Kapitel 6

Schatten des Krieges

Aithiel hatte das Gefühl, dass ihr Herz zu zerspringen drohte. Haldirs Worte drangen nur noch spärlich durch den Schleier der Wut, der sich über ihre Sinne gelegt hatte und alles, was von außen auf sie einwirkte, zu betäuben schien. Das Blut rauschte in ihren Ohren. So fühlte es sich an, wenn sie kämpfte und noch niemals hatte sie jene Rage außerhalb eines Schlachtfeldes gespürt.

Haldir blickte sie nun stumm an und am liebsten hätte sie ihn geschlagen, weil er seine Andeutungen nicht verdeutlichen zu wollen schien. Der Ausdruck des Bedauerns, der deutlich zu erkennen war, hielt sie jedoch zurück. Es war sicher schwierig für ihn, einen seiner Männer und Freunde zu verraten. Wenn sie an seiner Stelle gewesen wäre - .

Sie atmete kurz durch und beruhigte sich wieder etwas. Der Mann an ihrer Seite hatte sich erhoben und blickte sie prüfend an, als wolle er aus ihrem Gesicht lesen, was er noch sagen konnte. Aithiel fühlte eine Reihe von Gefühlen in sich aufsteigen, die sie nicht einzuordnen wusste.

Ohnmächtige Wut pulsierte in ihr, darüber, dass sie, solange sie denken konnte im Unklaren gelassen worden zu sein, wer sie war und was ihrer namenlosen Mutter geschehen war. Doch im selben Moment spürte sie, wie ihr nasses Hemd an ihrem Oberkörper klebte und Haldirs Blick, obwohl er es zu verbergen suchte, an ihr herabglitt. Seine ruhige Präsenz nahm ihr zum ersten Mal, seit sie sich kannten, den Atem. Er war nicht wie Aithlion oder gar Rumil, den sie im Lauf ihres erst kurzen Aufenthaltes bereits in ihr Herz geschlossen hatte. In den Tiefen seiner graublauen Augen lag etwas, das sie berühren konnte, mehr als die jungenhafte Art seines Bruders oder das stürmische Vorgehen ihres Liebhabers.

Der Moment ging vorbei, ohne dass sie sich bewegen oder etwas sagen konnte. Dann wurde die Spannung zwischen ihnen zerrissen, als Aithlion zwischen den Bäumen herangerannt kam, seine Sens ein der Hand, das Gesicht verzerrt.

"Aithiel, ein Bote von den Reitern! Sie befinden sich auf dem Rückzug in Richtung Lorien - seit Tagen werden sie von einem großen Orktrupp angegriffen. Wir müssen ihnen helfen!"

Ohne zu zögern riss Aithiel ihr Kettenhemd vom Boden hoch und rief zu Aithlion hinunter:

"Die Männer sollen sich fertig machen, wir brechen sofort auf!" An Haldir gewandt, setzte sie hinzu: "Seid so freundlich und gestattet mir, den Rest meiner Männer hierher zu bringen!"

Dann, ohne auf ein weiteres Wort von ihm zu warten, eilte sie in ihren Talan. Mit lebenslanger Routine schlüpfte sie in ein wattiertes Wams, zog dann das Kettenhemd an und schnürte zum Schluss die Lederweste darüber. Ihren Gürtel mit dem langen Dolch umlegend, überprüfte sie nochmals mit einem schnellen Blick alle Verschlüsse, griff dann nach ihrer Sense und dem Bogen. Ihre Pfeile warteten am Sattel ihres Pferdes in einem Köcher, dafür würde man sorgen.

Als sie aus ihrem Talan stürmte, war Haldir nicht mehr da, doch sie war zu aufgeregt, um enttäuscht zu sein. Behände rutschte sie auf der Leiter zum Erdboden hinab und biss sich heftig auf die Lippe, als ihre verletzte Schulter zu pochen begann. Es war kein guter Zeitpunkt für einen Kampf.

