Warnung!!
Auch in diesem Kapitel werden natürlich weiterhin das Thema "Ritzen"
und einige andere SVV behandelt bzw. gestreift. Bitte nicht weiterlesen, wenn
ihr in irgendeiner Art Probleme damit habt!
And you... I wish I didn't feel for you anymore...
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Kapitel 2
*Harry Potter*
Ich habe gerade einen Brief geschrieben. Und die ganze Zeit habe ich mich gefragt, ob das wohl der letzte Brief in meinem ganzen Leben war, den ich geschrieben habe. Denn wenn das so ist, hoffe ich, daß ich ihn an die richtige Person geschrieben habe.
Man darf mich nicht falsch verstehen. Was ich hier tue, ist für mich, in meinen Augen, zwar eine Art Selbstmord, aber andere nennen es Schicksal. Ich habe mich also nie wirklich mit dem Gedanken befaßt, einen Abschiedsbrief zu schreiben und trotzdem habe ich es gerade vielleicht getan.
Das ist ein komisches Gefühl. Ich meine ... wie ist das so, wenn man wirklich einen Abschiedsbrief schreibt, weil man sich gleich darauf umbringen möchte? Schreibt man ihn an eine bestimmte Person oder vielleicht an eine ganze Gruppe? Schreibt man ihn an die Person, die einem am wichtigsten war oder doch an den, den man für den eigenen Tod verantwortlich machen möchte?
Das sind alles so verdammt blöde, verdammt unsinnige Fragen, die ich mir vermutlich nicht stellen sollte und auch niemals gestellt hätte, wenn mein Leben nur halbwegs normal verlaufen wäre.
Ja, ich weiß, was viele denken. Heul nicht rum, Potter! Du bist doch ganz froh, daß dein Leben so ist, wie es ist. Du bist berühmt, jedes Kind kennt dich und fast jedes Kind auf dieser Welt bewundert dich für das, was du geschafft hast, obwohl du nicht einmal alt genug warst, irgendwas von der ganzen Sache zu begreifen.
Ich habe aufgegeben, ihnen zu sagen, wie sehr ich es hasse, der Junge zu sein, der Voldemort überlebt hat. Ich bin es leid, denn sie wollen es einfach nicht sehen, begreifen nicht, wie beschissen mein ganzes Leben durch all den Ruhm geworden ist.
Und auch, wenn das etwas ist, was ICH niemals verstehen werde: Sie verstehen vor allen Dingen nicht, wie furchtbar es für mich ist, daß meine Eltern sich für mich geopfert haben. Sicher, ich bin nicht der einzige Zauberer auf dieser Welt, der ohne seine Eltern aufwächst, aber der Ruhm, den ich besitze, habe ich mit dem Blut meiner Eltern gekauft.
Und wenn man mir die Wahl gelassen hätte, nur ein einziges Mal in meinem ganzen Leben, wäre ich heute ein Niemand, der glücklich, wenigstens aber normal, sein Leben lebt.
Ja, eigentlich bin ich sicher, daß ich den Brief an die richtige Person geschrieben habe. Ob es nun mein letzter war oder nicht.
Sing what you can't say
Forget what you can't play
Hasten to drown into beautiful eyes
Walk within my poetry, this dying music
- My loveletter to nobody
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Harry starrte ausdruckslos auf die Hand seines Lehrers auf seiner Schulter, bevor er ihm wieder ins Gesicht sah. Er hatte gehofft, daß Severus Snape ihn verstehen würde, aber wenn er ehrlich sein sollte, hatte er nicht erwartet, daß er das auch nur ansatzweise zeigen würde, geschweige denn sogar fast sanft zu ihm sein würde. Es war ein Schock, egal wie angenehm es ihn überraschte, und er wußte nicht wirklich, was er davon zu halten hatte.
Zögernd nickte Harry und stand auf, um seinem Lehrer ins Innere des Schlosses zu folgen. Etwas Unglaubliches passierte hier gerade und Harry war sich nicht sicher, ob es ein Grund zu Freude war oder doch eher ein riesiger Schreck.
Obwohl die Gänge und Klassenräume von Hogwarts im Winter ebenfalls eher gemein kalt waren, kam Severus die Luft ungewöhnlich warm vor, als sich die Tür zur Plattform hinter ihm schloß. Mit sorgenvoller Miene betrachtete er den Jungen, der langsam vor ihm die Treppe hinunter ging und die Falte über seiner Nasenwurzel wurde unwillkürlich wieder etwas steiler.
Auf diesen schmalen Schultern lastete das Wohl einer ganzen Welt und keiner wollte sehen, daß sie dafür nicht stark genug waren. Aber wem sollte er einen Vorwurf machen? Er war keinen Deut besser als all die anderen. Er hätte es früher sehen müssen, schon alleine, weil er sich immerzu eingebildet hatte, wachsamer und genauer zu beobachten als alle anderen. Das einzige Mittel, als Spion in Voldemorts Reihen zu überleben, sozusagen.
Und doch hatte er versagt. Oder?
Und was wollte er jetzt eigentlich tun? Was wollte er Harry sagen? Das war alles so überraschend gekommen, einschließlich dieses ungewöhnlichen Bedürfnisses, sich hilfsbereit zu zeigen, daß er nicht einmal den Anflug einer Ahnung hatte, was er jetzt tun konnte, tun mußte. – Das war nicht sein Job, normalerweise war Albus für solche Probleme zuständig oder Poppy Pomfrey.
Nur Potter konnte auf die Idee kommen, ausgerechnet ihn als Zuhörer für seine Probleme auszusuchen! Ärgerlich fuhr Severus sich durch das zerzauste, verknotete Haar. Wie er es haßte, wenn sich eine Sache so vollkommen seiner Kontrolle entzog.
