Disclaimer: Bis auf Laietha, alles Tolkiens...wir kennen das ja inzwischen
;-)
Kapitel 5 - Auf der Jagd
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Es war jetzt bereits 17 Tage her, seit die Gefährten aufgebrochen waren. Elrohir war nicht entgangen, daß seine Ziehschwester oft am Fenster stand und über das Land blickte und er konnte sich denken, was in ihr vorging. Jeden Tag ging sie in den Stall und kümmerte sich um das Pferd des Gondorianers. Dort fand Elrohir sie auch an diesem Abend. Der Braune hatte einen Platz neben Ascar bekommen und die Pferde schienen sich zu mögen. Laietha ließ ihre Hand schnell in die Tasche gleiten als sie hörte, daß sich jemand näherte. "Was hast du, Laietha?" Der Elb legte ihr die Hand auf die Schulter. Sie schüttelte den Kopf. "Ich habe schlecht geträumt - das ist alles." Feuer, das geborstene Horn, das Rauschen des Wassers. Der Traum kehrte immer wieder und Laietha war mehr als nur besorgt. Für gewöhnlich ignorierte sie ihre Träume nicht, aber sie hatte versprochen, in Bruchtal auf ihn zu warten. Ihr Ziehbruder spürte, daß ihre Ungeduld wuchs und er hatte Angst, daß sie sich eines Nachts auf den Weg machen würde. "Mach dir keine Sorgen, Laietha. Ihnen wird nichts geschehen. Sie sind noch immer in der Nähe und Saurons Arm wird sie noch nicht erreicht haben." Die Frau traf seinen Blick und wußte, daß er log, um sie zu beruhigen. Sie seufzte tief.
Der Abend war trostlos, wie die Abende davor. Auch der alte Bilbo war nicht so frohgemut wie sonst. Oft fand Laietha ihn tief in Gedanken am Feuer sitzend - sein Buch auf den Knien. Sie setzte sich neben ihn und sie schwiegen gemeinsam.
****
In der Nacht vom 11. zum 12. Januar wachte Laietha schweißgebadet aus dem inzwischen vertrauten Albtraum auf. Sie blickte aus dem Fenster und sah eine Flammensäule am Himmel. Geschwind lief sie zum Fenster und versuchte etwas genaueres zu erkennen. Ohne Erfolg, aber kalte Furcht ergriff von ihr Besitz. "Mithrandir." Murmelte sie. Was war geschehen, daß der Zauberer so unvorsichtig war und ein so gewaltiges Zeichen in den Himmel schrieb? Sie hielt es keine Sekunde länger aus und packte ein paar ihrer Sachen zusammen. Laietha griff nach Dramthala, ihrem Schwert. Sie befestigte es an ihrem Gürtel und zog sich ihren Mantel über. Dann schnürte sie ihre Stiefel und schlich so leise wie möglich aus dem Haus zum Pferdestall.
"Ascar, mein Guter. Ich weiß, daß es kalt ist, aber wir müssen uns beeilen. Die anderen sind in Gefahr, ich weiß es. Wir müssen sie warnen." Das Pferd schnaubte und stieß sie ermunternd an. Laietha lächelte und gab ihm eine Karotte. "Er hat dich verwöhnt, mein Lieber. Ich sollte ihm dafür ordentlich den Kopf waschen!" Wenn sie nur endlich wieder bei ihm war. Die Nächte alleine in ihrem Zimmer waren ihr wie eine Ewigkeit vorgekommen. Wie hatte sie sich nur so an ihn gewöhnen können?
"Du wirst gewiß nicht alleine gehen, Schwester." Laietha wirbelte herum und sah Elrohir entsetzt an. Er lächelte beschwichtigend. Auch der Elb hatte seine Sachen gepackt und trat nun an ihre Seite. "Ich weiß, daß ich dich nicht aufhalten kann, aber ich bitte dich, mich mit dir zu nehmen. Die Gegend ist gefährlich und ich lasse dich nicht alleine durch die Wildnis streifen." Laietha umarmte ihn dankbar. "Du warst schon immer mein Lieblingsbruder, Elrohir!" Der Elb grinste breit. "Laß das nur nicht Aragorn hören!"
Heimlich machten sie sich auf den Weg. Sie trieben ihre Pferde zur Eile an. Auch Elrohir hatte das Licht am Horizont gesehen. "Sie haben versucht, über den Caradhras zu reisen. Wir sollten uns beeilen und sie einholen. Schließlich wissen wir nicht, welchen Weg sie sonst einschlagen werden."
***
Die beiden kamen ein gutes Stück voran. Ihre Pferde waren schnell. Es dauerte etwa eine Woche bis sie am Fuße des Caradhras angekommen waren. Sie fanden noch die Überreste eines Lagers. Laietha und Elrohir stiegen ab. Die Bäume auf der Lichtung waren versengt und sie fanden einen zerbrochenen Pfeil. "Der gehörte dem Prinzen des Düsterwaldes," stellte Elrohir fest. Es mußte offensichtlich ein Kampf stattgefunden haben, aber von den Angreifern fanden sie keine Spur. "Werwölfe," mutmaßte Laietha und sie sahen sich bedeutungsvoll an. Die Spuren waren noch recht deutlich zu erkennen und sie folgten ihnen zu Fuß.
"Sie haben sich auf den Weg nach Moria gemacht." Elrohir schüttelte den Kopf. "Es war gewiß nicht Elessars Wille." Laietha bat ihn um eine Erklärung und Elrohir zögerte kurz. "Man sagt, ein Balrog triebe sich dort rum. Aragorn wird diesen Weg nur gegangen sein, wenn es keinen anderen Ausweg gab." Ein Balrog. Laietha dachte an ihren Traum - Feuer und Asche, glühende Felsen. "Wir müssen sie einholen!" Sie wußte, daß es wohlmöglich schon zu spät war. Die Spuren waren mehr als eine Woche alt gewesen. Vielleicht hatten sie die Minen schon wieder verlassen - wenn sie lebend durchgekommen waren. Sie hieb Ascar die Fersen in die Flanken.
