„Doppelleben" - eine Ranma ½ Fanfiction

von WASABAH!!!

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Legaler Hinweis oder Disclaimer:

Ranma ½ und alle damit verbundenen Charaktere und Geschehnisse sind

Eigentum von Rumiko Takahashi, Shogagukan, Viz und Ehapa. Ich habe keinerlei

Rechte daran und werde diese Fanfiction nicht aus finanziellem Zweck schreiben.

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Hehe,

Ich bin zurück, um euch weiter zu knechten und zu binden

an meine Fanfiction! *hrhr*

An dieser Stelle möchte ich nur meinen Dank an Benni aussprechen,

der mir nun schon seit langer Zeit auf die Finger schaut und darauf

achtet, dass ich mir auch Mühe gebe.

Da muss ich schon mal einen ganzen Absatz neu schreiben, nur weil

er nicht an mein Qualitätsstandard heranreicht… *grmpf* ;)

Ich verbeuge mich hiermit tief vor dir, Benni, und hoffe weiterhin auf

deine Mithilfe!

Arigato Gozaimasu.

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Kapitel 14 – Lauf des Schicksals:

Benjamin torkelte über die Veranda in das Wohnzimmer hinein. Er fühlte sich hundeelend, und so sah er wohl auch aus, denn Kasumi keuchte erschrocken auf und schlug die Hand vor den Mund und sogar Genma und Soun sahen von ihrem Shogibrett auf.

Benjamin hatte sein Ziel erreicht. Mit seinem Willen verschwanden auch seine physikalischen Kräfte und er sackte auf die Knie. Das Pochen in seinem Kopf übertönte alle anderen Geräusche fast vollständig und ließ ihn seltsam benommen und teilnahmslos werden. Nüchtern stellte er fest, dass sein linkes Bein irgendwie eigenartig verdreht war, aber es kümmerte ihn nicht. Ihn kümmerte gar nichts.

Er spürte, dass er starke Schmerzen durchlebte, doch tat es ihm nicht wirklich weh, denn ein eigenartiger Nebel hüllte und lullte ihn ein. Er war nur so müde, so unglaublich müde. Die Umgebung wurde dunkler. Er merkte, wie Soun auf Befehl von Kasumi davonlief, um Doktor Tofu zu holen. Dann kam Benjamin noch etwas anderes in den Sinn. Nabiki. Er war noch nie gut im Umgang mit Frauen gewesen. Er hatte es satt. Das Einzige, wonach er jetzt noch strebte, war Schlaf. Er wollte schlafen, tief und ruhig und träumen. Schöne Träume. Und nie wieder aufwachen.

Seine Augen klappten langsam zu. Er registrierte kaum noch, wie sein Oberkörper zur Seite umfiel.

Langsam schlug Lars die Augen auf. Ein ungutes Gefühl beschlich ihn. Irgendetwas stimmte hier nicht, doch er konnte nicht sagen, was ihn so verstörte. Leise beugte er sich zu Alexandra. Sie atmete ruhig und gleichmäßig. Vorsichtig schlüpfte er aus dem Zelt und setzte seine nackten Füße auf den mondbeschienenen Waldboden.

Seine Augen weiteten sich und sein Mund klappte auf. Langsam ließ Lars seinen ungläubigen Blick nach oben schweifen. Ein eiskalter Schauer lief ihm den Rücken hinunter. Auf der kleinen Lichtung mitten im Wald, auf der sie ihr Zelt aufgestellt hatten, stand ein Haus. Das war natürlich nichts Ungewöhnliches. Abgesehen von der Tatsache, dass es sich einige Stunden zuvor noch nicht dort befunden hatte.

Aber nicht nur dadurch wusste Lars, dass das Haus hier nichts verloren hatte. Denn er kannte dieses Haus wie seine Westentasche. Es war das Haus, in dem er groß geworden war. Wie hypnotisiert ging Lars auf die Eingangstür zu und drückte die Klinke herunter.

Ungehindert trat Lars ein und schloss leise die Tür. Unwillkürlich rief er: „Shampoo?" Er hatte das seltsame Gefühl ihrer nahen Präsenz. Er runzelte die Stirn und betrat das leere Wohnzimmer. Alles war in dämmriges Mondlicht getaucht. Irgendwie kam ihm die Situation bekannt vor. 

Langsam ging er an der Küche vorbei auf die Treppe zu. Plötzlich meinte er hinter sich ein leises Klappern zu vernehmen.

Erschrocken fuhr er herum, aber niemand war zu sehen. "Shampoo? Bist du da?", fragte Lars flüsternd. Vorsichtig stieg er die Treppe empor, die sich ungewöhnlich in die Länge zog. Jeder Tritt auf eine neue Stufe hallte dumpf durch das Gebäude. Oben angekommen öffnete er die Tür zu seinem Zimmer und fand ein leeres Bett vor, was ihn einerseits nicht verwunderte, andererseits aber irritierte, denn er hatte erwartet, die Gesuchte dort zu finden. Verwirrt aufgrund der gegensätzlichen Gefühle ging er ins gegenüberliegende Badezimmer, dessen Tür leicht offen stand. Lars tippte die Tür an, so dass sie mit einem unnatürlichen Quietschen aufschwang. Neben der Dusche hing ein Handtuch, unter dem sich eine Pfütze gebildet hatte. In regelmäßigen Abständen löste sich ein Tropfen von dem Handtuch und fiel hinein.

Das Geräusch ließ Lars zusammenzucken, denn es wirkte in der Stille wie ein Kanonenschuss. Dann drehte er sich um – und erstarrte. Er ließ sich langsam vor seiner Zimmertür nieder und betrachtete mit einem unheimlichen Gefühl das ungefähr zwanzig Zentimeter Hohe und dreißig Zentimeter Breite Loch, dass er vorher anscheinend übersehen hatte. Das herausgebrochene Stück konnte er nirgendwo entdecken.

Lars hörte sich selber sagen: „Was zur Hölle…" Die Worte klangen seltsam fremd. Ein Schauer lief ihm über den Rücken, als das Wort „Hölle" immer leiser werdend durch die Räume hallte.

Langsam und mit einem wachsenden Angstgefühl in der Brust stand Lars wieder auf und starrte den Türgriff seiner Zimmertür an. Zögernd ergriff er ihn. Nach einigen Sekunden, in denen er mit sich selber kämpfte, gewann die Neugier die Oberhand. Vorsichtig öffnete er die Tür. Doch drinnen befand sich noch immer niemand.

Erneut fragte er instinktiv: „Shampoo?"

Seine Füße trugen ihn wie von selbst die Treppe hinunter in die Küche. Wie vom Schlag getroffen blieb er stehen und betrachtete mit vor Erstaunen weit aufgerissen Augen die Küche. Alle elektronischen und mechanischen Geräte waren von irgendjemand ausgeschlachtet worden. Über den gesamten Küchenboden verteilt lagen Kabel, zerschlagenes Geschirr und Besteck.

Das Mondeslicht ließ die Szenerie surreal erscheinen, dennoch kam Lars die ganze Situation merkwürdig bekannt vor. Ihm blieb keine Zeit, darüber nachzudenken, da ihn plötzlich der schreckliche Gedanke in den Sinn kam, Shampoo könne verletzt sein.

Er stürmte die Treppe hinauf und war im Begriff, in sein Zimmer zu rennen, als er plötzlich und abrupt abbremste. Hatte er da nicht gerade etwas gehört? Langsam drehte er sich um.

Unendlich langsam und mit so stark klopfendem Herzen, dass er Angst hatte, man könnte es hören, näherte er sich der Tür zu dem Schlafzimmer seiner Eltern, aus dem ein klapperndes Geräusch kam. Es klang seltsam verzerrt. Angstschweiß bildete sich auf seiner Stirn, sein Atem ging so schnell, dass er schon fast hyperventilierte. Sein Adrenalinspiegel schien ins Unendliche zu steigen, sein Herz zu bersten. Langsam legte er seine zitternde und eiskalte Hand auf den Türgriff.

Dann, Millimeter für Millimeter, drückte er die Klinke hinunter. Als sie den Anschlag berührte, gab er ihr einen leichten Stoß. Quälend langsam schwang die Tür auf und enthüllte ein reges Treiben, welches Lars einen Schauer nach dem anderen über den Rücken jagte. Das Klappern, Summen, Zischen und Brummen der unzähligen Maschinen lullte ihn regelrecht ein.

Er konnte nicht klar sehen, das gesamte Zimmer war in Bewegung und überall sprühten Funken. Lars kniff die Augen zusammen. Auf einmal machte er eine Gestalt aus, die langsam auf ihn zuging und so immer mehr an Konturen und Schärfe gewann. Ohne sie zu erkennen, wusste Lars, dass er Shampoo vor sich hatte.

Als würde sie aus dichtem Nebel heraustreten, sah Lars sie auf einen Schlag scharf. Shampoo blieb regungslos stehen. Jedes einzelne Detail brannte sich in sein Hirn.

An Shampoos Kopf klammerte eine große metallene Spinne. Die rechte Hälfte ihres Körpers war vom Fuß bis zum Hals umgeben von Kabeln und den verschiedensten elektronischen und metallischen Teilchen. Ihr Gesicht schien unversehrt.

Doch als Lars Shampoo anschaute, kam es ihm vor, als wenn eine eiserne Klaue sein Herz zusammenquetschte. Ein Keuchen entfleuchte seinem Mund. Shampoo starrte ihn mit rot glühenden Augen und langen, gefletschten Zähnen an. Hass loderte in ihrem Blick.

Sie hob ihren rechten Arm, dessen Panzer plötzlich seltsam in Bewegung geriet. Im nächsten Augenblick hielt Shampoo eine überdimensionale Armbrust in der Hand, die mit gespanntem Pfeil direkt auf Lars Kopf zielte. „Stirb, Elendiger!", knurrte Shampoo und drückte ohne zu zögern ab.

