So, doch noch ein Kapitel vor der Fahrt – das musste noch raus! An dieser Stelle noch einmal einen Dank an meine Reviewer und auch meine stillen Leser, die sich hin und wieder doch zu Wort melden – danke, Silvia!

Kapitel 14

Die letzte Frage

Aithiel strich unwirsch eine nasse Strähne auf der Stirn, die Augen fest auf das Kampfgeschehen gerichtet. Ihr Herz schlug immer noch schnell bei der Erinnerung an den berstenden Ringwall. Noch nie hatte sie dergleichen gesehen und beim Anblick der wirbelnden Steinquader begriffen, dass sich das Schicksal in diesem Moment wendete.

Die Nacht war fast zu Ende und wie ein einziger Rausch an Aithiel vorübergezogen, in einem Chaos aus Sorge und Entsetzen. Die Orks hatten den Wall genommen und bedrängten nun das Innere der Burg. Sie schluckte. Sie ganze Zeit über hatte sie sich geweigert, den Befehl zu erteilen, doch jetzt ,als es schien, als wäre jeder Kämpfer auf Seiten der Menschen von Bedeutung, konnte sie nicht mehr anders.

Die Unruhe ihrer Männer hatte sich bis zum Äußersten gesteigert und sie alle schienen fast erleichtert, als Aithiel sich aufrichtete und ihr Pferd am Zügel ergriff.

            „Wir gehen über die linke Flanke hinein."

Rumil, der die ganz Zeit neben ihr gestanden und geschwiegen hatte, sah sie zweifelnd an. „Bist Du sicher? Es wird unser sicherer Tod sein."

            „Nein!", gab sie zurück und setzte sich dann in Bewegung, um vorsichtig das Pferd auf eine breitere Stelle des Pfades zu führen, an der sie aufsteigen konnte. „Wir können überleben, wenn wir extrem vorsichtig sind. Die Orks werden einen Angriff von hinten zunächst kaum bemerken und zu spät reagieren. Wenn wir es durch den Wall schaffen, haben wir die Bogenschützen der Menschen im Rücken. Das wäre unsere Rettung."

Sie sprang in den Sattel und trabte zur Ebene hinab. Die Männer reihten sich ein und als sie wieder am Erdboden waren, der weich und rutschig war wegen des Regens, setzen sie zum Galopp an.

Der Niederschlag hatte aufgehört, doch noch waberte Nässe in der Luft, die Aithiel ins Gesicht traf und sie aus der Erschöpfung empor riss, die sie zu übermannen drohte. So kannte sie sich gar nicht. Doch die Schlacht zu beobachten und erkennen zu müssen, wie ein elbsicher Krieger nach dem anderen vom äußeren Wall fiel, hatte sie angestrengt, als sei sie selbst Teil der Schlacht gewesen.

So ritten sie der schwarzen Masse von Orkk entgegen, die in jedem Moment größer und realer erschienen. Aithiel ärgerte sich, sich am vergangenen Abend der Burg nicht weiter genährt zu haben, denn jeder Augenblick ihres wilden Ritts dehnte sich für sie zu Stunden. Ihre ganzen Gedanken waren bei Haldir, der nicht mehr weit von ihr entfernt war.

Ihre Stute spürte die Aufregung um sie herum, und riss hin und wieder hektisch an den Zügeln. Aithiel verkrallte ihre Hand in das Leder und griff mit der anderen nach ihrer Kriegslanze, die am Sattel hing. Rumil war dicht hinter ihr, während einige Männer zusammen mit ihr und den gesenkten Lanzen einen Keil bildeten, der die Reihen von Orks  von hinten durchbrechen würde.

Endlich waren sie so nahe, dass Aithiel den widerwärtigen Geruch des Todes wahrnehmen konnte. Schmutz, Blut und andere Körpersäfte waren auf dem Boden vergossen worden und mischten sich mit dem Regen, der sie eines Tages forttragen würde.

            „Komm schon." Sie legte sich im Sattel nach vorm und raunte ihrer Stute in Ohr. „Sei tapfer."

