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And you... I wish I didn't feel for you anymore...
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Kapitel 3


*Severus Snape*

Ich habe mich seit diesem Abend in meinen Räumen immer wieder gefragt, ob ich dem Jungen doch von meiner Kindheit hätte erzählen sollen. Vielleicht habe ich in meiner Angst, zu viel von dem zu offenbaren, was niemals ein Mensch über mich erfahren sollte, das falsche Thema gewählt und ihn nur noch einen Schritt weiter getrieben. Andererseits bin ich mir aber auch sicher, daß er es ohnehin früher oder später getan hätte. Schließlich war es sein Schicksal.

Ich war wohl nur der Grund, aus dem er es früher als von ihm selbst geplant und noch dazu freiwillig getan hat. Das hilft nicht gerade gegen das nagende Gefühl in meinem Inneren, aber ich war schon immer ein Meister darin, mir Dinge einzureden, wenn ich sie nicht freiwillig glauben wollte. Noch war ich nicht erfolgreich, aber eines Tages werde ich glauben, daß ich keine Schuld daran habe, daß wir alle in Ungewißheit leben. Irgendwann...

Doch die Geschichte, die ich ihm anvertraut habe – ausgerechnet ihm! – war doch nicht wesentlich weniger tragisch als der Rest meines verkorksten Lebens. Warum hätte ich ihm also den letzten dunklen Punkt offenbaren sollen. Selbst Albus hat es bis heute noch nicht geschafft, Licht in dieses Dunkel zu bringen und ich werde nicht dazu beitragen, daß sich das ändert. Nicht für Harry Potter!

Und doch, noch immer wache ich auf und frage mich, ob es richtig war.

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Never sigh for better world
It's already composed, played and told
Every thought the music I write
Everything a wish for the night
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Severus konnte Harrys intensiven Blick auf sich spüren, doch er sah seinen Schüler nicht an, als er seine Gedanken sammelte und sich noch einmal selbst versicherte, daß es nicht nur richtig war, sondern sein mußte. Das Glas in seinen Fingern bekam schon Ähnlichkeit mit einem Karussell, so oft hatte er sich bereits gedreht, doch das war etwas, was er nicht so einfach abstellen konnte. Er war zu nervös.

Er. Nervös. Severus erlaubte sich ein knappes Lächeln. Man konnte es fast als ein Wunder bezeichnen, wenn man mal davon absah, was er dem Jungen gerade über Wunder gesagt hatte.

„Als ich vor vielen Jahren als Schüler nach Hogwarts kam, ging es mir sehr ähnlich wie deinem Freund Ronald Weasley." Begann Severus schließlich in einem sehr ruhigen und leisen Ton. Er bemerkte, wie Harry bei diesen ersten Worten die Augenbrauen ein wenig ungläubig zusammenzog, doch der Ausdruck verschwand sofort wieder und wurde von einer wertfreien Neugier ersetzt. Scheinbar hatte der Junge sich vorgenommen, erst zuzuhören und dann zu urteilen. Wenn Severus ehrlich sein sollte, hatte er das nicht erwartet.

„Entgegen vieler Gerüchte, die heute um mich herum kursieren, war meine Familie schon seit langer Zeit nicht mehr reich. In der Vergangenheit ist es so gewesen, doch mit den Generationen schwand der Reichtum und alles was blieb, waren eine alte Villa, die mittlerweile heruntergekommen und verfallen ist und die für uns Snapes typische, verbissene Ambition, diese unangenehme Situation durch große Leistungen wieder auszugleichen.

Was man in diesem Fall als große Leistung bezeichnen möchte, sei dahingestellt, aber ich werde dir nicht verschweigen, daß die meisten meiner Vorfahren und Verwandten nach wie vor darin die Dunklen Künste und somit Voldemort sahen und sehen." Der Ausdruck seines Gesichts, den Harry mit aller Macht neutral zu halten versuchte, verzog sich ein wenig, als sich der Kiefer des Jungen anspannte und seine Augen funkelten. Severus tat, als habe er es nicht gesehen.

Er hatte es Harry nicht nur aus Spaß gesagt, man durfte ihn nicht unterbrechen. Weder Harry noch er selbst, durften ihn ablenken.

„Meine Pläne – im Alter von elf – sahen natürlich ein wenig anders aus. Voldemort, Todesser, das alles waren Dinge, mit denen ich mich nicht beschäftigte. Ich war schon als Kind ein Bücherwurm, ein Forscher – ein wenig wie Granger, schätze ich, allerdings war ich nie so aufdringlich mit meinem Wissen." Wieder beobachtete er Harrys Reaktion aus den Augenwinkeln, doch diesmal lächelte sein Schüler. Ein dünnes Lächeln, aber immerhin war es da und hatte den düsteren Ausdruck, den die Erwähnung Voldemorts hervorgerufen hatte, wieder abgelöst.

„Ich kam nach Hogwarts und war voller Hoffnung. Ich glaubte, meine Träume und Pläne würden von nun an in Erfüllung gehen. Harte Arbeit würde ihren Lohn haben.

Ich war nur ein Kind, sonst wäre mir vermutlich damals schon bewußt gewesen, daß diese Hoffnung vergebens war. Der Ruf meiner Familie war bekannt und nicht nur meine Klassenkameraden, sondern auch deren Eltern schienen der festen Überzeugung zu sein, daß aus mir früher oder später nichts anderes werden konnte, als noch ein Unterstützer der falschen Seite.

Man begegnete mir mit Ablehnung. Nicht ein einziger machte sich die Mühe, herauszufinden, wer ich wirklich war." Severus fing Harrys Blick auf und sah seinen Schüler einen Moment schweigend an. Das erste Eingeständnis zu Harrys Vermutung war gefallen und noch mehr würden folgen.

Doch wie er versprochen hatte, unterbrach Harry seinen Lehrer nicht und Severus zwang sich, seinen Blick von Harry zu lösen und weiter zu erzählen.

„Einige Schüler – darunter auch dein Vater und sein bester Freund Sirius Black – sahen es sogar als ihre Lebensaufgabe an, mir das Leben in Hogwarts zur Hölle zu machen. Schon auf der ersten Fahrt im Hogwarts-Express haben sie mir das klar gemacht.