Irres Gelächter hallte in Lars Ohren, als sich der riesige Bolzen direkt zwischen den Augenbrauen in seinen Schädel bohrte.

Lars schreckte hoch und saß kerzengerade. Er war schweißgebadet und keuchte vor Anstrengung. Entsetzt presste er sich die Hände auf die Ohren, bis ihm langsam dämmerte, dass er sich in einem Zelt mit seiner Schwester befand, die ihn mit großen, ängstlichen Augen anstarrte. Draußen war es bereits hell.

Langsam ließ Lars die Hände sinken. Doch das irre Gelächter wollte ihm nicht aus dem Kopf. Als hätte ihm jemand mit voller Wucht in den Magen geschlagen, stieg plötzlich eine gewaltige Übelkeit in ihm hoch.

„Hattest du wieder einen Alptraum?", fragte Alexandra besorgt.

Lars antwortete nicht sondern stürzte aus dem Zelt und übergab sich lange und qualvoll in einen Busch. Seine Schwester war ihm gefolgt. Sie wandte sich voll Mitleid ab und wartete, bis Lars fertig war. Dann reichte sie ihm ein Taschentuch, mit dem er sich dankbar den Mund abwischte.

„Möchtest du darüber reden?" Lars schüttelte den Kopf. „Nur ein verdammter Alptraum. Aber so unglaublich realistisch…" Er brach ab, als erneut Übelkeit von ihm Besitz ergriff. Lars schloss die Augen und atmete einige Male tief durch. Langsam fühlte er sich wieder einigermaßen besser. Trotzdem fühlte er sich schmutzig.

„Tut mir leid, dass ich dich aufgeweckt habe. Geh ruhig wieder schlafen, ich gehe zu dem Bach, an dem wir auf dem Hinweg vorbeigekommen sind und wasche mich ein bisschen." Alexandra schüttelte den Kopf. „Macht doch nichts." Sie reichte Lars ein Handtuch und kroch dann wieder in das Zelt hinein.

An dem langsam dahinrauschenden Bach angekommen ließ er sich auf die Knie nieder, wobei er sich seines T-Shirts entledigte, und beugte sich über die sich kräuselnde Wasseroberfläche. Er starrte eine Weile einfach nur die wabernde Spiegelung seines Gesichtes an. „Was geschieht mit mir?", flüsterte er heiser.

Dann tauchte Lars seine Hände direkt hinein, wie um es zu zerreißen und schleuderte sich das kalte Wasser in sein wirkliches Gesicht und gegen seinen Oberkörper. Er seufzte auf. Das eisige Wasser, welches jetzt seinen Körper hinunterlief, gab ihm eine gewisse Sicherheit. Dies hier war echt. Gleichzeitig fühlte er sich regelrecht erneuert. „Ich könnte ganze Bäume ausreißen!", dachte er überschwänglich.

Als er jedoch wieder an seinen Alptraum denken musste, verfinsterte sich seine Miene erneut. Er senkte den Kopf und starrte nachdenklich seine Hände an. „Ist das…" Lars hob den Blick wieder, aber sah nichts Bestimmtes sondern schaute nur weit in die Ferne, als würde er etwas ganz anderes vor sich sehen.

„…Liebe…?"

„Dieser Schmerz…? Diese Sehnsucht…? Dieses Verlangen…? Diese…Alpträume?" Er hob die Hände und verbarg sein Gesicht darin. Aber plötzlich rief er „Nein!" und tauchte seinen Kopf tief in das eiskalte Wasser des Baches. Nachdem er wieder aufgetaucht war, schüttelte er sich wie ein Hund und knurrte mit zusammengebissenen Zähnen: „Dafür ist jetzt keine Zeit. Ich muss mich auf das Kommende vorbereiten!"

Lars sprang auf und trocknete sich auf dem Weg zurück zum Zelt ab.

Dort trainierte er, bis Alexandra wieder aufwachte.

Immer noch schlaftrunken steckte sie ihren Kopf aus dem Zelt. Lars musste unwillkürlich lachen, als er ihr verschlafenes Gesicht sah.

"Guten Morgen!" Alexandra murmelte etwas, das wohl ebenfalls ein Morgengruß sein sollte. Sie schnappte sich ein Handtuch und verschwand in Richtung Bach.

Lars nutzte die Zeit, in der sie nicht da war, um die vom vorigen Tag übergebliebenen Reste von Kasumis Essen auszupacken und auf einem Tuch zu drapieren.

Als Alexandra zurückkam, frühstückten sie erst einmal ausgiebig. Danach packten sie ihre Sachen zusammen und zogen weiter durch die Lande, der dritten und letzten Aufgabe entgegen.

Diese Strecke war ein ganzes Stückchen länger als die vorigen. Gegen Mittag rasteten sie auf einer Wiese am Wegrand und verzehrten mit dem Gaskocher aufgewärmte Dosensuppe. Daraufhin marschierten die Geschwister weiter, an Feldern und Wäldern, Wiesen und Bächen vorbei.

Abends hatten sie ungefähr zwei Drittel der gesamten Strecke hinter sich gelegt. Sie beschlossen, den Rest früh am nächsten Morgen hinter sich zu bringen. Also errichteten sie wieder einmal das Zelt, aßen etwas und legten sich bald darauf schlafen. Erst als Alexandra schon lange ruhig und gleichmäßig atmete, verfiel auch Lars in einen unruhigen Schlaf.

Er wachte entsprechend früh wieder auf. Er lugte durch den Zelteingang und stellte fest, dass der Morgen gerade erst vor kurzer Zeit angebrochen war. Vorsichtig rüttelte er seine sich widerstrebende Schwester wach und verließ dann ihr mobiles Zuhause, um sich ausgiebig zu strecken.

Gähnend kramte er aus seinem Rucksack den Gaskocher und eine Dose Ramen hervor, öffnete sie mit einer Ninjaidoklinge und stellte sie auf den Kocher.

Eine Viertelstunde später steckte Alexandra schnüffelnd ihren Kopf aus dem Zelt. "Ah, hier riecht es gut!" Lars grinste. "Na, Hunger, Schwesterherz?" Alexandra setzte sich mit einem gewaltigen Satz Lars gegenüber und grinste zurück. "Und wie! Aber wieso gibt es denn warmes Frühstück?"

Ihr Bruder zuckte entschuldigend mit den Schultern. "Das Einzige kalte Essen war das von Kasumi und das haben wir schon aufgegessen. Aber egal, ich habe Hunger!"

Mit diesen Worten steckte er seine Essstäbchen in die Dose und fing an, die Nudeln in sich hineinzuschlürfen. Alexandra ließ nicht lange auf sich warten und tat es ihm gleich. Ein heißer und vergnüglicher Kampf um die Nudeln begann und endete wohl mit einem Unentschieden.

Desto weniger Vergnügen bereitete ihnen das Abbauen des Zeltes und das Verstauen ihrer Habseligkeiten in den Rucksack. Sie schauten sich noch ein letztes Mal um, ob sie auch nichts vergessen hatten. Als keiner von ihnen etwas entdecken konnte, wanderten sie weiter.

Gegen frühen Mittag näherten sie sich  ihrem letzten Reiseziel. Ihr beider Puls beschleunigte sich desto mehr, desto dichter sie dem Ort kamen. Nach einer weiteren Biegung des breiten Pfades, auf dem sie gingen, sahen sie vor sich eine kleine Hütte, die nahe an einem felsigen Berg stand.

Lars dehnte nervös seine Finger und somit die Ninjaidos, die er dieses Mal bereits vorher angezogen hatte. Alexandra klopfte zögerlich an die schiefe Tür. Niemand antwortete. Stattdessen schwang sie knarrend auf. Vorsichtig und mit einem mulmigen Gefühl in der Magengegend traten sie ein.

Das Einzige, was sich in der Hütte befand, war eine Art hölzerner Käfig, unter dem sich ein Schacht mit unergründlicher Tiefe befand. Alexandra schluckte schwer, und auch Lars schien alles andere als entspannt. Argwöhnisch beäugte er den nicht unbedingt stabil und sicher wirkenden Käfig, der an einem Seil hing, dass an der Decke über eine Winde lief. "Scheint so eine Art Fahrstuhl zu sein.", stellte Alexandra schließlich fest.

Lars grunzte. "Und ich hab das blöde Gefühl, dass wir da runter müssen!" Seine Schwester nickte und zog vorsichtig die Tür auf, die aus einigen gitterförmig zusammengenagelten Ästen hergestellt worden war.

Auch der Boden des Käfigs bestand daraus, wodurch die Chance relativ groß war, dass man abrutschte und mit einem Bein in eines der großen Löcher fiel.

Lars zog den Fahrstuhl probehalber ein wenig nach unten. Er schien wenigstens ihr Gewicht zu tragen, was doch schon mal eine gewisse Erleichterung für ihn darstellte.

Mit Bedacht wählte er die Streben der Baumstämme und stellte sich in den Käfig. Misstrauisch wartete er einen Moment ab, doch es geschah nichts.

Er bot Alexandra die Hand und half ihr, sich ebenfalls in den Käfig zu stellen.

Sie zog hinter sich die Tür zu. Die beiden Geschwister hatten gerade so lange gewartet, dass sie dachten, es würde gar nicht mehr passieren, als sich der Käfig plötzlich mit einem beängstigenden Ruck in die Tiefe bewegte. Kaum befand sich der Käfig gänzlich in dem Schacht, verdunkelte sich die Gesamtsituation um einiges. Sie konnten nur erkennen, wie schnell sie sich fortbewegten, weil das helle Viereck über ihnen langsam kleiner wurde. Schließlich erzeugte Lars einen kleinen Hik-Ball, der ihnen wenigstens innerhalb des Fahrstuhls Licht spendete.

