@shelley: er hat es Aragorn ja schon in dem Brief geschrieben und wollte sicher nicht so etwas sagen wie: „Ich habe Probleme mit Deinem Auftrag und übrigens, Du kümmerst Dich nicht um die Zustände in Deiner Stadt." :)

Habe übrigens in Kapitel 7 einen schönen Rechtschreibfehler gefunden. – „Haldir faltete den Brei zusammen -." *lach* Ist jetzt aber korrigiert.

Kapitel 9

Nacht

            „Was?" Haldir war geschockt. „Seit wann?"

            „Ich wollte sie gerade ins Bett bringen. Keera ist vor einer Stunde gegangen und Alys wollte noch etwas spielen. Als ich in ihr Zimmer kam, war sie weg."

            „Wir haben schon alles durchsucht. Das Haus, die Höhle. Sie ist nirgendwo zu finden." Dolphren tauchte hinter seiner Schwester auf, ebenfalls zum Aufbruch bereit. Kaluus breite Gestalt füllte hinter ihm den Türrahmen. „Wir werden jetzt in kleinen Gruppen die Umgebung abgehen, vielleicht ist sie noch in der Nähe."

            „Dolphren, vielleicht solltest Du hier bleiben, falls sie zurückkommt", schlug Maeva vor. Er schüttelte energisch den Kopf.

            „Falls Du Dir Sorgen um meine kaputten Knochen machst, lass es gut sein. Ich merke nur die Wetterumschwünge, den Regen aber nicht." Er grinste kurz. „Schwesterchen, Du gehst mit Haldir, ich mit Kaluu, und die Männer bilden auch noch vier Gruppen. Wir treffen uns im Morgengrauen wieder hier. Mach Dir keine Sogen." Er legte Maeva die Hand auf die Schulter und drückte sie kurz. „Es wird alles gut."

Sie schenkte ihm ein zittriges Lächeln und atmete tief durch. Dann stapfte sie entschlossen durch das Tor und direkt in den prasselnden Regen. Haldir folgte ihr ohne zu zögern.

Inzwischen war das Grollen des Regens zu einem Gewitter angeschwollen. Blitze rasten über das nächtliche Firmament und beleuchteten die schmutzigen Gassen alle paar Sekunden taghell. Die Gewalt des Donners ließ selbst Haldir hin und wieder den Kopf einziehen, da es schien, als wolle der Himmel auf die Erde stürzen.

Maeva und er durchsuchten jeden Winkel der Gassen, die sie passierten und gerieten so mit jedem Schritt weiter in das elende Viertel, in das sie ihn schon einmal geführt hatte. Er wusste nicht, warum sie derart direkt vorwärts schritt, aber er ahnte, das sie genau wusste, was sie tat.

Die baufälligen Hütten wurden vom Sturm hin und her geschüttelt und dass die heftigen Böen nur einige Holzbretter verwehten, war noch das Mindeste, dass Haldir erwartet hatte. Nur wenige andere Menschen waren zu dieser Uhrzeit auf der Strasse und stoben hektisch von einem sicheren Unterstand zum nächsten, um in dem inzwischen knöchelhohen Schlamm unbehindert voranzukommen.

Maeva kümmerte sich nicht um die herumfliegenden Bauteile, sondern ging zielstrebig auf ein großes, doppelstöckiges Gebäude zu, hinter dessen Fenstern einheimelende Lichter schienen. Kein Schild kündigte ein Gasthaus, lediglich eine rote Laterne wurde vom Wind in die Waagrechte geweht.

Maeva hob die Hand und ließ die Hand auf das Holz der Tür niederkrachen, mit einer Wucht, die von ihrer Verzweiflung sprach. Zuerst tat ich nichts, doch als Maeva das Klopfen wiederholen wollte, erklang auf der Rückseite der Tür das Schnappen eine Riegels und die Pforte öffnete sich einen Spalt. Ein neugieriges Augen lugte nach draußen, dann schwang die Tür auf und in der Öffnung erschien eine füllig Frau, deren Kleidung wenig im Unklaren ließ.

Ihr Mieder war derart tief ausgeschnitten, dass Haldir erwartete, bei einer schnellen Bewegungen könnten ihre Brüste hervorspringen, über das Ende des Schlitzes in dem halb durchsichtigen Rock wagte er gar nicht nachzudenken.