Er brauchte Zeit, er mußte sich vorbereiten. Ja, genau das war es, er brauchte noch ein wenig mehr Zeit, bevor er sich um Harrys Problem kümmern konnte.
Ganz unwillkürlich ging Severus ein wenig schneller und holte innerhalb von Sekunden zu Harry auf. Sein Schüler blickte nicht auf, sondern ging nahezu regungslos weiter, mit hängenden Schultern und den Blick starr zu Boden gerichtet. Erneut fuhr Severus sich durch das lange Haar und runzelte verärgert die Stirn, als er diese Bewegung zum ersten Mal bewußt registrierte. Verdammte Nervosität! Das hatte er sich doch bereits als Schüler abgewöhnt.
„Harry, wenn ich dich jetzt um etwas bitte, wirst du mir dann dein Ehrenwort geben, daß du dich daran hältst?" Harry lächelte. Bitten, Ehrenwort. Wer hätte gedacht, daß er solche Worte mal aus dem Mund des Zaubertrankmeisters hören würde? Immer noch lächelnd blickte er auf.
„Worum geht es, Professor?" Severus widerstand dem Drang, das Lächeln zu erwidern, vehement. Man mußte schließlich nicht alles an einem Tag einreißen. Heute waren für seinen Geschmack schon viel zu viele Barrieren gefallen und er wurde das Gefühl nicht los, daß noch einige folgen würde.
„Ich möchte, daß du jetzt erst einmal zurück in deinen Gemeinschaftsraum gehst. Ich würde unser Gespräch gerne sofort weiterführen, aber ich habe noch etwas sehr wichtiges zu erledigen." Die Angst kehrte schlagartig in Harrys Augen zurück, doch es dauerte einen Moment, bis Severus seinen Fehler erkannte. Vorsichtig legte er Harry die Hände auf die schmalen Schultern und sah ihm fest in die Augen.
„Harry, ich werde mit niemandem darüber reden. Ich hatte wirklich nicht vor, sobald du um die Ecke bist deswegen zu Professor Dumbledore zu rennen." Harry hielt den Blick seines Lehrers fest, schien in seinen Augen nach etwas zu suchen, was er aber scheinbar nicht fand.
„Geben Sie mir IHR Ehrenwort darauf und ich gebe Ihnen meins." Antwortete er leise. Snapes Augen waren so kalt und gleichzeitig brannte dieses merkwürdige Feuer in ihnen. Eine wilde Entschlossenheit.
„Wenn dir das Ehrenwort eines alten Todessers etwas bedeutet, dann habe ich es dir hiermit gegeben." Erwiderte Severus mit seinem charakteristischen, halbseitigen Lächeln, das stets knapp oberhalb seiner Lippen gefror. Er wußte selbst nicht, warum er das jetzt gesagt hatte, warum er es so gesagt hatte, anstatt Harry einfach nur zu sagen, daß er es versprach, aber scheinbar hatte seine Zunge sich heute gegen ihn verschworen und war stets einen Schritt schneller als sein Kopf.
„Das Ehrenwort eines Todessers zählt rein gar nichts." Harrys Stimme klang ungewöhnlich kalt und für einen Moment verkrampfte sich in Severus alles. „Aber Sie sind kein Todesser, sondern mein Professor."
„Wo wir das geklärt haben, Harry, können wir vielleicht auf dein Ehrenwort zurückkommen. Geh zurück in den Turm und versprich mir, daß du keine Dummheiten mehr machen wirst.
Nach dem Abendessen kannst du zu mir kommen und ich höre dir wie versprochen zu. – Kannst du das versprechen?" Harry nickte und Severus konnte es nur knapp unterdrücken, erleichtert aufzuatmen. Mit der ausdruckslosesten Miene, die er aufbringen konnte, nickte er Harry noch einmal zu, wandte sich von ihm ab und ging wie immer mit einem forschen und sehr festen Schritt in Richtung Kerker davon.
Harry blickte ihm nach und irgendwie wurde ihm erst jetzt die volle Fassungslosigkeit der Situation bewußt. Er hatte seinem zweitgrößten Feind an dieser Schule sein Herz ausgeschüttet. Und er hatte ihm zugehört, ohne wie üblich über ihn zu spotten und das, was er erfahren hatte, gegen ihn zu verwenden.
Doch was noch viel merkwürdiger war, war daß Harry jetzt schon genau wußte, daß er noch mehr erzählen würde, daß Severus Snape noch länger zuhören und auch weiterhin nichts davon als Waffe gegen ihn verwenden würde. Im Grunde wußte er nicht, wer Snape wirklich war und seine gemeinsame Vergangenheit mit dem Lehrer war nichts, worauf sich dieses Vertrauen begründen ließ, aber es war da.
Und es fühlte sich gut an, so überraschend dieses schon verloren geglaubte Gefühl zurückgekommen war.
Krachend fiel die Tür zu Snapes privaten Räumen hinter ihm ins Schloß und mit drei langen Schritten hatte er die Distanz zu seinem Kamin überbrückt und ließ sich in seinen großen, schwarzen Sessel fallen.
Das war Wahnsinn, anders konnte man es nicht nennen. Jetzt hatte er sich ein paar Stunden Zeit von Harry erkauft, doch was würde sich in diesen paar Stunden ändern? Würde er nicht immer noch genauso ratlos sein wie vorher?
Severus ließ den Kopf gegen die hohe Rückenlehne des Sessels sinken und starrte gedankenverloren in die züngelnden Flammen im Kamin. Das gesamte Gespräch, jedes noch so kleine Detail von dem, was auf dem Turm vorgefallen war, zog noch einmal an ihm vorbei, doch es war schwer, einen Anhaltspunkt zu finden, mit dem er arbeiten konnte.
