Disclaimer: HdR- Tolkiens - Laietha - meins ;-)

Kapitel 9 - Der Aufbruch

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Am Abend des 22. März traf Galadriel Boromir und Laietha auf den Fluren. Der Krieger sah viel besser aus als noch wenige Tage zuvor. Er konnte schon wieder ohne Hilfe laufen und begann seine Kräfte wiederzugewinnen. Galadriel lächelte. "Ihr macht gute Fortschritte, Herr Boromir." Er nickte dankend. "Eure Heiler verstehen ihr Handwerk. Ich denke, daß ich bald kräftig genug für die Reise sein sollte." Galadriels Miene versteinerte. "Ich habe Nachricht erhalten. Das Heer von Rohan hat sich auf den Weg nach Minas Tirith gemacht, denn man berichtet, daß Gondor ihre Hilfe bitter nötig habe." Boromir griff nach Laiethas Hand. Die Herrin des Lichts berichtete ihm was sie wußte und es waren alles andere als gute Neuigkeiten, die er bekam. "Wann denkt ihr kann ich aufbrechen?" fragte er unverblümt. Galadriel dachte einen Moment nach. "In einer Woche werde ich euch gehen lassen. Ihr seid noch schwach und sollte die Weiße Stadt belagert werden, werdet ihr alle Kraft brauchen, um euch zu verteidigen." Widerwillig stimmte er ihr zu. Von draußen hörten sie Geschrei. Zum dritten Mal fielen die Feinde aus Dol Guldur ein und ein Späher berichtete, daß ihre Zahl sich verdoppelt hatte.

Laietha wandte sich zum Gehen und Panik kroch in Boromir hoch. Zweimal hatte sie Glück gehabt. Vielleicht würde sie auch dieses Mal unversehrt heimkehren, aber... Galadriel hielt sie zurück. "Frau Annaluva, eure Schuld ist getilgt. Bleibt hier." Laietha wandte sich in der Sprache der Elben an die hohe Frau. "Ihr wißt so gut wie ich, daß ihr jeden braucht, der ein Schwert führen kann." Galadriel nickte. "Aber sollten die Feinde es diesmal schaffen, unsere Reihen zu durchbrechen, brauchen wir eure Hilfe hier noch nötiger." Einen Augenblick lang sahen sich die beiden Frauen an. Galadriel rechnete mit dem Schlimmsten und wenn Laietha a die letzten Schlachten dachte, war die Vorsicht der Herrin des Waldes angebracht. Vielleicht würden Celeborns Männer sie diesmal nicht schützen können. Laietha nickte zustimmend.

Lange dauerte der Kampf dieses Mal und viele Verletzte wurden rasch in den Heiltrakt gebracht. Laietha, die von ihrem Bruder viel über Heilkünste gelernt hatte, machte sich bei der Versorgung der Verwundeten nützlich. Boromir hatte sein Bett geräumt und saß auf einem Stuhl während er ihr bei der Arbeit zusah. Flink huschte sie von einem zum anderen. Es tat ihr in der Seele weh, diese schönen Wesen verstümmelt oder entstellt zu sehen. Beruhigend sprach sie auf die Elben ein, legte Verbände an oder spendete Trost bei denen, für die jede Hilfe zu spät kommen würde.

Ein weiteres Opfer der Schlacht wurde in die Räume geführt. Der Elb stützte sich auf einen anderen und hielt sich mit schmerzverzerrtem Gesicht die Schulter, aus der ein häßlicher schwarzgefiederter Pfeil ragte. Laietha lief zu ihm und stieß einen entsetzten Schrei aus. "Haldir!" Sie übernahm ihn in ihre Obhut und schickte den anderen Krieger davon, der sich sofort auf den Weg machte, um sich wieder ins Kampfgetümmel zu stürzen.

