Disclaimer: Immer noch nicht meins, sondern alles Tolkiens - bis auf
Laietha
1. Kapitel - Begegnungen
Elf Jahre später:
Die Oktoberwinde rissen heftig an den Blättern Bruchtals und Laietha zog ihren Schal fester um die Schultern. Der Abend dämmerte und die Luft war empfindlich kühl. Sie stand auf dem Balkon, von dem aus man in den Hof sehen konnte und wartete darauf, daß ihr Bruder Aragorn endlich heimkehren würde - wie schon seit vielen Monaten. Und wieder konnte sie keine Spur von ihm entdecken.
"Er wird kommen, meine Tochter. Ich habe bereits einige Männer ausgeschickt, um nach ihm zu suchen. Er ist nah." Laietha sah Elrond aus ihren grünen Augen an. Er erahnte, um was sie ihn bitten würde und erhob besänftigend die Hand. "Bald werden wir Kunde von ihm erhalten. Bleibe hier." Sie schüttelte den Kopf und hob flehend die Hände. "Vater, ich habe die Männer von Gefahr sprechen hören. Und ist heute nicht der Zauberer gekommen und hat berichtet, daß Aragorn jemanden von großer Wichtigkeit bei sich hat? Ist es daher nicht um so wichtiger, daß wir ihn finden? Laß mich gehen! Du weißt, Ascar ist schnell und stark. Ich werde ihn finden!" Ein Tumult brach am Tor aus. Einer der Wächter kam eilig gelaufen. "Mein Herr, Glorfindel kommt. Er ist auf dem Weg - und wird verfolgt." Gandalf kam aus dem Haus gelaufen. Schnell begriff er, was ihnen die Stunde geschlagen hatte. Elrond eilte sich, mit seinen Männern zum Tor zu gelangen. Dort sahen sie bereits, daß sich ihnen Glorfindel schnell näherte und sie entdeckten auch die neun finsteren Gestalten, die ihm auf dem Fuße folgten. Elrond befahl, den Fluß loszulassen, sobald Glorfindel sein Bett durchquert hatte.
Laietha beobachtet atemlos, wie die mächtigen Wogen des Bruinen die finsteren Reiter davon spülten. Glorfindel kam in den Hof geprescht. In seinen Armen hielt er ein lebloses Bündel. Schnell eilten sie zu ihm hinunter, nur Laietha blieb noch lange auf der Mauer stehen und mit ihren Blicken versuchte sie die Nacht zu durchdringen, wo sie ihren Bruder vermutete. Aber er kam nicht. Auch nicht am folgenden Tag.
****
Zwei Tage waren vergangen, seit der Neffe von Bilbo Beutlin in den Mauern Bruchtals Schutz gefunden hatte und Herr Elrond meinte, der Kleine sei bereits auf dem Weg der Besserung. Laietha half Bilbo auf die Beine und er blickte die junge Frau, die ihn stützte, dankbar an. "Was habe ich euch gesagt, Frau Annaluva, mein Frodo wird es schaffen. Er ist sicher hier eingetroffen und ich zweifle nicht daran, daß er bald schon wieder auf den Beinen sein wird." Laietha lachte. Sie mochte den alten Knaben gerne, denn er wußte spannende Geschichten zu erzählen und kannte viele Lieder, die einem noch tagelang im Ohr klangen. "Seid so gut, Herr Beutlin und lest mir noch etwas aus eurem Buch vor." Der alte Hobbit grinste diebisch und zog das schwere Buch aus seiner Tasche, als hätte er auf diese Aufforderung nur gewartet. Die Sonne schien mit ihren warmen Strahlen in den Hof. "Nun, zufällig habe ich es dabei. Wo waren wir stehengeblieben?" Die Kriegerin schmunzelte und lauschte artig, als Bilbo vorlas, wie er und die Zwerge aus den Kerkern Düsterwalds herausgekommen waren. Sie stellte sich vor, wie schrecklich es gewesen sein mußte, in diesen engen Fässern den Fluß hinunterzutreiben. Bilbo war bei der Stelle angelangt, als er und die Zwerge endlich aus den Fässern entkommen konnten, als sie Rufe im Hof vernahm. Schnell sprang sie auf die Beine und lief hinunter. Sie erkannte sofort die Gestalt ihres Bruders, der mit drei weiteren Hobbits eingetroffen war. "Dunai!" rief sie freudig und ließ sich in seine Arme fallen. Er drückte sie fest an sich und die Hobbits sahen neugierig zu der jungen Frau empor, die sich so über die Ankunft ihres guten Streichers freute. "Wer sie wohl ist?" fragte Pippin neugierig und Merry zuckte nur mit den Schultern. "Woher soll ich das wissen. Ich bin auch eben erst hier angekommen."
Groß war die Freude darüber, daß Aragorn endlich eingetroffen war und noch größer war die Erleichterung bei den Hobbits, als sie hörten, daß sich Frodo auf dem Weg der Besserung befand. Sam ließ sich sofort in sein Zimmer führen und war seit dem nur noch zu den wichtigsten sechs Mahlzeiten gesehen.
Die anderen Hobbits wichen nicht von Aragorns Seite und erfuhren nun bald, daß die rothaarige Kriegerin seine Ziehschwester war. Merry mochte sie besonders gerne. Er ließ sich von ihr die schönsten Winkel der Parks zeigen und Pippin lachte laut, immer wenn er mit leuchtenden Augen von seinen Besichtigungen zurückkehrte. Pippin hielt sich eher an Aragorn, denn der schimpfte nicht so streng mit ihm wie Gandalf, wenn er sich aus Versehen in eine brenzlige Situation gebracht hatte.
"Närrischer Tuk!" hörte man Gandalfs laute ärgerliche Stimme mehr als einmal durch die Gänge schallen, nachdem es in der einen oder anderen Ecke des Palastes verdächtig geklirrt hatte. Und nur kurz darauf sah man einen unglücklich dreinblickenden Hobbit über den Flur schleichen, der sich mit gesenktem Kopf das schmerzende Hinterteil rieb.
Frau Annaluva lachte laut und nahm den Halbling tröstend in den Arm. Sie versicherte ihm mehrmals, daß ihr Vater noch mehr von diesen häßlichen Vasen hätte und Pippin grinste breit.
****
Am Morgen ihres zweiten Tages in Bruchtal vernahmen sie die gute Nachricht, daß Frodo wieder zu sich gekommen wäre. Sam hatte es ihnen als erster berichtet. Am Abend sollte es ein fröhliches Fest geben, um die Genesung des Halblings zu feiern.
Das Fest hatte begonnen und Merry kam nicht umhin, Frau Annaluva immer wieder zu versichern, daß sie in diesem Kleid besonders schön aussehe. Sie lächelte ihn milde an. Frodo trat, immer noch ein wenig blaß um die Nase, aus der Tür und seine Freunde liefen fröhlich zu ihm und es war ein glückliches Wiedersehen. Wie groß war erst Frodos Freude, als er unter den Gästen seinen Onkel Bilbo erblickte! Die nächste Überraschung erwartete die Hobbits, denn als Aragorn den Raum betrat, hätten sie ihren guten Streicher in seinem festlichen Gewand um ein Haar nicht erkannt. Wie stattlich sah er aus! Laietha lächelte, denn nun schien er Isildurs Erbe würdig zu sein.
Laietha selbst unterhielt sich fröhlich mit Legolas, dem Elbenprinzen aus dem Düsterwald. Sie war schon lange nicht mehr in König Thranduils Reich gewesen und freute sich über die Neuigkeiten aus der Ferne. Beunruhigt sah der junge Elb aus, doch so sehr sie sich auch bemühte, konnte sie ihm doch sein Geheimnis nicht entlocken. Das Essen wurde aufgetragen und den Hobbits begann bei seinem Anblick das Wasser im Munde zusammenzulaufen.
Sie erfreuten sich an den herrlichen Speisen, denen fröhlicher Gesang folgte und sogar der alte Spitzbube Bilbo gab ein Liedchen zum besten. Merry faßte sich schließlich ein Herz und forderte Frau Annaluva zum Tanz auf. Pippin fiel fast der Bissen aus dem Mund und Frodo und Sam schmunzelten amüsiert vor sich hin. Die Kriegerin schlug dem Hobbit die Bitte nicht ab und obwohl sie zwischen den eleganten Elben keine gute Figur machten, lachten und scherzten sie viel, während sie das eine oder andere Mal fast über ihre eigenen Füße stolperten. Atemlos kehrten sie auf ihre Plätze zurück und betrachteten das fröhliche Treiben aus sicherer Entfernung.
Lange blieben sie beisammen und die Hobbits konnten sich gar nicht satt sehen an den Elben und der Pracht des Festes. Aber irgendwann konnten sie die Augen vor Müdigkeit nicht mehr offen halten und wurden lachend von den Elben auf ihre Zimmer geführt, wo sie bald in tiefen Schlaf versanken und von den köstlichen Speisen und den wunderschönen Liedern träumten.
