Disclaimer: Das Übliche: Die Geschichte, Welt und Figuren gehören Tolkien,
ich verdiene keine Geld damit und Laietha ist auf meinem Mist gewachsen...
Kapitel 7 - Das Horn von Gondor
****
Haldir zögerte. "Es gibt Dinge, von denen man im Dunkeln besser nicht spricht. Ich werde es dir im Morgengrauen sagen." Damit verfiel er in Schweigen und ließ sich auch nicht wieder zum Sprechen bringen. Sie wagten nicht mehr in dieser Nacht noch weiter zu reisen. In weiter Ferne hörten sie einen Schrei, der ihnen das Blut in den Adern gefrieren ließ. Laietha zuckte zusammen und flüchtete sich in Haldirs Arme. Sie klammerte sich an ihn, als ginge es um ihr Leben. Dann wurde es wieder still und sie bemerkte, was sie tat. Schnell löste sie sich aus der Umarmung und sah ihn an. "Sag jetzt bloß nichts!" knurrte sie böse.
Die Sonne war gerade aufgegangen. Als Haldir die schlafende Frau weckte. "Beeil dich, Annaluva. Wir werden sie heute noch einholen, denn wir sind nicht mehr ganz eine Tagesreise von den Rauros Fällen entfernt." Mehr mußte er nicht sagen, denn schon sprang sie auf und packte ihre Sachen zusammen. Sie bestiegen das Boot und legten sich kräftig ins Zeug. Laietha wollte sie so schnell wie möglich einholen, denn sie befürchtete, daß sich die Gruppe bei den Fällen trennen würde und welcher Spur sollte sie dann folgen? Als sie ein gutes Stück gerudert waren, fiel ihr der Schatten der letzten Nacht wieder ein. "Haldir, die Sonne scheint. Sag mir was letzte Nacht über uns gekreist hat." Sie konnte sehen, wie der Elb erschauderte. "Ein uraltes Grauen, wenn ich Recht habe. Das war ein Diener Saurons - ein Nazgûl. Ich habe von ihnen gehört, aber noch nie habe ich einen gesehen." Laietha schüttelte sich vor Entsetzen. Sie war dabei gewesen, als Glorfindel mit dem verletzten Ringträger eingetroffen war. In der Tat - sie kamen den Grenzen Mordors immer näher. Stille trat ein. Nur das Rauschen des Flusses war zu hören. In der Ferne sahen sie zwei mächtige Statuen stehen.
"Wir werden bald an den Wasserfällen sein. Dort werden wir die anderen gewiß finden." Haldir nickte zustimmend. Nach einer Pause fragte er: "Was willst du eigentlich tun, wenn wir dort sind. Wirst du mit ihnen gehen?" Laietha zuckte mit den Schultern. "So genau habe ich mir das nicht überlegt." Haldir fiel die Kinnlade runter. "Willst du mir erzählen, daß du ihnen so viele Meilen völlig planlos gefolgt bist?" Die Frau lachte laut und schüttelte den Kopf. Dann wurde sie schnell wieder ernst. "Du würdest es nicht verstehen, Haldir" sagte sie. Der Elb schüttelte fassungslos sein Haupt. Menschen!
Sie ruderten ohne viel zu sprechen und Laietha sog beeindruckt den Atem ein, als sie die Statuen der riesigen Argonath passierten. In der Ferne konnten sie schon das Donnern der Rauros Fälle hören. Sie waren nicht mehr fern. Bald würde ihre Suche ein Ende haben und sie würde ihn endlich wieder...
Haldir straffte sich. In der Ferne stieg ein Schwarm Vögel aus dem nahen Wald auf. Er versuchte etwas auszumachen, aber der Fluß war zu laut und sie waren zu weit entfernt. Er beschloß die Sache im Auge zu behalten. Plötzlich ertönte ein lautes Geräusch in der Ferne. Der Elb konnte sehen, wie die Kriegerin wissend zusammenzuckte. "Nein!" keuchte sie und legte sich noch mehr ins Zeug. "Was war das?" fragte Haldir, denn offensichtlich schien die Frau mehr zu wissen als er. "Das Horn von Gondor. Sie werden angegriffen! Wir müssen ihnen helfen!"
Sie kannte diesen Klang. Er hatte in Bruchtal in dieses Horn gestoßen, als letzten Gruß für sie und wie war er von Elrond dafür gescholten worden! Wieder hatte sie den Klang vernommen, aber diesmal hatte nicht ihr der Gruß gegolten. Er war nahe. Angst legte sich kalt um ihr Herz. Das geborstene Horn, Boromirs Gesicht - die Bilder, die sie in ihrem Traum gesehen hatte gingen ihr wieder durch den Kopf. Schneller, sie mußte schneller sein! Sie schloß die Hände fester um die Ruder und kämpfte gegen die Fluten an. Sie waren so nahe. Sie durfte nicht schon wieder zu spät kommen! Nicht so kurz vor dem Ziel!
****
Sie hatten die Boote ans Ufer gesteuert, doch wie sollte es nun weiter gehen? Der schnellste Weg nach Mordor führte durch die Emyn Muil, doch Boromir hatte vorgeschlagen, nach Minas Tirith zu gehen. "Laßt den Ringträger entscheiden," hatte Aragorn gesagt.
Frodo lief durch den Wald. Die Wahl war so einfach - und doch so schwer. Er wußte, daß Galadriel Recht hatte - er mußte seinen Weg alleine fortsetzen. Aber er war ein Hobbit und die waren nun mal nicht für solche Abenteuer geschaffen. Gedankenverloren lief er weiter und setzte sich schließlich auf einen Stein. Frodo stützte den Kopf in die Hände. "Niemand von uns sollte so alleine durch die Wälder streifen - du am allerwenigsten. Aber deine Entscheidung fällt dir schwer, nicht wahr?" Frodo blickte in Boromirs Gesicht. Es war freundlich und der Krieger ließ sich neben ihm nieder. Der Hobbit duldete ihn, nicht undankbar für die Ablenkung. "Du quälst dich, Frodo." Er sah den Krieger erstaunt an und Boromir lächelte traurig. "Ich sehe es - Tag für Tag. Aber bist du sicher, daß du dich nicht unnötig quälst? Es gibt andere Wege, Frodo."