Haldir nahm mit einem Aufstöhnen Platz auf dem Bett. Schnell entfernte sie seine Kleidung. "Da werden Erinnerungen wach, Annaluva," preßte er durch die zusammengebissenen Zähne hervor. Ein Lächeln huschte über ihr Gesicht, aber sie sah nicht zu ihm auf. "Halt still. Es wird gleich wehtun." Der Elb verzog das Gesicht, als sie die Wunde untersuchte. "Leg dich hin, Haldir," befahl sie sanft. Erschöpft ließ er sich in die Kissen sinken. Laietha zog den Pfeil so vorsichtig wie möglich heraus. Der Elb gab einen Schmerzensschrei von sich. "Du warst schon mal sanfter mit mir, Annaluva." Laietha nahm ein sauberes Tuch und verband die Wunde. "Die Zeiten sind vorbei. Ich bin kein kleines Mädchen mehr." Sie sah ihm in die Augen. "Sag mir wie es steht, Haldir."

Er schluckte und sammelte Kraft zum Sprechen. "Es sind viele, aber wir halten Stand. Größtenteils sind es Orks, auch ein paar Bilwißmenschen und... aber meist Orks. Die Schlacht wird nicht länger als zum Morgengrauen anhalten und bis dahin halten wir durch." Die Kriegerin sah sich im Raum um. So viele Verletzte! Wer wußte denn schon, wie viele Tote es gab. "Thranduil aus dem Düsterwald hat ihre Reihen gelichtet. Er selbst will Dol Guldur angreifen. Gemeinsam werden wir sie vernichten können." Laietha strich ihm die blonden Haare aus dem Gesicht. "Schlaf jetzt. Für dich ist die Schlacht vorbei. Du mußt dich ausruhen." Haldir schenkte ihr ein gequältes Lächeln. "Was ist mit einem Gutenachtkuß, Annaluva?" Laietha schüttelte lächelnd den Kopf. "Schlaf, du unmöglicher Elb!"

Wenige Stunden vor Sonnenaufgang gaben sich die Feinde geschlagen. Die Elben hatten schwere Verluste erlitten - Männer und Land. Celeborn sammelte bereits wieder seine Soldaten. Sie würde ohne Gnade zurückschlagen, bis sie die Orks aus den Wäldern vertrieben und die Kräfte Dol Guldurs besiegt hatten. Celeborn hatte Boten zu Thranduil geschickt, damit sie ihre Schlachtpläne koordinieren konnten.

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Boromir gähnte. Er hatte die ganze Nacht kein Auge zugetan. Von überall her hörte man das Stöhnen der Verletzten, das Weinen der Sterbenden. Es lief ihm kalt den Rücken herunter. Draußen ging die Sonne auf und die Vögel erwachten in ihren Nestern. Sie begannen, mit fröhlichem Gesang den Tag zu grüßen und die Blumen reckten der Sonne ihre hübschen Köpfe entgegen, während das goldene Licht das Zimmer flutete - so als wäre nichts von alledem geschehen. Der Krieger erhob sich und ging zu Laietha, die immer noch unermüdlich bei der Arbeit war. Sie stand am Bett eines jungen Elben, der einen bösen Schnitt quer über das Gesicht erlitten hatte.

Boromir musterte ihn. Er mußte vorher sehr schön gewesen sein. Heiße Tränen rannen über das Gesicht des Elben und seine Worte gingen im Schluchzen unter. Laietha streichelte sanft seine Hand und flüsterte beruhigend auf ihn ein. Es half nichts. Der Elb war untröstlich. Alarmiert sah Boromir auf einmal, wie seine Hand zu dem Dolch an seiner Seite glitt, aber Laietha war wachsam gewesen. Der Elb schrie verzweifelt, aber sie wand ihm sanft die Waffe aus der Hand und küßte ihn auf die Stirn. Er warf sich schluchzend an ihre Brust und sie strich ihm über das Haar, weiter auf ihn einflüsternd. Boromir verstand nichts was sie sagte, nur ein Wort machte er deutlich aus - Valinor. Sie wiegte ihn eine Weile lang sachte in den Armen und ließ ihn schließlich zurücksinken. Seine offenen Augen starrten an die Decke und er bewegte sich nicht mehr.

