Kapitel 26
Am Abend legte sich Legolas in sein Bett. Die Erschöpfung der letzten Nacht war von ihm gewichen und nun plagten ihn wieder die Erinnerungen. Er versuchte zu schlafen, doch sein Geist kam nicht zur Ruhe. Als er schon überlegte wieder aufzustehen hörte er ein leises Rascheln und die Türe zu Liralawens Schlafzimmer öffnete sich zögerlich. Im sanften Schein einer Kerze konnte er die Form der Prinzessin sehen wie sie sich zu seinem Bett schlich. Ihr Gesicht zeigte Ruhelosigkeit und sie schien erschöpft zu sein. Mit einem fragenden Blick blieb sie am Bettrand stehen als sie Legolas wach vorfand.
Wortlos lächelte sie der Prinz an und hob die Bettdecke hoch. Liralawen schlüpfte in das Bett und kuschelte sich wie in der vergangen Nacht in Legolas Arme. Die beiden genossen das Gefühl der Sicherheit, das sie sich gegenseitig gaben und langsam drifteten sie in einen relativ ruhigen Schlaf.
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Thranduil saß in seinem Studierzimmer und dachte nach. Er mochte diese Stunden der Ruhe nach dem Abendessen. Endlich war er für sich und konnte ohne Störungen seinen Gedanken nachhängen. Vor einigen Stunden war sein gefiederter Bote aus Lothlorien zurückgekehrt mit einer Nachricht Celeborns. Seine Gattin Galadriel war Thranduils Ruf sofort gefolgt und in den Düsterwald aufgebrochen. Celeborn sagte ihre Ankunft für den morgigen Abend voraus.
Der König war erleichtert. Zwar schienen sich Legolas und Liralawen gegenseitig zu helfen, heute beim Abendessen hatte man eine deutliche Besserung im Zustand der Beiden sehen können. Aber trotzdem würde es der Prinzessin helfen, ihre Mutter bei sich zu haben.
Thranduils Gedanken gingen wieder zu der Unterhaltung zurück, die er eben mit seinem Sohn hatte. Der König hatte ihn nicht auf Liralawens Aufenthalt in seinem Schlafzimmer angesprochen, da er fürchtete, aufkeimende Gefühle zu zerstören in diesem frühen Stadium. Viel mehr hatte Thranduil seinen Sohn nach seinem eigenen Befinden befragt, und Legolas Antworten gaben ihm allen Grund zur Sorge. Zwar hatte der Prinz versucht seinen Vater zu beruhigen und ihm weiß zu machen, dass es keinen Grund gäbe sich zu sorgen, aber Thranduil kannte seinen Sohn zu gut um sich täuschen zu lassen. Die Haltung des sonst so stolzen Prinzen machte ihn misstrauisch. Elben bewegten sich stets hoch aufgerichtet und anmutig, Legolas schlich seit seiner Wiederkehr jedoch mit hängenden Schultern und gesenktem Kopf umher. Doch noch mehr Sorgen bereiteten Thranduil die Augen seines Sohnes. Einst waren diese strahlenden blauen Augen in der Lage, jedes Herz im Sturm zu erobern und ein Blick aus ihnen genügte um Elbenmaiden reihenweise in Ohnmacht fallen zu lassen. Nun aber waren sie mit Schatten verdunkelt und ihr Glitzern, das sie einst so unwiderstehlich machte, war verschwunden.
Wieder und wieder fragte sich der besorgte Vater was diesen Elben angetan wurde. Legolas hatte ihm zwar zögerlich einiges geschildert was geschehen war, doch Thranduil war sich sicher, dass sein Sohn ihm nur die halbe Wahrheit erzählte.
Liralawens helles Leuchten war fast verschwunden und zu einer normalen Aura geworden, die jede Elbe um sich hatte. Nichts mehr war übrig von dem Licht, das sie einst begleitet hatte und das jeden Schatten erhellte an dem sie vorüberging.
Inständig hoffte der König, dass sich die Beiden erholen und wieder zu den lebenslustigen jungen Elben wurden, die sie vor diesen verhängnisvollen Tagen waren.