BOROMIR! DU BEKOMMST DURCH MICH DIE STÄRKE DIE DU BRAUCHST. DER HALBLING IST SCHWACH. NIMM DIR WAS DEIN IST!
Der Gondorianer schüttelte den Kopf ärgerlich. Es wurde immer schwerer, dem Ruf des Ringes zu widerstehen. Er würde Frodo nicht berauben.
FÜHRE GONDOR MIT MEINER HILFE WIEDER INS LICHT!
Frodo stand auf, als er bemerkte, wie der Mann auf sein Hemd starrte. Er wich zurück. Boromir wurde ihm wieder gewahr. "Warum weichst du zurück?" fragte er. "Ich bin kein Dieb!" Er selbst fühlte diese Worte wie ein Schuldbekenntnis in der Luft hängen.
DU WIRST GONDOR RETTEN KÖNNEN! BOROMIR! KÖNIG!
Der Hobbit faselte etwas von Weisheit und Warnungen und der Krieger wurde wütend. "Ich suche doch nur nach Stärke, um mein Volk zu verteidigen!" Als er erkannte, daß der Kleine ganz blaß geworden war, ließ er seine Stimme wieder sanfter werden. "Wenn du mir den Ring nur leihen würdest..." versuchte er Frodo zu überzeugen. Der schüttelte nur den Kopf. Boromir erkannte, wie dumm er sich benahm. Er wollte sich bei dem Hobbit für sein Verhalten schon entschuldigen.
LAIETHA.
Boromir sah rot. Wie konnte der Ring es wagen, ihren Namen in den Mund zu nehmen!
Frodo bemerkte die Veränderung, die in Boromir vorgegangen war. Der große Mann sah aus, als wollte er ihn jede Sekunde angreifen. Erschreckt wich er zurück. "Du bist nicht du selbst." Flüsterte er heiser. Boromirs freundliches Gesicht wurde zur Grimasse. Dieser Halbling, der wie ein Feigling vor ihm davonlief sollte sich einer ganzen Armee von Saurons Dienern entgegenstellen? Der Ring würde an den dunklen Herrscher gehen und seine Stadt wäre verloren. Er würde sein Leben für diese wahnwitzige Idee eines verrückten Elben riskieren müssen und sollte der Ring an seinen Herrscher zurückgehen, würden seine Armeen auch nach Bruchtal gelangen - er würde nicht zulassen, daß es dazu kam. Er - der Sohn des Statthalters von Gondor würde das Schicksal Mittelerdes jetzt selbst in die Hände nehmen.
"Du hast ihn nur durch einen unglücklichen Zufall erhalten!" schnaubte er. "Er hätte mir gehören können!" BOROMIR. "Er sollte mir gehören!" BOROMIR! "Gib ihn mir!" Voller Furcht wich der Halbling weiter zurück und fing an zu laufen. Boromir setzte zum Sprung an und brachte ihn zu Fall. Frodo stöhnte unter dem Gewicht des Kriegers und Panik kroch in ihm hoch, als der Mann wie von Sinnen an der Kette um seinen Hals riß.
FÜHRE GONDOR INS LICHT UND DANN GEHÖRT SIE DIR!
"Gib ihn mir!"
DER HALBLING IST SCHWACH. TÖTE IHN!
"Gib ihn mir!"
NIMM DIR WAS DEIN IST!
"Gib ihn mir!"
Frodo öffnete den Verschluß der Kette und ließ den Ring auf seinen Finger gleiten. Sofort verschwand er in der inzwischen vertrauten Schattenwelt. Er entschlüpfte dem Griff des wütenden Gondorianers und lief davon.
Boromir starrte verdutzt auf den leeren Fleck, an dem eben noch der Hobbit gelegen hatte. Er sprang auf die Beine. Der Hobbit hatte sie verraten. "Ich weiß was du im Sinn hast! Du willst Sauron den Ring bringen!" Gondor würde fallen. Rohan würde fallen. Und der Fall Bruchtals war nicht weit. Die Elben waren schwach und sie würde sterben! "Ich verfluche dich! Dich und alle Halblinge!" In seiner Wut übersah er den Ast auf dem Boden, der ihn schließlich zu Fall brachte. Ihm war, als hätte sich eine Nebelwand in seinem Geist gelichtet. Frodo und der Ring waren fort. Was hatte er nur getan?
Nicht Frodo hatte sie verraten - er war der Verräter! Er war schwach - nicht der Halbling! Verzweifelt blieb er liegen. Scham färbte seine Wangen und Tränen traten ihm in die Augen. Wie hatte er nur so etwas tun können? Wie lange er dort gelegen hatte, konnte er nicht sagen, als er von fernem Kampfgetümmel hörte. Was er gesagt und getan hatte, konnte er nicht ungeschehen machen, aber jetzt war nicht die Zeit, um über diese Dinge nachzudenken. Ohne lange weiter zu überlegen, griff er nach seinem Schwert. Er war immer noch Teil dieser Gemeinschaft und jetzt brauchten sie seine Stärke. Er stürmte los und mußte nicht lange suchen, bis er die Hobbits Merry und Pippin in einen Kampf verwickelt sah. Ihre Chancen standen schlecht. Sie sahen sich einer gewaltigen Übermacht von Feinden gegenüber. Es waren zahllose Orks - einer größer als der andere. Einer von ihnen erhob sein Schwert gegen Merry. Boromir schrie und warf sich mit all seiner Stärke dazwischen. Jetzt konnte er seinen Fehler wieder gutmachen. Metall traf auf Metall und er trieb die Feinde erbarmungslos zurück. Aber es waren zu viele für ihn alleine. Sie würden nicht lange durchhalten.
Sie kämpften verzweifelt gegen die Armee an, die sich ihnen entgegenstellte. Legolas hatte seinen Bogen sinken lassen und besann sich auf die Langmesser an seinem Rücken, die er geschickt durch die Körper seiner Feinde gleiten ließ. Sie waren klar in der Unterzahl, aber sie hatten keine andere Wahl, als ihr Bestes zu geben. Gimli schrie wütend auf und spaltete den Schädel eines der häßlichen Kreaturen. Aragorn schrie "Elendil!" und warf sich gegen einen der Feinde, der sich von hinten an Legolas heranschleichen wollte. Schon hatte er sein Schwert im Rücken. Der Waldläufer wütete wie eine Seuche unter ihnen. Plötzlich vernahmen sie den Klang eines Hornes. Sie unterbrachen den Kampf. "Das Horn Gondors!" stellte Legolas fest und Aragorn beschlich eine dunkle Ahnung. "Boromir!"
