Titel: And you... I wish I didn't feel for you anymore...
Autor: SilentRose
Genre: Drama / Angst / Depression
Paar: Severus Snape / Harry Potter
Raiting: PG-13
Zeitrahmen: Harrys 7. Schuljahr, Weihnachtsferien
Disclaimer: Alle Rechte an Harry Potter und allen dazugehörigen Dingen sind ein © Copyright von Joanne K. Rowling (die Glückliche). Ich benutze ihre Charaktere und Geschichte ohne ihre Erlaubnis, aber da ich kein Geld damit verdiene, geht das hoffentlich trotzdem in Ordnung.
Summary: Es ist kein Geheimnis, daß sie nie miteinander ausgekommen sind, doch als Severus Snape seinen Schüler Harry Potter eines Morgens auf der Spitze des Astronomieturmes findet, ist er gezwungen, mit ihm auszukommen.
Anmerkungen: „Dead Boy's Poem" ist ein sehr beeindruckendes Lied von der Gruppe Nightwish. Keinerlei Copyright bei mir.
Keine Spoiler zu Harry Potter 5. Ich habe mich entschlossen, das Konzept für die Geschichte NICHT nachträglich noch an HP5 anzupassen, dadurch sind einige Sachen auch AU.
Alte Rechtschreibung, bitte an mir kein Beispiel nehmen, wenn ihr zu den armen Leuten gehört, die diesen neuen Kauderwelsch lernen müssen ^_~
Was ursprünglich als Kurzgeschickte gedacht war, ist ein wenig mutiert, darum wird es jetzt wohl eine „kurze Geschichte" mit 4 Kapiteln werden.
Warnung!!!
Sorry, ich wußte nicht, daß es dafür extra Warnungen gibt, shaya war
so lieb, mich drauf hinzuweisen, darum hole ich das jetzt nach: Harry verletzt
sich in dieser Story mit einem Messer, auch bekannt unter dem (nicht ganz
Fachausdruck) "Ritzen". Wer mit so etwas nicht gut klarkommt etc
sollte lieber nicht weiter lesen!
Falls es noch irgendwelche Warnungen gibt zu bestimmten Themen (auch wenn sie in
dieser Story nicht verwendet werden), wäre es klasse, wenn mich kurz einer
drüber aufklärt, ich kenne nämlich so gut wie keine und möchte ja auch keine
durch meine Geschichten an etwas erinnern oder verletzen!
Und bitte schreibt einen Review, egal ob er nun was gutes oder schlechtes zu sagen habt! Jede Art von Lob und Kritik bringt einen (Hobby)Autor weiter!
And you... I wish I didn't feel for you anymore...
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Kapitel 1
*Severus Snape*
Zu behaupten, meine Beziehung zu Harry Potter, dem Jungen, der überlebte, sei zu irgendeiner Zeit meines Lebens herzlich gewesen, wäre wohl sogar für einen Meisterlügner wie mich eine zu große Lüge gewesen, um sie glaubhaft rüber zu bringen. Nicht einmal Albus, so vertrauensselig und gutgläubig er mir manchmal erscheint – und das nicht nur, aber wohl hauptsächlich, im Bezug auf mich – hätte mir das wohl abgenommen.
Warum sollten sie auch? Ich habe mir in den letzten sechseinhalb Jahren alle erdenkliche Mühe gegeben, meine Gefühle für den Jungen nur allzu klar machen. Sicher, ich habe dabei durchaus ein wenig übertrieben, aber meine Abneigung war niemals gespielt, lediglich mein Haß war nicht ganz echt.
Gehaßt habe ich den Vater, den Sohn dagegen habe ich nur verabscheut für das, was er war. Für das, was ich glaubte, daß er war, besser gesagt. Ich bin ehrlich, ich habe mir niemals die Mühe gemacht, mich über ihn zu erkundigen. Es hat mich nicht interessiert, wie wohlbehütet und von allen geliebt er aufgewachsen ist. Der kleine Held, der Retter der Zaubererwelt gegen alles Böse.
Ich habe zu viel davon bei James gesehen, habe als Kind zu viele Nächte wach gelegen und mir immer wieder die Frage gestellt, was ich falsch gemacht hatte, daß mich keiner so liebte, um mir das wirklich noch einmal antun zu wollen.
Die Geschichten von einem Schrank unter der Treppe, von einem Harry Potter, der von seinen Verwandten nicht genug zu essen bekommt, der nicht einmal das Wort Magie benutzen darf, so lange er sich in der Welt der Muggel aufhält, habe ich wohl gehört, aber um noch einmal ehrlich zu sein: Sie gingen an mir vorbei.
Ich habe sie nicht geglaubt und ich wollte sie auch nicht glauben. Heute weiß ich, daß ich es vielleicht hätte tun soll. Vielleicht hätte ich dem Jungen dann einen kleinen Teil seines Lebens ersparen können.
Aber ich weiß, daß er einem verbitterten Narren wie mir nur zu gerne verzeiht, daß ich es nicht getan habe. Das ist es wohl, was ich am meisten an ihm verabscheut habe. Diese Fähigkeit, jedem alles zu vergeben, immer noch einmal eine zweite Chance zu schenken. Er hat so viel durchlebt, aber er hat Vertrauen, immer noch.
Ich habe mein Vertrauen schon verloren, noch bevor ich wirklich wußte, was es überhaupt bedeutet. Und das unterscheidet uns beide wohl voneinander. Zeigt, wie stark er in Wahrheit ist und wie schwach ich dagegen bin.
Und ich wünschte, ich könnte die Zeit noch einmal zurückdrehen und noch einmal von vorne beginnen. Ich würde nicht viel anders machen, aber ein paar Dinge schon.