Die Spuren führten nach Moria, aber sie fanden den Eingang verschüttet. Hilflos sahen sie sich an. "Was nun?" Ascar bäumte sich auf und warf Laietha fast ab. Aus dem See vor den Minen kroch ein tastender Tentakel hervor. Elrohir stieß einen Warnschrei aus. "Weg hier! Schnell!" Die Pferde brauchten keinen Ansporn. Sie rasten schnell davon. Als sie außer Reichweite waren, hielten sie an. Laietha war verzweifelt. Sie mußten sie einholen! Sie warnen! Elrohir stieg von seinem Pferd und setzte sich hin. Er dachte lange nach.
"Wenn sie aus den Minen kommen, werden sie nach Lothlorien gehen. Sie müssen ihre Vorräte auffrischen und werden Rast brauchen. Und Aragorn kennt den Weg." Für diese Nacht schlugen sie ihr Lager auf. Wie auch in den Nächten zuvor, hielt Elrohir Wache während Laietha schlief.
****
Müde ließen sich die Gefährten auf die Schlafplätze sinken, die ihnen Frau Galadriel bereitet hatte. Boromir lag lange wach. Er starrte in den Himmel und sein Blick fiel auf den roten Stern, der so fern am Himmel stand. Pippin kam zu ihm geschlichen. "Kennst du die Namen der Sterne?" fragte er. Der Krieger blickte ihn an und sah, daß ihm die Trauer um Gandalf noch deutlich ins Gesicht geschrieben stand. Boromir konnte sich nicht helfen, aber er fühlte, daß der Zauberer vielleicht nicht das letzte Opfer auf ihrem langen Weg gewesen war. Er deutete in den Himmel. "Den roten Stern dort nennen die Elben Carnil." Der Hobbit sah ihn bewundernd an. Boromir lächelte. "Meinst du, wir werden uns hier ein wenig ausruhen können?" Pippin sah ihn hoffnungsvoll an, doch Boromir erschauderte bei dem Gedanken. Er hörte die Stimme Galadriels in seinem Kopf - wie sie vom Fall seines Reiches sprach und doch auch von Hoffnung. Er hatte vergeblich versucht, Laietha vor ihren suchenden Gedanken in seinem Kopf zu schützen, aber sie hatte ihm direkt ins Herz gesehen. Sein Blick fiel wieder auf den Halbling, der ihm in all der Zeit sehr ans Herz gewachsen war. Pippin sah müde und erschöpft aus und ein wenig Ruhe würde ihm guttun. Er lächelte freundlich. "Sicher werden wir eine Weile hier bleiben." Pippin lächelte fröhlich. "Das ist gut. Ich finde es schön hier. Fast so schön wie in Bruchtal. Wie schade, daß Laietha nicht hier ist. Es würde ihr hier bestimmt gefallen." Damit ging er zu seinem Lager und ließ Boromir mit seinen Gedanken zurück.
Er vergrub den Kopf in dem Hemd, das sie ihm genäht hatte und das er als Kopfkissen benutzte. Der Krieger schloß die Augen. Grüne Augen tanzten vor ihm und er hörte ihr helles Lachen. Fast konnte er sie greifen. Er spürte ihre Lippen auf seinen, ihre Hände in seinem Haar, wie sie sich mit ihrer warmen Haut an ihn preßte und er schöpfte neuen Mut. Gandalf war fort und welchen Weg sie nehmen würden, stand nicht mehr fest. Vielleicht war das die Hoffnung, von der Galadriel gesprochen hatte. Vielleicht würde der Ringträger sich doch noch entscheiden, ihn nach Gondor zu begleiten und sie konnten diesen Krieg früher für sich entscheiden, als er zu hoffen gewagt hatte. Aragorn hatte die Führung übernommen und er hatte ihm versprochen, ihn in die Weiße Stadt zu begleiten. Noch war nicht alles verloren.
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"Wir sollten versuchen, das Nebelgebirge zu überqueren und am Nimrodel entlang nach Lothlorien zu kommen. Das ist der schnellste Weg, obwohl wir lange genug dafür brauchen werden." Laietha verzog unwillig das Gesicht. Es war tiefster Winter. Das Gebirge würde verschneit sein und sie müßten die Pferde zurücklassen. Das Unterfangen war so gut wie aussichtslos. Sie würden niemals rechtzeitig in Lothlorien eintreffen, um sie zu warnen. Elrohir legte ihr die Hand auf die Schulter. "Vielleicht sollten wir zurückkehren, Laietha. Es ist gefährlich bei diesem Wetter durch die Berge zu reisen. Die Orks sind zahlreich und sie werden schon lange fort sein, wenn wir bei Frau Galadriel eintreffen." Sie sprang auf, fest entschlossen, jetzt nicht aufzugeben. "Nein! Du, wenn du willst, kehr um, aber ich werde weitergehen!" Der Elb schüttelte den Kopf. "Ich werde dich nicht alleine lassen. Wir sollten aufbrechen, der Weg ist weit."
In der Ferne hörten sie Geheul und griffen nach ihren Waffen. Die Pferde scheuten und sie hatten Mühe, sie zurückzuhalten. "Warge," murmelte Elrohir. "Wo Warge sind, sind Orks nicht weit," setzte Laietha hinzu.
Schnell machten sie sich auf den Weg, um das Gebirge zu überqueren. Nun war Eile geboten. Sie hatten noch nicht einmal die erste Etappe genommen, als sie ein böses Knurren hinter sich vernahmen. Mit einem frustrierten Schrei sprang Laietha von Ascar und wirbelte herum. Sie sah sich einem Rudel von einem Dutzend Warge gegenüber. Die Kriegerin fluchte. Elrohir war sofort an ihrer Seite und zog seinen Bogen. "Ich werde bestimmt nicht als Futter für einen häßlichen, zu groß geratenen Hund enden!" schnaubte Laietha. Elrohir legte seinen Bogen an und erlegte den ersten der Gruppe. Die anderen stürzten sich nun mit wildem Geheul auf sie. Elrohir ließ seinen Bogen singen und beförderte noch drei weitere von ihnen ins Jenseits, bis sie endlich an sie heran gekommen waren. Laietha umklammerte den Griff von Dramthala. Mit einem wilden Schrei rammte sie es dem ersten Angreifer in das geöffnete Maul. Sie zog das Schwert mit einem Quietschen aus seinem Rachen und stellte sich dem Nächsten. Mit einem schnellen Blick stellte sie fest, daß sie diesen Kampf nicht überstehen konnten. Sie mußten fliehen oder sterben. In einem Anflug von Verzweiflung warf sie sich auf den nächsten Warg. Auch Elrohir hatte ihre Lage abgeschätzt. Das Rudel begann, sie einzukreisen. Sie mußten sich jetzt entscheiden, was sie tun wollten. Er warf einen Blick auf seine Schwester, die mit dem Mut der Verzweiflung kämpfte. Sie würde eher sterben, als aufgeben.