Der Moment war gekommen. Aithiel ließ die Zügel fahren, um der Stute ihren eigenen Gang zu lassen und riss mit der freien Hand ihr Schwert heraus. Nur vom Druck ihrer Beine gehalten, stieß sie den Kriegsruf der Orkreiter an, der in diesem Moment auch aus den Kehlen der Männer erklang

Der Zusammenstoß ihre Lanzenspitze mit dem ersten gerüsteten Körper schickte einen harten Ruck durch Aithiels Körper. Blitzschnell zog sie die Waffe aus dem Fleisch zurück und schwang sie zum nächsten Ork, der damit seinen Kopf verlor. Der Aufprall auf die Rücken der Orks hatte das Tempo der Reiter für einen Moment schier eingefroren. Doch dann, als sie die hintersten Reihen durchbrochen hatten, wurden sie wieder schneller. Die meisten Orks merken gar nicht, dass Reiter hinter ihnen waren oder erst dann, wenn sie unter ihren Waffen zur Seite geschleudert wurden.

Aithiel verteilte wuchtige Schläge nach allen Seiten und wurde von einer Schwertspitze am Bein getroffen. Wütend schlitzte sie den Ork auf und ihr Blut mischte sich mit dem Saft seiner aufplatzenden Gedärme.

Ihr Blick glitt über das Schlachtfeld zur rechten Flanke, die sie durch eine riesige Felsgruppe nicht ganz einsehen konnte. Für einen Moment war sie sich sicher gewesen, ein silbernes Blitzen gesehen zu haben, doch als sie zum zweiten Mal hinsah glaubte se, sie habe sich getäuscht. Kritisch bemerkte sie, dass sie erst die Hälft des Weges zum Ringwall geschafft hatten und trieb ihre Stute an, sich schneller zu bewegen. Das Tier schien den sicheren Ort zu wittern und drängte sich trotz der scharfen Klingen, die vor seiner Nase geschwungen wurden, rigoros durch die Reihen. Mehrere Orkreiter waren verwundet, aber keiner von ihnen fiel aus der Formation zurück. Aithiel beobachtete es mit Stolz.

Und dann war das Leuchten wieder da, dieses Mal so grell, dass sie geblendet für einen Moment die Augen schließen musste. Sie blinzelte vorsichtig, ergötzt am Stöhnen der Orks und hätte bei dem Bild das sich ihr bot, vor Freuden fast gelacht. Die Sonne hatte ihre Strahlen über den Horizont geschickt und mit der Sonne stürmte über die rechte Flanke ein Heer heran, Männer in goldenen Rüstungen und unter ihnen ein Alter in strahlendem Weiß, der einen Stab in der Hand hielt.

Ein gewaltiges Horn erklang und brachte die Berge zum Beben. Übergangslos stockte der Kampf, überall, bis der grässliche Laut verstummt war. Die Ork verharrten in absoluter Panik und ihr Brüllen war zu einem leisen Grunzen verebbt. Aithiel führte mit einem schrillen Pfiff ihre Männer weiter durch die erhärteten Reihen, den Moment ausnutzend.

Da drehten sich die Orks um und Aithiel erstarrte. Doch ihre Befürchtungen erfüllten sich nicht. Kaum noch wurde eine Waffe gegen ihre Leute erhoben, im Gegenteil, schreiend, und dieses Mal ganz klar vor Panik, rannten die Orks. Tausend und Abertausende, liefen im Licht des frühen Morgens davon.

Die Orkreiter strebten dem Ringwall zu, beobachtend, wie die Reiter des Heeres den Feind in einem weiten Bogen aus dem Tal heraustrieben. Die Schlacht war gewonnen.

***

Überall waren Leichen und Aithiel glitt in einer Blutlache aus, als sie vom Pferd stieg. Sie waren durch das herausgesprengte Loch hinter den Wall geritten und dort auf die Menschen getroffen, die ihr Eintreffen zunächst verwundert hatte. Doch dann waren hinter ihnen auch einige der Krieger erschienen, die Rumil als Reiter Rohans erkannt hatte und die Menschen in der Hornburg hatten begriffen, dass die Schlacht zu ihren Gunsten entschieden warn

Während sich die Männer untereinander für den Kampf beglückwünschten und manch einer sich still zurückzog um zu weinen, ging Aithiel eine der Treppen zum Ringwall hinauf. Etwas zog sie magisch hinauf, doch mit jedem Schritt wuchs ihr Grauen. Überall lagen tote Galadhrim, die Augen erschrocken aufgerissen, noch im Tod von elfenbeinerner Schönheit. In jedem Gesicht meinte sie Haldir wiederzuerkennen, doch er war nicht unter den Toten auf der Treppe.

Eine Person erschien vor ihr auf den Treppenabsatz und als sie aufblickte, sah sie in das Gesicht von Legolas. Er schwieg und trat ihr entgegen. Verwundert wollte sie den Kopf wenden, um an ihm vorbei auf den Ringwall zu blicken, doch er hielt sie an den Schultern fest. Sie versuchte sich loszumachen, aber der Griff des Prinzen war eisern.