Die Szenerie wirkte äußerst unheimlich und einschüchternd. Plötzlich, ohne Vorwarnung, blieb der Käfig mit einem gewaltigen Ruck stehen und schwang leicht von Wand zu Wand. Eine ganze Weile geschah nichts, doch gerade das ließ die Geschwister in totaler Ungewissheit tappen und steigerte so ihre Verwirrung und Angst nur noch weiter. Dann, wieder mit einem gewaltigen Ruck, ging die Fahrt in die Tiefe weiter. Doch schon nach wenigen Metern knarrte und ächzte irgendetwas sehr beunruhigend. So unerwartet, dass Alexandra laut aufschrie, fiel der Käfig einige Meter in die Tiefe und blieb dann wieder krachend hängen. "Was..." Weiter kam Lars nicht, denn es ertönte ein lauter Peitschenknall, dem schlagartig der freie Fall folgte. Während Alexandra nur hilflos kreischte, war ihr Bruder geistesgegenwärtig genug, seine Klingen aus den Handrücken auszufahren, sich breitbeinig in den Käfig zu stellen und die Klingen der Ninjaidos mit größtmöglicher Kraft links und rechts von sich gegen die Wände zu drücken. Funken und ein ohrenbetäubendes Quietschen begleiteten sie fortan auf ihrer Höllenfahrt.

Der Widerstand war so stark, dass Lars krampfhaft die Zähne zusammenbiss und es ihm mehrere Male beinahe die Arme gebrochen hätte. Trotzdem gab er nicht auf. Dadurch gelang es ihm, den Käfig wenigstens bei einer konstanten Geschwindigkeit zu halten. Alexandra, die aufgehört hatte zu Kreischen, schrie plötzlich: "Achtung!" Sie hielt sich krampfhaft an einem Ast über ihr fest und stemmte ihre Füße gegen das Holz unter ihren Füßen.

Mit weit aufgerissenen Augen und Mündern und einem unschön kribbelnden, trotzdem tollen Gefühl in der Magengegend sahen sie den beleuchteten Boden des Schachtes auf sich zu rasen. Lars bremste den Käfig bis zum Aufprall. Als es soweit war, sah er kaum etwas. In seinen Ohren dröhnte es so laut, dass er eigenartig benommen war. Um ihn herum flogen überall Splitter und Holzstücke. Er als auch Alexandra waren so geistesgegenwärtig gewesen, kurz bevor dem Aufprall abzuspringen, damit ihre Beine nicht zusammen mit den Ästen zerbarsten.

Nichtsdestotrotz war die Landung so hart, dass Lars keuchend zusammenklappte, als ein gewaltiger Schmerz seine Beine hinauffuhr. Ein Ast schlug ihm so hart gegen die Stirn, dass er für einige Schrecksekunden nur Schwarz sah. Staub, Schmutz und unzählige Holzsplitter- und Stücke prasselten auf ihn nieder.

Dann entstand eine unheimliche, totale Stille. Lars Beine schmerzten so sehr, dass er gepeinigt liegen blieb. Nach einer Weile kamen seine Denkprozesse langsam wieder in Gange. Sofort kam ihm Alexandra in den Sinn. Er setzte sich mühselig auf und entdeckte sie nach kurzem Suchen durch einen seltsamen Rotschleier, der über seinen Augen lag.

"Alexandra?" Sie regte sich nicht. Mit gequältem Gesichtsausdruck robbte Lars zu seiner Schwester. Da sie mit dem Gesicht zum Boden lag, drehte Lars sie vorsichtig um. Sie atmete noch. Sofort untersuchte er sie auf äußere Verletzungen hin und entdeckte zuerst keine. Aber dann, als er mit unendlicher Sorgfalt ihren Bauch freilegte, keuchte er erschrocken.

Ein Ast mit dem Durchmesser einer Faust hatte sie direkt unterhalb der Brust durchbohrt. Ungläubig starrte Lars den blutverschmierten, am Ende splitterigen Ast an.

Alexandra musste unvorstellbares Glück gehabt haben, denn es war ein Wunder, dass sie überhaupt noch lebte. Lars wusste nicht, ob seine Himmlische Kraft ihm in diesem Fall behilflich sein konnte. Er wollte es aber lieber nicht darauf ankommen lassen.

Er begann sich umzusehen. Der Schacht hatte eine mannshohe Öffnung, die in einen breiten, aus dem Fels gehauenen Gang führte. Halter an den Wänden mit Fackeln darin spendeten flackerndes Licht. Fester Sand bildete den Boden. Der Gang bog bereits nach wenigen Metern um die Ecke. Erst jetzt widmete Lars sich seinem eigenen Körper. Zu seiner schier unendlichen Erleichterung waren seine Beine nicht gebrochen, was ihn doch sehr verwunderte. Andererseits war er mittlerweile viel gewöhnt und schließlich war er in Ranmas Welt.

Dennoch brannten seine Beine, als wenn ein Drache sie mit Feuer bespuckt hätte. Er robbte weiter zu einer Schachtwand und zog sich mühsam daran hoch, bis er irgendwann aufrecht stand. Probehalber ging er einige Schritte, wobei er sich davon abhalten musste, nicht gleich laut los zu schreien. Zwar hatte er nicht das geringste Problem, seine Beine zu bewegen, nur schien der Schmerz dann regelrecht zu explodieren und veranstaltete ein wahres Feuerwerk.

Der Schweiß stand Lars auf der Stirn. Mit zusammengebissenen Zähnen hob er Alexandra so vorsichtig wie es nur irgend ging auf und trug sie bis zu der Ecke des Ganges. Kaum war er dort angekommen, fiel plötzlich ein Quader aus der Wand heraus, der so gut getarnt gewesen war, dass Lars gedacht hatte, die Wand würde aus einem Stück bestehen.

Er erschrak und fuhr sofort seine Sinne hoch. Hinter dem Quader hatte sich ein Hohlraum befunden, der nun freigelegt war. Neben einem Pergament hing eine an der Mittelachse befestigte, große Sanduhr. Lars zog die Augenbrauen zusammen und las, was auf dem Pergamentpapier geschrieben stand:

Eindringling!

Lass er zurück, was ihn beschwert,

Denn nur so kann er gewinnen,

Was er so unheimlich begehrt,

Seine Last wird nicht zerrinnen.

Doch komme er nicht zu spät,

Sonst alles unter das Rad gerät.

Hinfort, Hinfort!

Schnell, find er den Ort!

Lars starrte das Pergament noch verwirrt an, als es unerwartet in Flammen aufging und die Sanduhr sich wie von Geisterhand drehte. Der Sand begann zu rieseln, die Zeit lief.

Er starrte Alexandra, die immer noch in seinen Armen lag, mit zerrissenen Gefühlen an. Er konnte sie doch nicht einfach hier liegen lassen! Andererseits würde sie ein großes Hindernis sein. Aber wenn er es nicht schaffte, die Schriftrolle zu finden… „Sonst alles unter das Rad gerät.", murmelte Lars. Ein eiskalter Schauer kroch ihm das Rückgrat hinauf. „Ach verflucht!", knurrte er und legte Alexandra so vorsichtig wie nur möglich auf den Boden. Ihren Kopf bettete er auf den Felsquader. Er schaute sie noch für einen Moment an und strich ihr sanft über die Wange. Dann drehte er sich abrupt um – und wäre beinahe zu Boden gegangen. Die Schmerzen in seinen Beinen hatte er völlig vergessen. Zumindest waren sie ein klein wenig besser geworden. Fluchend machte er sich auf den Weg.

Lars merkte, nachdem er um eine weitere Ecke gegangen war, nicht, dass die Wände hinter ihm in bläuliches Licht getaucht wurden, welches aus der Richtung seiner Schwester kam. Er bemerkte auch nicht, wie das Licht einige Zeit später langsam wieder schwächer wurde und schließlich ganz verebbte.

Nachdem er dem Gang eine Weile lang gefolgt war, endete dieser schließlich in einer schweren Holztür. Lars ergriff die alte Metallklinke, drückte sie herunter und schob die Tür auf. Er trat vorsichtig einen Schritt in den riesigen und stockfinsteren Saal hinein.

Kaum hatte er dies getan, entflammten mit einem Schlag unzählige Fackeln. In Lars' weit aufgerissenen Augen spiegelte sich die widerlichste, größte und bedrohlichste Kreatur, die er je gesehen hatte. Ein erschrockenes, beinahe panisches Keuchen entrang seiner Kehle.

Als die ersten Strahlen der aufgehenden Sonne das Haus der Tendos streichelten, erhob sich Nabiki endlich aus ihrer an der Wand kauernden Position. Sie hatte die ganze Nacht dort verbracht, in Gedanken versunken, von Schuldgefühlen geplagt und vor Kälte zitternd. Es kümmerte sie nicht, ob sie sich eine Erkältung holte, denn es gab weitaus wichtigere Dinge, die sie beschäftigten.

Lautlos betrat sie das Wohnzimmer und betrachtete sich dort in einem kleinen Wandspiegel. „Ich sehe fürchterlich aus.", stellte sie mit einem bitteren Beigeschmack fest. Sie versuchte die Tatsache zu verdrängen, dass sie sich noch viel fürchterlicher fühlte als sie aussah. Ein Versuch, der von Beginn auf an zum Scheitern verurteilt war. Nabiki seufzte.

Von der Treppe kam ein Knarren, begleitet von bedächtigen Schritten. Kasumi kam im Nachthemd die Treppe herunter, als wenn sie genau gewusst hätte, dass Nabiki endlich hereingekommen war. „Guten Morgen, Schwesterherz!", sagte sie freundlich und ignorierte Nabikis äußerliche Erscheinung.

