Disclaimer: das Übliche...Mittelerde und alle tollen Charaktere - Tolkien. Laietha - meine.

Kapitel 6 - Lothlorien

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Ein paar Zweige knackten und der Elb wirbelte herum. Hatte er es sich doch gedacht, daß sich jemand in den Gefilden seiner Herrin herumtrieb. Ein Lächeln stahl sich auf sein Gesicht. Jetzt war es Zeit für eine kleine Jagd. Schon bald hatte er mit seinen scharfen Sinnen den Eindringling erspäht - eine Menschenfrau. Sie war dunkel gekleidet und bewegte sich leise, wenn sie auch sehr erschöpft wirkte. Haldir wußte, daß es nur eine Frage der Zeit war, bis sie ihm in die Falle lief. Er ließ sie an sich vorbeischleichen, überholte sie wieder, beobachtete sie aus den Wipfeln der Bäume - bis ihm das Spiel zu langweilig wurde. Schnell sprang er vom Baum herunter und plazierte sich vor der Frau. Sie stieß einen Schrei des Entsetzens aus und noch bevor sie nach ihrer Waffe greifen konnte, spannte Haldir die Sehne seines Bogens und ließ sie auf die Pfeilspitze schielen, die ihr mitten ins Gesicht deutete. Er musterte sie. Ihre Kleidung war schmutzig und zerrissen. Sie war verletzt und ihr Gesicht war mit Schmutz bedeckt.

Die Frau sah ihn eine Weile an. Dann lächelte sie erleichtert. "Mae govannen, Haldir o Lorien." Es war nicht zu fassen, aber sie sprach die hohe Sprache ohne Akzent. Der Elb riß die Augen auf und sie schenkte ihm ein süffisantes Lächeln. Verärgert darüber, daß sie sein Erstaunen bemerkt hatte, gab er zurück: "Es sind in der Tat seltsame Zeiten, wenn so viele Wesen den Goldenen Wald betreten, die der hohen Sprache mächtig sind." Der Triumph ging an ihn zurück, denn nun weiteten sich ihre Augen. Ein wildes Feuer der Hoffnung schien aus ihnen zu leuchten. "Wovon sprichst du? Ist jemand hier entlang gekommen? Eine seltsame Gemeinschaft? Zwei Männer waren dabei, ein Zauberer, ein Elb, ein Zwerg und vier Halblinge! Pedo, mellon!" Haldir straffte sich. Sie wußte verdammt viel...zu viel für seinen Geschmack. Er versuchte zu erkennen, wen er vor sich hatte. Er kannte sie... "Wer will das wissen?" fragte er und stemmte die Fäuste in die Hüften. Die Frau lächelte erschöpft. "Erkennst du einen Freund nicht, wenn du ihn siehst?" Sie ließ ihm etwas Zeit zum Nachdenken. Haldir sah die Menschenfrau von Kopf bis Fuß an. Sie hatte rotes Haar, mochte 25 Sommer zählen und hatte die Statur einer Kriegerin. Sie sah aus, als hätte sie eine lange gefährliche Reise hinter sich. Ihre Kleider schlackerten, so als hätten sie gepaßt, als sie aufgebrochen war. Langsam dämmerte ihm mit wem er es zu tun hatte. War das nicht das Mädchen, das Lord Elrond in seinem Haus aufgenommen hatte? "Ah, Annaluva, fast hätte ich dich nicht erkannt! Du bist älter geworden und diesmal angezogen!" Er sah sie wieder vor sich stehen...so jung und schön. Damals hatte sie mit ihrem Ziehvater Frau Galadriel besucht. Sie hatten einige wunderbare Wochen miteinander gehabt - bis sie ihn verlassen hatte. Es war einige Jahre her und sie hatte sich verändert. Haldir wandte sich ihr wieder zu. "Folge mir, ich werde dich zur Herrin des Waldes bringen." Damit lief er in das Dickicht hinein und die Frau hatte Mühe, ihm zu folgen, als sie erschöpft hinter ihm herstrauchelte.