Dann wäre Harry noch bei uns und ich müßte nicht jeden Morgen beim Frühstück in das betrübte Gesicht des Direktors sehen, in dem so viel Schmerz und Sorge geschrieben steht. Sorge um seinen verlorenen Sohn, denn ich weiß, daß er Harry liebt wie einen Sohn.
Und dieses Wissen schmerzt noch einmal um so mehr, denn damit setzt er Harry und mich auf die gleiche Stufe, obwohl ich es nicht verdient habe, Harry ebenbürtig zu sein.
Zwei verlorene Söhne, einer verloren in der Welt, einer verloren in sich selbst. Und keiner von beiden zu retten.
Born from silence, silence full of it
A perfect concert my best friend
So much to live for, so much to die for
If only my heart had a home
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Severus Snape fluchte leise vor sich hin, als er die Tür zur Plattform des Astronomieturms öffnete und ihm sofort ein betäubend eisiger Wind entgegen schlug. Erbarmungslos fand er jede noch so kleine Öffnung in seinen dicken Winterroben und biß zu, wo immer er Angriffsfläche fand.
Severus wußte nicht, was ihn ausgerechnet hier herauf getrieben hatte, aber er hatte plötzlich das Verlangen gehabt, die Stille seines Kerkers für einige Zeit gegen die Stille des Turmes auszutauschen. – Nun ja, wenn man dieses Sturmheulen hier oben Stille nennen wollte.
Er blickte auf und zur Berüstung hinüber. Der eiskalte Wind trieb ihm die Tränen in die Augen, doch was er bei der Berüstung sah, machte es ihm einfach unmöglich, den Blick abzuwenden, so sehr seine Augen auch durch die Kälte brannten.
Der Kiefer des Zaubertrankmeisters spannte sich deutlich sichtbar an und seine Augenbrauen trafen sich fast über seine Nasenwurzel. Nur durch die steile Wutfalte wurden sie noch getrennt.
„Potter!" bellte er gegen den Wind an. „Mach, daß du da runter kommst, sofort!!" Severus wußte nicht wirklich genau, was er in diesem Moment fühlte, ob es mehr Wut oder doch mehr – und das war merkwürdig – Angst war. Aber darüber konnte er nachdenken, sobald er Harry Potter von der Berüstung geholt hatte.
Oh doch, eigentlich war er sich schon sicher. Es war Wut. Was dachte der verdammte Bengel sich nur schon wieder?! War er jetzt vollkommen wahnsinnig geworden, sich bei dem Sturm auf die Berüstung zu setzen? Das war bei Windstille schon lebensgefährlich!
Doch scheinbar hatte der unverschämte Junge ihn überhaupt nicht gehört, Er reagierte in keiner Weise auf ihn oder auf das, was er gesagt hatte. Er blieb einfach weiter regungslos auf der steinernen Berüstung sitzen, die Arme um die angezogenen Knie geschlungen und starrte hinaus in die Ferne.
Die Wut schlug noch ein wenig höher und er ging entschlossen auf den Jungen zu.
„Haben Sie mich etwa nicht gehört, Potter? Zu allem Überfluß jetzt auch noch taub geworden?!" Langsam, fast wie in Zeitlupe, drehte Harry ihm sein Gesicht zu und Severus stutzte einen kurzen Moment, als er seinem Schüler in die Augen sah. Gewöhnlich traf er dort auf leuchtendes Grün, klar, manchmal mit einem Hauch fröhlichem Unfug. Genau wie bei seinem Vater vor so vielen Jahren, nur eben Grün statt Blau.
Doch jetzt waren sie stumpf, leer, traurig. Severus glaubte sogar im ersten Moment, daß er sich in den Pupillen des Schülers nicht länger spiegelte.
„Sie sind nicht zu überhören, Professor." Die Stimme war ein fast erschreckender Spiegel der Augen und Severus konnte sich nicht erklären, womit er es hier schon wieder zu tun hatte. Das war doch auf keinen Fall übliches Heimweh oder Sehnsucht nach den Freunden, die über die Ferien heimgefahren waren.
Das war Schmerz. Wenn Severus über etwas noch besser Bescheid wußte als über die Dunklen Künste und Zaubertränke, dann war es Schmerz.
„Und warum, Mr. Potter, sind Sie dann noch immer nicht von der Berüstung runter?" Harry zuckte mit den Schultern, bevor er sein Gesicht wieder von Severus abwandte, um weiter auf den unsichtbaren Punkt in der Ferne zu starren, den er fixiert hatte, bevor Severus ihn gestört hatte.
Jeder weitere Kommentar erstarb in Severus' Kehle. Nicht, daß ihm nichts mehr eingefallen wäre. Harry Potter war für ihn manchmal die größtmögliche Inspiration, die man sich vorstellen konnte, wenn es um Beleidigungen und Boshaftigkeiten ging. Aber dennoch wußte Severus Snape sehr genau, wann er schweigen mußte und genau das hier war ein solcher Moment.
„Ich werde den Direktor holen." Informierte er Harry und drehte sich auf dem Absatz um, um so schnell wie möglich hinunter zum Büro des Direktors zu gehen und den einzigen Menschen zu holen, auf den Harry immer hörte, früher oder später zumindest.
Hoffentlich war das ein Fall von früher.
„Nein!" Severus fuhr zusammen, als Harrys Stimme scharf und fast schon panisch durch den heulenden Sturm schnitt. Und als er sich umdrehte, waren die grünen Augen wieder ihm zugewandt. Noch immer stumpf, aber nicht länger leer. Er sah die Panik, die er gehört hatte und er sah Angst. Warum hatte Harry Angst vor Dumbledore?
