II.

Harry erwachte morgens um 6 nach zwei Stunden Schlaf. Diese Männer waren nett, aber Rubeus schnarchte seiner Größe entsprechend, während Albus im Schlaf kicherte. Nicht, dass er sonst hätte schlafen können. Aber es war schön, sich der Illusion hinzugeben, wenigstens für einen Moment. Der Illusion, dass andere schuld an seiner Schlaflosigkeit waren, und nicht seine eigenen dummen Gedanken. Harry seufzte und richtete sich auf. Er nahm seine Brille vom Nachttisch und blinzelte, bis sich seine Augen weder eingestellt hatten, deutlich zu sehen. Die anderen Männern schliefen noch. Durch den dunkelgrünen Vorhang kam nur wenig Licht, das anzeigte, dass die dunkelste Stunde des Tages vorbei war. Es reichte, um Harry seine neue Umgebung schemenhaft wahrnehmen zu lassen. Drei Betten, drei Schränke. Drei Stühle um einen Tisch. Alles sehr einfach und sehr sauber. Keine Bilder, keine Blumen, keine Verzierungen. Severus Snape schien nicht nur gegen Haustiere zu sein, sondern auch gegen Gemütlichkeit. Nun, sollte ihm recht sein.

Harry kroch aus dem Bett und reckte sich. Seinen Knochen schien die Nacht in einem Bett gut getan zu haben. Nach seiner Flucht von der "Dark Lady" hatte er ein paar Tage draußen verbracht. Nun, die Tage waren nicht so schlimm gewesen, aber die Nächte ... Es war ein kaltes Land, Deutschland, beinahe so kalt wie England. Und es regnete beinahe so viel.

Harry kratzte sich. Hoffentlich hatte er sich keine Flöhe geholt. Oder Läuse. Er hatte sich tagelang nicht gewaschen, war erst gestern, nachdem er sich entschlossen hatte, es nun doch zu wagen, in das Seemannsheim zu gehen, in ein öffentliches Bad gegangen. Er wollte nicht so verkommen aussehen, wie er war. Sein Mund verzog sich.

Neue Unterwäsche. Ja, er musste waschen. Das wenige was er besaß, musste eben reichen. Luxus. Dinge zum Waschen zu haben. Für das Frühstück mussten seine alten Sachen reichen. Severus würde es nichts ausmachen. Der sah selber nicht so sehr sauber aus. Harry grinste. Was für ein sonderbarer Mann. In seinen komischen Antiklederhosen und dem schwarzen Rollkragenpullover, mit dem weißen mürrischen Gesicht, der langen Nase und den fettigen langen Haaren sah der aus wie ein Existenzialist im Paris der Fünfziger Jahre des 20. Jahrhunderts. Nicht dass er es sich nicht leisten konnte, so enge Lederhosen zu tragen. Für einen so alten Mann hatte er eine gute Figur.

Harry grunzte und zog die Jeans über seien Boxershorts. Jeans waren praktisch. Man sah den Dreck nicht so. Ob Severus deshalb diese altmodischen Lederhosen trug? Was ging es ihn an? Nichts. Er wollte hier seine Ruhe haben, verschwinden von der Welt, wenn schon nicht vom Erdboden. Es hatte ihn nicht zu interessieren, wie irgendwelche Hintern in irgendwelchen Hosen aussahen. So. Harry streifte sein Hemd über, fuhr sich mit der Hand durch die Haare und machte sich auf die Suche nach der Küche.

Severus trug noch die selben Klamotten. Immerhin, auf gesellschaftliche Formen schien er keinen Wert zu legen. Kaffee schien er aber auch nicht kochen zu können. Harry hatte noch nie etwas Scheußlicheres gerochen. Er hätte auch nie gedacht, dass man Kaffee so etwas antun konnte. Er sah sich um in der kleinen Küche hinter dem Aufenthaltsraum. Toast verbrennen konnte er auch. Und nun schlug er Eier auf eine Weise auf, die auch nichts Gutes verhieß. Harry schob die Ärmel seines Hemdes zurück. "Kann ich helfen?"

Snape sah ihn mit einem wütenden Blitzen der schwarzen Augen an. Als Harry in die Küche kam, hatte er ihn nur mit einem Grunzen begrüßt. Er schien auch keine Morgenperson zu sein. Kein Wunder, wenn er diesen Kaffee tatsächlich trank. Seine langen schwarzen Haare hatte er zu einem Zopf zusammengebunden, aber schon fielen ihm erste Strähnen in die feuchte Stirn, die er jetzt ungeduldig wegzupusten versuchte. Harry merkte, dass er starrte. Lange Finger steckten die unverschämten Strähnen hinter ein Ohr. "Wenn du meinst, du kannst es besser. Kannst du kochen?" Die Frage hatte einen leicht verzweifelten Ton.