Der Galadhrim führte Laietha lange durch die Wälder. Er hatte ihr die Augen verbunden und genoß es, daß die Frau sich an seine Hand klammern mußte, um den Weg nicht zu verlieren. Sie waren einige Tage unterwegs. Schließlich erreichten sie den großen Baum, in dem die Herrin des Lichts wohnte. Haldir ging, um seine Herrin zu benachrichtigen und hieß sie zu warten. Die Zeit schien sich ihr ins Endlose zu dehnen. Sie mußten hier sein - sie hoffte es so sehr. Aber alles deutete darauf hin, daß sie wieder fort waren. Wenn sie nur nicht zu spät gekommen war! Sie lief auf und ab wie ein gefangenes Tier und trat schließlich an den Rand der Plattform. Jetzt nur nicht hinuntersehen, sagte sie sich.

Hinter sich vernahm sie kaum hörbare Schritte. Sie wirbelte herum und erstarrte. In weiß gekleidet und von einem Kranz aus Licht umgeben schritt die Herrin des Waldes die Treppen hinunter. Die Frau verbeugte sich tief. "Mae govannen, Laietha Annaluva, Ziehtochter von Elrond Halbelben, dem Herrscher in Imladris." "Mae govannen, Frau Galadriel, Hüterin des Lichts Earendils," erwiderte Laietha wie es sich geziemte. Die Elbenkönigin lachte glockenhell. "Dein Vater hat dir wahrlich viel über die Sitten der Elben beigebracht. Sprich, was führt dich zu mir. Sicher willst du dich nicht nur an dem Goldenen Wald erfreuen, denn die Reise von Imladris zu meinem Reich ist der Tage sehr gefährlich." Sie bedachte den notdürftig verbundenen Schnitt am Arm der Frau mit einem flüchtigen Blick. Laietha nickte. "Ich bin meinem Ziehbruder gefolgt. Habt ihr ihn gesehen?" Galadriel nickte langsam. "Ja, er ist hier gewesen, aber du kommst zu spät. Die Gemeinschaft hat mein Reich vor zwei Tagen verlassen." Laietha dachte, daß ihr der Boden unter den Füßen schwinden würde. Zwei Tage! Sie ließ den Kopf hängen. Die Herrin des Lichts fuhr fort. "Deine Sorge ist nicht umsonst gewesen. Schon als die acht den Wald verließen, schwebte ein bedrohlicher Schatten über ihnen. Ich habe es gefühlt." "Die acht?" entfuhr es Laietha. "Aber es waren neun als sie Bruchtal verließen!" Als sie bemerkte, daß ihre Hände zitternden, ballte sie sie zu Fäusten und zwang sich zur Ruhe. "Der Zauberer ist in den Schatten von Moria gestürzt. Ein Balrog von Morgoth nahm ihn mit sich." Tränen schlichen sich in die Augen der Frau. "Mithrandir..." wisperte sie kaum hörbar. Asche und Feuer. Das hatte also ihr Traum zu bedeuten gehabt. Aber was war mit dem zweiten Teil? Das geborstene Horn.

Boromir, dachte sie panisch. Sie schüttelte den Kopf. "Dann muß ich mich beeilen. Ich kann nicht länger verweilen!" Sie wollte sich umdrehen und weiterlaufen, aber ihre Knie waren weich wie Butter. Die Elbin packte sie fest am Arm. "Ihr solltet euch ausruhen. Geht heute Nacht nicht weiter." Sie hatte Recht. Die Kriegerin war erschöpft und eine Rast würde ihr guttun. Zuerst kamen einige Heilerinnen und versorgten den Schnitt an ihrem Arm, dann führte man sie zu den Badestätten und schließlich erhielt sie etwas zu Essen. Als sie satt und sauber war, spürte sie, daß sie die Augen vor Müdigkeit kaum noch offenhalten konnte.