Thranduil war sich darüber im Klaren, dass der Hochzeitstermin zumindest verschoben werden musste. Er hatte Legolas schon mitgeteilt, dass er unter diesen Umständen aber nicht auf einer Heirat bestehen würde und dass die Entscheidung bei ihnen selbst läge.
Legolas hatte ihn nur traurig angesehen und bitter gesagt:
„Vater, eigentlich es ist unerheblich wann oder ob die Hochzeit stattfinden wird. Liralawen wird für den Rest ihres Lebens keinen Mann mehr an sich heranlassen und ich kann es ihr nicht verdenken. Und ich für meinen Teil habe genug gesehen um jemals wieder körperliches Verlangen nach einer Elbe zu verspüren." Nach einer kurzen Pause fügte er noch hinzu: „ Vielleicht ist es das Beste wenn wir trotzdem heiraten, dann wagt es wenigstens kein anderer Elb sie anzufassen, und ich habe Ruhe vor lästigen Verehrerinnen die hinter meinem Titel her sind."
Die Bitterkeit dieser Worte hatte dem besorgten Vater fast das Herz gebrochen und er wusste nichts, um seinem Sohn zu trösten. Daher hatte er ihm zugestimmt und beschlossen, vorerst alles zu belassen wie es war und auch Galadriel und Liralawen zu ihrer Meinung zu befragen. Es konnte ja immerhin sein, dass die hohe Frau ihre Tochter wieder nach Lothlorien zurückholen wollte.
Mit einem Seufzer erhob sich Thranduil von seinem Stuhl und zog sich in sein Schlafgemach zurück. Das würde eine lange, ruhelose Nacht werden...
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Am späten Nachmittag des nächsten Tages erreichte Galadriel den Palast mit ihrer Eskorte. Sie waren hart geritten und die Pferde standen am Rande der totalen Erschöpfung. Die Stallburschen nahmen sich ihrer an und Galadriel verlangte unverzüglich zu ihrer Tochter geführt zu werden. Bevor Thranduil ein Wort mit ihr wechseln konnte war sie in Liralawen Räumen verschwunden und verschloss die Türe hinter sich.
Als sie ihre Tochter sah, brach ihr beinahe das Herz. Ihr helles Strahlen war verschwunden und sie war nur ein Schatten ihrer selbst. Liralawen warf sich in die Arme ihrer Mutter und weinte sich alles von der Seele. Die ganze Nacht saßen sie da und leise redete Galadriel mit ihrer Tochter, bis die Tränen versiegt waren.
Stunden vergingen und plötzlich kam aus dem Raum neben an ein leiser Lärm. Mit ihren feinen Ohren konnten die beiden Elbenfrauen einen erstickten Seufzen hören und Galadriel sah ihre Tochter fragend an.
„Er kann nicht schlafen, genauso wie ich. Erinnerungen und Albträume quälen ihn." Mit besorgtem Gesicht blickte die Prinzessin zur Türe und seufzte. Galadriel lächelte wissend und gab Liralawen einen leichten Druck auf ihre Schulter.
„Geh, mein Kind. Er braucht dich jetzt." Liralawen nickte und eilte in Legolas Schafzimmer. Mit einem erleichterten Aufatmen zog der Prinz das Mädchen an sich und fand endlich Ruhe.
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Am nächsten Morgen suchte Galadriel den König auf und die beiden hatten eine sehr lange Unterhaltung. Als die hohe Frau das Studierzimmer wieder verlassen hatte, blieb einen nachdenklicher König zurück, in dem aber wieder Hoffnung keimte. Galadriel war nun endlich damit herausgerückt, warum sie so vehement auf der Hochzeit bestanden hatte, und brachte damit Licht in ihre rätselhaften Andeutungen von damals. Die Hochzeit würde stattfinden und wenigstens bestand nun eine Hoffnung, das alles würde gut werden würde – früher oder später.
Als Thranduil danach den Peiniger der Kinder und den Feldzug gegen ihn zur Sprache brachte lächelte Galadriel nur weise und erhob sich.
„Mein lieber Thranduil, habt ein wenig Geduld. Bald schon wird sich dieses Problem ganz von alleine lösen." Mit diesen Worten verließ sie das Zimmer und ging wieder zu ihrer Tochter.