            „Nicht", sagte er leise. „Seht bitte nicht hin."

Aithiel starrte ihn zunächst verständnislos an, ihr Kopf war nicht bereit, denn Sinn seiner Worte zu ergründen. Doch dann spürte sie, wie sich eine Träne den Weg über ihre Wange bahnte und Sekunden später lähmte sie die Erkenntnis.

Legolas Arme schlangen sich fest um sie und er zog tröstend ihren Kopf an seine Schulter. Für einen Moemnt wollte sich Aithiel noch wehren, doch dann krallten sich ihre Arme in Legolas Schultern und sie weinte ungehemmt. Mit träumerischer Sicherheit führte er sie die besudelten Stufen hinunter, was sie kaum bemerkte. Ihr Körper war schlaff und taub, doch in ihr sammelte sich ein Schmerz so stark wie sie selten einen gekannt hatte. Beim Tod ihres Vaters hatte sie sich schon so gefühlt und dass Haldirs Tod so weit in sie hineinreichen konnte, verwundert sie nicht einmal.

Rumil stand am Fuß der Treppe und als er sie sah, wich jede Farb aus seinem Gesicht. Er machte einen Schritt rückwärts und rannte dann an ihr vorbei die Treppe hinauf. Legolas führte Aithiel ein Stück weit von den Männern am Durchbruch fort, sie noch immer an sich drückend. Sie war dankbar für seine Stärke und doch gleichzeitig verwundert darüber, wie nah ihr der Elb auf einmal war.

Mit einer wütenden Geste wischte sie sich die Tränen vom Gesicht und starrte ins Licht der Sonne, das über den Wall kroch und die Schemen aus den Bergen verdrängte. Es war ein wunderschöner Morgen unk kleine Wolken faserten über den blauen Himmel. Der Regen war gegangen.

Die Körper der Toten säumten den Lauf des kleines Baches, der sich durch die Ebene zwischen der inneren Burg und der Ringmauer schlängelte. Aithiel sah in die Gesichter von Galadhrim und völlig fremden Menschen, die alle wie friedlich schlafend dalagen. Zwischen ihnen waren, in den Schlamm verkeilt, die Körper der Orks, schrecklich verstümmelt und fast bemitleidenswert anzusehen in ihrem Ausgeliefertsein. Im Tode waren sie alle gleich, doch es gab nur einen einzigen Mann in der Gemeinschaft der Toten, an dem Aithiel etwasgelegen hatte. Ihr Herz, das schon viele Kämpfe und Verluste gesehen hatte, zerbrach endgültig tief in ihr.

            „Wie ist es geschehen?", hörte sie sich selbst fragen, mit einer leblosen Stimme, die nicht ihr selbst zu gehören schien. Legolas blickte sie prüfend an, dann entließ er sie aus seinem Griff und schlug die Augen nieder.

            „Er hat seine Männer zum Rückzug gewunken. Dann sind ihm zwei Orks in den Rücken gefallen. Aragorn war bei ihm." Er wies auf den Waldläufer, dem Aithiel schon in Lorien begegnet war und der auf dem Rücken seines Pferdes thronte, den scharfen Blick auf das Bild der Zerstörung gerichtet. „Es ging sehr schnell."

            „Gut", flüsterte sie, weil ihr nichts Besseres einfiel. All ihre Vorstellungen hatten sich zerschlagen. Sie hatte geplant, nach einiger Zeit noch einmal nach Lorien zu gehen und sowohl Haldir als auch Galadriel zur Rede zu stellen. Das konnte sie nun nicht mehr. Sie würde nie wieder mit Haldir sprechen. Sie lehnte sich an einen der abgesprengten Steinquader, der ihr bis zur Hüfte reichte, und barg für einen Moment ratlos den Kopf in den Händen. Was immer sie für ihre Zukunft gesehen hatte, selbst nachdem sie Lorien verlassen hatte, er kam darin vor.

            „Ich soll Euch etwas von ihm ausrichten", sagt Legolas plötzlich und sie bemerkte erst in diesem Moment, dass er nicht fortgegangen war, wie sie es aufgrund der Stille angenommen hatte. Sie sah ihn an und merkte, wie betroffen auch er war. Schmutzstreifen zierte sein makelloses Gesicht, sein Wams war zerrissen und an mancher Stelle blutig. „Möglicherweise hat er etwas geahnt. Lorier wissen oft um ihr Schicksal." Als er merkte, dass sie ihm nicht antworten würde, legte er die Hand auf ihre Schulter. „Er lässt Euch sagen, wie sehr er alles bedauert. Und er liebt Euch."