Laietha ließ sich von Haldir auf ein Zimmer führen. Der Elb drehte sich im Gehen noch einmal um. "Wenn du heute Nacht Gesellschaft brauchst..." Sie schüttelte den Kopf. Haldir schnaubte beleidigt. "Es gab Zeiten, da hättest du mich nicht einfach so weggeschickt." Laietha rang sich ein Lächeln ab. "Viele Sommer sind seit dem verstrichen. Und nun wünsche ich dir eine gute Nacht." Beleidigt verließ er den Raum und Laietha ließ sich auf das weiche Bett fallen. Sie war zu Tode erschöpft, aber Schlaf wollte sich nicht einstellen. Sie starrte an die Decke. Sie hatte so viel riskiert Und nun war sie zwei Tage zu spät.

Ihre Hand wanderte in die Tasche ihres Mantels und umschloß die kleine Silberschnalle, auf der man einen Baum und sieben Sterne erkennen konnte. Sie lächelte. Er war hier gewesen. Ihre Mühen waren noch nicht vergebens gewesen. Noch bestand Hoffnung. Sie schlief ein.

Mitten in der Nacht erwachte sie mit einem Schrei. Sie schwitzte und atmete schwer. Was hatte sie nur geträumt? Ohne nachzudenken, wanderte ihre Hand zu dem Juwel, das zwischen ihren Brüsten hing. Es leuchtete grün aus seinem Innersten heraus. Langsam spürte sie, wie die Furcht von ihr abfiel. Ihr Atem wurde regelmäßiger. Herr Elrond hatte ihr diesen Elbenstein geschenkt, bevor sie das erste Mal in die Schlacht gezogen war. Die Elben besaßen viele dieser magischen Steine und dieser nahm Furcht und half Heilen. In vielen Kriegen hatte ihr das Juwel gute Dienste erwiesen. Es war das Wertvollste was sie besaß. Sie zog Stärke aus seiner Wärme an ihrer Haut und bald fiel sie erneut in einen tiefen, diesmal traumlosen Schlaf.

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Die Nacht war so finster, daß sie sogar das Licht ihres kleinen Lagerfeuers zu verschlucken schien. Aragorn fand keinen Schlaf. Er hatte das Gefühl, daß sie verfolgt würden und auch andere Dinge, die ihn beunruhigten raubten ihm den Schlaf. Er ließ seinen Blick über das Lager schweifen und sah Boromir, der auf den Fluß starrte.

Boromir war tief in Gedanken versunken. Sein Herz zog ihn zurück nach Bruchtal. Es würde noch lange dauern, bis es ihm erlaubt war, wieder eigene Wege zu gehen. Seine Stadt war in Gefahr - das hatte ihm Frau Galadriels Stimme in seinem Kopf gesagt - und er war der Sohn des Statthalters. Er hatte Pflichten, die keinen Raum für persönliche Interessen ließen. Er seufzte. Seine Hand glitt über das Hemd, das sie für ihn genäht hatte und in Gedanken war er bei ihrer letzten gemeinsamen Nacht. Er dachte an den Geruch ihrer Haare, ihre weiche Haut auf seiner, ihre Lippen, die sich fanden.

Aber es gab jetzt wichtigeres für ihn zu tun, ermahnte er sich. Die Verantwortung seinem Volk gegenüber - auch wenn er es nie regieren würde. Er war nun fast froh, daß Aragorn den Thron für sich beanspruchen würde, denn ein Mädchen wie sie würde in den strengen Augen seines Vaters nie Befürwortung gewinnen. Wenn die Weiße Stadt in Sicherheit war, würde er zu ihr gehen können. Aber es war noch so ein weiter Weg bis dahin. Der Ring - der verfluchte Ring! Er war die Ursache aller seiner Probleme - und vielleicht die Lösung. Wenn sie den Ring gegen Sauron verwenden würden... "Du kannst ihn nicht benutzen! Niemand kann das!" Aragorns Worte hallten in seinen Ohren. Aber woher wollte er das wissen? Er hatte es noch nie versucht! Das war alles nicht richtig!

Aragorn setzte sich neben ihn. "Was hast du, Freund?" In seiner Stimme schwang Sorge mit. Trotz aller Differenzen, die er mit dem Mann hatte - während der Reise hatte er sich doch als treuer Freund erwiesen und Aragorn verdrängte den Gedanken, daß er befürchtet hatte, daß er seiner Schwester zu nahe kommen wollte.