Diese murmelte einen Morgengruß zurück. Kasumi setzte sich auf ein Kissen und deutete auf ein weiteres, welches ihr gegenüber lag. „Setz dich." Nabiki tat wie ihr geheißen und protestierte nicht. Sie wagte es nicht, Kasumi anzusehen und fand daher viel Gefallen am Fußboden. Mit sanfter Stimme fragte Kasumi: „Was ist passiert?"

Mit leiser Stimme begann Nabiki verlegen, die gesamte Misere zu erklären. Ihre große Schwester lauschte aufmerksam. Nachdem sie ihren Bericht abgeschlossen hatte, entstand eine kurze, bedächtige Stille.

„Nun…" Kasumis Stimme klang bedacht, tatsächlich war sie darauf aus, die richtigen Worte zu wählen. „Ich kann mir gut vorstellen, wie du dich jetzt fühlst. Du bist wütend auf ihn und bereust aber gleichzeitig auch, mit ihm in einen Streit geraten zu sein. Und du fühlst dich jetzt in gewisser Weise schuldig und verantwortlich für seine Verletzungen. Ist es nicht so?"

Nabiki konnte nur bestätigend nicken. Insgeheim war sie erstaunt über ihre Schwester, die wohl doch viel gerissener war, als sie wirkte. Sie machte sich irgendwo in ihrem Kopf eine Notiz, in kommenden Zeiten besser auf sie Acht zu geben.

„Erst einmal solltest du nicht vergessen, dass zu einem Streit immer zwei gehören. Benjamin ist mindestens genauso Schuld daran wie du. Euer beider Verhalten war nicht angebracht. Trotzdem solltest du jetzt nicht einfach alle Schuld auf ihn schieben, sondern bei dir selber anfangen!

Schließlich macht jeder Mensch einmal einen Fehler. Aber die meisten kann man korrigieren, richtig stellen."

Nabiki starrte ihre große Schwester mit noch größeren Augen an. Dann lächelte sie schief und ein wenig sentimental. „Das klang gerade wie…Mama…"

Kasumis Pupillen weiteten sich für einen Moment, dann wurden ihre Züge noch einen Tick weicher, ein sanftes Lächeln entstand. „Ich tue was ich kann. Aber hast du mich denn verstanden?"

Erneut nickte Nabiki nur. „Dann möchte ich dir noch eine letzte Frage stellen.", fuhr Kasumi fort. „Du musst sie nicht beantworten, wenn sie dir zu intim ist, das weißt du ja. Was fühlst du denn über…ihn?"

Nabiki zögerte, überlegte. Ja, was fühlte sie eigentlich? Sie versuchte, in sich hineinzufühlen.

Eine lange Stille entstand, in der nur ab und zu ein Knacken irgendwo im Haus zu vernehmen war. „Ich…ich weiß es nicht. Noch nicht.", entgegnete sie nicht ganz wahrheitsgetreu. Kasumi wartete ruhig darauf, dass Nabiki fort fuhr. Diese verstand. „Schon als ich ihn das erste Mal gesehen habe, wusste ich, dass er irgendwie…anders ist. Dieses Gefühl hat sich mit der Zeit immer mehr verstärkt. Aber es ist nicht unangenehm, im Gegenteil. Aber ich verstehe nicht, wie es so weit kommen konnte…"

Nabiki schluckte schwer, doch der Kloß in ihrem Hals wollte einfach nicht verschwinden. Sie war kurz davor, wieder in Tränen auszubrechen. „Ich denke, du weißt, was jetzt zu tun ist?", fragte Kasumi mit einem sanften Lächeln auf den Lippen. „Ja." Nabiki fing an zu Schluchzen und verbarg ihr Gesicht in den Händen. Kasumi rutschte ein Stück näher und nahm ihre kleine Schwester liebevoll in die Arme.

„Es ist schon gut! Denk dran, jeder macht mal einen Fehler! Es ist ja schon gut…"

Nabiki weinte aus ganzem Herzen. Kasumi war in diesem Moment wie eine Mutter für sie, die sie tröstete und sie beschützte. Sie weinte eine halbe Stunde lang ununterbrochen, und schwemmte all ihr Leid, welches sich in den vielen Jahren aufgestaut hatte aus ihrem Körper. Schließlich verebbte der Tränenfluss langsam. Nabiki setzte sich noch schniefend wieder aufrecht hin und wischte sich mit dem Arm das Gesicht ab.

Ein kleines Lächeln erschien auf ihrem Gesicht. „Danke. Mir geht es schon viel besser!", war das Einzige, was sie sagte. Kasumi lächelte nur. „Dann bist du jetzt ja bereit, um deine Fehler wieder gutzumachen", entgegnete sie mit einem liebevollen Lächeln. Nabiki nickte und umarmte ihre große Schwester noch einmal fest. Daraufhin verschwand sie nach oben und ließ eine zufrieden lächelnde Kasumi zurück, die sich alsbald daran machte, das Frühstück zuzubereiten.

Nabiki streifte im Badezimmer ihre Kleidung ab und fühlte sich seltsam erleichtert, als wenn sie soeben eine große Last hatte fallen lassen. Das war auch der Fall, nur handelte es sich um eine Imaginäre. Sie wusste was zu tun war. Sie ließ sich ein heißes Bad ein und wusch sich ausgiebig. Dabei gewann sie mehr und mehr ihre altes Selbstvertrauen und ihre Sicherheit zurück. Als sie endlich aus der Wanne stieg, fühlte sie sich wie neugeboren. Sie betrachtete sich im Spiegel und lächelte mehr als nur zufrieden über ihr Erscheinungsbild. Sie war wieder die Alte.

Sie machte sich fertig und betrat ihr Zimmer. Sofort tauchten die Erlebnisse von letzter Nacht wieder vor ihren Augen auf und das Gefühl der Schuld war wieder da. Aber sie hatte damit gerechnet, außerdem würde sie es ja wieder gut machen. Sie seufzte bei dem Anblick, der sich ihr bot. „Naja, das kriegen wir schon wieder hin.", meinte sie zu sich selbst und suchte dann aus ihrem Kleiderschrank in der Mitte des Zimmers einen prächtigen Kimono heraus.

Wenige Minuten darauf betrat sie eines der beiden leeren Zimmer, die Ranma einst für eventuell noch kommende Kinder geplant hatte. Nur ein Futon lag in der Mitte auf dem Boden, und darin lag Benjamin. Er schlief friedlich und nur ein Verband um seinen Kopf zeugte von dem gestrigen Abend, der Rest seines Körpers war bis auf einen Arm verdeckt.

Leise, um ihn nicht zu wecken, kniete Nabiki neben ihm nieder und betrachtete ihn eingehend. „Wie friedlich er aussieht…beinahe wie ein Kind!", stellte sie mit einer nicht unangenehmen Wärme fest. Daraufhin ergriff sie vorsichtig seine freiliegende Hand und umschloss sie mit ihren. Ihre Krankenwache hatte begonnen.

Lars wagte es nicht, sich auch nur ein klitzekleines Stückchen zu bewegen. Das Wesen vor ihm machte einfach einen zu gefährlichen Eindruck. In einiger Entfernung lag ein großes, schwarzes und schuppiges Tier mit einem Schwanz, der fast genauso lang war wie es selber. Ein Schuppenkamm verlief von der auf zwei riesigen Pfoten gebetteten Schnauze bis hin zum letzten Ende des Schwanzes.

Plötzlich zuckten die spitzen Ohren der Kreatur und sein Maul öffnete sich weit, wobei lange, scharfe Zähne entblößt wurden. Lars versuchte ohne Erfolg, einen dicken Kloß in seinem Hals herunterzuschlucken. Wenn er es nicht besser wüsste, würde er sagen, dass er einen wahrhaftigen Drachen vor sich hatte. Unwillkürlich griff er nach seinen Ninjaboules. Er hatte gerade das große Tor hinter dem Drachen erspäht, als bemerkte, dass ihn plötzlich zwei zu Schlitzen zusammengezogene rote Augen mit im Verhältnis dazu kleinen schwarzen Pupillen anstarrten.

Zitternd drehte Lars seinen Kopf Millimeter für Millimeter der Drachenschnauze zu. Er hatte ein äußerst mulmiges Gefühl in der Magengegend. Er wurde von seiner Vorahnung nicht enttäuscht. Ohne ihn aus den Augen zu lassen erhob sich der Drache schwerfällig auf seine vier Pranken. Er war jetzt von der Höhe her mindestens drei Mal so groß wie Lars. Anscheinend war er alles andere als erfreut darüber, aus seinem Schlaf geweckt worden zu sein. Vorsichtig begann Lars, einen großen Bogen um den Drachen zu machen und zückte dabei seine Ninjaboules. Auch er ließ seinen offensichtlichen Gegner nicht einen Augenblick aus den Augen.

Ohne Vorwarnung legte der Drache den Kopf in den Nacken und als er ihn wieder nach vorne fallen ließ, schleuderte er Lars mit einem tosenden Fauchen einen gewaltigen Flammenball entgegen. Dieser konnte nur noch die Hand heben und sie der anrasenden Feuersbrunst entgegenhalten. Er tat dies rein aus Instinkt, doch es sollte ihm das Leben retten, denn er bemerkte plötzlich dass er eine Art Schutzschild mit der Himmlischen Kraft parallel zu und vor seiner Hand erzeugt hatte. Allerdings war es viel zu klein. Gerade noch rechtzeitig hockte sich Lars zu Boden und hielt seine Hand und somit das Schild vor seinen Körper. Das Feuer donnerte um und über ihn hinweg. Die Hitze war beinahe nicht zum aushalten. Die Flammen leckten regelrecht an ihm und er merkte voll Entsetzen, wie seine Kleidung als auch seine Haare ein wenig verkohlten.

