XIX.
Severus kniff die Augen zusammen, wie ein Jäger, der die Spur aufgenommen hatte. Albus würde ihm jetzt nicht so einfach davon kommen. Erst würde er ihnen alles erklären, das war klar. Er hätte dies Gespräch lieber nach seinen Regeln und ohne Harry geführt, aber das ging nicht. Ging nie bei Albus. Und Severus ahnte, dass Harry so sehr ein Teil dieser ganzen Angelegenheit war, dass er ihn nicht schützen konnte. Er schnaubte. Lächerlicher Gedanke, sowieso.
„Ich würde vorschlagen, Albus, dass du einfach der Reihe nach erzählst. Ohne dass jemand ständig unterbricht." Hier warf er Harry einen ätzenden Blick zu. Natürlich begehrte der Junge auf, und zu Recht, wenn er mal ehrlich sein wollte. Aber er hatte genügend Macht über ihn, um ihn mit einer Geste zum Schwiegen zu bringen. Gut. Severus lächelte. „Hinterher ist immer noch Zeit genug, um sich aufzuregen. Denke ich". Gut, das konnte man nie wissen. Ob sie die Rede von Albus überleben würden. Und wenn seine Ahnung, und die Andeutung des Alten nicht trogen, war diese Geschichte, wie auch immer sie aussah, noch nicht zu Ende. Sie warteten auf das – eigentliche Wild. Severus' Lippen kräuselten sich beinahe ohne sein Zutun.
Ein viel angenehmeres Lächeln kräuselte die papierenen Lippen des alten Mannes. „Was ist der Anfang, Severus?" Seine Stimme klang milde, aber die blauen Augen waren scharf. „Siehst du es als meine Aufgabe, in diesem Kreis zu erzählen, wie Lucius dich in die Sklaverei verkauft hat?"
Severus fühlte, wie sein Hals sich zusammenzog und ein übler Geist an seinem Mund zerrte. „Woher weißt du das?" Die Augenbraue des alten Mannes zuckte. „Ich weiß leider sehr viel, mein Junge, auch Dinge, die ich lieber nicht wüßte."
„Was?", schrie Harry mit ein wenig Verspätung. „Sklaverei? Du? Lucius? Wie – so?" Grüne ungläubige Augen sahen Severus und Albus im Wechsel an. Snape seufzte aus. „Ich dachte, wir hätten uns geeinigt, dass wir nicht dazwischenreden, Potter. So wird diese Geschichte nie ans Ende kommen, und ich weiss nicht, wie viel Zeit wir haben". „Du hast angefangen", schrie Harry empört. „Außerdem – wieso wieviel Zeit? Wenn Lucius" – er hatte Schwierigkeiten, den Namen auszusprechen, und Severus erinnerte sich an den Blick, mit dem der Junge an Malfoy gehangen hatte, und etwas in ihm zog sich zusammen – „wenn Malfoy gefangen ist, wo auch immer, wie auch immer, dann ist doch alles okay. Oder?" Er sah so jung aus, dachte Snape mit Ingrimm. „Oder?" Leiser kleiner hilfloser die Stimme. Severus schüttelte den Kopf. Auch wenn er den Wunsch verspürte, den Jungen zu schütteln, oder ihm durchs Haar zu fahren, oder ihn zu küssen, er begnügte sich mit Kopfschütteln. Das war eine sichere Geste.
„Potter, Potter, Potter", sagte er dann. „In deinem hübschen Köpfchen verbirgt sich jede Menge, aber zielgerichtetes Denken gehört nicht dazu, oder?" Entzückend wie rot der Junge werden konnte. Rot und blaß und wieder rot. Sehr unterhaltsam, wenn man denn Zeit gehabt hätte. Jetzt öffnete sich der Mund auch noch, beinahe wie bei einem Karpfen, dachte Snape liebevoll. Nun, er wußte ja, zu was dieser Mund fähig war. Blödsinn zu blubbern, wie es schien, gehörte auch dazu. Mit einer Geste unterbrach Severus das Wutgestammel.
„Lucius hat dich zum Beispiel eines Mordes bezichtigt, Harry", sagte er als das Stammeln verstummt war. „Und du hast dem zugestimmt. Das ist nicht einfach aus der Welt, nur weil Lucius nicht mehr in der Lage ist, dich zu verfolgen. So gerne manche unter uns das auch wollen würden." Gut, er war brutal. Der Junge sah völlig zusammengebrochen aus. Aber es machte doch keinen Sinn, die Realität zu meiden, oder? Nun, doch, vielleicht, manchmal, aber die Chance hatten sie schon gehabt. Bis Albus gekommen war.