Boromir fühlte sich ertappt. Er hatte den Waldläufer nicht kommen gehört. Schnell suchte er mit seinen Blicken den Fluß ab. Dann deutete er auf einen im Wasser treibenden Baumstamm. Aragorn nickte. "Es ist Gollum. Er folgt uns bereits seit Moria. Ich dachte, wir würden ihn auf dem Fluß verlieren, aber er ist ein zu geschickter Wassermann." "Ich hoffe, daß er den Feind nicht zu uns führen wird." Also spürte auch Boromir, daß sie verfolgt wurden. Er nickte zustimmend. Der Gondorianer nahm seinen Mut zusammen. Immerhin war es Aragorns ursprünglicher Plan gewesen, ihn zu begleiten. "Vielleicht sollten wir zu meiner Stadt gehen. Dort könnten wir unsere Kräfte neu formieren und gestärkt aufbrechen." Aragorn wurde ärgerlich. "Ich werde den Ring nicht näher als 100 Meilen an deine Stadt führen!" Jetzt brach der Zorn auch aus Boromir heraus. "Warum hast du so wenig Vertrauen in dein eigenes Volk? Ja, wir Menschen sind schwach - aber es gibt auch Ehre und Stärke unter den Menschen!" Aragorn schnaubte und Boromir packte die Wut. Er bekam den Waldläufer an den Schultern zu fassen und schüttelte ihn. "Den Elben hast du gleich vertraut!" rief er aus. Alle seine Frustrationen der letzten Tage, Wochen, vielleicht Jahre legte er in diesen Wutausbruch. Der vergebliche Versuch seines Volkes, gegen die Mächte Mordors Widerstand zu leisten, während der zukünftige König Gondors untätig mit den Elben anbändelte - Gondor hatte es nicht verdient von einem Mann regiert zu werden, der einem anderen Volk mehr zugetan war als dem eigenen! Er selbst war sein ganzes Leben lang darauf vorbereitet worden, ein starker Herrscher für sein Volk zu sein. Er hatte so viel entbehren müssen - entbehrte jetzt noch so viel - er würde nicht zusehen, wie Aragorn seine Stadt dem Untergang überließ, nur weil er Furcht vor der Verantwortung hatte, nur weil er sich den Elben...

Aragorn riß sich los und sah den Krieger finster an, und drehte sich zum Gehen um, aber noch war Boromir nicht fertig mit ihm. Erneut bekam er den Waldläufer an der Schulter zu fassen. "Du hast Angst vor dem wer du bist und was du bist! Sei ein Mann und kämpfe für dein Volk!" Der Mann entwand sich seinem Griff. Völlig ruhig sah er Boromir an. "Du solltest jetzt schlafen gehen. Unser Weg nach Mordor ist weit." Damit ließ er den Gondorianer in seiner Wut allein. Der Krieger trat mit dem Fuß gegen einen Baum. Das Feuer des Zorns war noch nicht erloschen und verkohlte sein Herz, aber etwas anderes in ihm erstickte schließlich die Flammen. Er traf seinen Entschluß. Niemand der Gemeinschaft war an ihre Wege gebunden. Sollten die anderen nicht mit ihm kommen, würde er alleine nach Minas Tirith gehen. Er mußte seinem Volk jetzt zur Seite stehen und je eher seine Stadt sicher war, desto schneller konnte er sich seinen eigenen Bedürfnissen zuwenden. Er drehte sich auf die Seite und schlief ein.

