sprangen beide hoch und stürmten weiter. Unter ihren Füßen knirschten die Glasscherben, als sie sich in einem halsbrecherischen Tempo der Schiebetür näherten. Doch plötzlich rutschte Lars auf einer Scherbe aus und schlidderte genau auf die Tür zu. Er ließ Alexandra los und ruderte hilflos mit den Armen in der Luft, um das Gleichgewicht nicht zu verlieren. Doch es war unmöglich für ihn zu bremsen. Mit einem lauten Knall, der den Schüssen in nichts nachstand, krachte er gegen die Tür und fiel kopfüber durch die zersplitterte Glasscheibe. Ein dumpfes Poltern zeugte davon, dass er auf der anderen Seite der Tür erneuten Bodenkontakt gefunden hatte. Alexandra war weitergelaufen und steckte ihren Kopf ängstlich durch die Öffnung. "Ist mit dir alles in Ordnung?", fragte sie Lars, der sich gerade stöhnend und kopfreibend aufsetzte. "Ja, bis auf ordentliche Kopfschmerzen glaub ich schon!", erwiderte er und stand auf. Plötzlich fixierten seine Augen einen Punkt hinter Alexandra. "Alexandra!", keuchte Lars entsetzt, woraufhin sie erschrocken herumwirbelte. Der Schaffner betrat gerade mit einem irren Grinsen das Abteil, in dem sie sich gerade befand. Sofort fuhr sie herum und versuchte verzweifelt, die Schiebetür zu öffnen. Doch aus irgend einem unerklärlichen Grunde klemmte sie. Lars stemmte sich von der anderen Seite gegen den Griff, aber auch er blieb ohne Erfolg. Alexandra warf immer wieder panische Blicke über die Schulter, denn der Mann kam langsam auf sie zu. "Jetzt steckst du aber ganz schön in der Klemme, was?", höhnte er. Die Panik war Alexandra mehr als nur anzusehen. Ihre Bewegungen wurden immer hektischer. Ihre Augen waren geweitet und ihr Keuchen gewann immer mehr an Geschwindigkeit und Tonhöhe. Lars ging es nicht ähnlich, schließlich war Alexandra seine Schwester. Jetzt hatte der Schaffner Alexandra fast erreicht, und die Schiebetür gab immer noch nicht nach. Langsam drehte Alexandra sich um, ihre Schultern hoben und senkten sich immer schneller und schneller. Plötzlich entstand in Lars Kopf aus dem Nichts eine Idee. Schnell flüsterte er Alexandra zu: "Bleib so stehen!" Er wusste nicht, ob sie ihn gehört hatte, denn sie reagierte nicht sondern starrte nur weiter den Mann, der auf sie zukam, an. In dem Augenblick, in dem der Schaffner einen weiteren, letzten Schritt nach vorne machte, packte Lars blitzschnell den oberen Rahmen der Öffnung und schwang sich schreiend und mit durchgestrecktem Bein hindurch. Sein Schrei war eine Mischung aus Verzweiflung, Wut und Schmerz, da sich einige Glasreste am Rahmen des Fensters tief in seine Hand bohrten. Haarscharf sauste sein Bein an Alexandras Kopf vorbei, die ihm selben Augenblick vor Schreck zur Seite taumelte. Der Schaffner hatte keine Zeit mehr zu reagieren und bekam krachend Lars Fuß in sein Gesicht. Ein weiterer ohrenbetäubender Schuss löste sich und verfing sich irgendwo in der Decke. Gleichzeitig fiel der Mann in Lars Geschrei ein, jedoch allein vor Schmerz. Er taumelte nach hinten und hielt sich die Nase, aus der Blut hervorsprudelte und die mit einem Mal seltsam schief wirkte. Lars betrachtete ihn keuchend und mit schmerzverzerrtem Gesicht. Das wutentbrannte und leidende Schreien nahm er nur aus größter Ferne war. Komischerweise empfand er plötzlich ein wenig Mitleid mit dem Mann. "Bitte, hören sie auf damit! Es ist ja gar nicht so, dass wir ihnen keinen Respekt erbringen wollen!", versuchte Lars keuchend, den Mann von seinem blutigen Plan abzubringen. "Hätten wir mehr Zeit gehabt, unsere Reise zu planen und wären die Ereignisse nicht