XVII.
Severus richtete sich auf, und erdolchte die Ratte mit Blicken. Sie ließ sich nicht stören und rannte unter das Bett, in dem er und Harry nicht lagen, der Junge jetzt mit riesengroßen aufgerissenen Augen, als ob er sich nicht entscheiden könnte, hysterisch zu schreien oder zu lachen. Severus fühlte seine Mundwinkel zucken und sah zur Tür. „Rubeus, komm sofort hier und hol dieses Vieh, oder ich schwöre dir, ich mache Hackfleisch daraus und serviere es dir zum Abendessen."
„Na na, Severus", erklang die Stimme vom alten Albus, aber sie klang so würdevoll, dass es Snape komisch vorkam, ihn so zu nennen. Er wirkte sehr alt und sehr weise und voll der ganzen Trauer der Welt, als er jetzt hereinkam, gefolgt von einem verlegenen Hagrid, der unter das Bett kroch und nach der Ratte suchte. „Du würdest doch Hagrid nicht vergiften wollen. Harry kocht doch viel besser als du". Und voll Hinterlist und Lachen, stellte Snape ergrimmt fest und wickelte sich fester in das Bettzeug. Er fühlte sich in der unterlegenen Position, nackt und verschwitzt, von anderen Körperflüssigkeiten ganz zu schweigen, kurz nach der Tat ertappt von angezogenen Männern, die über ihm standen. Wieso taten sie das überhaupt?
„Raus hier", brüllte er mit aller Kraft. „Was habt ihr hier verloren? Wie könnt ihr in mein Zimmer kommen, ohne anzuklopfen? Ihr habt euch alle Störungen eurer empfindlichen Gefühle selbst zuzuschreiben". So. Er starrte Hagrid und Albus an. Die Unverschämtheit mancher Leute war wirklich unbeschreiblich, aber er war der Herr hier, verdammt noch mal. Auch grad gefickt und nackt im Bett usw. – dies war immer noch sein eigenes Zimmer, und da konnte er tun, was er wollte, und wenn diese beiden nicht gleich verschwanden, dann setzte es aber was.
Albus sah ihn mit so etwas wie Mitleid an. „Ich fürchte nicht, Severus", sagte er ruhig und völlig unbeeindruckt von Snapes Ausbruch. Er nahm sich einen Stuhl und setzte sich vor die Matratze, auf der Snape und Potter lagen. Hagrid hatte die Ratte eingefangen, murmelte Entschuldigungen und setzte sich mit verlegenem Grinsen auf den Boden. Das was man von seinem Gesicht sah war hochrot. ‚Geschieht ihm gerade recht', dachte Snape gehässig. ‚Ich wette, er ist Jungfrau. In jeder Hinsicht.'
Severus wurde durch seltsame Bewegungen an seiner Seite von seinem rechtschaffenen Zorn abgelenkt. Er sah Harry an und seine Mundwinkel hoben sich widerwillig. Natürlich senkte er sie sofort wieder. Der Junge war anscheinend das Opfer so widerstreitender Regungen wie schamvoll im Bett versinken und einen hysterischen Kicheranfall bekommen geworden. Das Ergebnis war ein Schluckauf, wie er ihn seit den Zeiten des alten Seebären Tom Sawyer nicht mehr gehört hatte.
„Tu dir keinen Zwang an, Potter", sagte Severus, und wusste doch, dass sein Versuch, Würde zu bewahren, in dieser Gesellschaft zum Scheitern verurteilt war. „Schüttel das Bett nur anständig durch, und mich gleich mit, soviel es dir Spaß macht." Wie vom Donner gerührt konnte er gerade noch verhindern, dass ihm der Unterkiefer hinunter fiel. Harry war hochrot angelaufen, und die Mischung aus schrillem Kreischen und Schluckauf war nicht besonders attraktiv. Jemand sollte dem Burschen das mal sagen. Irgendwann.
Severus bemühte sich nicht, nicht rot zu werden. Er wurde nicht rot. Verdammt. Er wandte sich Albus zu. „Gibt es einen speziellen Grund für deine Unverschämtheit, Albus, oder nur den, dass du mir das Leben zur Hölle machen willst? Was kann ich für dich tun – so?" Er deutete mit großer Geste auf das Bett, das Zimmer und den ganzen Rest.