Laietha saß noch lange mit ihrem Bruder und ihrem Vater zusammen und der Zauberer Gandalf trat hinzu. Die beiden wechselten einen bedeutungsvollen Blick. Laietha entschied für sich, daß es wohl passender für sie wäre, zu gehen - was sie aber nicht daran hinderte, an der Tür zu lauschen. So erfuhr sie, daß für den nächsten Tag ein Rat angesetzt wurde, bei dem das Schicksal des Einen Ringes besprochen werden sollte. Unruhe erfaßte sie. Es war etwas im Gange. Nicht nur, daß Aragorn in letzter Sekunde einer großen Gefahr entgangen war, auch ihre beiden Brüder Elrohir und Elladan waren noch immer nicht von ihrem Erkundungszug, auf den Elrond sie geschickt hatte, zurück. Laietha mußte erfahren, was dort vor sich ging. Gewiß würde sie am nächsten Tag nicht zu der Versammlung geladen werden. Sie rümpfte die Nase, als sie daran dachte, daß ihr Vater ihr wahrscheinlich sagen würde, das wäre Männersache. Hinter sich hörte sie ein heiseres Kichern und sie drehte sich blitzartig herum. Bilbo Beutlin stand hinter ihr und grinste spitzbübisch zu ihr hinauf. "Hat euch auch der Hunger aus dem Bett getrieben?" Sie errötete, weil man sie beim Lauschen ertappt hatte. Gerade wollte sie versuchen, eine Erklärung hervorzustammeln, als der Hobbit sich neben sie an die Tür drängte. Er legte den Finger an die Lippen und bedeutete ihr, leise zu sein. "Wir Hobbits haben hervorragende Ohren," flüsterte er mit schelmischer Miene und lachte leise. "Aber die Ohren der Elben funktionieren bedeutend besser, Herr Beutlin!" dröhnte Elronds laute Stimme und eine Sekunde später flog die Tür auf und Laietha und Bilbo stolperten völlig überrumpelt in den großen Raum. Bilbo - alt wie er sein mochte, schaffte es, sein Gleichgewicht zu behalten, aber Laietha fiel der Nase lang hin und sah verdattert zu ihrem Vater hoch. Der Halbelb musterte sie streng. Dann fiel sein Blick auf den Hobbit, der klammheimlich versuchte, sich so unauffällig wie möglich aus dem Staub zu machen. "Wo wollt ihr denn hin, Herr Beutlin?" fragte er mit hochgezogenen Augenbrauen.
"Oh, ich...ich wollte nur in die Küche, mir ein kleines Nachtmahl holen. Dabei muß ich mich wohl verlaufen haben. Eine gute Nacht wünsche ich euch," und flink wie ein Wiesel war er zur Tür hinaus. Laietha hatte sich inzwischen erhoben. Ihr Vater wandte sich nun an sie. "Zeugt das von gutem Benehmen, an der Tür zu horchen wie ein gemeiner Dieb?" Laietha senkte den Kopf zu Boden. "Nein, adar," flüsterte sie beschämt. Aragorn kam auf sie zu und legte den Arm um sie. "Ich bin sicher, sie wollte mich nur daran erinnern, daß es Zeit zum Schlafen ist. Wir sollten alle zu Bett gehen, denn der Morgen ist weiser als der Abend." Mit einem Kopfnicken verabschiedete er sich von seinem Vater und Gandalf und führte seine Schwester aus dem Raum. Sie gingen auf ihr Zimmer.
Lange waren sie noch wach. Laietha hatte sich hingelegt und Aragorn saß auf dem Rand ihres Bettes. "Was geht nur in der Welt vor sich, Dunai? Elladan und Elrohir sind noch immer unterwegs und ich kann fühlen, wie das Böse immer mächtiger wird. Sag mir, Bruder, wird es zum Krieg kommen?" Aragorn dachte sehr lange nach. Er berichtete seiner Schwester von vielen Dingen, die er auf seiner Reise in Erfahrung gebracht hatte - verschwieg ihr aber auch genug, um nicht ihren Wunsch, ihn das nächste Mal zu begleiten, zu wecken.
"Das Böse braut sich zusammen, Laietha. Aber wie ich schon zu Vater sagte, wir sollten jetzt schlafen, denn ich bin müde." Er küßte sie auf die Stirn und erhob sich. Laietha zog die Decke hoch und drückte ihren Kopf in die Kissen. Aragorn war schon fast zur Tür hinaus, als sie im Hof Pferdegetrappel hörten. Sofort sprang Laietha auf und eilte ans Fenster und es dauerte keinen Augenblick, da war ihr Bruder an ihrer Seite. Neugierig lugten sie in den Hof. "Was siehst du, Dunai? Sind es unsere Brüder, die gekommen sind?" Laietha reckte sich, um ihrem Bruder über die Schulter sehen zu können. Wer kam zu so später Stunde noch hierher? Langsam schüttelte Aragorn den Kopf. "Es ist nur einer, ein Mensch." Laietha wurde aufmerksam. Sie bekamen in letzter Zeit selten Besuch von den Menschen, aber wenn welche eingetroffen waren, dann war es etwas Wichtiges gewesen. Auch gerade jetzt hielten sich Menschen in Bruchtal auf. Sie waren wegen des Rates am nächsten Tag eingetroffen - alte Männer, die Laietha seltsame Blicke zugeworfen hatten. Ob dieser Besucher auch wegen des Rates gekommen war? "Wir sollten hinuntergehen und rausfinden, wer es ist, meinst du nicht, Dunai?" Laietha lief schon zu ihren Stiefeln, als Aragorn sie mit einem Lächeln am Ärmel packte und in Richtung Bett zog. "Du wirst es früh genug herausfinden, Laietha." Sie öffnete den Mund, um zu protestieren, aber er zog ihren Kopf geschwind an seinen Mund. "Wenn du jetzt schlafen gehst, erzähle ich dir morgen was beim Rat besprochen wurde," flüsterte er ihr ins Ohr, und grinste sie an. Sie küßte ihn geschwind auf den Mund. "Du bist der Beste!" lachte sie und legte sich zurück ins Bett. Aragorn lächelte sie an, warf ihr eine Kußhand zu und verließ den Raum. Laietha wartete, bis er die Tür geschlossen hatte und lief dann leise zum Fenster. Sie versuchte in der Dunkelheit auszumachen, wer der Neuankömmling sein mochte. Ihr Vater und Gandalf traten zu ihm und redeten mit ihm. Einer der Stallburschen führte sein Pferd fort. Laietha schüttelte resigniert den Kopf. Sie war nun mal nur ein Mensch und verfügte nicht über die guten Augen eines Elben. Sie konnte nicht erkennen, wer der Mann war - oder woher er kam. Doch schließlich schlich sich ein Grinsen auf ihr Gesicht. Den Stallburschen hatte sie nämlich genau erkannt.
****
Es war noch sehr früh am nächsten Morgen als Laietha aufstand. Die Sonne streckte gerade neugierig den Kopf über den Bergen hervor. Laietha zog sich ihre Hosen und ihre Stiefel an und schnürte ihr Mieder fest zu. Schmunzelnd dachte sie daran, daß der Stallbursche ihr ja schließlich genau berichten sollte, wer da gestern Nacht so spät eingetroffen war. Sie band ihre langen Haare lose im Nacken zusammen und spähte vorsichtig aus der Tür. Der Flur war verlassen. Mit einem Lächeln im Gesicht stahl sie sich zu den Ställen. Zu ihrer Enttäuschung war der Stallbursche noch nicht da. Sie würde sich also noch ein wenig gedulden müssen. Nun, nichts für ungut, dachte sie sich. Es war ein herrlicher Morgen und wer wußte schon, wie lange das Wetter ihnen noch so wohlgesonnen sein würde. Der Herbst neigte sich dem Ende zu und der Winter stand vor der Tür. Sie griff nach ihrem Schwert und befestigte es an ihrem Gürtel. Dann ging sie zu ihrem Pferd. Sie würde ein wenig ausreiten, dann schmeckte ihr das Frühstück immer doppelt so gut und gestern Abend hatte Merry sie zu einem Pilzwettessen herausgefordert. Da sie den enormen Appetit der Hobbits kannte, hielt sie es für recht und billig, sich einen kleinen Vorteil zu verschaffen.
"Guten Morgen, Ascar. Wie steht es, wollen wir ein wenig ausreiten? Das Wetter ist zu schön, um es nicht zu nutzen." Sie strich dem Tier liebevoll über die Flanken. Der Rappe wieherte freudig und sie lachte laut. "Du kannst es auch nicht ertragen, den ganzen Tag über nur untätig auf der Weide zu stehen, nicht wahr?" Das Pferd schmiegte seinen Kopf gegen ihre Schulter und stöberte mit seinen Nüstern in ihrer Tasche. Der Hengst schnaubte und die junge Frau schmunzelte. "Nein, mein Lieber, auch für dich gibt es erst nachher Frühstück."