Vor den Ställen traf sie auf ihre Leute, alle bereits bewaffnet und mit grimmigen Gesichtern. Die Pferde, bereits gesattelt und aufgezäumt, schnaubten aufgeregt und zerrissen mit ihren Hufen das Moos des Waldbodens. Der Bote der Orkreiter, einer der jüngeren Krieger, saß immer noch im Sattel, schwankend, Blut tropfte aus seinen zahlreiche Wunden zu Boden.

"Herrin, " rief er, als er sie herannahen sah. "Ich werde Euch zu den anderen führen."

Aithiel überlegte kurz und schüttelte dann den Kopf. Sie bedeutete Aithlion, dem Elb vom Pferd zu helfen. Schwer sackte der Körper des Boten in sich zusammen, als er mit beiden Füßen auf dem Boden stand und sofort eilten zwei Lorienelben heran, um ihm zur Hilfe zu kommen. Aithiel trat zu ihm und sagte freundlich:

"Ihr habt genug getan. Sagt mir, wo sie sich befanden, als Ihr sie verließet. Dann werden wir sie finden, ich verspreche es!" Mit nunmehr kaum hörbarer Stimme raunte der Elb ihr die Position zu und sank dann endgültig zusammen, sich einer gnädigen Ohnmacht ergebend. "Auf die Pferde!", befahl sie dann mit fester Stimme. "Es ist keine Zeit zu verlieren." Ninim, ihre weiße Stute, tänzelte unruhig, als Aithiel in den Sattel stieg. Beruhigend klopfte sie dem Tier auf den sehnigen Hals und sah dann erstaunt, dass aus den Ställen weitere Pferde herausgeführt wurden, zehn an der Zahl, herrliche lorische Tiere. "Was-?", fragte sie Aithlion, der die Schultern hob und hatte den Satz kaum begonnen, als sie Haldir zurückkehren sah.

Die Elben, die ihm nachfolgten, waren wie ihr Hauptmann zum Kampf gerüstet und zeigten keine Regung, als auch sie aufsaßen. Haldir besaß einen kräftigen, lohfarbenen Hengst, den er völlig selbstverständlich an Aithiels Seite lenkte und damit Aithlion abdrängte, der abschätzig das Gesicht verzog. Sie warf ihrem Freund ein beruhigendes Lächeln zu und blickte dann zu dem Hauptmann.

"Wenn es Euch nicht stört, dann werden wir Eure Männer gemeinsam suchen. Wer um Loriens Beistand bitte, soll ihn haben", erklärte er kurz, bevor sie sein Auftauchen hinterfragen konnte. Erneut überkam Aithiel das Gefühl, dass noch etwas anderes für Haldirs Entscheidung eine Rolle spielte. Möglicherweise plagten ihn Schuldgefühle, weil er ihr noch immer nicht die Wahrheit gesagt hatte. Doch Dergleichen war zu diesem Zeitpunkt zweitrangig. Sie musste ihre Männer in Sicherheit bringen.

"Eure Bereitschaft ehrt die Orkreiter!", sagte sie laut, damit alle Umstehenden es hören konnten, und streckte ihm die behandschuhte Hand entgegen. Er schlug ein, um damit ein Zeichen für alle Elben aus Lorien setzen, dass es die Orkreiter in seinen Augen wert waren, dass man mit ihnen gemeinsam in den Kampf zog. Aithiel freute sich sehr über diese Geste, doch sie erkundigte sich leise:

"Ihr habt das hoffentlich mit der Herrin besprochen?"

Er tat etwas sehr Ungewöhnliches. Er lächelte breit und antwortete im selben Tonfall:

"Wenn Galadriel keine Entscheidung trifft, dann muss ich es wohl."