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Die Sonne war noch nicht ganz aufgegangen, als Laietha mit gepackten Sachen am Fluß stand und ihren Abschied nahm. Die Elbenkönigin hatte ihr noch etwas Proviant und ein Boot geben lassen. "Sie sind zu den Rauros Fällen gefahren. Wie ihr Weg von dort aus weiterführt, kann ich nicht sagen. Das ist ein schnelles Boot. Wenn du zügig reist und wenig rastest, kannst du sie vielleicht einholen." Dann griff die Herrin des Waldes hinter ihren Rücken und zog eine kleine Phiole mit einer grünlich schimmernden Flüssigkeit hervor. "Wenn du dich schwach fühlst, genügt ein Schluck, um dich zu wärmen und dir Kraft zu geben. Ich fühle, daß du es auf deiner Reise sehr wohl brauchen wirst." Die Kriegerin öffnete die Phiole und roch an der Flüssigkeit. "Miruvor," lächelte sie verzückt. Laietha stiegen Tränen der Dankbarkeit in die Augen und sie schämte sich, daß sie nichts hatte, was sie der freundlichen Elbin im Austausch geben konnte. Nichts, nur...ihre Hand wanderte an ihren Hals und sie griff nach der Kette, um den Verschluß zu lösen. Eine der delikaten Hände der Elbenherrscherin legte sich auf ihre rauhe. "Nein, behalte es. Du wirst es vielleicht noch brauchen. Und nun eile dich." Die Kriegerin verneigte sich und küßte die Hand der Elbin. Unter tausendfachen Danksagungen nahm sie ihren Abschied.

Der Strom riß an dem leichten Boot, aber Galadriel hatte nicht zu viel versprochen, es war schnell und trug Laietha rasch in Richtung der Rauros Fälle. Am meisten strengte sie das Steuern an. Der Tag verflog und erst als es so dunkel geworden war, daß sie ihre eigene Hand nicht mehr vor Augen sehen konnte, steuerte sie das Boot ans Ufer und suchte sich im Dickicht des nahen Waldes eine Raststätte. Sie setzte sich hin und nahm einen Bissen von dem Lembas das ihr die gute Frau Galadriel als Proviant mitgegeben hatte. Ein Feuer zündete sie nicht an. Es war zu gefährlich. Die Anstrengung der letzten Tage forderten ihren Tribut und sie fiel in einen leichten Schlaf.

Kaum hatte sie die Augen geschlossen, so schien es ihr, schreckte sie hoch, als hinter ihr Zweige knackten. Sie griff nach ihrem Schwert und wollte auf den Angreifer zuspringen, als sich ihr eine Hand um die Kehle schloß. Der Griff war fest, schmerzte aber nicht. "Ihr Menschen seid bedauernswerte Geschöpfe - dem Bedürfnis nach Schlaf so ausgeliefert." Laietha erkannte die Stimme sehr wohl. "Und ihr Elben seid so albern! Lauft durch die Natur und habt nichts besseres zu tun, als unschuldige Reisende zu erschrecken! Laß mich los, Haldir! Was tust du überhaupt hier?" Der Elb tat wie ihm geheißen war. "Die Herrin des Waldes schickt mich. Sie fürchtete, du könntest in der Wildnis verloren gehen, wenn niemand auf dich acht gibt." Selbst in der Dunkelheit konnte sie sein breites Grinsen sehen. Die Kriegerin schüttelte nur den Kopf. "Wenn ich ein Ork gewesen wäre, wärst du jetzt tot." Sie wußte, daß er Recht hatte und der Gedanke gefiel ihr nicht. Eigentlich war sie ja auch froh, Gesellschaft zu haben, nur warum, im Namen der Valar, mußte es ausgerechnet Haldir sein?

Ein kühler Morgen folgte auf die Nacht und Laietha ging zum Fluß, um sich zu waschen. Nachdem sie sich angezogen hatte und umdrehte, um zum Lager zurückzukehren, sah sie Haldir, der breit grinsend zu ihr hinübersah. "Für gewöhnlich lasse ich mich nicht zwei Mal mit der selben Sterblichen ein, aber bei dir würde ich eine Ausnahme machen," grinste er. Laietha funkelte ihn wütend an. "Du kannst es gerne versuchen, aber dann wirst du bald herausfinden, ob man auch ohne Kopf noch unsterblich sein kann." Er lachte schallend. Sie frühstückten rasch und dann machten sie sich auf den Weg. Der Elb sah mit hochgezogenen Augenbrauen zu, wie die Frau sich abmühte, das Boot so schnell wie möglich voran zu bringen. Haldir behielt die Ufer im Auge. Er hatte Gerüchte von Orks gehört, die auch bei Tage reisten und egal ob sie wahr waren oder nicht, er wollte nicht der Erste sein, der das herausfand. Die meiste Zeit über reisten sie schweigend. Als die Mittagssonne warm auf sie hinunterschien ergriff der Elb das Wort. "Warum folgst du deinem Bruder? Er hat sicher auch ohne deine Gesellschaft genug zu tun. Meinst du, er wird glücklich sein, dich zu sehen?" Eine Zeitlang antwortete sie nicht. Nach einer Weile des Schweigens sagte sie schließlich. "Ich bin nicht wegen meinem Bruder hier." Haldir wartete auf eine Erklärung, aber sie gab keine. Er zuckte mit den Schultern. Menschen!