Ein kalter Schauer überlief Boromir und als Laietha sich zu ihm umdrehte, wischte sie sich eine Träne aus dem Augenwinkel. Boromir schloß sie beschützend in seine Arme. "Ist er tot?" fragte er leise. Sie schüttelte den Kopf. "Nein, er schläft. Er wird leben." Mit einem besorgten Blick auf ihre Augenringe, zog er sie aus dem Raum. "Du mußt dich ausruhen. Laß uns nach draußen gehen." Willenlos ließ sie sich von ihm auf den Waldboden führen und sie liefen eine Weile schweigend nebeneinander her. Schließlich setzten sie sich unter einen der mächtigen Bäume.

Boromir hielt sie in seinen Armen und strich ihr sachte über die Arme. Ihr Körper erzitterte und er bemerkte, daß sie leise weinte. Er küßte sie auf den Scheitel, fand aber keine Worte, um sie zu trösten. Nach einer Weile begann sie von selbst zu sprechen. "Es ist furchtbar. Er hat mir so leid getan." Boromir streichelte ihren Kopf. "Warum wollte er dich angreifen?" Laietha schluckte. "Er wollte nicht mich, sondern sich selbst töten." Boromir erschauderte. "Was hast du ihm gesagt? Ich habe nur ein Wort ausmachen können - Valinor." Laietha lehnte sich gegen ihn und schloß die schmerzenden Augen. In ihren Ohren gellten noch immer die Schmerzensschreie der Verwundeten und Todgeweihten. Boromir strich ihr übers Haar. "Was bedeutet Valinor?" Laietha holte Luft und begann zu erklären.

"Elben sind unsterblich. Er wird diese Narbe bis in alle Ewigkeit tragen müssen. Die Elben sind die schönsten Wesen dieser Welt. Es macht mich schrecklich traurig, sie so leiden zu sehen. Er wird diese Welt verlassen und in die Unsterblichen Lande von Valinor reisen. Nur dort werden sein Körper und seine Seele Heilung erfahren können." Ihre Stimme zitterte und Boromir hatte sie noch nie so verletzlich gesehen. Sie erzählte ihm von der Mutter ihrer Brüder, die von Orks überfallen und verstümmelt wurde und ebenso diese Welt verließ.

Boromir dachte an seinen Vater, der ihn stets zum Stolz auf sein eigenes Volk erzogen hatte und er dachte daran, wie er Aragorn angefahren hatte, weil er den Elben mehr zu vertrauen schien als den Menschen. Er hatte damals gedacht, daß Laietha so viel stärker wäre als ihr Bruder, weil sie sich auf ihre Abstammung aus dem Geschlecht der Menschen besann, doch nun mußte er mit Erstaunen feststellen, daß sie sich beiden Kulturen verbunden fühlte. Er bedauerte seine Worte Aragorn gegenüber. Boromir hatte die Elben für eitel, leichtlebig und arrogant gehalten. Er mußte seine Meinung ändern. Diese Wesen waren furcherregende Krieger und mit nicht geringem Neid hatte er gesehen, wieviel Weisheit sich hinter ihrem albernen Gehabe verbergen konnte. Zu wenig wußte er über dieses Volk, dem sich seine Liebste so sehr verbunden fühlte, als daß er Laietha hätte Trost spenden können und so hielt er sie einfach nur fest im Arm, bis sie nicht mehr weinte und erschöpft einschlief.

