Anmerkung: es gibt Sex in diesem Kapitel (endlich) *g*
Kapitel 3
Beobachtungen
Die letzten goldroten Streifen des Sonnenuntergangs verschwanden langsam über den weitverzweigten Kronen der Bäume und noch einmal glänzten die Blätter golden auf, dann kroch die Nacht in ihrer samtenen Schwärze über Lorien. Vereinzelte Sterne glommen auf, doch ihre Pracht war nicht mit dem Glühen zu vergleichen, das nun von dem Wald aufstieg. Hunderte Glühwürmchen, angelockt von der magischen Aura, die über dem Ort lag, tummelten sich über den Behausungen, Fackeln und Öllampen tauchten die Behausungen in den Wipfeln in heimeliges Licht.
Haldir hatte diesen Moment des Tages, den er besonders liebte, auf einem Ast hoch über dem Boden verbracht, die Beine lässig zu beiden Seiten herabhängend, den Rücken an den starken Stamm gelehnt.
Bis auf die Ankunft der Orreiter war es ein ruhiger Tag gewesen. Zwei Kundschafter waren im Laufe des Abends eingetroffen und hatten verkündet, dass sich im Süden einige Truppenbewegungen ausmachen ließen. Doch die Männer hatten sich den kleinen Heeren nicht genähert, um nicht auf sich aufmerksam zu machen und waren lediglich in einigem Abstand in Richtung Süden gefolgt. In Richtung Mordor.
Er war besorgt und wenn er in ruhigen Stunden um sich blickte und all die Schönheit sah, die ihm seine Heimat bot, wurde er sich bewusst, wie vergänglich sie war, wie zerbrechlich. Noch war es Galadriel, die durch ihre Macht das Böse vertrieb, aber was würde geschehen, wenn die Herrin eines Tages nicht mehr ihr schützende Hand über den Wald halten würde? Sie hatte schon oftmals angedeutet, nach Valinor aufbrechen zu wollen und auch wenn sie in den Krisenzeiten nicht gehen würde, irgendwann musste sich das Schicksal Loriens unweigerlich wenden.
Ein fernes, weibliches Lachen ertönte und Haldir hob stirnrunzelnd den Kopf, aus seinen Gedanken gerissen. Er erhob sich, und lief über den Ast, sprang leichtfüßig auf den nächsten und näherte sich so der Quelle des ungewohnten Geräusches. Einer der Wachsoldaten, der auf seiner nahen Plattform stand, blickte ihn verwundert an.
Haldir hatte selten ein derartiges Geräusch in Lorien gehört. Elben lachten so gut wie niemals laut, Resultat eines langen Lebens, in dem die wenigen Momente des Glücks irgendwann bedeutungslos wurden. Umso neugieriger wurde er, obwohl er schon ahnte, wer die Quelle des Geräusches war.
Er glitt, geschützt von der Dunkelheit, durch die Baumwipfel und erblickte irgendwann die Quelle, die einen der kleinen Flüsse speiste, die sich durch die Wälder schlängelten. Die Augen gingen ihm beinahe über, als er sah, was sich dort abspielte.
Eng umschlungen lagen zwei Elben im weichen Gras, ihre Körper bewegten sich im Rhythmus ihrer Leidenschaft. Der dunkelhaarige Mann lag auf der Frau, die ihre langen, gebräunten Beine um seine Hüften schlang und kleine Laute des Entzückens ausstieß, während sie sich mit einer Hand fordernd in seinen Rücken krallte.
Haldir wollte den Blick abwenden, ein wenig schockiert von dem offenherzigen Treiben, das normalerweise in Lorien nur hinter verschlossenen Türen stattzufinden pflegten. Schon lange waren im Goldenen Wald keine Kinder mehr zu Welt gekommen und der natürliche Weg zu ihrer Erschaffung, wie er sich nun in seiner ganzen Wildheit vor Haldir darbot, wurde selten praktiziert. Vielen Elben waren der Meinung, dass ungezügelte Leidenschaft ihrer Rasse nicht würdig sein.
Doch es war ihm nicht möglich, sich vom Platz zu bewegen. Mit einer Mischung aus Faszination und Unverständnis beobachtete er, wie der Mann in seinen stoßenden Bewegungen innehielt, sich vorsichtig auf den Rücken drehte und die Frau mit sich zog, so dass sie rittlings auf ihm zu sitzen kam und er nun noch tiefer in ihren schlanken Körper eindringen konnte.
Für einen Moment sah Haldir in einem Lichtschimmer die Gesichter der Elben, verzerrt vor Leidenschaft. Er erkannte Aithiel und Aithlion, und obwohl er nicht im geringsten überrascht war, dass es Orkreiter gewesen waren, die erneut eine der ungeschriebenen Verhaltensregeln in Lorien gebrochen hatten, versetzte ihm die Erkenntnis jedoch einen leichten Schock. Und er wusste nicht, warum.
