Endspiel
Eine Sekunde lang standen sie dort wie erstarrt. Sailor Juno fasste sich als erste wieder und gab Silvermoon einen Stoß in den Rücken. "Lauf, wir halten sie auf!"
Sailor Pallas warf Falkenauge einen bittenden Blick zu. Dieser nickte, packte Silvermoon an der Hand und zerrte sie hinter die beiden Kriegerinnen zurück in den Halbschatten es eingestürzten Tempels.
"Nein, nein!", wehrte sich Silvermoon. "Ich lasse euch nicht im Stich!"
"Dann benutze den Goldenen Kristall", flüsterte ihr Falkenauge zu. Die beiden verbliebenen Asteroidsenshi sprangen ein paar Schritte auf den Drachen zu, die Hände zum Angriff erhoben.
"Was soll denn das?", lachte der Reiter. "Habt ihr vergessen, dass ihr machtlos seid?"
"Du wirst dich noch wundern", murmelte Juno, sie und Pallas wechselten einen Blick. Juno machte einige verschlungene Gesten und Pallas nickte kurz.
"Dann mal los!" Pallas rannte ein paar Schritte von Juno weg, dann hielt sie an, drehte sich um und lief auf Juno zu, welche leicht in die Knie ging und die Finger in einander verschlang, sodass ihre Handflächen eine Ebene bildeten. Pallas setzte eine Fuß darauf, Juno spannte die Muskeln und schleuderte die blauhaarige Kriegerin hoch in die Luft - genau auf den Drachen zu.
"Ihr seid ja wahnsinnig!", entfuhr es dem Reiter. Doch Pallas machte in der Luft einen gekonnten Salto und landete - auf dem Rücken des Drachen, genau hinter dem Reiter.
"He!!!", schrie dieser, als Pallas seine Handgelenke packte und ihn so zwang, das Netz fallen zu lassen.
"Jetzt sind sie abgelenkt!" Falkenauge puffte Silvermoon in die Rippen. "Nutz die Gelegenheit und bring es zu Ende."
Silvermoon schluckte und öffnete die Faust, in der sie den Goldenen Kristall festgehalten hatte. Er schwebte von ihrer Handfläche hoch und sie streckte die Arme aus, sodass er genau zwischen ihren Händen in der Luft hing. "Macht des Goldenen Kristalls!", rief sie, aber es war niemand da, der ihren Spruch wiederholt hätte, so wie damals die Kinder und alle Menschen mit schönen Träumen.
Der Kristall flackerte auf und eine Sekunde lang dachte Silvermoon tatsächlich, dass er ihre stumme Bitte erfüllen, den Drachen und den Reiter mit seinem Licht angreifen würde, so wie er damals den Dead Moon Zirkus dem Erdboden gleich gemacht hatte. Aber die Hoffnung währte nur einen Atemzug - das Licht des Kristalls wurde schwächer und erlosch. Silvermoon sank verzweifelt in die Knie. "Ich schaffe es nicht! Ich kann es nicht allein, ich brauche Sailormoon!"
Währenddessen hatte Juno die Zeit genutzt, um den Drachen mit Steinbrocken zu bewerfen, damit dieser dem Kampf auf seinem Rücken nicht die volle Aufmerksamkeit widmen konnte. Ein, zwei Brocken streiften seine Klauen und seine Flügel und er stieß eine Dampfwolke aus, ähnlich jener, die Ceres außer Gefecht gesetzt hatte. Juno jedoch war auf der Hut und wechselte rasch die Position. Sailor Pallas und der Drachenreiter rangen noch immer miteinander. Er war zwar sehr klein, jedoch außerordentlich stark. Dem stand Pallas Talent, auf wackeligen Unterlagen, sprich Bällen, das Gleichgewicht halten zu können, entgegen. Es war der Zufall, der zugunsten des Reiters entschied, Pallas verlor für eine Sekunde die Balance und schon versetzte er ihr einen gemeinen Stoß in die Seite, sodass sie mit den Armen rudernd vom Drachenrücken fiel. Pallas wäre nicht Pallas gewesen, wenn sie wie ein Sack gefallen wäre. Noch in der Luft drehte sie sich und landete sicher auf beiden Beinen - leider genau auf dem Netz, das im welken Gras kaum zu erkennen war.
Sie schrie vor Schmerz auf und versuchte, vom Netz herunter zu springen. Aber dazu fehlte ihr die Kraft, zu rasch entzog es ihr die Farben.
"Warte Pallas, ich helfe dir!"
Juno machte einen Satz zu Pallas hin, streckte ihr die Hand entgegen und genau in diesem Moment gab der Drache noch einen schwall betäubenden Dampf ab, diesmal jedoch gelang es weder Pallas noch Juno, dem auszuweichen. Hustend und keuchend landeten sie beide im Gras - genau auf den Maschen des Netzes.
"Ideal! besser hätte ich es auch nicht können!", grinste der Drachenreiter, er dirigierte das schwarze Ungeheuer zur Erde, sodass er vom Rücke springen und die Maschen des Netzes packen konnte. Hilflos mussten Silvermoon und Falkenauge mitansehen, wie der Drachenreiter seine Beute fester in die Maschen des Netzes wickelte. Silvermoon wischte ihre Tränen fort und schrie entsetzt auf! "Ich muss ihnen helfen!", sie wollte sich an Falkenauge vorbei drängen, doch er hielt sie zurück. "Das ist meine Aufgabe. Ich versuche, ihn abzulenken, konzentriere du dich auf den Kristall."
"Aber es funktioniert doch nicht!"
"Aber sicher tut es das. Was zählt sind deine Träume und dein Glaube, vergiss das nicht!" Mit diesem aufmunternden Satz beugte er sich tief zu ihr herab und berührte sacht den goldenen Kristall, der in ihrer offenen Hand lag. Seine Umrisse glühten golden und dann nahm er die Gestalt eines großen Falken an. Seine goldenen Augen widerspiegelten den Glanz des Kristalls, und er blickte Silvermoon ein letztes Mal aufmunternd an, ehe er sich in die Luft schwang und pfeilgleich auf den Drachen zuhielt.
Das Untier und sein Reiter delektierten sich an den Farben der beiden sterbenden Kriegerinnen und achteten daher nicht sonderlich auf ihre Umgebung. Silvermoon wischte sich die Tränen aus den Augen, um besser sehen zu können. Die schlanke Gestalt des Falken zischte heran und sein Schnabel hieb nach dem Gesicht des Reiters. Erschrocken riss dieser seine Arme hoch und das Netz entglitt ihm. Die beiden beinah schon farblosen Körper von Sailor Juno und Sailor Pallas rutschten aus den Maschen ins Gras.
"Du elender Vogel!", schimpfte der Reiter und hieb mit der Faust nach Falkenauge, ohne ihn jedoch zu treffen. Der Falke machte eine enge Kehre und flog mit raschen Flügelschlägen auf den Wald jenseits der Grasebene zu.
"Dem erteilen wir eine Lektion!", die Augen des Reiters funkelten vor Wut. "Los!" Er dirigierte den schwerfälligen Drachen in Richtung Wald.
Silvermoon hielt den Atem an. Falkenauge hatte es geschafft, sie hatte eine kurze Atempause. Eilends verließ sie ihr Versteck in der Ruine und rannte zu Juno und Pallas. Die Haut der beiden war schon aschgrau und fühlte sich kalt an. Dennoch schienen die beiden noch bei Sinnen zu sein und als sie die Augen aufschlugen, war noch Farbe darin.
"Falkenauge hat den Drachen weggelockt!", schluchzte Silvermoon. "Wie kann ich euch helfen?"
"Ich bin so müde...", hauchte Pallas. "Der goldene ... Kristall?"
"Er funktioniert nicht! Ich bin nicht mehr die Chibimoon von damals und es ist keine Sailormoon hier. Ich kann alleine gar nichts ausrichten. Ich bin so nutzlos!!!" Sie barg das Gesicht in den Händen und ihre Tränen netzten den goldenen Kristall.
"Prinzessin ... Silver Lady ... du bist stark", kam es leise wie ein Hauch von Juno.
"Wir ... glauben an dich", fügte Pallas hinzu, ehe sie erschöpft die Augen schloss.
"Verlasst mich nicht!", weinte Silvermoon. Vom Wald her hörte sie den angstvollen Schrei des Falken und der trockene Wind trug das hässliche, grelle Lachen des Drachenreiters bis an ihr Ohr.
"Falkenauge ist nicht mehr!" Die eisige Gewissheit umklammerte ihr wundes Herz und vertrieb den letzen Funken von Hoffnung, den sie gehabt hatte. "Jetzt bin ich allein, vergessen, verlassen .... ich haben ihnen nicht helfen können, ich kann mir selbst nicht helfen. Kein Wunder dass mich zu Hause niemand um sich haben wollte, ich bringe allen nur Unglück..." Der Wind trocknete ihre Tränen und in ihrem Herzen war es dunkel und leer. "Verzeiht mir, Pallas, Juno, Ceres, Vesta und Falkenauge, ich hätte niemals hierher kommen dürfen... schwach und nutzlos wie ich bin ... " Sie stand auf und blickte mit leerem Gesicht zum Wald hin. "Es geschieht mir ganz recht, dass ich am Ende verliere, alles verliere.... ich war ja so anmaßend, Helios auf eigene Faust retten zu wollen... Mama .... Königin ... wenn du hier wärst, würdest du dich meiner schämen."
Silvermoon stand wartend da, den goldenen Kristall locker in der einen Hand. Es war egal was aus ihr wurde, das Traumreich war verloren, ihre Freunde waren fort, sie wollte nur noch Stille, Ruhe und Vergessen finden.
Auf einmal spürte sie tief in ihrem inneren, wie jemand verzweifelt ihren Namen rief. Mehr aus Ärger über die Störung als aus echtem Interesse schloss sie die Augen, um den Ruf aus ihrer Seele zu verbannen. Doch kaum hatte sie die Lider geschlossen, sah sie das Bild ihrer Mutter vor ihrem geistigen Auge. Königin Serenity stand mitten auf dem Rummelplatz, genau an jener Stelle, wo Falkenauge sie alle in das Traumreich geführt hatte. "Kleine Lady!!!", der Ruf war dringend und die Königin hielt dabei den Silberkristall hoch, der purpurn funkelte.