Der Fluß verbreiterte sich und es wurde zunehmend schwieriger, das Boot zu bewegen. Gegen Nachmittag ließ sie fast das Ruder ins Wasser fallen. Haldir reagierte blitzschnell. Dann übernahm er das Paddel. Als die Sonne kurz vor dem Untergang stand lenkte er das Boot ans Ufer. Sie stiegen aus und Laietha rieb sich die schmerzenden Arme. Der Elb lächelte selbstgefällig. Dann untersuchte er den Boden. Ein gutes Stück von ihrem Rastplatz aus fand er etwas, das ihn beunruhigte. Hinter sich hörte er Schritte. "Was ist?" Laietha trat an seine Seite und er deutete auf die Spuren im Boden. Sie waren noch nicht alt - vielleicht ein paar Stunden. "Was war das? So etwas habe ich noch nie gesehen!" entfuhr es ihr.

Haldir schüttelte den Kopf. "Ich weiß es nicht, aber was immer es war. Ich möchte ihm nicht begegnen." Laietha kniete sich nieder und maß die Fußabdrücke mit ihrer Hand ab. Das mußten Riesen gewesen sein - und verdammt viele von ihnen. Mit den Händen an den Waffen folgten sie der Spur ein Stück weit. Sie waren gerade im Begriff umzukehren, als sie etwas am Wegesrand liegen sahen. Ohne zu überlegen rannte die Frau darauf zu. Haldir fluchte leise, wagte es aber nicht, laut nach ihr zu rufen und lief ihr hinterher. Wie versteinert stand sie da und starrte auf den Boden. Haldir trat an ihre Seite und mußte einen Schrei des Ekels unterdrücken. Auf der Erde lag ein stinkender Kadaver - ein großer stinkender Kadaver. Er schluckte. Die Frau kniete sich nieder und berührte ihn vorsichtig. "Was ist das? Es sieht aus wie ein Ork - und auch wieder nicht." Von dem Leichnam war nicht mehr viel übrig. Der Rest von ihm war wohl aufgefressen worden. "Ich will hoffen, daß es nicht diese Wesen waren, die hier vorbeigekommen sind. Die sind ja riesig," setzte sie nach einer Weile hinzu. Haldir zog sie davon. Die Abscheu übermannte ihn. "Ich will hoffen, daß sie es waren, denn wie groß sollte ein Wesen sein, das so einen Hünen jagt und zur Strecke bringt." Laietha schluckte hart. Er hatte Recht.

"Ich weiß nicht wie es dir geht, Haldir, aber ich möchte heute Nacht lieber nicht hier bleiben." Der Elb nickte zustimmend und zog sie schnell ins Boot.

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Die Nacht senkte sich hernieder und Aragorn bedeutete ihnen, die Boote ans Ufer zu steuern. Sie alle waren froh, endlich zur Ruhe zu kommen. Sam sah besorgt zu Frodo herüber. Er war blaß und sah mitgenommen aus. Und das nicht erst seit sie auf dem Fluß unterwegs waren. Nicht einmal Merry und Pippin schafften es, ihn aufzumuntern. Gimli und Legolas saßen am Feuer und unterhielten sich. Aragorn mußte in sich hineinschmunzeln. Der Zwerg schien ganz verändert zu sein, seit sie die Goldenen Wälder verlassen hatten. Er und Legolas teilten sich einträchtig ein Boot. Der Elb half ihm beim Ein- und Aussteigen und Gimli konnte von nichts anderem sprechen, als der Schönheit Galadriels, ihrer Güte...