Fasziniert beobachtete er, wie sich Aithiel zu ihrem Liebhaber hinunterbeugte und ihr Gesicht an seiner Schulter barg, als sich der Höhepunkt ihrer Erregung in einem Schrei entlud. Ihre Brüste streiften Aithlions schweißnasse Brust und ihr rotes Haar fiel wie ein Vorhang über sein Gesicht.
Haldir fühlte plötzlich, dass ihn die Szene nicht nur faszinierte, sondern auch erregte. Die Hosen unter seiner grauen Tunika wurden unangenehm eng und dieses Zugeständnis seines Körpers machte ihn wütend. Es war für ihn kaum zu fassen, dass er seine Wache auf derartig schmähliche Weise vernachlässigte und stattdessen zuließ, dass ihn der Anblick zweier Fremder in einen Zustand versetzte, den er als absolut entwürdigend empfand.
Körperliche Liebe war nichts, was er nicht kannte, schließlich war auch er in seiner Jugend den Prinzipien Loriens nicht immer vollkommen aufgeschlossen gewesen und so manche junge Elbin ebenfalls nicht. Doch das waren andere Zeiten gewesen und dass es ausgerechnet jene unverschämte Frau war, die ihn daran erinnerte, dass sein Körper oftmals seinem Willen nicht gehorchte, missfiel ihm zutiefst.
Dennoch konnte er sich einen letzten Blick auf das erschöpft daliegende Paar verkneifen, als er sich in die Schatten der Bäume zurückzog, aufgewühlt und verärgert.
***
"Du machst ein Gesicht, als hätte Dir jemand einen Pfeil in den Hintern geschossen!"
"Rumil!" Haldir gab es ungern zu, aber das plötzliche Auftauchen seines Bruders direkt hinter ihm hätte ihn fast überrumpelt. "Was machst Du hier? Du solltest an der Südgrenze sein!", blaffte er Rumil an, dessen bildschönes Gesicht sich zu einem spöttischen Grinsen verzog.
"Ich bin aus demselben Grund hier, aus dem auch Du nicht auf Deinem Posten bist." Mit einer unbestimmten Geste zeigte er in Richtung des Flusses. "Das ist schon ein Anblick, oder etwa nicht?"
Trotz seiner fröhlichen Worte konnte der Jüngere nicht verbergen, dass auch er von der Liebesszene betroffen war, wenn auch auf eine andere Art als Haldir. Dieser erforschte die so vertrauten Züge seines Bruders und erkundigte sich, nun sanfter:
"Du kennst sie erst einen Tag und bist schon verliebt?"
Rumil winkte ab, sichtlich verlegen.
"Unsinn, Haldir." Er lehnte sich gegen den Baumstamm und seine blauen Augen, die sicher schon manches Frauenherz ins Stolpern gebracht hatten - seine Reisen zu den Menschen waren mehr als berüchtigt - , waren nun so verklärt, dass Haldir langsam begann, sich um seinen Geisteszustand Sorgen zu machen. "Aithiel ist voller Elan und vollkommen frei, sie scheint mehr zu leben als all die Frauen hier in Lorien. Versteh mich nicht falsch, ich bewundere wirklich alle von ihnen, schön und unantastbar wie sie sind. Aber ein allzu perfektes Kunstwerk sollte man auf einen Sockel stellen und es dann nicht berühren zu können ist eine Qual."
"Du hast zuviel Zeit mit den Menschen verbracht", lächelte Haldir abwehrend, doch im selben Moment, in dem Rumil von Perfektion sprach, kalter, lebloser Perfektion, da war ihm das Bild der Herrin des Lichts in den Kopf geschossen und ließ sich nicht mehr vertreiben. "Du bist noch jung."
"Fünfhundert Jahre sind nichts, auf das Du stolz sein solltest." Rumil schlug Haldir spielerisch zwischen die Schulterblätter und setzte dann einen weiteren Hieb, doch nicht körperlicher Art. "Und überhaupt, wenn man in Deinem Alter ist, verliert man wohl irgendwann den Blick für das Wesentliche."
"Was willst Du damit sagen?" Haldir bemühte sich, sein Temperament unter Kontrolle zu halten, aber das war manchmal nicht so einfach, da Rumil sehr gut darin war, ihn mit einem Blick völlig zu durchschauen, eine manchmal beängstigende Eigenschaft.
"Ich denke, dass weißt Du ganz genau." Lässig verschränkte Rumil die Arme vor der Brust und wirkte ungemein selbstzufrieden. "Wie lange bewunderst Du Galadriel nun schon aus der Ferne mit wundem Blick? So lange ich denken kann! Keine andere Frau, die jemals ein Interesse an Dir gezeigt hat, hat jemals im Vergleich mit ihr bestanden."