„Ruhe", sagte der jetzt mit einer Stimme, die Severus noch nie an ihm gehört hatte. Sie hätte eine ganze Halle schnatternder Kinder zur Ruhe gebracht. Severus merkte, dass er ebenso würdelos wie Harry starrte. Zumindest seinen Unterkiefer konnte er wieder anheben. Er tat es.
„Wie Severus schon ganz richtig gesagt hat, haben wir nicht viel Zeit", sagte der alte Mann. Hagrid sah sich unruhig um, und Severus konnte erkennen, dass er unter dem fürchterlichen Mantel nicht nur die Ratte, sondern auch mehrere Waffen verborgen hielt. Mit hochgezogener Braue sah er ihn an. Rubeus erwiderte den Blick ohne Zögern, er wurde nur ein wenig rot, sah aber sehr von seiner Wichtigkeit beeindruckt aus. Snape schauderte leise.
„Also ist es wohl am besten, wenn ich die Geschichte wirklich ohne Unterbrechung erzähle, so wie sie sich mir darstellt. Hinterher könnt Ihr dann fragen oder Eure Punkte erläutern. Habe ich mich klar ausgedrückt?" Unter buschigen weißen Augenbrauen sahen die blauen Augen sehr ernst und eindrücklich aus und Severus war wider Willen beeindruckt. Er fühlte sich 20 Jahre jünger, und nicht in einer guten Art. Nun, kein Wunder, bei dem, was der alte Mann gleich erzählen würde.
„Lucius Malfoy ist Erbe eines uralten Geschlechts, das in der Seefahrerei einen großen Namen hat und ein Vermögen verdient hat." Der Alte sah die beiden Jüngeren an, und Severus rollte mit den Augen. Ja ja, Adam und Eva, klar. „Leider ist er auch ein völlig skrupelloser Verbrecher der vor nichts zurückschreckt und seinen nicht unbeträchtlichen Ehrgeiz darein setzte, das Familienvermögen mit allen Mitteln zu vergrößern. Mit wirklich allen Mitteln. Und so wurde er einer der größten modernen Piraten an der Spitze eines Imperiums."
Severus und Harry sahen sich an. Der Junge wirkte erleichtert. Du großer Gott. Hatte er wirklich immer noch gedacht, Lucius wäre ein Guter, der nur ein wenig aufdringlich war? Oh bitte.
„Er handelt mit allem. Drogen. Waffen. Menschen. Es gibt nichts, was er nicht kauft und verkauft. Auch ehemalige Freunde."
„Die besonders gern. Und du kannst es ruhig aussprechen. Freunde bedeutet zumindest in meinem Fall Liebhaber". Albus hatte eine Pause gemacht, oder nicht? Seine Stimme klang bitter, das wusste Severus, aber er konnte es nicht ändern. Er hasste sich immer noch dafür, einmal jung und dumm genug gewesen zu sein, um auf Lucius reinzufallen. Und er hätte Harry diese Geschichte gern unter anderen Umständen erzählt. Allein. Oder überhaupt erspart. Doch. Eher noch das.
„Also gut. Liebhaber. Er handelt mit Ost und West, Nord und Süd, und er betrügt alle. Er ist nicht zu fassen. Oder war es sehr lange nicht." Nachdenklich sah Albus auf Harry. Der rot wurde. „Was habe ich damit zu tun? Wieso ausgerechnet jetzt? Und du hast immer noch nicht gesagt, wer ‚wir' ist." Nachdrücklich senkte sich das kleine Kinn. Severus war beeindruckt. Albus lächelte nur. Der alte Sack.
„Hast du dich nie gefragt, warum du den Job auf der „Dark Lady" doch noch bekommen hast? Eigentlich war er doch schon vergeben." Der alte Mann lächelte gütig. Severus hätte ihn umbringen können. Wenn das wahr war, was er vermutete, würde er es auch tun. Sobald Albus zu Ende erzählt hatte.
Harry war wieder bleich. „Nein, eigentlich nicht. Und ich bin nicht so sicher, dass ich es jetzt hören will." Albus lächelte milde und Severus versuchte wieder, seine Hände zu verschränken. Wieder ging es nicht.
„Und ich möchte es dir eigentlich nicht sagen, Harry", sagte der Alte, als sei er ein mitfühlender weiser Mann, der nur das Beste für alle wollte. „Aber du musst die Wahrheit erfahren, damit du verstehst." Severus stöhnte. „Die Wahrheit? Was für eine Wahrheit? Die Wahrheit nach Albus Dumbledore? Oh bitte".
„Ja genau". Albus sah Severus nur an. „Ich erzähle die Geschichte, darauf hatten wir uns doch geeinigt?!" Severus schnaubte nur wieder. „So werden wir nie fertig". Severus konnte dem einen kleinen Wahrheitsgehalt nicht absprechen. Also schwieg er. So schwer es ihm fiel.