Nach der Auswahlzeremonie am Abend schien mein Schicksal dann endgültig besiegelt, denn wie alle erwartet hatten, hatte der Hut mich nach Slytherin geschickt. Auch ich hab es im Prinzip vorher schon gewußt, aber dennoch hab ich bis zuletzt doch noch gehofft, daß es eventuell Ravenclaw werden würde." Harrys Kopf schnellte ein wenig nach oben und wieder trafen sich die Blicke der beiden. Severus verzog die Lippen zu einem knappen Lächeln und fragte sich im selben Moment, ob das wohl eine neue schlechte Eigenschaft werden würde.

„Überrascht? Ich war ein Slytherin mit Leib und Seele, meine Eltern, Onkel und Tanten waren Slytherins mit Leib und Seele. Aber an jenem ersten Abend habe ich gebetet, daß ich keiner werden würde. Ich fühlte mich schon ausgegrenzt und gehaßt und ich wußte, es würde alles noch schlimmer werden, wenn ich nach Slytherin käme. Eher hätte ich mit der Enttäuschung meiner Eltern in den wenigen Wochen leben können, die ich in den nächsten sieben Jahren zu Hause verbringen sollte.

Das Schicksal entschied sich anders, aber es entschloß sich gleichzeitig auch, mir mit meiner neuen Bürde jemanden an die Seite zu stellen, der mir zumindest in den ersten Jahren helfen sollte, sie zu tragen." Severus hielt erneut inne, leerte sein Whiskeyglas in einem Zug und schenkte nach. Er hatte immer noch nicht die Option, sich zu betrinken, aber die sanfte Wärme, die der Alkohol in seinem Inneren verursachte, beruhigte ihn ein wenig und machte ihm das Reden leichter.

„An diesem Abend lernte ich Lucius Malfoy kennen. Die Snapes und die Malfoys sind eigentlich schon seit Generationen befreundet. Die Freundschaft begründet sich noch aus Zeiten, in denen es meiner Familie besser ging als heute, auch wenn wir niemals ganz den Status eines Malfoys hatten, wir waren ihnen doch vor vielen Jahren einmal fast ebenbürtig.

Ich kannte Lucius also schon von einigen sehr kurzen Treffen in meiner frühen Kindheit. Aber so richtig kennen gelernt habe ich ihn erst in Hogwarts.

Er war im Prinzip alles, was ich mir immer für mich selbst erträumt hatte. Er war beliebt und charismatisch, hatte Freunde und Bewunderer. Seine Familie behandelte ihn, wie eine Familie den einzigen Sohn behandeln sollte, mit Liebe und Respekt. Ihm wurde Anerkennung für seine Leistungen zuteil.

Ich wußte sofort, daß ich sein Freund werden wollte, daß ich von ihm lernen wollte, meine Ziele zu erreichen, die sich mit Büchern nicht erreichen ließen. Das Spiel von Macht und Charisma eben, ein Spiel, für das man geboren sein muß, wenn man keinen guten Lehrer findet. Ich hatte keine großen Hoffnungen, daß er die Rolle übernehmen würde, wenn ich ehrlich sein soll.

Dennoch tat er es.

Ich weiß nicht, warum er sich an jenem Abend schon dazu entschied, mein Beschützer zu werden, aber er tat es. Er stellte sicher, daß dein Vater und seine Freunde und auch alle anderen Schüler, die mir feindlich gesonnen waren, mich in Ruhe ließen. Und er sorgte dafür, daß meine Stellung in Slytherin gut, fest und unantastbar war.

Ich hatte zum ersten Mal in meinem Leben einen Freund gefunden. Und zum ersten Mal in meinem Leben schien dieser Freund nichts weiter von mir zu wollen, als meine Freundschaft." Wieder senkte sich Schweigen über die beiden herab. Während Severus sich sammelte, um fortfahren zu können, gab er Harry die Möglichkeit die Informationen zu verarbeiten.

Severus wußte, daß er seinem Schüler praktisch einen Schock versetzte. Zum einem mit seiner Offenheit, zum anderen mit dem, was er erzählte, denn für Harry, der in ihm wohl die ganzen Jahre über nichts weiter gesehen hatte, als den kalten, widerlichen Zaubertrankmeister, mußte es absolut unglaublich sein, ihn in diesem Licht zu sehen.

Severus fühlte den Drang, den Jungen vor die Tür zu setzen, nachdem er ihn mit einem Vergessenszauber belegt hatte, immer stärker in sich aufsteigen, doch er unterdrückte ihn vehement. Das war nicht einmal auch nur annähernd eine Option. Nicht einmal unter normalen Umständen. Jetzt war es schlicht zu spät und er mußte sich damit abfinden. Er hatte damit angefangen und er mußte es zu Ende bringen. Einfaches Konzept, klar und präzise. Er konnte sich später noch genug leid tun, weil er sich wie ein Mensch verhalten hatte.

„In der ersten Zeit war Lucius einfach nur da, um die anderen von mir abzuschrecken. Natürlich hat dein Vater sein Vorhaben, mir mein Leben zur Hölle zu machen, nicht sofort eingestellt, aber Lucius, der bereits in seinem fünften Jahr in Hogwarts und noch dazu Vertrauensschüler von Slytherin war, saß zwangsläufig auf die Dauer am längeren Hebel. – Ich denke, ich muß nicht extra erwähnen, daß Gryffindor in diesem Jahr noch weit hinter Hufflepuff lag bei der Hausmeisterschaft." Das zufriedene Grinsen auf seinem Gesicht, brachte sogar Harry dazu kurz zu lächeln.

Oh ja, er konnte sich lebhaft vorstellen, daß sein Vater stur genug gewesen war, Unmengen von Punkte zu verlieren, um seinen Erzfeind als solchen behandeln zu können.

Er selbst hätte niemals freiwillig auf seine kleinen Kämpfe gegen Draco verzichtet und er war sich fast sicher, daß es dem blonden Slytherin da ganz ähnlich ging. – Aber keiner von ihnen beiden war so verbittert auf den anderen eingeschossen, wie es bei Professor Snape und seinem Vater gewesen war, wenn er seiner Ahnung trauen konnte.

„In meinem zweiten Jahr stellte sich mein unglaubliches Talent für Zaubertränke zum ersten Mal überdeutlich heraus. Zwar waren meine Leistungen in allen Fächern nahezu tadellos, aber in Zaubertränke übertrumpfte ich sie alle. Ich wußte Dinge, die kein Zweitkläßler vor mir jemals gewußt hatte. Ich wußte manchmal sogar mehr als unser damaliger Lehrer.

Ich schätze, das war der Moment, in dem auch Lucius erkannte, daß er sich nicht getäuscht hatte. Er hatte meinen wahren Wert für sich gefunden und beschlossen, daß er wohl unschätzbar war, denn praktisch von einem Tag auf den anderen änderte sich seine Unterstützung vollkommen.