"Es ist nicht falsch, ein Ideal zu besitzen", wehrte sich Haldir gegen den Vorwurf und redete sich ein, dass Rumil nicht Recht hatte mit dem, was er ihm vorwarf. Doch ihm fiel der Moment ein, in dem Aithiel und Galadriel aufeinandergetroffen waren und er ganz selbstverständlich beschlossen hatte, dass Aithiel bei dieser Gegenüberstellung die Verliererin war. Er schluckte einen weitren harschen Kommentar hinunter und erklärte: "Du willst Dich doch jetzt nicht mit mir über das Wesen der Frauen unterhalten, oder? Das würde uns mehr als eine Nacht von unserer Wache abhalten und im Zuge dessen müsste ich uns beide wohl für unseren Mangel an Aufmerksamkeit bestrafen."
Rumil zog im Angesicht dieses offensichtlichen Themenwechsels nur unbekümmert die Schultern nach oben.
"Wie Du meinst, Bruder. Ich kehre dann jetzt zu meinem Posten zurück und werde versuchen, mir Deine weisen Worte einzuprägen. Bis dahin ziehe ich es allerdings vor, von Frauen aus weichem Fleisch und warmen Blut zu träumen und nicht von einem lebenden Kunstwerk!"
Mit einem spöttischen Lächeln zog er sich zurück und eilte dann leichtfüßig durch die Wipfel davon. Haldir blieb bewegungslos stehen, bis das letzte Zittern der Zweige verging.
***
Die Nacht verging schnell und ohne weitere Störungen. Schließlich erhob sich die Morgensonne über den Horizont und das Leben kehrte nach Lorien zurück. Einige Frauen zogen in den Wald hinaus, um dessen Früchten zu ernten, während sich andere in kleinen Gruppen zusammenfanden und musizierten. Gedämpfte Fröhlichkeit lag in der Luft, beeinflusst von den vielen bewaffneten Kriegern, die ihre Posten bezogen. Aufgrund der Nachrichten des vergangenen Tages hatte sich Galadriel entschlossen, eine größere Gruppe Späher auszusenden, um die Truppenbewegungen um Mordor zu beobachten.
Haldir beendete seine Wache und zog sich für ein kurzes Frühstück in seinen Talan zurück, der an einem der riesigen silbernen Mallornbäume des Inneren Loriens lag. Durch die runden Fenster beobachtete er das Treiben in den anderen Hütten, während er sich wusch, eine neue Tunika anzog und sich an den Früchten gütlich tat, die für ihn bereitgestellt worden waren.
Als er zu seinem Bogen griff, um ihn neu zu bespannen, streckte sich ein wohlbekannter Kopf durch den Eingang. Rumil grinste.
"Bereit für ein paar neue Probleme?"
"Was ist denn nun schon wieder?" Haldir brauchte gar nicht weiter zu fragen, um zu erkennen, dass es sich um nichts Ernstes handelte. Dennoch wollte er einfach einmal einen ruhigen Moment genießen, ohne dass etwas geschah.
"Sieh es Dir einfach an!" Lebhaft sprang Rumil auf die Treppe und eilte mit beschwingten Schritten die Stufen hinunter. Haldir folgte ihm mit gemessenen Schritten und stellte fest, dass sie nicht die Einzigen waren, die sich in die Richtung bewegten, die Rumil einschlug. Ein Raunen schien durch den Wald zu gehen und als Haldir zwischen den Bäumen sah, was vor sich ging, konnte er einen abgrundtiefen Seufzer nicht verhindern.
Ein paar der jüngeren Männer seiner Wache hatten es sich nicht entgehen lassen, im Wettkampf gegen die Orkreiter anzutreten. Mit vollem Elan prügelten sie aufeinander ein und hin und wieder ertönten Schmerzensschreie, wenn eine Klinge die Haut ritzte.
Dir Orreiter setzten auf lange Speere und Kampfsensen, die man ihnen nach dem anfänglichen Misstrauen wieder zurückgegeben hatte, während die Galadhrim mit Schwertern und Langdolchen kämpften. Obwohl Haldir nichts von einem derartige Kräftemessen hielt, das wohl allein aus der Tatsache resultierte, dass seine Männer ausloten wollten, ob die Orkreiter ihrem Ruf gerecht wurden, suchte er sich einen guten Platz, um zuzusehen.
Blätter stoben hoch, aufgewirbelt von den flinken Füßen der Kämpfer. Einer der Galadhrim wich vor einem geschickten Sensenstreich zurück und drohte zu stürzen. Ein Raunen ging durch die Menge, als der Orkreiter, ein kräftiger Elb mit schwarzen Haaren, nachsetzte. Doch er schlug nicht noch einmal zu, sondern reichte seinem Gegner die Hand, der sie ergriff und kurz drückte.