Er war doch kein Psychologe oder Fachmann für Teenager. Himmel, er war noch nicht einmal nett, mit ihm redete keiner freiwillig! Und doch saß er mittendrin im Schlamassel und schlimmer noch, er fühlte sich auf merkwürdige Weise verpflichtet, dem Jungen zu helfen. Ihm nicht zu helfen ... ja, das war im Prinzip so, als würde er ihn eigenhändig umbringen.
Severus war klar, daß dieser Gedanke Blödsinn war, doch er war da und ließ sich so einfach nicht vertreiben. So war es immer mit Schuldgefühlen. Für ihn waren Schuldgefühle gute Bekannte, mit denen er praktisch schon per du war.
Severus seufzte, als er aufstand und in einer Nische neben dem Kamin nach einer bauchigen Flasche griff, die mit einer bernsteinfarbenen Flüssigkeit gefüllt war. Der starke und trotzdem fast weiche Geruch des Feuerwhiskeys stieg im in die Nase, kaum daß er die Flasche geöffnet hatte und als er sich ein reichlich bemessenes Glas einschenkte, schnaubte er verächtlich.
Es war noch nicht einmal Mittag.
Trotzdem stürzte er die erste Hälfte des Glases in einem Zug hinunter. Brennend rann der Alkohol seine Kehle hinab und tatsächlich fühlte er sich ein wenig ruhiger, als er das Glas erneut voll machte und dann die Flasche zurück in die Nische stellte. Auch wenn ihm durchaus danach war, stand die Option sich zu betrinken im Moment nicht zur Debatte.
Mit einem erneuten Seufzen ließ er sich wieder in seinem Sessel nieder und drehte das volle Glas nachdenklich in seinen Händen.
Es gefiel ihm nicht, ganz und gar nicht. Aber es war wohl notwendig. Verständnis war etwas, was Severus Snape nur für die wenigsten Situationen und für noch viel weniger Menschen hatte. Aber es war etwas, was er im Notfall noch aufbringen konnte, wenn die Situation es so wie jetzt erforderte. Was ihm aber viel mehr Kopfschmerzen bereitete, war das, was Harry nicht direkt ausgesprochen hatte, was aber fast genauso klar war, als hätte er es getan.
Ehrlichkeit. Und er wußte, daß Harry damit all seine Gefühle, seine eigene Geschichte meinte.
Ehrlichkeit gehörte noch viel weniger zu Severus' Haupteigenschaften. Jedenfalls nicht zu denen, die er offen und ständig zur Schau trug. Er war ein sehr zurückgezogener, privater Mensch, versteckt hinter seiner Mauer aus Kälte, Abweisung und Verachtung. Ganz zu schweigen davon, daß Ehrlichkeit in seinem Leben nur allzu oft tödlich geendet hätte.
Nein, er war nicht gerne ehrlich, noch nicht einmal, wenn er mit Albus sprach.
Und trotzdem, es gab keinen anderen Weg. Er mußte Harry diese Ehrlichkeit geben, ein Stück von sich selbst offenbaren, daß dem Jungen eventuell helfen konnte. Doch wo sollte er da anfangen? Ihm war noch nie vorher so bewußt gewesen wie jetzt, daß ausgerechnet der Junge, der überlebt hatte, ihm eigentlich ähnlicher war, als die meisten anderen Menschen. In vielen Dingen.
Severus schüttelte energisch den Kopf, um die Idee sofort wieder aus seinem Kopf zu vertreiben. Nein! Seine eigene Kindheit stand außer Frage. Es mußte etwas anderes geben, unter gar keinen Umständen würde er sich das noch einmal antun!
Doch da war es auch schon zu spät und eigentlich war das auch keine Überraschung. Es war immer das selbe. Die Gedanken kamen wie zufällig auf dieses Thema zurück und sofort waren die Bilder wieder da. Bilder von einem kleinen Jungen, der stets so kalt und distanziert wirkte, unberührt, wenn sein Vater ihn anschrie.
Der selbe Junge, der sich fast jede Nacht in den Schlaf weinte und sich immer wieder fragte, warum ihn kein Mensch auf dieser Welt liebte.
Der selbe Junge, der noch als Kind beschloß, daß aus ihm einmal etwas Großes werden würde, damit keiner mehr gemein zu ihm war, jeder ihn mochte, und dessen einzige Freunde von da an die Bücher, Kessel und Zaubertrankzutaten waren.
Mit einem bitteren Lächeln setzte Severus das Glas an die Lippen und stürzte einen weiteren gewaltigen Schluck Feuerwhiskey herunter. Nein, das stand außer Frage. Das war kein gutes Beispiel. Er wollte ein ehrliches Beispiel, daß ihn selbst weder zurück in die Depression führen würde, die er vor langer Zeit schon überwunden hatte, noch sollte es Harry einen vollkommen falschen Eindruck vermitteln.
Schließlich war aus diesem Jungen erst einmal nichts Großes, sondern ein Todesser geworden, ein Monster. Nein, er mußte etwas anderes finden.
Doch irgendwie schaffte er es nicht, seine Gedanken von den Todessern loszureißen, ohne zu wissen, was er da zu finden hoffte. Ihm war fast so, als würden die Gedanken um seinen Kopf herumtanzen und ihn auslachen, während er verzweifelt versuchte, wenigstens einen von ihnen festzuhalten.
Und dann blieben die Gedanken stehen und er wußte es. Ein fast schon ehrliches Lächeln legte sich auf seine Lippen.
Ja, wenn man davon absah, wie verkorkst sein Leben immer noch war, war das das perfekte Beispiel. Es würde Harry die Ehrlichkeit geben, die er wollte und es würde ihm zeigen, daß man einen Weg zurück aus der Dunkelheit finden konnte.