so dringend, hätten wir natürlich Fahrkarten gekauft! Wir können ihnen das Geld auch am Ende der Fahrt zukommen lassen!" Langsam verebbten die Schreie des Schaffners, doch Lars Überredungsversuche ließen ihn anscheinend kalt. Also drehte Lars sich um und versuchte erneut, die Tür zum Öffnen zu bewegen. Schließlich gab er es fluchend auf. "Verdammtes Teil!", rief er und trat kräftig dagegen. Wieder rüttelte er am Türgriff und plötzlich gab sie problemlos nach. "Ha! Ein Tritt kann manchmal Wunder bewirken!", grinste er und packte Alexandra am Arm, die mehr oder weniger verstört an der Seite stand. Als sie das nächste Abteil betraten und hindurch stürmten, rief hinter ihnen plötzlich jemand: "Hey, könnten sie sich vielleicht ein bisschen gesitteter durch den Zug bewegen?" Erschrocken blieben sie stehen und fuhren herum. Ein junger Mann mit kurzen Haaren und Brille auf der Nase sah sie tadelnd an. Er deutete auf einen Palm mit tragbarer Tastatur vor sich auf dem Schoß und meinte: "Ich würde nämlich gerne meine Fanfiction weiterschreiben, ohne dabei von brüllenden Orang-Utans abgelenkt zu werden!" Alexandra trat vor und war eindeutig wütend. "Ach ja? Dann versuchen sie das mal dem irren Schaffner zu erklären, der mit einer Pistole hinter uns her ist!" Als der Reisende Alexandra erblickte, veränderte sich seine Miene ein wenig. Er errötete leicht und stotterte: "Äh, ja...Schaffner? Der kontrolliert die Fahrkarten!" Lars musste grinsen. Der Mann war ihm gleich sympathisch gewesen, und irgendwie hatte er das dumpfe Gefühl, ihn zu kennen. Aber ihm fiel beim besten Willen nichts Genaueres über ihn ein. "Das weiß ich selber! Und jetzt spielen sie sich hier mal nicht so auf, nur weil sie ihre....äh....dieses...diesen Schrott schreiben wollen!", keifte Alexandra ihn an. Doch da hatte sie einen wunden Punkt berührt. Der junge Mann schnellte hoch und starrte sie wütend an. Er packte den Palm samt Tastatur und legte ihn neben sich auf den Sitz. "Das ist kein Schrott! Das ist Literatur mit teilweise äußerst qualitativem Wert, kapiert?" Alexandra winkte ab. "Ach was! Öhm...können sie mir das mal erklären?", wurde sie plötzlich unerwartet freundlich und ließ sich auf der Kante der Sitzbank gegenüber dem jungen Mann nieder. "Du darfst mich ruhig duzen. Das darf ich doch auch, oder?" Ein Nicken von Alexandras Seite bestätigte ihn. "Ich bin Benjamin Waller, du kannst mich aber einfach Benni nennen. Verrätst du mir auch deinen Namen?", fragte er lächelnd. Lars hörte dem Gespräch nicht weiter zu, denn auf der anderen Seite des Abteils öffnete sich die Schiebetür und der Schaffner trat ein. "Ähm...Alexandra?", fragte er, ohne den Blick von dem ihn hasserfüllt anstarrenden Mann zu nehmen, der langsam aber sicher auf ihn zu kam. "Nicht jetzt, Lars! Du siehst doch, dass ich beschäftigt bin!", erwiderte sie ärgerlich und wandte sich dann wieder Benjamin zu. Vollkommen verblüfft drehte er den Kopf und starrte sie ungläubig an. Dann zuckte er die Schultern und setzte sich einfach neben sie. Mit pochendem Herzen starrte er dem Schaffner entgegen, der sich weiter näherte. Dann zwang er sich, an Alexandra vorbei aus dem Fenster zu starren. Er hörte die Schritte des Mannes immer näher kommen und schließlich verharren. Aus den Augenwinkeln sah er, dass der Schaffner jetzt direkt vor den beiden Sitzbänken stand, auf denen sie Platz genommen hatten. Alexandra und Benjamin schienen davon gar keine Notiz zu nehmen. Lars hatte das Gefühl, dass sein Herz im nächsten Augenblick zerbersten würde vor Aufregung, sein Adrenalinspiegel