Rumil lehnte sich zu Haldir hinüber und raunte.
"Ich weiß nicht, ob ich es schon einmal gesagt habe, aber sie sind wirklich nicht so üble Burschen, wie man sich erzählt! Wusstest Du eigentlich, warum sie derart in Verruf geraten sind?"
"Sollte mich das interessieren? Es wird schon einen ausreichenden Grund geben", gab Haldir zurück, ein wenig abgelenkt von Aithiel, die auf dem Kampfplatz auftauchte, mit einer Sense bewaffnet. Aithlion folgte ihr nach und flüsterte ihr etwas zu, was ihr ein kurzes Lächeln entlockte. Erneut schoben sich die erotischen Bilder des Vorabends in Haldirs Kopf und er blinzelte, um sie zu vertreiben. Interessiert beobachtete er, wie die beiden Elben gegeneinander antraten, wobei deutlich zu erkennen war, dass Aithlion seine Geliebte aufgrund ihrer noch immer fest bandagierten Schulter schonte. Dennoch erkannte Haldir, dass sie eine gute Kämpferin war, die ihren Nachteil durch Geschicklichkeit und Geschwindigkeit auszugleichen wusste.
Rumil schien sich durch seine abweisende Haltung nicht beeinflussen zu lassen.
"Aithiels Vater Berion war Thranduils bester Freund und Leiter seiner Leibgarde. Als sich die Übergriffe im Düsterwald mehrten, gründeten sie die Orkreiter und Berion bekam sämtliche Vollmachten, die er brauchte. Das war vor ungefähr vierhundert Jahren. Doch eines Tages kam es zum Eklat. Eigentlich weiß keiner, was vorgefallen ist, aber Thranduil - wir wissen alle, was für ein Sturkopf er ist - schickte Berion und seine Tochter in die Verbannung. Die Orkreiter schlossen sich ihrem Anführer aus Loyalität an und ziehen seitdem ziellos herum."
"Woher weißt Du das?" Haldir riss den Blick von Aithiel los, die mit sichtlich gequälter Miene ihre Sense für einen kurzen Moment sinken ließ. "Mir war nicht klar, dass Du Dich so sehr für Gerüchte interessierst."
"Orophin hat es mir erzählt. Er ist in solchen Dingen immer erstaunlich bewandert. Immerhin steht er im regen Briefkontakt mit einer Dame im Düsterwal, die er letztes Jahr bei eine Besuch kennengelernt hat."
"Ach?" Das war Haldir neu. In letzter Zeit, musste er zugeben, waren eine Menge Neuigkeiten spurlos an ihm vorbeigegangen. "Etwas Ernstes?"
"Also, wenn Du nicht mitbekommen hast, dass er ihr inzwischen schon zwei Pferde geschenkt und sie ihm einen Ring verehrt hat, dann bin ich gar nicht befugt, Dir etwas zu sagen." Rumil zwinkerte ihm zu. "Sieht so aus, als würde bald der Erste von uns unter einem seidenen Pantoffel stehen." Gespielt angeekelt verzog er das Gesicht und wich dann ein paar Schritte zurück, als sich ein verbissen kämpfendes Paar in seine Richtung bewegte. "Ich werde es mir sicher ein gutes Dutzend mal überlegen, bevor ich mich soweit erniedrige."
"Und Du wolltest mir gestern noch einen Vortrag über Frauen halten?" Haldir musste lächeln. "Im Licht der Sonne sieht wohl wieder alles ein wenig anders aus, oder?"
Rumil wies mit dem Daumen auf Aithiel, die in diesem Moment mit einem schrillen Pfiff ihre Männer aus dem Kampfgeschehen zurückzog. Routiniert lösten sich die Orkreiter von ihren Gegnern, verabschiedeten sich höflich und folgten ihrer Anführerin, die sie wortlos davon führte.
"Für mich wird eine Frau erst interessant, wenn sie mir statt Schmuck ein blaues Auge bescheren kann."
Mit hochgezogenen Brauen, auf Rumils Kommentar nicht weiter eingehend, wandte sich Haldir an seine Männer, die in seinen Augen keine gute Figur gemacht hatten.
"Nun", sagte er und musterte seinen alten Freund Menond, der sich möglichst unauffällig an einem Baum abstützte, mit einem tadelnden Blick. Er wartete, bis die Orkreiter außer Hörweite waren, und befahl dann: "Heute Abend auf dem Turnierplatz. Wir haben anscheinend Aufholbedarf."