            „So", sagte die Hure und stemmte die Hände in die Hüften. „Da bist Du wieder. Ich wollte Dir gerade eine Nachricht schicken. Komm rein, Dein Kind ist oben."

***

            „Schläft wie ein Engelchen", sagte die Frau und öffnete eine Zimmertür im ersten Stock. Haldir blickte hinein und sah Alys, die zusammengerollt in einem großen Bett lag, die Decke eng um ihren schmalen Körper geschlungen und offensichtlich unverletzt. Maeve neben ihm schlug für einen Moment die Hände vor das Gesicht und gab einen Seufzer der Erleichterung von sich.

            „Danke, Dinah", sagte sie und rang mit ihrer Fassung. „Du weißt gar nicht, was mir das bedeutet."

Die Hure grinste und ihr unter einer dicken Schicht Puder maskenhaft gezeichnetes Gesicht verzog sich das erste Mal in einen Ausdruck wahrer Wärme. Sie schloss fast andächtig die Tür. Ein engumschlungenes Pärchen drückte sich an ihnen vorbei, um den Raum nebenan zu betreten und Haldir nahm eine Mischung zwischen Alkohol, Schweiß und billigem Parfum wahr, die ihn anekelte. Dinah wartete noch einen Moment, dann fuhr sie fort:

            „Eines der Mädchen hat sie einige Straßen weiter aufgelesen und hergebracht, hast uns ja gebeten, die Augen aufzuhalten für Dich." Sie legte den Kopf schräg wie ein neugieriger Vogel. „Hab ja schon viel gehört von Deinem neuen Stand, aber so was Feines hätte ich nicht erwartet. Hält Dich dieser Dolphren gut aus?"

Haldir starrte Maeva fassungslos an und sie wich seinem Blick aus, zum ersten Mal seit sie sich kannten.

            „Er hält mich nicht aus, ich arbeite für Dolphren, aber nicht so, wie Du das meinst. Er ist ein guter Mensch und in seinen Augen bin ich seine Schwester."

Das erklärte für Haldir die mangelnde Familienähnlichkeit zwischen den Herrschaften des Gildenhauses und auch, warum Maeva offensichtlich Männer verabscheute. Sie war das gleiche gewesen wie die Frau, die jetzt mit ungläubigem Gesicht ihnen gegenüber stand. Eine Dirne.

Die Erkenntnis traf ihn wie einen Schlag und Maeva musste die Ablehnung in seinem Gesicht gelesen haben, da sie nun wieder stolz den Kopf hob, als Dinah kurzatmig hervorstieß:

            „Ja, klar. Wahrscheinlich ist er so brüderlich wie Du zu Deinen Männern schwesterlich warst, Schätzchen. Mach Dir nichts vor. Wer einmal ganz unten ist, kommt nie mehr frei, egal wie sehr er strampeln wird. Das bring besser mal der Kleinen da drin bei. Ich wette, sie hat keine Ahnung, was Du früher mal gemacht hast, wie Du Dich erniedrigt hast, nur um -."

            „Das reicht jetzt", befahl  Haldir plötzlich, denn er konnte nicht mehr mit ansehen, wie Maeva mit jedem bösartigen Wort immer betroffener wurde. Die Hure klappte abrupt den Mud zu. Erst in diesem Moment schien sie zu begreifen, wer und was Haldir war und vor allem, um wie viel er größer war als sie. „Zügelt Euer schamloses Mundwerk, sonst wird es Euch Leid tun."

            „Aha, wohl ein anderes zügelloses Mundwerk schon genossen, dass Ihr Euch so sehr für die Besitzerin einsetzt."

Haldir hatte noch niemals in seinem Leben eine Frau geschlagen, doch in diesem Moment war er kurz davor. Er machte einen Schritt nach vorne, doch lediglich, um das Zimmer wieder zu betreten und ignorierte die beschwichtigende Geste von Maeva. Alys erwachte nicht, als er sie sanft in die Bettdecke und die trockene Seite seines Umhangs einhüllte und auf den Arm nahm.

Ihr Kopf sank an seine Schulter und ohne einen weitren Kommentar trug Haldir das Kind aus dem Zimmer und die Treppe hinunter. Maeva verharrte noch einen Moment auf dem Absatz, beeilte sich aber dann, ihm zu folgen. Die Tür des Hurenhauses schlug laut hinter ihnen zu, als sie wieder in die Nacht hinaustraten.