"Mutter, hörst du mich?", fragte Silvermoon, nun doch ein wenig erstaunt und aus ihrer Lethargie gerissen. "Was machst du hier?!"
"Kleine Lady?", die Königin schloss nun auch die Augen und sah ihre Tochter vor sich stehen. "Du bist eine Kriegerin geworden!"
"Ja, Großmutter rief mich zu sich und machte mich zu Sailor Silvermoon. Bist du allein gekommen? Was machst du auf dem Rummelplatz?"
"Ich bin nicht allein", sagte die Königin und ihre Gedankenstimme bebte vor Freunde über das Wiedersehen. "Ich bin ja so froh, dass dir nichts passiert ist... Wir haben nach dir gesucht, sieh hinter mich!"
Ihr Bild wurde kleiner und hinter ihr tauchten die Gestalten der vier äußeren Kriegerinnen auf. Saturn, Pluto, Uranus und Neptun hatten ebenfalls ihre Augen geschlossen.
"Mama!!! ....", alle Trauer, aller Schmerz, alle Verzweiflung kamen nun mit einem mal wieder hoch und die Tränen strömten erneut. "Ich kann nicht ... ich kann hier nicht kämpfen .... ich habe den goldenen Kristall, aber allein kann ich ihn nicht einsetzen ...Gleich kommt das Monster zurück und ich habe keine Waffe, nichts! Er hat sie alle getötet, Falkenauge, Pallas, Ceres, Juno und Vesta ... meine neuen Freunde die Asteroidsenshi sind tot ... was soll ich tun?!!!"
"Wir können die Barriere nicht durchdringen", sprach die Königin ruhig. "Also müssen wir auf deine Kraft vertrauen, Kleine Lady. Silvermoon, du bist jetzt die Kämpferin für Liebe und Gerechtigkeit des Traumreiches, du hast die Macht deiner Wünsche, deiner Träume. Sieh in unsere Herzen, sieh wie stark du bist, wie schön, wie geliebt und vertraue auf dich selbst..."
Saturn machte den Anfang, ihre tiefe Freundschaft zu Chibi Usa, die in all den Jahren kein bisschen geschwunden war, strömte warm und sicher auf Silvermoon ein. Es folgte die Zuneigung Neptuns, die, wie Silvermoon erstaunt erkannte, darin gründete, dass sie Kleine Lady wie schon zuvor Sailormoon für ihre offene Art mit jedem Freundschaft schließen zu können, bewunderte. Uranus hatte einen starken Beschützerinstinkt gegenüber ChibiUsa, die schlanke Gestalt Silvermoons erweckte aber auch andere Gefühle in ihr, Bewunderung und der Drang, ein wenig zu flirten .... Silvermoon wurde knallrot ... Plutos Gefühle waren denen Saturns sehr ähnlich, aber dazu kam noch eine tiefe Ergebenheit für die Erbin des Königreiches, und die unerschütterliche Gewissheit, dass Silvermoon eine würdige Nachfolgerin Königin Serenitys sein würde. Silvermoon war verwirrt, aber auch zutiefst gerührt, als sie erkannte, dass all ihre Frucht, ihre Zweifel umsonst gewesen waren. Sie wurde geliebt, verehrt und bewundert wie ihre Mutter ...
... die Gefühle Königin Serenitys waren überwältigend. Die tiefe Liebe der Mutter zu ihrem Kind, der Stolz der Königin auf ihre Erbin, die fast schwesterliche Freundschaft Usagis zu Chibi Usa all das konnte Silver Lady im Herzen Königin Serenitys lesen, aber auch Reue, Schmerz und die stählerne Entschlossenheit, die Welt auseinander zu nehmen und das Traumreich noch dazu, sollte jemand ihrer Kleinen Lady ein Haar krümmen.
Überwältigt von all dem hörte Silvermoon nicht das drohende Geräusch der Schwingen, die vom Wald her die Luft durchschnitten....
"Da steht sie, wie auf dem Präsentierteller", grinste der Reiter. "Wir werden keine Mühe mit ihr haben."
In diesem Augenblick öffnete Silvermoon langsam ihre Augen. Alle Verzweiflung, alle Selbstvorwürfe waren wie weggewischt. Sie nahm ihren Stab in die freie Hand und atmete tief durch. Gestärkt durch das Wissen um die Nähe und Liebe ihrer Mutter und ihrer Freunde, konzentrierte sie sich auf den Traum, den sie hierher gebracht hatte. Der Traum von einem Wiedersehen mit Helios, der Traum ihm als Erwachsene Serenity gegenüberzutreten, als Erbin von Kristall Tokyo, der Wunsch in seinen Augen Freude, Wiedererkennen, aber auch Bewunderung zu sehen... der Traum, den sie damals nicht zu Ende träumen durfte, um ihm ein Licht zu sein. Jetzt wollte sie ihn Wahrheit werden lassen, er durfte nicht tot sein, es musste noch eine Hoffnung geben, eine Hoffnung auf ihren Traum... In der Hand, wo der Goldene Kristall bisher kühl und regungslos geruht hatte, fühlte sie auf einmal eine pulsierende Wärme. Sie öffnete die Faust und sah, dass der Kristall reagierte!
Er pulsierte golden, sie hob ihn hoch und sah ihren beiden Feinden entschlossen entgegen. "Helios", murmelte sie.
Hatte sie es bisher übersehen, oder war es erst jetzt da? Auf der Stirn des Drachen erkannte sie einen grauen Flecken, der sich vom restlichen Schwarz leicht abhob und im gleichen Rhythmus wie der Kristall pulsierte. Wollte der goldene Kristall ihr zeigen, wo der Drache seine Schwachstelle hatte, wie sie ihn am leichtesten besiegen konnte? War der Drache erst erledigt, dann gab es auch eine Möglichkeit mit dem Knirps auf seinem Rücken fertig zu werden...
Sie erinnerte sich an ihre Übungsstunden auf dem Rummelplatz, holte tief Luft und rannte dem Untier entgegen. "Hilf mir, Goldener Kristall, gib mir die Kraft, ich muss es schaffen!"
Pallas hatte Junos Hilfe gehabt für den großen Sprung, Silvermoon war auf sich allein gestellt. Näher und näher kam ihr Ziel.
"Rennst du freiwillig in dein Verderben?", schrie der Reiter, "Umso besser, wir kommen dir entgegen!"
Dann war es soweit, sie waren noch ein paar Meter voneinander entfernt, da warf der Reiter schon sein Netz. Silvermoon riss ihren Stab in die Höhe, die beiden Halbmonde verfingen sich im Netz und mit einem Ruck hatte sie es aus der Hand des Reiters gerissen. Die Wirkung des Netzes war durch den Stab nicht zu spüren und mit aller Kraft schleuderte sie es soweit fort wie sie konnte.
"Nein, das kannst du doch nicht", rief der Reiter verwundert und verärgert. Er wollte den Drachen herum lenken, aber dazu kam es nicht mehr. Silvermoon sprang. Der Goldene Kristall schien ihren Wunsch erhört zu haben, denn im Sprung wuchsen ihr wieder die schimmernden weißen Flügel, die sie als Kleine Lady damals mit Prinzessin Serenity zusammen bekommen hatte. Mit ein paar kräftigen Flügelschlägen war sie auf Augenhöhe mit dem verdutzen Drachen. Sie schwang den Stab, der Reiter riss abwehrend die Hände vors Gesicht, sodass er nicht mehr sehen konnte, was sie eigentlich vor hatte. Silvermoon lächelte, hob den Goldenen Kristall und drückte ihn genau an jene Stelle der Drachenstirn, die in dunklem Grau pulsierte. Der Goldene Kristall flammte vollends auf, was dann aber geschah, damit hätte Silvermoon nie gerechnet.
Es war, viele ein Vorhang vor ihrem Inneren Auge, ein Rückblick auf das, was mit Helios geschehen war...
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Im Traumreich gibt es keine Jahreszeiten und ein Tag reihte sich ereignislos an den anderen. Helios hatte lange damit zu tun gehabt, die Schäden des Dead Moon Zirkus zu beseitigen, doch seit einiger Zeit war diese Arbeit beendet und er verbrachte mehr und mehr Zeit damit, wieder mit Hilfe des Goldenen Kristalls über die Träume zu wachen. Doch egal wie viele schöne Träume er durch den Kristall betrachten konnte, er fand nie den einen, nach dem er suchte. Chibi Usas Traum. Dabei hatte er doch gehofft, dass er das kleine Mädchen wenigstens auf diese Weise wiedersehen würde. Ehe er sich als Pegasus in ihrem Traum hatte verstecken müssen, war Helios sich nie im klaren darüber gewesen, wie einsam es im Traumreich eigentlich war. Es gab zwar jede Menge Tiere, Landschaften und Pflanzen, aber außer ihm kein menschliches Wesen.
