XIII.

Severus fühlte die Kälte durch seine Knochen kriechen. Durch seine Venen, seine Adern, in jede einzelne Pore. So war das also. Harry – und – Lucius.

Er hätte es sich ja denken können. Solche Perfektion war nicht für ihn. Niemals. Noch nie gewesen.

Aber – halt. Er zwang sich zu atmen. Etwas stimmte hier ganz und gar nicht. Das Bild vor ihm entsprach zu sehr dem inneren Bild, das er seit seiner Jugend mit sich führte, als dass er auf die Einzelheiten geachtet hatte. Sein Liebhaber, seine neue Liebe in den Armen eines Anderen. Seines alten Liebhabers, der ihn unter denkbar ungünstigen Umständen damals verlassen, verstoßen, verkauft hatte, was sein Leben in eine andere Umlaufbahn katapultiert hatte. Die ihn hierhin geführt hatte. Wo er sich wieder am Ausgangspunkt wähnte. Einsam, verlassen, verhöhnt, verlacht. Einsam. Der Verlierer. Der hässliche dunkle bittere gescheiterte – Übrigbleiber. Wieder einmal.

Nein. Severus blinzelte. Das Bild vor ihm verschwamm und nahm andere Konturen an. Harry ging nicht freiwillig, seine ganze Körperhaltung zeigte den Horror, den er in der Gegenwart des anderen Mannes fühlte. Er sah aus wie jemand auf diesen alten Bildern – die Könige die zum Schafott geführt wurden. Hoffnungslos aber mutig. Gebeugt aber nicht gebrochen. Was für ein Blödsinn.

„Du entschuldigst uns, Severus", die Stimme von Lucius klang nur ein klein wenig triumphierend. „Ich werde jetzt Mr. Potter der Gerechtigkeit zuführen". Severus blieb stehen wo er war. Mitten im Weg. Bewegungslos. Nur seine Augen zeigten, dass er noch lebte. Lucius seufzte theatralisch auf. „Dass du auch immer so stur sein musst, Sev. Ausdauer ist ja was Feines und ich wusste sie – seinerzeit – durchaus zu schätzen, aber das geht nun doch ein wenig zu weit. Du hast doch gehört: Mr. Potter will mit mir gehen. Warum kannst du nicht einsehen, dass du verloren hast? Das konntest du übrigens noch nie."

Severus' Augenbraue zuckte, aber er bewegte sich nicht. Er stand und starrte. In Lucius' Haltung änderte sich etwas. Severus meinte zu spüren, wie die scheinbar joviale Haltung von ihm abfiel. Er wurde nun ganz er selbst. Ein gefährlicher Mann, der vor nichts zurückschreckte, um zu bekommen, was er wollte. Und um loszuwerden, was er nicht mehr wollte.

Und dann passierte sehr viel gleichzeitig. Severus spürte mehr als dass er sah, wie Lucius sich bewegte, als würde ihm nicht ein Glied fehlen. Sondern als sei er vollkommen, heil und geschmeidig und gefährlich wie ein Panther. Ein Panther mit einer schimmernden weißen Mähne - irgend etwas in Severus' Kopf war mit dem Bild nicht zufrieden, aber das hielt ihn nicht davon ab, in das Messer zu greifen, das Lucius aus seinem Stock gezogen hatte und an Harrys Kehle setzen wollte. Hielt ihn nicht davon ab, das Messer zu greifen und ungeachtet der Schmerzen Lucius zu sich heranzuziehen, wie in einem Tanz, einer Pantomime, ihn an sich zu ziehen, bis seine Nase in der Masse weißen Haares ruhte und mit dem anderen Mann einen stummen erbitterten Kampf um das Messer auszufechten, den er nur um Haaresbreite gewann. Er hatte das Messer und er hatte Lucius, aber sein Arm, der um Lucius' Kehle geschlungen war und die Luftzufuhr des Mistkerls abschnürte, zitterte. Und wurde schwächer.

Grüne Augen blitzten auf. Das wurde auch Zeit. Harry nahm das Messer, Lucius' Stockmesser, als Severus es fallen ließ. Und hielt es ohne mit der Wimper oder sonst etwas zu zucken an die Stelle, wo bei Menschen das Herz schlug. Severus hätte gelacht, wenn er die Kraft dazu gefunden hätte. Er merkte, dass er nicht mehr lange durchhalten konnte. Sein Körper sehnte sich danach, niederzusinken. Gegen die Tür und weiter nach unten, auf den Boden. Weicher schöner Boden. Seliger Schlaf.

„Severus". Wieso sprach Harry so mit ihm? So – laut? So – scharf? Was fiel dem Bengel ein? Er bewegte seine Lippen, um ihn zu ermahnen, aber kein Laut kam. Na, auch egal. Er wollte jetzt auch eigentlich gar nicht böse sein. Nur seine Ruhe, die wollte er haben. Himmlische selige Ruhe.

„Severus". Gott, gab dieser Bengel denn nie auf? Wieso klang er nun so verzweifelt? Severus wollte beruhigend über den Kopf streicheln, den er hielt. Er stutzte. Wenn er sich recht erinnerte, hatte der Junge strubbeliges schwarzes Haar. Doch, er erinnerte sich ziemlich genau, wie es sich an jeder Stelle seines Körpers angefühlt hatte. Nicht so wie dies. Dies Haar war seidig, fein und lang. Und weißblond. Irgend etwas stimmte hier nicht. Er wollte etwas sagen, etwas fragen, aber er kam nicht mehr dazu. Er war weg.