„Nein. Bleiben Sie. – Bitte." Fast schon zaghaft machte Snape einige Schritte auf Harry zu und schluckte. Sein Hals fühlte sich plötzlich merkwürdig trocken und rauh an.
„Potter, seien Sie doch nicht..." In Harrys Augen flammte etwas auf und fast gleichzeitig sah Severus das Messer in seiner rechten Hand. Klein, aber nichtsdestotrotz ein Messer.
„Er versteht mich nicht, Professor. Er sagt es immer wieder und vielleicht glaubt er es auch. Aber er kann mich nicht verstehen." Severus kämpfte um seine Fassung und es kostete ihn eine immense Kraft, einen kalten Ausdruck aufzusetzen, die Arme vor seiner Brust zu verschränken und Harry auf die übliche Art und Weise anzustarren.
„Sind wir da nicht ein klein wenig vermessen, Mr. Potter?" Harrys Griff um die Klinge des Messers wurde ein wenig fester, die Knöchel seiner Finger traten weiß hervor, und Severus biß sich auf die Zunge. Kein Sarkasmus, verdammt noch mal!
„Nein." Preßte Harry hervor.
„Also gut, Potter. Ich werde bleiben. Wenn Sie da jetzt runterkommen und mir das Messer geben." Lange, qualvolle Minuten lang starrte Harry Severus einfach nur an, gerade so, als würde er geradewegs durch ihn hindurchsehen.
Severus fühlte, wie ihm trotz der eisigen Kälte der Schweiß im Nacken stand. Eiskalter Angstschweiß, daß der Junge doch noch eine Dummheit machen würde, sich im letzten Moment entscheiden würde, daß auch Severus ihn nicht verstehen konnte – denn das glaubte er ja offensichtlich – und sich dann doch von diesem gottverdammten Turm stürzte!
Sobald diese Sache vorbei war, würde er mit dem Direktor ein sehr ernstes Wort darüber reden, daß den Schülern außerhalb der Astronomiestunden endlich der Zutritt zu diesem Turm verboten werden mußte!
„Das Messer?" fragte Harry nach einer halben Ewigkeit und wenn Severus sich nicht sicher gewesen wäre, daß es den Schülern in Hogwarts nicht möglich war, hätte er ernsthaft geglaubt, daß Harry etwas genommen hatte. Wieso war der Junge nur so vollkommen weggetreten?!
„Geben Sie es mir, Potter." Forderte er ihn noch einmal auf, dieses Mal jedoch ein wenig sanfter und eindringlicher, in der Hoffnung, daß wenigstens das zu ihm durchdrang und nicht einfach von ihm abperlte, wie das Wasser vom Gefieder einer Ente.
„Sirius hat es mir geschenkt. Als wir uns das letzte Mal gesehen haben." Severus hörte das Zittern in der Stimme des Jungen, der trotz seiner inzwischen siebzehn Jahre noch immer so fürchterlich zerbrechlich und klein wirkte und schloß für einen kurzen Moment die Augen, um sich zu sammeln.
„Harry, bitte gib es mir. Ich gebe es dir wieder, versprochen." Ihre Blicke trafen sich und im ersten Moment war Severus sich sicher, daß Harry ihn wieder nicht verstanden hatte. Er schien so weit weg, vollkommen gefangen in einer ganz anderen Welt, doch scheinbar half ihm auch die andere Welt nicht aus seinem Schmerz heraus.
Noch einmal warf Harry einen sehr langen Blick auf das Messer, bevor er endlich seinen Arm ausstreckte und es Severus hin hielt. Dieser mußte sich sehr beherrschten, seinen eigenen Arm langsam und ruhig auszustrecken und das Messer vorsichtig entgegen zu nehmen, statt es ihm einfach mit einer schnellen Bewegung aus der Hand zu reißen.
Er hatte sich nicht getäuscht, die Klinge war zwar klein, aber mörderisch scharf.
„Und jetzt komm runter da." Noch einmal war seine Stimme etwas sanfter geworden, doch er bemerkte es längst nicht mehr. Es war fast schon wie ein automatisches Programm, das jetzt in ihm ablief und ihm genau zuflüsterte, was er als nächstes sagen und als nächstes tun mußte, damit der Junge vernünftig wurde.
„Ich glaube, daß Sie mich verstehen können, Professor. Ich glaube, Sie wissen wirklich, wie ich mich fühle. Nicht wie alle anderen, die es zwar immer wieder sagen, aber im Grunde keine Ahnung haben, wovon sie eigentlich reden." Harry unterbrach den Blickkontakt und für einen Moment sank Severus das Herz in der Brust. Das konnte doch nur ein schlechtes Zeichen sein. Er entfernte sich wieder weiter von ihm.
„Harry, ich werde dir zuhören und dann werde ich dir sagen, ob ich dich verstehe, aber nur, wenn du von der Berüstung runterkommst, jetzt sofort." Severus gab sich die größte Mühe, nur ein wenig seiner üblichen Schärfe in seine Stimme zu legen, um Harry nicht noch weiter von sich weg zu treiben und atmete erleichtert auf, als sein Schüler schließlich die Schultern hob und seine Knie losließ.
Nachdem Harry den ersten Fuß sicher auf die Plattform gestellt hatte, konnte Severus es nicht länger unterdrücken und packte mit einer schnellen Bewegung zu. Harry stieß einen überraschten Ausruf aus, als er gegen seinen Lehrer prallte.
„Himmel, Snape, was soll das?!" rief er aufgebracht und starrte seinen Lehrer wütend an, ohne zu bemerken, was er gerade zu ihm gesagt hatte, daß er – mal wieder – die von Dumbledore von ihm verlangten Höflichkeiten gegenüber Severus überrannt hatte. Severus wunderte es nicht. Der Junge tat das genau genommen sehr oft und irgendwie war es beruhigend. Es war ein Zeichen, daß er langsam wieder zu sich kam.
