@Faelivrin: Ihm ist ja der (wenn auch kleine) Apfel der Gilde direkt in den Schoss gefallen, warum sollte er weitersuchen?

@heitzi: Ja, so ist das, wenn man andere auf die Folter spannt - . *lach*

*Ich sitze zurzeit an einer Hausarbeit, es kann sein, dass ich nach diesem Kapitel erst mal eine kleine Pause machen muss. Uni geht vor.*

Kapitel 10

Bis in den Morgen

Er lag auf dem Bett, die Arme unter dem Kopf verschränkt. Seine nassen Sachen trockneten auf einem Stuhl und mit rhythmischer Gleichförmigkeit fielen Wassertropfen auf den Steinboden.

Er wollte schlafen, doch er konnte es nicht. Die Öllampe warf flackernde Schatten an die Wände und er betrachtete sie gedankenverloren. Zu viele Überlegungen wirbelten in seinem Kopf herum und alle führten zu einem einzigen Punkt. Seine Aufgabe musste ein Ende finden, ganz gleich, auf welche Art. In der Gewissheit, dass er Maeva und ihre Familie entweder verraten oder verlassen musste, schwankte er zwischen der einen und der anderen Möglichkeit hin und her, aber keine konnte ihn überzeugen.

Er war Aragorn verpflichtet, der ihm vertraute und dem er in Freundschaft verpflichtet war, doch ebenso hatte er eine Verantwortung gegenüber sich selbst und seinen Gefühlen.

            „Haldir?" Er blickte auf und zur Tür. Maeva stand im Rahmen und wirkte außerordentlich schüchtern, so als habe sie sein Zimmer noch nie zuvor betreten beschweige denn ihn fasziniert gestreichelt. „Darf ich hereinkommen?"

            „Es ist Euer Haus, Herrin." Mit voller Absicht benutzte er die förmliche Anrede, um ihr begreiflich zu machen, dass so etwas wie der Vorfall im Flur nicht wieder geschehen würde, wenn sie sich in seine Nähe begab – auch wenn er den Kuss nur zu gern wiederholt hätte. Ausgangspunkt seines Problems.

Sie trat ein und ihre nackten Füße, die unter dem schlichten Gewand hervorschauten, tappten leise über den Boden. Bei ihrem Anblick wurde er sich bewusst, dass er nichts trug außer einer Hose und erhob sich, um sich aus seinem Schrank etwas zum Überziehen zu holen. Als er sich umdrehte, saß sie auf seinem Bett.

            „Ich muss mich entschuldigen", sagte sie und überwand sich sichtlich. Haldir verstand nicht, was sie ihm zu sagen versuchte, doch er geduldete sich und lehnte sich an den Schrank. Dass die Distanz zwischen ihnen noch einmal auf ein Minimum schrumpfte, konnte er nicht zulassen. „Wenn ich nicht gewesen wäre, dann wäre da alles nicht passiert. Ich hätte auf Euch hören sollen, als Ihr mit den Sorgen meiner Tochter zu mir kamt."

            „Da ist nichts, dass Euch unangenehm sein sollte", wehrte Haldir ab. Auf Maevas Gesicht trat ein schwer zu bestimmender Ausdruck.

            „Ich wollte nie, dass Ihr es erfahrt." Sie verschränkte die schlanken Finger ineinander und starrte einen Punkt weit außerhalb des kleinen Zimmers an. „Bei Eurem Volk gibt es sicher auch keine Huren. Ich glaube, Ihr verachtet mich jetzt und das wird Eure Aufgabe, mich zu beschützen, erschweren. Wenn Ihr möchtet,  erde ich Euch aus meinen Diensten entlassen, sicher wird sich eine andere Aufgabe für Euch finden lassen."

Die Tatsache, dass sie sich mehr Sorgen um ihn machte als um sich rührte Haldir und er beeilte sich zu versichern:

            Ich werde an Eurer Seite sein, weil ich es wünsche und Euch hoch schätze, ganz gleich, was Ihr einmal getan habt." Er wollte, dass sein Drang, Maeva als Informationsquelle nicht zu verlieren, aus ihm sprach, doch er war sich darüber im Klaren, das seine Worte rein gar nichts damit zu tun hatten. Er begehrte diese Frau, mehr noch, konnte sich kaum vorstellen, nicht mehr in ihrer Nähe zu sein. Sie blickte auf und ihm direkt in die Augen. Haldir schluckte, als er die Dankbarkeit und das Sehnen erkannte, die sie erfüllten. Seine Beine bewegten sich wie von selbst, als er sich zu ihr setzte und aus einem Impuls heraus ihre Hand ergriff. Sie wollte sich ihm entziehen, doch er hielt sie fest. „Hast Du Angst vor mir?"