"Ein schönes Tier." Laietha wirbelte herum. Sie hatte sich unbeobachtet geglaubt. Hinter ihr stand ein stattlicher Mann, den sie noch nie zuvor gesehen hatte. Er sah weitgereist und ein wenig erschöpft aus. Neugierig musterte er sie von Kopf bis Fuß. Sie erwiderte seinen Blick und versuchte festzustellen, woher er wohl kommen mochte. Ein Lächeln trat auf sein Gesicht. "Ihr seid keine Elbin." Laietha schenkte ihm ein schiefes Grinsen. "Oh wirklich! Gut, daß ihr es mir sagt. Ihr seht auch nicht gerade elbisch aus." Ein verdutzter Ausdruck trat auf sein Gesicht und sie feixte in sich hinein. Der Fremde schien sich wieder zu fangen. Laietha erkannte ihn als einen Mann aus dem Süden. Er trug einen Mantel, der am Kragen mit Fell verziert war und darunter konnte sie eine Ledertunika erkennen. Vielleicht war er es, der gestern abend so spät eingetroffen war. Sie beschloß, ein wenig freundlicher zu ihm zu sein, denn vielleicht mußte sie gar nicht mehr den Stallburschen befragen. Der würde sowieso Anweisung haben, Stillschweigen zu bewahren. Sie beugte artig den Kopf. "Menschen aus dem Süden sind in Bruchtal willkommen." Er wandte seinen Blick noch immer nicht von ihr, als er einen Schritt auf sie zumachte. Der Mann streckte seine Hand nach Ascar aus und gab dem Pferd eine Karotte. Der Hengst schnaubte zufrieden und begann genüßlich zu kauen. Auch er verneigte sich knapp. "Woher kommt ihr, Herrin?" Sie beschrieb mit ihrer Hand eine knappe Geste. "Ich lebe hier." Er sah sie erstaunt an. Ascar stupste ihn mit seiner Schnauze an und warf ihm einen hoffnungsvollen Blick zu. Der Mann zauberte aus seiner Manteltasche noch eine weitere Karotte hervor, die ihm der Rappe freudig abnahm. "Wie heißt ihr, Herrin?" Er streichelte die Nüstern des Pferdes. Laietha stemmte ihre Hände herausfordernd in die Hüften. "Ihr stellt eine Menge Fragen, mein Herr, ohne selbst etwas über euch preiszugeben." Sie erwartete, daß er sich umdrehen und gehen würde, statt dessen verneigte er sich tief und griff nach ihrer Hand. Bevor sie sie wegziehen konnte, hatte er ihr einen Handkuß darauf gehaucht. "Verzeiht, Herrin, mein Name ist Boromir aus Minas Tirith. Zu euren Diensten."
Laietha wurde rot. Sie wußte sehr wohl wer er war und nun reute es sie, daß sie so respektlos zu ihm gewesen war. "Der zukünftige Statthalter von Gondor!" wisperte sie beinahe erschrocken und verbeugte sich tief. Er lachte schallend. "Ihr wißt wirklich sehr gut Bescheid. Hat sich meine Ankunft so schnell herumgesprochen?" Laietha schüttelte den Kopf. "Ich sagte bereits, Menschen aus dem Süden sind hier willkommen. Euer Name ist mir mehr als einmal zu Ohren gekommen. Was führt euch hierher?" Ascar schubste Laietha, so heftig, daß sie fast gegen Boromir prallte. Er grinste breit. "Euer Pferd scheint ungeduldig auf seinen Ausritt zu warten. Ihr solltet besser aufbrechen, oder ich muß noch ein paar Karotten holen, um ihn zu beruhigen." Laietha war eigentlich nicht gewillt, das Gespräch jetzt zu beenden, denn sie hatte gehofft zu erfahren, was einen so hohen Botschafter aus Gondor zu ihnen führte. Dennoch nickte sie und stieg auf ihr Pferd. Sie wollte gerade aus dem Stall reiten, als sie eine Stimme von hinten hörte. "Herrin, nun seid ihr es, die nicht reden will. Verratet mir doch wenigstens euren Namen!" Sie brachte Ascar zum Stehen und drehte sich um. Der Mann stand neben seinem Pferd und sah ihr nach. Sie lächelte. "Man nennt mich hier Laietha. So sollt auch ihr mich nennen, mein Herr." Er nickte mit einem breiten Lächeln. Laietha drehte sich um und ritt aus dem Stall. Die Sonne schien ihr ins Gesicht, und obwohl der Wind kalt war, war es ein schöner Morgen. Sie atmete tief die frische Luft ein. Ascar wieherte vergnügt und als sie in Richtung Tor ritten, verfiel er in einen leichten Trab. Hinter sich hörte Laietha auf einmal das Geräusch von Hufen. Schnell drehte sie sich um, um zu sehen, wer ihr gefolgt war. Sie sah Boromir auf seinem Pferd auf sie zugaloppieren. Mit einem breiten Lächeln kam er neben ihr zum Stehen. "Haltet ein, Frau Laietha, ihr solltet nicht ganz alleine in dieser Gegend ausreiten. Erlaubt, daß ich euch begleite."
Das Licht fiel durch die letzten verbliebenen Blätter und zauberte ein bewegtes Lichtspiel auf den Waldboden. Sie ritten langsam nebeneinander her. "Wie kommt es, daß ihr den weiten Weg von Gondor auf euch genommen habt, um nach Bruchtal zu kommen? Die Reise ist lang und gefährlich." Boromir antwortete nicht sofort, sondern überlegte eine Weile. Wieviel sollte er dem Mädchen erzählen? Schließlich hub er zu sprechen an. "Mein Land befindet sich im Krieg und es steht schlecht. Ich bin gekommen, um Hilfe zu erbitten." Laietha nickte gedankenvoll. "Ich habe gehört, daß sich Übel in Mordor regt. Wenn ihr die weite Reise auf euch nehmt, muß es in der Tat schlecht um Gondor bestellt sein." Boromir sah sie verdutzt an. Sie schien wirklich sehr gut Bescheid zu wissen. Er hätte nicht so viel von einer Frau erwartet. "Ich kann mich glücklich schätzen. Heute soll ein Rat einberufen werden und Herr Elrond hat mich eingeladen, daran teilzunehmen. Ich hoffe, daß ich mit guten Nachrichten heimkehren werde."
Sie ritten noch eine Weile nebeneinander her, ohne viel zu sprechen. Boromir konnte seinen Blick nur schwer von ihr wenden. Mochte sie auch keine Elbin sein, so war sie doch hübsch. Das Licht reflektierte in ihrem Haar und er kam nicht umhin, ihre knappe Kleidung zu bemerken. Ein Lächeln stahl sich auf sein Gesicht.
Auch Laietha beobachtete ihn von Zeit zu Zeit verstohlen. Einige Male ließ sie sich absichtlich zurückfallen, um einen besseren Blick auf seinen Rücken zu erhaschen. Der Mann hatte die Statur eines Kriegers. Sein Kreuz war breit und unter seinem Hemd konnte sie die starken Arme erahnen. Sie lächelte. Er gefiel ihr. Vielleicht würde sie ihn nach Gondor begleiten. Sie hatte schon viel zu lange herumgesessen und eine Reise mit ihm würde gewiß interessant werden.
Die Sonne war noch höher gestiegen und Laietha bemerkte erst jetzt, wie weit sie schon vom Haus ihres Vaters fort waren. Das Frühstück würden sie gewiß verpassen. Auch Boromir schien es bemerkt zu haben. Er brachte sein Pferd zum Stehen. "Wir sollten umkehren, Frau Laietha. So gerne ich weiter in eurer Gesellschaft reiten würde - ich fürchte es wäre nicht hilfreich zu spät zu Herrn Elronds Rat zu gelangen." Laietha nickte. Dann fügte sie mit einem Lächeln hinzu: "Laßt uns sehen, wer zuerst wieder in Bruchtal ist!" Ohne seine Antwort abzuwarten, trieb sie ihrem Pferd die Fersen in die Flanken und Ascar trug sie in Windeseile davon.
Kurz bevor sie die Mauern Bruchtals erreichten, hatte Boromir sie wieder eingeholt. Gleichzeitig jagten sie durch die geöffneten Tore. Lachend brachten sie die Pferde in den Stall. Ein Bediensteter kam und informierte Boromir, daß man ihn beim Rat erwartete. Er verneigte sich höflich vor Laietha und nahm ihre Hand. Erneut gab er ihr einen Handkuß, aber diesmal machte sie keine Anstalten zurückzuweichen. Er hob den Kopf und sah ihr in die Augen. Ein Lächeln umspielte seine Mundwinkel. "Habt Dank für diesen Morgen, liebe Frau Laietha. Eure Bekanntschaft gemacht zu haben ist mir ein gutes Omen für den Rat. Wenn alle Bewohner Bruchtals so freundlich sind wie ihr, wird man mir gewiß Hilfe nicht verweigern." Damit drehte er sich um und ging ins Haus. Laietha sah ihm nach. Sie war gespannt, was Aragorn ihr später über den Rat berichten würde.
****
Als sie auf den Palast zulief, kamen ihr Merry und Pippin entgegen. Merry grinste breit. "Willst du dich vor dem Wettessen drücken, Laietha? Das Frühstück ist längst vorbei. Aber keine Bange - wir haben ein paar Pilze retten können." Lachend zog er einen riesigen Korb hinter seinem Rücken vor. Laiethas Magen knurrte laut. Sie brachen in schallendes Gelächter aus. Die Kriegerin bat nur darum, sich ein wenig frisch machen zu dürfen. Nach ein paar Minuten war sie wieder zurück und sie setzten sich an der Tafel nieder. Das Wettessen begann.