Doch eines Tages traf er bei jenem Teich, wo er einst als Pegasus der kleinen Chibi Usa gegenüber getreten war, ein kleines Kind. Der Junge sah so süß und unschuldig aus und er schlief tief und fest. Zunächst war Helios zutiefst beunruhigt, dass ein lebender Mensch es geschafft hatte, die Barriere zwischen Traum und Wirklichkeit zu durchbrechen, aber als der kleine Junge ihm glaubhaft versicherte, auf der Erde weder Familie noch Freunde zu haben (er sah auch absolut vernachlässigt, hungrig und schmutzig aus), da erlaubte ihm Helios, im Traumreich zu bleiben bis es ihm gelänge, eine Familie in der wirklichen Welt zu finden, die sich des kleinen Jungen annehmen würde. Morpho, wie sich der kleine Junge nannte, wurde rasch zu Helios neuem Freund. Helios zeigte ihm, wie er mit Hilfe des Goldenen Kristalls die Träume der Menschen betrachten konnte, um ein Ehepaar zu finden, deren Traum es war, genau so einen süßen Jungen wie Morpho zu adoptieren. Sie fanden einige Paare, die Helios gefielen, aber Morpho nannte immer wieder Gründe, weshalb er sie nicht mochte. Am liebsten hatte es Morpho, wenn Helios sich in Pegasus verwandelte und sie zusammen über die Weiten des Traumreiches flogen. Nach einigen Wochen konnte sich Helios das Traumreich ohne den fröhlichen Morpho gar nicht mehr vorstellen. Dennoch, der Wunsch nach einem Wiedersehen mit Chibi Usa blieb bestehen. Nachdem Morpho das ganze Traumreich mit Ausnahme des Waldes in dem die drei Irrlichter lebten (er mochte keine Irrlichter, so sagte er und Helios wollte ihn nicht drängen), gesehen hatte, begann er sich zu langweilen. Helios hatte seine Pflichten und es war nicht leicht für ihn, sich immer wieder neue Spiele für Morpho einfallen zu lassen. Eines Tages ertappte Helios den kleinen Jungen dabei, wie er einen Traum nicht nur betrachtete, sondern ihn auch betrat und darin seinen Spaß hatte. Helios war erschrocken und holte ihn aus dem Traum zurück, aber da Morpho keinen Schaden angerichtet zu haben schien, hörte er dem Jungen auch zu, als dieser ihn überzeugte, dass es wunderbar und abwechslungsreich sei, die Träume der Menschen zu besuchen. Helios machte aus Neugier ein paar Kostproben und tatsächlich, die Welt der menschlichen Träume war noch viel bunter, vielfältiger als das Traumreich. Besonders die Träume des Mädchens Usagi gefielen Helios, denn darin tauchte mitunter auch Chibi Usa auf und so konnte er sie wieder sehen. Natürlich löschte er nach seinen Besuchen die Erinnerung der Menschen an seine Anwesenheit in ihren Träumen immer sorgfältig. Eines jedoch stellte sich nach einigen Traumreisen heraus, das Besuchen von menschlichen Träumen war sehr Kraft raubend. Und wieder war es Morpho, der eine Idee hatte: Er nahm sich einen bunten Stein und zeigte Helios, wie man die Farben daraus in sich aufnehmen und sie in Traumenergie verwandeln konnte. Das hatte einen unerwarteten Nebeneffekt. Allein die Aufnahme der Energie löste ein köstliches Glücksgefühl, ja eine Rausch, einen herrlichen Tagtraum aus, der sich durch nichts beschreiben ließ. Nach einem Stein war es rasch ein Büschel Gras, dann ein kleiner Strauch, eine Fliege, eine Maus ... je länger es ging, desto stärker wurde der Wunsch nach mehr und mehr Farben, nach mehr und mehr Tragträumen. Helios hatte sich nicht mehr unter Kontrolle, er und Morpho verbrachten die Tage damit, Teil um Teil des Traumreiches ihrer Farben zu berauben. Als sich die ersten Bewohner, die großen Tiere sich ihm entzogen, und er selbst als Pegasus nicht stark genug war, sie ihrer Farben zu berauben, machte ihm Morpho das Angebot, ihm eine mächtigere Verwandlung zu ermöglichen und aus dem weißen Pferd wurde ein schwarzer Drache. Als die Gestalt des Drachen sich festigte, spürte Helios mit plötzlicher Verzweiflung, dass diese Gestalt ein Gefängnis darstellte, wirkungsvoller als es alle Spinnweben Königin Nehellenias jemals gewesen waren. Doch Morpho lachte nur ob seiner hilflosen Schreie, er legte dem Drachen ein Zaumzeug an und das Ungetüm gehorchte ihm aufs Wort. Tief im Inneren glühte die gefangene Seele und nahm wieder die Gestalt des Pferdes an, aber die Gestalt des Drachen verbarg sie vor den Augen der Welt. Helios Versuche, die Drachengestalt abzustreifen, erstickte Morpho einfach, indem er ihn mit neuen Farben und wirbelnden Tagträumen betäubte und nach und nach wurde die Gestalt des Pegasus, die Verkörperung der gefangenen Seele, immer schwächer und schwächer....
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Silvermoon war entsetzt. Ihr wunderbarer Pegasus war in diesem Ungeheuer gefangen? Was sollte sie tun? Tötete sie den Drachen, wäre auch Pegasus verloren. Da machte der Drache eine heftige Bewegung und Silvermoon musste seinen scharfen Zähnen ausweichen. Dadurch verlor der Kristall den Kontakt mit der Stirn des Drachen und die Eindrücke des Rückblicks verblassten. Das Wissen jedoch blieb.
Sie fasste den Drachenreiter ins Auge, welcher eifrig ein neues Netz aus dem Nichts erschuf. Nein, dieses Kind war mehr als es zu sein schien. Sie musste dem auf den Grund gehen, da kam ihr ein Gedanke. So rasch sie ihre neuen Flügel trugen, wirbelte sie herum, umflog geschickt das Maul des Drachen und fegte wild entschlossen den Drachenreiter mit aller Wucht vom Rücken des Untiers. Damit hatte der Junge nicht gerechnet. Laut schreiend purzelte er in die Tiefe. Auch sein neues Netz verlor er, doch ehe er auf dem Boden aufschlagen konnte, hatte in Silvermoon am Kragen gepackt und landete mit ihm auf dem Gras in sicherer Entfernung zu den Netzen.
"Jetzt sagst du mir, wer du bist und woher du dir das Recht genommen hast, Pegasus zu versklaven und in dieses Monster zu verwandeln!", zischte sie ihn an und schüttelte ihn grob.
"Wähhhh! Bitte tu mir nicht weh!", jammerte der Kleine. "Ich sag dir alles, aber lass mich bitte los, mir ist so schlecht." Das würgende Geräusch in seiner Kehle veranlasste Silvermoon, ihn rasch abzustellen, damit er sich nicht auf ihre schöne Uniform übergab, doch das war ein Fehler. Kaum hatte er festen Boden unter den Füßen sprang er von ihr fort und lachte dabei gehässig.
"Du kommst dir wohl sehr groß und schlau vor, wie? Sie her, erblicke meine wahre Gestalt und geh in die Knie", die Luft um ihn herum begann grün zu flimmern, seine Gestalt streckte sich und ein blutroter Umhang umwehte sie. Das Haar wurde lang und eisig blau, genau wie die Augen. "Vor dir steht Morpheos, der Herr der Alpträume. Mir war dieses glückselige Traumreich schon lange ein Dorn im Auge. Jedesmal, wenn ich mir schöne Träume holen wollte, um sie mit Schrecken und Angst zu verseuchen, kam mir Helios in die Quere. Also erschuf ich Morpho, einen hilflosen, kleinen Menschenjungen und in seiner Gestalt habe ich das Traumreich vernichtet." Er winkte dem Drachen und Silvermoon musste hilflos mitansehen, wie dieser sich neben Morpheos niederließ. "Er tut was ich will, ich denke, dass wir dich erst mal ein wenig quälen werden, ehe du deinen Freundinnen in das ewige Vergessen folgen darfst."
Silvermoon biss sich auf die Lippen und packte den Stab mit der freien Hand fester. "Ich werde nicht zulassen, dass Pegasus dein Gefangener bleibt. Gib ihn endlich frei!"
"Warum sollte ich das? Das Traumreich ist zerstört, jetzt kann ich mich der Welt der Menschen zuwenden und sie in eine Welt aus Furcht und Alpträumen verwandeln."
"Niemals! Nur über meine Leiche:"
"Genauso habe ich es auch vor." Er zog an einem Zügel des Drachen, sodass dieser den mächtigen Kopf senkte. "Geh, mein Diener, geh und quäle diese kleine Nervensäge, bis sie am Boden liegt und wimmert vor Schmerzen, danach holen wir uns ihre Farben." Der Drache wandte den Kopf Silvermoon zu und die Glut in seinen Augen ließ es ihr kalt über den Rücken rinnen. Sie suchte vergeblich nach einem Zeichen von Helios, nach seiner Güte, Sanftheit und seiner Stärke. Die Verwandlung schien perfekt und nicht mehr rückgängig zu machen.
Vorsichtig wich sie einige Schritte zurück und überlegte fieberhaft, was sie tun sollte. Der Drache ließ ihr nicht lange Zeit, seine mächtigen Klauen hieben nach ihr und sein Schwanz peitschte auf sie zu. Mit zwei Sprüngen brachte sie sich in Sicherheit. Brüllend erhob der Dache sich in die Luft und nebelte sie mit seinem betäubenden Rauch ein. Hustend besann sich Silvermoon auf ihre Flügel und floh vor der giftigen Wolke.
Morpheos lachte. "Komm her, mein Diener, ich will dabei sein, wenn du diesem schwachen Engel die Hölle bereitest."
Silvermoon schluckte. Ihre Augen brannten vor ungeweinten Tränen, Angst und Schmerz hatte sich in ihrer Brust zu einer drückenden Last gesammelt. Sie hustete immer noch.
"Ich brauche Zeit, unbedingt!" Mit diesem Gedanken flog sie so rasch sie ihre weißen, schon leicht zerzausten Flügel trugen über das Grasland in Richtung Wasserfall und Teich.
"Sie darf uns nicht in ihre Welt entkommen!", schrie Morpheos hinter ihr. "Es muss ein Ende haben!"
Silvermoon fragte sich, was diese Bemerkung wohl zu bedeuten hatte und nahm all ihre Kraft zusammen. Da Fliegen für sie ungewohnt war, schaffte sie es nur mit Mühe, ihren Vorsprung vor dem viel stärkeren Drachen zu halten. Kurz vor dem Wasserfall war sie zu erschöpft, um auch nur einen Meter weiter zu fliegen und suchte hinter dem dicken Stamm jenes Baumes Schutz, unter dem sie sich damals als Chibi Usa mit Pegasus im Traum getroffen hatte.
