Eulen und Briefe

Alles mag man fürchten, nur nicht, was man bekämpft.

Bettina von Arnim (1785 - 1859)

~ Muggel- London ~

21.August 1997, 19 Uhr

Ein herrlicher Sommertag geht zu Ende. Stille liegt über den Häusern der Siedlung am Rande Londons. Hermione Granger steht am Fenster ihres Zimmers im Haus ihrer Eltern. Die Ferien neigen sich dem Ende zu, und ihr letztes Schuljahr in Hogwarts steht kurz bevor.

Hermione ist in den letzten zwei Jahren erwachsen geworden – musste es werden, angesichts der sich immer mehr verschärfenden Situation im Kampf gegen Voldemort. Als Freundin Harry Potters war auch sie seit der Rückkehr des Dunklen Lords nach dem Trimagischen Turnier in ihrem 4. Schuljahr ein Angriffsziel.

Nachdenklich blickt Hermione auf die untergehende Sonne, die sich wie ein blutroter Ball am Horizont abzeichnet. Die Welt wirkt so friedlich - doch das täuscht. So viel ist in den vergangenen zwei Jahren geschehen:

Bald nach dem Trimagischen Turnier wurde in Hogwarts der Orden des Phönix gegründet, eine Widerstandsorganisation, deren Vorsitzender der Direktor Albus Dumbledore wurde. Die ersten Mitglieder waren Professor McGonagall, Remus Lupin, Sirius Black, Harry Potter, Arabella Figg, und unser Meister der Zaubertränke, Severus Snape, welcher die gefährlichste Rolle übernahm: Er erklärte sich noch in der Nacht von Voldemorts Wiederkehr dazu bereit, im Auftrag Albus Dumbledores als Spion in die Reihen des Dunklen Lords zurückzukehren.

Eigentlich mochte ich den Tränkemeister nie- im Gegenteil! Kein Wunder, nachdem er mir vom ersten Tag an in Hogwarts das Leben zur Hölle machte. Er nannte mich eine Alleswisserin und verhöhnte mich bei jeder Gelegenheit - nicht nur mich, sondern alle Schüler außer seine Slytherins, allen voran Draco Malfoy, welchen er immer bevorzugte. Doch als ich Mitglied des Orden wurde, begann ich einen gewissen Respekt für Professor Snape zu verspüren. Er nahm viel auf sich, um uns allen zu helfen. Oft kam er schwer verwundet von einem Treffen Voldemorts zurück, und obwohl er wusste, was ihn erwartete, zögerte er nie.

Auch sein Verhalten gegenüber den Slytherins wurde mir nach und nach verständlich: die meisten unter ihnen stammen aus Death Eater-Familien, und Snape ist gezwungen, sie zu bevorzugen, um keinen Zweifel an seiner Loyalität zu Voldemort entstehen zu lassen.

In den vergangenen Monaten hat sich die Situation verschlimmert. Die Angriffe der Death Eaters werden immer häufiger, immer unverfrorener, als fühlten sie sich unbesiegbar. Alle spüren deutlich, dass sich etwas Bedrohliches über uns zusammenzubrauen beginnt...

Hermione wird aus ihren Gedanken gerissen, als eine Eule aus der hereinbrechenden Nacht auf sie zugeflogen kommt und auf dem Fenstersims landet. An ihrem ausgestreckten Fuß ist ein zusammengerolltes Pergament befestigt. Hermione entfernt es und gibt der Eule Wasser und einen Keks. Anschließend entrollt sie den Brief. Ein leeres Blatt kommt zum Vorschein, doch nach einem kurzen „Apparecium" und „Scientia", ihrem persönlichen Erkennungszeichen im Orden, erscheinen mit dunkelroter Tinte geschriebene Worte:

Miss Granger, Ihre Präsenz in Hogwarts ist schon jetzt erforderlich. Erwarte Sie morgen. Apparieren Sie um exakt 12 Uhr in Hogsmeade, vor der Heulenden Hütte.

A.D.

Nachdenklich betrachtet Hermione das Pergament, bevor sie es mit einem Wink des Zauberstabs in Flammen aufgehen lässt.

Das hat nichts Gutes zu bedeuten...

Schnell packt sie die wichtigsten Sachen zusammen: ihre Kleidung für Hogwarts, Bücher, und einige persönliche Dinge. Die meisten Schulsachen, wie ihren Kessel und diverse Zaubertrankzutaten, hat sie in Hogwarts gelassen. Auch der Katzenkäfig für Krummbein wird gerichtet, misstrauisch beäugt von dem roten Kater.