Hoffte er doch zumindest.
Snape war zum Essen nicht in der Großen Halle gewesen und Harry fragte sich, ob er der Grund dafür war. Er wußte nicht, warum das so sein sollte, aber es war irgendwie ein Gefühl, das er nicht so recht los wurde. Vielleicht hatte sein Lehrer es sich jetzt doch anders überlegt. Vielleicht wollte er doch nicht mehr länger zuhören.
Vielleicht glaubte er jetzt doch wieder, daß nichts weiter wollte als im Mittelpunkt stehen, alle Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Es wäre nicht das erste Mal gewesen, daß Snape so etwas tat.
Mit heftig klopfenden Herzen blieb er schließlich vor der Tür des Kerkers stehen und hob die Hand, um anzuklopfen, doch er hielt noch einmal inne.
Warum tat er das? Warum fragte er ausgerechnet Snape um Rat? War das nicht total verrückt?
Harry schloß für einen Moment die Augen und atmete tief durch, bevor er schließlich endlich die Kraft aufbrachte, an die Tür zu klopfen. Es mochte nur ein Instinkt sein, aber sein Instinkt und sein Glück waren bisher die einzigen beiden Gründe gewesen, die ihn die richtigen Entscheidungen hatten treffen lassen. Die einzigen Gründe, warum er noch am Leben war.
Und irgendwie – und das war vielleicht das merkwürdigste an der ganzen Sachen – wollte er dieses Leben auch behalten, so überdrüssig er allem auch war. Das war sein Leben und er wollte eine reale Chance haben, es auch endlich so zu leben.
Er brauchte Snape, weil er den Weg aus der Dunkelheit einfach nicht fand und das war der einzige Weg, den er nehmen konnte, wenn er sein Ziel erreichen wollte.
Harry lächelte bitter. Es war so verdammt grotesk. Er wollte leben, wollte frei von allen Zwängen sein, aber gleichzeitig zerstörte er sein Leben, zerstörte er sich selbst. Und es war ihm die ganze Zeit vollkommen bewußt! Trotzdem änderte es nichts daran, daß er keinen Weg fand, den Schmerz zu betäuben, ohne sich jedes Mal selbst noch ein Stückchen weiter zu zerstören.
Es war ein Teufelskreis!
Die schwere Eichentür zur Wohnung des Zaubertrankmeister schwang mit einem leisen Knarren auf und ein wenig zögerlich trat Harry ein. Er war noch niemals zuvor in diesen Räumen gewesen. Snape ließ niemals jemanden in seine Wohnung außer dem Direktor.
Irgendwie war dieser Erkenntnis sehr beruhigend, denn es zeigte Harry auf eine Weise, wie sie nur Snape eigen sein konnte, daß der ältere Zauberer es ernst meinte.
„Willst du in der Tür Wurzeln schlagen oder kommst du endlich rein, P- .. Harry." Die Stimme war kalt und seidig wie immer, aber die Spitze traf diesmal nicht so präzise wie sonst, der Pfeil aus Worten war diesmal nicht so giftig. – Harry hätte schwören können, daß es auch nie wieder so sein würde.
„Guten Abend, Professor." Grüßte er den düsteren Mann, der in einem großen, schwarzen Sessel vor dem Kamin saß mit dünner Stimme und löste sich zaghaft von der Tür, um einige Schritte weiter in den Wohnraum hinein zu gehen. Die Tür schloß sich mit einem erneuten leisen Knarren und einem sanften Klicken.
Harry fuhr erschrocken herum und starrte einen Moment auf die Tür, die sich hinter ihm geschlossen hatte, als wollte er im nächsten Moment zurückspringen, sie aufreißen und davonlaufen. Doch schließlich riß er sich zusammen und überbrückte die letzte Distanz zwischen sich und Severus.
„Setz dich. Ich denke, dieses Gespräch wird ein bißchen zu lang, um dich die ganze Zeit stehen zu lassen." Harry lächelte ein wenig und nahm in dem zweiten Sessel Platz, der nach einem Wink mit Severus' Zauberstab hinter ihm erschien.
Irgendwie war es ein gutes Gefühl, daß der Professor versuchte, sein übliches Verhalten ihm gegenüber aufrecht zu erhalten, statt ihn jetzt in Watte zu packen. Es wirkte ein wenig bemüht, aber er versuchte es immerhin.
„Harry, ich muß zugeben, daß ich kein wirklicher Experte darin bin, einem Schüler mit deinen Problemen zu helfen. Ich weiß nicht wirklich, was du von mir erwartest." Begann Severus und suchte den Blick seines Schülers, der jetzt, nachdem sie beide ein wenig Zeit gehabt hatten, den Morgen sinken zu lassen, einen eher nervösen Eindruck auf ihn machte.
Kaum hatte Severus angefangen zu reden, hatte Harry sich vollkommen in seinem Sessel verkrampft. Nervös verschlang er seine Hände miteinander und löste die ineinander gewobenen Finger, immer wieder.
Severus runzelte die Stirn, als er dabei zusah, wie Harry seine Finger immer wieder ineinander verschlang und auseinanderzog. Dabei ließen seine Augen seine Hände niemals aus dem Spiel. Vorsichtig, um ihn nicht zu erschrecken, legte Severus seine eigene Hand auf die Harrys und plazierte erst die rechte Hand des Jungen auf dessen rechtem Knie, dann die linke auf dem linken. Harry blickte überrascht auf.
„Ich würde es vorziehen, wenn du mit deinen Gedanken hier bei mir bleiben würdest, Harry. Das würde dieses an sich sehr schwierige Gespräch ein wenig leichter machen." Harrys Lippen verzogen sich zu etwas, was fast einem Lächeln ähnelte und er nickte. Warum war er nur so verdammt nervös? In einem Moment war er sich sicher, daß er hier richtig war und im nächsten Moment war er so nervös, das er flüchten wollte und beide Gefühle wechselten innerhalb von Sekunden!