Die Hobbits und Laietha lagen auf der Wiese und schnauften entkräftet. Laietha hielt sich mit unglücklicher Miene den Bauch. Pippin betrachtete sie mit großen Augen und Merry japste nach Luft. "Das war unfair - ich hatte vorher immerhin schon Frühstück." Die Kriegerin lachte. "Oh, jetzt ist mir schlecht," verkündete sie ihren Freunden. Pippin rülpste laut. Die beiden anderen sahen ihn mit großen Augen an und er gab ein verschmitztes Grinsen zurück. "Das tat gut." Merry sah seine nächste Chance auf einen Wettstreit. Er fügte mit einem mächtigen Rülpser und einem Grienen hinzu: "Wettrülpsen." Laietha schlug sich an die Brust und die Hobbits erblaßten vor Neid. "Gut, du hast gewonnen," grummelte Merry.
Hinter ihnen wurde Lachen laut. Geschwind sprangen sie auf die Beine und erblickten einen großen rothaarigen Mann, der über die Wiese schlenderte. "Sagt mir, daß nicht ihr das eben wart, Herrin." Laietha errötete. Sie verneigte sich schnell. "Herr Boromir, ich hoffe, ihr habt die Hilfe bekommen, auf die ihr gehofft habt." Boromir verzog das Gesicht, lächelte dann aber schnell. "Nicht direkt, aber ich bin fürs erste zufrieden. Ich sagte ja, eure Gesellschaft hat mit Glück gebracht." Mit neugierigen Blicken musterte er die Hobbits, die genauso neugierig zurückstarrten. Pippin zupfte Laietha am Ärmel. "Willst du uns denn nicht vorstellen, Laietha? Du scheinst ihn ja zu kennen." Die Kriegerin lächelte und tat, was man von ihr erbeten hatte. Boromir verbeugte sich artig. "Es freut mich, eure Bekanntschaft zu machen, meine kleinen Herren." Er nahm auf der Erde Platz und die anderen setzten sich zu ihm. Laietha betrachtete ihn interessiert, während er sich mit den Hobbits unterhielt. Er mochte vierzig Sommer zählen. Sein Gesicht war stolz und nicht ganz sorgenfrei. Dennoch leuchteten seine Augen, wenn er über einen von Pippins Scherzen lachte. Der Hobbit griff neugierig nach dem großen Horn an Boromirs Seite. Zuerst sah der Krieger ihn verdutzt an, brach dann aber in Gelächter aus und reichte dem Hobbit das Horn, damit er es aus der Nähe betrachten konnte.
Auch Boromir warf Laietha verstohlene Blicke zu. Sie hatte ihre Reitkleidung gegen ein dunkelgrünes Kleid getauscht und ihre roten Locken umspielten ihr Gesicht. Die Sonne schien auf ihre blasse Haut und er konnte seine Blicke gar nicht von ihren vollen roten Lippen wenden. Mit hochgezogenen Brauen bemerkte er, daß Merry die Menschenfrau mit dem selben Interesse musterte. Er mußte schmunzeln. Er schätzte das Mädchen auf Mitte zwanzig und seufzte. Als er in ihrem Alter gewesen war hatte er auch noch so unbeschwert lachen können, wie sie über Merrys Scherze.
"Nun sagt mir, Herr Boromir, wann werdet ihr in eure Heimat aufbrechen?" Er kam wieder zu sich und schenkte ihr ein Lächeln. "Ich werde in Gesellschaft reisen. Wann genau wir aufbrechen, kann ich nicht sagen. Ich werde wohl noch eine Weile hier verweilen." Laietha lächelte froh, als sie das hörte. "Ihr seht auch aus, als könntet ihr ein wenig Ruhe gebrauchen. Sagt mir, Herr Boromir, wie lange habt ihr für die Reise von Gondor nach Bruchtal gebraucht?" Boromir rechnete im Stillen. "Etwas mehr als drei Monate. Der Weg war beschwerlich." Sie sah, wie sich die Erlebnisse der Reise in seinen Augen spiegelten. Sicher hatte er viele Gefahren bestehen müssen. Pippin war weniger verholen als sie und bat den fremden Krieger, von den Ereignissen auf seiner Reise zu erzählen. Der Weg nach Bruchtal war schon abenteuerlich genug gewesen und sie waren nicht einmal halb so lange gereist. Außerdem war er begierig darauf zu erfahren, wie es in anderen Ländern aussah. Boromir ließ sich nicht lange bitten, sondern erstattete bereitwillig Bericht. Er erzählte von den Weiten Gondors und von den Steppen Rohans, die er durchquert hatte. Und schließlich begann er von seiner Heimatstadt zu erzählen. Seine Augen leuchteten bei der Erinnerung an den weißen Turm Ecthelions, die Banner Gondors, die im Wind von den Türmen wehten... Laietha schloß die Augen und malte sich alles genau aus.
"Wovon träumt ihr, Herrin?" Laietha schreckte hoch und sah, daß die Hobbits und der Krieger sie angrinsten. Verlegen lächelte sie. "Ich fragte mich, nur, ob ihr schon einmal das Meer gesehen habt, mein Herr." Er schmunzelte. "Schon oft. Es würde euch gewiß gefallen. Wart ihr denn noch nie am Meer?" Sie schüttelte den Kopf. Er blickte sie lange an. "Beschreibt es für mich, Herr Boromir. Ich höre euch gerne zu." Auch die Hobbits waren gespannt darauf zu erfahren, wie das Meer aussehe.
"Merry, Pippin! Wo bleibt ihr denn? In Kürze gibt es Mittagessen!" Sam kam in den Garten gelaufen. Pippins Bauch grummelte verdächtig laut. Schließlich war das zweite Frühstück schon eine ganze Weile her. Merry sprang auf und sah Laietha an. "Willst du nicht mit uns kommen, Laietha? Es gibt bestimmt etwas Köstliches!" Die Frau schüttelte lachend den Kopf und hielt sich den Bauch. "Ich glaube, ich brauche heute den ganzen Tag lang nichts mehr zu Essen. Ich bin noch so voller Pilze!" Merry zuckte mit den Schultern und rannte seinem Cousin und Sam hinterher. Als er Pippin eingeholt hatte, fragte er neugierig: "Was meinst du, ob sie mich mag?" Pippin schüttelte den Kopf. "Ich weiß gar nicht, was du an ihr findest. Sie ist viel zu dürr!"
Boromir sah den Hobbits verwundert hinterher und schüttelte den Kopf. Er hörte ein Kichern neben sich. Laietha schmunzelte. "Sie sind goldig, nicht wahr? Ich habe die beiden sehr gerne." Boromir sah sie fragend an. "Sind es Kinder? Ich habe Halblinge noch nie zuvor gesehen." Zumindest nicht bis zu diesem Tag, denn bei Elronds Rat waren auch Halblinge gewesen. Er unterdrückte den Ärger, der kurz in ihm aufwellte. Laiethas Stimme riß ihn aus seinen düsteren Gedanken. Sie berichtete ihm von den Hobbits - vom alten Bilbo hatte sie eine Menge gelernt, konnte sich aber noch immer nicht daran gewöhnen, sie als Erwachsene anzusehen. Verwundert sah er wieder in die Richtung, in der die Halblinge verschwunden waren. Plötzlich spürte er eine federleichte Berührung an seiner Hüfte. Er drehte behend den Kopf und erblickte die junge Frau, die gedankenversunken sein Schwert betastete. Er ergriff ihre Hand und sie schreckte hoch - das Blut stieg ihr ins Gesicht und sie lächelte beschämt. Wortlos und mit einem Lachen reichte er ihr die Waffe. Sie stand auf und wog sie sachkundig in ihren Händen. Dann ließ sie das Schwert mit einer Hand durch die Luft sausen. Boromir hob eine Augenbraue. Sie ging geschickt mit der Waffe um. Mit einem Lächeln reichte sie es ihm zurück. "Ein gutes Schwert." Er lachte laut. "Ihr habt ein gutes Auge." Sie zuckte mit den Schultern. "Die besten Elbenschmiede haben sich hier in Bruchtal niedergelassen. Ich erkenne die Arbeit eines guten Schmiedes, wenn ich sie sehe." Ein Schatten legte sich auf sein Gesicht und hätte er nicht gelächelt als er sprach, hätte sie geglaubt, ihn verärgert zu haben. Er befestigte das Schwert wieder an seinem Gürtel. "Menschenhände schufen dieses Schwert - nicht Elben."
Laietha beschloß das Thema zu wechseln. "Ihr wolltet mir vom Meer erzählen, mein Herr." Der Anflug von Ärger in seinem Gesicht verschwand und er blickte in die Ferne. Er beschrieb ihr den Klang der Wellen, wenn sie gegen das Ufer schlugen, die Schreie der Meersvögel, das Geräusch des Wassers, das kleine Steinchen mit sich in die Weiten des Ozeans riß, die Farbe des Himmels, wenn die Sonne im Meer versank. Laietha hörte ihm zu und ließ die Augen nicht von ihm. Boromir bemerkte ihre Blicke und erwiderte sie. Nachdem sie sich lange so angesehen hatten, brach der Krieger das Schweigen. "Ich kann nicht glauben, daß ihr noch nie am Meer wart. Eure Augen haben die Farbe des Wassers, bevor ein Sturm anbricht."
Boromirs Magen knurrte laut und Laietha begann zu lachen. "Ihr habt gewiß noch nichts gegessen. Laßt uns hineingehen. Vielleicht haben euch die Hobbits noch etwas übrig gelassen." Sie ergriff ihn bei der Hand und zog ihn mit sich ins Haus.