„Das könnte ich dich fragen, Harry!" Severus war fast schon erstaunt, daß er gerade genauso viel Wut empfand, wie er in Harrys Augen sehen konnte, aber andererseits hatte der Junge ihm auch einen riesigen Schrecken eingejagt.
„Sie haben wirklich gedacht, ich wollte mich da runterstürzen." Severus hätte in diesem Moment so einiges getan, dieses verfluchte Lächeln vom Gesicht des Jungen zu wischen, als dieser bemerkte, was ihn so aus der Fassung brachte. Verdammt, das war nicht für die Augen dieses Kindes gedacht, für ihn sollte er weiterhin der kalte Lehrer bleiben, der ihn haßte, kein besorgter, dummer...
„Sie haben recht, Professor. Einen Moment hab ich drüber nachgedacht." Severus' Augen weiteten sich ein wenig und der Griff um das Handgelenk des Jungen wurde noch ein wenig fester. Harry versuchte, wieder zu lächeln, doch dieses Lächeln wurde reichlich schief und zitterte verräterisch im Bereich seiner Mundwinkel.
Severus konnte sich nicht erinnern, Harry schon einmal den Tränen so nah gesehen zu haben.
„Lassen Sie uns reingehen, Mr. Potter." Für den Bruchteil einer Sekunde sah er einen Funken des alten Trotzes Harrys Augen aufblitzen, doch dann war es schon wieder verschwunden, genauso schnell, wie es gekommen war.
„Harry." Murmelte Harry kaum hörbar und noch bevor Severus es verhindern konnte, hatte seine Augenbraue seinen Haaransatz erreicht.
„Bitte?" fragte er mit fester, aber wenigstens nicht scharfer Stimme nach. Trotzdem zuckte Harry bei seinem fast harschen Ton zusammen und traute sich nicht, ihm wieder ins Gesicht zu sehen.
„Ich finde es schöner, wenn Sie mich Harry nennen. Dann weiß ich, daß Sie mich meinen, wenn Sie mit mir reden und nicht meinen Vater." Er ließ den Kopf noch ein wenig tiefer sinken und die nicht zu bändigenden Strähnen seines schwarzen Haares verdeckten Severus endgültig auch die letzte Sicht auf das Gesicht seines Schülers.
„Und ich weiß, daß Sie mich meinen, wenn Ihre Stimme so voller Haß und Kälte ist. Ich kann es manchmal nicht auseinander halten, wissen Sie." Der Kloß in Severus' Hals war wieder da und diesmal ließ er sich nicht so einfach hinunterschlucken. Er war noch nie zuvor in einer solchen Situation gewesen, schlimmer noch, er hatte stets gedacht, er würde niemals in solch eine Situation kommen. Und am wenigsten wohl ausgerechnet mit Harry Potter. Er durfte sich wohl nicht weiter wundern, wenn er sich jetzt vollkommen überfordert fühlte oder?
„Ich habe das Gefühl, daß du dringend mit jemandem reden solltest, Harry." Die Worte waren heraus, bevor Severus sich bremsen konnte. Doch noch bevor er sich selbst dafür tadeln konnte, bemerkte er etwas, daß ihm sofort erneut den Schrecken in die Glieder fahren ließ.
Seine Hand um Harrys Handgelenk fühlte sich feucht und klebrig an. Eine Klebrigkeit, die er nur zu gut kannte. Auch Harry schien bemerkt zu haben, wie sich sein Lehrer plötzlich erneut anspannte und seine Augen fixierten Severus beinahe ängstlich, als dieser wie in Zeitlupe Harrys Arm zu sich heranzog und die Hand um sein Handgelenk fast noch langsamer öffnete. Severus sog scharf die Luft ein, als er die vielen feinen Schnitte sah, die Harry Millimeter voneinander getrennt auf seinem ganzen Unterarm gesetzt hatte. In einem feinen Rinnsal quoll das Blut des Jungen daraus hervor.
Es waren keine gefährlichen Schnitte, keiner blutete ernst genug, um Anlaß zur Sorge zu geben, aber Severus hatte solche Schnitte bereits früher gesehen und wußte, was sie waren.
„Ich glaube, wir sollten uns einen Moment setzen, Harry." Angst wurde zur grenzenlosen Überraschung in den grünen Augen des Jungen, als ihm klar wurde, daß sein Lehrer nicht wütend war, ihn nicht anschreien würde, sondern vielmehr tatsächlich den Eindruck machte, ihn zu verstehen. Konnte das sein? Harry hatte es mehr gehofft als gewußt, aber konnte es wirklich sein, daß er sich nicht getäuscht hatte?
Wie in Trance ließ er sich von Severus zu einer der Sitzbänke auf der Plattform bugsieren und setzte sich. Severus hielt noch immer nachdenklich seinen Arm fest und betrachtete das Muster der Schnitte. Fast schon vorsichtig schob er den Ärmel der Schulrobe ein wenig nach oben und was er sah, überraschte ihn jetzt nicht mehr wirklich. – Auch nicht die Tatsache, daß sich alte und neue Wunden hier eindeutig vermischten.
„Harry, ich habe so etwas schon gesehen. Ich habe Leute gekannt, die sich das gleiche angetan haben, wie du. Aber trotzdem verstehe ich nicht, warum du das machst. Diese Leute waren allein, hatten niemanden, wurden von allen nur verspottet oder ausgegrenzt. Oder sie haben ganz einfach in einem Bewußtsein festgesteckt, daß der wahren Welt um sie herum nicht entsprach. – Du bist nichts davon. Kein ausgestoßener, ungeliebter Junge und auch kein Verrückter.