Endlich war es vorüber. Lars richtete sich leicht benommen auf und erkannte erst jetzt, dass sein linkes Hosenbein in Flammen stand. Gierig loderten die Flammen an ihm hoch. Zu Tode erschrocken schnappte er nach Luft, ließ sich auf den Boden fallen und rollte sich durch den Dreck, um das Feuer zu ersticken. Das Feuer wurde zwar eingedämmt, aber einige Flammen überlebten. Seine Haut fing bereits an, schmerzend zu stechen. Geistesgegenwärtig bildete er ein passendes Stück aus Himmlischer Kraft über der Stelle und senkte sie direkt auf die Haut herab.

Sofort erloschen die Flammen aufgrund der fehlenden Zufuhr ihrer Lebensessenz, dem Sauerstoff. Das Stück Hik verschwand wieder, und das Schild hatte sich bereits bei Lars' Sturz in Luft aufgelöst. Er hatte kaum Zeit sich zu wundern, was mit der Himmlischen Kraft alles möglich war und wie er überhaupt wusste, wie er damit umgehen musste.  

Doch er fühlte sich jetzt schon sehr ausgelaugt und realisierte dann, dass bereits dieser wenige Einsatz der Himmlischen Kraft dafür verantwortlich war. Daher musste er den Kampf so schnell wie möglich beenden, andernfalls hätte er keine Chance. Er bezweifelte, dass er überhaupt eine Chance hatte, den Drachen zu besiegen. Ein Plan nahm in seinem Kopf Gestalt an. Er bildete mit seinen Händen eine unsichtbare Kugel und rieb daran. Ein Hik-Ball begann aus dem Nichts heraus zu wachsen. Mit aller Kraft, die er auftreiben konnte ließ Lars ihn wachsen, doch er war zu erschöpft, um eine Kugel größer als einen Tennisball zu kreieren. Verzweifelt und wütend zu gleich packte Lars den Hik-Ball mit einer Hand und warf ihn dem Drachen entgegen.

Plötzlich formte sich ein neuer Plan in seinem Kopf und er sprintete los, seinem geworfenen Ball hinterher. Im Laufen sammelte er seine letzten mentalen Kräfte und erstellte in seiner rechten Hand einen zwanzig Zentimeter langen, dünnen Keil. Für mehr reichte es nicht. Der Hik-Ball traf den Drachen am Hals. Er verletzte ihn nicht, sondern lenkte ihn nur kurz ab und stachelte seine Wut nur noch mehr an. Ein fürchterliches Brüllen entfloh seinem Maul, das Lars einen Schauer über den Rücken jagte.

Trotzdem rannte er weiter auf den Drachen zu, der ihn jetzt erspäht hatte. Mit funkelnden Augen beugte er sich mit seiner großen Schnauze auf Bodenhöhe herunter und neigte ihn dann nach hinten. Lars' Augen weiteten sich, als er erkannte, was nun kommen würde. Im Angesicht des Todes haben Menschen manchmal unglaubliche Kräfte, sie mobilisieren ihre letzten Ressourcen, geben alles. Genau das tat Lars jetzt und rannte noch ein wenig schneller auf den Schädel des Drachens zu. Gerade als der Drache seinen Kopf wieder nach vorne fallen ließ, sprang Lars mit einem gewaltigen Satz ab und segelte auf sein Ziel zu.

So nah unter ihm, dass seine Füße und Beine gefährlich heiß wurden, donnerte das Feuer hinweg.

Der Drache öffnete wieder die Augen und sah Lars, wie er direkt auf ihn zu flog. Doch es war zu spät. Im Flug holte Lars mit dem Hik-Keil aus und schlug ihn dem Drachen ins Auge, als er ihm auf der Schnauze landete. Der Keil war beinahe komplett in dem Auge verschwunden. Lars dachte nicht weiter nach sondern rannte auf dem Drachen entlang, der ohrenbetäubend laut jaulte und sich vor Schmerzen langsam auf die Hinterbeine stellte. Lars verlor das Gleichgewicht und schlidderte auf dem Rücken des Drachen dem Boden entgegen. Aber der Drache bemerkte dies und ließ sich wieder nach vorne fallen, wobei er seinen Schwanz so hob, dass er leicht anstieg und direkt auf die Wand des Saales mit dem Tor zuführte.

Lars hatte so viel Schwung, dass er hilflos über den Schwanz rutschte und dann unkontrolliert durch die Luft segelte. Er drehte sich im Flug, so dass er nicht mehr wusste, wo oben und unten war. Dann kollidierte er hart mit der Wand und fiel schreiend in die Tiefe.

Er knallte mit dem Rücken auf den Erdboden, wodurch alle Luft aus seinen Lungen gepresst wurde. Für einen kurzen Augenblick sah er nur Sternchen. Als er wieder atmen konnte, schüttelte er den Kopf, um wieder klar zu werden und richtete sich dann langsam wieder auf. Sein gesamter Körper schmerzte wie rasend. Doch er vergaß es sofort, als ein lautes Fauchen ertönte und der Drache eine Flammenfontaine in Richtung Decke abfeuerte. Unter Schmerzen spuckte er in alle Richtungen Feuer, um Lars womöglich noch zu erwischen. Aber soweit wollte letztgenannter es am liebsten gar nicht erst kommen lassen.

Er sah sich um und entdeckte das große Holztor direkt hinter sich. Er lief, vielmehr humpelte ihm entgegen und drückte die beiden Hälften mit letzter Kraft auf, was alles andere als leicht war, da das Tor groß und schwer und er nur noch schwach war.

Als er es hinter sich erneut Fauchen hörte, beschloss er kurzerhand, dass der Spalt jetzt breit genug war und quetschte sich hindurch. Doch zu seinem Entsetzen blieb er plötzlich stecken. Verzweifelt rüttelte und zerrte er, aber es half nichts. Es ging nicht vor und nicht zurück. Nichtsdestotrotz gab er nicht auf. Während er sich weiter abmühte, warf er einen Blick zurück.

Was er sah, erweckte bei ihm eine Gänsehaut und ließ ihn nur noch verzweifelter versuchen, sich zu befreien. Der Drache spähte voll Mordlust durch das unverletzte Auge sein wehrloses Opfer an und schleuderte ihm einen letzten Feuerball zu. Wie in Zeitlupe sah Lars die Feuerfront auf sich zurasen. Gleichzeitig bemerkte er, wie sich seine Hüfte plötzlich ein wenig löste. Im finalen Kampf um Leben und Tod drückte, quetschte und zerrte er weiter. Der Feuerball kam immer näher.

Dann kam die Erleichterung, als er mit einem letzten großen Ruck freikam. Panisch schob er den Rest seines Körpers durch die schmale Öffnung und hechtete zur Seite. Genau in dem Moment erreichte das Feuer das Tor, wobei ein Teil fauchend durch den Spalt geschossen kam und Lars Beine noch erwischte. Er ging schwer zu Boden und spürte außer den sowieso schon großen Schmerzen nun noch ein Brennen in dem Bein, welches vor einiger Zeit schon in Flammen gestanden hatte. Das andere schien unversehrt, nur die Hose hatte eine wesentlich schwärzere Farbe angenommen.

Aber Lars hatte nicht viel Zeit zum Nachdenken, denn ein Knurren, das ihm einen Schauer nach dem anderen über den Rücken laufen ließ ertönte durch den Spalt hindurch. Schnell rappelte er sich auf und drückte mit letzter Kraft die beiden Torflügel wieder zusammen. Keine Sekunde zu spät, denn er hörte, wie der Drache erneut Feuer spuckte.

Völlig erschöpft ließ Lars sich erst auf die Knie sinken und legte sich dann ganz auf den Boden. Er zitterte am ganzen Körper, zum einen, weil er total ausgelaugt war und zum anderen, weil sein Adrenalinspiegel eine Weile brauchte, um sich wieder abzubauen. Erst jetzt bemerkte er, dass er schweißbedeckt war und ziemlich flach und schnell atmete.

Zwar schmerzte ihm sein gesamter Körper und er bemerkte mit halb geschlossenen Augen gerade noch eine Blutlache auf dem Boden, aber eine so gewaltige Müdigkeit ergriff von ihm Besitz, dass er einfach nichts dagegen unternehmen konnte. Er flüsterte noch leise „Shampoo…", um dann fast augenblicklich in einen tiefen Schlaf zu verfallen.

Benjamin wachte friedlich auf. Er öffnete langsam die Augen und starrte an eine gewöhnliche Decke. Auf den ersten Blick wusste er nicht, wo er war. Auch auf den Zweiten nicht, doch als er Nabiki sah, nahm er an, dass er sich noch im Hause der Tendos befand.

Ihr Kopf war nach unten gesackt, ihre Augen geschlossen und ihr Atem ging langsam und gleichmäßig. Anscheinend war sie eingeschlafen. Benjamin fragte sich, wie lange sie dort schon so gekniet hatte. Ein Tablett mit benutztem Geschirr neben ihr auf dem Boden belegte, dass es wohl schon mindestens ein paar Stunden gewesen waren.

Er bemerkte den Kimono, den sie trug und stellte fest, dass er ihr unheimlich gut stand. Für einen Moment hatte er sogar gegen den Impuls anzukämpfen, sich aufzurichten und ihr über die Wange zu streicheln.

Nun erst bemerkte er, dass ihre Hände seine fest, aber doch sanft umschlossen hatten. Sie spendeten eine angenehme Wärme. Sofort schnellte sein Puls in die Höhe. Unbewusst zog er die Futondecke ein wenig herunter, um nicht gleich in Schweiß auszubrechen.

Langsam begannen die Ereignisse der letzten Nacht in seine Gedanken zu rieseln. Jedenfalls nahm er an, dass es letzte Nacht geschehen war. Er seufzte leise.