1. Kapitel - Begegnungen
Elf Jahre später:
Die Oktoberwinde rissen heftig an den Blättern Bruchtals und Laietha zog ihren Schal fester um die Schultern. Der Abend dämmerte und die Luft war empfindlich kühl. Sie stand auf dem Balkon, von dem aus man in den Hof sehen konnte und wartete darauf, daß ihr Bruder Aragorn endlich heimkehren würde - wie schon seit vielen Monaten. Und wieder konnte sie keine Spur von ihm entdecken.
"Er wird kommen, meine Tochter. Ich habe bereits einige Männer ausgeschickt, um nach ihm zu suchen. Er ist nah." Laietha sah Elrond aus ihren grünen Augen an. Er erahnte, um was sie ihn bitten würde und erhob besänftigend die Hand. "Bald werden wir Kunde von ihm erhalten. Bleibe hier." Sie schüttelte den Kopf und hob flehend die Hände. "Vater, ich habe die Männer von Gefahr sprechen hören. Und ist heute nicht der Zauberer gekommen und hat berichtet, daß Aragorn jemanden von großer Wichtigkeit bei sich hat? Ist es daher nicht um so wichtiger, daß wir ihn finden? Laß mich gehen! Du weißt, Ascar ist schnell und stark. Ich werde ihn finden!" Ein Tumult brach am Tor aus. Einer der Wächter kam eilig gelaufen. "Mein Herr, Glorfindel kommt. Er ist auf dem Weg - und wird verfolgt." Gandalf kam aus dem Haus gelaufen. Schnell begriff er, was ihnen die Stunde geschlagen hatte. Elrond eilte sich, mit seinen Männern zum Tor zu gelangen. Dort sahen sie bereits, daß sich ihnen Glorfindel schnell näherte und sie entdeckten auch die neun finsteren Gestalten, die ihm auf dem Fuße folgten. Elrond befahl, den Fluß loszulassen, sobald Glorfindel sein Bett durchquert hatte.
Laietha beobachtet atemlos, wie die mächtigen Wogen des Bruinen die finsteren Reiter davon spülten. Glorfindel kam in den Hof geprescht. In seinen Armen hielt er ein lebloses Bündel. Schnell eilten sie zu ihm hinunter, nur Laietha blieb noch lange auf der Mauer stehen und mit ihren Blicken versuchte sie die Nacht zu durchdringen, wo sie ihren Bruder vermutete. Aber er kam nicht. Auch nicht am folgenden Tag.
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Zwei Tage waren vergangen, seit der Neffe von Bilbo Beutlin in den Mauern Bruchtals Schutz gefunden hatte und Herr Elrond meinte, der Kleine sei bereits auf dem Weg der Besserung. Laietha half Bilbo auf die Beine und er blickte die junge Frau, die ihn stützte, dankbar an. "Was habe ich euch gesagt, Frau Annaluva, mein Frodo wird es schaffen. Er ist sicher hier eingetroffen und ich zweifle nicht daran, daß er bald schon wieder auf den Beinen sein wird." Laietha lachte. Sie mochte den alten Knaben gerne, denn er wußte spannende Geschichten zu erzählen und kannte viele Lieder, die einem noch tagelang im Ohr klangen. "Seid so gut, Herr Beutlin und lest mir noch etwas aus eurem Buch vor." Der alte Hobbit grinste diebisch und zog das schwere Buch aus seiner Tasche, als hätte er auf diese Aufforderung nur gewartet. Die Sonne schien mit ihren warmen Strahlen in den Hof. "Nun, zufällig habe ich es dabei. Wo waren wir stehengeblieben?" Die Kriegerin schmunzelte und lauschte artig, als Bilbo vorlas, wie er und die Zwerge aus den Kerkern Düsterwalds herausgekommen waren. Sie stellte sich vor, wie schrecklich es gewesen sein mußte, in diesen engen Fässern den Fluß hinunterzutreiben. Bilbo war bei der Stelle angelangt, als er und die Zwerge endlich aus den Fässern entkommen konnten, als sie Rufe im Hof vernahm. Schnell sprang sie auf die Beine und lief hinunter. Sie erkannte sofort die Gestalt ihres Bruders, der mit drei weiteren Hobbits eingetroffen war. "Dunai!" rief sie freudig und ließ sich in seine Arme fallen. Er drückte sie fest an sich und die Hobbits sahen neugierig zu der jungen Frau empor, die sich so über die Ankunft ihres guten Streichers freute. "Wer sie wohl ist?" fragte Pippin neugierig und Merry zuckte nur mit den Schultern. "Woher soll ich das wissen. Ich bin auch eben erst hier angekommen."
Groß war die Freude darüber, daß Aragorn endlich eingetroffen war und noch größer war die Erleichterung bei den Hobbits, als sie hörten, daß sich Frodo auf dem Weg der Besserung befand. Sam ließ sich sofort in sein Zimmer führen und war seit dem nur noch zu den wichtigsten sechs Mahlzeiten gesehen.
Die anderen Hobbits wichen nicht von Aragorns Seite und erfuhren nun bald, daß die rothaarige Kriegerin seine Ziehschwester war. Merry mochte sie besonders gerne. Er ließ sich von ihr die schönsten Winkel der Parks zeigen und Pippin lachte laut, immer wenn er mit leuchtenden Augen von seinen Besichtigungen zurückkehrte. Pippin hielt sich eher an Aragorn, denn der schimpfte nicht so streng mit ihm wie Gandalf, wenn er sich aus Versehen in eine brenzlige Situation gebracht hatte.
"Närrischer Tuk!" hörte man Gandalfs laute ärgerliche Stimme mehr als einmal durch die Gänge schallen, nachdem es in der einen oder anderen Ecke des Palastes verdächtig geklirrt hatte. Und nur kurz darauf sah man einen unglücklich dreinblickenden Hobbit über den Flur schleichen, der sich mit gesenktem Kopf das schmerzende Hinterteil rieb.
Frau Annaluva lachte laut und nahm den Halbling tröstend in den Arm. Sie versicherte ihm mehrmals, daß ihr Vater noch mehr von diesen häßlichen Vasen hätte und Pippin grinste breit.
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Am Morgen ihres zweiten Tages in Bruchtal vernahmen sie die gute Nachricht, daß Frodo wieder zu sich gekommen wäre. Sam hatte es ihnen als erster berichtet. Am Abend sollte es ein fröhliches Fest geben, um die Genesung des Halblings zu feiern.
Das Fest hatte begonnen und Merry kam nicht umhin, Frau Annaluva immer wieder zu versichern, daß sie in diesem Kleid besonders schön aussehe. Sie lächelte ihn milde an. Frodo trat, immer noch ein wenig blaß um die Nase, aus der Tür und seine Freunde liefen fröhlich zu ihm und es war ein glückliches Wiedersehen. Wie groß war erst Frodos Freude, als er unter den Gästen seinen Onkel Bilbo erblickte! Die nächste Überraschung erwartete die Hobbits, denn als Aragorn den Raum betrat, hätten sie ihren guten Streicher in seinem festlichen Gewand um ein Haar nicht erkannt. Wie stattlich sah er aus! Laietha lächelte, denn nun schien er Isildurs Erbe würdig zu sein.
Laietha selbst unterhielt sich fröhlich mit Legolas, dem Elbenprinzen aus dem Düsterwald. Sie war schon lange nicht mehr in König Thranduils Reich gewesen und freute sich über die Neuigkeiten aus der Ferne. Beunruhigt sah der junge Elb aus, doch so sehr sie sich auch bemühte, konnte sie ihm doch sein Geheimnis nicht entlocken. Das Essen wurde aufgetragen und den Hobbits begann bei seinem Anblick das Wasser im Munde zusammenzulaufen.
Sie erfreuten sich an den herrlichen Speisen, denen fröhlicher Gesang folgte und sogar der alte Spitzbube Bilbo gab ein Liedchen zum besten. Merry faßte sich schließlich ein Herz und forderte Frau Annaluva zum Tanz auf. Pippin fiel fast der Bissen aus dem Mund und Frodo und Sam schmunzelten amüsiert vor sich hin. Die Kriegerin schlug dem Hobbit die Bitte nicht ab und obwohl sie zwischen den eleganten Elben keine gute Figur machten, lachten und scherzten sie viel, während sie das eine oder andere Mal fast über ihre eigenen Füße stolperten. Atemlos kehrten sie auf ihre Plätze zurück und betrachteten das fröhliche Treiben aus sicherer Entfernung.
Lange blieben sie beisammen und die Hobbits konnten sich gar nicht satt sehen an den Elben und der Pracht des Festes. Aber irgendwann konnten sie die Augen vor Müdigkeit nicht mehr offen halten und wurden lachend von den Elben auf ihre Zimmer geführt, wo sie bald in tiefen Schlaf versanken und von den köstlichen Speisen und den wunderschönen Liedern träumten.