            „Das erste glaube ich Euch", sagte Aithiel trocken und zwang ein kleines Lächeln auf ihr Gesicht, obwohl sie innerlich zitterte.

Legolas lächelte ebenfalls.

            „Ihr seid wie Eure Mutter. Sie hat auch stets gewusst, wenn man ihr nicht die Wahrheit sagte. Aber in diesem Fall irrt Ihr Euch." Ernst blickte er auf sie hinunter. „Auch wenn Haldir nicht sagte, was er für Euch empfindet, so habe ich noch niemals die Wahrheit deutlicher erkennen können als in seinen Augen, als er mir auf dem Wall gegenüberstand."

Aithiel begann wieder zu weinen und sie schämte sich nicht dafür. Rumil trat nach einer Weile leise zu ihnen. Auch seine blauen Augen glänzten verdächtig, doch er schien sich unter Kontrolle zu haben.

            „Was wirst Du jetzt tun?", fragte er nach einer kleinen Weile und Hilflosigkeit schwang in seiner Stimme mit.

Aithiel brachte keine lange Zeit, um eine Antwort zu finden.

            „Geh nach Lorien zurück und begrabe ihn dort. Nimm meine Männer mit, ich entbinde sie endgültig von ihrem Treueid und übergebe sie dem Kommando der Herrin." Auf seinen fragenden Blick hin setzte sie hinzu. „Ich werde nach Düsterwald gehen."

***

Begleitet von den guten Wünschen ihrer Freunde und ihre Männer ritt Aithiel los. Sie spürte die Blicke, die in ihrem Rücken brannten, als sie ihr Pferd über das verwüstete Schlachtfeld forttrieb. Die Orkreiter hatten ihren Entschluss akzeptiert und würden gemeinsam mit Rumil und den wenigen überlebenden Galadhrim nach Lorien zurückkehren. Sie würden Haldirs Leichnam mit sich nehmen und bei der Vorstellung, eines Tages sein Grab unter den goldenen Wipfeln der Mallornbäum zu besuchen, zog sich ihr Herz so fest zusammen, dass sie meinte, keine Luft mehr zu bekommen.

Sie hielt sich nach Norden und es brauchte fast einen Tag, bis sie den Gestank des Schlachtfeldes nicht mehr wahrnehmen konnte. Um ihr Pferd zu schonen, beschloss sie, jede Nacht eine kurze Rast zu machen und des Tags zu reisen. Noch war dies ein gefährlicher Landstrich und sie wollte den Orks nicht doch noch in die Hände fallen.

Als sie sich am ersten Morgen nach der Schlacht aus ihrer Decke rollte, in der sie in einer Felsspalte geschlafen hatte, war es ihr zunächst, als sei alles, was geschehen war, verschwunden. Doch Erinnerungen pflegten in jener kurzen Zeit zwischen Traum und Wachen schnell zurückzukehren und Aithiel erkannte, dass sie für den Rest ihres Lebens erwachen würde, um dann an Haldir denken zu müssen.

Allein der Gedanken, dass sich im Düsterwald die Antwort auf die Frage ihrer Herkunft befand, hielt sie aufrecht und trieb sie dazu, weiterzureiten. Sie war erschöpft und auch wenn ihr Körper funktionierte, spürte sie, dass sich ihr Geist nach Ruhe sehnte. Nur diese eine Frage wollte sie noch klären - was danach geschah, war ihr gleich. Mit Haldir war ihre unerschütterliche Hoffnung auf die Zukunft gegangen.

Die erste Woche reiste sie unbehelligt erneut am Fangorn vorbei und erinnerte sich an Rumils Erzählung über den Ort. Nur zu gerne wäre sie bei ihm gewesen um ihn zu trösten, doch sie ahnte, dass sie ihm keine große Hilfe sein würde. Lorien barg zu viele Erinnerungen, mit denen sie nicht umzugehen wusste.