Harry zwang sich, nicht weiter zu starren. Es waren nur Hände. Und Haare, und fettige noch dazu. Und hochrote Flecken auf weißen Wangenknochen. Nichts, was Starren rechtfertigte. "Wenn dieser Kaffee auch nur annähernd so scheußlich schmeckt wie er riecht, habe ich größte Befürchtungen für die Eier", sagte Harry, verzweifelt um einen leichten Ton bemüht.

Der andere Mann hob eine Augenbraue und sah ihn verächtlich an. "Ach ja? Was sollte denen denn passieren? Die sind tot." Die Hand mit den schlanken Fingern schlug ein weiteres Ei auf, Eigelb und Eiweiß landete zu gleichen Teilen in der Schüssel und auf der Arbeitsplatte, dafür war ein großer Teil der Schale auch in der Schüssel gelandet. Snape knallte das verbliebene Ei auf die anderen. "Ach verdammt." Es klang hoffnungslos und der Mann sank auf einen Stuhl.

Harry starrte immer noch. Dieser Mann schien noch mehr Probleme zu haben als er, mit der Realität fertig zu werden. Mein Gott, es war doch nur ein Frühstück! Mehr zu schlafen als er selber schien er auch nicht, wenn man sein Gesicht betrachtete. Tiefe Schatten um die schwarzen Augen, die wie dunkle Höhlen aussahen. Harry fühlte etwas wie Mutterinstinkt in sich aufwallen und ärgerte sich. Sicher, Potter, immer mitten rein in die Scheisse. Harry Potter, der Retter der Traurigen und Verklemmten. Super.

Er griff nach einer Gabel, um die Schalenreste aus dem Ei zu pulen. "Gut, die Eier sind schon tot, aber das ist kein Grund, dass sie auch ihre Esser töten sollten." Harry war froh, etwas zu tun zu haben, worauf er sich konzentrieren konnte. Sich und seine Augen. Die wollten nämlich immer wieder ausreißen, um zu sehen wie der Mund von Severus war. Den sah er noch nicht vor seinem inneren Auge. Ach verdammt! Er schlug das Ei ein wenig mehr, als unbedingt nötig.

Jemand berührte ihn beinahe. Harry fuhr herum. Snape stand direkt hinter ihm. Er hatte ihn nicht aufstehen hören. Der Mann war so lautlos wie eine Schlange. Nun lauerte er über ihm und sah auf die Eier hinunter, dann warf er ihm einen mißtrauischen Blick zu. Harry fühlte sich unwohl. "Hast du Angst, dass ich ihnen etwas tun könnte? Keine Sorge, sie sind schon tot." Gott, konnte der Mann starren. Darin würde er jeden Wettbewerb gewinnen, selbst gegen seinen früheren Chef. Harry versteifte sich und zwang sich, die Hand ganz ruhig zu halten. Severus' schwarze Augen waren sehr durchdringend. Es ging nicht an, dass er erkannte, wer er wirklich war. Was er wirklich war.

Snape schnaubte und pustete dabei die weichen Härchen auf Harrys Ohrläppchen an. Sie standen sofort zu Berge. Harry zitterte. "Kaffee?", fragte Snape und sah ihn lauernd an. Harry fand sich in der Falle. War das eine Fangfrage?

"Ähm", sagte er. Der andere Mann nahm das als ein ja. Nun gut. Sterben würde er ja nicht direkt daran.

Aber beinahe. Nachdem erstaunlich geschickte Hände den Kaffee in einen Becher gefüllt und ihm hingeschoben hatten, nahm Harry einen Schluck. Sehr sehr vorsichtig. Es genügte, um beinahe zu ersticken. Harry prustete und hatte Tränen in den Augen. Severus' Qualifikation, ein solches Heim zu führen, musste ganz klar woanders als auf der lukullischen Ebene liegen. Vielleicht war er ja gut in handwerklichen Dingen.