Erklär es mir." Harry blickte nachdenklich auf seinen Arm in Severus' Hand und schien seine Worte genau abzuwägen. Unbewußt – so wie er es auch im Unterricht immer tat, wenn er sich auf etwas konzentrierte – kaute er auf seiner Unterlippe herum.
„Ich habe vergessen, wie es sich anfühlt, wenn man sich selbst fühlt." Antwortete er schließlich leise und in seinen Augen lag ein hilfloses Flehen, gerade so als hoffte er, daß Severus ihn verstand, er nicht weiter erklären mußte, was er damit meinte.
Severus runzelte die Stirn und lehnte sich gegen das kalte Mauerwerk in seinem Rücken.
„Und da bist du auf die Idee gekommen, daß du dich selbst wieder fühlen kannst, wenn du dir Schmerz zufügst."
„Ich glaube..." Severus betrachtete Harry lange aus den Augenwinkeln heraus, nicht sicher, wie er diese Sache am besten anfangen sollte. Den Verletzungen nach zu schließen, machte Harry das noch nicht sehr lange. Ein paar Tage vielleicht.
Aber er hatte das Gefühl, daß es nicht das einzige war, daß es da noch mehr gab, was er jetzt auf den ersten Blick nicht sehen konnte.
„Es... es ist einfach alles aus dem Ruder gelaufen." Severus wandte Harry sein Gesicht zu, als er zögerlich zu sprechen begann, doch sein Schüler sah ihn nicht länger an. Er hatte sich nach vorne gebeugt, den Ellbogen auf sein Knie aufgestützt und das Gesicht in der freien Hand vergraben.
„Ich wollte nie... ich meine. Mich hat nie jemand gefragt. Nie ist jemand zu mir gekommen und hat gesagt: ‚ Hey Harry, wir haben hier ein Problem und wir bräuchten deine Hilfe. Würdest du uns helfen?' – Sie kamen und haben gesagt, ich sei der Messias, der Junge, der dazu ausersehen ist, die Welt zu retten.
Verdammt, ich wußte nicht einmal, daß ich zaubern kann, als sie das erste Mal zu mir kamen! Und sofort wurde von mir erwartet, daß ich einer der besten werden würde, vielleicht sogar der beste. Nur wenige haben es gesagt, ja, aber ich habe es in ihren Augen gesehen. Sie alle haben es in ihren Augen stehen, wann immer sie mich sehen." Harry hielt einen Moment inne. Der Arm, den Severus noch immer in seiner Hand hielt, zitterte und Severus wußte, daß das nicht an dem eisigen Wind auf der Plattform lag. Harry Potter war wütend.
Nicht, daß ihn das überraschte. Er hatte erwartet, daß der Junge wütend war. Er hatte erwartet, daß er sich leid tat. Das waren normale und wahrscheinlich sogar gesunde Reaktionen. Aber er hatte niemals erwartet, daß er blind genug sein würde, die Hilferufe des Jungen zu übersehen, bevor es zu spät war. Er hatte immer gedacht, daß gerade er es sehen mußte, weil er doch der einzige war, der den Jungen ohne rosarote Brille sah.
Aber es war zu spät. Der Schmerz, die Verantwortung, das alles war Harry über den Kopf gewachsen, ohne daß es jemand bemerkt hatte. Er war auf dem besten Wege, sich selbst in diesem Kampf zu verlieren.
„Aber ich war doch nichts weiter als ein Kind, das zehn Jahre seines Lebens bei Menschen verbracht hatte, die es nie geliebt haben. Ich wollte nichts weiter als jedes andere Kind auf dieser Welt auch. Ich wollte eine Mutter, bei der ich mich über die Ungerechtigkeit meiner Tante, meiner Lehrer, meiner Mitschüler ausweinen konnte.
Ich wollte einen Vater, der mir auf die Schulter klopft und sagt, daß er stolz auf mich ist.
Ich wollte Freunde, die mich für das mögen, was ich bin und glücklich sind, mit mir zusammen sein zu können.
Aber ich glaube, keiner außer Ihnen hat das gesehen oder? Alle haben nur die lebende Kopie von James Potter gesehen, die noch dazu der Retter ihrer Welt sein sollte." Severus schluckte, noch immer nicht in der Lage, seinen Blick von Harry abzuwenden. Und als dieser ihn nun wieder ansah, hatte er das Gefühl, daß er nie wieder in der Lage sein würde, wegzusehen.
„Du hast recht, Harry. Sie haben es nicht gesehen, weil du ihre einzige Hoffnung bist. Wenn sie zugeben müßten, daß ihre Hoffnung nichts weiter ist als ein Junge, der die gleichen Probleme und Ängste hat wie ein ganz gewöhnlicher Junge... Ich glaube, sie würden ihren Glauben verlieren, daß es eine Zeit nach Voldemort für sie gibt."
„Aber Harry Potter ist ein ganz gewöhnlicher Junge, Professor. Er ist nicht mehr und nicht weniger und er wird auch nicht mehr werden, wenn alle um ihn herum so weitermachen." Die Bitterkeit in der Stimme des Jungen schlug Severus kälter ins Gesicht, als es der schneidende Wind jemals konnte. Er hatte Harry stets viel zugetraut, vor allem wohl viel Dummheit und Kopflosigkeit. Aber er mußte zugeben, Harry überraschte ihn. Er sah klarer, als es sich für einen gerade Siebzehnjährigen gehörte. Harry wußte, daß das Verhalten der Zauberer um ihn herum ihn langsam zerstörte. Ein Wissen, das niemand haben sollte. Kein Wunder, daß es ihn auffraß.