Sie keuchte und der Schweiß lief ihr in Strömen über das Gesicht. Der Drache sah die weißen Spitzen ihrer Flügel hinter dem schwarzen, toten Stamm hervor lugen und stieß sein siegessicheres Gebrüll aus.
"Zünde ihn an!", kreischte Morpheos. "Mal sehen wie ihr ein kleines Feuer gefällt!"
Die heiße Drachenflamme ließ den morschen Stamm wie Zunder flackern. Mit einem Entsetzensschrei wich Silvermoon vor ihm zurück. Es regnete Funken und die Hitze tat höllisch weh.
"So gefällt es mir!", grinste Morpheos. "Wenn ich erst dich habe, dann hält mich niemand mehr auf. Die Menschen sollen spüren wie es ist, wenn man jede Nacht nur Alpträume hat. Die Angst, der Schrecken wird sie mir gefügig machen."
"Wozu das alles?!", schrie Silvermoon zurück und floh hinter einen Felsen. Rote Brandflecken übersäten ihre Arme und ihre Augen tränten vor Hitze. Ihre weißen Flügel waren von der Asche, die durch die Luft stob grau gefärbt und das Atmen fiel ihr immer schwerer. "Was willst du mit der Welt, wenn du doch dein eigenes Reich der Alpträume hast?"
"Was weißt du von der Welt der Alpträume?", Morpheos Augen leuchteten eisig durch die Aschewolken. "Was weißt du, was es bedeutet, Tag täglich von allen Schrecken und aller Furcht umgeben zu sein, die sich die Menschen in ihren Träume ausgedacht haben. Mein Reich ist dauernd im Wandel, je nach Zeitalter der Menschen tauchen neue Alpträume auf und lösen die alten ab. Ich hasse mein Reich! Die Menschen haben es geschaffen, also sollen sie seine Macht zu spüren bekommen. Ich will die Farben, die Freude, den Frieden aller schönen Träume zerstören. Was ich nicht besitzen kann, das soll auch niemand anderer sein eigen nennen."
"Aber ... aber wenn du alles zerstörst, dann wird es niemals wieder schöne Träume geben, keine Farben, keine Freude!" Silvermoon umklammert den Goldenen Kristall und ihren Stab. Langsam wuchs in ihr die Hoffnung, dass noch nicht alles verloren war. "Wer sagt, dass du keine schönen Träume haben kannst? Hast du Helios je danach gefragt? Ist dir nie in den Sinn gekommen, dass man die Alpträume nicht erhalten, sondern auslöschen sollte, damit der Schmerz und die Angst verschwinden?"
Sie konnte erkennen, dass Morpheos die Stirn runzelte. "Mein Reich zerstören? Wie sollte das gehen?"
Silvermoon richtete sich hinter ihrem Stein vorsichtig auf. "Du bist der, der sie bewahrt. Wenn du dich änderst, ändert sich auch dein Reich. Wenn es dich nicht mehr gibt, dann gibt es auch niemanden mehr, der die flüchtigen Schrecken der Alpträume zusammenhält."
"Mich nicht mehr geben? Ich mag mein Leben hassen, aber ich habe nicht vor, mich im ewigen Vergessen aufzulösen!"
Die Idee, die Silvermoon gekommen war, nahm langsam Gestalt an. Sie wagte zwei langsame Schritte in Richtung Wasserfall." Ich habe nicht davon gesprochen, dass du deine Existenz aufgeben sollst", sagte sie.
"Goldener Kristall", flüsterte sie in Gedanken und teilte ihm stumm ihren Plan mit. "Ich weiß, ich verlange viel, aber das ist die einzige Chance. Ist es möglich?" Als Antwort leuchtete der Kristall kurz auf.
"Ich nehme das als ein Ja", murmelte sie leise und machte sich bereit.
"Was meinst du denn dann?", rief der neugierige gewordene Morpheos zu ihr herüber. Er schien vergessen zu haben, dass er sie vernichten wollte, oder wiegte er sie nur in Sicherheit, damit er sie umso leichter in sein Netz bekommen konnte?
Silvermoon sammelte ihre Konzentration. Sie riskierte es, kurz die Augen zu schließen und ihre Gedankenfühler nach ihrer Mutter auszustrecken. "Mama?", sandte sie kurz, "ich brauche dich! Richte die Kraft des Silberkristalles auf den Übergang. Ich muss etwas versuchen und ich brauche ein Kräftereservoir auf der anderen Seite."
"Wir werden alle unsere Kräfte für dich bündeln", sandte ihre Mutter zurück und Silvermoon spürte die Erleichterung der Königin darüber, dass sie immer noch am Leben war. Flüchtig erhaschte sie einen Eindruck von den übrigen Senshi, die sich konzentrierten und ihre Planetenkräfte sammelten. Die Stirnreifen verschwanden und machten leuchtenden Planetensymbolen Platz. Deren Licht strömte auf den Kristall über, der es wiederum, angereichert mit seiner eigenen Kraft und der Macht der Königin, auf jenen Punkt abstrahlte, wo der Übergang zum Traumreich war.
"HAAAAAAAA!" Mit einem Schrei schleuderte Morpheos sein Netz auf Silvermoon. Sie hatte zu lange gezögert und auch ein Sprung zur Seite half nicht mehr. Das Netz hüllte sie ein. Jetzt oder nie. Mit aller verbliebenden Kraft zwängte die schmerzgepeinigte Silvermoon den Arm durch die Maschen des groben Netzes und schleuderte den goldenen Kristall am Drachen und Morpheos vorbei auf den Wasserfall. Es kostete sie alles, die Schmerzen für eine Sekunde auszublenden und mit vorgespielter Gelassenheit ihrer Mutter eine letzte Botschaft zu übermitteln: "Jetzt!"
Dann krümmte sie sich zusammen und wünschte sich nur noch, dass alles endlich, endlich vorbei wäre ...
Sie sah nicht mehr, wie der goldene Kristall die Grenze der Barriere erreichte und genau mitten drin in dem gefrorenen Wasserfall steckenblieb, schwebend zwischen der Realität und dem Traumreich. Auch der Drachenreiter, der begierig darauf wartete, dass das Netz die letzten verbliebenen Farben von Silvermoon aufsog und er darin schwelgen konnte, hatte dem Wurf des Kristalls nicht viel Bedeutung zugemessen.
Tief im Inneren des Drachen verborgen erkannte ein müder, abgekämpfter Pegasus die Chance und sammelte seine letzten Kräfte.
Auf der Seite der Realität hatte eine Königin und Mutter sehr wohl gespürt, was da im Traumreich geschehen sein musste und in ihrer Verzweiflung griff ihr Geist hinaus über Raum und Zeit nach Kristalltokio, wo alle in erwartungsvollem Schweigen ihrer Rückkehr harrten. Ihr Ruf nach Hilfe wurde von einer Welle der Kraft und Liebe beantwortet, zu der alle Versammelten, ob Senshi, ob Katzen, ob Verwandte instinktiv beisteuerten. Der Strom dieser positiven Macht ließ den Kristall, der zwischen den Händen der Königin schwebte, golden erglühen. Die Energie strömte über die Brücke, die der Goldene Kristall zwischen den beiden Welten gebildet hatte, ungehindert in Richtung der sterbenden Silvermoon.
Dann ging alles rasend schnell. Einer enormen Druckwelle gleich fegte die goldene Energie aus dem Wasserfall, schleuderte den Drachenreiter vom Rücken des Untiers und der Drache selbst wurde viele Meter durch die Luft davon gewirbelt. Das Netz, das Silvermoons Farben fast völlig aufgesogen hatte, zerriss. Die Farben flossen in Silvermoon zurück, die von der Welle unbehelligt blieb. Taumelnd kam sie auf die Füße und ergriff ihren Stab. Darauf hatte die Kraft nur gewartet. Sie ballte sich zusammen und bildete eine Faustgroße Kugel aus wirbelndem Licht, die sich genau zwischen den Halbmonden des Stabes plazierte. Staunend hielt Silvermoon den Stab hoch in die Luft. Morpheos, der sich mühsam auf die Beine gekämpft hatte, starrte erschrocken und ungläubig auf die Waffe, die mit einem Mal nicht mehr harmlos und unwirksam war, sondern von der in ihrer Spitze gesammelten Macht geradezu weiß-silbern glühte.
Der Drache kam mit unsicheren Flügelschlägen zurück, aber in seinem Inneren tobte ein Kampf, der es verhinderte, dass er auf die Befehle seines Herrn reagierte. Silvermoon wollte kein Risiko mehr eingehen. Zu lange hatte sie das letzte Mal gezögert.
Sie richtete die Energiekugel auf Morpheos. "Leb wohl, Herr der Alpträume", sagte sie. "Gespinst der Verwandlung!" Statt in mit der geballten Macht zu zerschmettern, sandte der Stab unzählige, Fadendünne Energielinien aus und hüllte den sprachlosen Morpheos ein. Innerhalb eines Atemzuges war von ihm nichts mehr zu sehen, außer einem silbern glühenden Kokon, der sich wie eine Spindel auf der Stelle drehte. Silvermoon wirbelte im Kreis und rief "Metamorphose!"
Der Kokon zersprang in einem Feuerwerk silberner Funken und vor ihr stand nicht mehr Morpheos, der Herr der Alpträume, sondern ein junger, sehr attraktiver Mann, der sie mit großen Augen anstarrte. "Was ...was?" Stammelte er verdutzt.
Silvermoon zwinkerte ihm zu, dann schnellte sie herum, und warf die verbliebene Energie auf den Drachen: "Gespinst der Verwandlung!" Auch der Drache wurde völlig überrascht. Gefangen in dem Kokon plumpste er bewegungsunfähig auf die Erde. Auf Silvermoons Ruf "Metamorphose", hin schrumpfte der Kokon auf einmal und als er zersprang, da stand Pegasus auf wackeligen Beinen mitten im verdorrten Gras.