Sie liefen in die Richtung, aus der das Geräusch gekommen war. Legolas und Gimli versuchten die Uruk-hai zurückzudrängen, aber Aragorn bahnte sich seinen Weg durch die Reihen der Feinde nach vorne. Plötzlich entfernten sich die gräßlichen Kreaturen. Aragorn kam auf einer Lichtung an, auf der die Kadaver unzähliger Feinde lagen - an einem Baum ruhte eine vertraute Gestalt. Der Waldläufer warf sein Schwert fort und eilte auf ihn zu. Drei Pfeile steckten in seiner Brust und der Krieger sah beinahe aus, als würde er schlafen.
Aragorn schüttelte ihn und langsam öffnete Boromir die Augen. Seine Lippen bewegten sich stumm und Aragorn kam mit dem Kopf ganz nahe an den Freund heran. "...haben die Kleinen...Frodo...wo ist Frodo?" Aragorn schüttelte den Kopf. Tränen stiegen ihm in die Augen. Er griff nach einem der Pfeile und wollte ihn herausziehen, aber Boromir packte seine Hand und schüttelte den Kopf. "Laß! Es ist vorbei," brachte er gepreßt hervor. Aragorn hatte schon in zu vielen Schlachten gekämpft und wußte, daß der Mann Gondors sterben würde. Er war schwer verwundet. Hier in der Wildnis konnte der Waldläufer nichts für den Freund tun. Wenn sie doch nur Hilfe holen könnten! Aber sie waren so weit von allem weg. Der Mann Gondors war dem Tode geweiht. "Wo ist Frodo?" wiederholte der Krieger - diesmal eindringlicher. Sein Gesicht war schmerzverzerrt und voller Sorge. "Ich habe Frodo gehen lassen." Boromir lächelte erleichtert. "Verzeih mir. Ich habe versucht....der Ring..." Der Mann Gondors weinte bei seinem Schuldbekenntnis nun hemmungslos. Aragorn schüttelte den Kopf. "Ich habe euch alle verraten." Der Waldläufer legte dem Krieger sein Schwert in die Hand. "Du hast tapfer gekämpft, Boromir. Du hast deine Ehre behalten." Der Atem des Kriegers wurde schwächer, aber er packte Aragorn mit einem erstaunlich festen Griff am Arm. "Rette meine Stadt. Versprich es mir!" Der Waldläufer nickte, denn sprechen konnte er nicht mehr. Tränen liefen auch ihm über die Wangen. Warum war er zu spät gekommen? Der Krieger schloß die Augen und öffnete sie ein letztes Mal. "...ietha..." flüsterte er und es dauerte eine Weile bis Aragorn begriff. Er schüttelte fassungslos den Kopf. Er hatte es geahnt. Was sollte er seiner Schwester nur sagen, wenn sie zurückkehrten? Falls sie zurückkehrten.
Boromir fühlte sich plötzlich sehr leicht und die Schmerzen ließen nach. Ein leichtes Bedauern umfing ihn. Seine Stadt würde gerettet werden - aber sie hatte er für immer verloren. Laietha. Dann umfing ihn Dunkelheit.
Gimli und Legolas trafen am Ort des Kampfes ein und starrten fassungslos auf Aragorn, der neben der zusammengesunkenen Gestalt am Boden kniete. Langsam begriffen sie. Aragorn stand auf. Sein Blick war fest und entschlossen. "Frodos Schicksal liegt nicht mehr in unseren Händen." Legolas wollte protestieren, aber der Waldläufer brachte ihn mit einem Blick zum Schweigen. "Sie haben Merry und Pippin mit sich genommen. Wir werden ihnen helfen und dann gehen wir nach Minas Tirith - das habe ich Boromir versprochen. Wir müssen uns beeilen. Die Orks reisen schnell." Sie verloren keine Zeit und brachen auf.
****
Sie erreichten das Ufer und fanden zwei der Boote, die Galadriel den Gefährten gegeben hatte. Haldir konnte gar nicht so schnell reagieren, wie Laietha aus dem Boot sprang und in den Wald lief. Ihm blieb nichts anderes übrig, als hinter ihr herzurennen. Es dauerte nicht lange und sie fanden die Körper vieler toter Ungeheuer. Laietha biß sich fest auf die Lippe und spürte den vertrauten Geschmack von Blut. Der Wald war still. Sie rannte nur noch schneller. Mehr tote Körper - aber keine Spur von denen, die sie suchte. Sie war zu spät! Die Kriegerin kämpfte gegen die Tränen an. Auf einer Lichtung hielte sie so abrupt an, daß Haldir gegen sie prallte. Angestrengt blickte er in ihre Richtung und dann sah auch er die reglose menschliche Gestalt am Boden liegen. "Nein!" keuchte sie und lief wieder los. Haldir blieb stehen und sah in einiger Entfernung drei Gestalten laufen. Er ging zu ihr.
Laietha kniete neben dem leblosen Körper nieder. Ihre Beine wollten sie ohnehin nicht mehr tragen. Eine Hand legte sich auf ihre Schulter. "Er ist tot, aber dein Bruder ist noch nicht weit. Wir können ihn noch heute einholen, wenn wir uns beeilen." Laietha faßte die Hand des Kriegers und rieb sie verzweifelt zwischen ihren. Haldir sah sie neugierig an und begann zu verstehen, daß sie den anderen nicht folgen würde. "Wer ist er? Ein Freund?" Sie schüttelte den Kopf und brachte schluchzend hervor: "Mein Geliebter." Der Elb setzte sich auf den Boden. Das war das bittere Los der Sterblichkeit.
Laietha schrie ihren Schmerz hinaus. Weinend hielt sie den Krieger im Arm. Es durfte nicht wahr sein! Nicht nach allem, was sie auf sich genommen hatte, um rechtzeitig bei ihm zu sein! Wäre sie nur nicht diese eine Nacht in Lothlorien geblieben! Sie hätte sofort aufbrechen sollen! Ihre Hände strichen sanft über sein Gesicht und sie bedeckte seine Lippen und seine Stirn mit fieberheißen Küssen. Er durfte nicht tot sein. Er war so warm! Nur ein paar Minuten hätte sie schneller sein müssen! Ihre Hände ruhten auf seiner Brust und sein noch heißes Blut rann ihr über die Finger...sein Blut!