"Lauf, Laietha! Beeil dich! Ich werde sie aufhalten!" Entsetzt sah sie ihn an, aber er ließ sie nicht protestieren. "Lauf! Vielleicht schaffst du es! Mach dir um mich keine Sorgen. Ich werde dir genug Zeit geben und dann verschwinden." Sie nickte und begann zu laufen. Der Weg war steil und felsig und sie hätte einige Male fast den Boden unter den Füßen verloren. Hinter sich hörte sie Elrohir kämpfen. Wenn ihm nur nichts geschah! Die Wölfe heulten schrecklich laut und auf einmal herrschte Stille. Laietha wurde fast verrückt vor Angst. Hatten sie ihn getötet? Sie erlaubte es sich, eine Sekunde lang stehenzubleiben und zurück zu spähen, aber in der Dunkelheit konnte sie nichts ausmachen. Nun war es zu spät. So schnell sie konnte, setzte sie den Aufstieg fort.
Der Weg wurde immer steiler und sie war nun schon vier Tage unterwegs. Es war bitterkalt, aber zum Glück war nicht so viel Schnee gefallen, wie sie befürchtet hatte. Dennoch konnte sie keine Spur vom Gipfel des Berges ausmachen. Vielleicht hatte sie sich verirrt. Laietha gönnte sich einen Augenblick Rast. Erschöpft sank sie zu Boden. Die Ungewißheit, ob Elrohir noch am Leben war und die kräftezehrende Reise zermürbten sie. Fast wollte sie aufgeben. Ihre Hand umklammerte die Silberschnalle in ihrer Tasche. Nein, sie würde nicht eher ruhen, bis sie ihn wieder in den Armen hielt. Rasch nahm sie einen Bissen Lembas zu sich. Viel hatte sie nicht mehr. Ob sie wollte oder nicht, sie mußte es nach Lothlorien schaffen.
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Elrohir stellte sich den letzten Warge entgegen. Sein Kampf war verzweifelt und er hatte sich schon mit dem Gedanken abgefunden, daß es sein letzter sein würde. Aber es ging nun nur noch darum, seiner Schwester genug Zeit zum Entkommen zu geben. Das Alphatier des Rudels fletschte bösartig die Zähne und sprang ihm entgegen. Elrohir wich einen Schritt zurück und trat auf einen losen Stein. Er fiel und der Wolf war über ihm. Der Elb stierte in einen zähnestarrenden Rachen. Das Tier verbiß sich in seiner Schulter und er stieß einen Schmerzensschrei aus. Das war also sein Ende. Erneut setzte der Warg an, um ihm die Kehle durchzubeißen, als das Tier plötzlich tot auf ihm zusammenbrach. Elrohir vernahm noch das gedämpfte Aufjaulen einiger Tiere und erblickte dann das Gesicht seines Bruders Elladan über sich. Dann verlor er das Bewußtsein.
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Als sie eine Woche gestiegen war, erreichte sie den Gipfel und stellte fest, daß sie viel zu weit südlich sein mußte. Laietha fluchte im Stillen. Sie begann mit dem Abstieg. Zwei Tage später gingen ihre Vorräte zur Neige. Im knöcheltiefen Schnee suchte sie nach eßbaren Wurzeln, aber sie fand kaum genug, um eine wäßrige Suppe daraus zu kochen. Gegen Abend erlegte sie ein mageres Kaninchen. Der Hunger, Durst und die Kälte trieben sie dazu, ein kleines Feuer zu riskieren. Sie schmolz etwas Schnee und füllte ihre Wasserflasche auf. Mitten in der Nacht hörte sie Geräusche. Eine Gruppe von drei Orks näherte sich ihr. Ihre Augen sahen besser als Laiethas und sie stürmten auf sie zu. An Flucht war nicht zu denken, denn die Ungeheuer waren schneller als sie. Wenn sie sterben sollte, dann mit dem Schwert in der Hand.
Der erste Angreifer war herangekommen und mit geübter Hand trennte sie ihm den Schädel vom Rumpf. Die anderen beiden ließen ihr keine Pause und stürzten sich auf sie. Die Angst, daß ihre Schreie vielleicht noch andere anlocken könnten und ihr Wille zu überleben, verliehen ihr übermenschliche Kräfte. Nach kurzem aber heftigen Kampf hatte sie den zweiten besiegt, aber der dritte warf sich auf sie und schmetterte ihr das Schwert aus der Hand. Die Kreatur fletschte die Zähne und wollte ihr sein Schwert ins Herz rammen. Die Kriegerin rollte sich zur Seite, aber seine Waffe durchschnitt den Stoff an ihrem Hemd und Blut begann zu fließen. Laietha griff in ihre Kleidung und zog ihr Messer hervor. Sie stieß es ihm in den Leib. Mit einem Aufschrei ließ er von ihr ab, doch bevor er entkommen konnte, schnitt sie ihm die Kehle durch. Keuchend lag sie am Boden und umklammerte den Schnitt an ihrem Arm. Er begann taub zu werden. Vergiftet, dachte sie in Panik. Sie versuchte, die Wunde auszusaugen. Ihre Zunge wurde taub und sie fühlte sich schwindlig, aber sie gab nicht auf. Schwer atmend wickelte sie einen Fetzen Stoff um die Verletzung und fiel in einen unruhigen Schlaf.