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Nach einigen Stunden erwachte sie und weckte Boromir, der auch eingeschlafen war mit einem zärtlichen Kuß. Sie spürten beide Hunger in sich aufsteigen und machten sich auf den Rückweg zu ihrem Zimmer. Als sie fast dort waren, kam ihnen Haldir entgegen stolziert. Er hatte seinen Arm in einer Schlinge und der weiße Verband war das einzige was von seiner Verletzung zeugte. Die Wunden eines Elben heilten erstaunlich schnell. Er grüßte sie mit einem breiten Lächeln. "Hey, Annaluva! Herr Celeborn rüstet die Armee zum Gegenschlag. Wirst du uns begleiten?" Laietha sah sich mit geübten Blick die Wunde an seiner Schulter an. "Meinst du im Ernst, daß du sie begleiten wirst, Haldir?" Der Galadhrim lachte. "Natürlich. Also, wirst du mit uns kommen?" Boromir sah sie erwartungsvoll an. Laietha schüttelte den Kopf. "Nein. Wir werden uns in einer Woche auf den Weg nach Gondor machen. Ich werde diesmal nicht an deiner Seite kämpfen. Ein anderes Mal vielleicht." Der Waldelb zuckte mit den Schultern. "Und, Herr Boromir, seid ihr zu eurer Mahlzeit gekommen als ich euch das letzte Mal gesehen habe?" Er grinste spitzbübisch und erhoffte sich, daß Boromir ihm von einer schallenden Ohrfeige von Laietha berichten würde, aber der Mann legte seinen Arm um ihre Hüfte und zog sie mit einem breiten Lächeln fest an sich. "Ich danke euch für euren Unterricht. Ja, mein Hunger ist gestillt worden." Innerlich kochend, mit einem gequälten Lächeln verabschiedete sich Haldir von ihnen und sie begaben sich ins Haus, um zu frühstücken.

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Drei Tage später erwachten sie mitten in der Nacht von einem entsetzlichen Lärm. Schnell sprangen sie auf und liefen zum Fenster. Der Himmel war so rot, als hätte man ihn in frisches Blut getaucht. Laietha riß entsetzt die Augen auf. Boromir nahm sie in den Arm. "Was ist das?" brachte sie stockend hervor. Boromir blickte lange nachdenklich in die Ferne. "Der Schicksalsberg. Etwas ist dort im Gange."

Er unterdrückte die aufsteigende Furcht. War das der Triumph des dunklen Herrschers? War seine Stadt gefallen und dieses schreckliche Leuchten das Freudenfeuer Saurons? Er war sein ganzes Leben lang im Schatten dieses brennenden Berges aufgewachsen. Wie oft war er als Kind mitten in der Nacht aufgeschreckt und hatte den Berg in Flammen aufgehen sehen. Wie oft war Faramir weinend zu ihm ins Bett geklettert, weil ihn das gräßliche Feuerwerk Saurons geängstigt hatte. Boromir hatte den Kleinen immer versucht zu beruhigen, obwohl er selbst vor Angst gezittert hatte. Wie viele seiner Freunde, Kameraden, Ausbilder hatte er durch die Hände von Saurons Schergen verloren. Wie viele Leben würde dieser Krieg noch fordern. Was würde er vorfinden, wenn er in seine Stadt zurückkehrte. Plötzlich verspürte er den Drang, sofort aufzubrechen. Er fühlte sich wieder stark genug. Was würden vier Tage noch verbessern oder verschlechtern an seiner Gesundheit. Sein Herz zerriß ihn vor Sorge. Sein Vater, sein Bruder - was war mit ihnen geschehen, wenn dies das Triumphgeheul der Finsternis war?

"Boromir?" Er sah sie an. Laietha schien schon länger mit ihm gesprochen zu haben, denn ihr Blick war besorgt. "Boromir, bitte, sag etwas!" Er strich ihr über die Wange. "Wir werden morgen früh aufbrechen." Schnell legte er ihr den Finger auf die Lippen, als sie protestieren wollte. "Ich fühle mich wieder blendend." Ihr Blick verriet, daß sie die Lüge durchschaut hatte. Schnell schenkte er ihr ein Lächeln. "Oder kam ich dir noch so schwach vor, letztens im Wald bei unserem..." er grinste breit, "...Picknick." Laietha senkte den Kopf. Sie machte sich ja selbst Sorgen um Aragorn. Schließlich wußte sie weder, wohin ihr Bruder gegangen war, noch ob er an seinem Ziel angekommen war. "Nein. Du hast völlig Recht. Wir sollten morgen aufbrechen. Ich werde gleich in der Frühe mit Frau Galadriel sprechen." Es würde lange genug dauern, bis sie in Gondor angekommen waren.

Der Schicksalsberg tobte bis in die frühen Morgenstunden und Laietha und Boromir lagen dicht beieinander, keiner fähig zu schlafen. "Erzähl mir vom Meer, Boromir," flüsterte sie gegen seine Schulter als eine weitere Eruption den Schicksalsberg zu schütteln schien. Er lächelte und küßte ihre Schulter.