Laietha saß noch lange mit ihrem Bruder und ihrem Vater zusammen und der Zauberer Gandalf trat hinzu. Die beiden wechselten einen bedeutungsvollen Blick. Laietha entschied für sich, daß es wohl passender für sie wäre, zu gehen - was sie aber nicht daran hinderte, an der Tür zu lauschen. So erfuhr sie, daß für den nächsten Tag ein Rat angesetzt wurde, bei dem das Schicksal des Einen Ringes besprochen werden sollte. Unruhe erfaßte sie. Es war etwas im Gange. Nicht nur, daß Aragorn in letzter Sekunde einer großen Gefahr entgangen war, auch ihre beiden Brüder Elrohir und Elladan waren noch immer nicht von ihrem Erkundungszug, auf den Elrond sie geschickt hatte, zurück. Laietha mußte erfahren, was dort vor sich ging. Gewiß würde sie am nächsten Tag nicht zu der Versammlung geladen werden. Sie rümpfte die Nase, als sie daran dachte, daß ihr Vater ihr wahrscheinlich sagen würde, das wäre Männersache. Hinter sich hörte sie ein heiseres Kichern und sie drehte sich blitzartig herum. Bilbo Beutlin stand hinter ihr und grinste spitzbübisch zu ihr hinauf. "Hat euch auch der Hunger aus dem Bett getrieben?" Sie errötete, weil man sie beim Lauschen ertappt hatte. Gerade wollte sie versuchen, eine Erklärung hervorzustammeln, als der Hobbit sich neben sie an die Tür drängte. Er legte den Finger an die Lippen und bedeutete ihr, leise zu sein. "Wir Hobbits haben hervorragende Ohren," flüsterte er mit schelmischer Miene und lachte leise. "Aber die Ohren der Elben funktionieren bedeutend besser, Herr Beutlin!" dröhnte Elronds laute Stimme und eine Sekunde später flog die Tür auf und Laietha und Bilbo stolperten völlig überrumpelt in den großen Raum. Bilbo - alt wie er sein mochte, schaffte es, sein Gleichgewicht zu behalten, aber Laietha fiel der Nase lang hin und sah verdattert zu ihrem Vater hoch. Der Halbelb musterte sie streng. Dann fiel sein Blick auf den Hobbit, der klammheimlich versuchte, sich so unauffällig wie möglich aus dem Staub zu machen. "Wo wollt ihr denn hin, Herr Beutlin?" fragte er mit hochgezogenen Augenbrauen.
"Oh, ich...ich wollte nur in die Küche, mir ein kleines Nachtmahl holen. Dabei muß ich mich wohl verlaufen haben. Eine gute Nacht wünsche ich euch," und flink wie ein Wiesel war er zur Tür hinaus. Laietha hatte sich inzwischen erhoben. Ihr Vater wandte sich nun an sie. "Zeugt das von gutem Benehmen, an der Tür zu horchen wie ein gemeiner Dieb?" Laietha senkte den Kopf zu Boden. "Nein, adar," flüsterte sie beschämt. Aragorn kam auf sie zu und legte den Arm um sie. "Ich bin sicher, sie wollte mich nur daran erinnern, daß es Zeit zum Schlafen ist. Wir sollten alle zu Bett gehen, denn der Morgen ist weiser als der Abend." Mit einem Kopfnicken verabschiedete er sich von seinem Vater und Gandalf und führte seine Schwester aus dem Raum. Sie gingen auf ihr Zimmer.
Lange waren sie noch wach. Laietha hatte sich hingelegt und Aragorn saß auf dem Rand ihres Bettes. "Was geht nur in der Welt vor sich, Dunai? Elladan und Elrohir sind noch immer unterwegs und ich kann fühlen, wie das Böse immer mächtiger wird. Sag mir, Bruder, wird es zum Krieg kommen?" Aragorn dachte sehr lange nach. Er berichtete seiner Schwester von vielen Dingen, die er auf seiner Reise in Erfahrung gebracht hatte - verschwieg ihr aber auch genug, um nicht ihren Wunsch, ihn das nächste Mal zu begleiten, zu wecken.
"Das Böse braut sich zusammen, Laietha. Aber wie ich schon zu Vater sagte, wir sollten jetzt schlafen, denn ich bin müde." Er küßte sie auf die Stirn und erhob sich. Laietha zog die Decke hoch und drückte ihren Kopf in die Kissen. Aragorn war schon fast zur Tür hinaus, als sie im Hof Pferdegetrappel hörten. Sofort sprang Laietha auf und eilte ans Fenster und es dauerte keinen Augenblick, da war ihr Bruder an ihrer Seite. Neugierig lugten sie in den Hof. "Was siehst du, Dunai? Sind es unsere Brüder, die gekommen sind?" Laietha reckte sich, um ihrem Bruder über die Schulter sehen zu können. Wer kam zu so später Stunde noch hierher? Langsam schüttelte Aragorn den Kopf. "Es ist nur einer, ein Mensch." Laietha wurde aufmerksam. Sie bekamen in letzter Zeit selten Besuch von den Menschen, aber wenn welche eingetroffen waren, dann war es etwas Wichtiges gewesen. Auch gerade jetzt hielten sich Menschen in Bruchtal auf. Sie waren wegen des Rates am nächsten Tag eingetroffen - alte Männer, die Laietha seltsame Blicke zugeworfen hatten. Ob dieser Besucher auch wegen des Rates gekommen war? "Wir sollten hinuntergehen und rausfinden, wer es ist, meinst du nicht, Dunai?" Laietha lief schon zu ihren Stiefeln, als Aragorn sie mit einem Lächeln am Ärmel packte und in Richtung Bett zog. "Du wirst es früh genug herausfinden, Laietha." Sie öffnete den Mund, um zu protestieren, aber er zog ihren Kopf geschwind an seinen Mund. "Wenn du jetzt schlafen gehst, erzähle ich dir morgen was beim Rat besprochen wurde," flüsterte er ihr ins Ohr, und grinste sie an. Sie küßte ihn geschwind auf den Mund. "Du bist der Beste!" lachte sie und legte sich zurück ins Bett. Aragorn lächelte sie an, warf ihr eine Kußhand zu und verließ den Raum. Laietha wartete, bis er die Tür geschlossen hatte und lief dann leise zum Fenster. Sie versuchte in der Dunkelheit auszumachen, wer der Neuankömmling sein mochte. Ihr Vater und Gandalf traten zu ihm und redeten mit ihm. Einer der Stallburschen führte sein Pferd fort. Laietha schüttelte resigniert den Kopf. Sie war nun mal nur ein Mensch und verfügte nicht über die guten Augen eines Elben. Sie konnte nicht erkennen, wer der Mann war - oder woher er kam. Doch schließlich schlich sich ein Grinsen auf ihr Gesicht. Den Stallburschen hatte sie nämlich genau erkannt.
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Es war noch sehr früh am nächsten Morgen als Laietha aufstand. Die Sonne streckte gerade neugierig den Kopf über den Bergen hervor. Laietha zog sich ihre Hosen und ihre Stiefel an und schnürte ihr Mieder fest zu. Schmunzelnd dachte sie daran, daß der Stallbursche ihr ja schließlich genau berichten sollte, wer da gestern Nacht so spät eingetroffen war. Sie band ihre langen Haare lose im Nacken zusammen und spähte vorsichtig aus der Tür. Der Flur war verlassen. Mit einem Lächeln im Gesicht stahl sie sich zu den Ställen. Zu ihrer Enttäuschung war der Stallbursche noch nicht da. Sie würde sich also noch ein wenig gedulden müssen. Nun, nichts für ungut, dachte sie sich. Es war ein herrlicher Morgen und wer wußte schon, wie lange das Wetter ihnen noch so wohlgesonnen sein würde. Der Herbst neigte sich dem Ende zu und der Winter stand vor der Tür. Sie griff nach ihrem Schwert und befestigte es an ihrem Gürtel. Dann ging sie zu ihrem Pferd. Sie würde ein wenig ausreiten, dann schmeckte ihr das Frühstück immer doppelt so gut und gestern Abend hatte Merry sie zu einem Pilzwettessen herausgefordert. Da sie den enormen Appetit der Hobbits kannte, hielt sie es für recht und billig, sich einen kleinen Vorteil zu verschaffen.
"Guten Morgen, Ascar. Wie steht es, wollen wir ein wenig ausreiten? Das Wetter ist zu schön, um es nicht zu nutzen." Sie strich dem Tier liebevoll über die Flanken. Der Rappe wieherte freudig und sie lachte laut. "Du kannst es auch nicht ertragen, den ganzen Tag über nur untätig auf der Weide zu stehen, nicht wahr?" Das Pferd schmiegte seinen Kopf gegen ihre Schulter und stöberte mit seinen Nüstern in ihrer Tasche. Der Hengst schnaubte und die junge Frau schmunzelte. "Nein, mein Lieber, auch für dich gibt es erst nachher Frühstück."