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Boromir schreckte aus dem Schlaf hoch. Er hatte ganz deutlich ihr Gesicht vor sich gesehen. Die Sterne funkelten über ihm und die Nacht war still und klar. Leise stand er auf und lief ziellos durch den Goldenen Wald. Ihr kann nichts passiert sein. Sie ist sicher in Bruchtal. Du hast nur schlecht geträumt, versuchte er sich zu beruhigen. Dennoch war an Schlaf für ihn nicht mehr zu denken. Wieder dachte er an die Visionen, die ihm Galadriel gezeigt hatte. Es wurde ihm wichtiger als zuvor, so schnell wie möglich zu seiner Stadt zu gelangen und Minas Tirith zu sichern. Auch wenn er wahrscheinlich nie in der Stadt regieren würde.
Erst als der Morgen graute, kehrte er zum Lager zurück. Er hielt sich von Frodo fern. In letzter Zeit war ihm öfter gewesen, als hätte er eine Stimme in seinem Kopf gehört, wenn er sich in der Nähe des Halblings aufhielt. Es mußte der Ring sein. Boromir schüttelte den Kopf. Er wollte ihn nicht für sich. Er hatte geschworen, den Halbling zu beschützen und ein Mann Gondors brach sein Wort nicht.
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Als Laietha wieder zu sich kam, stand die Sonne bereits hoch am Himmel und der Schnee war geschmolzen. Ihr war heiß und ihr Mund war trocken. Du hast Fieber, dachte sie und bewegte vorsichtig ihren Arm. Er schmerzte, aber das Gift schien sich nicht ausgebreitet zu haben. Um sie herum lagen immer noch die drei Leichen der Orks. Sie begannen zu stinken. Laietha kam langsam wieder auf die Beine und sie taumelte zu den toten Körpern. Ekel unterdrückend, begann sie die Kadaver zu durchsuchen. Sie fand ein paar Lebensmittel und Wasser bei ihnen. Angewidert rümpfte sie die Nase, aber da ihre eigenen Vorräte fast gänzlich verbraucht waren, blieb ihr nichts anderes übrig. Gierig leerte sie eine Wasserflasche. Der Inhalt war schal und schmutzig, aber es war Wasser und das zählte. Zwischen ihren Brüsten spürte sie Wärme aufsteigen und sie griff nach dem grünen Stein, der an ihrem Hals hing. Sicher hatte er ihr das Leben gerettet. "Danke, Vater," murmelte sie und machte sich nach einem kargen Frühstück weiter an den Abstieg.
Sie mußte der Erschöpfung Zoll zahlen und brauchte fast eine weitere Woche für den Abstieg. Dann machte sie sich auf die Suche nach dem Fluß Nimrodel. An den Füßen der Berge fand sie mehr Nahrung. Es gelang ihr einige Male, ein kleines Tier zu erlegen und sie fand frisches Wasser. Die letzten zwei Tage des Abstiegs hatte sie ohne Nahrung auskommen müssen. Wie lange sie nun unterwegs war, konnte sie nicht mehr sagen.
Nach etlichen Tagen sah sie in der Ferne die Ränder des Goldenen Waldes und ihr Herz schlug schneller. Trotzdem sie dachte, sie würde es nicht einmal mehr bis zum Waldrand schaffen, spornte sie sich zu einer letzten Anstrengung an und beschleunigte ihre Schritte. Sie hoffte so sehr, Boromir und die anderen dort wohlbehalten anzutreffen. Laietha hoffte, daß ihre Mühe nicht umsonst gewesen war. Hoffnung war alles, was sie jetzt noch hatte.
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Elrohir schlug die Augen auf und sah das besorgte Gesicht seines Vaters über ihn gebeugt. Elrond seufzte erleichtert. "Bei den Valar, du bist wieder bei Bewußtsein." Elrohir sah sich langsam um und stellte fest, daß er sich in seinem Zimmer in Bruchtal befand. Er wollte sprechen, aber seine Stimme versagte und sein Mund war trocken. Elrond reichte ihm schnell etwas zu trinken. Gierig schluckte Elrohir das Wasser hinunter. "Was ist passiert?" fragte er mit heiserer Stimme.
Elrond erklärte es ihm. Sie hatten am Morgen festgestellt, daß Ascar verschwunden war, nebst Elrohir und Laietha und genau wie das Pferd von Boromir. Es mußte ihnen nachgelaufen sein. Elladan hatte sich auf die Suche gemacht und war den Spuren gefolgt. Zunächst hatte er nur gedacht, daß seine Geschwister ausgeritten waren, aber schnell hatte Elladan begriffen, daß seine Geschwister sich wohl auf die Suche nach den Gefährten gemacht hatten. Also war er ihnen nachgeritten und gerade rechtzeitig gekommen, um zu verhindern, daß sein Bruder zur Hauptmahlzeit für einen Warg wurde. Da Elrohir schwer verletzt war, hatte sein Bruder ihn zu ihrem Vater gebracht, der seine Wunden versorgt hatte. Von Laietha hatten sie keine Spur gefunden und Elrohir machte sich nun schwere Vorwürfe, daß er sie alleine gelassen hatte. Sein Vater legte ihm die Hand auf die Schulter. "Es war nicht deine Schuld. Sollte sie in Lothlorien ankommen, werden wir Nachricht erhalten." Nun, das minderte die Sorgen des jungen Elben nicht im geringsten, aber er konnte nichts anderes tun, als zu warten.
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Bald schon würden sie aufbrechen und Boromir war sehr froh darüber. Er war sich inzwischen sicher - der Ring sprach zu ihm. Wie lange er seiner Versuchung noch widerstehen konnte, wußte er nicht. Frau Galadriel hatte sie am Nachmittag zu sich gerufen und ihnen Geschenke überreicht. Sie war sehr freundlich gewesen, aber dennoch fröstelte es Boromir, wenn sie ihn mit ihren uralten Augen musterte. In gewisser Weise erinnerte sie ihn an seinen Vater, der mit seinen Augen einem Menschen direkt in die Seele zu blicken vermochte. Aber der Aufbruch war nicht mehr fern.