stieg ins Unermessliche. "Die Fahrkarten bitte!", knurrte der Schaffner, woraufhin Alexandra schlagartig verstummte. Benjamin runzelte die Stirn und zog seine Fahrkarte erneut aus einem Rucksack neben ihm. Er hielt sie dem Schaffner hin, doch der tat, als würde Benjamin gar nicht existieren und starrte Lars und Alexandra weiter an. Langsam drehte Lars seinen Kopf wieder und folgte wie gebannt der Handlung, die sich vor seinen Augen abspielte. Benjamin wurde langsam unsicher, der Anblick des Schaffners trug einiges dazu bei. "Ähm...Entschuldigung? Sie...sie bluten aus der Nase!", machte er den Mann stockend auf eine Tatsache aufmerksam, die der nur zu gut wusste. Ohne ein Wort zu erwidern schlug der Schaffner Benjamin die Fahrkarte aus der Hand. Der zuckte schließlich die Schultern und verstaute die Fahrkarte wieder in seinem Rucksack. Dann wanderte sein Blick zu Lars und Alexandra. "Ach, habt ihr keine Fahrkarten? Ich würde euch ja gerne aushelfen, aber ich bin wie immer pleite!", grinste er schief und entschuldigend. "Trotzdem danke für deine Hilfe!", brachte Lars mit rauer Stimme über die Lippen. Urplötzlich und für ihn völlig unerwartet versetzte der Schaffner ihm einen Schlag direkt ins Gesicht. Alexandra schrie entsetzt auf, als Lars stöhnend von der Bank rutschte und anschließend in die Knie sank. Benjamin drückte sich erschrocken und mit weit aufgerissenen Augen in die Ecke der Bank. Plötzlich sprang Alexandra auf und rannte dem völlig überrumpeltem Schaffner mit dem Kopf zuerst in den Bauch, so dass er nach Luft schnappend hintenüber fiel. Die Pistole segelte durch die Luft, schlug klappernd auf dem Boden auf und verschwand dann unter einer Sitzbank. "War nett, dich kennen gelernt zu haben!", lächelte Alexandra den völlig perplexen Benjamin an, während sie Lars hoch half. Dann verschwanden die Beiden durch die Schiebetür und ließen einen völlig verwirrten jungen Mann hinter sich, der sich ungläubig die Augen rieb, kurz einen Blick auf den am Boden liegenden Schaffner warf, sich wieder hinsetzte, nur um Sekunden später erneut den Schaffner anzustarren, der nun zwischen zwei Sitzbänken auf dem Boden lag und anscheinend nach seiner Pistole suchte. Benjamin setzte sich wieder und schüttelte benommen den Kopf. Dann grinste er und meinte zu sich selbst: "Wow! Hoffentlich treffe ich Alexandra mal wieder...Da kommt mir doch glatt eine Idee für eine Fanfiction...", sprach er und legte sich seinen Palm wieder auf den Schoß.

Lars und Alexandra liefen, eine Blutspur hinter sich lassend, keuchend weiter durch den Zug, bis sie irgendwann völlig erschöpft am Ende angelangt waren. "Verdammt! Und was jetzt?", presste Lars durch seine zusammengebissenen Zähne hindurch. Alexandra atmete erst noch einige Male tief ein und aus und antwortete dann: "Keine Ahnung!" Aber Lars hatte schon eine Tür entdeckt, die wohl in das Cockpit des Zuges führte. Er versuchte sie zu öffnen, doch sie war verschlossen. Mit entschlossener Miene ging er einige Schritte zurück und warf sich mit aller Kraft dagegen. Die Tür bebte in ihren Angeln, ließ aber nicht nach. Mit großen Augen sah Alexandra Lars dabei zu, wie er sich erneut dagegen warf. "Aber...was bringt uns das?", fragte sie verstört. "Keine Ahnung! Aber vielleicht können wir den Zugführer zum Anhalten bewegen!", erwiderte Lars verbissen und warf sich erneut gegen die Tür. Plötzlich barst das Türschloss mit einem lauten Krachen, so dass Lars die Tür einfach öffnen konnte. Lars und Alexandra sahen sich einem Zugführer gegenüber, der sie mit großen, ein