„Also beginnen wir noch einmal von vorne. – Harry, ich bin bereit, dir zu helfen, wenn ich es kann. Aber du darfst keine Wunder erwarten." Harry blickte seinen Lehrer lange an, der Ausdruck in seinen Augen war fast so vollkommen leer wie am Morgen auf dem Turm.
„Ich glaube nicht mehr an Wunder, Professor." Gab er schließlich leise zu und einen Moment fühlte er den Drang, wieder auf seine Hände zu starren, doch er unterdrückte es.
„Das ist nicht unbedingt verkehrt, denn das ist die erste Weisheit, die ich dir präsentieren kann. So etwas wie ein Wunder gibt es nicht. Alles was auf dieser Welt geschieht, ist das Produkt einer unserer Handlungen. An Wunder zu glauben ist daher eher töricht, auch wenn immer noch sehr viele es nur allzu gerne tun.
Harry, ich werde dir ein paar Fragen stellen. Sie sind wichtig und sollen mir helfen, dir wiederum zu helfen. Wirst du sie mir beantworten, auch wenn sie dir unangenehm sind?" Wieder zögerte Harry einen ewigen Augenblick lang, doch schließlich nickte er und Severus lehnte sich mit einem knappen Nicken in seinem Sessel zurück.
„Gut. – Ich hatte den Eindruck, daß du dir diese Verletzungen erst seit kurzem zufügst. Seit wenn genau?" Severus fühlte, wie alles in ihm zu flattern begann und nur mühsam konnte er das nervöse Zittern unterdrücken, das von seinen Händen besitz ergreifen wollte. Dennoch schaffte er es, daß seine Stimme ruhig klang, wenn auch die übliche Kälte ein wenig schwach ausfiel.
„Sechs Monate." Nur mühsam gelang es Severus, seine wahre Überraschung über diese Antwort zu unterdrücken und statt dessen wieder nur zu nicken. Sechs Monate ... er war von Tagen ausgegangen.
„Warum gibt es keine Narben oder Wunden, die älter als ein paar Tage sind?" fragte er weiter und griff nach dem Glas Feuerwhiskey auf dem Tisch. Er konnte seine Finger nicht länger ruhig halten.
„Weil ich sie heile. Ich möchte nicht, daß jemand die Narben sieht." Severus nahm einen winzigen Schluck Whiskey und hob dabei eine schwarze Augenbraue an.
„Warum nicht, Harry?" Harry hob die Schultern und starrte in das hell lodernde Feuer im Kamin vor ihm.
„Weil ich keine dummen Fragen hören wollte. Und weil ich kein Mitleid wollte. Und weil ich nicht will, daß die Leute denken, ich wollte Mitleid." Das machte Sinn. Grausamen Sinn, aber dennoch Sinn. So unauffällig wie möglich atmete Severus tief ein, um das Flattern zu beruhigen, das immer stärker wurde.
„Warum ich?" Harrys Augen lösten sich vom Feuer und richteten sich auf den Zaubertrankmeister. Ein winziges Funkeln lag in ihnen.
„Das habe ich bereits gesagt!" ein leichtes Knurren lag in der Stimme des Schülers. Severus lächelte kalt.
„Ich würde es gerne noch einmal hören."
„So stolz darauf, den goldenen Gryffindor ausgerechnet vor Ihren Füßen kriechen zu sehen, Snape?!" Severus' rechter Mundwinkel bog sich noch ein wenig weiter nach oben, doch auch dieses Lächeln erfror knapp oberhalb seiner Lippen und erreichte die brennenden, schwarzen Augen nie.
„Ich bin niemals stolz, wenn ich versagt habe, Potter!" Harry biß sich auf die Lippen, doch diesmal traf die Pfeilspitze und auch das bittere Gift verfehlte seine Wirkung nicht wirklich. Der metallische Geschmack von Blut legte sich auf seine Zunge, als seine Zähne sich zu fest in seine Lippe gruben, doch Harry nahm es fast gar nicht wahr.
„Weil Sie ... weil Sie eben der einzige sind, der mich verstehen könnte. Weil Sie sich nicht dafür interessieren, daß ich berühmt bin, weil Sie mich niemals bemitleiden würden für das, was ich mir antue. Und ... ja ... weil ..."
„Weil Harry?" Ein angestrengter Ausdruck trat auf Harrys Gesicht. Er schien mit sich zu kämpfen, ob er es wirklich sagen sollte.
„Weil ich manchmal sicher bin, daß ich in Ihren Augen sehen kann, daß Sie ein wenig so sind wie ich." Nur knapp konnte Severus verhindern, daß die Überraschung, die er fühlte, auch auf seinem Gesicht zu lesen war. Daß er die Ähnlichkeit erkannte, war kein Wunder. Er wußte Details über den Schüler, wußte Dinge über sein Leben, aus seiner Vergangenheit. Aber wie kam Harry auf die Idee?
„Ich versichere dir, Harry, wir könnten nicht unterschiedlicher sein." Entgegnete er kalt, in dem, wie er jetzt schon wußte, verzweifelten Versuch, einen Teil seiner Mauer schnell wieder um sich zu errichten.
„Ich bin nicht hier, weil ich Sie in Verlegenheit bringen wollte, Professor. Sie haben gefragt, also seien Sie jetzt so fair und ziehen Sie sich nicht von mir zurück, nur weil ich die Frage beantwortet habe." Wieder senkte sich das Schweigen über die beiden, wieder hielten ihre Blicke sich fest. Einerseits war es gut, daß Harry noch immer genug Kraft und Willen hatte, ihm die Stirn zu bieten, aber andererseits konnte Severus sich einfach nicht dazu durchringen, darüber erleichtert zu sein, wenn er bedachte, daß dieses Kind es scheinbar doch irgendwie geschafft hatte einen Blick hinter seine Fassade zu werfen.