Kapitel 5 - Auf der Jagd
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Es war jetzt bereits 17 Tage her, seit die Gefährten aufgebrochen waren. Elrohir war nicht entgangen, daß seine Ziehschwester oft am Fenster stand und über das Land blickte und er konnte sich denken, was in ihr vorging. Jeden Tag ging sie in den Stall und kümmerte sich um das Pferd des Gondorianers. Dort fand Elrohir sie auch an diesem Abend. Der Braune hatte einen Platz neben Ascar bekommen und die Pferde schienen sich zu mögen. Laietha ließ ihre Hand schnell in die Tasche gleiten als sie hörte, daß sich jemand näherte. "Was hast du, Laietha?" Der Elb legte ihr die Hand auf die Schulter. Sie schüttelte den Kopf. "Ich habe schlecht geträumt - das ist alles." Feuer, das geborstene Horn, das Rauschen des Wassers. Der Traum kehrte immer wieder und Laietha war mehr als nur besorgt. Für gewöhnlich ignorierte sie ihre Träume nicht, aber sie hatte versprochen, in Bruchtal auf ihn zu warten. Ihr Ziehbruder spürte, daß ihre Ungeduld wuchs und er hatte Angst, daß sie sich eines Nachts auf den Weg machen würde. "Mach dir keine Sorgen, Laietha. Ihnen wird nichts geschehen. Sie sind noch immer in der Nähe und Saurons Arm wird sie noch nicht erreicht haben." Die Frau traf seinen Blick und wußte, daß er log, um sie zu beruhigen. Sie seufzte tief.
Der Abend war trostlos, wie die Abende davor. Auch der alte Bilbo war nicht so frohgemut wie sonst. Oft fand Laietha ihn tief in Gedanken am Feuer sitzend - sein Buch auf den Knien. Sie setzte sich neben ihn und sie schwiegen gemeinsam.
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In der Nacht vom 11. zum 12. Januar wachte Laietha schweißgebadet aus dem inzwischen vertrauten Albtraum auf. Sie blickte aus dem Fenster und sah eine Flammensäule am Himmel. Geschwind lief sie zum Fenster und versuchte etwas genaueres zu erkennen. Ohne Erfolg, aber kalte Furcht ergriff von ihr Besitz. "Mithrandir." Murmelte sie. Was war geschehen, daß der Zauberer so unvorsichtig war und ein so gewaltiges Zeichen in den Himmel schrieb? Sie hielt es keine Sekunde länger aus und packte ein paar ihrer Sachen zusammen. Laietha griff nach Dramthala, ihrem Schwert. Sie befestigte es an ihrem Gürtel und zog sich ihren Mantel über. Dann schnürte sie ihre Stiefel und schlich so leise wie möglich aus dem Haus zum Pferdestall.
"Ascar, mein Guter. Ich weiß, daß es kalt ist, aber wir müssen uns beeilen. Die anderen sind in Gefahr, ich weiß es. Wir müssen sie warnen." Das Pferd schnaubte und stieß sie ermunternd an. Laietha lächelte und gab ihm eine Karotte. "Er hat dich verwöhnt, mein Lieber. Ich sollte ihm dafür ordentlich den Kopf waschen!" Wenn sie nur endlich wieder bei ihm war. Die Nächte alleine in ihrem Zimmer waren ihr wie eine Ewigkeit vorgekommen. Wie hatte sie sich nur so an ihn gewöhnen können?
"Du wirst gewiß nicht alleine gehen, Schwester." Laietha wirbelte herum und sah Elrohir entsetzt an. Er lächelte beschwichtigend. Auch der Elb hatte seine Sachen gepackt und trat nun an ihre Seite. "Ich weiß, daß ich dich nicht aufhalten kann, aber ich bitte dich, mich mit dir zu nehmen. Die Gegend ist gefährlich und ich lasse dich nicht alleine durch die Wildnis streifen." Laietha umarmte ihn dankbar. "Du warst schon immer mein Lieblingsbruder, Elrohir!" Der Elb grinste breit. "Laß das nur nicht Aragorn hören!"
Heimlich machten sie sich auf den Weg. Sie trieben ihre Pferde zur Eile an. Auch Elrohir hatte das Licht am Horizont gesehen. "Sie haben versucht, über den Caradhras zu reisen. Wir sollten uns beeilen und sie einholen. Schließlich wissen wir nicht, welchen Weg sie sonst einschlagen werden."
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Die beiden kamen ein gutes Stück voran. Ihre Pferde waren schnell. Es dauerte etwa eine Woche bis sie am Fuße des Caradhras angekommen waren. Sie fanden noch die Überreste eines Lagers. Laietha und Elrohir stiegen ab. Die Bäume auf der Lichtung waren versengt und sie fanden einen zerbrochenen Pfeil. "Der gehörte dem Prinzen des Düsterwaldes," stellte Elrohir fest. Es mußte offensichtlich ein Kampf stattgefunden haben, aber von den Angreifern fanden sie keine Spur. "Werwölfe," mutmaßte Laietha und sie sahen sich bedeutungsvoll an. Die Spuren waren noch recht deutlich zu erkennen und sie folgten ihnen zu Fuß.
"Sie haben sich auf den Weg nach Moria gemacht." Elrohir schüttelte den Kopf. "Es war gewiß nicht Elessars Wille." Laietha bat ihn um eine Erklärung und Elrohir zögerte kurz. "Man sagt, ein Balrog triebe sich dort rum. Aragorn wird diesen Weg nur gegangen sein, wenn es keinen anderen Ausweg gab." Ein Balrog. Laietha dachte an ihren Traum - Feuer und Asche, glühende Felsen. "Wir müssen sie einholen!" Sie wußte, daß es wohlmöglich schon zu spät war. Die Spuren waren mehr als eine Woche alt gewesen. Vielleicht hatten sie die Minen schon wieder verlassen - wenn sie lebend durchgekommen waren. Sie hieb Ascar die Fersen in die Flanken.