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Eine kleine Schlappe für unseren Hauptmann? Scheint so. Was sich für Aithiel tut und was ihr Galadriel vorzuschlagen hat - im nächsten Kapitel! Reviewen nicht vergessen! Lieber Gruß. Eure Demetra
Kapitel 3
Beobachtungen
Die letzten goldroten Streifen des Sonnenuntergangs verschwanden langsam über den weitverzweigten Kronen der Bäume und noch einmal glänzten die Blätter golden auf, dann kroch die Nacht in ihrer samtenen Schwärze über Lorien. Vereinzelte Sterne glommen auf, doch ihre Pracht war nicht mit dem Glühen zu vergleichen, das nun von dem Wald aufstieg. Hunderte Glühwürmchen, angelockt von der magischen Aura, die über dem Ort lag, tummelten sich über den Behausungen, Fackeln und Öllampen tauchten die Behausungen in den Wipfeln in heimeliges Licht.
Haldir hatte diesen Moment des Tages, den er besonders liebte, auf einem Ast hoch über dem Boden verbracht, die Beine lässig zu beiden Seiten herabhängend, den Rücken an den starken Stamm gelehnt.
Bis auf die Ankunft der Orreiter war es ein ruhiger Tag gewesen. Zwei Kundschafter waren im Laufe des Abends eingetroffen und hatten verkündet, dass sich im Süden einige Truppenbewegungen ausmachen ließen. Doch die Männer hatten sich den kleinen Heeren nicht genähert, um nicht auf sich aufmerksam zu machen und waren lediglich in einigem Abstand in Richtung Süden gefolgt. In Richtung Mordor.
Er war besorgt und wenn er in ruhigen Stunden um sich blickte und all die Schönheit sah, die ihm seine Heimat bot, wurde er sich bewusst, wie vergänglich sie war, wie zerbrechlich. Noch war es Galadriel, die durch ihre Macht das Böse vertrieb, aber was würde geschehen, wenn die Herrin eines Tages nicht mehr ihr schützende Hand über den Wald halten würde? Sie hatte schon oftmals angedeutet, nach Valinor aufbrechen zu wollen und auch wenn sie in den Krisenzeiten nicht gehen würde, irgendwann musste sich das Schicksal Loriens unweigerlich wenden.
Ein fernes, weibliches Lachen ertönte und Haldir hob stirnrunzelnd den Kopf, aus seinen Gedanken gerissen. Er erhob sich, und lief über den Ast, sprang leichtfüßig auf den nächsten und näherte sich so der Quelle des ungewohnten Geräusches. Einer der Wachsoldaten, der auf seiner nahen Plattform stand, blickte ihn verwundert an.
Haldir hatte selten ein derartiges Geräusch in Lorien gehört. Elben lachten so gut wie niemals laut, Resultat eines langen Lebens, in dem die wenigen Momente des Glücks irgendwann bedeutungslos wurden. Umso neugieriger wurde er, obwohl er schon ahnte, wer die Quelle des Geräusches war.
Er glitt, geschützt von der Dunkelheit, durch die Baumwipfel und erblickte irgendwann die Quelle, die einen der kleinen Flüsse speiste, die sich durch die Wälder schlängelten. Die Augen gingen ihm beinahe über, als er sah, was sich dort abspielte.
Eng umschlungen lagen zwei Elben im weichen Gras, ihre Körper bewegten sich im Rhythmus ihrer Leidenschaft. Der dunkelhaarige Mann lag auf der Frau, die ihre langen, gebräunten Beine um seine Hüften schlang und kleine Laute des Entzückens ausstieß, während sie sich mit einer Hand fordernd in seinen Rücken krallte.
Haldir wollte den Blick abwenden, ein wenig schockiert von dem offenherzigen Treiben, das normalerweise in Lorien nur hinter verschlossenen Türen stattzufinden pflegten. Schon lange waren im Goldenen Wald keine Kinder mehr zu Welt gekommen und der natürliche Weg zu ihrer Erschaffung, wie er sich nun in seiner ganzen Wildheit vor Haldir darbot, wurde selten praktiziert. Vielen Elben waren der Meinung, dass ungezügelte Leidenschaft ihrer Rasse nicht würdig sein.
Doch es war ihm nicht möglich, sich vom Platz zu bewegen. Mit einer Mischung aus Faszination und Unverständnis beobachtete er, wie der Mann in seinen stoßenden Bewegungen innehielt, sich vorsichtig auf den Rücken drehte und die Frau mit sich zog, so dass sie rittlings auf ihm zu sitzen kam und er nun noch tiefer in ihren schlanken Körper eindringen konnte.
Für einen Moment sah Haldir in einem Lichtschimmer die Gesichter der Elben, verzerrt vor Leidenschaft. Er erkannte Aithiel und Aithlion, und obwohl er nicht im geringsten überrascht war, dass es Orkreiter gewesen waren, die erneut eine der ungeschriebenen Verhaltensregeln in Lorien gebrochen hatten, versetzte ihm die Erkenntnis jedoch einen leichten Schock. Und er wusste nicht, warum.