***

Sie verließen Lorien und Aithiel blickte über ihre Schulter zurück. Im Licht des frühen Morgens blitzten die Blätter der Mallornbäume so hell, dass Aithiel meinte, sie noch über viele Meilen ausmachen zu können. Auch wenn Galadriel ihr eröffnet hatte, dass der Düsterwald ihre Heimat war, so hatte sie Lorien und seine Bewohner insgeheim liebgewonnen. Seit sich Rumil öffentlich mit ihr gezeigt hatte, waren die Elben um vieles höflicher geworden und dass Haldir nun bereit war, sie zu unterstützen, kam einer Aufhebung ihres Ausgestoßenenstands gleich.

Sie richteten sich nach Norden aus, in jene Richtung, die der Bote ihr angewiesen hatte. Rechts von ihnen fiel die Landschaft sanft ab und eine gewaltige Ebene erstreckte sich bis zum Anduin, der sich träge durch die Landschaft schlängelte.

Haldir zeigte sich während des Ritts nicht sehr gesprächig. Sein Blick glitt beständig über den Horizont und jede kleinste Regung der Natur auf ihrem Weg fand seine Aufmerksamkeit. Aithiel betrachtete ihn hin und wieder und wünschte sich, sie könnte in seinen Kopf blicken und ihm sein Geheimnis einfach entreißen.

Aithlion ritt vom Ende der Gruppe heran und warf ihr einen langen Blick zu. Sie verstand das Signal und ließ sich ein wenig zurückfallen, um ungestört mit ihm reden zu können. Obwohl er sich äußerste Mühe gab, ruhig und sachlich zu erscheinen, gelang es ihm nicht, den schneidenden Unterton aus seiner Stimme zu verbannen, als er sagte:

"Musst Du es jetzt schon so deutlich zeigen?!"

"Was zeige ich?" Aithiel fühlte erneut Ärger in sich aufsteigen. So oft wie in den letzten Tagen hatte er niemals Kritik an ihrem Verhalten geäußert und es regte sie auf, dass er ihr zur selben Zeit seine Unterstützung versicherte. "Werd deutlicher, ich habe keine Lust, mir Deine Verdächtigungen weiter anzuhören!" Ihre Stimme war eisig geworden und ihr Blick hochmütig, so wie es ihr Vater stets zu gepflegt hatte, wenn einer seiner Männer unverschämt wurde. Tatsächlich wirkte ihr Verhalten, Aithlion ließ sich in seinem Sattel zurückfallen, auf dem er sich soeben noch aggressiv aufgerichtet hatte. Er hatte verstanden, dass sie noch immer seiner Vorgesetzte war, ganz gleich, wie sehr durch ihre Freundschaft und ihr Liebesverhältnis die Grenzen verschwammen.

Er räusperte sich.

"Früher haben wir unsere Angelegenheiten immer alleine geregelt. Und nun lässt Du es zu, dass dieser Haldir die Führung übernimmt?"

"Es sind andere Zeiten", begegnete sie dem Vorwurf und griff fester nach den Zügeln. "Ich weiß, dass mein Vater für sich, aber vor allem für die Gruppe und ihre Ehre gekämpft hat. Sein Stolz hat ihn bis zu seinem Tod daran gehindert, Hilfe anzunehmen oder gar bei Thranduil um Vergebung zu bitten. Jetzt bin ich verantwortlich, wie Du mir in den letzten Tagen immer wieder klarmachen wolltest. Und es ist allein meine Entscheidung, die Hilfe der Elben Loriens anzunehmen." Aufmerksam deutete sie sein Mienenspiel und verstand plötzlich. "Du bist eifersüchtig!"

"Ja, zum Teufel", brummte Aithlion und blinzelte ihr zu, wurde wieder zu dem Freund ihrer Kindheit. "Lorien hat Dich völlig in Beschlag genommen, so sehr, dass ich fürchte, Dich an die Bäume zu verlieren. Nicht zu sprechen von diesem Rumil, der Dir wie ein kleiner Hund hinterherläuft. Und von seinem Bruder, der da vorne so tut, als würde er nicht versuchen, uns zu belauschen."