"Ein schönes Tier." Laietha wirbelte herum. Sie hatte sich unbeobachtet geglaubt. Hinter ihr stand ein stattlicher Mann, den sie noch nie zuvor gesehen hatte. Er sah weitgereist und ein wenig erschöpft aus. Neugierig musterte er sie von Kopf bis Fuß. Sie erwiderte seinen Blick und versuchte festzustellen, woher er wohl kommen mochte. Ein Lächeln trat auf sein Gesicht. "Ihr seid keine Elbin." Laietha schenkte ihm ein schiefes Grinsen. "Oh wirklich! Gut, daß ihr es mir sagt. Ihr seht auch nicht gerade elbisch aus." Ein verdutzter Ausdruck trat auf sein Gesicht und sie feixte in sich hinein. Der Fremde schien sich wieder zu fangen. Laietha erkannte ihn als einen Mann aus dem Süden. Er trug einen Mantel, der am Kragen mit Fell verziert war und darunter konnte sie eine Ledertunika erkennen. Vielleicht war er es, der gestern abend so spät eingetroffen war. Sie beschloß, ein wenig freundlicher zu ihm zu sein, denn vielleicht mußte sie gar nicht mehr den Stallburschen befragen. Der würde sowieso Anweisung haben, Stillschweigen zu bewahren. Sie beugte artig den Kopf. "Menschen aus dem Süden sind in Bruchtal willkommen." Er wandte seinen Blick noch immer nicht von ihr, als er einen Schritt auf sie zumachte. Der Mann streckte seine Hand nach Ascar aus und gab dem Pferd eine Karotte. Der Hengst schnaubte zufrieden und begann genüßlich zu kauen. Auch er verneigte sich knapp. "Woher kommt ihr, Herrin?" Sie beschrieb mit ihrer Hand eine knappe Geste. "Ich lebe hier." Er sah sie erstaunt an. Ascar stupste ihn mit seiner Schnauze an und warf ihm einen hoffnungsvollen Blick zu. Der Mann zauberte aus seiner Manteltasche noch eine weitere Karotte hervor, die ihm der Rappe freudig abnahm. "Wie heißt ihr, Herrin?" Er streichelte die Nüstern des Pferdes. Laietha stemmte ihre Hände herausfordernd in die Hüften. "Ihr stellt eine Menge Fragen, mein Herr, ohne selbst etwas über euch preiszugeben." Sie erwartete, daß er sich umdrehen und gehen würde, statt dessen verneigte er sich tief und griff nach ihrer Hand. Bevor sie sie wegziehen konnte, hatte er ihr einen Handkuß darauf gehaucht. "Verzeiht, Herrin, mein Name ist Boromir aus Minas Tirith. Zu euren Diensten."
Laietha wurde rot. Sie wußte sehr wohl wer er war und nun reute es sie, daß sie so respektlos zu ihm gewesen war. "Der zukünftige Statthalter von Gondor!" wisperte sie beinahe erschrocken und verbeugte sich tief. Er lachte schallend. "Ihr wißt wirklich sehr gut Bescheid. Hat sich meine Ankunft so schnell herumgesprochen?" Laietha schüttelte den Kopf. "Ich sagte bereits, Menschen aus dem Süden sind hier willkommen. Euer Name ist mir mehr als einmal zu Ohren gekommen. Was führt euch hierher?" Ascar schubste Laietha, so heftig, daß sie fast gegen Boromir prallte. Er grinste breit. "Euer Pferd scheint ungeduldig auf seinen Ausritt zu warten. Ihr solltet besser aufbrechen, oder ich muß noch ein paar Karotten holen, um ihn zu beruhigen." Laietha war eigentlich nicht gewillt, das Gespräch jetzt zu beenden, denn sie hatte gehofft zu erfahren, was einen so hohen Botschafter aus Gondor zu ihnen führte. Dennoch nickte sie und stieg auf ihr Pferd. Sie wollte gerade aus dem Stall reiten, als sie eine Stimme von hinten hörte. "Herrin, nun seid ihr es, die nicht reden will. Verratet mir doch wenigstens euren Namen!" Sie brachte Ascar zum Stehen und drehte sich um. Der Mann stand neben seinem Pferd und sah ihr nach. Sie lächelte. "Man nennt mich hier Laietha. So sollt auch ihr mich nennen, mein Herr." Er nickte mit einem breiten Lächeln. Laietha drehte sich um und ritt aus dem Stall. Die Sonne schien ihr ins Gesicht, und obwohl der Wind kalt war, war es ein schöner Morgen. Sie atmete tief die frische Luft ein. Ascar wieherte vergnügt und als sie in Richtung Tor ritten, verfiel er in einen leichten Trab. Hinter sich hörte Laietha auf einmal das Geräusch von Hufen. Schnell drehte sie sich um, um zu sehen, wer ihr gefolgt war. Sie sah Boromir auf seinem Pferd auf sie zugaloppieren. Mit einem breiten Lächeln kam er neben ihr zum Stehen. "Haltet ein, Frau Laietha, ihr solltet nicht ganz alleine in dieser Gegend ausreiten. Erlaubt, daß ich euch begleite."
Das Licht fiel durch die letzten verbliebenen Blätter und zauberte ein bewegtes Lichtspiel auf den Waldboden. Sie ritten langsam nebeneinander her. "Wie kommt es, daß ihr den weiten Weg von Gondor auf euch genommen habt, um nach Bruchtal zu kommen? Die Reise ist lang und gefährlich." Boromir antwortete nicht sofort, sondern überlegte eine Weile. Wieviel sollte er dem Mädchen erzählen? Schließlich hub er zu sprechen an. "Mein Land befindet sich im Krieg und es steht schlecht. Ich bin gekommen, um Hilfe zu erbitten." Laietha nickte gedankenvoll. "Ich habe gehört, daß sich Übel in Mordor regt. Wenn ihr die weite Reise auf euch nehmt, muß es in der Tat schlecht um Gondor bestellt sein." Boromir sah sie verdutzt an. Sie schien wirklich sehr gut Bescheid zu wissen. Er hätte nicht so viel von einer Frau erwartet. "Ich kann mich glücklich schätzen. Heute soll ein Rat einberufen werden und Herr Elrond hat mich eingeladen, daran teilzunehmen. Ich hoffe, daß ich mit guten Nachrichten heimkehren werde."
Sie ritten noch eine Weile nebeneinander her, ohne viel zu sprechen. Boromir konnte seinen Blick nur schwer von ihr wenden. Mochte sie auch keine Elbin sein, so war sie doch hübsch. Das Licht reflektierte in ihrem Haar und er kam nicht umhin, ihre knappe Kleidung zu bemerken. Ein Lächeln stahl sich auf sein Gesicht.
Auch Laietha beobachtete ihn von Zeit zu Zeit verstohlen. Einige Male ließ sie sich absichtlich zurückfallen, um einen besseren Blick auf seinen Rücken zu erhaschen. Der Mann hatte die Statur eines Kriegers. Sein Kreuz war breit und unter seinem Hemd konnte sie die starken Arme erahnen. Sie lächelte. Er gefiel ihr. Vielleicht würde sie ihn nach Gondor begleiten. Sie hatte schon viel zu lange herumgesessen und eine Reise mit ihm würde gewiß interessant werden.
Die Sonne war noch höher gestiegen und Laietha bemerkte erst jetzt, wie weit sie schon vom Haus ihres Vaters fort waren. Das Frühstück würden sie gewiß verpassen. Auch Boromir schien es bemerkt zu haben. Er brachte sein Pferd zum Stehen. "Wir sollten umkehren, Frau Laietha. So gerne ich weiter in eurer Gesellschaft reiten würde - ich fürchte es wäre nicht hilfreich zu spät zu Herrn Elronds Rat zu gelangen." Laietha nickte. Dann fügte sie mit einem Lächeln hinzu: "Laßt uns sehen, wer zuerst wieder in Bruchtal ist!" Ohne seine Antwort abzuwarten, trieb sie ihrem Pferd die Fersen in die Flanken und Ascar trug sie in Windeseile davon.
Kurz bevor sie die Mauern Bruchtals erreichten, hatte Boromir sie wieder eingeholt. Gleichzeitig jagten sie durch die geöffneten Tore. Lachend brachten sie die Pferde in den Stall. Ein Bediensteter kam und informierte Boromir, daß man ihn beim Rat erwartete. Er verneigte sich höflich vor Laietha und nahm ihre Hand. Erneut gab er ihr einen Handkuß, aber diesmal machte sie keine Anstalten zurückzuweichen. Er hob den Kopf und sah ihr in die Augen. Ein Lächeln umspielte seine Mundwinkel. "Habt Dank für diesen Morgen, liebe Frau Laietha. Eure Bekanntschaft gemacht zu haben ist mir ein gutes Omen für den Rat. Wenn alle Bewohner Bruchtals so freundlich sind wie ihr, wird man mir gewiß Hilfe nicht verweigern." Damit drehte er sich um und ging ins Haus. Laietha sah ihm nach. Sie war gespannt, was Aragorn ihr später über den Rat berichten würde.
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Als sie auf den Palast zulief, kamen ihr Merry und Pippin entgegen. Merry grinste breit. "Willst du dich vor dem Wettessen drücken, Laietha? Das Frühstück ist längst vorbei. Aber keine Bange - wir haben ein paar Pilze retten können." Lachend zog er einen riesigen Korb hinter seinem Rücken vor. Laiethas Magen knurrte laut. Sie brachen in schallendes Gelächter aus. Die Kriegerin bat nur darum, sich ein wenig frisch machen zu dürfen. Nach ein paar Minuten war sie wieder zurück und sie setzten sich an der Tafel nieder. Das Wettessen begann.