Sie hatten sich beide völlig unnötigerweise gestritten. Nun gut, vielleicht nicht ganz unnötigerweise, er hatte immerhin Müll gebaut. Aber sie hätten es doch wie vernünftige erwachsene Menschen ausdiskutieren können! Stattdessen hatten sie sich völlig unreif verhalten, beide, das räumte er ohne Umschweife ein.

Ein weiterer Seufzer entfleuchte seinem Mund. Er war schon immer so gewesen, er hatte einfach kein Gefühl im richtigen Umgang mit Frauen. Vielleicht fehlte ihm auch nur ein wenig Übung.

Sobald sie beide wieder gleichzeitig wach waren, würde er sich zutiefst bei ihr entschuldigen, so viel stand fest. Hoffentlich bekam er dann bloß die richtigen Wörter über die Lippen!

Benjamin musste ungewollt ein wenig lächeln, denn Nabiki hatte sich in gewisser Weise schon bei ihm entschuldigt oder signalisierte ihm vielmehr, dass es ihr Leid tat, indem sie hier an seinem Futon Wache hielt.

Er schloss die Augen wieder und hoffte, wenigstens im Schlaf die Sorgen, die ihn bedrückten, zu vergessen. Schon kurze Zeit später war er wieder ins Reich der Träume abgedriftet.

Als er das nächste Mal aufwachte, hörte er Geschirr klimpern und eine Tür ins Schloss fallen, was wohl der Grund für sein Erwachen war. Augenblicklich bemerkte er, dass Nabiki seine freie Hand immer noch hielt.

Nicht ohne Schmerzen zog er die andere aus dem Futon hervor und rieb sich gähnend die Augen.

Dann schlug er sie letztendlich auf. Dieses Mal war Nabiki wach und lächelte ihn nervös und ein wenig schief an. „Guten Morgen." Ihre Stimme klang unsicher. Er erwiderte das Lächeln kurz und wünschte ihr dann mit neutraler Stimme ebenfalls einen guten Morgen.

Eine peinliche Stille entstand. Benjamin hüstelte verlegen und fragte dann, nur um irgendetwas zu fragen und die Stille zu durchbrechen: „Wie lange habe ich geschlafen?"

Nabiki überlegte kurz. „Ich weiß es nicht genau, irgendwann habe ich den Sinn für die Zeit ein wenig verloren. Aber ich denke so zwei Tage." Benjamins Mund öffnete sich, doch kein Ton entwich ihm. Schließlich fing er sich und schloss den Mund wieder, nur um ihn dann wieder zu öffnen.

„Und du hast die ganze Zeit hier gesessen?", fragte er mit einem Unterton von Ungläubigkeit in der Stimme. Nabiki nickte, nicht ohne ein kleines bisschen Stolz. „Kasumi hat mich freundlicherweise mit Verpflegung unterstützt.", grinste sie.

„Die ganze Zeit!?" Benjamin konnte es immer noch nicht glauben. „Achtundvierzig Stunden lang!?" Nabiki nickte. „Ungefähr ja. Allerdings kann ich es dir nicht garantieren. Jetzt wo du wach bist…kann ich aufstehen?" Wie betäubt nickte er. Nabiki stützte ihren Oberkörper auf der Höhe von Benjamins Kopf neben dem Futon auf dem Boden ab, um ihre Beine unter ihrem Körper hervorzuholen. Sie legte sich neben ihn auf den Boden, sichtlich erleichtert. Ein befreiender Seufzer entfuhr ihr.

„Meine Beine sind eingeschlafen, mittlerweile merke ich sie gar nicht mehr. Aber den Schmerz spüre ich dafür auch nicht mehr.", erklärte sie, als würde sie über Kasumis täglichen Einkauf berichten. Benjamin hatte seinen Kopf auf die Seite gedreht und starrte sie immer noch völlig verwirrt an.

„Aber…wieso!?!", fragte er konfus.

„Ich war dir was schuldig", entgegnete sie. Benjamin zog die Stirn kraus. „Quatsch, ich schulde dir was! Und selbst wenn du mir was schuldest, brauchst du dich doch nicht selbst so zu quälen!", erwiderte er, beinahe ein wenig aufbrausend.

„Und was, wenn ich mich gerne selber quäle?" Sie drehte ihren Kopf ebenfalls und betrachtete ihn mit einer Miene, die auf nichts schließen ließ. Sie lachte los, als sie Benjamins angespannte Miene sah. „War doch nur ein Scherz!" Er atmete erleichtert aus, musste dann aber selber grinsen. Schnell wurde er wieder ernst.

„Jetzt stehe ich noch tiefer in deiner Schuld. Ich…wegen ges…äh…vorgestern…es tut mir leid.", meinte er leise. Nabiki antwortete nach einer kurzen Pause genauso leise: „Mir auch."

Benjamin fühlte sich gleich viel besser, vor allen Dingen, weil die riesige Last, die ihm bisher auf den Schultern geruht hatte, verschwunden war. „Nachdem das geklärt wäre, kann ich jetzt ja dein Zimmer in Ordnung bringen." Er sprudelte vor frischer Energie beinahe über, setzte sich auf und wollte aus dem Futon klettern. Dabei bemerkte er mehrere Sachen. Zum einen hatte er nur eine Boxershorts an. Zum nächsten hatte er außer dem Verband um den Kopf noch etliche Pflaster auf dem Oberkörper kleben und spürte dementsprechend verschieden starke Schmerzen. Außerdem verstand er endlich, warum er die ganze Zeit so unscharf sah: Er hatte seine Brille nicht auf.

Was ihn aber am meisten irritierte, war sein linkes Bein. Irgendetwas hinderte ihn daran, es zu knicken.

„Ähhh…" Nabiki erklärte es ihm ohne Umschweife: „Dein linkes Bein ist gebrochen, außerdem hast du etliche Prellungen am Oberkörper und einige weniger schlimme blaue Flecken an den Armen und Beinen. Aber das Übelste ist wohl noch die Platzwunde am Hinterkopf. Wobei hast du dir die bloß geholt?"

Benjamin ließ sich zurück in den Futon sinken. „Scheiße." Nabiki blickte ihn tadelnd an. „Tststs. Kein Fluchen in Gegenwart einer Dame! Nun?" Benjamin bedachte sie mit einem finsteren Blick und erzählte ihr dann grob, was geschehen war. Seine Miene wurde noch finsterer, als Nabiki erst anfing zu kichern und sich dann in ein regelrechtes Gelächter hineinsteigerte.

„Pah! Du hast als Klebebandmumie auch nicht unbedingt deine Schokoladenseite gezeigt!", entgegnete er schnippisch. Nabiki verstummte schlagartig und sah ihn so ertappt an, dass er einfach nicht an sich halten konnte und wieder Willen loslachen musste. Immer noch lachend meinte Benjamin: „Wenn das so weitergeht, fangen wir ja bald an wie Ranma und Akane!" Nabiki brach auch wieder in Gelächter aus, verstummte nach kurzer Zeit aber wieder und sah traurig an die Decke. „Ich vermisse Akane wirklich…"

Benjamin schluckte. Am liebsten hätte er sich selber geschlagen. „Tut mir leid…", flüsterte er. Nabiki schüttelte den Kopf. „Ist schon gut." Dann setzte sie ihre neutrale Miene wieder auf. Sie fragte sich selber, warum sie diesem Jungen gegenüber überhaupt so viele Emotionen zeigte. Sie hatte ihm mehr von ihren Gefühlen gezeigt als allen anderen Einwohnern in Nerima zusammen.

„Ah, ich merke langsam endlich meine Beine wieder." Ihr Ablenkungsversuch war erfolgreich und wurde ein noch größerer Erfolg, als sie aufgrund des extremen Prickelns in ihren Beinen angewidert das Gesicht verzog. Die beiden setzten sich fast zeitgleich wieder auf. Plötzlich hatte Benjamin seine Brille ein Stückchen neben ihm erspäht, jedenfalls vermutete er es aufgrund der verschwommenen Form. Er tastete danach und sah sich bestätigt.

Er setzte sie sich auf die Nase und sah sich dann um. Der Raum, indem er sich befand war sehr geräumig, nicht zuletzt, weil er bis auf den Futon vollkommen leer war.

Nabiki hatte sich mittlerweile hingestellt und schwankte mit vor Schmerz leicht verzerrtem Gesicht ein wenig hin und her. „Alles in Ordnung?", fragte Benjamin mit einem besorgten Unterton. Sie nickte nur.

„Ähm…" Er errötete leicht aufgrund der Frage, die er nun stellen wollte. „Wo sind denn meine Klamotten?"

Nabiki sah einen Moment auf ihn herunter und schlug sich dann mit der flachen Hand gegen die Stirn. „Achja, natürlich! Die sind gerade in der Wäsche, waren ziemlich mitgenommen", verkündete sie.

„In meinem Rucksack habe ich noch ein wenig Ersatzwäsche", deutete Benjamin an, doch Nabiki winkte ab.

„Du bekommst etwas von Vater, bist zwar ein bisschen größer, aber das passt schon. Und morgen früh oder so kaufen wir dir dann was Ordentliches zum anziehen." Benjamin wollte protestieren, doch Nabikis Blick ließ es gar nicht soweit kommen. „Bis gleich!"

Sie winkte ihm über die Schulter zu und verschwand dann durch die Tür. Schon nach kurzer Zeit kam sie mit einem weißen Trainingsanzug zurück, den Benjamin aus dem Manga nur zu gut kannte. Er hatte schon immer einen tragen wollen und nahm ihn entsprechend ungeduldig entgegen.

Nabiki wartete in einiger Entfernung und bemühte sich, Benjamin nicht anzusehen. Dieser rutschte umständlich aus dem Futon heraus und stellte sich dann aufgrund des gegipsten Beines ein wenig unsicher hin. Daraufhin schlüpfte er mit dem unverletzten Bein in die Trainingsanzugshose, verlagerte sein Gewicht darauf und steckte dann das Gipsbein unbeholfen in das zweite Hosenbein. Die Hose dehnte sich gefährlich weit nach vorne aus, da er sein Bein ja nicht knicken konnte.