wenig ängstlichen Augen ansah. Er schluckte sichtbar und fragte dann mit zitternder Stimme: "K-Kann ich ihnen helfen?" "Ja, das können sie!", antwortete Lars. "Da ist nämlich ein verrückter Schaffner mit einer Pistole hinter uns her, weil wir keine Fahrkarten haben!" Stirnrunzelnd warf der Mann kurz einen Blick nach vorne durch die Windschutzscheibe und wandte sich dann wieder ihnen zu. "Ihnen ist doch sicherlich klar, dass es illegal ist, schwarz zu fahren? Und erst recht illegal, in das Cockpit eines Zuges einzubrechen?" Lars verdrehte stöhnend die Augen. "Ja, natürlich! Das tut uns ja auch leid, aber darum geht es doch jetzt gar nicht! Der Schaffner ist hinter uns her! Mit einer Pistole!", rief er aufgebracht. "Mit einer Pistole?", fragte der Zugführer verwundert. Stöhnend schlug Lars eine Hand vor das Gesicht. "Eine Pistole ist ein Gerät, mit dem man Patronen..." Der Zugführer unterbrach ihn: "Natürlich weiß ich, was eine Pistole ist!" Lars geriet langsam in Wut über diesen entweder dummen oder bedächtigen Mann. "Verdammt noch mal, dann tun sie doch was!" So langsam überkam den Zugführer anscheinend die Angst, denn Schweiß bildete sich auf seiner Stirn und seine Bewegungen wurden fahriger. "Tun? Was soll ich denn tun?", fragte er verstört. "Was weiß ich! Rufen sie in der Zentrale an und fordern sie Hilfe an oder irgendwie so was!" Der Mann wandte den Kopf wieder auf die Apparaturen vor sich und hob die Hände waagerecht vor sich. "Zentrale, natürlich! Anrufen..." Sein Auge zuckte hin und her, bis es schließlich einen Hörer erblickt hatte. Hastig griff der Zugführer danach und fing fieberhaft an, hineinzusprechen. Doch er war nicht weit gekommen, als plötzlich ein ohrenbetäubender Knall ertönte, so dass Lars und Alexandra vor Schreck fast das Herz stehen blieb. Der Zugführer sackte nach vorne, bis sein Kopf mit einem dumpfen Geräusch auf dem Armaturenbrett vor ihm aufschlug, während unzählige Blutspritzer die Sicht durch die Windschutzscheibe verdeckten und langsam zu einer Lache verschmolzen. Lautlos baumelte der Telefonhörer an seinem Kabel und schwang hin und her. Lars und Alexandra starrten mit weit aufgerissenen Augen auf die Szene, ohne erst wirklich zu begreifen. Als Alexandras Lippen ein kleiner Schluchzer entwich, erwachte Lars aus seiner Trance. Er fuhr herum und sah sich einer noch rauchenden Waffe gegenüber. Der Schaffner stand in der Tür und starrte ihn mit irrem, durchdringendem Blick an. Nur irgendwo im Hinterkopf bekam Lars mit, wie Alexandra "Oh mein Gott!" flüsterte, auf die Knie sackte und sich von Schluchzern geschüttelt übergab. Mit einem Mal wuchs eine ohnmächtig Wut auf den Mann in Lars, die fast sofort das Einzige war, was er noch empfand. Er riss urplötzlich das Knie hoch, so dass es dem Mann die Waffe aus der Hand schleuderte und bohrte ihm fast zeitgleich die Faust in das Gesicht. Als der Schaffner zu Boden ging, schob sich Lars an ihm vorbei und ging ein wenig zurück, um Alexandra aus dem Gefahrenbereich zu bringen. Während er rückwärts ging, ließ er den Schaffner keinen Moment aus den Augen, der sich mit einer Hand das Gesicht hielt und sich stöhnend aufrichtete. Doch im nächsten Augenblick schollt Lars sich selber, dass er schon wieder so nachlässig gewesen war, die Pistole zu vergessen, nach der der Mann nun fasste. Gerade als der Schaffner die Waffe ergriff, prallte Lars mit dem Rücken gegen die Schiebetür. Blitzschnell wirbelte er herum, riss sie auf und warf sich zur Seite, wobei er die Tür hinter sich zuzog. Er hatte keine Sekunde zu spät reagiert, denn