Kapitel 5

Die Last der Schuld

Haldir rannte die Treppe zu Galadriels Haus hinauf, völlig gleichgültig gegenüber den verwunderten Blicken anderer Elben und erreichte schwer atmend die Plattform, auf der die Leibwache der Herrin stand. Die beiden Männer erblickten ihn und legten die Hände auf die Griffe ihrer Schwerter.

Diese Geste machte Haldir noch wütender, als er es sowieso schon war. Wie konnten sie es wagen, sich ihm in den Weg zu stellen! Als er versuchte, sich ohne ein Wort an ihnen vorbeizudrängen, gingen die beiden Elben noch einen Schritt weiter.

"Die Herrin ist für niemanden zu sprechen", sagte einer von ihnen und zog ebenso wie der zweite Mann seine Waffe halb aus der Scheide, eine stumme Drohung, die Haldirs Schritte trotz seiner Wut stocken ließ.

"Geht zur Seite. Das ist ein Befehl!", knurrte er.

"Wir sind allein der Herrin unterstellt, Hauptmann. Eure Gewalt erkennen wir nicht an."

Haldirs Hände ballten sich zu Fäusten, als er erkannte, dass er an dieser Stelle nicht weiterkam. Er fuhr auf dem Absatz herum und stürmte davon. In seinen Zorn mischte sich eine immer stärker werdende Ratlosigkeit. Galadriel musste gewusst haben, dass Aithiel die Tochter jener Frau war, die er in der Nacht vor dreihundert Jahren getötet hatte. Und auch wenn es ein Unfall gewesen war, wie seine Brüder es ihm immer wieder versucht hatten klarzumachen, wusste er doch, dass er schuldig geworden war.

Er hatte das Kind zur Herrin gebracht und sie gebeten, es fortzuschaffen, weil er nicht bereit gewesen war, Verantwortung zu übernehmen für das, was er getan hatte. Wie hätte er es ertragen können, wenn das Mädchen in Lorien unter seinen Augen heranwuchs und ihn irgendwann gefragt hätte, was mit ihrer Mutter wirklich geschehen war?

Seine Verblendung hatte ihn soweit getrieben, das Geschehnis vollkommen zurückzudrängen, selbst die goldbraunen Augen des Kindes, die sich in jener Nacht vertrauensvoll auf ihn gerichtet, eine stumme Frage gestellt hatten. Vielleicht hätte er Aithiel erkannt, wenn er sich stärker mit seiner tat auseinandergesetzt hätte. Galadriels Schweigen in diesem Moment, in dem er ihren Rat am meisten gebraucht hätte, kam ihm wie eine Strafe vor. Und er wusste, dass er sie verdient hatte.

Er überlegte, ob er zu einem seiner Brüder gehen sollte. Orophin war in diesem Moment sicher damit beschäftigt, einen Brief nach Bruchtal zu schreiben - am Morgen war eine Nachricht für ihn am Fuß eines zahmen Wanderfalken eingetroffen. Und Rumil hatte ein großes Geheimnis um seine Beschäftigung für den Nachmittag gemacht. Fest stand, dass er sich sehr auf etwas Besonderes freute und das wollte Haldir ihm nicht verderben.

Ohne noch weiter zu überlegen, machte er sich auf den Weg zu seinen Talan. Einem zufällig vorbeieilenden Diener rief er zu, er solle ihm Wein bringen und stieg dann durch den runden Eingang in seine Behausung.

Eigentlich trank er selten und auch ungern, da er nur zu oft erfahren hatte, was der Wein mit dem Kopf und Körper eines Elben anzustellen vermochte. Zudem vertrug er nicht viel, zur großen Freude seiner trinkfesten Brüder, die ihn schon oft herausgefordert hatten. Als sich der Diener, nachdem er seinen Auftrag ausgeführt und eine große Karaffe mit Wein gebracht hatte, zurückzog, schenkte sich Haldir dennoch einen großen Becher ein und stürzte ihn in einem Zug hinunter.

Dann ließ er sich auf sein Lager fallen, den Kopf auf einen Stapel weicher Felle gebettet und starrte zur Decke, die sich fast sofort leicht zu bewegen anfing. Er kniff die Augen zusammen, fluchte auf den Wein und das Leben. Doch auch wenn der Schwindel verging, sein Problem tat es nicht.