Zögerlich schüttelte sie den Kopf, obwohl sie erschrocken über diese direkte Frage wirkte.

            „Nein", gab sie leise zurück. „Nicht vor Dir."

***

Er beugte sich vor, nahm ihr Gesicht in die Hand und vergaß in dieser Nähe alle Zweifel. Vorsichtig küsste er sie, prüfend und litt fast körperlich, weil sie sich sofort verspannte. Doch dann sanken ihre Schultern nach unten und sie öffnete leicht ihre Lippen.

Sanft drang seine Zunge in ihre Mundhöhle vor, berührte ihre kleine Zunge, die ihm zögerlich entgegenkam und dann mutiger wurde. Sie schmeckte gut, viel zu gut, als dass er sich noch entscheiden konnte, aufzuhören und als sie einen kleinen Seufzer von sich gab, wurde er fordernder. Er biss leicht in ihre Unterlippe und merkte dann, dass sich ihre Hände in einem Anflug von Panik in seine Schulter krallten.

Widerstrebend beendete er die Berührung.

            „Geht es Dir gut?"

Sie lachte nervös und ihre Lippen zitterten verdächtig. Haldir strich ihr durchs Haar und kam sich vor wie ein Eindringling in ihrem Leben, ein Einmischung, die er nicht wieder rückgängig machen konnte.

            „Es ist nur-." Sie wollte aufstehen, doch stockte in der Bewegung. „Ich habe doch Angst vor Dir."

            „Maeva." Er stand auf und schloss die Tür, die die ganze Zeit über leichtsinnigerweise offen gestanden hatte. Wie ein Kaninchen in der Falle rutschte Maeva weiter auf dem Bett zurück und sah ihn angsterfüllt an. Doch er setzte sich lediglich wieder neben sie, den Rücken an die Wand am Kopfende gelehnt. „Wie lange möchtest Du noch Angst haben?"

            „Ich wünschte, es würde aufhören, aber je mehr Zeit vergeht, desto klarer wird mir, dass es niemals vorbeigehen wird. Ich werde mich immer erinnern, was geschehen ist." Sie entspannte sich wieder ein wenig und fuhr sich durchs Haar, um Zeit zu gewinnen für das, was ihr auf der Zunge lag. „Immer, wenn mir ein Mann zu nahe kommt, möchte ich nichts anderes als weglaufen und schreien. Dolphren war der erste Mann, den ich kennen lernte, der sich wirklich für mich interessierte und nicht für meinen Körper."

            „Solche Männer gibt es öfter, als Du denkst." Er lächelte warm und freute sich über den Ausdruck auf ihrem Gesicht. „Du bist eine schöne Frau und ich kann nicht leugnen, dass jeder Mann das zuerst sieht. Selbst hehre Elben sind nicht gegen Dich gefeit. Aber wenn man Dich kennen lernt, dann erkennt man, dass Dein Wesen ebenso schön ist wie Dein Antlitz."

            „Haldir." Sie lächelte verlegen, doch ehrlich erfreut. „Ich weiß, was Du versuchen willst und das ist sehr nett von Dir. Aber Worte werden nicht helfen."

            „Ich bin nicht nett. Und ich weiß, dass ich Dich nicht nur mit Worte überzeugen will." In Lorien hätte ihm jede Elbin bei diesem Worten stolz den Rücken gekehrt, doch Meava saß stumm da und betrachtete ihn mit derselben Faszination wie bei ihrer ersten Begegnung. Neugierig und angstvoll, wartete sie darauf, was er sagen oder tun würde. „Komm her zu mir. Bitte."

Er streckte den Arm nach ihr aus und tatsächlich rückte sie näher an ihn heran, bis er sie kurzerhand an seine Schulter zog, wo sie mit gepressten Atemzügen steif verharrte. Seine Hand fand den Weg in ihr Haar und streichelte ihren Nacken und ihre Schultern, eine ganze Weile, ohne dass er ein Wort sagte. Fast dachte er, sie würde sich niemals beruhigen, doch dann lehnte sie sich an ihn und ließ ihn gewähren.

            „Ich kam vor vier Jahren in die Stadt. Eigentlich stamme ich aus einem kleinen Dorf im Süden, wo ich bei meinen Eltern auf dem Hof lebte. Ich hatte eine glückliche Kindheit und sollte einen Burschen heiraten, den ich gerne mochte. Eines Abends nach einem Dorffest zog er mich in eine Scheune und ich schlief mit ihm. Danach nannte er mich eine Hure und weigerte sich, mich zu heiraten. Als herauskam, dass ich schwanger war, war das furchtbar. Meine Eltern hielten zu mir und als ich Alys zu Welt brachte, dachte ich, ich könnte ein glückliches Leben mit ihr führen. Doch als Alys ein Jahr alt war, starben mein Vater in einem harten Winter und meine Mutter kurz nach ihm. In der Dorfgemeinschaft war kein Platz mehr für eine Metze."