Die Spuren führten nach Moria, aber sie fanden den Eingang verschüttet. Hilflos sahen sie sich an. "Was nun?" Ascar bäumte sich auf und warf Laietha fast ab. Aus dem See vor den Minen kroch ein tastender Tentakel hervor. Elrohir stieß einen Warnschrei aus. "Weg hier! Schnell!" Die Pferde brauchten keinen Ansporn. Sie rasten schnell davon. Als sie außer Reichweite waren, hielten sie an. Laietha war verzweifelt. Sie mußten sie einholen! Sie warnen! Elrohir stieg von seinem Pferd und setzte sich hin. Er dachte lange nach.
"Wenn sie aus den Minen kommen, werden sie nach Lothlorien gehen. Sie müssen ihre Vorräte auffrischen und werden Rast brauchen. Und Aragorn kennt den Weg." Für diese Nacht schlugen sie ihr Lager auf. Wie auch in den Nächten zuvor, hielt Elrohir Wache während Laietha schlief.
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Müde ließen sich die Gefährten auf die Schlafplätze sinken, die ihnen Frau Galadriel bereitet hatte. Boromir lag lange wach. Er starrte in den Himmel und sein Blick fiel auf den roten Stern, der so fern am Himmel stand. Pippin kam zu ihm geschlichen. "Kennst du die Namen der Sterne?" fragte er. Der Krieger blickte ihn an und sah, daß ihm die Trauer um Gandalf noch deutlich ins Gesicht geschrieben stand. Boromir konnte sich nicht helfen, aber er fühlte, daß der Zauberer vielleicht nicht das letzte Opfer auf ihrem langen Weg gewesen war. Er deutete in den Himmel. "Den roten Stern dort nennen die Elben Carnil." Der Hobbit sah ihn bewundernd an. Boromir lächelte. "Meinst du, wir werden uns hier ein wenig ausruhen können?" Pippin sah ihn hoffnungsvoll an, doch Boromir erschauderte bei dem Gedanken. Er hörte die Stimme Galadriels in seinem Kopf - wie sie vom Fall seines Reiches sprach und doch auch von Hoffnung. Er hatte vergeblich versucht, Laietha vor ihren suchenden Gedanken in seinem Kopf zu schützen, aber sie hatte ihm direkt ins Herz gesehen. Sein Blick fiel wieder auf den Halbling, der ihm in all der Zeit sehr ans Herz gewachsen war. Pippin sah müde und erschöpft aus und ein wenig Ruhe würde ihm guttun. Er lächelte freundlich. "Sicher werden wir eine Weile hier bleiben." Pippin lächelte fröhlich. "Das ist gut. Ich finde es schön hier. Fast so schön wie in Bruchtal. Wie schade, daß Laietha nicht hier ist. Es würde ihr hier bestimmt gefallen." Damit ging er zu seinem Lager und ließ Boromir mit seinen Gedanken zurück.
Er vergrub den Kopf in dem Hemd, das sie ihm genäht hatte und das er als Kopfkissen benutzte. Der Krieger schloß die Augen. Grüne Augen tanzten vor ihm und er hörte ihr helles Lachen. Fast konnte er sie greifen. Er spürte ihre Lippen auf seinen, ihre Hände in seinem Haar, wie sie sich mit ihrer warmen Haut an ihn preßte und er schöpfte neuen Mut. Gandalf war fort und welchen Weg sie nehmen würden, stand nicht mehr fest. Vielleicht war das die Hoffnung, von der Galadriel gesprochen hatte. Vielleicht würde der Ringträger sich doch noch entscheiden, ihn nach Gondor zu begleiten und sie konnten diesen Krieg früher für sich entscheiden, als er zu hoffen gewagt hatte. Aragorn hatte die Führung übernommen und er hatte ihm versprochen, ihn in die Weiße Stadt zu begleiten. Noch war nicht alles verloren.
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"Wir sollten versuchen, das Nebelgebirge zu überqueren und am Nimrodel entlang nach Lothlorien zu kommen. Das ist der schnellste Weg, obwohl wir lange genug dafür brauchen werden." Laietha verzog unwillig das Gesicht. Es war tiefster Winter. Das Gebirge würde verschneit sein und sie müßten die Pferde zurücklassen. Das Unterfangen war so gut wie aussichtslos. Sie würden niemals rechtzeitig in Lothlorien eintreffen, um sie zu warnen. Elrohir legte ihr die Hand auf die Schulter. "Vielleicht sollten wir zurückkehren, Laietha. Es ist gefährlich bei diesem Wetter durch die Berge zu reisen. Die Orks sind zahlreich und sie werden schon lange fort sein, wenn wir bei Frau Galadriel eintreffen." Sie sprang auf, fest entschlossen, jetzt nicht aufzugeben. "Nein! Du, wenn du willst, kehr um, aber ich werde weitergehen!" Der Elb schüttelte den Kopf. "Ich werde dich nicht alleine lassen. Wir sollten aufbrechen, der Weg ist weit."
In der Ferne hörten sie Geheul und griffen nach ihren Waffen. Die Pferde scheuten und sie hatten Mühe, sie zurückzuhalten. "Warge," murmelte Elrohir. "Wo Warge sind, sind Orks nicht weit," setzte Laietha hinzu.
Schnell machten sie sich auf den Weg, um das Gebirge zu überqueren. Nun war Eile geboten. Sie hatten noch nicht einmal die erste Etappe genommen, als sie ein böses Knurren hinter sich vernahmen. Mit einem frustrierten Schrei sprang Laietha von Ascar und wirbelte herum. Sie sah sich einem Rudel von einem Dutzend Warge gegenüber. Die Kriegerin fluchte. Elrohir war sofort an ihrer Seite und zog seinen Bogen. "Ich werde bestimmt nicht als Futter für einen häßlichen, zu groß geratenen Hund enden!" schnaubte Laietha. Elrohir legte seinen Bogen an und erlegte den ersten der Gruppe. Die anderen stürzten sich nun mit wildem Geheul auf sie. Elrohir ließ seinen Bogen singen und beförderte noch drei weitere von ihnen ins Jenseits, bis sie endlich an sie heran gekommen waren. Laietha umklammerte den Griff von Dramthala. Mit einem wilden Schrei rammte sie es dem ersten Angreifer in das geöffnete Maul. Sie zog das Schwert mit einem Quietschen aus seinem Rachen und stellte sich dem Nächsten. Mit einem schnellen Blick stellte sie fest, daß sie diesen Kampf nicht überstehen konnten. Sie mußten fliehen oder sterben. In einem Anflug von Verzweiflung warf sie sich auf den nächsten Warg. Auch Elrohir hatte ihre Lage abgeschätzt. Das Rudel begann, sie einzukreisen. Sie mußten sich jetzt entscheiden, was sie tun wollten. Er warf einen Blick auf seine Schwester, die mit dem Mut der Verzweiflung kämpfte. Sie würde eher sterben, als aufgeben.