Vom Freund und Verteidiger wurde er noch dazu zu einer Art Gönner. Anfangs hab ich mich geweigert, die Bücher und seltenen Zutaten anzunehmen, doch ich denke, er wußte von vorne herein, daß ich zu neugierig und zu wißbegierig war, um den Möglichkeiten, die er mir bot, lange widerstehen zu können." Severus schluckte den Kloß in seinem Hals hinunter und starrte einen Moment nachdenklich in die Flammen im Kamin.

Er war so dumm gewesen, so naiv. Aber Lucius hatte ihm gegeben, wonach er sich seine ganze, verkorkste Kindheit über gesehnt hatte. In all den Jahren, in denen seine Eltern zu sehr damit beschäftigt gewesen waren, sich gegenseitig zu hassen, um ihren Sohn zu lieben, war alles, was er sich jemals erträumt hatte, Anerkennung und Zuneigung gewesen.

Auch wenn er gerne hart und erbarmungslos mit sich selbst ins Gericht gehen wollte, das waren mildernde Umstände.

„Gut ein Drittel der Bücher in meinem Büro hat Lucius mir in den Jahren unserer Freundschaft geschenkt. Die teuersten und wertvollsten sind von ihm. Vielleicht hätte ich sie wenigstens noch nachträglich vernichten sollen, aber ich bin durch meine Lebensumstände zu pragmatisch veranlagt, um so etwas zu tun. – Ich denke, du kannst das nachvollziehen, nicht wahr?" Er ließ einen prüfenden Blick über seinen Schüler gleiten und Harry wußte, daß er auf seine wie immer sehr merkwürdig anmutende, bunt zusammen gewürfelte Kleidung anspielte. Er wurde rot.

Aber irgendwie war auch das ein nicht so unangenehmes Gefühl, wie es auf den erste Blick erschien. Denn es bewies Harry, daß Severus Snape wirklich über ihn Bescheid wußte. Es bewies ihm, daß der ihn sah.

Vermutungen hatte er schon seit langer Zeit gehabt, aber Wissen, das war etwas viel stärkeres, ein Gefühl, das man festhalten konnte. Wie zum Beispiel das Wissen, daß sein Lehrer ihm unter größten Schwierigkeiten von einem schmerzhaften Kapitel seines Lebens erzählte, damit er sich besser fühlen konnte.

Noch wußte Harry nicht, wie er das erreichen wollte, ob es überhaupt erreichbar war. Aber das war das merkwürdige an Severus Snape. Selbst, wenn man nicht von sich behaupten konnte, der beste Freund des Mannes – oder überhaupt ein Freund – zu sein, selbst wenn man ihm nicht einmal vollständig vertraute, daß er wirklich auf der Seite der Guten stand, so wie Harry es jahrelang getan hatte, man glaubte doch immer sofort, daß Severus Snape schaffte, was er sich vornahm.

„Ich nahm seine Geschenke also an und noch immer wollte er keine Gegenleistung von mir, außer dem Versprechen, daß ich der beste werden würde.

Da das ohnehin mein Ziel war, bereitete es mir keine sonderlichen Schwierigkeiten, dieses Versprechen zu geben. In Hogwarts war ich der beste und ich blieb es. Und mit Lucius' Hilfe wurde ich von Tag zu Tag immer besser.

Meine kleine, auf groteske Art glücklich Welt brach zum ersten Mal zusammen, als Lucius am Ende meines dritten Schuljahres seinen Abschluß machte und mir klar wurde, daß er Hogwarts damit nicht nur verließ und ich auf mich allein gestellt war, sondern auch, daß er mich wahrscheinlich vergessen würde. Er begann ein neues Leben und ich war kein Teil davon, denn ich saß noch immer in seinem alten Leben fest, kam dort für die nächsten Jahre nicht heraus.

Ich denke, er wußte nur zu genau, um diese Angst in mir und er nutzte sie zu seinem Vorteil aus. Denn genau wie ich befürchtet hatte, schrieb er in diesen Sommerferien kein einziges Mal. Volle zwei Monate wartete ich auf ein Zeichen von ihm, irgend etwas das mir Hoffnung geben würde und die Zeit bis zu meiner Rückkehr nach Hogwarts erleichtern würde.

Doch nichts kam. Und als ich in diesem Jahr am ersten September in den Hogwarts-Express stieg, fühlte ich mich leer und fast noch wertloser als in meinem ganzen Leben zuvor. Was ich für eine wunderbare Freundschaft gehalten hatte, hatte sich plötzlich als nichts herausgestellt.

Das tat weh." Es tat immer noch weh. Ein kleiner, gemeiner Schmerz, der ihm ins Herz stach, um ihn zu erinnern, daß er noch immer ein Teil von ihm war, und ihn niemals verlassen würde.

Severus war sich sicher, daß Harry den Schmerz kannte, wahrscheinlich gerade selbst durchmachte und nicht wußte, wie er damit umgehen sollte.

Harry sah seinen Lehrer nicht an, als dieser seine Erzählung mal wieder für einen Moment unterbrach. Die Stille gab ihm die Möglichkeit, durchzuatmen und einige der Informationen sinken zu lassen.

Mit jedem Wort schien die ganze Sache immer unwirklicher zu werden. Und doch wußte Harry ganz genau, daß sein Lehrer sich die Geschichte nicht ausdachte. Er hatte ihn und Lucius schon zusammen gesehen, wußte, daß sie in der Öffentlichkeit freundschaftlich miteinander umgingen, aber er hatte auch die Wahrheit in den Augen seines Lehrers gesehen.

Er hatte das eiskalte Blitzen gesehen, das fast immer da war, wenn der ältere Zauberer den Namen Potter aussprach und Harry war sich sicher, daß es Haß war.

Ein anderer Grund, warum er nicht an der Wahrheit der Geschichte zweifelte war, daß er nicht glaubte, daß Snape sich die Mühe machen würde, sich extra für ihn eine solche Geschichte auszudenken. Das paßte nicht zu ihm. Harry lächelte. Oder besser, es paßte noch weniger zu ihm als das, was sich gerade vor Harrys Augen abspielte.

Als Harry gesagt hatte, daß er an eine Gemeinsamkeit zwischen sich selbst und seinem Lehrer glaubte, hatte er im Traum noch nicht daran gedacht, daß diese Gemeinsamkeit wirklich so groß sein konnte.