Er blutete noch! Das hieß er lebte! Bis zum Haaransatz gespannt beugte sie sich über seine Lippen und konzentrierte sich. Er atmete noch - zwar schwach, aber er atmete. Vielleicht war noch nicht alles verloren. Sie rief Haldir an ihre Seite. "Schnell, hilf mir die Pfeile rauszuziehen!" befahl sie. Laietha versuchte die Panik, die in ihr aufkeimte zu unterdrücken. Ruhe mußte sie jetzt bewahren, sonst war alles verloren. Behutsam preßte sie die Hände an die erste Wunde. Haldir umfaßte den Schaft des Pfeils. Laietha sog den Atem scharf ein. "Jetzt!" rief sie und der Elb zog mit aller Kraft. Sofort strömte Boromirs Blut über ihre Hand und sie drückte so stark sie konnte dagegen. Als die Blutung nachließ, bedeckte sie die Wunde mit sauberen Tüchern aus ihrem Gepäck. Dann widmeten sie sich den letzten beiden Pfeilen. Schwer atmend sank Laietha zu Boden. Boromir lag immer noch wie tot da, aber sie wußte, daß der Mann noch lebte.
"Was nun?" fragte Haldir. "Du wirst ihn hier nicht retten können. Wenn er nicht Hilfe bekommt, wird er die nächsten Tage nicht überstehen." Der Elb hatte Recht. Laietha überlegte fieberhaft. Sie mußten etwas unternehmen. Sie war nicht so weit gereist, um ihm beim Sterben zuzusehen. "Wir werden ihn nach Lothlorien bringen," sagte sie schließlich. Haldir schüttelte fassungslos den Kopf. Der Mann würde die Reise nie überleben. Aber die Kriegerin war schon damit beschäftigt, den Mann unter den Achseln anzuheben. Sie strauchelte unter seinem Gewicht. Haldir lief zu ihr und packte mit an. Wenn der Gondorianer einen annährend so starken Willen hatte wie sie, bestand vielleicht doch noch Hoffnung darauf, daß er es bis in die Goldenen Wälder schaffen würde.
Bevor sie in das Boot stiegen, prüfte Laietha noch einmal den Atem und den Puls des Kriegers. Ihre Miene war besorgt. Schnell griff sie an ihren Hals und löste die Kette, die sie trug. Haldir atmete scharf ein. Sie trug ein grünes Juwel und der Elb wußte sehr wohl um seinen Wert. Es war ein seltener Stein, der sich seit vielen tausend Jahren im Besitz der Elben befand. Als der Stein die Haut des Verletzten berührte, begann er sofort zu leuchten. Die Atemzüge des Gondorianers wurden zusehends ruhiger und kräftiger. Der Elbenstein begann sofort, seine heilende Wirkung zu entfalten. Sie hatten nun in der Tat reelle Chancen, daß der Krieger die Reise nach Lothlorien überleben würde.
Als sie den schweren Mann ins Boot hoben, fiel das Horn, das gespalten an seiner Seite hing, ins Wasser und die Strömung riß es mit sich. Laietha bettete den Kopf Boromirs in ihren Schoß und strich ihm die Haare aus der fieberheißen Stirn. Haldir übernahm das Rudern und mit seiner Kraft kämpfte er tapfer gegen den Strom an und trug sie in Richtung Lothlorien.
****
Die Herrin des Lichts beugte sich über ihren Spiegel. Sie hatte es also wirklich geschafft. Anerkennend nickte sie. Die junge Kriegerin war stärker als erwartet. Aber alleine würde sie es nicht schaffen, ihren Liebsten zu retten. Sie hatte die Liebe in seinem und ihrem Herzen gesehen. Obwohl der Krieger versucht hatte, es vor ihr zu verbergen. Gandalf trat an ihre Seite. Sie ließ auch ihn einen Blick in den Spiegel werfen und der Zauberer lächelte. "Es sind auch noch andere Kräfte am Wirken in dieser Welt, nicht nur die des Bösen." Auch die Herrin des Waldes lächelte. Sie sah den Zauberer an und wußte was sie zu tun hatte.
****
Sieben Tage waren sie unterwegs und am Ende ihrer Kraft. Boromir stöhnte im Fieber und Laietha sprach beruhigend in der Sprache der Elben auf ihn ein. Sie griff nach der Phiole an ihrer Seite und flößte ihm behutsam die letzten Tropfen des stärkenden Tranks ein, den ihr Galadriel mitgegeben hatte. Sie rasteten nur wenige Stunden am Tage und doch waren sie noch mindestens einen Tagesmarsch von Lothlorien entfernt. Boromir warf sich im Fieber so stark hin und her, daß sie befürchteten, er würde das Boot zum Kentern bringen. Haldir steuerte sie ans Ufer. Er half Laietha den Mann aus dem Boot zu heben. Sie ging neben ihm in die Knie und begann zu weinen. Laietha war verzweifelt. So würden sie es nie schaffen! Aber sie konnten doch nicht so einfach aufgeben! Nicht so kurz vor dem Ziel. "Bitte, Boromir, halte durch. Boromir," weinte sie. Der Elb stand hilflos daneben. In der relativen Stille des Waldes hörten sie Pferdegetrappel. Sie erstarrten und Laietha wurde schlagartig still.
Aus dem Dickicht trat eine Gruppe Elben aus Galadriels Gefolge. "Eglerio!" rief Laietha aus und auch Haldir seufzte erleichtert. "Bei den Valar, ich bin froh euch zu sehen!" Die Elben saßen ab und liefen zu der Gesellschaft. "Die Herrin des Waldes schickt uns. Sie erwartet euch." Einer der Elben trat zu Laietha und Boromir und sprach: "Schnell, gebt mir den Verwundeten. Ich werde ihn sicher zu ihr bringen." Sie übergaben ihnen frisches Wasser und etwas zu Essen, was sie dankbar annahmen. Dann nahm der eine Elb Boromir vorsichtig auf sein Pferd und verschwand so rasch, wie er gekommen war. Die anderen blieben bei ihnen und ließen sie sich etwas stärken. Nach einer Weile folgten sie ihnen.