Sie war perfekt! Man konnte nicht einfach dahinter gucken, wie hinter einen einfachen Vorhang, der nichts weiter tat, als die Sicht zu versperren!
„Harry, wie genau weißt du, was du dir antust?" Harry lächelte bitter und eine ungewohnte Härte legte sich über seine Züge, als er einen Moment ins Feuer blickte und sich seine Antwort überlegte.
„Ich weiß, daß ich mir rein äußerlich leichte Wunden zufüge, die nicht weiter dramatisch sind und sich mit den einfachsten Sprüchen ohne jede Narbe heilen lassen, wenn ich nicht möchte, daß welche zurückbleiben.
Aber ich weiß auch, daß ich jedes Mal, wenn ich es tue, mit dem Messer auch ein Stück weit in meine Seele schneide.
Im ersten Moment ist es eine Erleichterung. Der Schmerz, der Druck, meine Frustration, das alles wird riesig groß und der Berg vor mir scheint unüberwindbar zu sein, nicht zu schaffen, nicht einmal von dem berühmten Jungen, der den Teufel überlebt hat. Und dann greife ich zu Sirius' Messer, setze es an, fühle, wie es meine Haut durchdringt und im selben Moment kommt es mir vor, als wäre ein Ventil aufgedreht worden.
Mit dem Blut, das aus meinem Körper gepumpt wird, lassen auch alle negativen Gefühle in mir nach. Es kommt mir so vor als würde ich erst dann wieder richtig atmen, als könnte ich erst dann wieder fühlen, daß mein Herz wirklich noch schlägt.
Ich weiß nicht mehr, wann es angefangen hat, aber ich fühle mich schon lange wie tot und das sind die einzigen Momenten, in denen ich mich ausnahmsweise wieder lebendig fühle.
Aber natürlich ist dieses Gefühl nur kurz da, bevor alles wieder zurückkommt. Meistens bemerke ich erst dann, was ich eigentlich getan hab, spüre erst dann die Schmerzen der Schnitte. Dann fühle ich mich elend, weil ich weiß, daß das, was ich tue, nicht besser ist, als feige vor allem wegzulaufen.
Aber Sie haben ja gesagt, Sie haben so etwas schon einmal gesehen. Dann wissen Sie sicher auch, daß man nicht so einfach damit aufhören kann, daß immerzu der Drang da ist, wieder zum Messer zu greifen, sobald der Berg sich wieder aufbaut.
Und das tut er. Manchmal dauert es nur Stunden, dann wieder Tage, aber früher oder später sind die negativen Gefühle wieder da und dann ist nichts so schnell vergessen, wie das schlechte Gewissen, die Verachtung für die eigene Tat.
Man tut es wieder. Und alles geht wieder von vorne los. Es ist ein ewiger Kreis, aus dem ich nicht ausbrechen kann, obwohl ich weiß, was ich tue und wie falsch es ist." Severus hatte lange schon damit aufgehört, das Glas in seinen Finger zu drehen. Seine Augen, die Harry nicht eine Sekunde verlassen hatten, hatten einen intensiven Ausdruck angenommen, den Harry nicht wirklich zu deuten vermochte. Aber sie waren weder verachtend noch wütend. Und Harry ertappte sich dabei, wie er erleichtert aufatmete.
„Verachtest du dich, Harry?" Harry schluckte und schloß einen Moment die Augen. War es die Frage oder der weiche Ton dieser Stimme, die er nur kalt und scharf in Erinnerung hatte? Er wußte es nicht, wußte nur, daß er diese Frage fürchtete, denn sie war der Schlüssel zu einer der wenigen Wahrheiten, die für einige Leute die Welt aus den Fugen geraten lassen konnte.
„Mehr als alles andere." Flüsterte er mit gesenktem Blick.
Severus nickte nachdenklich. Das wiederum war keine Überraschung gewesen, in keiner Weise hatte er eine andere Antwort erwartet.
„Seit wann ist das so? Ich weiß, daß du anfangs ein etwas unsicherer Junge warst, dem man viel erzählt hatte, was er noch nicht vollkommen verarbeitet hatte, aber ich würde trotzdem meine Hand ins Feuer legen, daß dieses Gefühl in deinen ersten Jahren in unserer Welt noch nicht da war oder?" Harry schüttelte den Kopf und Severus bemerkte, daß er wieder auf seiner Unterlippe kaute wie am Morgen auf dem Turm.
„Seit Cedric gestorben ist, denke ich." Cedric Diggory. Ja, das war irgendwie ein logischer Zeitpunkt und wieder keine wirkliche Überraschung. Vor der Sache mit Cedric war Harry in seiner Aufgabe als Retter der Welt und Gegenspieler des Dunklen Lords stets recht erfolgreich gewesen. Immerhin war er ihm zweimal nahezu unverletzt entkommen, nachdem er beide Male die Pläne des finsteren Zauberers durchkreuzt hatte. Doch mit Cedric war plötzlich die Wende gekommen.
Plötzlich war die Welt nicht mehr heil und glücklich, nachdem er mit dem Dunklen Lord zusammen getroffen war. Plötzlich ging das Morden und das ganze Grauen, die Angst, die Panik alles wieder von vorne los.