Die Ausgangsposition des Lehrers schien so komplett anders, ja fast gegensätzlich zu sein, aber doch waren sie im Grunde gleich. Snape hatten sie gehaßt, ohne ihn zu kennen oder wirklich sehen zu wollen, ihn selbst hatten sie geliebt, ohne ihn zu kennen und wirklich sehen zu wollen.

Sie beide hatten geglaubt, in Hogwarts zum ersten Mal wahre Freunde gefunden zu haben. Sie beide hatten feststellen müssen, daß dieser Schein trug. Das war es doch, worauf Snape hinaus wollte oder?

„In Hogwarts traf ich auf einen ermutigten James Potter und sein Mut griff auf seine Freunde über. Ihr ursprüngliches Lebensziel trat wieder in den Vordergrund, aber wieder half mir Lucius, obwohl er mich verlassen hatte, mich offensichtlich auch nicht mehr wollte.

Ich hatte von ihm gelernt, selbstbewußt zu wirken, wenn ich in meinem Inneren eigentlich nur schreien und weinen wollte. Er hat mich gelehrt, meine wahren Gefühle und Gedanken von meinem Gesicht zu verbannen, jede Reaktion, jede Antwort immer mit einer kalten Präzision zu überdenken, bevor ich sie ausführte.

Kurz: Er lehrte mich Kontrolle. Und diese Kontrolle setzte ich gegen deinen Vater und seine Freunde ein, um mich weiterhin zu schützen. Es hat nicht immer funktioniert, aber doch die meiste Zeit und meistens auch zufriedenstellend.

Allerdings hat es nicht dagegen geholfen, daß ich mich von Lucius allein gelassen und verraten fühlte und ihn gleichzeitig schmerzhaft vermißte. Mir wurde in den ersten Monaten ohne ihn klar, daß er mir weit mehr bedeutet hatte, als ich erst geglaubt habe." Harry wurde hellhörig. War es eventuell möglich, daß Severus darauf anspielte, daß Lucius doch nicht nur ein Freund gewesen war.

Harry fühlte, wie sein Herz ein wenig schneller schlug bei dem Gedanken, doch im nächsten Moment fing er sich wieder und schob ihn beiseite. Das war doch Unsinn. Sein Lehrer war gerade vierzehn gewesen und hatte seinen bis dahin einzigen Freund verloren. Natürlich war da nicht mehr, das allein war schon mehr als genug, um diese starken Verlustgefühle in ihm hervorzurufen.

„Um so überraschter war ich, als er einige Wochen später wie aus dem Nichts wieder auftauchte. Aus heiterem Himmel und gerade so, als wäre nie etwas gewesen, als wären nicht über drei Monate vergangen, seit ich das letzte Mal von ihm gehört hatte, stand er plötzlich wieder vor mir. Das für die Malfoys typische Grinsen auf dem Gesicht und mit einem neuen Buch.

Ich hab mich in diesem Moment so zerrissen gefühlt. Auf der einen Seite, wollte ich das Buch nehmen und es ihm ins Gesicht schlagen, bis das Grinsen endlich daraus verschwand und auf der anderen Seite war ich so über die Maßen glücklich, daß er mich doch nicht vergessen hatte, daß ich in diesem Moment die ganze Welt hätte umarmen können.

Er hat mich besser gekannt als alle anderen. Er wußte, daß meine Freude und Erleichterung über mich siegen würde. Und er wußte damals schon, daß er gewonnen hatte, auch wenn sein wirklicher Sieg noch Jahre in der Zukunft lag." Zum ersten Mal mischte sich ein bitterer Unterton in Severus' Stimme.

Harry fragte sich, ob seinem Lehrer eigentlich klar war, wie viele seiner Gefühle man in den letzten Minuten aus seiner Stimme und auch aus seinen Augen, die sonst die meiste Zeit kalt und unbewegt waren, hatte herauslesen können. Zwar war Harry längst klar, daß sein Lehrer sich nur wegen ihm zu dieser Ehrlichkeit zwang und das Gefühl, das diese Bereitschaft – ausgerechnet von Snape – in ihm hervorrief, war einfach unbeschreiblich. Aber er glaubte dennoch, daß sein Lehrer weiter ging, als er selbst wollte. Und daß ihm das nicht wirklich bewußt war.

„Er kam regelmäßig alle paar Wochen zurück nach Hogwarts. Immer nur für einige Stunden, aber jedes einzelne Mal, um ausschließlich mich zu sehen.

Es waren großartige Stunden, in denen ich mich zum ersten Mal wichtig und geliebt gefühlt habe. Lucius hatte mir all die Gefühle vermittelt, die ich mir immer gewünscht habe. Ich habe nie mit ihm darüber gesprochen, aber er hat es wohl instinktiv gewußt. Vielleicht hat man es mir damals aber auch noch deutlich angemerkt und es war gar nicht mal so schwierig für ihn.

Du mußt wissen, Harry, die Malfoys sind allesamt großartig, wenn es darum geht, Leute zu durchschauen und zu manipulieren. Draco steht seinem Vater da in nichts nach. Und man muß einen wirklich starken und selbstbewußten Charakter haben, um dem widerstehen zu können.

Ich war damals weder charakterlich stark noch selbstbewußt.

Also schöpfte ich keinen Verdacht, hegte kein Mißtrauen gegen seine Motive, mich weiterhin aufzusuchen. Nicht einmal, als er anfing unsere Gespräche bei jedem einzelnen Treffen auf ein und dasselbe Thema zu lenken. Lord Voldemort, seine Theorien, seine großartigen Taten, seine noch viel großartigeren Anhänger.

Lucius war einer davon. Und obwohl ich meine Verwandten stets dafür verachtet hatte, daß sie mir mein Leben so erschwert hatten, weil sie genau diesen Idealen nachhingen, konnte ich Lucius dafür nicht verachten, sondern hörte ihm zu." Harry schluckte und blickte seinem Lehrer unverwandt ins Gesicht. Snape bemerkte das nicht einmal mehr, so vollkommen war er von seinen Erinnerungen absorbiert worden.

Der Ausdruck in den tiefschwarzen Augen war inzwischen so leer und auch so traurig, daß es Harry fast schon leid tat, seinen Lehrer in diese Lage gebracht zu haben. Snape tat ihm leid! Vielleicht hatte sein Lehrer sich ja doch getäuscht und er war doch verrückt geworden. Anders konnte es doch gar nicht sein, wenn ihm jetzt schon Snape leid tat.