fast zeitgleich zu seinem Aufprall löste sich der Schuss und ließ die beiden Fenster der gegenüberliegenden Schiebetüren in tausend Stücke zersplittern. Ein Scherbenregen ergoss sich über Lars, der instinktiv die Arme über seinen Kopf riss. Er sprang gerade wieder auf, als der Schaffner die Tür aufriss. Da Lars sich neben der Tür befand, konnte er dem Mann die Pistole erneut aus der Hand treten. Polternd rutschte sie in eine Ecke. Brüllend rannte der Schaffner auf Lars zu und schlug wie von Sinnen auf ihn ein. Völlig überrumpelt stolperte Lars blindlings rückwärts, bis er mit dem Rücken gegen die Zugtüren stieß. Sofort witterte der Schaffner seine Chance und griff an Lars vorbei zu den Türgriffen. Zischend schoben sich die Türen zur Seite, woraufhin Lars gerade noch das Geländer in der Mitte der Öffnung ergreifen konnte. Verzweifelt krallte er sich daran fest und widersetzte sich dem donnernden Fahrtwind, der sein Haar zerzauste und ihn nichts anderes als ein lautes Rauschen und Flattern hören ließ. So hing er fast waagerecht neben dem Zug in der Luft, während sich der Schaffner an einem seitlichen Griff festhielt, um nicht ebenfalls aus dem Wagon zu fallen. Die Landschaft raste an ihnen vorbei, immer wieder machten sich Bäume nahe am Gleis mit einem vorbeirauschendem Geräusch bemerkbar, so dass Lars nur hoffen konnte, dass keiner den Schienen so nah war, dass er den Zug berührte. Denn einen Aufprall mit solcher Geschwindigkeit würde er sicher nicht überleben. Er hatte keine Ahnung, wie lange er schon so da hing, es kam ihm aber vor wie eine Ewigkeit. Auch seine Arme machten sich bereits schmerzhaft bemerkbar. Plötzlich konnte er durch seine zusammengekniffenen Augenlider einen Schatten im Zug wahrnehmen, der sich ihm anscheinend näherte, um ihn ganz aus dem Wagon zu stoßen. Mit aller Kraft zog Lars sein eines Bein so weit nach vorne, dass er es auf die Treppe vom Wagon stellen konnte. Sofort verkantete sich der Fuß, da er wie Lars ganzer Körper nach hinten gedrückt wurde. Nach einigen Fehlversuchen gelang es ihm, auch das zweite Bein nach vorne zu schwingen. Mit einer letzten verzweifelten Anstrengung zog er sich in den Wagon hinein und stolperte sofort am Schaffner vorbei von der Türöffnung weg. Letzterer drehte sich halb um und rannte mit weit aufgerissenem Mund und erhobener Faust auf Lars zu, der immer noch ein lautes Rauschen im Ohr hatte. Er wich der Faust des Schaffners aus und versenkte die Eigene in dessen Gesicht. Der Schaffner taumelte zurück und prallte gegen das Geländer, an dem sich Lars zuvor festgeklammert hatte. Der wiederum bemerkte die Pistole zu seinen Füßen, ergriff sie, riss sie hoch, ohne nachzudenken und drückte ab. Der Schuss hob sich kaum vom Rauschen des Windes und den vorbeidonnernden Bäumen ab. Der Schaffner riss die Arme hoch und die Augen sowie den Mund auf, erstarrte dann und rutschte langsam seitlich am Geländer vorbei, bis der Wind ihn ergriff und sein Körper innerhalb eines Sekundenbruchteils gegen die Wand geschleudert und dann mit dem Luftsog nach draußen gerissen wurde, wo er augenblicklich aus Lars Blickfeld verschwand. Dieser starrte durch die Tür ins Freie, ohne wirklich etwas zu sehen. Langsam entglitt die Pistole seinem sich lockerndem Griff, fiel ungehört zu Boden und rutschte aus dem Zug. Vielleicht würde sie jemand eines Tages genau wie die Leiche finden, doch darüber machte sich Lars in dem Moment keine Sorgen. Er wusste noch nicht einmal, was er fühlen sollte. Sollte er sich freuen, dass er überlebt hatte oder sollte er verzweifeln, da