Aithiel lachte leise und tätschelte Aithlions Hengst, doch sie war nicht fröhlich. Er hatte erkannt, was in ihrem Inneren vorging und fürchtete nun, sie zu verlieren. Das schmeichelte sie ebenso wie sein mangelndes Vertrauen sie schmerzte. Seine Eifersucht war in keinem Fall berechtigt. Mit Rumil verstand sie sich ausgezeichnet und der vergangene Nachmittag, in der er ihr die schönsten Plätze Loriens gezeigt und sie mit einem Abendessen auf einer Blumenwiese überrascht hatte, war einer der angenehmsten der vergangenen Jahre gewesen. Dass er keinen Zweifel daran ließ, wie attraktiv er sie fand, störte sie nicht, auch wenn sie fühlte, dass sie nichts für ihn empfinden konnte außer Freundschaft.

"Lorien wird uns nicht trennen können", schwor sie und ritt dann wieder voraus, an Haldirs Seite.

Der Tag verging, ohne dass es ein Zeichen von den Orkreitern gab. Aithiel wurde von Stunde zu Stunde ungeduldiger und als sie Sonne am Horizont zu versinken begann, bemerkte sie, wie sich auch unter ihren Männern Unruhe auszubreiten begann. Doch es brauchte noch eine weitere Stunde, bis Haldir plötzlich die Hand hob und Aithiel plötzlich einen strengen Geruch wahrnehmen konnte, der sich in der Luft ausbreitete. In die Dunkelheit mischten sich ferne Stimmen, die in elbischer Sprache riefen.

Haldir wies auf ein Waldstück, das in einiger Entfernung lag und Aithiel nickte. Sie hatte den Gestank erkannt, den die Orks ausströmten und der der Patina aus Dreck, Schweiß und Blut entstammte, der ihre mitgestalteten Körper bedeckte. Sie winkte ihre Männer an ihre Seite und bedeutete Haldir, dass sie von einer anderen Seite des Wäldchens angreifen wollte als die Männer aus Lorien. Er nickte und kurze Zeit später schwenkten die Orkreiter, um den Kampfplatz in östlicher Richtung zu umgehen.

Ninims unbeschlagene Hufe machten kaum ein Geräusch, als Aithiel die Männer zwischen den Bäumen hindurchführte. Trotz der Dunkelheit war der Tritt der Pferde sicher und beschwerte ihnen keine unliebsamen Überraschungen. Nach einigen endlosen Momenten lichteten sich die Bäume ein wenig und der Kampfplatz war zu sehen.

Die Orkreiter, inzwischen auf eine Gruppe von drei Dutzend Männern zusammengeschrumpft, waren in der Mitte des Waldes zusammengedrängt worden und kämpften mit aller Macht gegen die von den Seiten auf sie zuströmenden Orks. Viele von ihnen waren verwundet und ihrer Pferde beraubt worden und Aithiels geschulter Blick erkannte die mehr als verzweifelte Lage sofort. Sie konnte einige vertraute Gesichter in der Menge dses Kämpfenden nicht wiederfinden und die Erkenntnis, dass unter den Gefallenen, deren Blut den Waldboden tränkte, auch alte Freunde lagen, schickte einen wilden Rausch durch ihre Adern.

Mit einem Schrei hob sie die Lanze über den Kopf und gab Ninim die Sporen.

***

Wilde Entschlossenheit pulsierte in Aithiel, als sie sich dicht an den warmen Pferdekörper presste, um ein möglichst kleines Ziel zu bieten. Die Orks wurden durch ihren Schrei sichtlich überrascht und als auch die silbernen Gestalten der Galadhrim zwischen den Bäumen hervorstürmten, stockte der Angriff der Orks für einen Moment, in dem sie sich neu orientieren konnten.