Fasziniert beobachtete er, wie sich Aithiel zu ihrem Liebhaber hinunterbeugte und ihr Gesicht an seiner Schulter barg, als sich der Höhepunkt ihrer Erregung in einem Schrei entlud. Ihre Brüste streiften Aithlions schweißnasse Brust und ihr rotes Haar fiel wie ein Vorhang über sein Gesicht.
Haldir fühlte plötzlich, dass ihn die Szene nicht nur faszinierte, sondern auch erregte. Die Hosen unter seiner grauen Tunika wurden unangenehm eng und dieses Zugeständnis seines Körpers machte ihn wütend. Es war für ihn kaum zu fassen, dass er seine Wache auf derartig schmähliche Weise vernachlässigte und stattdessen zuließ, dass ihn der Anblick zweier Fremder in einen Zustand versetzte, den er als absolut entwürdigend empfand.
Körperliche Liebe war nichts, was er nicht kannte, schließlich war auch er in seiner Jugend den Prinzipien Loriens nicht immer vollkommen aufgeschlossen gewesen und so manche junge Elbin ebenfalls nicht. Doch das waren andere Zeiten gewesen und dass es ausgerechnet jene unverschämte Frau war, die ihn daran erinnerte, dass sein Körper oftmals seinem Willen nicht gehorchte, missfiel ihm zutiefst.
Dennoch konnte er sich einen letzten Blick auf das erschöpft daliegende Paar verkneifen, als er sich in die Schatten der Bäume zurückzog, aufgewühlt und verärgert.
***
"Du machst ein Gesicht, als hätte Dir jemand einen Pfeil in den Hintern geschossen!"
"Rumil!" Haldir gab es ungern zu, aber das plötzliche Auftauchen seines Bruders direkt hinter ihm hätte ihn fast überrumpelt. "Was machst Du hier? Du solltest an der Südgrenze sein!", blaffte er Rumil an, dessen bildschönes Gesicht sich zu einem spöttischen Grinsen verzog.
"Ich bin aus demselben Grund hier, aus dem auch Du nicht auf Deinem Posten bist." Mit einer unbestimmten Geste zeigte er in Richtung des Flusses. "Das ist schon ein Anblick, oder etwa nicht?"
Trotz seiner fröhlichen Worte konnte der Jüngere nicht verbergen, dass auch er von der Liebesszene betroffen war, wenn auch auf eine andere Art als Haldir. Dieser erforschte die so vertrauten Züge seines Bruders und erkundigte sich, nun sanfter:
"Du kennst sie erst einen Tag und bist schon verliebt?"
Rumil winkte ab, sichtlich verlegen.
"Unsinn, Haldir." Er lehnte sich gegen den Baumstamm und seine blauen Augen, die sicher schon manches Frauenherz ins Stolpern gebracht hatten - seine Reisen zu den Menschen waren mehr als berüchtigt - , waren nun so verklärt, dass Haldir langsam begann, sich um seinen Geisteszustand Sorgen zu machen. "Aithiel ist voller Elan und vollkommen frei, sie scheint mehr zu leben als all die Frauen hier in Lorien. Versteh mich nicht falsch, ich bewundere wirklich alle von ihnen, schön und unantastbar wie sie sind. Aber ein allzu perfektes Kunstwerk sollte man auf einen Sockel stellen und es dann nicht berühren zu können ist eine Qual."
"Du hast zuviel Zeit mit den Menschen verbracht", lächelte Haldir abwehrend, doch im selben Moment, in dem Rumil von Perfektion sprach, kalter, lebloser Perfektion, da war ihm das Bild der Herrin des Lichts in den Kopf geschossen und ließ sich nicht mehr vertreiben. "Du bist noch jung."
"Fünfhundert Jahre sind nichts, auf das Du stolz sein solltest." Rumil schlug Haldir spielerisch zwischen die Schulterblätter und setzte dann einen weiteren Hieb, doch nicht körperlicher Art. "Und überhaupt, wenn man in Deinem Alter ist, verliert man wohl irgendwann den Blick für das Wesentliche."
"Was willst Du damit sagen?" Haldir bemühte sich, sein Temperament unter Kontrolle zu halten, aber das war manchmal nicht so einfach, da Rumil sehr gut darin war, ihn mit einem Blick völlig zu durchschauen, eine manchmal beängstigende Eigenschaft.
"Ich denke, dass weißt Du ganz genau." Lässig verschränkte Rumil die Arme vor der Brust und wirkte ungemein selbstzufrieden. "Wie lange bewunderst Du Galadriel nun schon aus der Ferne mit wundem Blick? So lange ich denken kann! Keine andere Frau, die jemals ein Interesse an Dir gezeigt hat, hat jemals im Vergleich mit ihr bestanden."