Die blauen Augen zwinkerten, aber irgendwie nicht so humorvoll und nahezu senil wie Severus es sich angewöhnt hatte, sie zu sehen. „Du könntest mir beispielsweise danken, Severus", sagte der Alte mit stiller Würde, die Severus bisher nie als sein Markenzeichen betrachtet hätte. „Wenn ich auch verstehen kann, dass du durch die Anwesenheit von Harry ein wenig abgelenkt warst, kenne ich dich zu gut, um zu glauben, dass du Lucius und den Kampf mit ihm vollkommen vergessen haben könntest. Und du möchtest sicher wissen, wie du gerettet wurdest und was nun mit Lucius ist".
Severus sah sehr unangenehm berührt aus, als habe er gerade etwas über sich erfahren, das nach all den schlimmen Dingen, die er schon über sich wusste, noch eine Überraschung war. Er merkte, dass das Bett nicht mehr bebte und Harry ihn von der Seite ansah. Aha, der also auch. Nicht.
Er wandte sich wieder Albus zu. „Natürlich habe ich das nicht vergessen." Verdammt, warum klang seine Stimme so – ausweichend. So – schuldig? Jemand musste einen schlechten Einfluß auf ihn haben. „Es gab nur zunächst Dringenderes zu tun." Nein er wurde nicht rot. Das war ein Ding der physischen Unmöglichkeit. Das Bett begann wieder leise zu beben. Er bewegte sich blitzschnell und warf einen seiner tödlichsten Blicke auf Harry. Dass der Junge ihn in wenig würdevollen Lagen gesehen, ja erlebt hatte, gab ihm noch lange nicht das Recht, sich über seine Schwächen lustig zu machen. Das fehlte ihm noch.
„Ich verstehe", sagte Albus milde und strich sich durch den Bart, den er heute offen trug. Er sah noch viel älter, aber nicht ganz so verrückt aus wie sonst. „Ja, ich verstehe. Gerade wenn man Eurer beider Geschichte bedenkt ...".
Severus sah schon wieder rot. „Entschuldige mal bitte, Albus. Ich weiß, dass du älter als Gott bist, aber von unserer Geschichte, wie du es zu nennen beliebst, weißt du doch überhaupt nichts. Misch dich nicht immer in Dinge ein, die dich nichts angehen. Verdammt noch mal."
Hagrid war aufgestanden, wie um sich schützend vor Dumbledore zu stellen. Nicht dass Severus aus seiner Position auf der Matratze viel hätte unternehmen können. Nicht dass er hätte wollen. Er würde doch nicht einen alten Mann schlagen. Nicht wenn er nicht noch sehr viel einmischender, aufdringlicher, nervtötender würde als er war. Nun, nicht sehr viel, genaugenommen.
Auch Hagrid wirkte irgendwie anders, fiel Severus jetzt auf. Durch die Ratte war er vorhin abgelenkt gewesen. Hagrid wirkte nahezu ernst, von stillem Eifer erfüllt, und er sah Albus mit so viel Zuneigung und wachsamem Stolz an, dass Snape ganz flau wurde. Mein Gott, dachte er, sah er denn nur noch Beziehungen, wo er auch hinsah? Wo sollte das hinführen? Er musste etwas an den Augen haben.
Hagrid setzte sich auf ein Zeichen von Albus wieder, und Severus kam sich nicht mehr ganz so klein und hilflos vor. Albus hielt seine Hand erhoben, und Severus wollte verdammt sein, aber es wirkte respektheischend. Widerwillig hielt er den Mund und wartete. Albus würde alle Mühe haben, sich hier herauszureden. Und was meinte er mit Dankbarkeit? Es war doch komplett albern, anzunehmen, der alte Mann habe sie gerettet. Severus reckte sein Kinn und versuchte, seine Finger übereinander zu stapeln, in der altbekannten einschüchternden Weise, aber sie gehorchten ihm nicht. Richtig, der Verband.
Dumbledore sah ihn mit einem Blick an, der mit Milde überzogen, aber darunter stahlhart war. Dann wanderten seine Augen zu Harry. „Ich muss mich zunächst bei dir entschuldigen, lieber Junge. Wir haben dich benutzt, um an Malfoy heranzukommen. Es tut mir leid, wenn es für dich mit Unannehmlichkeiten verbunden war".