er gerade einen Menschen umgebracht hatte? Nach einer langen Weile sackte er schließlich langsam auf die Knie und starrte gedankenverloren auf die vorbeiziehende Landschaft. Er fühlte sich entsetzlich. "Ich habe einen Menschen getötet. Ich habe einen Menschen getötet. Ich habe einen Menschen getötet!", war das Einzige, was immer und immer wieder in seinem Kopf hämmerte. Er fühlte, wie sich Wasser in seinen Augen sammelte und sich eine Träne daraus löste und langsam aber sicher seine Wange hinunterrann. Plötzlich, ohne dass er ihr Kommen registriert hatte, war Alexandra da. Sie umarmte Lars und drückte ihn fest an sich. Er fühlte sich in ihren Armen vertraut und geborgen. Er war dankbar, dass sie da war, um ihn zu stützen. Mit einem Mal ließ er seinen Tränen freien Lauf. Geschüttelt durch seine Schluchzer klammerte er sich an seine Schwester und weinte lange Zeit. Doch auch nachdem irgendwann die letzte Träne versiegt war, hielt er sich weiter an ihr fest. Sein Körper zitterte noch eine Weile lang, bis auch er zur Ruhe kam. Schließlich hob Lars langsam den Kopf. Er fühlte sich wie neugeboren, obwohl er bestimmt schrecklich aussah, wie er dachte. Ein leichtes Lächeln legte sich auf sein Gesicht, als er Alexandra vor sich ansah. "Danke.", flüsterte er leise. Er war sich nicht sicher, ob sie es bei dem rauschendem Wind verstanden hatte, doch das spielte keine Rolle. Denn sie verstanden sich auch ohne Worte. Alexandra nickte nur ebenfalls und lächelte. Lars räusperte sich, wischte sich mit dem Ärmel über das Gesicht und stand dann auf. Er half Alexandra hoch, zusammen begaben sie sich dann in das nächstgelegene Abteil, um den Geräuschpegel ein wenig zu senken. Lars Ohren summten immer noch ein wenig weiter, obwohl das Rauschen nur noch wesentlich leiser zu vernehmen war. Doch mit der Ruhe kamen auch die Schmerzen wieder. Lars verzog das Gesicht und riss seine verletzte Hand wieder hoch, als er sich damit abstützte, um sich zu setzen. Langsam ließ er sich nieder, während er seine Hand begutachtete. Eine tiefe Schnittwunde zog sich einmal schräg über seine Handfläche. Als Alexandra seinen Blick bemerkte, griff sie instinktiv neben sich. Doch mit einem Mal wurde ihr bewusst, dass ihr Rucksack immer noch am anderen Ende des Zuges auf ihrem Platz lag.

So zogen sie also den mehr oder weniger verwüsteten Weg zurück, den sie gekommen waren. Als sie bei Benjamin vorbeikamen, tippte der wie verrückt auf seiner Tastatur herum. Da er anscheinend eine Kreativphase hatte, wollten sie ihn nicht stören und schlichen sich unbemerkt an ihm vorbei. "Der hätte wahrscheinlich noch nicht mal gemerkt, wenn ein Elefant an ihm vorbeigetrampelt wäre!", grinste Lars einen Wagon weiter, woraufhin er von Alexandra einen gutgemeinten leichten Klaps gegen die Schulter bekam. An ihrem Ausgangspunkt angekommen stellte Alexandra erleichtert fest, dass ihr Rucksack noch dort war, wo sie ihn liegengelassen hatte, worüber Lars genervt die Augen verdrehte und meinte: "Wer soll denn hier bitte den Rucksack klauen? Wir sind doch die Einzigen, die so verrückt sind, mitten in die Höhle des Löwen zu fahren!" Alexandra beließ es dabei und zog ein Geschirrhandtuch aus ihrem Rucksack, mit dem sie Lars Hand fachmännisch verband. "Wieso hast du bitte ein Geschirrtuch dabei?", fragte Lars mit einem halb ungläubigem, halb verwirrtem Blick. "Nur für den Fall, dass man eines gebrauchen könnte. Und wie du siehst, brauchen wir es!", meinte sie schnippisch, worauf Lars nichts zu erwidern wusste. Nachdem das erledigt war, saßen die Beiden eine Weile stillschweigend auf ihren Plätzen und starrten zum Fenster hinaus. Aber nach einer Weile fragte Alexandra verlegen: "Du...