Zur selben Zeit

~ im Fuchsbau ~

„Abendessen fertig!" – laut hallt der Ruf von Molly Weasley durch das ganze Haus, als sie eine dampfende Pfanne vom Herd nimmt. Hastige Schritte ertönen auf den Stufen und kurz darauf versammelt sich die ganze Familie rund um den gemütlichen, hölzernen Küchentisch. Sogleich beginnt ein munteres Geplauder, alle haben viel zu erzählen. Molly und Arthur Weasley habe sieben Kinder, Bill, Charlie und Percy sind die ältesten und schon verheiratet, die Zwillinge Fred und George, Ron und Nesthäkchen Ginny leben noch zuhause. Alle Weasleykinder haben, wie ihre Eltern, knallrote Haare. Das Familienoberhaupt Arthur Weasley arbeitet im Ministerium, Abteilung für den Missbrauch von Muggel-Artefakten.

Auch Harry Potter sitzt mit beim Küchentisch, er verbringt in diesem Jahr seine Ferien bei der Familie Weasley, da sein Pate Sirius Black gemeinsam mit Remus Lupin für den Orden unterwegs ist. Mrs. Weasley blickt ihn besorgt an. Harry ist viel zu still und nachdenklich geworden durch die ständig wachsende Bedrohung durch den Dunklen Lord. Seine und Rons Ferien sind diesmal nur sehr kurz gewesen, sie waren die ersten sechs Wochen in Hogwarts geblieben, im Auftrag Dumbledores. Und nicht einmal in der kurzen Freizeit konnte Harry sich richtig erholen. Seine Narbe machte ihm schon seit Tagen wieder Probleme. Erst heute Früh hat er Mrs. Weasley anvertraut, dass er in der Nacht kaum ein Auge zumachte, da er mehrmals starke Schmerzen verspürte. Offensichtlich ist Voldemort gerade sehr aktiv... Auch jetzt ist Harry ganz in Gedanken versunken, und stochert lustlos in seinem Teller herum.

Mit einem lauten Schuhu! segelt eine Eule durch das geöffnete Küchenfenster und landet auf Harrys Schulter. Hedwig, Harrys Schneeeule, guckt eifersüchtig vom Bücherregal herab auf den Neuankömmling.

„Was ist los, Harry?", fragt Ron neugierig.

„Dumbledore", lautet die besorgte Antwort. „Wir müssen morgen weg!" Er reicht Ron den Brief.

Mr. und Mrs. Weasley wechseln einen besorgten Blick. Selbst Fred und George unterbrechen ihr Gespräch über die neuesten Scherzartikel bei Zonko's, ihrem Konkurrenzladen in Hogsmeade. Ginny fasst sich als erste wieder und fragt: „Was ist passiert?"

„Wir wissen nichts Genaueres, Dumbledore will uns morgen sehen", antwortet Harry zögernd. Ginny gehört zwar auch zum Orden, aber nicht zum Inneren Kreis, dafür ist sie noch zu jung.

„Ich habe heute im Ministerium Gerüchte gehört, dass sich die Angriffe verdichten", berichtet Arthur Weasley. „Fudge will jedoch von alledem nichts wissen, er tut noch immer so, als wären das nur Zufälle und alles sei in bester Ordnung!", empört er sich.

Ron bekommt vor Zorn ganz rote Ohren: „Das darf doch nicht wahr sein! Zufälle? Das glaubt doch höchstens noch ein Muggel! Alle wissen doch, was sich zur Zeit abspielt, keiner ist in Sicherheit!"

Harry schaltet sich auch in das Gespräch ein: „Wenn wir das Ministerium nicht überzeugen können, was hier vorgeht, dass wir alle in größter Gefahr sind, wird es sehr schwierig! Der Orden hat zwar jetzt viele gut ausgebildete Zauberer, die dank Remus auch mit dunkler Magie zurechtkommen, aber mit Voldemorts Massen von Death Eatern können wir es nicht aufnehmen!"

Arthur Weasley zwirbelt gedankenverloren seinen Bart: „Das Ministerium ist ein großes Problem. Alle verschließen die Augen, ja sie merken nicht einmal, dass Lucius Malfoy nicht auf unserer Seite steht! Dabei ist das doch offensichtlich! Ich hoffe nur, Dumbledore findet bald eine Lösung."

Schweigend essen alle ihr Nachtmahl, jeder in seine Gedanken versunken. Harry und Ron gehen bald darauf in ihre Zimmer und packen.

In der Küche steht Mrs. Weasley am Fenster und blickt in die Nacht hinaus. Tränen rinnen über ihre Wangen. Arthur tritt neben seine Frau: „Molly, bei Dumbledore sind sie relativ sicher. Mach dir keine allzu großen Sorgen."

Leise antwortet seine Frau: „Ich habe Angst, Arthur." Sie räuspert sich. „Werden wir je wieder alle in Frieden leben können, ohne Angst?"

Arthur legt beschützend den Arm um sie: „Ich hoffe es, Molly. Ich hoffe..."

Schweigend betrachten beide den sternenübersäten Nachthimmel.