Samhain: Das Jubiläum

Des Menschen ganzes Glück besteht in zweierlei:
Dass ihm gewiss und ungewiss die Zukunft sei.

Friedrich Rückert (1788 - 1866), deutscher Dichter

Erzählt von Harry Potter

Samhain, einer der vier hohen Hexenfeiertage: Vor einigen Jahren, als ich noch nicht wusste, dass ich ein Zauberer bin, hatte ich keine Ahnung von den damit verbundenen Ritualen. In der Welt der Muggel wird die Nacht Halloween genannt, man stellt ausgehöhlte Kürbisköpfe mit Kerzen in die Fenster, Kinder ziehen als Hexen und Zauberer verkleidet durch die Straßen, von Haus zu Haus, und bekommen Süßigkeiten. Allerdings habe ich das bei den Dursleys nur am Rande mitbekommen, ich durfte nie mitmachen... und die Süßigkeiten bekam immer nur Dudley, der eh schon fett genug war...

In der Welt der Hexen und Zauberer ist manches etwas anders: Der Sommer endet mit dem Sonnenuntergang am 31. Oktober, der Winter und das neue Jahr fangen erst mit dem nächsten Tag an. Die dazwischenliegenden 12 Stunden fallen zwischen die Zeiten, Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft werden eins. Es scheint, als ob Zeit und Ort nicht existent wären, der Vorhang zwischen den Welten zerreißt. Auch in dieser Kultur gibt es alte Bräuche und Rituale, die sich allerdings von denen der Muggel stark unterscheiden.

Obwohl ich im Laufe meiner Schulzeit schon an mehreren Ritualen teilgenommen habe, bin ich immer aufs Neue aufgeregt und voller Vorfreude - wie die meisten anderen auch. Schon im Unterricht ist es heute lauter als sonst, nur wenige arbeiten aktiv mit - außer Hermione, selbstverständlich..., - immer wieder hört man leise Gespräche über den bevorstehenden Abend. Glücklicherweise fällt unser Unterricht bei Professor Snape heute aus - ohne genauere Begründung. Wer weiß wie viele Punkte wir heute wieder bei ihm verloren hätten...

Auch beim Mittagessen ist die allgemeine Aufregung unübersehbar. Ich blicke von Tisch zu Tisch in der Großen Halle, überall sehe ich vor Aufregung gerötete Gesichter, und die Stimmung ist entspannt wie schon lange nicht. Nur am Tisch der Slytherins scheinen einige ruhiger zu sein. Seltsam. Malfoy sieht heute gar nicht so arrogant aus, er ist ganz blass. Ist er etwa krank?...Jetzt mach ich mir schon Gedanken über Malfoy! Schön, langsam wird's bedenklich!

Auch am Tisch der Professoren herrscht freudige Erwartung. Offensichtlich ändert sich das auch nicht, wenn man an den Feierlichkeiten schon viele Male teilgenommen hat. Nur Professor Snape blickt kalt und übellaunig wie immer drein. War auch nicht anders zu erwarten...

Der Nachmittag geht schnell vorüber. Alle haben noch letzte Vorbereitungen zu treffen, und Hermione und Ginny verlassen mit den anderen Mädchen schon zeitig den Gemeinschaftsraum, um sich umzuziehen und herzurichten für das Ritual und das anschließende Festbankett in der bereits festlich geschmückten Großen Halle. Ich tausche mit Ron ein wissendes Lächeln aus: Wir Burschen haben es da besser...

Wir versammeln uns alle am Abend vor dem Haupteingang von Hogwarts, auf der Wiese, unter dem prächtigen Sternenhimmel. Jeder trägt sein Festgewand. Direktor Dumbledore vollzieht das anschließende Ritual:

Zu Beginn zieht er einen Schutzkreis im Laufe der Sonne, beginnend im Osten und endend im Norden. Durch eine freigelassene Lücke betreten wir alle den Kreis, welcher anschließend geschlossen wird. Dumbledore nimmt ein Räuchergefäß, schwenkt es in jede Himmelsrichtung und beginnt im Norden mit der Anrufung der Elemente:

„Seid gegrüßt, ihr Mächtigen des Nordens, sei gegrüßt, Boreas, Herr der Erde. Ihr Bewohner der Felsen und Berge, kommt, schützt und begleitet diese Zeremonie und verleiht uns den Schild der ehernen Ruhe.

Seid gegrüßt, ihr Mächtigen des Ostens, sei gegrüßt, Eurus, Herr der Lüfte. Ihr Reiter auf den vier Winden, kommt, schützt und begleitet diese Zeremonie und verleiht uns das Schwert der klaren Unterscheidung.

Seid gegrüßt, ihr Mächtigen des Südens, sei gegrüßt, Notus, Herr des Feuers. Ihr Geister der Flammen, kommt, schützt und begleitet diese Zeremonie und verleiht uns den Stab der magischen Kraft.

Seid gegrüßt, ihr Mächtigen des Westens, sei gegrüßt, Zephyrus, Herr des Wassers. Ihr Kinder der Seen und der Flüsse, kommt, schützt und begleitet dieses Zeremonie und verleiht uns den Kelch der Heilung."

Dumbledore tritt an den Altar und hebt den Kelch. „Ich rufe unsere Vorfahren, die bekannten und unbekannten. Ich lade alle ein, bei dieser Feier mit uns zu sein. Möge sich der Vorhang zwischen den Welten öffnen, und mögen wir uns hier an diesem Scheideweg treffen! Wir heißen euch willkommen!"

Ich blicke kurz in die Runde, während der Direktor das Ritual weiterführt und Gott und Göttin in den Kreis bittet und anschließend den Gott in die Unterwelt verabschiedet, als Zeichen des Jahresendes.

Die Flammen der Kerzen spiegeln sich in unseren Gesichtern. Neben mir stehen Hermione und Ron, Remus und McGonagall knapp daneben. Neville ist etwas weiter von uns entfernt, das war ein Fehler, denn ein Slytherin belästigt ihn gerade. Goyle. Goyle? Wieso Goyle? Wo ist Malfoy? Ich kann ihn nirgends entdecken... Remus stellt sich neben Neville und sorgt somit für Ordnung. Unsere Blicke treffen sich kurz, bevor ich wieder zu Dumbledore schaue.

Das Feuer wird schwächer.

Auf einmal gehen alle Kerzen aus, der Mond verschwindet hinter einer Wolke. Finsternis macht sich breit. Automatisch greife ich nach meinem Zauberstab. Alle blicken nervös um sich, einige Erstklässler beginnen ängstlich zu weinen.

Dumbledores Stimme hallt durch die Dunkelheit: „Ruhig bleiben! Keine Panik! Alle bleiben wo sie sind! Es ist Magie in der Luft."

Schwaches, blaues Licht erfüllt die Nacht, und aus den Nebeln der Finsternis erscheinen drei geisterhafte Gestalten in der Mitte des Kreises. Einer schwebt auf Dumbledore zu. Aus dem Augenwinkel sehe ich, wie Remus seinen Zauberstab vorsichtig aus dem Ärmel zieht und sich langsam in Richtung des Direktors bewegt.

Plötzlich ertönt eine wohlklingende, krafterfüllte Stimme, als sich die schemenhafte Gestalt vor Dumbledore verneigt: „Mein Name ist Godric Gryffindor."

Fassungslose Stille tritt ein.