Eine gute Tat des Mannes und all die Grausamkeiten waren vergessen? So naiv konnte nicht einmal sein Herz sein, selbst wenn es dumm genug gewesen war, an Freundschaft zu glauben. Nein, das war unmöglich.

Mehr als sechs Jahre voller Gemeinheiten, voller unfairer Bemerkungen über seine Familie, voller Kälte und Haß, das konnte nicht alles mit einem einzigen Tag ausradiert werden. Harry legte den Kopf ein wenig schief, als er das Gesicht seines Lehrers noch ein wenig näher studierte. Viele der bitteren Linien waren daraus verschwunden, die scharfen Kanten ein wenig abgemildert. Er wirkte fast entspannt, auch wenn Harry sich nicht vorstellen konnte, daß er es wirklich war, so sehr wie er kämpfen mußte, um seine Geschichte über die Lippen zu bringen.

Aber das änderte nichts daran, daß Snape fast schon harmlos wirkte. Er war nicht mehr der furchteinflößende, düstere Mann. Na ja, ein wenig vielleicht noch, aber das kam längst nicht mehr gegen dein Eindruck an, den Harry mehr und mehr von ihm gewann. Snape war ein Mensch.

Ein Mensch, der seine Menschlichkeit nur zu gerne versteckte, aber dennoch ein Mensch. Er war bereit, all seine Schutzmauern herunter zu lassen, um ausgerechnet ihm zu helfen. Er war bereit, ihm Dinge zu sagen, die keiner von ihm wußte.

Und das war auch der Grund, warum er Harry leid tat. Das war der Grund, warum er Dankbarkeit und Wärme fühlte, während er in das Gesicht blickte, daß er so viele gehaßt hatte und von dem er sich immer wieder gewünscht hatte, es nie mehr wiedersehen zu müssen.

Mit einem mal war der Gedanke, daß Severus Snape vielleicht schon von der nächsten Mission nicht wiederkommen würde, für Harry unerträglich.

„Lucius war geduldig. Er setzte diese Besuche fort. Monat um Monat und schließlich Jahr um Jahr. Und sie liefen immer nach dem selben Schema ab, nichts änderte sich.

Er kam, brachte Bücher oder Zutaten oder auch mal Gerätschaften mit, die nützlich für die Arbeit im Labor waren. Er erzählte mir von seinen letzten Aufträgen, die er für Voldemort ausgeführt hatte. Nichts außergewöhnliches.

Und dann eines Tages kam seine Chance.

Es war gegen Ende meines fünften Schuljahres. Der Zwischenfall mit Remus, unsere Begegnung in der Heulenden Hütte. Ich war nach diesem Zwischenfall verstört und wütend. Ich konnte nicht begreifen, wie Dumbledore von mir verlangen konnte, daß ich diese Wahrheit über Remus für mich behielt, wo Remus doch eine Gefahr für die ganze Schule darstellte.

Aber noch viel weniger konnte ich begreifen, daß er deinen Patenonkel so einfach davonkommen ließ. Bei Remus konnte man noch sagen, daß er nicht wirklich Herr seiner Handlungen gewesen war. In seinem normalen Zustand wäre er niemals auf die Idee gekommen, einen anderen Menschen anzugreifen.

Aber Black wußte sehr genau, was er tat, als er mich zur Hütte lotste. Er wußte, daß Remus mich vermutlich verletzen oder töten würde. Im schlimmsten Fall mit seiner Krankheit anstecken würde. Aber er hat es in Kauf genommen. Einfach nur, weil er es wollte.

Und Dumbledore hat nichts getan." Diesmal war die Bitterkeit nicht zu überhören und wieder spürte Harry sein schlechtes Gewissen. Er hatte sich niemals wirklich die Mühe gemacht, den ganzen Vorfall mal aus den Augen seines Lehrers zu betrachten, der das Opfer dieses mehr als geschmacklosen Scherzes gewesen war.

Er hatte immer nur Remus gesehen, der für die ganze Sache nur benutzt worden war. Und Sirius' Tat hatte er als Dummheit abgetan. Eine riesige Dummheit, zweifellos, aber dennoch nicht mehr als eine Dummheit.

Doch gerade so, als hätte man ihm die Geschichte gerade zum ersten Mal erzählt, begriff er, wie furchtbar dieser Zwischenfall für Severus gewesen sein mußte. Und um wieviel schlimmer noch die Reaktionen der Beteiligten gewesen sein mußten. Nicht einmal Dumbledore schien angemessen reagiert zu haben.

Harry wußte, daß Dumbledore manchmal über Leichen ging, um seine Ziele zu erreichen, er selbst hatte diese Erfahrung schon am eigenen Leib machen dürfen. Doch bisher waren es immer Opfer gewesen, die man für eine gute Sache bringen konnte, auch wenn man im ersten Moment damit haderte, es furchtbar und ungerecht fand. Aber Harry wurde das Gefühl nicht los, daß Dumbledore damals zuviel von dem jungen Severus Snape verlangt hatte, daß er falsch mit der Sache umgegangen war.

Und es wunderte ihn auch nicht länger, daß der Haß auf seinen Patenonkel noch immer so stark in seinem Lehrer war. Er hatte es niemals verarbeitet. Diese schreckliche Erlebnis hatte nur noch zu mehr schrecklichen Erlebnissen geführt und keiner hatte sich mal die Zeit genommen, Severus Snape die Hand zu reichen.

War das vielleicht der Grund, warum ausgerechnet Snape sie nun ihm reichte? Wollte er es besser machen als Dumbledore damals mit ihm?

Irgendwie erschien Harry das absurd und doch einleuchtend. Snape war vielleicht nicht gerade der Weltverbesserer unter den Lehrern von Hogwarts, aber er war der, der immer ehrlich mit Harry gewesen war, wenn es darauf angekommen war. Das konnte nicht von ungefähr kommen.

„Ich habe Dumbledore vertraut. Es gab zu meiner Zeit kaum einen Schüler, der ihm nicht vertraut hat. Nicht so wie heute, wo ein großer Teil des Hauses Slytherin auf sein Wort nicht einen Knut mehr gibt.

Aber dieses Vertrauen hat er damals empfindlich verletzt. Ich kam mir vor, als wäre der Mann, den ich für klug und gerecht gehalten hatte, genauso korrupt wie alle anderen. Das war eine Erkenntnis, die mich tief nach unten gerissen hat, denn bis zu diesem Tag hab ich alles geglaubt, was von Dumbledore kam. Einschließlich seiner eindringlichen Predigten, daß wir nicht den Täuschungen Voldemorts verfallen sollten.

