Kapitel 19:

Piccolo starrte ihr noch eine ganze Weile hinterher. Sie war längst hinter der großen Eingangstür von Gottes Palast verschwunden, befand sich wahrscheinlich sogar schon in ihrem Zimmer, als er endlich den Blick senkte und seine verwirrten Gedanken zu ordnen begann.

Was war jetzt schon wieder gewesen? Warum war sie einfach davon gelaufen? Gerade jetzt?

Er wusste nicht, warum er sich das fragte. Das einzige, was er wirklich wusste, war, dass sie beinahe etwas getan hätten, was alles verändert hätte. Und er war enttäuscht, dass es nicht dazu gekommen war. Langsam schlich sich jedoch noch ein anderes Gefühl hinzu, Wut.

Warum musste sie immer alles kaputt machen? Jedes Mal, wenn er dieses eigenartige Gefühl von vor wenigen Augenblicken verspürte, war sie es, die entweder durch Worte oder durch Taten, die Stimmung zerstörte und dieses Gefühl auslöschte.

Das eigenartige war, dass er genau darüber wütend war....

Nicht darüber, dass sie dieses Gefühl bei ihm auslöste, sondern darüber, dass sie es wieder verschwinden lassen konnte. Er war nicht wie früher frustriert, dass er sich dann nicht mehr unter Kontrolle hatte, sondern darüber, dass er die Kontrolle viel zu schnell wieder gewann.

Sonst war er immer jemand gewesen, der alle Fäden selbst in der Hand haben wollte, der fast immer einen kühlen Kopf bewahrte aber jetzt...

Es war anders, einerseits beängstigend und andererseits auch angenehm. Niemand anderes würde je in ihm dieses Gefühl auslösen und niemand anderes würde je so tief blicken dürfen, wie sie es konnte, dessen war er sich schmerzhaft bewusst geworden. Nicht einmal Garlic Jr. hatte es damals geschafft, ihn zu kontrollieren und plötzlich kam irgendein Mädchen herbei und konnte in ihm lesen, wie in einem offenen Buch. Dass Dune nicht als ein normales Mädchen bezeichnet werden konnte, ließ er gekonnt aus, aber er glaubte fest daran, dass diese Fähigkeit nicht von ihrer Abstammung her rührte, sondern, dass einzig sie dazu in der Lage war.

Frustriert schnaufend lief er zum Rand der Plattform und starrte in die Tiefe. Dicke Gewitterwolken schwebten unter dem Palast Gottes und ließen den Himmel beinahe wie ein Meer aus grauem Schlamm wirken. Wahrscheinlich tobte darunter ein heftiger Storm, der Bäume bog und Ziegel davon wehte, als wären sie Blätter einer Eiche. Aber das war ihm egal. Schon im nächsten Augenblick war er abgesprungen und schwebte dem Boden entgegen. Er musste sich über einiges klar werden... und vor allem musste er überlegen, was er als nächstes zu tun gedachte.

Dune saß auf ihrem Bett und grübelte. Darüber, was beinahe passiert wäre und darüber, was sie gesehen hatte. *Warum musste es ausgerechnet in diesem Moment passieren? Ich hätte nicht davon laufen sollen... Ich habe alles vermasselt und das alles nur, weil ich so ängstlich bin...*, sie seufzte und verzog traurig das Gesicht. Es war doch immer das gleiche mit ihr, warum konnte sie nicht ein einziges Mal glücklich sein?

Insgeheim war ihr klar, dass sie nicht aus Feigheit oder wegen irgendeines sinnlosen Instinktes weggelaufen war, sondern weil sie sich große Sorgen gemacht hatte und immer noch machte. Ja, sie hatte doch tatsächlich Angst um diesen sturen Namekianer, der sich einen Spaß daraus machte, sie zu ärgern und mit dem sie ihren Spaß hatte.

Wieder seufzte sie. Inzwischen war sie sich klar darüber, dass Piccolo nicht einfach nur ein Lehrer für sie war. Er war auch schon weitaus mehr als nur ein Freund für sie.

Dune war sich nicht sicher, warum sie gerade jetzt daran denken musste, aber ihr fiel plötzlich der Satz wieder ein, den Vegeta auf dieser Grillparty über Piccolo geäußert hatte.

 „Bist du die Freundin von dem Grünling? Klar, dass der nur sowas abkriegt. Wie hat er dich rumgekriegt, hat er dir gezeigt, wie er sich Gliedmaßen wachsen lässt und du warst so begeistert, dass du alles gleich mal probieren musstest? Weißt du, wie sich Namekianer fortpflanzen? Muss ja wahnsinnig langweilig bei denen sein. War klar, dass er eines Tages auf den Geschmack kommt!"

 Er hatte höhnisch über das wutverzerrte Gesicht von Dune gelacht.

Als sie sich der Bedeutung dieser Worte bewusst wurde nahm ihr Gesicht ein tiefes Rot an. Nicht aus Wut auf Vegeta, nein, sie war ihm nicht mehr böse. Die Röte hatte einen anderen Ursprung. Sie lächelte verlegen und schüttelte schließlich über ihre eigene Dummheit den Kopf.

*Warum denke ich gerade jetzt an SO ETWAS?*, schalt sie sich selbst und seufzte zum dritten Mal innerhalb von wenigen Minuten. Aber lustig war das ganze ja schon. Schmunzelnd stellte sie fest, dass es noch einige anderen Dinge, außer seinen Zellbestandteilen gab, die sie an dem Namekianer interessierten.