"Ich war einmal mit meinem Bruder am Meer, als er kaum 14 war. Er hatte es sich so gewünscht und wir gingen jeden Abend an die selbe Stelle der Klippen, um die untergehende Sonne zu beobachten." Sie hatten ihren Onkel Imrahil in Dol Amroth besucht und Boromir mußte an seine Mutter denken. Dol Amroth -das würde für ihn immer Finduilas bedeuten.

Laietha spielte mit seinem Haar und legte ihren Kopf auf seine Brust. "Ist das nicht langweilig? Es muß doch immer gleich ausgesehen haben." Er lachte leise, aus seinen Erinnerungen gerissen. "Nein. Das Meer ist nie gleich. Der Himmel schimmerte jeden Abend in anderen Farben, das Wasser war einmal tiefblau, dann smaragdgrün, dann türkis oder so grün wie deine Augen. Der Wind strich uns durch die Haare und die Luft roch nach Salz. Wenn du dir die Lippen lecktest, konntest du es schmecken. Die Gischt spritzte gegen die Felsen und uns ins Gesicht. In der Ferne sahst du die Sonne untergehen - manchmal als feurigen Ball, manchmal als Widerschein in den Wolken." Das Meer - was würde er dafür geben, noch einmal so jung wie damals zu sein, ohne all die Sorgen um sein Land zu tragen, ohne die Grausamkeiten seines Vaters zu bemerken. Laietha seufzte leise. "Erzähl mir mehr vom Meer," bat sie. Boromir lächelte und schloß die Augen. "Die Seevögel kreisen über dir und du fühlst dich so frei, als gäbe es auf einmal nichts anderes mehr. Wenn du siehst, mit welcher Unermüdlichkeit das Wasser dem Strand Kieselstein um Kieselstein raubt und als Gegenleistung wunderbare Sachen ans Ufer schwemmt, fühlst du dich gleichzeitig unbedeutend, klein, vergänglich und auf eine andere Art Teil dieser Unendlichkeit." Laietha fuhr mit ihrem Finger seine Lippen nach und lächelte versonnen. Boromir küßte ihre Fingerspitzen und sie sah ihn an, als wäre sie eben erst aus einem Traum erwacht. "Das hört sich wunderschön an." Seine Hand fuhr ihren Rücken entlang. "Das ist es auch." Er sah sie lange an, langsam begreifend, wie glücklich er war, sie zu haben. "Kann man das Meer von deiner Stadt aus sehen?"

Seine Stadt, sein Bruder, sein Vater...

"Wenn man auf dem höchsten Turm steht und gute Sicht hat - ja." "Ich will das Meer sehen, Boromir. Ich will mit dir das Salz riechen und die Schätze suchen, die das Wasser preisgibt." Und Boromir wünschte sich sehnlichst das Gleiche. Wenn wieder Frieden herrschte.

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Galadriel war zuerst nicht begeistert davon, daß die beiden schon so früh aufbrechen wollten. Die Grenzen wimmelten von Orks und sie hielt Boromir noch nicht für kräftig genug, die lange Reise zu überstehen. Aber sie sah ein, daß dieser Zeitpunkt so gut wie jeder andere sein mochte. Die Herrin des Waldes ließ ihnen Proviant und Ausrüstung geben. Sie sollten mit einem Boot den Anduin hinunterfahren, obwohl diese Strecke gefährlich war, denn sie bildete die Grenze zwischen den Streitmächten Dol Guldurs und Lothloriens. Als sie am Flußufer standen, kam ein Bote herbeigeeilt und flüsterte Galadriel etwas zu. Sie begann zu lächeln. "Ich fürchte, ihr werdet nicht auf dem Fluß reisen. Kommt mit mir."

