XVIII.

Harry zwinkerte. Entschuldigen? Unannehmlichkeiten? Wovon in alles in der Welt redete Albus? Verwirrt sah er den alten Mann an und erstarrte. In den klaren blauen Augen konnte er all seine Sünden sehen. Seine Sünden, und die Tatsache, dass er nur ein winzig kleines Rädchen in einem Plan war, den er nicht begreifen konnte, der viel zu groß war, um von einem Menschen begriffen zu werden. Harry fühlte sich überwältigt und für einen Moment ganz klar und dankbar. Voller Freude und Erhabenheit. Ja, das war der Sinn des Lebens, endlich hatte er verstanden.

Abrupt fiel er wieder. Eine Woge von Wut überschwemmte ihn, so stark, dass es ihn schüttelte. Ihn wurde übel, und vor seinen Augen loderte es rot auf. Ungeachtet seiner Nacktheit, Albus' Alter und allem, was ihm heilig war, machte er sich auf, von der Matratze zu springen und etwas zu tun. So genau wusste er nicht was. Aber er musste etwas tun. Jemand verletzen. Jemand dazu bringen, dass er sich so fühlte wie er selbst. So schlecht. So hilflos. So benutzt.

Eine starke Hand hielt ihn wie in einer Eisenklammer. „Mach dich nicht lächerlich Albus", sagte die kalte Stimme von Severus Snape. „Was willst du denn damit sagen?"

Harry sackte in sich zusammen. Ja. Vielleicht sollte er erst mal abwarten, was Albus zu sagen hatte. Er konnte doch unmöglich das meinen, was er verstanden hatte?

Die blauen Augen nahmen einen mitleidigen Ausdruck an. „Ich will sagen, dass wir lange darauf geartet haben, Lucius Malfoy zu erwischen. Und nun ist es uns endlich gelungen."

Harry sah Snape an, Snape sah Harry an. In beider Augen zeigte sich komplettes Nichtverstehen, auf der einen Seite gepaart mit Verachtung für alles und nichts, auf der anderen Seite mit großäugiger Aufregung. Nahezu Hyperventilation. Aber der Blick von Severus kühlte Harry zumindest so weit ab, dass er Albus wieder anschauen konnte, ohne den Wunsch zu verspüren, die Geschichte aus ihm rauszuwürgen. Mit den Händen um seinen Hals.

Wenn man sehr gutartig gesonnen war, konnte man annehmen, dass Albus sich ein wenig schämte. Harry fühlte sich nicht besonders gutmütig, aber ein wenig Verlegenheit stand dem Alten wirklich. Andererseits war das vielleicht auch nur wieder Manipulation, damit er, Harry, sich nicht so aufregte, wie es ihm rechtmäßig zustand, nach dem, was er hier erfuhr. Was hatte er eigentlich erfahren?

„Es tut mir leid, dass wir so spät kamen, dass Ihr verletzt wurdet. Lucius hat ein Ablenkungsmanöver gestartet, auf das wir leider reingefallen sind. Zunächst". Harry folgte Dumbledores Blick auf Hagrid, der sehr rot geworden war. Wollte er das eigentlich wirklich wissen? Konnte er es jetzt noch verhindern, es zu erfahren? Er hatte plötzlich das Bedürfnis, weg zu rennen. Weit weg. Aber nein. Das ging ja nicht. Seine Gedanken würde er immer mitnehmen, wohin er auch ging. Und jetzt war es so weit gegangen, nun musste er die ganz Wahrheit erfahren. Doch. Außerdem war Severus hier. Und vor dem wollte er doch nicht wegrennen? Als hätte der andere Mann seine Gedanken gespürt, verzog sich sein Gesicht. Auf eine sehr ungute Weise. Nein, das galt Albus.