Eglerio! = Seid gepriesen!
Kapitel 7 - Das Horn von Gondor
****
Haldir zögerte. "Es gibt Dinge, von denen man im Dunkeln besser nicht spricht. Ich werde es dir im Morgengrauen sagen." Damit verfiel er in Schweigen und ließ sich auch nicht wieder zum Sprechen bringen. Sie wagten nicht mehr in dieser Nacht noch weiter zu reisen. In weiter Ferne hörten sie einen Schrei, der ihnen das Blut in den Adern gefrieren ließ. Laietha zuckte zusammen und flüchtete sich in Haldirs Arme. Sie klammerte sich an ihn, als ginge es um ihr Leben. Dann wurde es wieder still und sie bemerkte, was sie tat. Schnell löste sie sich aus der Umarmung und sah ihn an. "Sag jetzt bloß nichts!" knurrte sie böse.
Die Sonne war gerade aufgegangen. Als Haldir die schlafende Frau weckte. "Beeil dich, Annaluva. Wir werden sie heute noch einholen, denn wir sind nicht mehr ganz eine Tagesreise von den Rauros Fällen entfernt." Mehr mußte er nicht sagen, denn schon sprang sie auf und packte ihre Sachen zusammen. Sie bestiegen das Boot und legten sich kräftig ins Zeug. Laietha wollte sie so schnell wie möglich einholen, denn sie befürchtete, daß sich die Gruppe bei den Fällen trennen würde und welcher Spur sollte sie dann folgen? Als sie ein gutes Stück gerudert waren, fiel ihr der Schatten der letzten Nacht wieder ein. "Haldir, die Sonne scheint. Sag mir was letzte Nacht über uns gekreist hat." Sie konnte sehen, wie der Elb erschauderte. "Ein uraltes Grauen, wenn ich Recht habe. Das war ein Diener Saurons - ein Nazgûl. Ich habe von ihnen gehört, aber noch nie habe ich einen gesehen." Laietha schüttelte sich vor Entsetzen. Sie war dabei gewesen, als Glorfindel mit dem verletzten Ringträger eingetroffen war. In der Tat - sie kamen den Grenzen Mordors immer näher. Stille trat ein. Nur das Rauschen des Flusses war zu hören. In der Ferne sahen sie zwei mächtige Statuen stehen.
"Wir werden bald an den Wasserfällen sein. Dort werden wir die anderen gewiß finden." Haldir nickte zustimmend. Nach einer Pause fragte er: "Was willst du eigentlich tun, wenn wir dort sind. Wirst du mit ihnen gehen?" Laietha zuckte mit den Schultern. "So genau habe ich mir das nicht überlegt." Haldir fiel die Kinnlade runter. "Willst du mir erzählen, daß du ihnen so viele Meilen völlig planlos gefolgt bist?" Die Frau lachte laut und schüttelte den Kopf. Dann wurde sie schnell wieder ernst. "Du würdest es nicht verstehen, Haldir" sagte sie. Der Elb schüttelte fassungslos sein Haupt. Menschen!
Sie ruderten ohne viel zu sprechen und Laietha sog beeindruckt den Atem ein, als sie die Statuen der riesigen Argonath passierten. In der Ferne konnten sie schon das Donnern der Rauros Fälle hören. Sie waren nicht mehr fern. Bald würde ihre Suche ein Ende haben und sie würde ihn endlich wieder...
Haldir straffte sich. In der Ferne stieg ein Schwarm Vögel aus dem nahen Wald auf. Er versuchte etwas auszumachen, aber der Fluß war zu laut und sie waren zu weit entfernt. Er beschloß die Sache im Auge zu behalten. Plötzlich ertönte ein lautes Geräusch in der Ferne. Der Elb konnte sehen, wie die Kriegerin wissend zusammenzuckte. "Nein!" keuchte sie und legte sich noch mehr ins Zeug. "Was war das?" fragte Haldir, denn offensichtlich schien die Frau mehr zu wissen als er. "Das Horn von Gondor. Sie werden angegriffen! Wir müssen ihnen helfen!"
Sie kannte diesen Klang. Er hatte in Bruchtal in dieses Horn gestoßen, als letzten Gruß für sie und wie war er von Elrond dafür gescholten worden! Wieder hatte sie den Klang vernommen, aber diesmal hatte nicht ihr der Gruß gegolten. Er war nahe. Angst legte sich kalt um ihr Herz. Das geborstene Horn, Boromirs Gesicht - die Bilder, die sie in ihrem Traum gesehen hatte gingen ihr wieder durch den Kopf. Schneller, sie mußte schneller sein! Sie schloß die Hände fester um die Ruder und kämpfte gegen die Fluten an. Sie waren so nahe. Sie durfte nicht schon wieder zu spät kommen! Nicht so kurz vor dem Ziel!
****
Sie hatten die Boote ans Ufer gesteuert, doch wie sollte es nun weiter gehen? Der schnellste Weg nach Mordor führte durch die Emyn Muil, doch Boromir hatte vorgeschlagen, nach Minas Tirith zu gehen. "Laßt den Ringträger entscheiden," hatte Aragorn gesagt.
Frodo lief durch den Wald. Die Wahl war so einfach - und doch so schwer. Er wußte, daß Galadriel Recht hatte - er mußte seinen Weg alleine fortsetzen. Aber er war ein Hobbit und die waren nun mal nicht für solche Abenteuer geschaffen. Gedankenverloren lief er weiter und setzte sich schließlich auf einen Stein. Frodo stützte den Kopf in die Hände. "Niemand von uns sollte so alleine durch die Wälder streifen - du am allerwenigsten. Aber deine Entscheidung fällt dir schwer, nicht wahr?" Frodo blickte in Boromirs Gesicht. Es war freundlich und der Krieger ließ sich neben ihm nieder. Der Hobbit duldete ihn, nicht undankbar für die Ablenkung. "Du quälst dich, Frodo." Er sah den Krieger erstaunt an und Boromir lächelte traurig. "Ich sehe es - Tag für Tag. Aber bist du sicher, daß du dich nicht unnötig quälst? Es gibt andere Wege, Frodo."
BOROMIR! DU BEKOMMST DURCH MICH DIE STÄRKE DIE DU BRAUCHST. DER HALBLING IST SCHWACH. NIMM DIR WAS DEIN IST!