Im Grunde genommen war es seine Schuld, dass Aithiel ein Leben als Ausgestoßene führte. Hätte er sich damals seiner Verantwortung gestellt und sich ihrer angenommen, wie es die Tradition verlangte, dann wäre sie in Frieden aufgewachsen und nicht als Tochter eines Abtrünnigen und Kriegerin. Bei ihrer Schönheit sollte sie Kleider tragen und in den Wipfeln der Bäume singen, nicht Kettenhemden reparieren und die Spitze ihrer Lanze schärfen.

Er langte mit einer Hand zum Tisch, schenkte sich noch einmal voll ein und leerte auch diesen Becher gedankenlos. Wann hatte er entschieden, dass er sie schön fand? In dem Moment, in dem Galadriel ihn zurückgestoßen hatte, in dem Moment, in dem er sie am meisten gebraucht hätte. Er verzog die Lippen zu einem halben Lächeln.

Andererseits wäre wohl eine Aithiel, die in Lorien erzogen worden war, niemals dieselbe Frau, die sie jetzt war. Selbstbewusst, wehrhaft, lebendig, frei von jeglichen Regeln außer denen, die sie für sich auswählte. Anfangs hatte es ihn abstoßen, doch nun empfand er eine unerklärliche Faszination für sie und ihre Lebensweise.

Haldir seufzte. Er war wirklich betrunken und bemerkte, dass alles nur noch schlimmer wurde. Wirre Bilder wirbelten in seinem Kopf herum, das im Tode erstarrte Gesicht von Aithiels Mutter, das Spiel von Licht über ihrem Grab. Er wusste, dass er nicht weiter die Beherrschung verlieren durfte, dass es unumgänglich, dass er wieder einen klaren Kopf bekam. Dann musste er mit Aithiel reden, um endlich sein Gewissen zu erleichtern.

Er schloss die Augen und kämpfte die Übelkeit, die in ihm aufstieg, in den äußersten Winkel seines Bewusstseins zurück. Eine kleine Weile noch lauschte er den Stimmen vor seinem Talan, dann sank er in einen unruhigen Schlaf.

***

Er erwachte erst wieder, als jemand die kleine Öllampe entzündete, die auf dem Tisch stand. Haldir hob den schweren Kopf von seinem Lager und erkannte Rumil, der in diesem Moment seinen Feuerstein wieder in der Gürteltasche verschwinden ließ und für einen Moment wie verloren in die gelb lodernde Flamme starrte.

Dann drehte er sich zu Haldir um und dieser erschrak, wie ernst sein kleiner Bruder in diesem Moment wirkte. Schatten bedeckten sein Gesicht zur Hälfte, die leuchtenden Augen waren wie erloschen. Vor dem Fenster waren längst die Sterne aufgegangen und Haldir fluchte leise, als er sich bewusst wurde, seine Wache verschlafen zu haben.

"Hier!" Rumil hielt ihm seinen Becher hin, in dem Haldir nach vorsichtiger Untersuchung nur wasser entdeckte und dankbar trank. Seinen Magen vermochte die Flüssigkeit jedoch kaum zu beruhigen. "Du solltest wissen, wie das Zeug auf Dich wirkt!", setzte Rumil hinzu, ruhig und vernünftig, ganz im Gegenteil zu seiner Stimmung der vergangenen Tage.

Haldir fehlten die Worte, er wollte sich entschuldigen, zu irgendeiner Art von Erklärung ansetzten, doch alles, was ihm über die Lippen kam, war:

"Danke!"

Rumil lächelte kurz, so als könne eine kurze Freude ihn nicht von dem ablenken, was er wirklich empfand.

"Aithiel hat mir erzählt, dass Ihr heute am Grab ihrer Mutter wart. Aus ihren Reaktionen habe ich geschlossen, dass Du es ihr noch nicht gesagt hast?"

Haldir stützte sich auf den Unterarm und massierte mit der freien Hand kurz seine Schläfen, hinter denen es schmerzhaft pochte. Der Vorwurf, der Rumil ihm machte, war sehr deutlich.

"Also weißt Du es jetzt auch?"

"Ich wusste es von Anfang an", erzählte Rumil und setzte sich auf die Tischkante. Seine Stimme war voller Bekümmerung. "Sie ist ihrer Mutter wie aus dem Gesicht geschnitten. Erinnerst Du Dich, ich habe sie damals begraben, habe den Platz unter der Birke für sie gefunden. Schon im ersten Moment, in dem ich Aithiel sah, war es mir klar. Ich habe nur darauf gewartet, bis auch Du die Augen öffnest."

