Der Tränkemeister von Hogwarts

Amicus certus in re incerta cernitur. –

(In der Not erkennst du den wahren Freund)

 lateinisches Sprichwort

20. August 1997, 10 Uhr Abends

~ Kerker, Hogwarts ~

Die Luft ist voll von Dämpfen und verschiedensten Aromen, welche von mehreren zischenden und brodelnden Kesseln entweichen. Ein hochgewachsener, ganz in schwarz gekleideter Mann geht müde aus dem Tränkelabor in sein angrenzendes Quartier und lässt sich mit leisem Stöhnen in einen bequemen, dunkelgrünen Sessel neben dem Kamin fallen: Severus Snape, der Meister für Zaubertränke von Hogwarts. Seufzend reibt er seine brennenden Augen, stützt die Ellbogen auf den Tisch und lässt seinen Kopf auf den aneinandergelegten Händen ruhen.

Erzählt von Severus Snape

Ich bin müde...

Kein Wunder nach all der Arbeit der letzten Wochen, den vielen Rückschlägen. Unzählige Tränke habe ich für den Orden des Phönix getestet, einen Großteil der Ferien mit Forschung in den Archiven der Bibliothek von Hogwarts und in der Winkelgasse verbracht... und dazwischen immer wieder die kräfteraubenden Begegnungen mit Voldemort.

Erst vor knapp zwei Wochen hat er eine Gruppe von Death Eater zu sich gerufen, eine kleine Siedlung wurde überfallen, und alle dort wohnenden Muggel getötet. Es war grausam, sie wurden gefoltert und die Frauen vergewaltigt. Diesmal konnte ich mich nicht passiv im Hintergrund halten, Malfoy beobachtet mich schon eine Zeitlang misstrauisch... noch jetzt wird mir übel wenn ich an die Schreie denke, ich habe seit dieser Nacht keinen Schlaf mehr gefunden, und ich habe das Gefühl, der Geruch von Tod und Blut haftet noch immer an mir...

Ein heißer Schmerz durchzuckt meinen Arm. Verdammt! Warum schon heute? Hastig nehme ich Umhang und Maske aus dem Schrank, und laufe in Dumbledores Büro, um ihm Bescheid zu geben.

Schnell eile ich aus dem Schloss und überquere die Wiese zum Verbotenen Wald, wo sich die Grenze der Schutzzauber um Hogwarts befindet, welche ein Apparieren im Schloss oder der unmittelbaren Umgebung verhindern. Das Dunkle Mal pulsiert immer heftiger, mein Arm brennt wie Feuer. Der Lord wartet nicht gerne, und ich vermute, er traut mir nicht mehr. Die Schmerzen sind stärker als früher...

Der Mond scheint hell, als ich den Wald erreiche. Ich straffe meine Gestalt und appariere.

Kurz darauf befinde ich mich am Rande eines Moores. Der Boden ist feucht, und Nebelschwaden hängen in der Luft. Es riecht nach Verwesung.

Die meisten Death Eater sind schon da, im Kreis aufgestellt. Heute habe ich Glück, der Dunkle Lord ist noch nicht erschienen. Schnell trete ich zu den anderen.

Plötzlich appariert neben mir ein großer, würdevoll aussehender Mann mit langem weißblondem Haar - Lucius Malfoy. Verächtlich blickt er mich an. „Snape. Giftmischer. Ich ..."

In diesem Augenblick sirrt es in der Luft, und inmitten des Kreises erscheint die Gestalt Lord Voldemorts. Augenblicklich wendet sich Malfoy von mir ab, verbeugt sich ehrfürchtig vor ihm und tritt an seine rechte Seite.

Voldemort blickt in die Runde. Der stechende Blick seiner roten Augen durchbohrt einen regelrecht und lässt mich innerlich erschauern. Rasch straffe ich meine Gestalt. Ich versuche, meine Gedanken im Zaum zu halten, weg von allem, das mich in letzter Zeit beschäftigt. Ich darf keinen Verdacht erregen, falls ich auch das heutige Treffen lebend überstehen möchte.

Der Lord befragt uns zuerst nach Neuigkeiten seit unserem letzten Treffen. Alle Death Eaters erstatten Bericht. Ich erzähle Voldemort einige Belanglosigkeiten, welche mit Albus abgesprochen sind, um meine Tarnung zu sichern.

Zum Schluss spricht Lucius. „Meister. Ich habe im Ministerium erfahren, dass dieses Jahr in Hogwarts die 1000-Jahresfeier der Gründung stattfindet."