„Was läßt dich glauben, daß du niemanden hast, der dir helfen kann? Was ist mit Granger und Weasley? Ich hatte stets den Eindruck, daß das berühmte Gryffindor-Trio durch nichts auseinander zu bringen ist." Der Geist eines ehrlichen, fast glücklichen Lächelns huschte über Harrys Lippen, doch wenn Severus gehofft hatte, daß er mit Harrys besten Freunden einen Punkt landen konnte, hatte er sich wohl gründlich vertan.
Noch bevor das Lächeln sich bis zu den noch immer leeren Augen des Schülers hatte ausbreiten können, hatte sich ein noch düsterer Schatten über das jetzt so fahle Grün gelegt. Severus konnte sehen, wie Harrys Kiefermuskeln arbeiteten, um ein Zittern zu unterdrücken.
„Sir, nehmen Sie es mir nicht übel, aber Sie waren selbst einmal ein Todesser. Sie wissen, daß diese Bastarde alles zerstören können, wenn sie nur wollen." Severus fühlte sich, als würde ein riesiger Eisklumpen mit Schwung in seinem Magen landen und mit einem Mal wurde ihm klar, wie dumm es gewesen war, was er gerade gesagt hatte. Wie hatte er es nur vergessen können? Jedem Lehrer und vermutlich sogar jedem Schüler in dieser Schule war aufgefallen, daß alles anders geworden war, seit das Trio das letzte Mal mit den Todessern zusammen gestoßen war.
„Hermine... sie... Sie redet nicht mehr mit mir. Schon seit Monaten nicht. Sie redet eigentlich mit niemandem mehr. Nur noch im Unterricht, aber sobald der Unterricht vorbei ist, verschwindet sie. Ich glaube, sie geht meistens in die Bibliothek, aber manchmal schließt sie sich auch im Schlafsaal ein.
Nicht oft, weil die anderen Mädchen sich natürlich beschweren, wenn sie es tut. Aber manchmal schon.
Ich glaube, Professor McGonagall hat schon ein paarmal versucht, mit ihr darüber zu sprechen, was passiert ist, als die Todesser sie gefangen hatten, aber ihrem Gesicht nach zu urteilen, hat Hermine auch nicht mit ihr geredet.
Ich hab immer gedacht, sie vertraut mir. – Ich hab ihr so gut wie alles anvertraut." Ganz unwillkürlich legte Severus dem Jungen die Hand auf die Schulter. Er hatte das Gefühl, daß es vielleicht besser war, daß er nicht wußte, was Voldemorts Diener mit Hermine Granger gemacht hatten. Das Mädchen war sich auf alle Fälle sicher, daß es so war, sonst hätte sie sicher mit ihm darüber gesprochen. Schließlich war Harry der einzige außer ihr und ihm selbst, der irgendwelche näheren Erfahrungen mit Voldemort gesammelt hatte. Und doch konnte er verstehen, wie enttäuscht Harry war. Er glaubte, daß Hermine ihm nicht genug vertraute und dieses Gefühl schmerzte.
Severus selbst war niemals dumm genug gewesen, jemandem zu vertrauen, aber es hatte sogar in seinem Leben den einen oder anderen gegeben, der versucht hatte, sein Vertrauen zu gewinnen. Und sie alle hatten mit ihm die Erfahrung gemacht, die Harry nun mit Hermine machte.
Sie alle waren verletzt gewesen und sie alle hatten nicht einen Moment lang geglaubt, daß er sie nur schützen wollte. Denn seine Geheimnisse verletzten jeden, der sie hörte, und er war sich fast sicher, daß es mit den Erlebnissen von Hermine Granger nicht anders stand.
„Ja, und Ron – mein bester Freund Ron..." Harrys Gesichtsmuskeln spannten sich noch ein wenig heftiger an und das erste Zeichen von Leben trat in seine Augen, als sie wütend funkelnden. „Der zieht es vor, mir Vorwürfe zu machen, daß ich es zugelassen habe, daß Hermine entführt wurde. In seinen Augen bin ich schuld an allem, was ihr zugestoßen ist, was auch immer das ist. – Aber vermutlich hat er ja sogar recht damit, das will ich gar nicht abstreiten. Ich hatte nur irgendwie gehofft, daß wir drei das zusammen durchstehen könnten, statt uns gegenseitig zu hassen." Severus seufzte. Das Bild wurde klarer und um so klarer es wurde desto weniger gefiel ihm, was sich ihm da offenbarte.
„Harry, ich weiß, das klingt wie eine abgedroschene Phrase, aber das wird sich wieder einrenken. Mr. Weasley fühlt sich genauso hilflos wie du selbst und er kompensiert diese Hilflosigkeit mit Wut. Das ist keine besonders kluge oder erwachsene Verhaltensweise, aber du weißt selbst, daß Mr. Weasley noch nie eine dieser beiden Tugenden gezeigt hat und..."
„Bitte sein Sie still, ja?" Severus hatte nicht erwartet, daß Harry seine kleine Rede gut aufnehmen würde, aber er hatte sicherlich nicht erwartet, daß der Junge ihn einfach unterbrechen würde. Und er hatte ganz sicher nicht erwartet, daß der Ton, mit dem er es tat, dem Fauchen eines Tigers so erstaunlich nah kommen würde.
„Professor, wenn ich irgendwelche belanglosen, leeren Reden gewollt hätte, wäre ich zu Professor Dumbledore oder zu Professor McGonagall gegangen.
