Samhain: Das Dunkle Mal

Abgrund:

Am Rande stehen

Und nicht wissen

Ob man schon fällt

Oder noch steht.

Nein!

Man ist schon gefallen.

Und dabei zerbrochen.

Zerschmettert beim Aufprall.

Tot und doch lebendig.

Das Gefühl im Herzen sagt tot

Doch der Körper sagt leben

Lebendig tot

Das Herz sehnt sich nach Erlösung

Doch hier unten ist es dunkel

Kein Licht

Kein Wind

Keine Erde

Kein Feuer

Nichts.

Nur Schmerz

Ein Schmerz, den niemand ertragen kann.

Erzählt von Severus Snape

Heute ist es also so weit: Die neuen Death Eater empfangen das Dunkle Mal. Einerseits ein verhältnismäßig guter Tag für mich, denn Voldemort braucht mich zur Verabreichung des Trankes, durch welchen das Mal in Kraft gesetzt wird, ich bin daher heute in relativer Sicherheit.

Andererseits... wer von meinen Schülern wird heute wieder dabei sein? Ich empfinde es immer als persönliche Niederlage, wenn meine Slytherins mir hier in die Augen blicken. Es sind viel zu wenige, die ich vor diesem Schicksal bewahren kann. Zu tief ist die Loyalität ihrer Familien zum Dunklen Lord, zu oft wird ihnen von klein auf eingetrichtert, dass Voldemort ihr Meister ist, und dass alle Muggel sterben müssen. Und in den letzten Wochen sind mir bei einigen Veränderungen im Verhalten aufgefallen. Besonders fürchte ich um einen meiner Schüler...

Hastig verdränge ich diesen Gedanken. Ich darf mir nichts anmerken lassen. Ich habe im Laufe der Jahre eine gewisse Übung entwickelt, jeden tiefer gehenden Gedanken zu verhindern, jedes Gefühl vom mir zu schieben. Nur so kann ich solche Treffen überstehen, ohne Voldemorts Argwohn zu erwecken. Es erfordert jedoch unendlich viel Kraft, um jenen Fanatismus am Töten vorzutäuschen, Begeisterung über jedes neue Mitglied zu heucheln.

Ich appariere bei Sonnenuntergang vor Voldemorts Festung. Auf einer Waldlichtung ist ein großer Kreis mit Steinen umgrenzt, in dessen Mitte ein Kessel mit dem Trank vorbereitet ist. Unzählige in der Luft schwebende Fackeln verbreiten flackerndes Licht in der hereinbrechenden Nacht. Ein leiser Wind streicht durch die Baumkronen.

Die Death Eaters der höheren Ränge sind alle schon da, und nehmen im Kreis Aufstellung. Ich ignoriere ihre Blicke und stelle mich hochaufgerichtet neben den Kessel. Wenige Minuten später materialisiert Voldemort direkt neben mir, auf der rechten Schulter seine Schlange, und überreicht mir einen silbernen Kelch.

Die neuen Mitglieder stehen am Rande des Kreises, die Kapuzen ihrer Umhänge tief über das Gesicht gezogen. Voldemort hebt kurz die Hand und alle Death Eater verbeugen sich ehrfürchtig.

Seine Stimme hallt kraftvoll in der Nacht, als er verkündet: „Heute Nacht wird unser Kreis um einige junge Mitglieder erweitert werden. Junge Zauberer aus alten, reinblütigen Familien, welche Seite an Seite mit uns kämpfen wollen gegen die Schlammblüter und die Verunreinigung des Blutes. Spürt die Macht! Seht das Zeichen! Die Zeremonie beginnt!"

Leise Trommelschläge erfüllt die Luft. Voldemort hebt beide Hände. Die Trommeln werden lauter, als er die Beschwörung, deren Wortlaut keiner außer ihn kennt, in Parsel zischt und seinen Zauberstab auf den Kessel richtet. Ein greller Blitz erhellt die Nacht, fährt vom Himmel in Voldemorts Zauberstab und leitet unter inzwischen ohrenbetäubendem Trommelwirbel einen roten Energiestrahl in den Trank im Kessel. Ich weiß genau, was jetzt passiert und trete einen Schritt zurück, die linke Hand zum Schutz über die Augen gehalten, den Kelch in der Rechten. Rote Funken sprühen, als eine unbeschreiblich grelle Stichflamme aus dem Kessel empor zischt.

Voldemort wendet mir sein Gesicht zu: „Giftmischer! Walte deines Amtes!"

Ich fülle den Kelch mit der dampfenden Flüssigkeit, hebe ihn gen Himmel und rufe mit lauter Stimme: „Invoco Signum Morsmordris!" Die Trommeln ertönen erneut, die inzwischen schwarz verfärbte Flüssigkeit brodelt immer stärker, und der aus dem Kelch aufsteigende Dampf nimmt die Form eines silbrigen Totenkopfes an, der sich vom schwarzen Nachthimmel abhebt.

Auf einen Wink von Voldemort öffnet sich der Kreis der Death Eater, und die neuen Mitglieder treten mit gesenktem Kopf näher. Der erste kniet demütig vor Voldemort nieder. Als er die Kapuze vom Gesicht zieht, enthüllt er sein silberblondes Haar...

Schnell unterdrücke ich das leichte Zittern in meiner Hand, als ich ihm den Kelch reiche. Er weicht meinem Blick aus und nimmt einen tiefen Schluck.

Draco! Warum hast du das getan? Warum bist du nicht zu mir gekommen? Ich dachte, du vertraust mir?