Die Hobbits und Laietha lagen auf der Wiese und schnauften entkräftet. Laietha hielt sich mit unglücklicher Miene den Bauch. Pippin betrachtete sie mit großen Augen und Merry japste nach Luft. "Das war unfair - ich hatte vorher immerhin schon Frühstück." Die Kriegerin lachte. "Oh, jetzt ist mir schlecht," verkündete sie ihren Freunden. Pippin rülpste laut. Die beiden anderen sahen ihn mit großen Augen an und er gab ein verschmitztes Grinsen zurück. "Das tat gut." Merry sah seine nächste Chance auf einen Wettstreit. Er fügte mit einem mächtigen Rülpser und einem Grienen hinzu: "Wettrülpsen." Laietha schlug sich an die Brust und die Hobbits erblaßten vor Neid. "Gut, du hast gewonnen," grummelte Merry.
Hinter ihnen wurde Lachen laut. Geschwind sprangen sie auf die Beine und erblickten einen großen rothaarigen Mann, der über die Wiese schlenderte. "Sagt mir, daß nicht ihr das eben wart, Herrin." Laietha errötete. Sie verneigte sich schnell. "Herr Boromir, ich hoffe, ihr habt die Hilfe bekommen, auf die ihr gehofft habt." Boromir verzog das Gesicht, lächelte dann aber schnell. "Nicht direkt, aber ich bin fürs erste zufrieden. Ich sagte ja, eure Gesellschaft hat mit Glück gebracht." Mit neugierigen Blicken musterte er die Hobbits, die genauso neugierig zurückstarrten. Pippin zupfte Laietha am Ärmel. "Willst du uns denn nicht vorstellen, Laietha? Du scheinst ihn ja zu kennen." Die Kriegerin lächelte und tat, was man von ihr erbeten hatte. Boromir verbeugte sich artig. "Es freut mich, eure Bekanntschaft zu machen, meine kleinen Herren." Er nahm auf der Erde Platz und die anderen setzten sich zu ihm. Laietha betrachtete ihn interessiert, während er sich mit den Hobbits unterhielt. Er mochte vierzig Sommer zählen. Sein Gesicht war stolz und nicht ganz sorgenfrei. Dennoch leuchteten seine Augen, wenn er über einen von Pippins Scherzen lachte. Der Hobbit griff neugierig nach dem großen Horn an Boromirs Seite. Zuerst sah der Krieger ihn verdutzt an, brach dann aber in Gelächter aus und reichte dem Hobbit das Horn, damit er es aus der Nähe betrachten konnte.
Auch Boromir warf Laietha verstohlene Blicke zu. Sie hatte ihre Reitkleidung gegen ein dunkelgrünes Kleid getauscht und ihre roten Locken umspielten ihr Gesicht. Die Sonne schien auf ihre blasse Haut und er konnte seine Blicke gar nicht von ihren vollen roten Lippen wenden. Mit hochgezogenen Brauen bemerkte er, daß Merry die Menschenfrau mit dem selben Interesse musterte. Er mußte schmunzeln. Er schätzte das Mädchen auf Mitte zwanzig und seufzte. Als er in ihrem Alter gewesen war hatte er auch noch so unbeschwert lachen können, wie sie über Merrys Scherze.
"Nun sagt mir, Herr Boromir, wann werdet ihr in eure Heimat aufbrechen?" Er kam wieder zu sich und schenkte ihr ein Lächeln. "Ich werde in Gesellschaft reisen. Wann genau wir aufbrechen, kann ich nicht sagen. Ich werde wohl noch eine Weile hier verweilen." Laietha lächelte froh, als sie das hörte. "Ihr seht auch aus, als könntet ihr ein wenig Ruhe gebrauchen. Sagt mir, Herr Boromir, wie lange habt ihr für die Reise von Gondor nach Bruchtal gebraucht?" Boromir rechnete im Stillen. "Etwas mehr als drei Monate. Der Weg war beschwerlich." Sie sah, wie sich die Erlebnisse der Reise in seinen Augen spiegelten. Sicher hatte er viele Gefahren bestehen müssen. Pippin war weniger verholen als sie und bat den fremden Krieger, von den Ereignissen auf seiner Reise zu erzählen. Der Weg nach Bruchtal war schon abenteuerlich genug gewesen und sie waren nicht einmal halb so lange gereist. Außerdem war er begierig darauf zu erfahren, wie es in anderen Ländern aussah. Boromir ließ sich nicht lange bitten, sondern erstattete bereitwillig Bericht. Er erzählte von den Weiten Gondors und von den Steppen Rohans, die er durchquert hatte. Und schließlich begann er von seiner Heimatstadt zu erzählen. Seine Augen leuchteten bei der Erinnerung an den weißen Turm Ecthelions, die Banner Gondors, die im Wind von den Türmen wehten... Laietha schloß die Augen und malte sich alles genau aus.
"Wovon träumt ihr, Herrin?" Laietha schreckte hoch und sah, daß die Hobbits und der Krieger sie angrinsten. Verlegen lächelte sie. "Ich fragte mich, nur, ob ihr schon einmal das Meer gesehen habt, mein Herr." Er schmunzelte. "Schon oft. Es würde euch gewiß gefallen. Wart ihr denn noch nie am Meer?" Sie schüttelte den Kopf. Er blickte sie lange an. "Beschreibt es für mich, Herr Boromir. Ich höre euch gerne zu." Auch die Hobbits waren gespannt darauf zu erfahren, wie das Meer aussehe.
"Merry, Pippin! Wo bleibt ihr denn? In Kürze gibt es Mittagessen!" Sam kam in den Garten gelaufen. Pippins Bauch grummelte verdächtig laut. Schließlich war das zweite Frühstück schon eine ganze Weile her. Merry sprang auf und sah Laietha an. "Willst du nicht mit uns kommen, Laietha? Es gibt bestimmt etwas Köstliches!" Die Frau schüttelte lachend den Kopf und hielt sich den Bauch. "Ich glaube, ich brauche heute den ganzen Tag lang nichts mehr zu Essen. Ich bin noch so voller Pilze!" Merry zuckte mit den Schultern und rannte seinem Cousin und Sam hinterher. Als er Pippin eingeholt hatte, fragte er neugierig: "Was meinst du, ob sie mich mag?" Pippin schüttelte den Kopf. "Ich weiß gar nicht, was du an ihr findest. Sie ist viel zu dürr!"
Boromir sah den Hobbits verwundert hinterher und schüttelte den Kopf. Er hörte ein Kichern neben sich. Laietha schmunzelte. "Sie sind goldig, nicht wahr? Ich habe die beiden sehr gerne." Boromir sah sie fragend an. "Sind es Kinder? Ich habe Halblinge noch nie zuvor gesehen." Zumindest nicht bis zu diesem Tag, denn bei Elronds Rat waren auch Halblinge gewesen. Er unterdrückte den Ärger, der kurz in ihm aufwellte. Laiethas Stimme riß ihn aus seinen düsteren Gedanken. Sie berichtete ihm von den Hobbits - vom alten Bilbo hatte sie eine Menge gelernt, konnte sich aber noch immer nicht daran gewöhnen, sie als Erwachsene anzusehen. Verwundert sah er wieder in die Richtung, in der die Halblinge verschwunden waren. Plötzlich spürte er eine federleichte Berührung an seiner Hüfte. Er drehte behend den Kopf und erblickte die junge Frau, die gedankenversunken sein Schwert betastete. Er ergriff ihre Hand und sie schreckte hoch - das Blut stieg ihr ins Gesicht und sie lächelte beschämt. Wortlos und mit einem Lachen reichte er ihr die Waffe. Sie stand auf und wog sie sachkundig in ihren Händen. Dann ließ sie das Schwert mit einer Hand durch die Luft sausen. Boromir hob eine Augenbraue. Sie ging geschickt mit der Waffe um. Mit einem Lächeln reichte sie es ihm zurück. "Ein gutes Schwert." Er lachte laut. "Ihr habt ein gutes Auge." Sie zuckte mit den Schultern. "Die besten Elbenschmiede haben sich hier in Bruchtal niedergelassen. Ich erkenne die Arbeit eines guten Schmiedes, wenn ich sie sehe." Ein Schatten legte sich auf sein Gesicht und hätte er nicht gelächelt als er sprach, hätte sie geglaubt, ihn verärgert zu haben. Er befestigte das Schwert wieder an seinem Gürtel. "Menschenhände schufen dieses Schwert - nicht Elben."
Laietha beschloß das Thema zu wechseln. "Ihr wolltet mir vom Meer erzählen, mein Herr." Der Anflug von Ärger in seinem Gesicht verschwand und er blickte in die Ferne. Er beschrieb ihr den Klang der Wellen, wenn sie gegen das Ufer schlugen, die Schreie der Meersvögel, das Geräusch des Wassers, das kleine Steinchen mit sich in die Weiten des Ozeans riß, die Farbe des Himmels, wenn die Sonne im Meer versank. Laietha hörte ihm zu und ließ die Augen nicht von ihm. Boromir bemerkte ihre Blicke und erwiderte sie. Nachdem sie sich lange so angesehen hatten, brach der Krieger das Schweigen. "Ich kann nicht glauben, daß ihr noch nie am Meer wart. Eure Augen haben die Farbe des Wassers, bevor ein Sturm anbricht."
Boromirs Magen knurrte laut und Laietha begann zu lachen. "Ihr habt gewiß noch nichts gegessen. Laßt uns hineingehen. Vielleicht haben euch die Hobbits noch etwas übrig gelassen." Sie ergriff ihn bei der Hand und zog ihn mit sich ins Haus.