"Was schlägst Du vor?", erkundigte sich Haldir überflüssigerweise und setzte sich ganz auf, den Schwindel bekämpfend, der sich nun mit der peinigenden Übelkeit mischte. Rumil runzelte in einer perfekten Imitation von Haldirs Lieblingsgeste die Stirn.

"Du schuldest ihr die Wahrheit. Sie war sehr bedrückt heute Nachmittag."

"Ihr wart verabredet?", erkannte der Hauptmann. "Tut mir leid, dass ich es Dir verdorben habe. Wäre ich ehrlich gewesen, wäre sie zumindest wütend gewesen."

Ein Funken Schelmerei kehrte in Rumils Augen zurück.

"Dann wäre es wohl eine Verabredung mit Duell geworden. Immerhin hätte ich Dich verteidigen müssen, angeschlagen, wie Du bist." Er grinste dreckig, doch es lag viel Wahrheit in seinen Worten. Haldir fragte sich, wann sein Bruder endgültig erwachsen geworden war. "Schau Dich an. Der große Hauptmann, mein großer Bruder und Vorbild, sturzbetrunken und kurz davor, einen Baumstamm mit seinem Mageninhalt zu beglücken. Wie tief wirst Du noch sinken?"

"Ich liebe Dich auch, Rumil", fauchte Haldir und erprobte erfolgreich die Standfestigkeit seiner Knie. "Ich brauche etwas frische Luft, denke ich." Er taumelte ohne Kollision au dem Eingang des Talans und trat aufatmend in die Nacht hinaus. Wolkenfetzen zogen über den Himmel und kündigten einen Wetterumschwung an. Es regnete selten über Lorien, so als würde sich der Trauerhimmel der Unwetter bemühen, den Wald in seinem Glanz zu belassen. Haldir hielt sich zu seiner Sicherheit am Baum fest, da die Plattform vor dem Talan kein Geländer hatte und er sich selbst in diesem Moment nicht trauen konnte. "Schon besser", murmelte er nach einer kleinen Weile, in der sein Bruder hinter ihm gestanden hatte, um ihn im Notfall stützen zu können.

"Entschuldige", sagte Rumil plötzlich und legte ihm die Hand auf die Schulter. "Mir steht es gar nicht zu, Dir einen Vorwurf zu machen. Diese Geschichte begann als Katastrophe und es war ganz klar, dass sie auch auf diese Weise enden würde. Das ist es wohl, was man Schicksal nennt. Man kann ihm nicht davonlaufen, ganz gleich, was man tut. Irgendwann wird es Aithiel erfahren, ob durch Dich oder jemand anderen. Der Unterschied bestände darin, dass Du mit Ehrlichkeit endgültig einen Schlussstrich ziehen kannst."

"Du hattest jedes Recht!", widersprach ihm Haldir energisch. "Ich kenne Galadriel schon sehr lange, doch leider nicht gut genug, wie es mir manchmal scheint. In dem Moment, in dem ich ihr das Kind übergab, hätte ich wissen müssen, dass meine Verantwortung nicht enden würde. Galadriel ist mit dem, was Du als Schicksal bezeichnest, derart eng verbunden, dass Aithiel unweigerlich einen Wind finden musste, der sie zu mir zurückführte." Er seufzte, spürte, wie die Übelkeit langsam aus seinem Körper wich und sich sein Kopf wieder klärte. Die Bilder von Tod und Verderben verschwanden und machten der Gewissheit Platz, dass Rumil Recht hatte mit seinen Ratschlägen. "Und ich danke Dir dafür, dass Du es unternimmst, mir den Kopf geraderücken zu wollen. Dass es einmal nicht umgekehrt stattfindet, ist wirklich etwas Neues!"

Rumil lachte leise.

"Immer wieder gerne. Ich werde jetzt mal auf meine Wache zurückkehren - Dich habe ich als beschäftigt entschuldigt. Nach eintausend Jahren Dienst ohne ein Versäumnis haben sich zwar alle gewundert, aber keiner hat genauer nachgefragt. Menond hat für Dich übernommen."