„Interessant", antwortet Voldemort. „Ist schon Näheres dazu bekannt?"

„Nein, Meister. Der Termin wird noch geheimgehalten. Mein Sohn hat jedoch einen Brief bekommen, worin Dumbledore", - er verzieht geringschätzig den Mund -, „ankündigt, zu Schulbeginn näheres zu erläutern."

Der Lord nickt. Er ist unruhig, seine Augen flackern. Irgendetwas ist vorgefallen...

Plötzlich dreht er sich ruckartig um und blickt mir in tief in die Augen.

„Ah, Snape. Mein über alles geschätzter Giftmischer! Wie schön, dass du uns die Ehre erweist, heute in unserer Mitte zu sein..." Sein ‚Mund' verzieht sich zu einer ironisch grinsenden diabolischen Fratze, als er noch näher auf mich zukommt. „Ich denke, es ist deine Aufgabe, mich über Neuigkeiten aus Hogwarts zu unterrichten? Wie kommt es, dass ein Schuljunge und das Ministerium schneller sind? Oder ist es gar so, dass gewisse Leute", - er blickt über die Schulter zu Lucius, welcher mich herablassend mustert –, „Recht haben, und du deine Pflichten gegenüber deinem Meister vernachlässigst?"

Ich versuche zu Wort zu kommen: „Mylord, ich..."

Schon zischt er: "CRUCIO!" Bevor ich noch irgendwie reagieren kann, trifft mich der Fluch, und nur allzu bekannte Schmerzen durchströmen meinen Körper. Ich benötige alle Kraftreserven, um nicht laut aufzuschreien. Diese Genugtuung soll Voldemort nicht haben. Schmerzgekrümmt versuche ich zu sprechen, doch um mich herum beginnt sich alles zu drehen. Verschwommen sehe ich, wie Voldemort endlich den Zauberstab abwendet und den Fluch von mir nimmt. Ich atme tief durch.

Da spricht er schon weiter, seine Stimme ein leises, bedrohliches Flüstern: „Wenn ich von dir nicht genügend Informationen bekomme, muss ich an deiner Nützlichkeit zweifeln. Oder sollte ich gar sagen, deiner Loyalität?"

Ich mobilisiere alle Kraftreserven, damit meine Stimme fest klingt, und antworte: „Mylord. Ich bin Ihr ergebener Diener. Über diese Feier ist auch mir nichts Näheres bekannt. Offensichtlich nichts Besonderes, eben eine der typischen Sentimentalitäten des Direktors. Ich dachte nicht, dass das für Euch von Bedeutung sein könnte."

„Das Denken kannst du anderen überlassen, Snape. Anderen, welche über die Zusammenhänge genauer Bescheid wissen. Wage es nicht, mich noch einmal zu enttäuschen. Noch so eine Nachlässigkeit, und der alte Narr kann einen neuen Tränkemeister für seine Schule suchen..."

Er dreht sich um und tritt wieder zu Lucius. Erneut blickt er in die Runde. „Für heute ist unser Treffen beendet. Lucius, du bleibst noch."

Ich kann mich kaum noch auf den Beinen halten. Mühsam konzentriere ich mich und appariere. Sekunden später bin ich vor den Toren Hogwarts. Die Nachtluft streicht kühl über mein Gesicht, als ich schwerfällig den Weg zum Eingangstor bewältige. Jeder Muskel in meinem Körper schmerzt. Zu häufig hat Voldemort mich in den letzten Monaten dem Fluch ausgesetzt. Langsam betrete ich das Schloss, durchquere die Eingangshalle und quäle mich Schritt für Schritt über die vielen Stufen hinunter zu den Kerkern.

21. August 1997, 3 Uhr Morgens

Erzählt von Albus Dumbledore

Ein leises Stöhnen durchbricht die Stille der Kerker und ich schrecke hoch aus meinem kurzen Schlaf. Severus! Da öffnet sich auch schon die schwere Eichentüre. Schnell entfache ich ein neues Feuer im Kamin und eile meinem Freund entgegen.

„Severus!" Bei Merlin, wie hat dieses Monster ihn wieder zugerichtet!

„Albus! Ich..."