Ich möchte von Ihnen nicht hören, daß alles wieder gut wird, daß wir alle demnächst zusammen über wunderschöne, grüne Wiesen tanzen und fröhliche Lieder singen über Friede, Freundschaft und Liebe! Ich möchte, daß Sie mir zuhören und daß Sie versuchen, mich zu verstehen! Denn ich weiß, daß Sie es können, auch wenn es nicht gerade in Ihrer Natur liegt, mich zu verstehen." Der Blick in den Augen des Jungen gehörte zu den wenigen Dingen, die Severus in seinem Leben noch nie gesehen hatte. Und er hatte nicht die geringste Ahnung, wie er ihn interpretieren sollte, aber er wußte doch eins. Wenn er geglaubt hatte, daß Harry Potter einfach nur in Selbstmitleid verging, hatte er sich wohl getäuscht.
Das war ohne Zweifel eine Überraschung und vor allen Dingen eine gute Entdeckung. Der Junge hatte seinen Kampfgeist noch nicht vollkommen verloren, auch wenn er gerade das Gefühl haben mußte, daß alles um ihn herum zusammenbrach und er es nicht aufhalten konnte, so sehr er sich auch dagegen stemmte.
„Ich entdecke immer mehr Talente an unserem jungen Gryffindor und Retter der Welt." Entgegnete er mit einem kalten Lächeln. Und wieder funkelte etwas in Harrys Augen auf. Das war der Weg, Severus war sich fast sicher.
„Bitterer Zynismus, der jeden anderen Menschen auf der Welt trifft wie ein vergifteter Pfeil und alle vertreibt, ist kein Talent, Professor. Es ist ein Fluch. – Aber ich bin mir fast sicher, daß sie das wissen." Das war der Weg. Die Bitterkeit floß in der Tat wie Gift durch den Körper des Jungen, aber er hatte den Kampf noch nicht aufgegeben. Severus begann langsam zu verstehen, was Harry sich von ihm erhoffte.
Mach ihm vor, was er wird, wenn er den Weg geht und er wird sich dagegen wehren. – Es war fast schon zu einfach.
„Haben Sie in der letzten Zeit etwas von Sirius gehört?" Die Frage und die ängstliche Stimme brachten Severus sofort wieder unsanft zurück auf den Boden der Tatsachen, der kurze Moment der triumphalen Erkenntnis war augenblicklich wieder verflogen.
„Professor Dumbledore hat ihn vor einigen Wochen mit einem offiziellen Auftrag des Ordens losgeschickt, seitdem habe ich nichts mehr von ihm gehört. Lupin ist bei ihm, ich denke nicht, daß du dir Sorgen um ihm machen mußt, Harry." Harry nickte müde und fuhr sich durch das wirre Haar, an dem der steife Wind zerrte und zog.
„Ich hatte gehofft, daß das Ministerium ihn begnadigen würde. War das eine dumme Hoffnung, Professor? Ich weiß nicht, was ich von der Sache halten soll. Ich meine, die ganzen Jahre, seit Sirius in meinem dritten Schuljahr plötzlich in mein Leben getreten ist, habe ich immer geglaubt, daß alles, was ich tun müßte wäre, Peter Pettigrew zur Strecke zu bringen und dem Ministerium zu übergeben.
Genau das hab ich getan, aber nichts ist passiert. Wie soll ich das verstehen?" Wieder bohrten sich die grünen Augen des Jungen praktisch in seinen Kopf hinein, ohne daß Severus auch das geringste dagegen hätte ausrichten können.
„Ich weiß nicht, was du hören möchtest, Harry, aber ich werde dir einfach sagen, was ich darüber denke, vielleicht ist das ja ausnahmsweise das richtige.
Das Zaubereiministerium ist eine Ansammlung von Narren und blinden Idioten. Sie würden die Wahrheit nicht sehen, wenn sie ihnen ins Gesicht springen würde und noch viel weniger würden sie jemals einen Fehler einfach so zugeben.
Black wird eines Tages freigesprochen werden. Aber es wird erst geschehen, wenn Pettigrew in einem riesigen Prozeß, der viel Staub aufwirbeln wird, schuldig gesprochen wird. Und es wird nur nebenbei geschehen, eine kleine Nebensächlichkeit sozusagen.
Und weil es eine Nebensächlichkeit ist, hat es keine Priorität und es kann noch Monate dauern, bis es wirklich passieren wird." Das Lächeln auf Harrys Gesicht, so bitter und voller Trauer es auch war, ließ Severus ganz unwillkürlich aufatmen, denn scheinbar war es wirklich ausnahmsweise mal das gewesen, was er hatte hören wollen. Vielleicht war der Junge doch nicht so einfach, wie er erst gedacht hatte, denn Severus wurde von Minute zu Minute klarer, daß er Ehrlichkeit verlangte und Severus' ehrliche Ansichten über einige Dinge erfahren wollte. Das war nicht gerade etwas, was Severus leicht fiel. Ganz zu schweigen davon, daß es eigentlich nicht in sein Konzept paßte, wenn es darum ging, einem suizidgefährdeten Schüler zu helfen, der sich selbst verstümmelte und dazu noch hochgradig depressiv schien.
Aber es war Harry Potter. Was hatte er erwartet. Mit Harry war es schließlich nie einfach.
„Eine Nebensächlichkeit. – Genau wie ich, würde ich sagen. Was glauben Sie, werden sie mich umbenennen in den ‚Jungen, der versagte', wenn Voldemort mich umgebracht hat?" Severus wußte nicht, was er darauf entgegnen sollte. Er wußte, wie es war, wenn er bitter war und wenn er und Harry nur ein klein wenig Ähnlichkeit besaßen, dann gab es im Prinzip nichts, was er sagen konnte. Und trotzdem, der Junge wollte etwas hören.