Bevor die ersten Orks sie angreifen konnten, hatte Aithiel mit wuchtigen Sensenschlägen zwei der Ungeheuer von den Beinen geholt. Ein weiterer fuhr zu ihr herum, Geifer tropfte von seinen langen Fängen, als er sie erblickte und sein Schwert hob, um nach ihr zu schlafen. Ninim witterte den Angriff und wich zur Seit aus, während Aithiel ihre Waffe durch die Schulter des Orks bis zu seinem Rückrat treib. Brüllend brach er zusammen, noch immer um sich schlagend. Die Spitze seins Schwertes trat Ninims Seite und die Stute schrie kläglich auf, doch ein harter Griff in ihre Zügel, die einen scharfen Schmerz durch Aithiels verwundete Schulter fahren ließ, verhinderte, dass das Tier durchging.

Aithlion erschien an ihrer Seite, um sich zu überzeugen, dass es ihr gut ging, doch mit einer wütenden Bewegung ihrer Lanze bedeutete sie ihm, sich nicht um sie zu kümmern. Sein dunklen Haare wehten im Wind, als er über den Kampfplatz fegte und die Orks niedermähte wie ein Bauer sein Korn.

Die Orkreiter kämpften nun mit neuem Mut und langsam gelang es ihnen, ihre Gegner zurückzutreiben, direkt in die wartenden Arme der Galadhrim, die aus einiger Entfernung todbringende Pfeile verschossen und dann auch in den Nahkampf übergingen.

Fast schien es so, als wären die Orks unterlegen, eingekreist von den Elben, die ihnen an Wendigkeit deutlich überlegen waren, doch da nahm Aithiel Bewegung im dem Waldstück hinter Haldirs Kriegern wahr. Im bleichen Licht des Sichelmondes schimmerten Rüstungen auf und Gestalten mit heller Haut huschten heran, deren Heimlichkeit deutlich machte, dass sie nicht dazu neigten, sich auf die Seite der Elben zu schlagen, denen sie in den Rücken fallen würden.

Aithiel stieß einen warnenden Ruf aus, stieß die Sense in die Halterung an ihrem Sattel und griff nach ihrem Bogen. Ninim fand alleine ihren Weg durch das Durcheinander der Schlacht und als die ersten Menschen aus dem Dunkel des Waldes sprangen und die Galadhrim angriffen, schickte Aithiel mehrere Pfeile auf die Reise, um die Überraschung ein wenig auszugleichen. Als sie sah, dass die Lorienelben zurechtkamen, wechselte sie erneut zur Sense und leitete Ninim dann zu dem Ort, an dem das Getümmel am größten war und man kaum zwischen den ineinander verkeilten Körpern der Kämpfer unterscheiden konnte.

Blut und gräuliche Hirnmasse spritzten, als Aithiel einem Ork den Schädel spaltete, ein weiterer fiel unter Ninims Hufen. Dann noch einer, und noch einer. Aithiel zählte nicht die Toten, die ihr zu Füßen fielen. Sie wusste nicht, ob sie schrie oder stumm kämpfte, so sehr war sie im Rausch des Kampfes gefangen.

Wie aus weiter Ferne hörte sie plötzlich, wie jemand ihren Namen rief. Sie blickte auf und erblickte zu ihrem Schrecken, dass Aithlion getroffen worden war. Ein aus dem Hinterhalt der Menschen abgeschossener Pfeil ragte aus seiner Schulter und er schwankte im Sattel. Mit wütenden Schlägen versuchte sich Aithiel zu ihm durchzuschlagen, doch es war, als würde sich jeder Ork der Welt in ihren Weg werfen, um sie aufzuhalten. Voller Entsetzen sah sie, wie ein zweiter Pfeil sein Ziel in Aithlions Rücken fand und er vom Rücken seines Hengstes fiel.