Der Rest geht in einem Hustenanfall unter, und sein ganzer Körper zittert. Er kann sich kaum noch auf den Beinen halten. Ich stütze ihn und helfe ihm die paar Schritte bis zu seinem Bett. Er versucht wieder zu sprechen, doch nur Blut kommt aus seinem Mund. „Schhh, nicht sprechen. Bleib ruhig liegen." Ich versuche, die Angst und das Entsetzen aus meiner Stimme zu verbannen, und ihm ein Gefühl von Sicherheit zu vermitteln. Hastig richte ich meinen Zauberstab auf ihn, und mit einem einfachen Zauber - „Perspectum!" - suche ich nach inneren Verletzungen. Der Cruciatus-Fluch hat durch die starken Krämpfe die Lunge beschädigt. Blaue Funken kommen aus meinem Zauberstab, als ich einen Heilzauber vollziehe. Langsam beginnt Severus sich zu entspannen. Er holt tief Luft, bevor er stockend zu sprechen beginnt.

„Albus, er... vertraut mir... nicht mehr. Dies war eine... Warnung, eigentlich ohne speziellen... Grund." Er atmet tief ein und aus, und seine schwarzen Augen sind voll von Sorge. „Er hat Lucius... zurückbehalten. Etwas geht vor, ... ich fürchte, ...nichts Gutes."

Wieder zittert sein Körper von den Nachwirkungen des Fluches.

Ich fühle mich unendlich müde und hilflos. Die Gefahr für Severus wird immer größer, und ich kann ihm nicht helfen. Und die Neuigkeiten sind nicht gerade ermutigend...

„Versuche jetzt zu schlafen, mein Freund. Heute Nacht wird nichts mehr passieren. Ich werde morgen ein Treffen des Ordens einberufen. Wir müssen vorbereitet sein, falls es zum Äußersten kommt."

Leise hole ich einen Sessel heran und nehme darauf Platz. Ich will Severus heute Nacht nicht allein lassen. Er ist in einen unruhigen Schlaf gefallen, immer wieder wirft er sich im Bett herum, Schweiß glänzt auf seiner Stirn. Beruhigend lege ich meine Hand auf seine verspannte Schulter. Langsam beruhigt er sich...

Mir gehen viele Gedanken durch den Kopf. In wenigen Stunden soll Remus in Hogwarts mit neuen Nachrichten eintreffen. Sirius und er haben einige Wochen lang eine Gruppe von hochrangigen Death Eatern rund um London verfolgt und beobachtet. Sobald es hell wird, werde ich Eulen losschicken, um die wichtigsten Mitglieder des Ordens zu versammeln. Wir müssen unsere Strategie überdenken. Außerdem werde ich meinen alten Freund Alastor Moody nach Hogwarts bitten, er ist immerhin Spezialist für Flüche. Vielleicht können wir eine Zusatzausbildung in Verteidigung für die Schüler organisieren...

Ich unterdrücke mühsam ein Gähnen. Besser, ich schließe einige Minuten die Augen, es liegt ein anstrengender Tag vor mir. Ich merke kaum mehr, wie mich der Schlaf übermannt...

21.August 1997, Vormittag

Erzählt von Severus Snape

Mein Kopf schmerzt, als ich aufwache. Vorsichtig öffne ich die Augen. Au, das tut weh. Ich blinzle kurz. Jeder Muskel in meinem Körper schmerzt, meine Hände zittern. Was war gestern Abend los? Ich versuche, mich zurückzuerinnern...

Voldemort!

Plötzlich fällt mir alles wieder ein... Irgendwie muss ich es zurück nach Hogwarts geschafft haben, allerdings kann ich mich nicht mehr genau erinnern...

Ein leises Schnarchen reißt mich aus meinen Gedanken, und schneller, als mir gut tut, setze ich mich auf: Albus. Er ist im Sessel neben meinem Bett eingeschlafen. Dunkel erinnere ich mich, dass er mir nach meiner Rückkehr geholfen hat. War er etwa die ganze Nacht hier?

Er scheint zu spüren, dass ich ihn betrachte, und öffnet die Augen: „Severus! Wie geht es dir?"

„Besser." Wenn meine Stimme doch etwas fester wäre... Ich räuspere mich kurz: „Danke... dass du da warst." Ich schließe die Augen.

Er berührt mich leicht an der Schulter: „Bleib noch liegen, du musst dich erholen. Ich schicke Dobby herunter mit einem guten Frühstück. Ich muss hinauf in die Eulerei und alle verständigen, wir werden uns morgen versammeln."

„Albus, wegen gestern...", beginne ich zu berichten.

„Später. Iß jetzt erst einmal, und ruh dich aus. Ich schaue dann wieder bei dir vorbei."

Der alte Zauberer streckt sich kurz, bevor er zur Tür geht. Er sieht müde und besorgt aus...