Ende des 11. Teils
Eine Sekunde lang standen sie dort wie erstarrt. Sailor Juno fasste sich als erste wieder und gab Silvermoon einen Stoß in den Rücken. "Lauf, wir halten sie auf!"
Sailor Pallas warf Falkenauge einen bittenden Blick zu. Dieser nickte, packte Silvermoon an der Hand und zerrte sie hinter die beiden Kriegerinnen zurück in den Halbschatten es eingestürzten Tempels.
"Nein, nein!", wehrte sich Silvermoon. "Ich lasse euch nicht im Stich!"
"Dann benutze den Goldenen Kristall", flüsterte ihr Falkenauge zu. Die beiden verbliebenen Asteroidsenshi sprangen ein paar Schritte auf den Drachen zu, die Hände zum Angriff erhoben.
"Was soll denn das?", lachte der Reiter. "Habt ihr vergessen, dass ihr machtlos seid?"
"Du wirst dich noch wundern", murmelte Juno, sie und Pallas wechselten einen Blick. Juno machte einige verschlungene Gesten und Pallas nickte kurz.
"Dann mal los!" Pallas rannte ein paar Schritte von Juno weg, dann hielt sie an, drehte sich um und lief auf Juno zu, welche leicht in die Knie ging und die Finger in einander verschlang, sodass ihre Handflächen eine Ebene bildeten. Pallas setzte eine Fuß darauf, Juno spannte die Muskeln und schleuderte die blauhaarige Kriegerin hoch in die Luft - genau auf den Drachen zu.
"Ihr seid ja wahnsinnig!", entfuhr es dem Reiter. Doch Pallas machte in der Luft einen gekonnten Salto und landete - auf dem Rücken des Drachen, genau hinter dem Reiter.
"He!!!", schrie dieser, als Pallas seine Handgelenke packte und ihn so zwang, das Netz fallen zu lassen.
"Jetzt sind sie abgelenkt!" Falkenauge puffte Silvermoon in die Rippen. "Nutz die Gelegenheit und bring es zu Ende."
Silvermoon schluckte und öffnete die Faust, in der sie den Goldenen Kristall festgehalten hatte. Er schwebte von ihrer Handfläche hoch und sie streckte die Arme aus, sodass er genau zwischen ihren Händen in der Luft hing. "Macht des Goldenen Kristalls!", rief sie, aber es war niemand da, der ihren Spruch wiederholt hätte, so wie damals die Kinder und alle Menschen mit schönen Träumen.
Der Kristall flackerte auf und eine Sekunde lang dachte Silvermoon tatsächlich, dass er ihre stumme Bitte erfüllen, den Drachen und den Reiter mit seinem Licht angreifen würde, so wie er damals den Dead Moon Zirkus dem Erdboden gleich gemacht hatte. Aber die Hoffnung währte nur einen Atemzug - das Licht des Kristalls wurde schwächer und erlosch. Silvermoon sank verzweifelt in die Knie. "Ich schaffe es nicht! Ich kann es nicht allein, ich brauche Sailormoon!"
Währenddessen hatte Juno die Zeit genutzt, um den Drachen mit Steinbrocken zu bewerfen, damit dieser dem Kampf auf seinem Rücken nicht die volle Aufmerksamkeit widmen konnte. Ein, zwei Brocken streiften seine Klauen und seine Flügel und er stieß eine Dampfwolke aus, ähnlich jener, die Ceres außer Gefecht gesetzt hatte. Juno jedoch war auf der Hut und wechselte rasch die Position. Sailor Pallas und der Drachenreiter rangen noch immer miteinander. Er war zwar sehr klein, jedoch außerordentlich stark. Dem stand Pallas Talent, auf wackeligen Unterlagen, sprich Bällen, das Gleichgewicht halten zu können, entgegen. Es war der Zufall, der zugunsten des Reiters entschied, Pallas verlor für eine Sekunde die Balance und schon versetzte er ihr einen gemeinen Stoß in die Seite, sodass sie mit den Armen rudernd vom Drachenrücken fiel. Pallas wäre nicht Pallas gewesen, wenn sie wie ein Sack gefallen wäre. Noch in der Luft drehte sie sich und landete sicher auf beiden Beinen - leider genau auf dem Netz, das im welken Gras kaum zu erkennen war.
Sie schrie vor Schmerz auf und versuchte, vom Netz herunter zu springen. Aber dazu fehlte ihr die Kraft, zu rasch entzog es ihr die Farben.
"Warte Pallas, ich helfe dir!"
Juno machte einen Satz zu Pallas hin, streckte ihr die Hand entgegen und genau in diesem Moment gab der Drache noch einen schwall betäubenden Dampf ab, diesmal jedoch gelang es weder Pallas noch Juno, dem auszuweichen. Hustend und keuchend landeten sie beide im Gras - genau auf den Maschen des Netzes.
"Ideal! besser hätte ich es auch nicht können!", grinste der Drachenreiter, er dirigierte das schwarze Ungeheuer zur Erde, sodass er vom Rücke springen und die Maschen des Netzes packen konnte. Hilflos mussten Silvermoon und Falkenauge mitansehen, wie der Drachenreiter seine Beute fester in die Maschen des Netzes wickelte. Silvermoon wischte ihre Tränen fort und schrie entsetzt auf! "Ich muss ihnen helfen!", sie wollte sich an Falkenauge vorbei drängen, doch er hielt sie zurück. "Das ist meine Aufgabe. Ich versuche, ihn abzulenken, konzentriere du dich auf den Kristall."
"Aber es funktioniert doch nicht!"
"Aber sicher tut es das. Was zählt sind deine Träume und dein Glaube, vergiss das nicht!" Mit diesem aufmunternden Satz beugte er sich tief zu ihr herab und berührte sacht den goldenen Kristall, der in ihrer offenen Hand lag. Seine Umrisse glühten golden und dann nahm er die Gestalt eines großen Falken an. Seine goldenen Augen widerspiegelten den Glanz des Kristalls, und er blickte Silvermoon ein letztes Mal aufmunternd an, ehe er sich in die Luft schwang und pfeilgleich auf den Drachen zuhielt.
Das Untier und sein Reiter delektierten sich an den Farben der beiden sterbenden Kriegerinnen und achteten daher nicht sonderlich auf ihre Umgebung. Silvermoon wischte sich die Tränen aus den Augen, um besser sehen zu können. Die schlanke Gestalt des Falken zischte heran und sein Schnabel hieb nach dem Gesicht des Reiters. Erschrocken riss dieser seine Arme hoch und das Netz entglitt ihm. Die beiden beinah schon farblosen Körper von Sailor Juno und Sailor Pallas rutschten aus den Maschen ins Gras.
"Du elender Vogel!", schimpfte der Reiter und hieb mit der Faust nach Falkenauge, ohne ihn jedoch zu treffen. Der Falke machte eine enge Kehre und flog mit raschen Flügelschlägen auf den Wald jenseits der Grasebene zu.
"Dem erteilen wir eine Lektion!", die Augen des Reiters funkelten vor Wut. "Los!" Er dirigierte den schwerfälligen Drachen in Richtung Wald.
Silvermoon hielt den Atem an. Falkenauge hatte es geschafft, sie hatte eine kurze Atempause. Eilends verließ sie ihr Versteck in der Ruine und rannte zu Juno und Pallas. Die Haut der beiden war schon aschgrau und fühlte sich kalt an. Dennoch schienen die beiden noch bei Sinnen zu sein und als sie die Augen aufschlugen, war noch Farbe darin.
"Falkenauge hat den Drachen weggelockt!", schluchzte Silvermoon. "Wie kann ich euch helfen?"
"Ich bin so müde...", hauchte Pallas. "Der goldene ... Kristall?"
"Er funktioniert nicht! Ich bin nicht mehr die Chibimoon von damals und es ist keine Sailormoon hier. Ich kann alleine gar nichts ausrichten. Ich bin so nutzlos!!!" Sie barg das Gesicht in den Händen und ihre Tränen netzten den goldenen Kristall.
"Prinzessin ... Silver Lady ... du bist stark", kam es leise wie ein Hauch von Juno.
"Wir ... glauben an dich", fügte Pallas hinzu, ehe sie erschöpft die Augen schloss.
"Verlasst mich nicht!", weinte Silvermoon. Vom Wald her hörte sie den angstvollen Schrei des Falken und der trockene Wind trug das hässliche, grelle Lachen des Drachenreiters bis an ihr Ohr.
"Falkenauge ist nicht mehr!" Die eisige Gewissheit umklammerte ihr wundes Herz und vertrieb den letzen Funken von Hoffnung, den sie gehabt hatte. "Jetzt bin ich allein, vergessen, verlassen .... ich haben ihnen nicht helfen können, ich kann mir selbst nicht helfen. Kein Wunder dass mich zu Hause niemand um sich haben wollte, ich bringe allen nur Unglück..." Der Wind trocknete ihre Tränen und in ihrem Herzen war es dunkel und leer. "Verzeiht mir, Pallas, Juno, Ceres, Vesta und Falkenauge, ich hätte niemals hierher kommen dürfen... schwach und nutzlos wie ich bin ... " Sie stand auf und blickte mit leerem Gesicht zum Wald hin. "Es geschieht mir ganz recht, dass ich am Ende verliere, alles verliere.... ich war ja so anmaßend, Helios auf eigene Faust retten zu wollen... Mama .... Königin ... wenn du hier wärst, würdest du dich meiner schämen."
Silvermoon stand wartend da, den goldenen Kristall locker in der einen Hand. Es war egal was aus ihr wurde, das Traumreich war verloren, ihre Freunde waren fort, sie wollte nur noch Stille, Ruhe und Vergessen finden.
Auf einmal spürte sie tief in ihrem inneren, wie jemand verzweifelt ihren Namen rief. Mehr aus Ärger über die Störung als aus echtem Interesse schloss sie die Augen, um den Ruf aus ihrer Seele zu verbannen. Doch kaum hatte sie die Lider geschlossen, sah sie das Bild ihrer Mutter vor ihrem geistigen Auge. Königin Serenity stand mitten auf dem Rummelplatz, genau an jener Stelle, wo Falkenauge sie alle in das Traumreich geführt hatte. "Kleine Lady!!!", der Ruf war dringend und die Königin hielt dabei den Silberkristall hoch, der purpurn funkelte.