„Entschuldige Albus, ich glaube, ich muss mich verhört haben", sagte Snape jetzt mit einer Stimme, die so eisig war, wie Harry sie noch nie gehört hatte. Ihm liefen kalte Schauer über den erhitzten Rücken, was eine sehr prickelnde Mischung ergab, und er war froh, dass diese Stimme nicht auf ihn gerichtet war. „Hast du gesagt, du wusstest, dass Lucius herkommt? Und hast mich nicht gewarnt? Bist du völlig durchgeknallt?"

Harry schluckte. Da war etwas zwischen Severus und Albus, etwas Uraltes, soviel Gefühl. Wie lange kannten sich diese beiden? Und was verband sie? Das hatte er sich bisher nie gefragt. Er hatte sich überhaupt nicht viele Gedanken um die anderen Männer gemacht, fiel ihm jetzt auf. Er hatte eigentlich immer nur über seinen eigenen Gedanken, ihn und sein Unglück, später ihn und Snape, betreffend, gebrütet. Harry fühlte sich ein wenig beschämt.

„Ja, ja und nein, Severus", sagte Albus jetzt mit ernster Stimme und sah den anderen Mann dabei voll an. Weise und sehr sehr gesetzt. Doch dann brach wieder das altbekannte Zwinkern durch. „Jedenfalls nicht mehr als sonst, zu deiner letzten Frage." Harry konnte spüren, dass Severus mit den Augen rollte. „Wie habt ihr mich benutzt?", fragte er schnell, wo grad die Gelegenheit war. „Und wer ist ‚ihr', wo wir schon dabei sind?" Albus öffnete den Mund, um zu antworten, womöglich, doch Severus hob gebieterisch die eingepackte Hand, deren Verband ein eindrucksvolles rosa Schimmern aufwies – die Bewegung war wahrscheinlich doch zu viel gewesen, dachte Harry schuldbewusst – und sagte: „Entschuldige, Potter, aber wir waren hier noch nicht fertig. Warum Albus, hast du mich nicht gewarnt? Und woher hast du deine Informationen? Wieso hast du mich benutzt, mal wieder? Ach vergiss die Frage. Warum tust du überhaupt irgendwas? Warum jetzt?"

Severus sackte zusammen. Harry sah ihn erschrocken an. Snape war ganz weiß geworden und auf seiner Stirn standen Schweißperlen. Er atmete in Stößen. Doch als Harry sich ihm zuwenden wollte, wurde er unwirsch weggewinkt.

Nun spürte Harry, wie die Wut sich wieder in ihm regte. Auf die ganze Situation, Albus, Severus und am allermeisten auf seine eigene Unwissenheit. Aber die wollte er zumindest ändern.

„Wie nun, Albus?", fragte er und versuchte sich unbewusst an einem Snapeschen Ton. „Wen hast du nun benutzt? Snape oder mich?" Snape machte ein schnarrendes Geräusch. „Das ist keine Frage, Potter. Wie ich den alten Einmischer kenne, hat er uns beide benutzt. Und wahrscheinlich sogar Lucius. Hab ich recht?" Er starrte Albus auf eine Weise an, die Harry ungehörig erschien, einem so netten alten Mann gegenüber. Harry fasste sich an den Kopf. Wie konnte er so etwas denken? Netter alter Mann, das war einmal. Und was wirklich war, das würde sich erst noch herausstellen. Hoffentlich.

„Noch nicht", sagte Albus jetzt. Und Severus sackte wieder in sich zusammen. „Ich hab's gewusst".

„Was?", sagte Harry und merkte erst, als das Wort raus war, dass er geschrien hatte. „Was, verdammt noch mal weisst du? Und dürfte ich jetzt bitte auch endlich was erfahren?" Er atmete schwer. Verdammt noch mal. Jetzt langte es. Diese Männer behandelten ihn wie ein Kleinkind, das man besser nur sah und nicht hörte. Nein, nicht einmal ansehen taten sie ihn. Und seine Frage ging im Weißen Rauschen zwischen den beiden anderen Männern unter.