An einer seichten Stelle des Anduin, wie sie am Flusslauf nördlich des Rauros oft zu finden war, traf sie auf eine unbemannte Fähre, die man an langen Haltseilen selbst über den Fluss ziehen musste. Sie nutzte die Gelegenheit und ritt dann hinein in die Gegend, die man die Braunen Lande nannte. Auch von diesem Ort konnte man die Nähe Mordors erahnen, das sich weit im Süden drohend hinter dem Horizont erhob. An manchem Tag konnte man die schwarzen Rauchschwaden deutlich erkennen, die über den fernen Bergen aufstiegen. Das Lang war hügelig und flach, doch in seiner Kargheit weniger einladend als Rohan. Kaum ein Tier kreuzte Aithiels Weg und das beruhigte sie. In dieser lebensfeindlichen Umgebung würden sich auch keine Orks finden lassen, die trotz allem Lebewesen waren und sich versorgen mussten.

Nacht fand sie Unterschlupf unter den wenigen dichten Sträuchern. Sie schlief schlecht, obwohl sie wusste, dass sie die Energien brauchen würde für das, was ihr bevorstand. Morgens fühlt sie sich elend und weinte oft aus keinem besonderen Grund. Doch die Tränen trockneten sehr schnell wieder, wenn sie sich auf den Rücken des Pferdes schwang und an etwas anderes denken konnte als Haldir.

Am Ende der zweiten Woche ihrer Reise erblickte sie vor sich in weiter Ferne schwarze Schatten du obwohl sie eine lange Zeit nicht in diesem Bereich Mittelerdes gewesen war, erkannte sie, dass vor ihr das Ziel ihrer Reise lag. Der Düsterwald, war das größte Waldgebiet  des Kontinents und sie wusste, dass sie noch eine weitere Woche reisen musste, um zum Stammsitz des Königs zu gelangen. Dieser lag unterirdisch, während sich die Untertanen Thranduils mit Wohnungen am Erdboden und in den Bäumen zufrieden gaben. Die Elben waren nie Kreaturen der Schatten gewesen, doch der Wald war ein gefährlicher Ort und deshalb war die Tradition entstanden, dass der König, der wichtigste Mann des Volkes, geschützt unter der Erde lebte.

Tatsächlich dauerte es noch einen Tag, bis Aithiel die südlichsten Ausläufer des Waldes erreichte. Ohne zu zögern trieb sie ihr Pferd, das vor dem Anblick der dunklen, durch gewaltige Wurzeln vernetzten Bäume scheute, in die Schatten der Baumkronen. Von nun an würde es für sie keinen Schlaf mehr geben. Denn solange Sauron lebte, würde ein Rest seiner bösen Macht immer zwischen den uralten Bäumen weilen und die seltsamsten Geschöpfe nähren.

Mit einer Hand stets an der Lanze ritt Aithiel mehrer Tag und Nächte, ohne dass sich der Schatten, der sie umgab, je geändert hätte. Längst hatte sie das Zeitgefühl verloren und nur ab und zu tat sich eine Lücke über ihr auf und zeigte den Himmel. Es gab stets ein Geräusch im Unterholz, das ihre Wachsamkeit weckte und es beschlich sie das Gefühl, beobachtete zu werden. Doch wer immer sie belauerte, wagte sie nicht anzugreifen – oder er hoffte darauf, dass sie eine Schwäche zeigen würde.

Es musste der Morgen des fünften Tages gewesen sein, als Aithiel für einen Moment die Augen schloß, ihrer Erschöpfung ein Zugeständnis machend. Als sie die Lider wieder öffnete, standen vor ihr auf dem Weg drei Elben. Keiner von ihnen war bewaffnet, doch ihre Selbstsicherheit versprach einige Bogenschützen, die sich um Aithiel herum postiert haben mussten. Mit einem Mal war sie wieder hellwach, als sie die in die Farben des Waldes gekleideten Männer betrachtete. Der Mittlere trat vor, ein noch sehr junger Mann, dem dies jedoch nicht anzumerken war, als er in beherrschtem Tonfall forderte:

            „Gebt Euch zu erkennen und legt Euere Waffen ab. Ihr seid grundlos in das Reich des Königs des Waldes eingedrungen."

Aithiel nickte und hob die Hände, u ihm zu bedeuten, dass sie in friedlicher Absicht kam. Mit langsame Bewegungen löste sie ihren Schwertgurt und lief ihn zu Boden fallen. Dasselbe tat sie mit der Lanze und einem kleinen Dolch, den sie stets im Stiefel trug.

            „Mein Name ist Aithiel, Berions Tochter", sagte sie dann stolz. „Ich war die Führerin der Orkreiter und fordere von Euch, mich dem König vorzuführen. Auf das Wort Eures Prinzen Legolas kam ich her und erbitte das Erbarmen Thranduils."