"Mutter, hörst du mich?", fragte Silvermoon, nun doch ein wenig erstaunt und aus ihrer Lethargie gerissen. "Was machst du hier?!"
"Kleine Lady?", die Königin schloss nun auch die Augen und sah ihre Tochter vor sich stehen. "Du bist eine Kriegerin geworden!"
"Ja, Großmutter rief mich zu sich und machte mich zu Sailor Silvermoon. Bist du allein gekommen? Was machst du auf dem Rummelplatz?"
"Ich bin nicht allein", sagte die Königin und ihre Gedankenstimme bebte vor Freunde über das Wiedersehen. "Ich bin ja so froh, dass dir nichts passiert ist... Wir haben nach dir gesucht, sieh hinter mich!"
Ihr Bild wurde kleiner und hinter ihr tauchten die Gestalten der vier äußeren Kriegerinnen auf. Saturn, Pluto, Uranus und Neptun hatten ebenfalls ihre Augen geschlossen.
"Mama!!! ....", alle Trauer, aller Schmerz, alle Verzweiflung kamen nun mit einem mal wieder hoch und die Tränen strömten erneut. "Ich kann nicht ... ich kann hier nicht kämpfen .... ich habe den goldenen Kristall, aber allein kann ich ihn nicht einsetzen ...Gleich kommt das Monster zurück und ich habe keine Waffe, nichts! Er hat sie alle getötet, Falkenauge, Pallas, Ceres, Juno und Vesta ... meine neuen Freunde die Asteroidsenshi sind tot ... was soll ich tun?!!!"
"Wir können die Barriere nicht durchdringen", sprach die Königin ruhig. "Also müssen wir auf deine Kraft vertrauen, Kleine Lady. Silvermoon, du bist jetzt die Kämpferin für Liebe und Gerechtigkeit des Traumreiches, du hast die Macht deiner Wünsche, deiner Träume. Sieh in unsere Herzen, sieh wie stark du bist, wie schön, wie geliebt und vertraue auf dich selbst..."
Saturn machte den Anfang, ihre tiefe Freundschaft zu Chibi Usa, die in all den Jahren kein bisschen geschwunden war, strömte warm und sicher auf Silvermoon ein. Es folgte die Zuneigung Neptuns, die, wie Silvermoon erstaunt erkannte, darin gründete, dass sie Kleine Lady wie schon zuvor Sailormoon für ihre offene Art mit jedem Freundschaft schließen zu können, bewunderte. Uranus hatte einen starken Beschützerinstinkt gegenüber ChibiUsa, die schlanke Gestalt Silvermoons erweckte aber auch andere Gefühle in ihr, Bewunderung und der Drang, ein wenig zu flirten .... Silvermoon wurde knallrot ... Plutos Gefühle waren denen Saturns sehr ähnlich, aber dazu kam noch eine tiefe Ergebenheit für die Erbin des Königreiches, und die unerschütterliche Gewissheit, dass Silvermoon eine würdige Nachfolgerin Königin Serenitys sein würde. Silvermoon war verwirrt, aber auch zutiefst gerührt, als sie erkannte, dass all ihre Frucht, ihre Zweifel umsonst gewesen waren. Sie wurde geliebt, verehrt und bewundert wie ihre Mutter ...
... die Gefühle Königin Serenitys waren überwältigend. Die tiefe Liebe der Mutter zu ihrem Kind, der Stolz der Königin auf ihre Erbin, die fast schwesterliche Freundschaft Usagis zu Chibi Usa all das konnte Silver Lady im Herzen Königin Serenitys lesen, aber auch Reue, Schmerz und die stählerne Entschlossenheit, die Welt auseinander zu nehmen und das Traumreich noch dazu, sollte jemand ihrer Kleinen Lady ein Haar krümmen.
Überwältigt von all dem hörte Silvermoon nicht das drohende Geräusch der Schwingen, die vom Wald her die Luft durchschnitten....
"Da steht sie, wie auf dem Präsentierteller", grinste der Reiter. "Wir werden keine Mühe mit ihr haben."
In diesem Augenblick öffnete Silvermoon langsam ihre Augen. Alle Verzweiflung, alle Selbstvorwürfe waren wie weggewischt. Sie nahm ihren Stab in die freie Hand und atmete tief durch. Gestärkt durch das Wissen um die Nähe und Liebe ihrer Mutter und ihrer Freunde, konzentrierte sie sich auf den Traum, den sie hierher gebracht hatte. Der Traum von einem Wiedersehen mit Helios, der Traum ihm als Erwachsene Serenity gegenüberzutreten, als Erbin von Kristall Tokyo, der Wunsch in seinen Augen Freude, Wiedererkennen, aber auch Bewunderung zu sehen... der Traum, den sie damals nicht zu Ende träumen durfte, um ihm ein Licht zu sein. Jetzt wollte sie ihn Wahrheit werden lassen, er durfte nicht tot sein, es musste noch eine Hoffnung geben, eine Hoffnung auf ihren Traum... In der Hand, wo der Goldene Kristall bisher kühl und regungslos geruht hatte, fühlte sie auf einmal eine pulsierende Wärme. Sie öffnete die Faust und sah, dass der Kristall reagierte!
Er pulsierte golden, sie hob ihn hoch und sah ihren beiden Feinden entschlossen entgegen. "Helios", murmelte sie.
Hatte sie es bisher übersehen, oder war es erst jetzt da? Auf der Stirn des Drachen erkannte sie einen grauen Flecken, der sich vom restlichen Schwarz leicht abhob und im gleichen Rhythmus wie der Kristall pulsierte. Wollte der goldene Kristall ihr zeigen, wo der Drache seine Schwachstelle hatte, wie sie ihn am leichtesten besiegen konnte? War der Drache erst erledigt, dann gab es auch eine Möglichkeit mit dem Knirps auf seinem Rücken fertig zu werden...
Sie erinnerte sich an ihre Übungsstunden auf dem Rummelplatz, holte tief Luft und rannte dem Untier entgegen. "Hilf mir, Goldener Kristall, gib mir die Kraft, ich muss es schaffen!"
Pallas hatte Junos Hilfe gehabt für den großen Sprung, Silvermoon war auf sich allein gestellt. Näher und näher kam ihr Ziel.
"Rennst du freiwillig in dein Verderben?", schrie der Reiter, "Umso besser, wir kommen dir entgegen!"
Dann war es soweit, sie waren noch ein paar Meter voneinander entfernt, da warf der Reiter schon sein Netz. Silvermoon riss ihren Stab in die Höhe, die beiden Halbmonde verfingen sich im Netz und mit einem Ruck hatte sie es aus der Hand des Reiters gerissen. Die Wirkung des Netzes war durch den Stab nicht zu spüren und mit aller Kraft schleuderte sie es soweit fort wie sie konnte.
"Nein, das kannst du doch nicht", rief der Reiter verwundert und verärgert. Er wollte den Drachen herum lenken, aber dazu kam es nicht mehr. Silvermoon sprang. Der Goldene Kristall schien ihren Wunsch erhört zu haben, denn im Sprung wuchsen ihr wieder die schimmernden weißen Flügel, die sie als Kleine Lady damals mit Prinzessin Serenity zusammen bekommen hatte. Mit ein paar kräftigen Flügelschlägen war sie auf Augenhöhe mit dem verdutzen Drachen. Sie schwang den Stab, der Reiter riss abwehrend die Hände vors Gesicht, sodass er nicht mehr sehen konnte, was sie eigentlich vor hatte. Silvermoon lächelte, hob den Goldenen Kristall und drückte ihn genau an jene Stelle der Drachenstirn, die in dunklem Grau pulsierte. Der Goldene Kristall flammte vollends auf, was dann aber geschah, damit hätte Silvermoon nie gerechnet.
Es war, viele ein Vorhang vor ihrem Inneren Auge, ein Rückblick auf das, was mit Helios geschehen war...
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Im Traumreich gibt es keine Jahreszeiten und ein Tag reihte sich ereignislos an den anderen. Helios hatte lange damit zu tun gehabt, die Schäden des Dead Moon Zirkus zu beseitigen, doch seit einiger Zeit war diese Arbeit beendet und er verbrachte mehr und mehr Zeit damit, wieder mit Hilfe des Goldenen Kristalls über die Träume zu wachen. Doch egal wie viele schöne Träume er durch den Kristall betrachten konnte, er fand nie den einen, nach dem er suchte. Chibi Usas Traum. Dabei hatte er doch gehofft, dass er das kleine Mädchen wenigstens auf diese Weise wiedersehen würde. Ehe er sich als Pegasus in ihrem Traum hatte verstecken müssen, war Helios sich nie im klaren darüber gewesen, wie einsam es im Traumreich eigentlich war. Es gab zwar jede Menge Tiere, Landschaften und Pflanzen, aber außer ihm kein menschliches Wesen.