Und Severus mußte sich schon schwer täuschen, wenn Harry sich nicht die Schuld dafür gab, obwohl ihm klar sein mußte, daß es nicht sein Fehler gewesen war, daß Voldemort die Rückkehr in die Welt der körperlich Existenten geschafft hatte. Er war nur eine der vielen Möglichkeiten für Voldemort gewesen und Harry, gerade mal vierzehn, als es geschehen war, war gar nicht in der Lage gewesen, die Falle zu erkennen und ihr zu entgehen. Selbst Dumbledore hatte es nicht gesehen und egal wieviel Hoffnung man in Harry setzte, Dumbledore war noch immer der mächtigste Zauberer überhaupt. Erst recht vor zweieinhalb Jahren war er es noch gewesen.
„Gehe ich recht in der Annahme, daß das Messer nicht die erste Waffe war, die du gegen dich selbst angewandt hast?" Langsam schnürte sich Severus die Kehle zu. Mit jeder Frage, die er stellte, wurde es immer schwerer für ihn, seinen Kurs beizubehalten.
Harry registrierte die Gespanntheit in Severus' Stimme, die sich plötzlich in den weichen Ton mischte und er fragte sich, was wohl gerade wirklich in seinem Gegenüber vor sich ging, während er versuchte, ihm eine möglichst unbeteiligte und kalte Oberfläche zu zeigen. Harry nickte.
„Was genau hast du noch getan?" Severus war sich nicht sicher, ob er das wirklich wissen wollte. Was er bis jetzt erfahren hatte, reichte durchaus schon aus, in ihm Erinnerungen frei zu schaufeln, die er für immer begraben lassen wollte.
Harry hob in einer fast gleichgültigen Geste die Schultern. „Ich habe mir die Hände an Wänden aufgeschlagen und hinterher erzählt, das sei beim Quidditch passiert. Ich habe nachts einen Arm mit einem groben Seil an meinem Bett festgebunden und wenn ich mitten in der Nacht Alpträume hatte und endlich aufwachte, war das Handgelenk wund gescheuert, manchmal sogar blutig.
Ich habe wochenlang nicht wirklich gegessen und wenn ich es getan hab, hab ich mich hinterher gezwungen, wieder alles zu erbrechen. Ich habe im Prinzip alles getan, um mir selbst Schmerzen zuzufügen. Ich wollte mich bestrafen, weil es sonst keiner getan hat."
„Warum hat niemand etwas bemerkt, Harry? Granger und Weasley hätten es doch sehen müssen, irgendwann einmal mißtrauisch werden müssen." Wieder hob Harry die Schultern und ein trauriges Lächeln umspielte seine Lippen.
„Ich habe es wohl gut versteckt. Unter der weiten Schulrobe sieht man es nicht, wenn ich abmagere und auch meine Muggelkleider sind so groß, daß keinem etwas auffiel. Wenn mein Gesicht einfiel, schob ich es darauf, daß ich wieder einmal jede Nacht Alpträume hatte. Ich hatte bisher immer für alles eine plausible Ausrede." Harry drehte seine Hände, die noch immer auf seinen Knien auflagen mit den Handflächen nach oben und starrte sie an.
Klein und nicht besonders kräftig, ein paar Stellen vom Quidditch mit Hornhaut bedeckt. Das waren nicht die Hände eines Helden. Diese Hände konnten einen Schnatz fangen oder ein Messer halten und den eigenen Arm verletzen, aber sie konnten keinen Lord Voldemort vernichten. Es mußte so sein, sonst hätte er es doch längst geschafft. Fünf Chancen bisher und keine hatte er davon genutzt.
Er war kein Held. Er war ein Nichts und für ihn waren Menschen in den Tod gegangen! Für ihn!
Severus beobachtete Harry aus den Augenwinkeln ganz genau, ließ ihn nicht einen Moment aus den Augen. Er hatte zu lange weggesehen. Er konnte den verfluchten Kampf sehen und er erkannte, warum Harry diesen Kampf bisher nicht hatte gewinnen können.
„Harry, auch wenn schon zu viele Leute das zu dir gesagt haben: Du bist nicht für Cedrics Tod verantwortlich. Und noch viel weniger ist es deine Schuld, daß Voldemort es geschafft hat, dich in eine Falle zu locken.
Man kann keinen Krieger in einen Krieg schicken, den man nicht wenigstens vorher darauf vorbereitet hat. Nicht, wenn man von ihm erwartet, daß er gewinnt. Wie hättest du gegen dieses uralte Ritual gewinnen sollen? Sag es mir, Harry.
Es ist ohnehin schon ein Wunder, daß du es überhaupt überlebt hast. Ein gewöhnlicher Junge wäre auf diesem Friedhof gestorben. Cedric war ein gewöhnlicher Junge. Doch du bist es nicht, Harry, auch wenn du es sein möchtest. Und ich weiß, daß es dir heute wie ein Fluch erscheint, aber irgendwann bist du dankbar dafür, daß es so ist." Harry löste seinen Blick langsam von seinen Händen und fast noch langsamer richtete er ihn wieder auf seinen Lehrer. Ein leichter Hauch von Wut funkelte in ihnen.
„Erinnern Sie sich vielleicht noch daran, was ich heute morgen gesagt habe? Ich will keine Phrasen und Märchen von Ihnen hören, ich brauche kein Mitleid und keinen Trost..."
„Was willst du dann?!" fauchte Severus seinen Schüler an und unwillkürlich lehnte Harry sich in seinen Sessel zurück, um vor ihm zurück zu weichen.
„Wenn doch alles nicht das ist, was du hören willst, warum hast du dann nicht gleich gesagt, daß du eigentlich nur eine Runde Wahrheit oder Pflicht mit mir spielen willst?" Die Wut in Severus' Stimme überschwemmte Harry eiskalt und gleichzeitig glühend heiß. Er wußte nicht, welches von beidem stärker war, aber wußte, daß der Mann recht hatte.