"Lauf, Laietha! Beeil dich! Ich werde sie aufhalten!" Entsetzt sah sie ihn an, aber er ließ sie nicht protestieren. "Lauf! Vielleicht schaffst du es! Mach dir um mich keine Sorgen. Ich werde dir genug Zeit geben und dann verschwinden." Sie nickte und begann zu laufen. Der Weg war steil und felsig und sie hätte einige Male fast den Boden unter den Füßen verloren. Hinter sich hörte sie Elrohir kämpfen. Wenn ihm nur nichts geschah! Die Wölfe heulten schrecklich laut und auf einmal herrschte Stille. Laietha wurde fast verrückt vor Angst. Hatten sie ihn getötet? Sie erlaubte es sich, eine Sekunde lang stehenzubleiben und zurück zu spähen, aber in der Dunkelheit konnte sie nichts ausmachen. Nun war es zu spät. So schnell sie konnte, setzte sie den Aufstieg fort.
Der Weg wurde immer steiler und sie war nun schon vier Tage unterwegs. Es war bitterkalt, aber zum Glück war nicht so viel Schnee gefallen, wie sie befürchtet hatte. Dennoch konnte sie keine Spur vom Gipfel des Berges ausmachen. Vielleicht hatte sie sich verirrt. Laietha gönnte sich einen Augenblick Rast. Erschöpft sank sie zu Boden. Die Ungewißheit, ob Elrohir noch am Leben war und die kräftezehrende Reise zermürbten sie. Fast wollte sie aufgeben. Ihre Hand umklammerte die Silberschnalle in ihrer Tasche. Nein, sie würde nicht eher ruhen, bis sie ihn wieder in den Armen hielt. Rasch nahm sie einen Bissen Lembas zu sich. Viel hatte sie nicht mehr. Ob sie wollte oder nicht, sie mußte es nach Lothlorien schaffen.
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Elrohir stellte sich den letzten Warge entgegen. Sein Kampf war verzweifelt und er hatte sich schon mit dem Gedanken abgefunden, daß es sein letzter sein würde. Aber es ging nun nur noch darum, seiner Schwester genug Zeit zum Entkommen zu geben. Das Alphatier des Rudels fletschte bösartig die Zähne und sprang ihm entgegen. Elrohir wich einen Schritt zurück und trat auf einen losen Stein. Er fiel und der Wolf war über ihm. Der Elb stierte in einen zähnestarrenden Rachen. Das Tier verbiß sich in seiner Schulter und er stieß einen Schmerzensschrei aus. Das war also sein Ende. Erneut setzte der Warg an, um ihm die Kehle durchzubeißen, als das Tier plötzlich tot auf ihm zusammenbrach. Elrohir vernahm noch das gedämpfte Aufjaulen einiger Tiere und erblickte dann das Gesicht seines Bruders Elladan über sich. Dann verlor er das Bewußtsein.
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Als sie eine Woche gestiegen war, erreichte sie den Gipfel und stellte fest, daß sie viel zu weit südlich sein mußte. Laietha fluchte im Stillen. Sie begann mit dem Abstieg. Zwei Tage später gingen ihre Vorräte zur Neige. Im knöcheltiefen Schnee suchte sie nach eßbaren Wurzeln, aber sie fand kaum genug, um eine wäßrige Suppe daraus zu kochen. Gegen Abend erlegte sie ein mageres Kaninchen. Der Hunger, Durst und die Kälte trieben sie dazu, ein kleines Feuer zu riskieren. Sie schmolz etwas Schnee und füllte ihre Wasserflasche auf. Mitten in der Nacht hörte sie Geräusche. Eine Gruppe von drei Orks näherte sich ihr. Ihre Augen sahen besser als Laiethas und sie stürmten auf sie zu. An Flucht war nicht zu denken, denn die Ungeheuer waren schneller als sie. Wenn sie sterben sollte, dann mit dem Schwert in der Hand.
Der erste Angreifer war herangekommen und mit geübter Hand trennte sie ihm den Schädel vom Rumpf. Die anderen beiden ließen ihr keine Pause und stürzten sich auf sie. Die Angst, daß ihre Schreie vielleicht noch andere anlocken könnten und ihr Wille zu überleben, verliehen ihr übermenschliche Kräfte. Nach kurzem aber heftigen Kampf hatte sie den zweiten besiegt, aber der dritte warf sich auf sie und schmetterte ihr das Schwert aus der Hand. Die Kreatur fletschte die Zähne und wollte ihr sein Schwert ins Herz rammen. Die Kriegerin rollte sich zur Seite, aber seine Waffe durchschnitt den Stoff an ihrem Hemd und Blut begann zu fließen. Laietha griff in ihre Kleidung und zog ihr Messer hervor. Sie stieß es ihm in den Leib. Mit einem Aufschrei ließ er von ihr ab, doch bevor er entkommen konnte, schnitt sie ihm die Kehle durch. Keuchend lag sie am Boden und umklammerte den Schnitt an ihrem Arm. Er begann taub zu werden. Vergiftet, dachte sie in Panik. Sie versuchte, die Wunde auszusaugen. Ihre Zunge wurde taub und sie fühlte sich schwindlig, aber sie gab nicht auf. Schwer atmend wickelte sie einen Fetzen Stoff um die Verletzung und fiel in einen unruhigen Schlaf.