öhm...hättest du was dagegen, wenn wir uns zu Benjamin setzen? Dann hätten wir jemanden, mit dem wir uns unterhalten können." Lars grinste und willigte ein. So traten sie ihre Reise durch den Zug also zum dritten Mal an. Benjamin schien mit seiner Fanfiction gerade fertig geworden zu sein, denn er war gerade im Begriff, seine Tastatur zusammenzufalten, als Lars und Alexandra sich zu ihm setzten. Benjamin war sichtlich erfreut darüber, dass die Beiden ihm Gesellschaft leisteten, wenn er auch eher an Alexandra als an Lars interessiert war. Doch den störte das herzlich wenig. Nach all diesen Strapazen hatte er sich, wie er dachte, ein kleines Schläfchen redlich verdient. Benjamin und Alexandra verwickelten sich in ein angeregtes Gespräch über Gott und die Welt, bis Alexandra mitten in der Konversation einfiel: "Warum fährst du überhaupt nach München?" Benjamin guckte sie verdutzt an. "Oh, in München ist eine große Manga und Anime Messe!" Sein Gesicht nahm einen schwärmerischen Ausdruck an. "Und meine Eltern haben mir die Fahrkarte dahin zum Geburtstag geschenkt, alleine hätte ich das glaube ich nicht aufbringen können. Jedenfalls nicht mal so eben." Dann begann er, ihr haargenau zu erzählen, was es alles Neues auf der Messe zu sehen gab und schweifte mit der Weile immer mehr ab zu den verschiedensten Animeserien und Mangas. Manch einer hätte sich jetzt vielleicht gelangweilt, doch nicht Alexandra. Sie begeisterte sich im Gegenteil aus einem Grund, den sie selber nicht kannte, mit Benjamin und lauschte ihm so gespannt, als würde er einen Thriller vorlesen. Sie nahm sich fest vor, sich mehr über Anime und Manga zu informieren, sobald sie wieder zuhause war. Zwei Stunden später wurde ihre Unterhaltung durch Lars unterbrochen, der unvermittelt aus dem Schlaf hoch zuckte und die Augen weit aufriss. Langsam drehte er sich zu Alexandra und öffnete den Mund. "Wer...wer steuert eigentlich den Zug?", fragte er und schluckte schwer. Alexandra kroch ein eiskalter Schauer ihr Rückgrat hinauf, während Benjamin die beiden Geschwister nur verständnislos ansah. "Wir müssen sofort los!", rief Lars und sprang auf. Alexandra folgte ihm sofort und rief Benjamin zu: "Komm mit!" Der ließ sich das nicht zweimal sagen und lief hinter ihnen her. Einige Minuten später erreichten sie die offenen Türen. Mit großen Augen hielt Benjamin sich von der offenen Seite weg und fragte sich noch, warum die Türen überhaupt offen standen, als Alexandra ihn auch schon mit sich zog. Dann erreichten sie das Cockpit. "Du...was du gleich sehen wirst, ist nichts für schwache Nerven! Glaub mir! Wenn du willst, kannst du hier draußen warten!", erklärte Lars Benjamin. Aber damit hatte er nur dessen Neugier geweckt, so dass er natürlich darauf bestand, das Cockpit zu betreten. Alexandra zögerte noch kurz und schluckte mehrere Male, bis auch sie schließlich nickte. Zu dritt quetschten sie sich durch die Tür. Benjamin wie auch Alexandra wurden angesichts des Szenarios kreidebleich, auch Lars sah nicht mehr allzu frisch aus. Dennoch zwang er sich, näher zu treten und das Armaturenbrett zu betrachten. Schließlich entdeckte er einen handgroßen Schieberegler. Seiner Stellung nach zu schließen donnerten sie gerade mit Höchstgeschwindigkeit über die Gleise. Lars griff nach dem Regler, ließ seine Hand dann aber einige Sekunden zögernd darüber schweben, bis er schließlich beherzt zugriff und den Regler langsam ein