Doch wie konnte ich ihm noch glauben, daß nur Voldemort der Blender war? Hatte er mich nicht genau so getäuscht, wie er es immer dem Dunklen Lord anhängte?

Lucius besuchte mich wenige Tage später und er merkte sofort, daß etwas nicht stimmte. Es kostete ihn nicht viel Anstrengung, die ganze Geschichte aus mir heraus zu holen. Ich sagte ja, sie sind manipulativ, diese Malfoys und Lucius war auf mich eingespielt wie kein anderer.

Ich glaubte ihm, als er mir sagte, daß Dumbledore mich nur von meiner wahren Berufung abbringen wollte. Daß ich mich gegen seinen Einfluß, seine Gehirnwäsche zur Wehr setzen mußte. Er überzeugte mich davon, daß mein Platz an der Seite Voldemorts wäre, den Dumbledore so verleumdete.

Ich war nicht dumm genug, ihm wirklich zu glauben, daß Voldemort der eigentliche Gute war. So dumm war ich nicht einmal als Junge, Harry, aber ich wollte dazu gehören und so bin ich drauf eingegangen." Severus starrte in sein immer noch volles Glas und schwieg, als eine Erinnerung, die er mehr als alles andere vergessen wollte, wieder zu ihm zurückkam.

Der wahre Grund, weshalb er ein Todesser geworden war, nicht die ganzen Nebenfaktoren, die auch noch eine Rolle gespielt hatte...

~*~

Severus kam sich erbärmlich vor, schlimmer als ein Kind, doch er konnte die Tränen nicht zurückhalten, die sich stetig ihren Weg über sein Gesicht bahnten. Zu viele Gefühle hatte er in der letzten Zeit in sich aufgestaut und zu viele hatten von ihm erwartet, daß er seine eigenen Gefühle in den Hintergrund stellte, um einen anderen zu schützen.

Einen Schüler, der nicht einmal sein Freund war. Der seine Freundschaft von vorne herein abgelehnt hatte. Er war es nicht wert und trotzdem verlangte man von ihm, daß er Remus Lupin und auch Sirius Black schützte. Das war nicht fair!

Lucius hielt den weinenden Severus im Arm und lächelte still vor sich hin. Eine bessere Gelegenheit hatte er sich gar nicht wünschen können und er hatte Severus fast so weit. Nur noch ein wenig mehr von seiner Überredungskunst und sein alter Freund würde den Anhängern Voldemorts beitreten. Das würde der größte Triumph sein, den er bisher gefeiert hatte.

Voldemort wollte Severus und er, Lucius Malfoy, würde ihm bringen, was er wollte.

Mit einer sanften, fast liebevollen Bewegung, strich er über Severus' schwarzes Haar und wiegte ihn sanft hin und her. Er würde noch lernen müssen, seine Emotionen zu verbergen, auch vor jenen, von denen er glaubte, daß sie seine Freunde waren, aber das würde er ihm schon noch beibringen. Im Moment war seine Schwäche Gold wert.

„Sh, Sev, es ist doch okay." Murmelte er mit beruhigender Stimme, doch noch immer war das Lächeln auf seinem Gesicht. „Es gibt keinen Grund, ihnen hinterher zu weinen. Sie sind egal. Du hast mich, ich werde dir so etwas niemals antun." Severus schniefte leise und Lucius setzte augenblicklich eine ernsthaft besorgte Miene auf.

„Ich hasse sie." Knurrte er leise und wischte sich mit dem Ärmel seiner Robe die Tränen von den blassen Wangen. In seinen Augen blitzte tatsächlich ein winziger Funken von Haß auf und ein harter Zug legte sich über das Gesicht des Jungen.

„Sie sehen in mir doch nichts weiter als einen wertlosen Jungen. Ich bin es nicht wert, daß man mich gerecht behandelt. Ich bin kein goldener Gryffindor!" Lucius legte ihm die Hand unter das Kinn und hob seinen Kopf sanft nach oben. Seine eisgrauen Augen blickten intensiv in die schwarzen Severus'.

„Ich sehe dich, Severus. Ich sehe, was du bist und wer du bist. Ich kann dir helfen. Vertraue mir und du wirst Großes erreichen. Sie werden dich um deine Macht und deinen Einfluß beneiden und sie werden den Tag verfluchen, an dem sie dir das angetan haben.

Mit meiner Hilfe wirst du alles erreichen, was du wirst. Und du wirst finden, was du am meisten suchst." Mit einer fast trotzigen Bewegung wischte Severus seine frischen Tränen weg und starrte zurück in Lucius' Augen.

„Was meinst du damit?" fragte er mit einer Stimme so klein, wie er sich im Moment wirklich fühlte. Lucius' Lächeln wurde ein wenig breiter.

„Ich habe doch gesagt, ich sehe dich, Sev. Ich weiß, daß du dir wünscht, einen Partner zu haben. Einen Partner, der dir ebenbürtig ist. Du wirst ihn finden, sobald du groß und mächtig geworden bist. Er wird sich dir nicht entziehen können, glaub mir." Severus' Mundwinkel zuckten ein wenig, als er versuchte, zu lächeln. Ob Lucius wußte, daß er der Partner war, den Severus wollte? Ob er wußte, daß er niemals einen anderen gewollt hatte, seit ihm bewußt geworden war, daß er für Lucius mehr empfand als nur für einen Freund?

Hatte Lucius ihm einen Hinweis darauf gegeben, was er tun mußte, damit er bekam, was er wollte? Ihn. Ohne Einschränkungen, komplett und vollkommen?

Severus schluckte und wandte seinen Blick von Lucius' alles durchdringenden Augen ab.

„Was muß ich tun?" Es fühlte sich gleichzeitig an wie ein großer Fehler und das beste, was er tun konnte und Severus konnte sich nicht entscheiden, welches Gefühl das stärkere war. Aber sein Herz hängte sich an den Glauben, daß Lucius wirklich verstanden hatte, was er von ihm wollte und daß er bereit war, es ihm zu geben, wenn er bereit war, dafür etwas zu tun.

Lucius lächelte zufrieden vor sich hin.

~*~

„Es ging damals alles plötzlich sehr schnell. Meine Initialisierung war in den Sommerferien nach diesem fünften Schuljahr. Der Dunkle Lord schien übermäßig begeistert darüber zu sein, daß ich seinen Reihen beitreten wollte und zum ersten Mal in meinem ganzen Leben waren auch meine Eltern stolz auf mich.