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Boromir schreckte aus dem Schlaf hoch. Er hatte ganz deutlich ihr Gesicht vor sich gesehen. Die Sterne funkelten über ihm und die Nacht war still und klar. Leise stand er auf und lief ziellos durch den Goldenen Wald. Ihr kann nichts passiert sein. Sie ist sicher in Bruchtal. Du hast nur schlecht geträumt, versuchte er sich zu beruhigen. Dennoch war an Schlaf für ihn nicht mehr zu denken. Wieder dachte er an die Visionen, die ihm Galadriel gezeigt hatte. Es wurde ihm wichtiger als zuvor, so schnell wie möglich zu seiner Stadt zu gelangen und Minas Tirith zu sichern. Auch wenn er wahrscheinlich nie in der Stadt regieren würde.
Erst als der Morgen graute, kehrte er zum Lager zurück. Er hielt sich von Frodo fern. In letzter Zeit war ihm öfter gewesen, als hätte er eine Stimme in seinem Kopf gehört, wenn er sich in der Nähe des Halblings aufhielt. Es mußte der Ring sein. Boromir schüttelte den Kopf. Er wollte ihn nicht für sich. Er hatte geschworen, den Halbling zu beschützen und ein Mann Gondors brach sein Wort nicht.
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Als Laietha wieder zu sich kam, stand die Sonne bereits hoch am Himmel und der Schnee war geschmolzen. Ihr war heiß und ihr Mund war trocken. Du hast Fieber, dachte sie und bewegte vorsichtig ihren Arm. Er schmerzte, aber das Gift schien sich nicht ausgebreitet zu haben. Um sie herum lagen immer noch die drei Leichen der Orks. Sie begannen zu stinken. Laietha kam langsam wieder auf die Beine und sie taumelte zu den toten Körpern. Ekel unterdrückend, begann sie die Kadaver zu durchsuchen. Sie fand ein paar Lebensmittel und Wasser bei ihnen. Angewidert rümpfte sie die Nase, aber da ihre eigenen Vorräte fast gänzlich verbraucht waren, blieb ihr nichts anderes übrig. Gierig leerte sie eine Wasserflasche. Der Inhalt war schal und schmutzig, aber es war Wasser und das zählte. Zwischen ihren Brüsten spürte sie Wärme aufsteigen und sie griff nach dem grünen Stein, der an ihrem Hals hing. Sicher hatte er ihr das Leben gerettet. "Danke, Vater," murmelte sie und machte sich nach einem kargen Frühstück weiter an den Abstieg.
Sie mußte der Erschöpfung Zoll zahlen und brauchte fast eine weitere Woche für den Abstieg. Dann machte sie sich auf die Suche nach dem Fluß Nimrodel. An den Füßen der Berge fand sie mehr Nahrung. Es gelang ihr einige Male, ein kleines Tier zu erlegen und sie fand frisches Wasser. Die letzten zwei Tage des Abstiegs hatte sie ohne Nahrung auskommen müssen. Wie lange sie nun unterwegs war, konnte sie nicht mehr sagen.
Nach etlichen Tagen sah sie in der Ferne die Ränder des Goldenen Waldes und ihr Herz schlug schneller. Trotzdem sie dachte, sie würde es nicht einmal mehr bis zum Waldrand schaffen, spornte sie sich zu einer letzten Anstrengung an und beschleunigte ihre Schritte. Sie hoffte so sehr, Boromir und die anderen dort wohlbehalten anzutreffen. Laietha hoffte, daß ihre Mühe nicht umsonst gewesen war. Hoffnung war alles, was sie jetzt noch hatte.
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Elrohir schlug die Augen auf und sah das besorgte Gesicht seines Vaters über ihn gebeugt. Elrond seufzte erleichtert. "Bei den Valar, du bist wieder bei Bewußtsein." Elrohir sah sich langsam um und stellte fest, daß er sich in seinem Zimmer in Bruchtal befand. Er wollte sprechen, aber seine Stimme versagte und sein Mund war trocken. Elrond reichte ihm schnell etwas zu trinken. Gierig schluckte Elrohir das Wasser hinunter. "Was ist passiert?" fragte er mit heiserer Stimme.
Elrond erklärte es ihm. Sie hatten am Morgen festgestellt, daß Ascar verschwunden war, nebst Elrohir und Laietha und genau wie das Pferd von Boromir. Es mußte ihnen nachgelaufen sein. Elladan hatte sich auf die Suche gemacht und war den Spuren gefolgt. Zunächst hatte er nur gedacht, daß seine Geschwister ausgeritten waren, aber schnell hatte Elladan begriffen, daß seine Geschwister sich wohl auf die Suche nach den Gefährten gemacht hatten. Also war er ihnen nachgeritten und gerade rechtzeitig gekommen, um zu verhindern, daß sein Bruder zur Hauptmahlzeit für einen Warg wurde. Da Elrohir schwer verletzt war, hatte sein Bruder ihn zu ihrem Vater gebracht, der seine Wunden versorgt hatte. Von Laietha hatten sie keine Spur gefunden und Elrohir machte sich nun schwere Vorwürfe, daß er sie alleine gelassen hatte. Sein Vater legte ihm die Hand auf die Schulter. "Es war nicht deine Schuld. Sollte sie in Lothlorien ankommen, werden wir Nachricht erhalten." Nun, das minderte die Sorgen des jungen Elben nicht im geringsten, aber er konnte nichts anderes tun, als zu warten.
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Bald schon würden sie aufbrechen und Boromir war sehr froh darüber. Er war sich inzwischen sicher - der Ring sprach zu ihm. Wie lange er seiner Versuchung noch widerstehen konnte, wußte er nicht. Frau Galadriel hatte sie am Nachmittag zu sich gerufen und ihnen Geschenke überreicht. Sie war sehr freundlich gewesen, aber dennoch fröstelte es Boromir, wenn sie ihn mit ihren uralten Augen musterte. In gewisser Weise erinnerte sie ihn an seinen Vater, der mit seinen Augen einem Menschen direkt in die Seele zu blicken vermochte. Aber der Aufbruch war nicht mehr fern.