Als er sich ein wenig beruhigt hatte, konnte er den anderen Mann wieder erkennen. Schwarze Augen sahen ihn aufmerksam an, wie ein Insekt unter dem Mikroskop. Harry mochte das nicht. "Erstaunlich, dass ein Getränk gleichzeitig so stark und so labberig sein kann. Ich hätte das nie für möglich gehalten", sagte er nachdenklich. Auf der weißen Stirn erschien eine tiefe Falte, ungeduldige Finger strichen wieder eine Haarsträhne hinter das Ohr. "Wenn du meinst, du kannst es besser, Potter, zeig's mir", knurrte der Mann. Harry erschrak. Wie konnte eine Stimme so klingen? Und sowas in ihm auslösen? Den Wunsch, dem Mann zu beweisen, dass er so einiges konnte, und nicht nur beim Kochen. Den, ihn zu erwürgen. Plus den, sich zusammenzurollen und ein wenig unter dem Ansturm der Stimme zu wimmern. Harry entschied sich für die vernünftige Lösung. Diesmal. Er warf dem Mann einen Blick zu, den dieser interpretieren mochte, wie er wollte, und setzte neuen Kaffee auf. Dann briet er die Eier und schnitt Brötchen auf. Dekorierte die Wurst und den Käse, den Snape einfach in den Hüllen bereit gelegt hatte, und deckte die Tische im Aufenthaltsraum mit den Tassen und Tellern, die Snape auf einem Sideboard abgestellt hatte. Er sah sich nach Blumen um, um das Ganze ein wenig freundlicher zu machen, aber so etwas gab es hier natürlich nicht.

Snape hatte geschwiegen. Zumindest sein Mund. Die schwarzen Augen hatten Harry nicht losgelassen. Mißtrauisch aufs äußerste hatten sie jede Bewegung analysiert. Harry machte das nicht viel aus. Im Vergleich zu seinem letzten Chef war das harmlos. Mit Schauen konnte er fertig werden. Er ging wieder in die Küche und goss zwei Tassen des frisch aufgebrühten Kaffees ein. Eine reichte er Snape. Ihre Finger berührten sich. "Schwarz?", fragte Harry. Er war dankbar, dass ihm nur diese blöde Frage entkommen war. Der andere Mann nickte. Klar. Was sonst. Harry nahm einen Schluck und hätte sich fast verbrannt, da seine Augen immer noch auf den schwarzen vor sich ruhten. Aber immerhin – diesen Kaffee konnte man trinken. Kein Wunder, er kochte ja auch schon welchen, seit er stehen konnte und an die Kaffeemaschine heranreichte.

Snape bedeutete ihm mit einer Kopfbewegung, ihm zu folgen. Harry hatte nichts entgegenzusetzen. Sie ließen sich an einem der von Harry gedeckten Tische nieder, und Snapes Augen glitten über das Bild, das der gedeckte Tisch bot. Harry schluckte. Hatte er sich zu weit vorgewagt? Hätte er dem Mann nicht alles aus der Hand nehmen sollen? Er war ein Idiot. Snape machte sicherlich nicht den Eindruck, als würde er gerne übertrumpft. Nun ja. Er hatte es nur gut gemeint. Zumindest mit seinem Magen.

Harry sprang auf und holte das Rührei. Er verteilte es auf die Teller, immer noch beobachtet von den starren schwarzen Augen. Wie lange konnte der Mann eigentlich gucken, ohne zu blinzeln? Und wie lange konnte er schweigen? Das war wirklich unheimlich. Wie eine – Schlange. Harry schluckte wieder. Ohne Rührei. Die Erinnerung an Schlangen war seinem Appetit nicht gerade hilfreich. Er polkte in dem Ei auf seinem Teller herum. Und sah wieder auf. Snape öffnete seinen Mund und führte etwas Ei heran. Die dünnen Lippen schlossen sich langsam wieder. Harry schluckte trocken. Obszönität am Morgen, die dadurch nicht besser wurde, dass nur er sie bemerkte. Der Mann dachte sich sicher nichts dabei. Aber es war einfach nicht fair, dass sich auch sein Hals beim Kauen so unanständig bewegte.

Harry sah weg und nahm auch einen Bissen Ei. Doch, es ging. Sein Appetit war noch immer wiedergekommen, nach einer Kindheit, in der er beinahe verhungert wäre. Er sah wieder auf, beinahe triumphierend, weil er es gemeistert hatte. Er hatte sich nicht ablenken lassen. Die dünnen Lippen bewegten sich wieder. Harry erstarrte. "Suchst du einen Job?", fragte die seidenweiche Stimme so leise, dass Harry sich vorbeugen musste, um sie besser zu hören. Er nickte wie in Trance. Wie machte der Mann das? "Dann hast du ihn", sagte die Stimme wieder und Harry fühlte sich grinsen. Die schmalen Lippen zuckten.