Benjamin hüpfte bereits tapsig auf dem Bein, das seine Masse trug, um das Gleichgewicht nicht zu verlieren. Vorsichtig drückte er sein Bein noch ein wenig weiter nach unten, bis er auf Widerstand stieß. Jetzt hatte er ein Problem. Schob er sein gegipstes Bein noch ein Stück hinunter, würde die Hose reißen, da die Dehnbarkeit des Stoffes spürbar erreicht war.

Das Bein herausziehen war allerdings auch nicht mehr möglich, weil auch dabei die Wahrscheinlichkeit sehr groß war, dass entweder der Stoff riss oder er stürzte. Beides wäre ziemlich peinlich und letzteres wohl auch noch schmerzhaft dazu.

Benjamin befand sich in einer Zwickmühle, aus der ihm nur die zweite Person in dem Raum heraushelfen konnte. Er erhob gerade seine Stimme, um Nabiki um Hilfe zu beten, als er nach einem weiteren Hüpfer, um das Gleichgewicht zu halten, so ungeschickt landete, dass er genau das Gegenteil erreichte und nach vorne kippte.

Es gelang ihm im letzten Augenblick, sich mit einem weiteren Hüpfer abzufangen, jedoch hatte er so viel Schwung, dass er zwangsweise immer weiter geradeaus hüpfen und mit Nabiki kollidieren musste. Diese wiederum wurde nun gezwungen, Benjamin doch anzuschauen. Verwirrt zog sie die Stirn kraus.

„Was zur Hölle macht er da?!", dachte sie völlig perplex.

Sie begriff erst, als Benjamin stolperte und ihr entgegen fiel, was überhaupt los war, doch sie hatte keine Zeit mehr, um auf irgendeine Art und Weise zu reagieren. Er knallte gegen Nabiki, woraufhin sie durch die unerwartete Last ein Stück nach hinten taumelte. Um ihm Einhalt zu gebieten, aber auch, um nicht selber ein Opfer der Schwerkraft zu werden, hielt sie Benjamin fest.

Seine Stimme ertönte leicht gedämpft. Gleichzeitig spürte Nabiki einen heißen Lufthauch an einer etwas intimeren Stelle. Sie zuckte zusammen, während sich ihre Haut in besagtem Bereich erregt zusammenzog.

„Hö? Wieso ist es plötzlich so dunkel? Und was ist hier denn so weich? Nab…"

Nabikis Herz setzte aus. Im selben Atemzug erkannten die Beiden, was überhaupt Sache war. Genauso gleichzeitig schoss ihnen das Blut in den Kopf, wobei dies bei dem jungen Mann erst dann zu erkennen war, als er panisch seinen Kopf aus dem Ausschnitt von Nabikis Kimono riss.

Benjamin wusste nicht, wo ihm der Kopf stand. Sein Herz raste so schnell wie noch nie in seinem gesamten Leben. Nun gut, als er auf seinen Fußball getreten, durch die Luft geflogen, auf dem Skateboard gelandet und die Treppe hinuntergedonnert war vielleicht, aber das hier war etwas ganz anderes.

Er hatte ihr Herz Pochen gehört und ihre weiche Haut gespürt. Oh, und wie unheimlich weich und zart sie gewesen war! Es liefen ihm abwechselnd heiße und kalte Schauer durch den Körper, vor Glück und vor Angst, was Nabiki jetzt machen würde.

Auf jeden Fall schien es ihr ähnlich zu ergehen, denn sie atmete schnell und flach und ihr Gesicht hatte ebenfalls immer noch eine tiefrote Hautfarbe. Benjamin wusste, das Beste wäre, sich jetzt zu entschuldigen, aber was sagen?! Leider fiel ihm diese Frage erst ein, als er schon mitten im Redefluss war.

„Ahh, es tut mir leid! Das war keine Absicht, ich bin mit meiner Hose im Bein…äh…mit meinem Bein in der Hose steckengeblieben und dann gestolpert…" Seine Stimme erstarb langsam. Er hatte sich wieder einmal richtig schön reingeritten. Wieso zur Hölle passierten immer ihm diese völlig verrückten Ausnahmesituationen?! Das war doch einfach nicht fair!

In Nabiki herrschte ein Wirbelsturm der Gedanken und Gefühle. Noch nie hatte sie eine Berührung derart…berührt. Zwar war sie in ihrem Stolz zutiefst gekränkt, aber andererseits störte sie dies kaum, da das Gefühl einfach nur zu schön gewesen war. Gerade das verwirrte sie noch mehr, denn normalerweise war ihr Stolz unantastbar, und wenn irgendjemand es wagen sollte, sie zu erniedrigen, war ihm ein Verderben bringender Racheakte sicher. Aber sie fühlte noch nicht einmal das Verlangen, sich dafür zu rächen!

Trotzdem trat sie vor und gab Benjamin eine halbherzige Backpfeife, einfach nur, weil sie das Gefühl hatte, sich rächen zu müssen, auch wenn sie es gar nicht wollte. Benjamin drehte langsam den Kopf zurück und sah sie weiter verlegen an.

Nabiki war erstaunt. Er nahm es einfach so hin, ohne mit der Wimper zu zucken. Entweder gab er ihr damit eine Berechtigung für ihre Tat, da er seine Schuld anerkannte oder er verspottete sie, indem er ihr die Stirn bot.

Sie verstand nicht wieso, aber sie nahm sofort an, er würde sich dadurch über sie lustig machen. Die Kränkung fraß sich noch tiefer in sie hinein und breitete sich langsam aus. Ihr war zum Heulen zumute und sie brach fast wirklich in Tränen aus, als sie erkannte, dass sie nicht in der Lage war, ihm noch eine Ohrfeige zu verpassen. Sie drehte sich hastig um und rannte aus dem Zimmer. Noch tiefer zu sinken, indem sie auch noch vor ihm losweinte, wollte sie sich ersparen.

Die Tür knallte ins Schloss. Benjamin starrte sie völlig verwirrt an. Jede Reaktion hätte er erwartet, aber nicht diese! Kurz bevor sie sich umgedreht hatte, hatte sie ausgesehen, als wenn sie jeden Augenblick in Tränen ausbrechen würde. Er verstand die Welt nicht mehr. Was hatte er denn jetzt schon wieder falsch gemacht?! Er hatte die Schuld akzeptiert und die Strafe ohne zu protestieren über sich ergehen lassen!

Mit den Gedanken immer noch bei Nabiki setzte er sich kurzerhand auf den Hosenboden und zog sich dort langsam den Trainingsanzug an, wodurch ihm wesentlich weniger Unglück beschert wurde, was aber wohl auch daran lag, dass sich Nabiki nicht mehr in dem Zimmer befand.

Danach erhob er sich ungeschickt und schwankte durch die Tür auf den Flur hinaus. Das unbewegliche Bein war wirklich eine Behinderung, irgendwo in seinem Gehirn notierte er, sich bei nächster Gelegenheit eine Krücke zuzulegen. Jetzt hatte er jedoch erst einmal wichtigeres zu tun.

Benjamin vermutete richtig und fand Nabiki in ihrem Zimmer auf. Sie stand am weit geöffneten Fenster und sah gedankenverloren in die Ferne. Er schob die Tür lautlos wieder zu und trat dann einige Schritte näher. „Nabiki?" Sie schien ihn nicht kommen gehört zu haben und drehte sich aus Reflex um. Sie bereute es sofort, denn ihre Augen waren vom Weinen sicher gerötet. Als sich Benjamins Pupillen bei ihrem Anblick geringfügig weiteten, sah sie ihre Annahme bestätigt. 

Sie würde jedoch nicht klein beigeben und sich von ihm abwenden. Wenn er hier war, um sie noch weiter zu erniedrigen, dann hatte er sich aber eindeutig geschnitten! Zu ihrer Verwunderung starrte er jedoch verlegen zu Boden, anstatt sie gemein anzugrinsen.

„Hast…hast du geweint?" Also doch. Plötzlich wurde sie wütend. Er wollte also den Keil weiter in die Wunde hineintrieben und sich über ihre Schwäche lustig machen. Sie antwortete mit frostiger Stimme: „Nein. Wenn du dich weiter über mich lustig machen willst, dann bitte nicht hier. Verschwinde. Pack deine Sachen und hau ab. Geh!"

Benjamin hob den Kopf und starrte sie völlig überrumpelt an. Dann dämmerte es ihm und er musste unwillkürlich lachen. Das war eindeutig zu viel. Nabiki kochte vor Zorn und stürmte auf ihn zu. Er hob abwehrend die Hände und rief: „Nein, nein! Du hast das völlig falsch verstanden! Ich wollte mich nicht über dich lustig machen!"

Jetzt war es an Nabiki, verwirrt zu sein. Ein Hoffnungsschimmer hing in ihren Augen. Aber sie konnten ihre Konversation nicht fortführen, denn eine Unterbrechung der besonderen Art lenkte ihre Aufmerksamkeit auf sich. „Nabiki mein Schatz!", ertönte es mit krächzender Stimme von draußen.

Nur Sekunden später hüpfte Happosai durch das Fenster in das Zimmer und klebte an Nabikis Brüsten. Das war das erste Mal, dass es dem alten Perversen gelungen war, sie zu betatschen. Sie war in den letzten Tagen einfach so durcheinander, dass sie jetzt nicht mehr zur Abwehr in der Lage war.