Doch eines Tages traf er bei jenem Teich, wo er einst als Pegasus der kleinen Chibi Usa gegenüber getreten war, ein kleines Kind. Der Junge sah so süß und unschuldig aus und er schlief tief und fest. Zunächst war Helios zutiefst beunruhigt, dass ein lebender Mensch es geschafft hatte, die Barriere zwischen Traum und Wirklichkeit zu durchbrechen, aber als der kleine Junge ihm glaubhaft versicherte, auf der Erde weder Familie noch Freunde zu haben (er sah auch absolut vernachlässigt, hungrig und schmutzig aus), da erlaubte ihm Helios, im Traumreich zu bleiben bis es ihm gelänge, eine Familie in der wirklichen Welt zu finden, die sich des kleinen Jungen annehmen würde. Morpho, wie sich der kleine Junge nannte, wurde rasch zu Helios neuem Freund. Helios zeigte ihm, wie er mit Hilfe des Goldenen Kristalls die Träume der Menschen betrachten konnte, um ein Ehepaar zu finden, deren Traum es war, genau so einen süßen Jungen wie Morpho zu adoptieren. Sie fanden einige Paare, die Helios gefielen, aber Morpho nannte immer wieder Gründe, weshalb er sie nicht mochte. Am liebsten hatte es Morpho, wenn Helios sich in Pegasus verwandelte und sie zusammen über die Weiten des Traumreiches flogen. Nach einigen Wochen konnte sich Helios das Traumreich ohne den fröhlichen Morpho gar nicht mehr vorstellen. Dennoch, der Wunsch nach einem Wiedersehen mit Chibi Usa blieb bestehen. Nachdem Morpho das ganze Traumreich mit Ausnahme des Waldes in dem die drei Irrlichter lebten (er mochte keine Irrlichter, so sagte er und Helios wollte ihn nicht drängen), gesehen hatte, begann er sich zu langweilen. Helios hatte seine Pflichten und es war nicht leicht für ihn, sich immer wieder neue Spiele für Morpho einfallen zu lassen. Eines Tages ertappte Helios den kleinen Jungen dabei, wie er einen Traum nicht nur betrachtete, sondern ihn auch betrat und darin seinen Spaß hatte. Helios war erschrocken und holte ihn aus dem Traum zurück, aber da Morpho keinen Schaden angerichtet zu haben schien, hörte er dem Jungen auch zu, als dieser ihn überzeugte, dass es wunderbar und abwechslungsreich sei, die Träume der Menschen zu besuchen. Helios machte aus Neugier ein paar Kostproben und tatsächlich, die Welt der menschlichen Träume war noch viel bunter, vielfältiger als das Traumreich. Besonders die Träume des Mädchens Usagi gefielen Helios, denn darin tauchte mitunter auch Chibi Usa auf und so konnte er sie wieder sehen. Natürlich löschte er nach seinen Besuchen die Erinnerung der Menschen an seine Anwesenheit in ihren Träumen immer sorgfältig. Eines jedoch stellte sich nach einigen Traumreisen heraus, das Besuchen von menschlichen Träumen war sehr Kraft raubend. Und wieder war es Morpho, der eine Idee hatte: Er nahm sich einen bunten Stein und zeigte Helios, wie man die Farben daraus in sich aufnehmen und sie in Traumenergie verwandeln konnte. Das hatte einen unerwarteten Nebeneffekt. Allein die Aufnahme der Energie löste ein köstliches Glücksgefühl, ja eine Rausch, einen herrlichen Tagtraum aus, der sich durch nichts beschreiben ließ. Nach einem Stein war es rasch ein Büschel Gras, dann ein kleiner Strauch, eine Fliege, eine Maus ... je länger es ging, desto stärker wurde der Wunsch nach mehr und mehr Farben, nach mehr und mehr Tragträumen. Helios hatte sich nicht mehr unter Kontrolle, er und Morpho verbrachten die Tage damit, Teil um Teil des Traumreiches ihrer Farben zu berauben. Als sich die ersten Bewohner, die großen Tiere sich ihm entzogen, und er selbst als Pegasus nicht stark genug war, sie ihrer Farben zu berauben, machte ihm Morpho das Angebot, ihm eine mächtigere Verwandlung zu ermöglichen und aus dem weißen Pferd wurde ein schwarzer Drache. Als die Gestalt des Drachen sich festigte, spürte Helios mit plötzlicher Verzweiflung, dass diese Gestalt ein Gefängnis darstellte, wirkungsvoller als es alle Spinnweben Königin Nehellenias jemals gewesen waren. Doch Morpho lachte nur ob seiner hilflosen Schreie, er legte dem Drachen ein Zaumzeug an und das Ungetüm gehorchte ihm aufs Wort. Tief im Inneren glühte die gefangene Seele und nahm wieder die Gestalt des Pferdes an, aber die Gestalt des Drachen verbarg sie vor den Augen der Welt. Helios Versuche, die Drachengestalt abzustreifen, erstickte Morpho einfach, indem er ihn mit neuen Farben und wirbelnden Tagträumen betäubte und nach und nach wurde die Gestalt des Pegasus, die Verkörperung der gefangenen Seele, immer schwächer und schwächer....
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Silvermoon war entsetzt. Ihr wunderbarer Pegasus war in diesem Ungeheuer gefangen? Was sollte sie tun? Tötete sie den Drachen, wäre auch Pegasus verloren. Da machte der Drache eine heftige Bewegung und Silvermoon musste seinen scharfen Zähnen ausweichen. Dadurch verlor der Kristall den Kontakt mit der Stirn des Drachen und die Eindrücke des Rückblicks verblassten. Das Wissen jedoch blieb.
Sie fasste den Drachenreiter ins Auge, welcher eifrig ein neues Netz aus dem Nichts erschuf. Nein, dieses Kind war mehr als es zu sein schien. Sie musste dem auf den Grund gehen, da kam ihr ein Gedanke. So rasch sie ihre neuen Flügel trugen, wirbelte sie herum, umflog geschickt das Maul des Drachen und fegte wild entschlossen den Drachenreiter mit aller Wucht vom Rücken des Untiers. Damit hatte der Junge nicht gerechnet. Laut schreiend purzelte er in die Tiefe. Auch sein neues Netz verlor er, doch ehe er auf dem Boden aufschlagen konnte, hatte in Silvermoon am Kragen gepackt und landete mit ihm auf dem Gras in sicherer Entfernung zu den Netzen.
"Jetzt sagst du mir, wer du bist und woher du dir das Recht genommen hast, Pegasus zu versklaven und in dieses Monster zu verwandeln!", zischte sie ihn an und schüttelte ihn grob.
"Wähhhh! Bitte tu mir nicht weh!", jammerte der Kleine. "Ich sag dir alles, aber lass mich bitte los, mir ist so schlecht." Das würgende Geräusch in seiner Kehle veranlasste Silvermoon, ihn rasch abzustellen, damit er sich nicht auf ihre schöne Uniform übergab, doch das war ein Fehler. Kaum hatte er festen Boden unter den Füßen sprang er von ihr fort und lachte dabei gehässig.
"Du kommst dir wohl sehr groß und schlau vor, wie? Sie her, erblicke meine wahre Gestalt und geh in die Knie", die Luft um ihn herum begann grün zu flimmern, seine Gestalt streckte sich und ein blutroter Umhang umwehte sie. Das Haar wurde lang und eisig blau, genau wie die Augen. "Vor dir steht Morpheos, der Herr der Alpträume. Mir war dieses glückselige Traumreich schon lange ein Dorn im Auge. Jedesmal, wenn ich mir schöne Träume holen wollte, um sie mit Schrecken und Angst zu verseuchen, kam mir Helios in die Quere. Also erschuf ich Morpho, einen hilflosen, kleinen Menschenjungen und in seiner Gestalt habe ich das Traumreich vernichtet." Er winkte dem Drachen und Silvermoon musste hilflos mitansehen, wie dieser sich neben Morpheos niederließ. "Er tut was ich will, ich denke, dass wir dich erst mal ein wenig quälen werden, ehe du deinen Freundinnen in das ewige Vergessen folgen darfst."
Silvermoon biss sich auf die Lippen und packte den Stab mit der freien Hand fester. "Ich werde nicht zulassen, dass Pegasus dein Gefangener bleibt. Gib ihn endlich frei!"
"Warum sollte ich das? Das Traumreich ist zerstört, jetzt kann ich mich der Welt der Menschen zuwenden und sie in eine Welt aus Furcht und Alpträumen verwandeln."
"Niemals! Nur über meine Leiche:"
"Genauso habe ich es auch vor." Er zog an einem Zügel des Drachen, sodass dieser den mächtigen Kopf senkte. "Geh, mein Diener, geh und quäle diese kleine Nervensäge, bis sie am Boden liegt und wimmert vor Schmerzen, danach holen wir uns ihre Farben." Der Drache wandte den Kopf Silvermoon zu und die Glut in seinen Augen ließ es ihr kalt über den Rücken rinnen. Sie suchte vergeblich nach einem Zeichen von Helios, nach seiner Güte, Sanftheit und seiner Stärke. Die Verwandlung schien perfekt und nicht mehr rückgängig zu machen.
Vorsichtig wich sie einige Schritte zurück und überlegte fieberhaft, was sie tun sollte. Der Drache ließ ihr nicht lange Zeit, seine mächtigen Klauen hieben nach ihr und sein Schwanz peitschte auf sie zu. Mit zwei Sprüngen brachte sie sich in Sicherheit. Brüllend erhob der Dache sich in die Luft und nebelte sie mit seinem betäubenden Rauch ein. Hustend besann sich Silvermoon auf ihre Flügel und floh vor der giftigen Wolke.
Morpheos lachte. "Komm her, mein Diener, ich will dabei sein, wenn du diesem schwachen Engel die Hölle bereitest."
Silvermoon schluckte. Ihre Augen brannten vor ungeweinten Tränen, Angst und Schmerz hatte sich in ihrer Brust zu einer drückenden Last gesammelt. Sie hustete immer noch.
"Ich brauche Zeit, unbedingt!" Mit diesem Gedanken flog sie so rasch sie ihre weißen, schon leicht zerzausten Flügel trugen über das Grasland in Richtung Wasserfall und Teich.
"Sie darf uns nicht in ihre Welt entkommen!", schrie Morpheos hinter ihr. "Es muss ein Ende haben!"
Silvermoon fragte sich, was diese Bemerkung wohl zu bedeuten hatte und nahm all ihre Kraft zusammen. Da Fliegen für sie ungewohnt war, schaffte sie es nur mit Mühe, ihren Vorsprung vor dem viel stärkeren Drachen zu halten. Kurz vor dem Wasserfall war sie zu erschöpft, um auch nur einen Meter weiter zu fliegen und suchte hinter dem dicken Stamm jenes Baumes Schutz, unter dem sie sich damals als Chibi Usa mit Pegasus im Traum getroffen hatte.