Der Gondorianer schüttelte den Kopf ärgerlich. Es wurde immer schwerer, dem Ruf des Ringes zu widerstehen. Er würde Frodo nicht berauben.
FÜHRE GONDOR MIT MEINER HILFE WIEDER INS LICHT!
Frodo stand auf, als er bemerkte, wie der Mann auf sein Hemd starrte. Er wich zurück. Boromir wurde ihm wieder gewahr. "Warum weichst du zurück?" fragte er. "Ich bin kein Dieb!" Er selbst fühlte diese Worte wie ein Schuldbekenntnis in der Luft hängen.
DU WIRST GONDOR RETTEN KÖNNEN! BOROMIR! KÖNIG!
Der Hobbit faselte etwas von Weisheit und Warnungen und der Krieger wurde wütend. "Ich suche doch nur nach Stärke, um mein Volk zu verteidigen!" Als er erkannte, daß der Kleine ganz blaß geworden war, ließ er seine Stimme wieder sanfter werden. "Wenn du mir den Ring nur leihen würdest..." versuchte er Frodo zu überzeugen. Der schüttelte nur den Kopf. Boromir erkannte, wie dumm er sich benahm. Er wollte sich bei dem Hobbit für sein Verhalten schon entschuldigen.
LAIETHA.
Boromir sah rot. Wie konnte der Ring es wagen, ihren Namen in den Mund zu nehmen!
Frodo bemerkte die Veränderung, die in Boromir vorgegangen war. Der große Mann sah aus, als wollte er ihn jede Sekunde angreifen. Erschreckt wich er zurück. "Du bist nicht du selbst." Flüsterte er heiser. Boromirs freundliches Gesicht wurde zur Grimasse. Dieser Halbling, der wie ein Feigling vor ihm davonlief sollte sich einer ganzen Armee von Saurons Dienern entgegenstellen? Der Ring würde an den dunklen Herrscher gehen und seine Stadt wäre verloren. Er würde sein Leben für diese wahnwitzige Idee eines verrückten Elben riskieren müssen und sollte der Ring an seinen Herrscher zurückgehen, würden seine Armeen auch nach Bruchtal gelangen - er würde nicht zulassen, daß es dazu kam. Er - der Sohn des Statthalters von Gondor würde das Schicksal Mittelerdes jetzt selbst in die Hände nehmen.
"Du hast ihn nur durch einen unglücklichen Zufall erhalten!" schnaubte er. "Er hätte mir gehören können!" BOROMIR. "Er sollte mir gehören!" BOROMIR! "Gib ihn mir!" Voller Furcht wich der Halbling weiter zurück und fing an zu laufen. Boromir setzte zum Sprung an und brachte ihn zu Fall. Frodo stöhnte unter dem Gewicht des Kriegers und Panik kroch in ihm hoch, als der Mann wie von Sinnen an der Kette um seinen Hals riß.
FÜHRE GONDOR INS LICHT UND DANN GEHÖRT SIE DIR!
"Gib ihn mir!"
DER HALBLING IST SCHWACH. TÖTE IHN!
"Gib ihn mir!"
NIMM DIR WAS DEIN IST!
"Gib ihn mir!"
Frodo öffnete den Verschluß der Kette und ließ den Ring auf seinen Finger gleiten. Sofort verschwand er in der inzwischen vertrauten Schattenwelt. Er entschlüpfte dem Griff des wütenden Gondorianers und lief davon.
Boromir starrte verdutzt auf den leeren Fleck, an dem eben noch der Hobbit gelegen hatte. Er sprang auf die Beine. Der Hobbit hatte sie verraten. "Ich weiß was du im Sinn hast! Du willst Sauron den Ring bringen!" Gondor würde fallen. Rohan würde fallen. Und der Fall Bruchtals war nicht weit. Die Elben waren schwach und sie würde sterben! "Ich verfluche dich! Dich und alle Halblinge!" In seiner Wut übersah er den Ast auf dem Boden, der ihn schließlich zu Fall brachte. Ihm war, als hätte sich eine Nebelwand in seinem Geist gelichtet. Frodo und der Ring waren fort. Was hatte er nur getan?
Nicht Frodo hatte sie verraten - er war der Verräter! Er war schwach - nicht der Halbling! Verzweifelt blieb er liegen. Scham färbte seine Wangen und Tränen traten ihm in die Augen. Wie hatte er nur so etwas tun können? Wie lange er dort gelegen hatte, konnte er nicht sagen, als er von fernem Kampfgetümmel hörte. Was er gesagt und getan hatte, konnte er nicht ungeschehen machen, aber jetzt war nicht die Zeit, um über diese Dinge nachzudenken. Ohne lange weiter zu überlegen, griff er nach seinem Schwert. Er war immer noch Teil dieser Gemeinschaft und jetzt brauchten sie seine Stärke. Er stürmte los und mußte nicht lange suchen, bis er die Hobbits Merry und Pippin in einen Kampf verwickelt sah. Ihre Chancen standen schlecht. Sie sahen sich einer gewaltigen Übermacht von Feinden gegenüber. Es waren zahllose Orks - einer größer als der andere. Einer von ihnen erhob sein Schwert gegen Merry. Boromir schrie und warf sich mit all seiner Stärke dazwischen. Jetzt konnte er seinen Fehler wieder gutmachen. Metall traf auf Metall und er trieb die Feinde erbarmungslos zurück. Aber es waren zu viele für ihn alleine. Sie würden nicht lange durchhalten.
Sie kämpften verzweifelt gegen die Armee an, die sich ihnen entgegenstellte. Legolas hatte seinen Bogen sinken lassen und besann sich auf die Langmesser an seinem Rücken, die er geschickt durch die Körper seiner Feinde gleiten ließ. Sie waren klar in der Unterzahl, aber sie hatten keine andere Wahl, als ihr Bestes zu geben. Gimli schrie wütend auf und spaltete den Schädel eines der häßlichen Kreaturen. Aragorn schrie "Elendil!" und warf sich gegen einen der Feinde, der sich von hinten an Legolas heranschleichen wollte. Schon hatte er sein Schwert im Rücken. Der Waldläufer wütete wie eine Seuche unter ihnen. Plötzlich vernahmen sie den Klang eines Hornes. Sie unterbrachen den Kampf. "Das Horn Gondors!" stellte Legolas fest und Aragorn beschlich eine dunkle Ahnung. "Boromir!"