"Es ist nicht falsch, ein Ideal zu besitzen", wehrte sich Haldir gegen den Vorwurf und redete sich ein, dass Rumil nicht Recht hatte mit dem, was er ihm vorwarf. Doch ihm fiel der Moment ein, in dem Aithiel und Galadriel aufeinandergetroffen waren und er ganz selbstverständlich beschlossen hatte, dass Aithiel bei dieser Gegenüberstellung die Verliererin war. Er schluckte einen weitren harschen Kommentar hinunter und erklärte: "Du willst Dich doch jetzt nicht mit mir über das Wesen der Frauen unterhalten, oder? Das würde uns mehr als eine Nacht von unserer Wache abhalten und im Zuge dessen müsste ich uns beide wohl für unseren Mangel an Aufmerksamkeit bestrafen."
Rumil zog im Angesicht dieses offensichtlichen Themenwechsels nur unbekümmert die Schultern nach oben.
"Wie Du meinst, Bruder. Ich kehre dann jetzt zu meinem Posten zurück und werde versuchen, mir Deine weisen Worte einzuprägen. Bis dahin ziehe ich es allerdings vor, von Frauen aus weichem Fleisch und warmen Blut zu träumen und nicht von einem lebenden Kunstwerk!"
Mit einem spöttischen Lächeln zog er sich zurück und eilte dann leichtfüßig durch die Wipfel davon. Haldir blieb bewegungslos stehen, bis das letzte Zittern der Zweige verging.
***
Die Nacht verging schnell und ohne weitere Störungen. Schließlich erhob sich die Morgensonne über den Horizont und das Leben kehrte nach Lorien zurück. Einige Frauen zogen in den Wald hinaus, um dessen Früchten zu ernten, während sich andere in kleinen Gruppen zusammenfanden und musizierten. Gedämpfte Fröhlichkeit lag in der Luft, beeinflusst von den vielen bewaffneten Kriegern, die ihre Posten bezogen. Aufgrund der Nachrichten des vergangenen Tages hatte sich Galadriel entschlossen, eine größere Gruppe Späher auszusenden, um die Truppenbewegungen um Mordor zu beobachten.
Haldir beendete seine Wache und zog sich für ein kurzes Frühstück in seinen Talan zurück, der an einem der riesigen silbernen Mallornbäume des Inneren Loriens lag. Durch die runden Fenster beobachtete er das Treiben in den anderen Hütten, während er sich wusch, eine neue Tunika anzog und sich an den Früchten gütlich tat, die für ihn bereitgestellt worden waren.
Als er zu seinem Bogen griff, um ihn neu zu bespannen, streckte sich ein wohlbekannter Kopf durch den Eingang. Rumil grinste.
"Bereit für ein paar neue Probleme?"
"Was ist denn nun schon wieder?" Haldir brauchte gar nicht weiter zu fragen, um zu erkennen, dass es sich um nichts Ernstes handelte. Dennoch wollte er einfach einmal einen ruhigen Moment genießen, ohne dass etwas geschah.
"Sieh es Dir einfach an!" Lebhaft sprang Rumil auf die Treppe und eilte mit beschwingten Schritten die Stufen hinunter. Haldir folgte ihm mit gemessenen Schritten und stellte fest, dass sie nicht die Einzigen waren, die sich in die Richtung bewegten, die Rumil einschlug. Ein Raunen schien durch den Wald zu gehen und als Haldir zwischen den Bäumen sah, was vor sich ging, konnte er einen abgrundtiefen Seufzer nicht verhindern.
Ein paar der jüngeren Männer seiner Wache hatten es sich nicht entgehen lassen, im Wettkampf gegen die Orkreiter anzutreten. Mit vollem Elan prügelten sie aufeinander ein und hin und wieder ertönten Schmerzensschreie, wenn eine Klinge die Haut ritzte.
Dir Orreiter setzten auf lange Speere und Kampfsensen, die man ihnen nach dem anfänglichen Misstrauen wieder zurückgegeben hatte, während die Galadhrim mit Schwertern und Langdolchen kämpften. Obwohl Haldir nichts von einem derartige Kräftemessen hielt, das wohl allein aus der Tatsache resultierte, dass seine Männer ausloten wollten, ob die Orkreiter ihrem Ruf gerecht wurden, suchte er sich einen guten Platz, um zuzusehen.
Blätter stoben hoch, aufgewirbelt von den flinken Füßen der Kämpfer. Einer der Galadhrim wich vor einem geschickten Sensenstreich zurück und drohte zu stürzen. Ein Raunen ging durch die Menge, als der Orkreiter, ein kräftiger Elb mit schwarzen Haaren, nachsetzte. Doch er schlug nicht noch einmal zu, sondern reichte seinem Gegner die Hand, der sie ergriff und kurz drückte.