Sie keuchte und der Schweiß lief ihr in Strömen über das Gesicht. Der Drache sah die weißen Spitzen ihrer Flügel hinter dem schwarzen, toten Stamm hervor lugen und stieß sein siegessicheres Gebrüll aus.
"Zünde ihn an!", kreischte Morpheos. "Mal sehen wie ihr ein kleines Feuer gefällt!"
Die heiße Drachenflamme ließ den morschen Stamm wie Zunder flackern. Mit einem Entsetzensschrei wich Silvermoon vor ihm zurück. Es regnete Funken und die Hitze tat höllisch weh.
"So gefällt es mir!", grinste Morpheos. "Wenn ich erst dich habe, dann hält mich niemand mehr auf. Die Menschen sollen spüren wie es ist, wenn man jede Nacht nur Alpträume hat. Die Angst, der Schrecken wird sie mir gefügig machen."
"Wozu das alles?!", schrie Silvermoon zurück und floh hinter einen Felsen. Rote Brandflecken übersäten ihre Arme und ihre Augen tränten vor Hitze. Ihre weißen Flügel waren von der Asche, die durch die Luft stob grau gefärbt und das Atmen fiel ihr immer schwerer. "Was willst du mit der Welt, wenn du doch dein eigenes Reich der Alpträume hast?"
"Was weißt du von der Welt der Alpträume?", Morpheos Augen leuchteten eisig durch die Aschewolken. "Was weißt du, was es bedeutet, Tag täglich von allen Schrecken und aller Furcht umgeben zu sein, die sich die Menschen in ihren Träume ausgedacht haben. Mein Reich ist dauernd im Wandel, je nach Zeitalter der Menschen tauchen neue Alpträume auf und lösen die alten ab. Ich hasse mein Reich! Die Menschen haben es geschaffen, also sollen sie seine Macht zu spüren bekommen. Ich will die Farben, die Freude, den Frieden aller schönen Träume zerstören. Was ich nicht besitzen kann, das soll auch niemand anderer sein eigen nennen."
"Aber ... aber wenn du alles zerstörst, dann wird es niemals wieder schöne Träume geben, keine Farben, keine Freude!" Silvermoon umklammert den Goldenen Kristall und ihren Stab. Langsam wuchs in ihr die Hoffnung, dass noch nicht alles verloren war. "Wer sagt, dass du keine schönen Träume haben kannst? Hast du Helios je danach gefragt? Ist dir nie in den Sinn gekommen, dass man die Alpträume nicht erhalten, sondern auslöschen sollte, damit der Schmerz und die Angst verschwinden?"
Sie konnte erkennen, dass Morpheos die Stirn runzelte. "Mein Reich zerstören? Wie sollte das gehen?"
Silvermoon richtete sich hinter ihrem Stein vorsichtig auf. "Du bist der, der sie bewahrt. Wenn du dich änderst, ändert sich auch dein Reich. Wenn es dich nicht mehr gibt, dann gibt es auch niemanden mehr, der die flüchtigen Schrecken der Alpträume zusammenhält."
"Mich nicht mehr geben? Ich mag mein Leben hassen, aber ich habe nicht vor, mich im ewigen Vergessen aufzulösen!"
Die Idee, die Silvermoon gekommen war, nahm langsam Gestalt an. Sie wagte zwei langsame Schritte in Richtung Wasserfall." Ich habe nicht davon gesprochen, dass du deine Existenz aufgeben sollst", sagte sie.
"Goldener Kristall", flüsterte sie in Gedanken und teilte ihm stumm ihren Plan mit. "Ich weiß, ich verlange viel, aber das ist die einzige Chance. Ist es möglich?" Als Antwort leuchtete der Kristall kurz auf.
"Ich nehme das als ein Ja", murmelte sie leise und machte sich bereit.
"Was meinst du denn dann?", rief der neugierige gewordene Morpheos zu ihr herüber. Er schien vergessen zu haben, dass er sie vernichten wollte, oder wiegte er sie nur in Sicherheit, damit er sie umso leichter in sein Netz bekommen konnte?
Silvermoon sammelte ihre Konzentration. Sie riskierte es, kurz die Augen zu schließen und ihre Gedankenfühler nach ihrer Mutter auszustrecken. "Mama?", sandte sie kurz, "ich brauche dich! Richte die Kraft des Silberkristalles auf den Übergang. Ich muss etwas versuchen und ich brauche ein Kräftereservoir auf der anderen Seite."
"Wir werden alle unsere Kräfte für dich bündeln", sandte ihre Mutter zurück und Silvermoon spürte die Erleichterung der Königin darüber, dass sie immer noch am Leben war. Flüchtig erhaschte sie einen Eindruck von den übrigen Senshi, die sich konzentrierten und ihre Planetenkräfte sammelten. Die Stirnreifen verschwanden und machten leuchtenden Planetensymbolen Platz. Deren Licht strömte auf den Kristall über, der es wiederum, angereichert mit seiner eigenen Kraft und der Macht der Königin, auf jenen Punkt abstrahlte, wo der Übergang zum Traumreich war.
"HAAAAAAAA!" Mit einem Schrei schleuderte Morpheos sein Netz auf Silvermoon. Sie hatte zu lange gezögert und auch ein Sprung zur Seite half nicht mehr. Das Netz hüllte sie ein. Jetzt oder nie. Mit aller verbliebenden Kraft zwängte die schmerzgepeinigte Silvermoon den Arm durch die Maschen des groben Netzes und schleuderte den goldenen Kristall am Drachen und Morpheos vorbei auf den Wasserfall. Es kostete sie alles, die Schmerzen für eine Sekunde auszublenden und mit vorgespielter Gelassenheit ihrer Mutter eine letzte Botschaft zu übermitteln: "Jetzt!"
Dann krümmte sie sich zusammen und wünschte sich nur noch, dass alles endlich, endlich vorbei wäre ...
Sie sah nicht mehr, wie der goldene Kristall die Grenze der Barriere erreichte und genau mitten drin in dem gefrorenen Wasserfall steckenblieb, schwebend zwischen der Realität und dem Traumreich. Auch der Drachenreiter, der begierig darauf wartete, dass das Netz die letzten verbliebenen Farben von Silvermoon aufsog und er darin schwelgen konnte, hatte dem Wurf des Kristalls nicht viel Bedeutung zugemessen.
Tief im Inneren des Drachen verborgen erkannte ein müder, abgekämpfter Pegasus die Chance und sammelte seine letzten Kräfte.
Auf der Seite der Realität hatte eine Königin und Mutter sehr wohl gespürt, was da im Traumreich geschehen sein musste und in ihrer Verzweiflung griff ihr Geist hinaus über Raum und Zeit nach Kristalltokio, wo alle in erwartungsvollem Schweigen ihrer Rückkehr harrten. Ihr Ruf nach Hilfe wurde von einer Welle der Kraft und Liebe beantwortet, zu der alle Versammelten, ob Senshi, ob Katzen, ob Verwandte instinktiv beisteuerten. Der Strom dieser positiven Macht ließ den Kristall, der zwischen den Händen der Königin schwebte, golden erglühen. Die Energie strömte über die Brücke, die der Goldene Kristall zwischen den beiden Welten gebildet hatte, ungehindert in Richtung der sterbenden Silvermoon.
Dann ging alles rasend schnell. Einer enormen Druckwelle gleich fegte die goldene Energie aus dem Wasserfall, schleuderte den Drachenreiter vom Rücken des Untiers und der Drache selbst wurde viele Meter durch die Luft davon gewirbelt. Das Netz, das Silvermoons Farben fast völlig aufgesogen hatte, zerriss. Die Farben flossen in Silvermoon zurück, die von der Welle unbehelligt blieb. Taumelnd kam sie auf die Füße und ergriff ihren Stab. Darauf hatte die Kraft nur gewartet. Sie ballte sich zusammen und bildete eine Faustgroße Kugel aus wirbelndem Licht, die sich genau zwischen den Halbmonden des Stabes plazierte. Staunend hielt Silvermoon den Stab hoch in die Luft. Morpheos, der sich mühsam auf die Beine gekämpft hatte, starrte erschrocken und ungläubig auf die Waffe, die mit einem Mal nicht mehr harmlos und unwirksam war, sondern von der in ihrer Spitze gesammelten Macht geradezu weiß-silbern glühte.
Der Drache kam mit unsicheren Flügelschlägen zurück, aber in seinem Inneren tobte ein Kampf, der es verhinderte, dass er auf die Befehle seines Herrn reagierte. Silvermoon wollte kein Risiko mehr eingehen. Zu lange hatte sie das letzte Mal gezögert.
Sie richtete die Energiekugel auf Morpheos. "Leb wohl, Herr der Alpträume", sagte sie. "Gespinst der Verwandlung!" Statt in mit der geballten Macht zu zerschmettern, sandte der Stab unzählige, Fadendünne Energielinien aus und hüllte den sprachlosen Morpheos ein. Innerhalb eines Atemzuges war von ihm nichts mehr zu sehen, außer einem silbern glühenden Kokon, der sich wie eine Spindel auf der Stelle drehte. Silvermoon wirbelte im Kreis und rief "Metamorphose!"
Der Kokon zersprang in einem Feuerwerk silberner Funken und vor ihr stand nicht mehr Morpheos, der Herr der Alpträume, sondern ein junger, sehr attraktiver Mann, der sie mit großen Augen anstarrte. "Was ...was?" Stammelte er verdutzt.
Silvermoon zwinkerte ihm zu, dann schnellte sie herum, und warf die verbliebene Energie auf den Drachen: "Gespinst der Verwandlung!" Auch der Drache wurde völlig überrascht. Gefangen in dem Kokon plumpste er bewegungsunfähig auf die Erde. Auf Silvermoons Ruf "Metamorphose", hin schrumpfte der Kokon auf einmal und als er zersprang, da stand Pegasus auf wackeligen Beinen mitten im verdorrten Gras.
Ende des 11. Teils