Sie haben es nie gesagt, aber vermutlich haben sie von Anfang an nichts anderes gewollt, als daß ich eines Tages diesen Schritt machen würde.

Meine erste Begegnung mit Voldemort war merkwürdig, aber auch sehr beeindruckend. Tom Riddle war längst kein Mann mehr, er war damals schon mehr das Monster, das Voldemort heute ist. Obwohl man ihm damals die Menschlichkeit noch ansah, wenn man sehr genau hinsah.

Er empfing mich freundlich, stellte mir Fragen zu meiner Ausbildung in Hogwarts und zu meiner Begabung für Zaubertränke, von der er gehört hatte. Er fragte mich, ob ich nicht Lust hätte, ihm mein Können zu beweisen, indem ich ihm einen Trank braute, der sehr kompliziert war und den selbst die größten Zaubertrankmeister erst nach langer Übung beherrschten.

Er hatte nicht übertrieben, aber ich war versessen darauf, mich zu beweisen und so schaffte ich diesen Trank schließlich auch. Ich war stolz auf mich und es garantierte mir die Aufnahme in Voldemorts Reihen und war praktisch eine Fahrkarte in den inneren Kreis, sobald ich mich würdig erwiesen hatte.

Die Initialisierung war grauenhaft. Niemand hat mich darauf vorbereitet, was dabei passieren würde und ich war vollkommen überfordert. Ich empfing das Dunkle Mal und es hat mich fast umgeworfen, doch wirklich die Augen geöffnet hat mir erst, was danach kam.

Ich mußte zum ersten Mal töten.

Ich habe gewußt, daß Todesser töteten, aber ich habe nicht gewußt, daß ich es bei der Initialisierung tun mußte, um endgültig aufgenommen zu werden, daß es ein Kind sein würde, vielleicht fünf Jahre jünger als ich." Die Worte blieben Severus in der Kehle stecken und einen Moment hatte er das Gefühl, er würde daran ersticken.

Es war so lange her, daß er das zum letzten Mal erzählt hatte. Damals war es fast noch schlimmer gewesen, aber noch immer war der Schmerz intensiv und so frisch, als wäre alles erst gestern geschehen.

Mit einer unbewußten, unendlich müden Bewegung fuhr er sich über die Augen.

Harry schluckte und mußte kämpfen, kein Geräusch von sich zu geben, nichts zu sagen, so sehr er auch wollte. Er verspürte den Drang, Snape zu sagen, daß es in Ordnung war. Daß er nicht gewußt hatte, was er tat und daß ihn Vorwürfe nicht weiter brachten, daß er nicht vorwärts kam, wenn er sich für den Rest seines Lebens Vorwürfe deswegen machte.

Doch er schwieg. Er hatte versprochen zu schweigen, bis er zum Ende gekommen war und er glaubte nicht, daß Severus schon am Ende war.

„Ich habe von dieser Minute an gewußt, daß ich einen fürchterlichen Fehler gemacht hatte, daß das sicher nicht das war, was ich gewollt hatte.

Aber ich klammerte mich an die Hoffnung, daß ich für den zugegeben hohen Preis doch Lucius bekommen würde und Lucius war es für mich wert, meine Seele an den Teufel zu verkaufen, auch wenn ich heute weiß, daß ihm das vollkommen egal war.

Ich fügte mich meinem Schicksal. Tötete, ohne zu zeigen, daß es mich selbst zerstörte. Ich tötete direkt und indirekt. Mit meinem eigenen Zauberstab und durch die Tränke, die ich brauchte und später auch entwickelte, nachdem ich Hogwarts verlassen hatte.

Es dauerte nur wenige Monate, bis ich die rechte Hand Voldemorts wurde, sein persönlicher Giftmischer, seine gefährlichste Waffe im Kampf gegen Dumbledore und alle anderen, die ich beschuldigte, mich verraten zu haben.

Doch ich war nicht eine Sekunde stolz darauf, wer ich war. Ich war nicht stolz, daß sämtliche Todesser außer Lucius vor mir erzitterten und auf die Knie gingen. Ich war nicht stolz, daß ich von den Rekruten als Musterbeispiel einer Todesserkarriere bewundert wurde.

Ich haßte das alles und nur Lucius half mir dabei, meinen Verstand zu bewahren. Er hielt mich auf dem Boden der Tatsachen, doch er gab mir nie wieder das, was er mir in unserer Schulzeit gegeben hatte. Mein Freund entfernte sich von mir, obwohl er mir nun näher war, als jemals zuvor. Und an dem Tag, an dem er Narzissa heiratete, begriff ich plötzlich, daß er es mir nie wieder geben würde. Er hatte mich genau wie alle anderen nur benutzt.

Zweifellos hatte er seinen Reichtum und seine Macht noch unglaublich vergrößert, weil er mich für Voldemorts Zwecke gewonnen hatte. Zweifellos hatte er von Anfang an geplant, daß ich für ihn nicht mehr von so bedeutendem Interesse sein würde, sobald ich einer von ihnen war.

Ich war noch immer sein Freund, so wie er einen Freund definierte, aber es war nicht mehr nötig, daß er mir gegenüber besonders aufmerksam oder ... oder..." Severus schüttelte frustriert den Kopf und vergrub sein Gesicht in seiner freien Hand, preßte seine Finger gegen seine Schläfen, wo sich langsam ein dumpfer Schmerz bemerkbar machte, der immer stärker wurde.

Harry war noch immer vollkommen perplex, aber noch bevor er es verhindern konnte, waren die Worte, die ihm auf der Zunge brannten auch schon ausgesprochen. Er konnte sich nicht länger dagegen wehren und vielleicht mußte er es auch nicht. Snape machte auf ihn nicht gerade den Eindruck, noch länger erzählen zu können.

„Sie haben ihn geliebt." Preßte Harry fast atemlos hervor und er spürte, wie sein Herz vor Erwartung heftig schlug. Er wußte, die Worte waren mutig gewesen, vielleicht zu mutig.

Severus drehte Harry langsam sein Gesicht zu und blickte den blassen Jungen nachdenklich an. In den grünen Augen funkelte etwas, doch es war keine Neugier, er schien auch nicht abgestoßen. Severus runzelte verwirrt die Stirn.

Es konnte unmöglich Hoffnung sein.

„Er war mein erster und einziger Freund, Harry. Natürlich habe ich ihn geliebt. – So wie du Weasley und Granger liebst." Setzte er noch rasch nach und wußte schon gleich, daß er nicht überzeugend klang.