Wieder schüttelte sie ihren Kopf. Momentan gab es wirklich Wichtigeres, über das sie sich Gedanken machen sollte. Sie rief sich noch einmal das Bild ins Gedächtnis, welches sie vorhin gesehen hatte. Auch wenn es ihr schwer fiel, aber vielleicht gab es ja einen Anhaltspunkt für das Auftauchen gerade dieser Traumsequenz, in gerade diesem Moment?

*Wenn das wirklich eine Drohung von diesem Ekel war...*, dachte sie bedrückt und ließ sich in die Kissen ihres Bettes sinken. Sie wollte auf keinen Fall, dass Piccolo etwas passierte, nur, weil sie sich nicht unter Kontrolle hatte...

Andererseits, warum ließ sie sich so von diesem Monster kontrollieren? Piccolo würde sich sicherlich furchtbar aufregen, wenn er wüsste, dass sie schon wieder klein bei gegeben hatte...

Entschlossen richtete sie sich wieder auf. Sie würde nicht aufgeben, auf gar keinen Fall!

*Und wenn ihm doch etwas passiert?*, ertönte es plötzlich in ihrem Kopf. Wieder sank sie zurück. Die Entschlossenheit war aus ihrem Gesicht gewichen und machte einem unsicheren Ausdruck Platz.

*Ach, „Brummbär" kann gut auf sich selber aufpassen, oder? Außerdem, wer sagt dir, dass dir dein Unterbewusstsein keinen Streich gespielt hat? Man Dune, du bist einfach zu weich! Reiß dich zusammen!*

Wütend griff sie sich eines der Kissen und warf es an die gegenüberliegende Wand, an der es mit einem leisen „poff" auftraf und schließlich daran herunterrutschte. Grimmig beobachtete sie ihr Geschoss und starrte es noch eine Weile an, als wäre es Salazar persönlich.

Es war wie verhext, sie kam einfach nicht zu einem Ende. Letztendlich war ihr aber klar, dass ihm auch etwas passieren könnte, wenn sie Piccolo nicht zeigte, was sie für ihn empfand. Wenn sie es ihm aber klarmachte, könnte sie ihn auch warnen.

*Ja, das ist es!!!*, dachte sie triumphierend und hüpfte vom Bett herunter. Eigentlich war es genau das, was sie die ganze Zeit lang gewollt hatte. Sie musste es ihm einfach sagen. Er musste einfach wissen, was sie für ihn empfand. Natürlich hatte sie auch Angst vor seiner Reaktion. Unschlüssig sah sie die Tür ihres Zimmers an. Was, wenn er sie abweisen würde? Was, wenn er sie auslachen würde?

Unsicher bewegte sie sich dennoch in Richtung Tür. Sie musste es tun, egal, wie er reagieren würde! Sie konnte nicht damit leben, diese Gefühle zu hegen und es ihm vielleicht nie gesagt zu haben. Schließlich könnte ihm ja jeden Moment etwas passieren ...

Immer sicherer setzte sie einen Fuß vor den anderen, immer schneller wurden ihre Schritte, bis sie schließlich rannte. Die Gänge des Palastes kamen ihr plötzlich unendlich lang vor und es war ihr, als würde sie Stunden bis zum Ausgang benötigen...

Aber endlich hatte sie ihn erreicht. Völlig außer Atem bremste sie ab und versuchte ruhig zu atmen. Er sollte nicht sehen, dass sie schon nach so einer kurzen Strecke erschöpft war, sicherlich würde er sie dann auslachen.

Kurz schloss sie die Augen und ging noch einmal die Worte durch, die sie sich vor wenigen Augenblicken zurecht gelegt hatte, dann schob sie die schwere Tür auf und blickte nach draußen.

Nichts, absolut nichts war zu sehen...

Dicker, feuchter Nebel schwebte ungewöhnlicherweise über der Plattform und ließ nicht einmal Konturen erkennen. Dune stöhnte *Auch das noch!*, dachte sie und schloss beinahe genervt die Augen. Dann mussten eben andere Sinne herhalten.

Wiederum nichts, keine einzige Lebensform befand sich auf dem Vorhof des Palastes und als sie das Suchfeld erweiterte, entdeckte sie nur noch Popo und Dende, die sich offensichtlich in der Küche aufhielten.

„Schade!", seufzte sie und spähte jetzt direkt nach Piccolo. Sie entdeckte ihn, wie er im regen über einer Wiese schwebte. Der starke Wind zerrte an seinem Umhang und als sie sich noch mehr konzentrierte, konnte sie regelrecht fühlen, wie er begann, die Energie in sich zu konzentrieren.

*Okay, ich sollte ihn jetzt nicht stören.*, dachte sie traurig und lief schließlich wieder ins Innere des Palastes zurück. Den Rest des Tages verbrachte sie damit, mehr oder weniger halbherzig Dendes Erzählungen über die vergangenen Cellspiele zu folgen und hin und wieder Popo ihre Hilfe in der Küche anzubieten.

Als sie sich sehr spät am Abend ins Bett begab, war Piccolo noch immer nicht zurück. Kurz, bevor sie endgültig einschlief suchte sie noch einmal nach seiner Aura. Er schwebte immer noch über dieser Wiese und meditierte.

„Du altes stures Arbeitstier, komm gefälligst zurück, wenn ich mit dir reden will!", nuschelte sie, bevor sie, vom Schlaf endgültig übermannt, ins Reich der Träume abdriftete.