Benjamin reagierte geistesgegenwärtig und pflückte Happosai von Nabiki ab. Er hielt ihn wie ein Torwart beim Abstoß mit beiden Händen vor sich und fragte den alten Mann dann mit ehrfurchtsvoller Stimme:

„Meister, eines wollte ich schon immer wissen, und ich glaube, ihr seid der einzige, der es weiß!" Happosai, geschmeichelt durch die Anrede und den Kontext, fragte freundlich: „Was denn?"

Benjamin grinste breit und meinte dann trocken: „Warum du immer in der Luft endest!"

Mit diesen Worten kickte er Happosai mit voller Kraft in die Luft. Happosai zischte mit dem Kopf zuerst durch dieselbige – und krachte mit größtmöglicher Wucht einen Meter neben dem Fenster gegen die Wand. Mit einem unschönen Geräusch rutschte er langsam daran herunter und fiel mit einem Plumpsen bewusstlos um.

Benjamin kratzte sich verlegen am Kopf und murmelte: „Ich sollte noch ein bisschen an meiner Zielgenauigkeit arbeiten…Ich habe eigentlich das Fenster angepeilt." Dann konnte er sich einfach nicht helfen und brach in schallendes Gelächter aus. Nabiki erschrak zuerst, fiel dann aber aufgrund der zu komischen Situation ein.

Als sie sich nach einer Weile langsam wieder beruhigt hatten, meinte Nabiki auf einmal sanft: „Dazu wirst du noch genügend Gelegenheiten bekommen." Benjamin verstummte vollends, sah sie an und versuchte ihren Blick zu ergründen. Sie fing an, das süßeste Lächeln zu lächeln, das er je gesehen hatte. Unbewusst hielt er den Atem ob ihrer Schönheit an, die aus seiner Sicht durch die geröteten Augen keineswegs gemindert wurde.

Er merkte, wie sein Herz hart und schnell pochte. Aufregung stieg in ihm hoch und er war sicher, dass sein Gesicht jetzt mindestens einen leichten Rotton hatte.

„Weil ich soeben beschlossen habe, dass du bleiben darfst." Sie löste widerwillig, wie sie sich eingestehen musste, ihre Augen von seinem Blick und starrte verlegen zu Boden. Ihre Stimme nahm ein wenig an Lautstärke ab. „Es tut mir leid, ich habe mich in dir getäuscht." Sie hob ihren Kopf erneut, runzelte die Stirn und blickte ihn forschend an. „Du wolltest dich doch nicht über mich lustig machen, oder?"

Benjamin bemühte sich hastig, ihr zu versichern, dass dem nicht so war und trat einen Schritt näher. „Nein, nein! Ich würde mich doch nicht über dich…niemals…im Gegenteil…" Seine Stimme wurde immer leiser und erstarb schließlich, da Nabiki begonnen hatte, ihn glücklich und breit anzulächeln.

Benjamin wurde heiß und kalt, das Herz raste und der Adrenalinspiegel stieg beträchtlich. Wie er sie so dastehen sah wurde er plötzlich von dem Drang überwältigt, sie fest zu umarmen und nie wieder gehen zu lassen. Er konnte sich gerade noch zügeln. Er konnte sie doch nicht einfach so umarmen, was würde sie nur denken?

Als Nabiki hörte, wie er sich beeilte, ihr zu versichern, dass er sich nie über sie lustig machen würde, fiel ihr ein gewaltiger Stein vom Herzen. Ein unglaubliches Glücksgefühl machte sich in ihr breit, welches nur noch durch eine Umarmung von ihm gesteigert werden konnte. Daher wünschte sie sich in diesem Augenblick nichts sehnlicher als das, auch wenn sie in gewisser Weise Angst vor sich selber hatte. Was war nur mit ihr los?

Sie wischte die Zweifel beiseite, als sich auch auf seine Lippen ein leichtes, warmes Lächeln legte und er „Danke" flüsterte. Die Sehnsucht wurde mit einem Mal so groß, dass sie es einfach nicht mehr aushielt und ohne weiter darüber nachzudenken nach vorne stürmte und Benjamin fest umarmte.

Der hatte damit überhaupt nicht gerechnet und war entsprechend überrumpelt. Sein Adrenalinspiegel schoss in die Höhe und über das Messbare hinaus. Ein warmer Schauer lief durch seinen Körper, als er den ihrigen so direkt und mit all seinen Formen fest an sich spürte.

Nabiki drückte ihren Kopf an seine Brust und er war sicher, dass sie sein Herz klopfen hörte. Sie musste es einfach hören, so schnell und hart wie es schlug. Mit zitternden Händen hob er seine Arme und legte sie auf ihren Rücken. Dann drückte er sie sanft noch ein wenig mehr an sich. Glücklich schloss er die Augen und senkte den Kopf, so dass er sein Gesicht in ihren duftenden Haaren verbergen konnte.

Nabiki hing mit klopfendem Herzen an ihm und konnte jedes Detail seines Körpers an dem ihrigen spüren. Sie lauschte ängstlich auf seine Reaktion seinem schnell pumpenden Herzen und hoffte, dass er sie nicht zurückweisen würde. Erneut durchwogte sie dieses wunderschöne Glücksgefühl und drang bis in die letzte Spitze ihres Körpers, als sie seine Hände auf ihrem Rücken spürte.

Sie schloss die Augen, um es vollends zu genießen. Plötzlich drückte er sie noch ein wenig fester an sich, was ihr noch einmal einen unglaublichen Schub gab. Der kostbare Moment war perfekt und hätte ewig angehalten, wenn nicht die dritte Person im Raum lautstark wieder zu sich gekommen wäre.

„Au, mein Kopf! Hey! Wo sind meine geliebten Büstenhalter junger, unschuldiger Mädchen hin?" Happosai hatte den für seine Körpergröße gewaltigen Sack erspäht und zerrte ihn sofort an sich. „Ah, da ist er ja!"

Erst jetzt bemerkte er die beiden anderen Personen in dem Zimmer, die mit verlegen hinter dem Rücken verschränkten Armen dastanden und schüchtern alles nur nicht sich gegenseitig anschauten. Happosai hüpfte zu Benjamin und meinte: „Knie dich hin!"

Der sah ihn misstrauisch an und fragte: „Warum?" Happosai zog einen Spiegel aus den Tiefen seines schier unergründlichen Sackes. „Damit ich dir etwas zeigen kann!" Die Stimme des alten Mannes duldete keinen Widerspruch, also kniete Benjamin sich so gut es mit einem eingegipsten Bein eben ging nieder.

„Du wolltest ja wissen, warum ich immer in der Luft ende. Ich werde dir sagen, warum!" Er hielt ihm den Spiegel unter die Nase und kreischte plötzlich mit vor Wut und Genugtuung verzerrtem Gesicht:

„Weil dann keiner mit einer Gegenattacke rechnet!" Dann ging alles sehr schnell.

Nabiki, der das Ganze sowieso schon ein wenig faul vorgekommen war, erkannte, um welch besonderen Spiegel es sich hier handelte, sprang zu Benjamin und hielt sich an ihm fest. Zeitgleich holte Happosai aus und trat dem armen Jungen an eine Stelle, wo kein armer Junge getroffen werden möchte: Zwischen die Beine.

Benjamin keuchte vor Schmerz und kniff die Augen zusammen. Dabei presste er eine Träne, die durch die plötzliche Qual entstanden war, heraus. Sie folgte dem Gesetz der Schwerkraft und landete genau auf dem Spiegel. Happosai grinste fies und knurrte: „Und jetzt sag Lars' Welt! Andernfalls werde ich dich solange weiter treten, bis du es endlich gesagt hast!"

Benjamin folgte dem logischen Menschenverstand und tat nichts ahnend, wie ihm geheißen. „Lars' Welt!", presste er die Worte immer noch unter Schmerzen hervor. Der laute Schrei von Nabiki erreichte ihn einen kleinen Moment zu spät, der ihr Schicksal drastisch ändern sollte.

Verwirrt sah Benjamin sich um. Hatte er nicht gerade zuvor auf dem Teppich von Nabikis Zimmer gekniet? Es war zwar alles genauso geblieben, seine Haltung, sein Aussehen. Nur seine Umgebung hatte sich auf einen Lidschlag komplett verwandelt. Vor lauter Staunen und Furcht merkte er die Schmerzen in seiner Leistengegend kaum noch.

Er starrte die leergefegte Straße, auf der er sich jetzt befand, und die daran stehenden Häuser mit großen Augen an. „Was…?"

Erst als Nabiki sich bewegte, fiel ihm ihre Präsenz auf. Happosai hingegen konnte er nirgendwo entdecken. Sie stand auf und sah sich langsam um. „Das ist also Lars' Welt. Sieht ja total anders aus als unsere!", meinte sie spöttelnd. Benjamin erhob sich ebenfalls, wenn auch etwas weniger graziös.

Und dann erst fiel es ihm wie Schuppen von den Augen. Der Spiegel eben war der Nanbann-Spiegel gewesen! Aber er hatte doch gar nicht geweint! Er tastete nach seinen Augen und fühlte einen leichten Feuchtigkeitsfilm an seinem einen. Damit wäre das schon einmal geklärt.

Wieso aber hatte Happosai den Spiegel gehabt? Lars und Alexandra waren doch ausgezogen, um ihn zu suchen! Hatte der alte Gauner ihn den Beiden geklaut, nachdem sie Erfolg hatten? Oder waren sie gescheitert und Happosai hatte sich den Spiegel unter den Nagel gerissen? Oder hatte Happosai sie von Anfang an an der Nase herumgeführt…? Benjamin mochte gar nicht daran denken.

Daher fragte er Nabiki: „Und was machen wir jetzt?" Er drehte seinen Kopf zur Seite – und sein Mund klappte auf. Die Angesprochene saß in einem geparkten Sportwagen und hielt mit einem breiten Grinsen den dazugehörigen Zündschlüssel hoch.

„Was hältst du von…einer Spritztour?"