wenig zu sich heran zog. Der Zug reagierte augenblicklich und sie wurden merklich langsamer. Daraufhin entdeckte Lars eine digitale Anzeige, die sich fortwährend veränderte und Befehle vorgab, die auszuführen waren. Sein Blick wanderte weiter über die Armaturen, bis er an einem Knopf mit der Aufschrift "Autopilot" hängen blieb. Er drückte ihn ohne zu zögern. Sofort sprang die Anzeige von "leicht abbremsen" auf "Autopilot aktiv" um. Erleichtert trat Lars einen Schritt zurück und wandte sich dann zu Alexandra und Benjamin um, die krampfhaft darum bemüht waren, alles nur nicht die Leiche anzusehen und meinte: "Ich habe den Autopiloten eingeschaltet. Aber ich weiß nicht, wie es mit dem Anhalten auf dem Bahnhof aussieht. Deswegen sollten wir uns hier in der Nähe des Cockpits aufhalten, um, falls es notwendig sein sollte, rechtzeitig eingreifen zu können! Die Sicht könnte ein weiteres Problem darstellen. Ich hoffe, dass hier irgendwie eine Meldung kommt, wenn man abbremsen muss." Er deutete auf die Windschutzscheibe, die fast komplett von mittlerweile trockenem Blut bedeckt war. Nur am Rand konnte man notdürftig nach draußen schauen. Alexandra und Benjamin nickten einsichtig. Daraufhin begaben sie sich in das kurze Abteil direkt hinter dem Cockpit und setzten sich nieder. Plötzlich durchbrach Benjamin die betroffene Stille: "Was ist hier überhaupt passiert?" "Also...", begannen Lars und Alexandra gleichzeitig, brachen dann ab und lachten los. Nachdem sie sich wieder beruhigt hatten, erzählten sie abwechselnd die Ereignisse, die sich in den letzten Stunden ereignet hatten und erinnerten sich gegenseitig an einige Details, die der jeweils Andere vergessen hatte. Zwei gute Stunden später ertönte plötzlich ein warnendes Piepen aus dem Cockpit. Sofort stürmte Lars hinein und suchte das Armaturenbrett ab. Schnell fand er, was er suchte: eine rot blinkende Diode signalisierte ihm etwas, nur leider war sie nicht beschriftet. Auf der digitalen Anzeige leuchtete immer noch in grünen Lettern auf schwarzem Grund "Autopilot aktiv". Lars lugte durch den Rand der Windschutzscheibe, der noch sauber war. Doch außer Schienen und einigen vorbeirasenden Betonbauten konnte er nichts erkennen. "Auf jeden Fall scheinen wir uns in einer Stadt zu befinden!", meinte er zu sich selbst. Plötzlich kam Alexandra hektisch rufend hereingelaufen. "Bremsen, bremsen! Wir sind schon im Bahnhof!", keuchte sie. Sofort griff Lars nach dem Geschwindigkeitsschieberegler. Er besann sich gerade noch im letzten Augenblick, er war nämlich gerade kurz davor gewesen, ihn mit einem Ruck an sich zu reißen. Er warf einen angeekelten Blick auf das getrocknete Blut und fing dann langsam an, den Regler zu sich zu ziehen. Augenblicklich wie schon zu vor reagierte der Zug und verlangsamte seine Fahrt, bis er schließlich etwas ruckartig zum Stehen kam. Erleichtert seufzte Lars und umarmte Alexandra, die nicht minder erleichtert war. Sie verließen das Cockpit und gingen dem grinsendem Benjamin entgegen, der gerade seinen Rucksack schulterte. Alexandra tat es ihm gleich, woraufhin sie sich zu den bereits offenen Türen begaben und auf den Bahnsteig traten. Eine merkwürdige Stille umfing sie. Lars runzelte die Stirn und meinte: "Irgendetwas stimmt hier nicht. Hier ist ja wirklich niemand! Und das auf einem so großen Bahnhof!" Alexandra murmelte leise, aber so laut, dass auch die anderen Beiden es vernehmen konnten: "Irgendwie unheimlich..." Ohne darauf einzugehen setzten sie sich zögernd in Bewegung, doch im Herzen stimmten die beiden Jungen ihr zu.