            „Menschen sind in gewissen Dingen sehr dumm. Anstatt die zu beschützen, die es nötig haben jagen sie sie davon."

Maeva nickte.

            „Ich war so wütend und mit jedem Dorf, das ich durchquerte und in dem mir Ablehnung entgegenschlug, wurde ich wütender. Dann kam ich nach Minas Tirith und ging in der Menge unter. Keiner nahm mich wahr und das war gut so. Doch dann stellte sich die Frage, was ich tun sollte, um mich und mein Baby zu versorgen. Ich konnte nichts, nur einen Bauernhof führen. Dann traf ich Dinah und ich erkannte, was mir von Anfang an bestimmt worden war. Ich wurde eine Hure." Ihre Stimme brach und er neigte sich vor, um ihre Schläfe zu küssen. Sie kuschelte sich enger an ihn. „Es war so erniedrigend, ich kann es gar nicht aussprechen. Ich begann, alles zu hassen. Die schmutzigen, betrunken Kerle, die nur ihre Befriedigung suchten, die anderen Mädchen, von denen manche ihre Beruf sogar zu mögen schiene und sich damit abgefunden hatten, Spielzeug zu sein. Und mich selbst, weil ich zuließ, das alles geschah."

Haldir war erschüttert über den Hass in Maevas Stimme, doch er wusste kaum, was er ihr entgegnen sollte.

            „Du hast es für Alys getan" sagte er.

            „Ja. Sie war die Einzige, die mir die Kraft gab, die ich brauchte. Und dann kam Dolphren. Ich lernte ihn eines Abends kenne, als er in einer Taverne saß. Wir Mädchen waren dort und sollten die Gäste ausnehmen. Als ich mich auf seinen Schoß setzte, schob er mich weg und bezählte mir ein Silber, um sich unterhalten zu können. Seine Frau war bei der Geburt gestorben, ebenso wie das Kind selbst, und er war tief getroffen. Von diesem Tag an trafen wir uns öfter und irgendwann ging er zu Dinah, drückte ihr einen Beutel mit Gold in die Hand und nahm mich mit in dieses Haus. Anfangs dachte ich, er wollte doch das, was alle Männer wollten, doch es stellte sich heraus, dass ich mich geirrt hatte."

            „Er hat auch hinter Deine Fassade gesehen."

            „Ja, er brauchte Gesellschaft und kümmerte sich rührend um Alys. Mir selbst gab er die Möglichkeit, mich zu bilden und zu lernen, wie man einen Haushalt und später auch ein Schwert führt. Er war ein Dieb, aber der bester Freund, den man sich vorstellen konnte. Ich erkannte, was man Gutes mit seinem Geld tun konnte und begann, an seinen nächtlichen Unternehmungen teilzunehmen. Und ehe ich es mich versah, war die Gilde mein Heim und meine Familie. Vor zwei Jahren wurde er gefangen und in den Kerkern gequält. Als wir ihn befreiten, war er ein Wrack, körperlich und seelisch. Je weniger er im Haus tun konnte, desto mehr tat ich. Das ist die ganze Geschichte."

            „Danke, dass Du sie mit mir geteilt hast."

            „Ich vertraue Dir", antwortete sie ihm und dieser schlichte Satz nahm Haldir mehr mit als jegliche Vorstellung von Maevas Leiden.

***

Er erzählte ihr von Lorien und seinen Brüdern, Herrin Galadriel und ihrem Gang nach Valinor. Auch über seine Zweifel sprach er, über die noch nie zuvor empfunden  Unsicherheit, die der Fortgang der Herrin in ihm ausgelöst und das geregelte Leben im Goldenen Wald durcheinandergeworfen hatte.

Maeva hörte ihm zu und stellte viele Fragen über sein Volk. Sie gab auch, halb verlegen, halb lachend zu, dass sie außer ihm noch niemals einen Elben gesehen hatte und dementsprechend neugierig gewesen war, ob elbische Männer in jeder Hinsicht so waren wie Menschen.

            „Genauso", bestätigte er und behielt sich die Information über bestimmte Körperteile vor.

Irgendwann döste sie ein und er hielt schweigend ihren warmen Körper in den Armen, während langsam die Sonne über der Stadt aufstieg. Seine Zweifel kehrten zurück, seine Wut über den Zwiespalt, in dem er sich befand, doch über allem lag eine Zufriedenheit, die er nie gekannt hatte.