Aus dem Augenwinkel sah Aragorn eine große Gestalt, die einsam am Flußufer saß. Boromir. Dem Waldläufer waren seine Blicke, mit denen er Frodo musterte, nicht entgangen. Auch ihn hatte der Aufenthalt in Lothlorien verändert und Aragorn konnte daran gar keinen Gefallen finden. Auch jetzt starrte der Mann wieder gedankenverloren zu dem Hobbit hinüber. Aragorn wünschte, daß Gandalf noch bei ihnen wäre. Wie sehr hätte er jetzt seinen Rat nötig.

BOROMIR! Der Krieger preßte die Hände auf die Ohren. BOROMIR! Der Ring sprach zu ihm - wie schon seit Tagen. Und der Krieger wußte nicht, wie lange er seinem Ruf noch widerstehen konnte. Er sprach von Ruhm, Macht und Stärke. Mit seiner Hilfe würde er Gondor wieder ins Licht führen können. BOROMIR, KÖNIG! Der Krieger unterdrückte einen Schrei. Gepeinigt hieb er mit der Faust auf den Boden. Dann bemerkte er Aragorns Blicke und errötete. Schnell sprang er auf und zog sich in die Finsternis der Nacht zurück. "Hey! Paß doch auf!" Boromir stieß einen erschreckten Schrei aus. Fast hätte er Pippin über den Haufen gerannt. Er entschuldigte sich wortkarg bei dem Hobbit und wollte weiterlaufen, als er am Ärmel festgehalten wurde. "Wir sehen gefährlichen Zeiten entgegen. Willst du mir nicht noch ein paar kleine Schwertkampftricks zeigen?" Der Krieger konnte nicht anders als lachen. Er zerzauste dem Hobbit das Haar und gemeinsam kehrten sie ins Lager zurück und begannen mit dem Kampf.

Japsend lagen beide auf dem Boden und Merry hob zur letzten Attacke an. Mit voller Wucht ließ sich der nicht gerade zierliche Hobbit dem Krieger auf den Bauch fallen. Boromir stieß pfeifend die Luft aus und Pippin, der sich inzwischen aufgerappelt hatte, stellte ihm keck den Fuß auf die Brust. "Und wieder einmal hat der schnelle Geist über den starken Körper triumphiert. Tja, Meister Boromir, wer ein so helles Köpfchen wie wir Hobbits hat..." Alle brachen in schallendes Gelächter aus. Pippin sah sich verwirrt um. "Was hab ich denn gesagt?"

Frodo starrte abwesend zu den anderen hinüber. Der Ring war so schwer. Er spürte in letzter Zeit häufiger das Bedürfnis, ihn einfach auf den Finger zu stecken und zu verschwinden. Er hatte Angst. Die freundlichen Gesichter der Gefährten schienen ihm oft falsch und voller Heimtücke. Sie wollten den Ring für sich - jeder Einzelne von ihnen. Am liebsten wollte er davonlaufen, ganz weit weg und in Sicherheit vor ihnen sein. Aber es gab nur eins vor dem er sich noch mehr fürchtete als vor ihren gierigen Blicken - vor der Einsamkeit. Er seufzte und legte sich hin. Schlaf würde er keinen finden - der war ihm schon seit Tagen versagt.

Legolas trat zu Aragorn. "Was hast du, Elessar?" Der Mensch schüttelte den Kopf. "Seit ich die Gruppe führen muß habe ich das Gefühl, daß mir alles mißlingt." Der Elb legte ihm aufmunternd eine Hand auf die Schulter. "Gandalf wußte, daß er dir die Führung mit Recht übertragen hat. Du wirst das Richtige tun, vertrau mir, Freund." Aragorn lächelte. "Auch zu mir hat der Ring gesprochen," fuhr der Elb fort und Aragorn sah ihn entsetzt an. Legolas gab ihm einen freundschaftlichen Klaps auf die Schulter. "Boromir ist ein Ehrenmann. Befürchte nichts." Damit ging er in den Wald. Er wollte sich nach Spuren umsehen, denn auch der Elb hatte bemerkt, daß sie nicht unbeobachtet waren.