Severus knirschte wütend mit den Zähnen. Wie war er nur wieder in diese Situation hineingeraten? Das war doch absolut lächerlich! Ausgerechnet bei ihm suchte der goldene Gryffindor Rat!
„Ich habe richtig gewählt." Severus fuhr auf und starrte Harry mehr als fassungslos an. Obwohl Tränen über das Gesicht seines Schülers liefen, lächelte er und ein klein wenig des alten Leuchtens war in seine Augen zurückgekehrt. Severus öffnete den Mund, um etwas zu sagen, doch seine Kehle war wie zugeschnürt, kein Ton wollte hervordringen.
Mit einer geschlagenen Geste wandte er den Blick wieder von Harry ab und starrte auf seine Hände, an denen Harrys Blut klebte. Was eben noch nur ein Problem des Jungen gewesen war, kam ihm plötzlich wie eine grausame Zukunftsvision vor. Er war nicht in der Lage, dem Jungen zu helfen, konnte nicht einmal ein paar tröstende oder wenigstens beruhigende Worte sagen. Mit Sicherheit würde bald wirklich Potters Blut an seinen Händen kleben.
Und es verstörte ihn, obwohl er bisher immer so erfolgreich darin gewesen war, sich selbst einzureden, daß er immer alles getan hatte, um für die Sicherheit des Schülers zu garantieren, sich nichts vorzuwerfen hatte.
„Jeder andere außer Ihnen hätte mir jetzt irgendwas gesagt, was mich trösten soll. Sie nicht. Sie wissen, daß ich recht habe, nicht wahr? Wenn ich versage, werde ich nicht länger der große Held sein. Ich werde vielleicht ein zweitrangiger Märtyrer sein, aber nicht der große Held, für den sie mich jetzt alle halten.
Es ist nicht wichtig. Ich wollte nie dieser Held sein, es kümmert mich nicht.
Vielleicht gönnen sie mir ja den Frieden, mich nach meinem Tod zu vergessen." Endlich fühlte Severus, wie etwas in seinem Kopf Klick machte, irgendeine Sicherung, die wieder einrastete, und er fand seine Sprache wieder.
„Hör auf mit diesem Blödsinn!" fuhr er seinen Schüler an. Harry starrte ihn verständnislos an und versuchte seine langen, schwarzen Haarsträhnen, die ihm erbarmungslos ins Gesicht schlugen, unter Kontrolle zu bringen.
„Welcher Blödsinn?"
„Du redest, als wäre es schon eine beschlossene Sache, daß Voldemort über dich triumphiert. Begreifst du denn nicht, daß das der einzige Weg für ihn ist, über dich zu siegen? Wenn du dir einredest, daß es so kommen wird, dann ist es schon beschlossene Sachen. Paradoxon des Seins." Harry bedeckte das Grinsen auf seinem Gesicht mit seiner ebenfalls blutigen Hand und seine Schultern zuckten unter dem Lachen, das er mit aller Macht zu unterdrücken versuchte.
Doch schließlich gewann es über ihn die Oberhand und Harry Potters Lachen, etwas, was man in Hogwarts schon seit langer Zeit nicht mehr gehört hatte, vermischte sich mit dem Heulen des Sturms, der noch immer erbarmungslos um die Türme pfiff.
Severus brauchte einen Moment, um zu begreifen, was gerade geschah, doch dann fühlte er die heiße Wut wieder, die ihn verlassen hatte, als er das Gespräch mit Harry begonnen hatte. Jetzt war sie wieder da und noch ein paar Grad heißer als zuvor. Niemals in seinem ganzen Leben würde er zulassen, was dieser Junge hier gerade tat. Selbstvernichtung war keine Alternative, nicht so lange er noch einen Ton dazu zu sagen hatte.
Harry sah die Hand seines Professors nicht, doch als sie ihn traf, tat sie es mit solcher Wucht, daß er von der steinernen Bank auf den Boden der Plattform geschleudert wurde. Das Entsetzen über Severus' Handeln stand in seinen Augen geschrieben, doch noch immer konnte er das Lachen nicht unterdrücken, bis ihm schließlich wieder die Tränen kamen und das Lachen in ein ersticktes Schluchzen überglitt.
Severus wußte nicht, ob er über sich entsetzt oder auf sich stolz sein sollte. Einen Schüler zu schlagen, war sicher etwas, worüber er entsetzt sein mußte, doch es war das einzige gewesen, was ihm noch eingefallen war, um zu Harry durchzudringen. Und als er jetzt zusah, wie sein Schüler sich auf dem Boden der Plattform so klein wie möglich zusammenrollte und sich seinen Kummer langsam von der Seele weinte, war er sich eigentlich sicher, daß er richtig gehandelt hatte.
Harry weinte. Er konnte die Tränen nicht zurückhalten, selbst wenn er es gewollt hätte, er war machtlos gegen die Gewalt, mit der sie hervorbrachen. Aber zum ersten Mal seit er sich zurück erinnern konnte, machte es ihm nichts aus. Das hier war nicht sein Onkel oder seine Tante oder Dudley. Es war Severus Snape, der ziemlich genau wußte, was in ihm vorging. Er würde ihn nicht für sein Verhalten auslachen, so wie alle anderen es immer getan hatten, wenn er sich den Luxus von Tränen erlaubt hatte.
„Harry." Harry zuckte heftig zusammen, als er die warme Hand seines Lehrers wieder auf seiner Schulter spürte, doch er brachte sich dazu, ihm ins Gesicht zu sehen.
„Laß uns reingehen. Ich denke, das hier dauert ein wenig länger und ich möchte nicht, daß du dich hier oben auch noch zu Tode frierst."
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