Verwundert sahen sie sich an und Boromir konnte sich gerade einen bissigen Kommentar verkneifen, denn er war ungeduldig, endlich aufzubrechen. Als sie auf dem großen Platz unter den Blättern des riesigen Baumes, der den Palast von Galadriel barg ankamen, rissen die Menschen erstaunt die Augen auf. Ein schwarzes und ein braunes Pferd kamen sofort auf sie zugaloppiert. "Ascar!" rief Laietha froh. Das Pferd rieb seinen Kopf an ihrer Schulter und schnaubte zufrieden. Auch Boromir streichelte glücklich den Hals seines Hengstes. Die beiden konnten gar nicht fassen, daß die Tiere ihnen so weit gefolgt waren. Aber das war nicht die einzige Überraschung, die sie erwartete, denn aus dem Baum stiegen zwei hochgewachsene dunkelhaarige Männer in glänzender Rüstung herab.

Laietha stieß einen Freudenschrei aus. "Elrohir! Elladan!" Ungeachtet der umstehenden Elben und der Herrin des Waldes, rannte sie auf die beiden zu, die sie mit offenen Armen empfingen. "Elrohir, muindor! Le nach kuila!" Weinend warf sie sich in seine Arme. Der Elb schmunzelte und preßte sie an sich. "Ja, ich lebe. Es geht mir gut, Schwesterchen." Laietha ließ von ihm ab und sah ihn mit großen Augen an. "Aber die Warge...wie konntest du? Es waren doch so viele! Ich dachte, du wärst tot! Ich habe mir solche Vorwürfe gemacht...ich..." Er verschloß ihre Lippen mit einem Kuß. "Elladan kam und hat mir geholfen." Die Frau sah den anderen Elben überglücklich an und umarmte ihn heftig. Sie verschoben ihre Abreise um einen Tag, sehr zu Boromirs Bedauern.

Den ganzen Abend über saßen sie zusammen und Elladan und Elrohir mußten Laietha erzählen, was passiert war, nachdem sie in die Berge gelaufen war. Sie riß erstaunt die Augen auf und lächelte überglücklich. Immer wieder nahm sie Elrohirs Hand. Boromir seufzte resigniert, immer, wenn sie sich in der Sprache der Elben unterhielt. Mit einem Seitenblick auf Boromir fragte Elrohir: "Was ist mit dir, Schwester, hast du gefunden, wonach du gesucht hast?" Lachend ergriff sie Boromirs Hand und drückte sie fest. Der Elb sah sie lange an und umschloß schließlich die Hände der beiden. "Ich sehe, daß deine Mühen nicht umsonst gewesen sind, Schwesterchen."

Das Beisammensitzen ging bis in die frühen Morgenstunden. Elladan hatte nun die Aufmerksamkeit seiner Schwester für sich gewonnen und erzählte ihr alle Neuigkeiten aus Bruchtal. Boromir beobachtete sie mit einem Lächeln in den Mundwinkeln, als Elrohir plötzlich leise zu ihm sprach. "Wenn ich du wäre, würde ich gut auf sie achtgeben, oder du wirst meinen und den Zorn meiner Brüder zu spüren bekommen." Boromir sah ihn ernst an. "Das werde ich nicht, keine Sorge. Sie bedeutet mir sehr viel. Ich wäre ein Dummkopf, wenn ich sie nicht hüten würde, wie einen Schatz." Elrohir hob eine Augenbraue und erinnerte Boromir in diesem Augenblick nur zu sehr an Herrn Elrond. "Wir werden ja sehen," knurrte der Elb.