Dieser kurze Moment der Unachtsamkeit rächte sich sofort. Ninim brach unter ihr zusammen, ein Ork hatte sein beidhändiges Schwert mit voller Wucht in die Brust der Stute gerammt. Aithiel sprang ab, bevor sie unter dem zuckend zusammenbrechenden Pferdekörper begraben wurde, kein Bedauern verspürend über den Tod ihrer langjährigen Begleiterin. Allein Aithlion zählte.

Heißer Schmerz flutete durch ihren Körper, als sie vorwärts stolperte, von einem Hieb getroffen. Sie fuhr herum und zog dem Ork, der sein Schwert in ihre bereits verwundete Schulter gestoßen hatte, die Sense über den Bauch. Seine Gedärme quollen in einer ekelerregenden Flut zu Boden, zu der er sich Sekunden später gesellte.

Aithiel sah sich um. Das Auftauchen der Menschen, anscheinend Duinländer, die sich mit den Orks verbündet hatten, hatte die Waagschale des Kampfesglücks zu Lasten der Elben gesenkt. Pfeile zischten durch die Luft und vor Aithiels Augen starb einer der Freunde ihres Vaters, still und würdevoll fiel er zu Boden.

Mit der Sense einen todbringenden Bogen beschreibend, kämpft sie sich auf dem von Blut und anderen Körpersäften rutschigen Boden voran und ihre sorgenvollen Gedanken vermischten sich mit dem Schmerz, der in ihrer Schulter pulsierte.

Aithlion lag zusammengekrümmt auf dem Boden. Einige Orkreiter hatten sich um ihn geschart, um ihn mit ihrem Leben zu schützen, denn er lebte noch. Seine Hände griffen ziellos nach seinem Schwert, doch er erreichte es nicht. Aithiel stürzte zu ihm, warf sich auf die Knie und zog seinen Körper vorsichtig in ihren Schoß. Sie vergaß die Gefahr, in der sie schwebte und das Blut, das warm über ihren Rücken rann, beim Anblick des einzigen wahren Freundes, den sie jemals gehabt hatte. Aithlions warme Augen sahen sie verwundert an, so als könne er nicht fassen, was geschehen war.

Dann lächelte er ein wenig, so wie er es immer tat, wenn er sie verärgert hatte und sie dann wieder durch Schmeicheleien zu beruhigen trachtete.

"Es tut mir leid", sagte er leise und Blut trat über seine Lippen, während er sprach. Dann sank sein Kopf auf ihren Arm hinab und seine Augen schlossen sich. Aithiels Hand glitt zu seinem Puls, doch ehe sie einen Herzschlag ertasten konnte, wurde einer ihrer Männer auf sie geschleudert, durchbohrt von einem rostigen Dolch. Er riss sie mit zu Boden und sie wurde für einen Moment mit dem Gesicht in den blutigen Schlick gepresst.

Etwas davon bekam sie in den Mund, spuckte ihn hustend aus und schlängelte sich unter den beiden zusammengesunkenen Körpern heraus, am ganzen Leib zitternd. Ihre Sense war fort und so blieb nur noch ihr Schwert, doch auch das konnte ihr keinen guten Dienst erweisen, als sie sich drei Orks gegenübersah, die ihre Schwäche bemerkt hatten und sich nun höhnisch grinsend näherten.

Der Kampf endete schnell. Der erste Ork fiel unter ihren Schlägen, doch für den Kampf mit den beiden anderen fehlte ihr die Kraft. Einer traf sie mit seiner dornenbesetzten Keulen am Oberschenkel und riss eine klaffende Wunde. Sofort knickte ihr Bein ein und verzweifelt riss sie das Schwert hoch, um die Schläge abzuwehren, die auf sie niederprasselten, doch auch ihre Arme erlahmten zusehends.

Noch niemals in ihrem Leben war ihr so klar gewesen, dass sie sterben würde. In Erwartung des letzten Streiches schloss sie die Augen und als etwas krachend auf ihrem Kopf auftraf, glitt ihr Geist völlig in die Schwärze.