Hastig wische ich den Gedanken beiseite. Keine Gefühle zeigen! Mit steinerner Miene blicke ich zu Voldemort, der Dracos Hand in die seine nimmt, und ihm die Spitze des Zauberstabs auf den Unterarm legt. Draco presst fest die Lippen zusammen, um einen Schmerzensschrei zu unterdrücken, als das Mal sich in seine Haut brennt. Ich kämpfe gegen ein aufsteigendes Gefühl der Übelkeit, als mir der Geruch von Verbranntem in die Nase steigt.

Voldemort löst den Zauberstab von Draco, und der schwarze Totenkopf, aus dessen Mund eine Schlange kriecht, kommt auf dessen Haut zum Vorschein. Der Dunkle Lord hebt Dracos Arm hoch und zeigt ihn beifallsheischend den Death Eatern, welche laut und fanatisch „Signum Morsmordris... Signum Morsmordris... Signum Morsmordris" rufen.

Die Zeremonie geht weiter, und einer nach dem anderen kniet vor Voldemort nieder. Fünf Slytherins aus meiner siebenten Klasse sind dabei...

Erzählt von Draco Malfoy

Mir ist kalt...kalt und übel... Muss wohl von dem vielen Rauch kommen... oder etwa weil ich in wenigen Augenblicken...

Hör. Endlich. Auf. Zu. Denken!

Hätte ich doch mit Professor Snape geredet! Vielleicht hätte es etwas geändert?

Was hätte es ändern sollen?

Hätte er einen Ausweg gewusst?

Es gibt keinen Ausweg! Snape ist doch auch einer von denen. Akzeptiere das Unvermeidliche! Sei zufrieden! Lucius hat vorhin zu dir gesagt, dass er auf dich stolz ist. Das hat er noch nie getan!

Stolz...

Aber... ich will nicht! Ich will nicht töten! Ich will nicht foltern!

Dafür bekommst du Anerkennung und wirst akzeptiert!

Er wird immer Kontrolle über mich haben. Ich werde nie mehr frei sein.

War ich überhaupt je frei?

Ich bin gefangen...

Es gibt keinen Ausweg.

Nur noch wenige Sekunden.

Da, er hebt die Hand. Ich muss vor ihn treten.

Lauf doch weg! Schnell! Verschwinde!!!

Noch 3 Schritte...

Professor Snape steht neben ihm, blickt mich an. Ist das Trauer in seinen Augen?

Ich knie vor dem Monster nieder...

KONZENTRIER DICH ENDLICH!

Die Kapuze! Ich muss sie zurückziehen...

Er blickt mich mit seinen stechenden roten Augen an...

Vorbei... es ist vorbei...

Erzählt von Severus Snape

Voldemort hat mich noch kurz zurückbehalten, um mir weitere Anordnungen für den Trank zu erteilen. Die Informationen sind beunruhigend, sie bestätigen unsere Befürchtungen. Lucius Malfoy kam bald hinzu, und überreichte mir auf einen Wink des Dunklen Lords ein verschlossenes Silbergefäß...

Um 2 Uhr Morgens kehre ich verbittert zurück nach Hogwarts. Die Feiern sind offensichtlich schon beendet, es ist alles finster auf der Wiese und in der Großen Halle. Seltsam, sonst sind doch immer alle wild aufs Feiern? Von Albus' Turmzimmer dringt ein heller Lichtschein durch das Dunkel der Nacht. Ich beschließe jedoch erst morgen Früh mit ihm zu sprechen. Ich muss noch einiges überdenken...

Ich steige die Treppen hinab in mein Quartier, wo mich ein Stapel Aufsätze zum Verbessern erwartet. Genau die richtige Beschäftigung mitten in der Nacht. Was soll's, nach diesem Abend könnte ich sowieso nicht schlafen...

Draco...warum?

Eine Stunde später

Diese Narren! Manchmal frage ich mich, wozu ich mir überhaupt die Mühe mache zu unterrichten. Die Schwachköpfe verstehen selbst nach mehreren Jahren nichts von der Kunst des Tränkebrauens.

Vor mir liegen teilweise korrigierte Aufsätze der Schülern des 7. Jahrganges der Slytherins und Gryffindors zum Thema ‚Die Verwendung von Zauberstäben bei der Herstellung von Zaubertränken', das Thema, womit wir uns während der letzten Wochen intensiv beschäftigt haben. Manche offensichtlich nicht intensiv genug! Longbottom denkt offensichtlich, dass man Zauberstäbe auch zum Umrühren der Tränke verwendet! Kalter Schauer rinnt mir ob dieser Ignoranz über den Rücken.

Seufzend nehme ich den nächsten Aufsatz zur Hand. Natürlich! Granger! Die Streberin. Vier Rollen statt der geforderten zwei. Nun, wenigstens sind ihre Arbeiten normalerweise sehr interessant und gut ausgearbeitet - was ich natürlich nie vor Zeugen zugeben würde, immerhin ist sie eine Gryffindor... obwohl, in den letzten Wochen unserer Zusammenarbeit habe ich zugegebenermaßen einen gewissen Respekt für ihr professionelles und umsichtiges Verhalten entwickelt. – verdammt, wo kommt dieser seltsame Gedanke her?

Müde streiche ich mir über die Augen. Vielleicht sollte ich morgen fertig korrigieren? Die Zeremonie geht mir nicht aus dem Kopf. Warum konnte ich meine Schüler nicht vor diesem Schicksal bewahren?

Ich habe versagt...

Plötzlich erscheint mit leisem Plopp ein Kopf in den Flammen des Kamins. Albus.

„Severus, komme bitte sofort in mein Büro."

Ich greife rasch nach meinem Umhang und werfe eine Faust voll Pulver aus dem Tongefäß am Kaminsims in das Feuer: „Albus Dumbledores Büro" rufe ich, bücke mich und trete in die grün auflodernden Flammen.