War er denn wirklich so offensichtlich gewesen? Na ja, er wußte schon ziemlich genau, warum er nie etwas über sich preis gab. Zu leicht konnte man an jemanden geraten, der zu viel in einem sah und aus den Worten herauslas.

Aber von Potter in seinem momentanen Zustand hatte er das eigentlich nicht erwartet.

„Ich war verzweifelt, Harry. Ich fühlte mich wie in einem Käfig, einer Falle, aus der es kein Entrinnen gab. Und im Prinzip war es das auch. Es gab für mich kein Entkommen, außer die Hilfe des Mannes, den ich Jahre vorher innerlich beschuldigt hatte, mich verraten zu haben.

Ich glaube heute noch, daß Dumbledore hätte sehen müssen, was in mir vorging. Er hätte etwas tun müssen. Vielleicht nicht deinen Vater und die anderen der Schule verweisen, wie ich es gewollt hatte, aber sicher mehr, als er getan hatte. Mehr als einfach voraussetzen, daß ein starker Junge wie Severus Snape mit so einer Sache einfach zurecht kam.

Also kehrte ich zu Dumbledore zurück. Gestand. Wollte mich verhaften lassen und für meine Verbrechen büßen. Und den Rest weißt du.

Die Leere, die Lucius in mein Herz gerissen hat, ist heute noch da und sie läßt sich auch nicht vertreiben, aber man darf eines niemals tun, Harry.

Mein darf die Leere niemals gewinnen lassen." Severus blickte seinem Schüler eindringlich in die grünen Augen, in der Hoffnung, darin etwas zu sehen, was darauf hindeutete, daß der Junge ihn nicht nur verstanden hatte, sondern auch bereit war, die Botschaft in die Tat umzusetzen.

„Wichtig ist, daß du begreifst, daß es nicht deine Schuld ist, wenn du an einer Aufgabe scheiterst, so lange du dein Bestes gegeben hast. Eine hoffnungslose Situation ist keine Schande. Die eigentliche Schande ist es, eine helfende Hand wegzuschlagen." Harry lächelte und Severus konnte in seinen Augen sehen, daß er ein Lachen unterdrückte, das mit Gewalt hervorbrechen wollte. Was um Himmels Willen war an der Sache witzig?

„Willst du mich einweihen, Harry? Scheinbar habe ich etwas Witziges gesagt und habe es nicht mitbekommen." Harrys Lächeln verschwand augenblicklich von seinem Gesicht und der Ausdruck in seinen Augen wurde wieder unendlich traurig.

Severus fluchte innerlich laut auf. Das war wohl daneben gegriffen gewesen.

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Author's Note:

Gut, das war jetzt seeehr viel Gerede, aber das hatte ich ja schon angedeutet. Ich fand diese Möglichkeit, warum Severus Todesser wurde, irgendwie wahrscheinlich, aber es gibt eine Menge Theorien, die alle wahrscheinlich klingen ;o) Diese hier paßt einfach gut.

Hey Leute, was soll ich dazu noch sagen? Ich bin super baff und gerührt. Das ist wohl die stärkste Reaktion, die ich jemals zu einer Story bekommen hab. Das Gefühl ist großartig und irgendwie liegt mir gerade ein "Ich hab euch alle furchtbar lieb" auf den Lippen ^_^ Danke!!! Ihr seid einfach großartig.

Also: ich danke Matjes, gnufi, Angel, shaya, chouette, Legnar, Yvanne, Leu de Nox, Cosma, Kiki und Tolotos ganz, ganz doll für ihre wunderbaren Reviews. Der Ausdruck "Futter für die Autorenseele" ist mit Sicherheit nicht übertrieben.

Das war auch der Grund, warum ich mich so beeilt habe, das Kapitel fertig zu schreiben, ich war ja eigentlich bis sonntag abend komplett indisponiert. Ich hoffe, es ging trotzdem schnell genug, aber am WE war nichts zu machen.

Jetzt zu den Fragen und ein paar Kommentaren von mir:

shaya: Dann bin ich beruhigt, ich hab eine Menge "Berichte" von Betroffenen gelesen, das war teilweise ziemlich intensiv. Aber trotzdem weiß man halt nie so genau, ob man es richtig hingekriegt hat und gerade solche Themen sollte man nicht verkorksen, finde ich zumindest ^_^
Hm, dann weißt du ja jetzt auch, daß ich die "Königin der Depri-Stories bin *g*. Demnächst schreibe ich auch mal was weniger düsteres.

Legnar: SVV ist nur eines von vielen Symptomen des Borderline-Syndroms. Ich denke, Borderline ist eine viel schwerere Störung. Harry ist meiner Meinung nach der Charakter, dem es am ehesten passieren könnte. Draco rangiert auch noch sehr weit vorne, aber beide haben die Voraussetzungen dafür. Unrealistisch ist es natürlich, schließlich glaube ich nicht, daß JKR auch nur im Traum an so etwas für Harry gedacht hat *lol*
Ja, Snape dutzt Harry, aber das fand ich für einen 17jährigen Schüler nicht mehr wirklich passend, vor allem, weil es in englischen Schulen förmlicher zugeht, als in deutschen, darum bezweifle ich ohnehin, daß die Professoren ihre Schüler dutzen, so wie es bei uns bis zur Oberstufe der Fall ist.

Yvanne: Es wird noch Slash. Allerdings erst im zweiten Teil (also Kapitel 5 und später) und da auch erst nach einer Weile, damit es glaubwürdig bleibt ^_^

Leu de Nox: Diesmal hat er aber funktioniert oder? (ich hab nämlich seit letzten Donnerstag gar nicht hochgeladen, er konnte also gar nicht "funktionieren" *ggg*)

Kiki: *g* Doch, ganz sicher, vier Kapitel reichen. Die Geschichte hat ja auch noch einen zweiten Teil, das sind dann die Kapitel 5-?
Keine Sorge, ich mach's nicht zu kurz... ähm falsch formuliert, für dich ist es ja immer zu kurz, egal wie lang die Geschichte ist, stimmt's? *fg*

Tolotos: Nope, keine meiner anderen Geschichten, aber das wird noch aufgelöst. Dauert noch ein wenig.

Das war wieder gut lang, aber bei so einem Haufen Reviews *g* Weiter so! Unbedingt! *auf und ab hüpf und den guten, alten Hundeblick wieder auspack*

Das nächste Kapitel schließt Teil 1 der Geschichte dann ab, aber es wird nahtlos weitergehen. Ich kann nur nicht versprechen, daß es immer so schnell gehen wird.

Bye!

SilentRose