Sie liefen in die Richtung, aus der das Geräusch gekommen war. Legolas und Gimli versuchten die Uruk-hai zurückzudrängen, aber Aragorn bahnte sich seinen Weg durch die Reihen der Feinde nach vorne. Plötzlich entfernten sich die gräßlichen Kreaturen. Aragorn kam auf einer Lichtung an, auf der die Kadaver unzähliger Feinde lagen - an einem Baum ruhte eine vertraute Gestalt. Der Waldläufer warf sein Schwert fort und eilte auf ihn zu. Drei Pfeile steckten in seiner Brust und der Krieger sah beinahe aus, als würde er schlafen.
Aragorn schüttelte ihn und langsam öffnete Boromir die Augen. Seine Lippen bewegten sich stumm und Aragorn kam mit dem Kopf ganz nahe an den Freund heran. "...haben die Kleinen...Frodo...wo ist Frodo?" Aragorn schüttelte den Kopf. Tränen stiegen ihm in die Augen. Er griff nach einem der Pfeile und wollte ihn herausziehen, aber Boromir packte seine Hand und schüttelte den Kopf. "Laß! Es ist vorbei," brachte er gepreßt hervor. Aragorn hatte schon in zu vielen Schlachten gekämpft und wußte, daß der Mann Gondors sterben würde. Er war schwer verwundet. Hier in der Wildnis konnte der Waldläufer nichts für den Freund tun. Wenn sie doch nur Hilfe holen könnten! Aber sie waren so weit von allem weg. Der Mann Gondors war dem Tode geweiht. "Wo ist Frodo?" wiederholte der Krieger - diesmal eindringlicher. Sein Gesicht war schmerzverzerrt und voller Sorge. "Ich habe Frodo gehen lassen." Boromir lächelte erleichtert. "Verzeih mir. Ich habe versucht....der Ring..." Der Mann Gondors weinte bei seinem Schuldbekenntnis nun hemmungslos. Aragorn schüttelte den Kopf. "Ich habe euch alle verraten." Der Waldläufer legte dem Krieger sein Schwert in die Hand. "Du hast tapfer gekämpft, Boromir. Du hast deine Ehre behalten." Der Atem des Kriegers wurde schwächer, aber er packte Aragorn mit einem erstaunlich festen Griff am Arm. "Rette meine Stadt. Versprich es mir!" Der Waldläufer nickte, denn sprechen konnte er nicht mehr. Tränen liefen auch ihm über die Wangen. Warum war er zu spät gekommen? Der Krieger schloß die Augen und öffnete sie ein letztes Mal. "...ietha..." flüsterte er und es dauerte eine Weile bis Aragorn begriff. Er schüttelte fassungslos den Kopf. Er hatte es geahnt. Was sollte er seiner Schwester nur sagen, wenn sie zurückkehrten? Falls sie zurückkehrten.
Boromir fühlte sich plötzlich sehr leicht und die Schmerzen ließen nach. Ein leichtes Bedauern umfing ihn. Seine Stadt würde gerettet werden - aber sie hatte er für immer verloren. Laietha. Dann umfing ihn Dunkelheit.
Gimli und Legolas trafen am Ort des Kampfes ein und starrten fassungslos auf Aragorn, der neben der zusammengesunkenen Gestalt am Boden kniete. Langsam begriffen sie. Aragorn stand auf. Sein Blick war fest und entschlossen. "Frodos Schicksal liegt nicht mehr in unseren Händen." Legolas wollte protestieren, aber der Waldläufer brachte ihn mit einem Blick zum Schweigen. "Sie haben Merry und Pippin mit sich genommen. Wir werden ihnen helfen und dann gehen wir nach Minas Tirith - das habe ich Boromir versprochen. Wir müssen uns beeilen. Die Orks reisen schnell." Sie verloren keine Zeit und brachen auf.
****
Sie erreichten das Ufer und fanden zwei der Boote, die Galadriel den Gefährten gegeben hatte. Haldir konnte gar nicht so schnell reagieren, wie Laietha aus dem Boot sprang und in den Wald lief. Ihm blieb nichts anderes übrig, als hinter ihr herzurennen. Es dauerte nicht lange und sie fanden die Körper vieler toter Ungeheuer. Laietha biß sich fest auf die Lippe und spürte den vertrauten Geschmack von Blut. Der Wald war still. Sie rannte nur noch schneller. Mehr tote Körper - aber keine Spur von denen, die sie suchte. Sie war zu spät! Die Kriegerin kämpfte gegen die Tränen an. Auf einer Lichtung hielte sie so abrupt an, daß Haldir gegen sie prallte. Angestrengt blickte er in ihre Richtung und dann sah auch er die reglose menschliche Gestalt am Boden liegen. "Nein!" keuchte sie und lief wieder los. Haldir blieb stehen und sah in einiger Entfernung drei Gestalten laufen. Er ging zu ihr.
Laietha kniete neben dem leblosen Körper nieder. Ihre Beine wollten sie ohnehin nicht mehr tragen. Eine Hand legte sich auf ihre Schulter. "Er ist tot, aber dein Bruder ist noch nicht weit. Wir können ihn noch heute einholen, wenn wir uns beeilen." Laietha faßte die Hand des Kriegers und rieb sie verzweifelt zwischen ihren. Haldir sah sie neugierig an und begann zu verstehen, daß sie den anderen nicht folgen würde. "Wer ist er? Ein Freund?" Sie schüttelte den Kopf und brachte schluchzend hervor: "Mein Geliebter." Der Elb setzte sich auf den Boden. Das war das bittere Los der Sterblichkeit.
Laietha schrie ihren Schmerz hinaus. Weinend hielt sie den Krieger im Arm. Es durfte nicht wahr sein! Nicht nach allem, was sie auf sich genommen hatte, um rechtzeitig bei ihm zu sein! Wäre sie nur nicht diese eine Nacht in Lothlorien geblieben! Sie hätte sofort aufbrechen sollen! Ihre Hände strichen sanft über sein Gesicht und sie bedeckte seine Lippen und seine Stirn mit fieberheißen Küssen. Er durfte nicht tot sein. Er war so warm! Nur ein paar Minuten hätte sie schneller sein müssen! Ihre Hände ruhten auf seiner Brust und sein noch heißes Blut rann ihr über die Finger...sein Blut!