Als sie zu Bett gingen, achteten die beiden Elben genau darauf, daß Laietha sich in ihr eigenes Bett legte. Sie warf Boromir ein entschuldigendes Lächeln zu. Er mußte grinsen. Die beiden Elben starrten mit offenen Augen aus dem Fenster. Wurden sie denn nie müde, fragte sich Boromir im Stillen. Er drehte sich auf die Seite und sah sehnsüchtig zu Laiethas Bett hinüber. Ein Seufzer entrang sich seiner Kehle und er drehte sich mit einem frustrierten Stöhnen wieder auf die andere Seite. Es dauerte nicht lange und er hörte nackte Füße über den Boden schleichen und kurz darauf hob sich seine Decke und ihr warmer Körper schmiegte sich an seinen Rücken. Geschwind drehte er sich um. "Bist du des Wahnsinns? Sie werden mich ausweiden, wenn sie dich hier sehen," zischte er. Laietha versiegelte seine Lippen mit ihren. "Keine Angst, sie schlafen." Boromir schielte über seine Schulter und blickte in Elrohirs - ? - geöffnete Augen, die ihn ansahen. Zu seiner Überraschung unternahm der Elb nichts. Laietha kicherte und dann fiel es ihm wieder ein - Elbenschlaf. Er schüttelte den Kopf. Daran würde er sich nie gewöhnen, auch wenn er es bei Legolas oft genug gesehen hatte. Er war froh, daß Laietha ein Mensch war. "Sie werden bald aufwachen, aber einen Moment haben wir für uns." Er lachte leise. Laiethas Finger strichen über seinen Bart. "Der alte Bilbo läßt dich grüßen. Er sagt, du sollst mich gut behandeln, weil ich dir sonst davonlaufe." Boromir küßte sie. Das mußte man ihm wahrlich nicht zweimal sagen. "Niemals, Herrin. Diesmal höre ich auf ihn und sobald ich etwas Seil habe, werde ich dich festbinden und dann läufst du mir nie mehr davon. Ich lasse dich nicht mehr gehen."

Sie lagen eine Weile so beisammen und Laietha gähnte, denn die letzte Nacht ohne Schlaf machte sich bemerkbar. Boromir gab ihr einen Klaps auf den Po. "Geh in dein Bett, bevor du hier einschläfst und dein Bruder mich umbringt." Sie gab ihm einen letzten Kuß und schlich in ihr Bett zurück. Boromir warf ihr noch eine Kußhand zu und bald waren sie eingeschlafen.

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Am nächsten Morgen rüsteten sie sich endgültig zum Aufbruch. Boromirs Verletzungen waren noch einmal versorgt worden und Galadriel hatte inzwischen kaum noch Bedenken wegen seiner Reise. Der Mann war erstaunlich stark.

Boromir hatte sehr gute Laune, denn nun würden sie sich endlich auf den Weg in seine Heimat machen - so sehr er die Goldenen Wälder mochte. Als sie bei den Pferden angekommen waren, kam Ascar sofort auf Boromir zu und stupste ihn an, so daß der Mann fast das Gleichgewicht verloren hätte. Der Gondorianer sah den Hengst fragend an. "Was hast du denn, Ascar? Ist etwas nicht in Ordnung?" Das Tier schubste ihn erneut, diesmal fordernder und vergrub seine Nüstern an Boromirs Seite. Der Mann begriff plötzlich, was das Tier von ihm wollte und brach in Gelächter aus. "Ach so. Du willst etwas haben! Tut mir leid, mein Guter, aber diesmal habe ich nichts für dich." Er zeigte dem Rappen seine leeren Hände. Das Pferd schnaubte und stieß ihn mit der Schnauze an und Boromir prallte unsanft gegen Laietha. Ascar ließ nicht locker. Er fuhr so lange fort, Boromir in den Rücken zu stoßen, bis er mit einem Seufzer nach ihren Vorräten griff und die heißbegehrte Karotte hervorzauberte. "Hier, du gieriges Tier!" brummelte er. Laietha lachte laut. "Es ist deine eigene Schuld, denn er weiß genau, wo es etwas zu holen gibt." Boromir küßte sie flüchtig. "Er ist genauso fordernd wie du." Sie grinste breit.

Sie sattelten die Pferde und machten sich auf den Weg nach Gondor.

Elrohir ritt dicht neben Laietha. "Wenn er dich noch einmal nachts in sein Bett lockt, bringe ich ihn um." Sie lachte und zerzauste ihm das Haar. "Vielleicht interessiert es dich, daß er um meine Hand angehalten hat." Der Elb sah mit hochgezogenen Brauen an. "Er kann vor dir um deine Hand anhalten, sooft er will, aber ich würde zu gerne sein Gesicht sehen, wenn er mit dieser Bitte vor Vater treten muß." Laietha seufzte. Es war nicht einfach, die kleine Schwester von drei großen Brüdern zu sein.

Elrohir, muindor! Le nach kuila! = Elrohir, Bruder! Du lebst!