Rumil lehnte sich zu Haldir hinüber und raunte.
"Ich weiß nicht, ob ich es schon einmal gesagt habe, aber sie sind wirklich nicht so üble Burschen, wie man sich erzählt! Wusstest Du eigentlich, warum sie derart in Verruf geraten sind?"
"Sollte mich das interessieren? Es wird schon einen ausreichenden Grund geben", gab Haldir zurück, ein wenig abgelenkt von Aithiel, die auf dem Kampfplatz auftauchte, mit einer Sense bewaffnet. Aithlion folgte ihr nach und flüsterte ihr etwas zu, was ihr ein kurzes Lächeln entlockte. Erneut schoben sich die erotischen Bilder des Vorabends in Haldirs Kopf und er blinzelte, um sie zu vertreiben. Interessiert beobachtete er, wie die beiden Elben gegeneinander antraten, wobei deutlich zu erkennen war, dass Aithlion seine Geliebte aufgrund ihrer noch immer fest bandagierten Schulter schonte. Dennoch erkannte Haldir, dass sie eine gute Kämpferin war, die ihren Nachteil durch Geschicklichkeit und Geschwindigkeit auszugleichen wusste.
Rumil schien sich durch seine abweisende Haltung nicht beeinflussen zu lassen.
"Aithiels Vater Berion war Thranduils bester Freund und Leiter seiner Leibgarde. Als sich die Übergriffe im Düsterwald mehrten, gründeten sie die Orkreiter und Berion bekam sämtliche Vollmachten, die er brauchte. Das war vor ungefähr vierhundert Jahren. Doch eines Tages kam es zum Eklat. Eigentlich weiß keiner, was vorgefallen ist, aber Thranduil - wir wissen alle, was für ein Sturkopf er ist - schickte Berion und seine Tochter in die Verbannung. Die Orkreiter schlossen sich ihrem Anführer aus Loyalität an und ziehen seitdem ziellos herum."
"Woher weißt Du das?" Haldir riss den Blick von Aithiel los, die mit sichtlich gequälter Miene ihre Sense für einen kurzen Moment sinken ließ. "Mir war nicht klar, dass Du Dich so sehr für Gerüchte interessierst."
"Orophin hat es mir erzählt. Er ist in solchen Dingen immer erstaunlich bewandert. Immerhin steht er im regen Briefkontakt mit einer Dame im Düsterwal, die er letztes Jahr bei eine Besuch kennengelernt hat."
"Ach?" Das war Haldir neu. In letzter Zeit, musste er zugeben, waren eine Menge Neuigkeiten spurlos an ihm vorbeigegangen. "Etwas Ernstes?"
"Also, wenn Du nicht mitbekommen hast, dass er ihr inzwischen schon zwei Pferde geschenkt und sie ihm einen Ring verehrt hat, dann bin ich gar nicht befugt, Dir etwas zu sagen." Rumil zwinkerte ihm zu. "Sieht so aus, als würde bald der Erste von uns unter einem seidenen Pantoffel stehen." Gespielt angeekelt verzog er das Gesicht und wich dann ein paar Schritte zurück, als sich ein verbissen kämpfendes Paar in seine Richtung bewegte. "Ich werde es mir sicher ein gutes Dutzend mal überlegen, bevor ich mich soweit erniedrige."
"Und Du wolltest mir gestern noch einen Vortrag über Frauen halten?" Haldir musste lächeln. "Im Licht der Sonne sieht wohl wieder alles ein wenig anders aus, oder?"
Rumil wies mit dem Daumen auf Aithiel, die in diesem Moment mit einem schrillen Pfiff ihre Männer aus dem Kampfgeschehen zurückzog. Routiniert lösten sich die Orkreiter von ihren Gegnern, verabschiedeten sich höflich und folgten ihrer Anführerin, die sie wortlos davon führte.
"Für mich wird eine Frau erst interessant, wenn sie mir statt Schmuck ein blaues Auge bescheren kann."
Mit hochgezogenen Brauen, auf Rumils Kommentar nicht weiter eingehend, wandte sich Haldir an seine Männer, die in seinen Augen keine gute Figur gemacht hatten.
"Nun", sagte er und musterte seinen alten Freund Menond, der sich möglichst unauffällig an einem Baum abstützte, mit einem tadelnden Blick. Er wartete, bis die Orkreiter außer Hörweite waren, und befahl dann: "Heute Abend auf dem Turnierplatz. Wir haben anscheinend Aufholbedarf."
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Eine kleine Schlappe für unseren Hauptmann? Scheint so. Was sich für Aithiel tut und was ihr Galadriel vorzuschlagen hat - im nächsten Kapitel! Reviewen nicht vergessen! Lieber Gruß. Eure Demetra