"Erinnere mich daran, dass ich mich bei ihm bedanke! Morgen werde ich einig unangenehme Gespräche führen müssen." Haldir machte Anstalten, wieder zurück in seinen Talan zu klettern. Sein weiches Lager zog ihn magisch an. Eine Frage lag ihm jedoch noch auf der Zunge und es war irritierend, wie wichtig die Antwort für ihn war. "Was ist das zwischen Dir und Aithiel?"

Mit einer Grimasse drehte sich auch Rumil, der bereit auf der Treppe gewesen war, noch einmal herum.

"Wir können uns hervorragend unterhalten", behauptete er und es misslang ihm, seine Enttäuschung zu verbergen. "Sie hat momentan genug zu bewältigen. Ihr Liebhaber bedrängt sie, die Truppe weiterhin zusammenzuhalten, notfalls auch mit seiner Hilfe. Sie selbst überlegt jedoch, die Orkreiter aufzulösen und alle ihr Glück versuchen zu lassen. Darüber hinaus verweigert ihr Galadriel seit heute Mittag jedes Gespräch!"

"Na, da ist sie nicht die Einzige!", murmelte Haldir und kehrte dann endgültig in sein Haus zurück.

***

Der nächste Morgen kam und Haldir erlebte zu seiner Erleichterung keine üblen Nachwirkungen seines übermäßigen Weinkonsums. Nachdem er sich angekleidet hatte, trat er hinaus in die kühle Luft und blickte skeptisch zum Himmel auf. Die Wolken, die sich in der Nacht bereits gezeigt hatten, hingen nun tief am Himmel und obwohl es ein schöner und warmer Tag zu werden versprach, wagte sich die Sonne nur spärlich hervor.

Er fühlte sich noch ein wenig schwindelig, als er die Treppe zu Erdboden hinunterstieg. Wenige Elben befanden sich zu dieser frühen Stunde schon im Freien, nur einige Krieger patrouillierten in den Baumkronen - Zugeständnis an die sich verschärfende Situation außerhalb des Waldes. Haldir nickte einigen von ihnen zu und schlug den Pfad zwischen den Bäumen ein, der zu den Gästequartieren führte.

Das Gespräch mit Aithiel wollte er so schnell wie möglich hinter sich bringen und rang in seinem Geist mit den Worten, mit denen er ihr klarmachen wollte, was zum Tod ihrer Mutter geführt hatte. Doch jede Phrase, die er überlegte, klang zu hohl oder gar zu kalt. Kopfschüttelnd verwarf er seine bisherigen Versuche.

Ein sommerlicher, sanfter Sprühregen ergoss sich über Lorien und plötzlich strömte der Wald einen besonderen Geruch aus, süß und sauber zur selben Zeit, so als könnte sich die Kraft der Pflanzen durch den Regen auf seinen Betrachter übertragen. Winzige Tropfen trafen kühl auf Haldirs Gesicht und für einen Moment genoss er das Gefühl der Reinheit, das ihn durchströmte. Sein Vergehen konnte es nicht auslöschen, doch der Gedanke, seine Schuld loszuwerden und wieder ganz frei zu werden von den quälenden Gedanken, ließ ihn seine Schritte beschleunigen.

Aithiel saß auf dem Rand der Plattform vor ihrem Talan, er sah sie bereit von weitem. Ihr rotes Haar wurde durch die vorwitzigen Sonnenstrahlen, die sich durch die Wolken kämpften, zum Glühen gebracht. Er näherte sich ihr, ohne dass sie ihn zu bemerken schien, da sie damit beschäftigt war, die Ringe an ihrem Kettenhemd zu erneuern. Der leichte Regen hatte ihr weißes Hemd teilweise durchnässt, es klebte auf ihren Schultern, die nach Haldirs Meinung viel zu schmal waren, um mit Leder und Metall belastet zu werden.

"Guten Morgen", begrüßte er sie und sie blickte auf, sah ihn am Fuß des Baumes stehen. Ein kurzes Lächeln huschte über ihr Gesicht, konnte es jedoch nicht so erhellen wie in den Momenten, in denen sie Rumil oder auch Aithlion anblickte. Haldir fühlte einen winzigen Stich in seiner Brust und schob ihn auf die schrittweise eintretenden Nachwirkungen des Alkohols. "Darf ich heraufkommen?"