Er blutete noch! Das hieß er lebte! Bis zum Haaransatz gespannt beugte sie sich über seine Lippen und konzentrierte sich. Er atmete noch - zwar schwach, aber er atmete. Vielleicht war noch nicht alles verloren. Sie rief Haldir an ihre Seite. "Schnell, hilf mir die Pfeile rauszuziehen!" befahl sie. Laietha versuchte die Panik, die in ihr aufkeimte zu unterdrücken. Ruhe mußte sie jetzt bewahren, sonst war alles verloren. Behutsam preßte sie die Hände an die erste Wunde. Haldir umfaßte den Schaft des Pfeils. Laietha sog den Atem scharf ein. "Jetzt!" rief sie und der Elb zog mit aller Kraft. Sofort strömte Boromirs Blut über ihre Hand und sie drückte so stark sie konnte dagegen. Als die Blutung nachließ, bedeckte sie die Wunde mit sauberen Tüchern aus ihrem Gepäck. Dann widmeten sie sich den letzten beiden Pfeilen. Schwer atmend sank Laietha zu Boden. Boromir lag immer noch wie tot da, aber sie wußte, daß der Mann noch lebte.
"Was nun?" fragte Haldir. "Du wirst ihn hier nicht retten können. Wenn er nicht Hilfe bekommt, wird er die nächsten Tage nicht überstehen." Der Elb hatte Recht. Laietha überlegte fieberhaft. Sie mußten etwas unternehmen. Sie war nicht so weit gereist, um ihm beim Sterben zuzusehen. "Wir werden ihn nach Lothlorien bringen," sagte sie schließlich. Haldir schüttelte fassungslos den Kopf. Der Mann würde die Reise nie überleben. Aber die Kriegerin war schon damit beschäftigt, den Mann unter den Achseln anzuheben. Sie strauchelte unter seinem Gewicht. Haldir lief zu ihr und packte mit an. Wenn der Gondorianer einen annährend so starken Willen hatte wie sie, bestand vielleicht doch noch Hoffnung darauf, daß er es bis in die Goldenen Wälder schaffen würde.
Bevor sie in das Boot stiegen, prüfte Laietha noch einmal den Atem und den Puls des Kriegers. Ihre Miene war besorgt. Schnell griff sie an ihren Hals und löste die Kette, die sie trug. Haldir atmete scharf ein. Sie trug ein grünes Juwel und der Elb wußte sehr wohl um seinen Wert. Es war ein seltener Stein, der sich seit vielen tausend Jahren im Besitz der Elben befand. Als der Stein die Haut des Verletzten berührte, begann er sofort zu leuchten. Die Atemzüge des Gondorianers wurden zusehends ruhiger und kräftiger. Der Elbenstein begann sofort, seine heilende Wirkung zu entfalten. Sie hatten nun in der Tat reelle Chancen, daß der Krieger die Reise nach Lothlorien überleben würde.
Als sie den schweren Mann ins Boot hoben, fiel das Horn, das gespalten an seiner Seite hing, ins Wasser und die Strömung riß es mit sich. Laietha bettete den Kopf Boromirs in ihren Schoß und strich ihm die Haare aus der fieberheißen Stirn. Haldir übernahm das Rudern und mit seiner Kraft kämpfte er tapfer gegen den Strom an und trug sie in Richtung Lothlorien.
****
Die Herrin des Lichts beugte sich über ihren Spiegel. Sie hatte es also wirklich geschafft. Anerkennend nickte sie. Die junge Kriegerin war stärker als erwartet. Aber alleine würde sie es nicht schaffen, ihren Liebsten zu retten. Sie hatte die Liebe in seinem und ihrem Herzen gesehen. Obwohl der Krieger versucht hatte, es vor ihr zu verbergen. Gandalf trat an ihre Seite. Sie ließ auch ihn einen Blick in den Spiegel werfen und der Zauberer lächelte. "Es sind auch noch andere Kräfte am Wirken in dieser Welt, nicht nur die des Bösen." Auch die Herrin des Waldes lächelte. Sie sah den Zauberer an und wußte was sie zu tun hatte.
****
Sieben Tage waren sie unterwegs und am Ende ihrer Kraft. Boromir stöhnte im Fieber und Laietha sprach beruhigend in der Sprache der Elben auf ihn ein. Sie griff nach der Phiole an ihrer Seite und flößte ihm behutsam die letzten Tropfen des stärkenden Tranks ein, den ihr Galadriel mitgegeben hatte. Sie rasteten nur wenige Stunden am Tage und doch waren sie noch mindestens einen Tagesmarsch von Lothlorien entfernt. Boromir warf sich im Fieber so stark hin und her, daß sie befürchteten, er würde das Boot zum Kentern bringen. Haldir steuerte sie ans Ufer. Er half Laietha den Mann aus dem Boot zu heben. Sie ging neben ihm in die Knie und begann zu weinen. Laietha war verzweifelt. So würden sie es nie schaffen! Aber sie konnten doch nicht so einfach aufgeben! Nicht so kurz vor dem Ziel. "Bitte, Boromir, halte durch. Boromir," weinte sie. Der Elb stand hilflos daneben. In der relativen Stille des Waldes hörten sie Pferdegetrappel. Sie erstarrten und Laietha wurde schlagartig still.
Aus dem Dickicht trat eine Gruppe Elben aus Galadriels Gefolge. "Eglerio!" rief Laietha aus und auch Haldir seufzte erleichtert. "Bei den Valar, ich bin froh euch zu sehen!" Die Elben saßen ab und liefen zu der Gesellschaft. "Die Herrin des Waldes schickt uns. Sie erwartet euch." Einer der Elben trat zu Laietha und Boromir und sprach: "Schnell, gebt mir den Verwundeten. Ich werde ihn sicher zu ihr bringen." Sie übergaben ihnen frisches Wasser und etwas zu Essen, was sie dankbar annahmen. Dann nahm der eine Elb Boromir vorsichtig auf sein Pferd und verschwand so rasch, wie er gekommen war. Die anderen blieben bei ihnen und ließen sie sich etwas stärken. Nach einer Weile folgten sie ihnen.
Eglerio! = Seid gepriesen!