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Ein dunkler Schatten flog über sie hinweg und Laietha und Haldir beobachteten ihn beunruhigt. Haldir hatte ihn schon vor einer ganzen Weile mit seinen scharfen Sinnen erspäht. Sie hatten das Boot in die Uferböschung gesteuert und preßten sich tiefer ins Dickicht hinein. Sie wagten kaum zu atmen. Selbst als der Schatten vorüber war blieben sie noch eine Weile regungslos sitzen. Am Ostufer hatten sie huschende Bewegungen wahrgenommen. "Yrch!" wisperte Haldir voller Abscheu. Die Orks hatten sie nicht bemerkt - sie wußten, wen sie suchten. Die anderen konnten also nicht mehr fern sein. Die Nacht war pechschwarz und selbst die Vögel schienen sich zu fürchten, denn es war totenstill. Nach einigen Minuten, die ihnen wie Stunden vorgekommen waren, faßte Laietha sich ein Herz. "Was war das?" fragte sie leise, erschrocken darüber, wie laut ihre Stimme in ihren eigenen Ohren klang. Haldir zuckte mit den Schultern. "Ich bin mir nicht sicher. Ich habe von ihnen gehört, aber nie einen gesehen." Laietha wollte ihn fast schütteln. Die Alten hatten Recht gehabt. Frage nie einen Elben um Rat, denn sie antworten nur in Rätseln!

"Im Namen der Valar! Sprich, wenn du etwas weißt du sonst so geschwätziger Elb!" fuhr sie ihn an.

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Ein Schrei zerriß die Luft. Es klang wie das Kreischen eines verwundeten Tieres und sie alle zuckten zusammen. Gimli bemerkte, daß die Hobbits sich so klein wie möglich zu machen versuchten. Frodo begann voller Angst zu schluchzen und zu wimmern und Sam umklammerte mit bleichem Gesicht sein Schwert. Sie schienen zu wissen, was diesen Laut ausgestoßen hatte. Aragorns Augen weiteten sich voller Entsetzen, als der Schatten über ihnen erschien. Er griff nach seinem Schwert und starrte in den Himmel. Dann begann der Angriff. Die ersten Pfeile sausten vom anderen Ufer auf sie zu und Boromir eilte an die Seite von Merry und Pippin und versuchte sich und die beiden Hobbits mit seinem Schild vor dem Pfeilhagel zu schützen. Aragorn ließ sein Schwert Schwert sein und erwiderte das Feuer. Dann sauste auf einmal der Schatten auf sie hernieder und sie erkannten eine ganz in schwarz gehüllte Gestalt, die auf einem geflügelten Wesen saß. Und wieder gellte der schreckliche Schrei. "Aber ich dachte sie wären tot!" wimmerte Frodo. Das Wesen stürzte sich auf ihn und hätte ihn fast erreicht, als ein gut gezielter Pfeil das Reittier des Monsters traf und die Kreatur voller Pein aufschrie und sich zurückzog. Keuchend kam Legolas aus dem Wald gerannt und warf dem Angreifer wütende elbische Schimpfwörter hinterher. Er bemerkte die Orks am Ostufer und half Aragorn dabei, die Reihen ihrer Feinde zu lichten. "Zieht euch in den Wald zurück!" brüllte Aragorn. Sie hatten keine Chance, ihrem Feuer standzuhalten, aber die Orks würden den Fluß noch nicht überqueren. Sie waren nur da gewesen, um sie von dem anderen Angriff abzulenken. Sie hetzten tiefer in den Wald, bis sie außer Schußweite waren. "Gepriesen seien der Bogen der Elben und das scharfe Auge von Legolas!" lobte Gimli. "Doch sagt mir, was war diese Kreatur? Ich habe so etwas noch nie gesehen!"

Mae govannen, Haldir o Lorien! = Sei gegrüßt, Haldir von Lorien. Pedo mellon! = Sprich, Freund! Mae govannen! = Seid gegrüßt, Yrch! = Orks!