Was wollte er von ihm, wenn doch alles verkehrt war, was er sagte? Es war Severus gegenüber nicht besonders fair, aber andererseits gehörte es nicht wirklich zu seinen obersten Prioritäten, fair zu ihm zu sein. Er wollte etwas anderes.
„Wissen sie was, Professor? Geben Sie mir bitte mein Messer zurück und ich verschwinde augenblicklich. Ich werde Sie nie wieder mit der Sache behelligen und Sie können beruhigt alles wieder vergessen, was ich Ihnen erzählt hab.
Es war mein Fehler, ich erwarte Dinge von Ihnen, die Sie nicht erfüllen können. Ich bin genauso wie alle anderen, stecke die Erwartungen immer zu hoch." Severus fühlte, wie seine Wut augenblicklich wieder verflog und im selben Moment war das flatterige Gefühl wieder da, das er am Anfang des Gespräches empfunden hatte. Das war dann wohl der Moment.
Harry stand mit zitternden Beinen auf und hielt Severus seine ausgestreckte Hand entgegen, um sein Messer in Empfang zu nehmen. Severus betrachtete seine Hand sehr lange mit einem merkwürdig melancholischen Ausdruck in den schwarzen Augen.
„Setz dich bitte wieder, Harry." Im ersten Moment wollte Harry widersprechen, doch er schaffte es nicht gegen die Stimme in seinem Kopf anzukommen, die ihm sagte, daß er bleiben mußte, daß er nur hier wirklich sein wollte.
Außerdem lang etwas in der Luft. Der Ausdruck in den Augen seines Lehrers. Das bedeutete etwas und er wollte um alles in der Welt wissen, was es war.
Mit einem geschlagenen Seufzen nahm er seinen Platz wieder ein.
Severus, der nun seinerseits in das lodernde Feuer im Kamin starrte, umfaßte das Whiskeyglas in seiner Hand noch einmal ein wenig fester und holte tief Luft. Es mußte sein. Mußte. Kein anderer Weg.
„Du hast vorhin zu mir gesagt, daß du glaubst, daß wir beide uns ähnlich sind." Begann er. Harry nickte und fühlte, wie die Anspannung mit voller Gewalt zu ihm zurückkehrte. Da lag tatsächlich etwas unglaublich Großes in er Luft.
„Ähnlicher als du denkst, schätze ich. Ich werde dir etwas erzählen, was ich noch niemandem jemals erzählt habe, aber du darfst mich dabei nicht unterbrechen. Ich bin nicht gerade der gesprächigste Mensch und wenn du mich unterbrichst, kann es gut sein, daß ich nicht weiter erzählen kann." Wieder ein Nicken und ein leises:
„Verstanden." Severus schloß für einen Moment die Augen und lehnte sich nach einem weiteren Schluck Whiskey in seinen Sessel zurück. Seine Augen starrten ins Leere, als er langsam begann, zu erzählen.
TBC
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Author's Note:
Ich bin überwältigt, das war ein enormes Feedback *freu*. Ich hab mich auch extra beeilt, damit es weiter geht. Ich weiß, die Stelle ist ein wenig gemein, um abzubrechen, aber ich wollte es noch updaten, bevor ich übers Wochenende wegfahre (verfrühtes WE, das morgen früh schon anfängt). Ich denke, das nächste Kapitel wird ein ganzes Stück länger werden, allerdings wird es auch paar Tage länger dauern ^_^. Severus plaudert aus dem Nähkästchen, irgendwie freu ich mich drauf, auch wenn's wohl wirklich ziemlich OCC ist (ich bitte dafür um Entschuldigung!).
Ach ja, vielleicht noch eins: Ich selbst hab noch nie derartige Probleme gehabt. Weder Ritzen, noch Eßstörungen etc. Ich hoffe trotzdem, daß ich mich gut genug über das Phänomen Ritzen informiert hab. Wenn das nicht so ist, dann sagt es mir, von mir aus auch per e-Mail (wenn es z.b. wegen persönlicher Betroffenheit nicht öffentlich in einem Review zugänglich sein soll), ich will schließlich keinen totalen Müll schreiben und bin daher für konstruktive Kritik und Belehrungen sehr dankbar ^_^
Ein ganz dickes Dankeschön für ihre Reviews an: Maia, shaya, Kiki, Sssnitch, Yvanne Palpatine, Angel, mastermind, Leu de Nox und Julia!
Fragen werden natürlich auch beantwortet *g* Also:
shaya: Sorry, ich bin einfach zu blöd. Ich hätte gleich dran denken müssen, daß so eine Warnung vorne dran muß. Blond durch und durch, ich sag's ja immer wieder *g*
Kiki: Ja, ja, die 4 Kapitel werden reichen, aber es gibt eine Fortsetzung zu dieser Story, die wesentlich länger wird und wo es dann auch wirklich slash wird ^_~ Keine Sorge, du wirst nie erleben, daß ich mich zu kurz fasse, kennst mich doch *g*
Sssnitch: In dieser Geschichte wird es nicht mehr erzählt, aber in der Fortsetzung erfahren sie dann, was mit Hermine passiert ist und warum Ron so reagiert hat. Mit etwas Glück und viel Extra-Zeit zum Schreiben, dauern meine Updates nicht lange ;o)
Yvanne: Stirbt er irgendwie... hm, nein, eigentlich nicht. Auf eine Art und Weise ja, aber nicht im Sinne von wirklich Sterben ;o) "verloren in der Welt" eben, wie Severus am Anfang des Kapitels sagt.
mastermind: Fortsetzung geschrieben und es wird noch ne Weile weitergehen *droh* *g*
Leu de Nox: Genau genommen sind das ja jetzt zwei Alternativen. Die Fortsetzung vom Giftmischer hat heute begonnen ;o) (und ich Hohlhirn hab die Warnung natürlich vergessen, war ja klar *seufz*)