***

Im Laufschritt, um Alys vor den tobenden Elementen zu beschützen, legten sie den Weg ins Gildenhaus zurück. Haldir merkte einmal, wie sich das Kind an seiner Schulter regte, doch er legte schützend seine Hand auf ihren Kopf und dann entspannte sie sich wieder.

Als er sie ins Trockene trug, war sie bereits wieder eingeschlafen, trotz des Gewitters, das sich mit unverminderter Wucht am Himmel austobte. Auch als er sie in ihr Zimmer brachte und aus dem nassen Stoff auswickelte, um sie unter ihre warme Decke zu betten, wurde sie nicht wach, sondern kuschelte sich lediglich mit einem leisen Seufzer in ihr Kissen.

Haldir strich ihr einen Regentropfen vom Gesicht und richtet sich dann auf. Maeva stand Im Flur und wartete auf ihn, als er sachte die Tür hinter sich schloss. Es war dämmerig in dem Korridor und ihr Gesicht lag im Schatten, doch er musste sie nicht sehen, um zu wissen, dass sie weinte.

Er blieb vor ihr stehen und sah auf ihren gesenkten Kopf hinunter, ihre leicht zuckenden Schultern. Sie wollte sich abwenden, an der Wand entlang an ihm vorbeigehen, doch aus einem Impuls heraus hielt er sie an der Schulter fest. Maeva listete keine Gegenwehr, als er sie vorsichtig in seine Arme zog und festhielt, als sei er die einzige Stütze, die sie brauchte. Sie standen eine Weile so beieinander, bis Maeva sich beruhigt hatte. Er erwartete, dass sie sich zurückziehen würde, doch  schien sie nicht den Wunsch zu haben, ihre unvermittelte Nähe zu beenden.

Ihr weiches Haar kitzelte ihn am Hals und obwohl sie von Kopf bis Fuß durchnässt war, roch sie so gut, dass Haldirs Körper unmittelbar auf ihre Nähe reagierte. Seine Hose wurde ihm zu eng und er spürte, wie sich ihre Hüfte gegen seine Lenden drückte. Ob sie es darauf anlegte, wusste er nicht und es war auch nicht die Frage, die er sich stellen sollte.

Wenn er die Situation rational durchdachte, wurde ihm klar, dass er einen großen Fehler beging. Immerhin spürte er ein unbändiges Verlangen nach dem weiblichen Kopf eines Verbrecherringes, den er eigentlich zur Strecke bringen sollte. Zudem stand er mit ihr an einem öffentlichen Ort, an dem jeder sie würde sehen könne. Er vermochte sich gar nicht auszumachen, was der Hausherr tun würde, wenn er sie beide in einer derartigen Lage vorfand.

Der Gedanken an Dolphren ernüchterte Haldir wieder ein wenig. Er hatte keinen Zweifel daran, dass das Verhältnis zwischen Maeva und dem Mann, den sie ihren Bruder nannte, wirklich freundschaftlich war, doch es beunruhigte ihn trotzdem was, er über Maevas Vergangenheit gehört hatte.

Sie hob den Kopf, als sie das Zögern in seinem Körper wahrnahm und blickte ihn fragend an, wie aus einer Trance erwacht. Auch sie schien erst begreifen zu müssen, wie nahe sie sich plötzlich gekommen waren. Noch immer waren ihre Körper miteinander verschlungen und sie musste spüren, dass sie ihn erregte.

Erst jetzt bemerkte er, dass sie vor Kälte und Anspannung zitterte.

            „Geht es Dir gut?"

            „Ja, alles in Ordnung", flüsterte sie und er wusste, dass sie log. Sie rührte ihn an mit ihrer Hilflosigkeit, die sie zu überspielen versuchte und mit dem tapfren Lächeln, das sie auf ihr Gesicht zwang. „Ich denke, ich sollte schlafen gehen."

            „Ja."

Keiner von ihnen vermochte sich zu rühren. Da ließ Haldir all seine Zweifel fahren, beugte sich hinunter und küsste sie. Es war lediglich eine kurze, leidenschaftliche Berührung ihrer Lippen, da Haldir sie nicht erschrecken wollte, doch er spürte fast sofort, wie sie sich versteifte und von ihm wegdrängte.

Da ließ er sie los. Wenig später schloss sich ihre Zimmertür unnachgiebig zwischen ihnen und er blieb allein in der Dunkelheit zurück.