"Bitte", antwortete sie, legte ihre Arbeit jedoch nicht beiseite, als er die Strickleiter hinaufzusteigen begann. Konzentriert bog sie mit einem Werkzeug einen Eisenring auseinander und fügte ihn vorsichtig in das Geflecht des Hemdes ein. Ihr leiser Fluch ließ ihn darauf schließen, dass sie sich die Finger geklemmt hatte. Etwas unschlüssig blieb er, als er mit für ihn peinlicher Mühe die Plattform erklommen hatte, neben ihr stehen. Eine kleine Weile geschah nichts, dann wies sie neben sich. "Setzt Euch." Er war ihr für die Anleitung dankbar, denn seine Knie versuchten ihren Zustand der vergangenen Nacht zu wiederholen und so ließ er sich nieder, die Beine ebenfalls vorsichtig über den Rand schwingend. "Ihr seid blass", sagte Aithiel und legte endgültig das Kettenhemd weg, deckte eine Plane darüber, um es gegen den Regen zu schützen.

"Es war eine lange Nacht", wich er aus und betrachtete ihr ruhiges Profil. Wusste sie, warum er gekommen war? Allerdings sollte ihn ihr kühles Auftreten nicht überraschen. Die Art und Weise, in der er sie am Grab ihrer Mutter alleingelassen hatte, war unverzeihlich. Er kam sich schrecklich unbeholfen vor, nun neben ihr zu sitzen und ihr die Wahrheit zu erzählen. "Ich wollte mich für mein Verhalten gestern entschuldigen. Es war absolut unangebracht, derart schroff zu sein."

"Das war es wirklich", gab sie zurück und starrte hinunter in den Wald. "Aber ich verzeihe Euch. Ihr scheint wirklich kein Mann der vielen Worte zu sein."

"Nein, das bin ich wohl nicht. Rumil ist der Teil der Familie, der sich gerne reden hört!" Er beobachtete, wie ein Leuchten über ihre düstere Miene glitt und schloss daraus, dass sich die Beziehung zwischen ihr und seinem Bruder anders entwickelte, als dieser zugeben wollte. "Ich möchte Euch etwas über die Nacht erzählen, in der Eure Mutter starb. Es ist wichtig für mich, dass ihr versteht -."

Sie winkte ab und Haldir, der eine lange Zeit gebraucht hatte, um seinen Mut wiederzufinden, fiel innerlich in sich zusammen.

"Ich will es gar nicht wissen, sondern sie so im Gedächtnis behalten, wie sie war." Ihre Augen verdunkelten sich und mit mühsam beherrschter Stimme setzte sie hinzu: "So sehr, wie ich sie in meinem Leben vermisst habe, hasse ich die Orks. Wenn ich nicht wüsste, dass alle von ihnen während des Überfalls getötet wurden, dann würde ich die ganze Erde absuchen, um auch den letzten von ihnen zu töten und elend verrecken zu sehen."

Für einen Moment blickte Haldir hinter ihre Fassade und erschrak, als er die Verbitterung spürte, die aus ihr herausstrahlte. Erschüttert erkannte er seinen Anteil in ihren Gefühlen - hervorgerufen durch eine lebenslange Lüge, die er begründet hatte.

"Und wenn sich herausstellen würde, dass es nicht nur allein die Schuld der Orks war?", tastete er sich vorsichtig vor. Aithiel blickte ihn nun an, fragend und nicht weniger hasserfüllt als zuvor. Haldir seufzte leise und getraute sich nicht, ohne Vorwarnung direkt zum Punkt zu kommen. Stattdessen begann er: "Es war eine mehr als dunkle Nacht, als die Orks angriffen. Es waren mehrere Dutzend von ihnen und meine Krieger schlugen ohne Warnung zu. Keiner von uns konnte ahnen, dass eine Elbin vor deren Reihen der Orks flüchtete. Es war ein elbischer Pfeil, der Eure Mutter tödlich verwundete."

"Wessen Pfeil?" Aithiel war aufgesprungen und schien jederzeit bereit zu sein, zu ihren Waffen zu greifen und den Schuldigen unverzüglich aufzuspüren. Haldir war bekümmert über ihren Zorn, doch er wusste, dass er ebenso nötig wie angebracht war. Er öffnete den Mund, um ihr die Wahrheit zu sagen und dann auf das zu reagieren, was sie zu tun beabsichtigte. Im besten Fall würde sie ihn aus ihrem Talan jagen, im schlimmsten Fall - . Er mochte nicht darüber nachdenken. Aber was immer es war, es würde ihn befreien. "Sagt es mir, Haldir, wer hat sie getötet?"