Jeder sieht, was du scheinst.
Nur wenige fühlen, wie du bist.
Niccolo Machiavelli, ital. Politiker u. Schriftsteller., 1469-1527
Erzählt von Hermione Granger
Die Wände in den Kerkern strahlen Feuchtigkeit aus. Es riecht nach Erde, Stein und Rauch. Die Gänge sind immer durch Fackeln schwach erleuchtet, welche unheimliche Fratzen an den Wänden erscheinen lassen. Kein Sonnenstrahl findet den Weg in diese kühlen Tiefen. Selbst nach mehreren Wochen, wo ich hier mit Professor Snape arbeite, empfinde ich die Atmosphäre noch immer als kalt und abweisend. Fröstelnd ziehe ich meinen Umhang enger um die Schultern.
Als ich den leeren Klassenraum betrete, sehe ich, dass die Tür zu den angrenzenden Privaträumen offen ist. Das Quartier des Tränkemeisters liegt im Halbdunkel, nur beleuchtet von einer einzelnen Kerze. Severus Snape sitzt allein neben dem kalten Kamin, vor sich eine halbleere Flasche Whiskey und brütet vor sich hin, sein Gesicht in den Händen verborgen.
Erzählt von Severus Snape
Wie lange kann ich noch so weiterleben? Wofür? Warum gehe ich nicht einfach hinüber in mein Labor, nehme eine Flasche... nur wenige Tropfen.. es wäre so viel einfacher als dieses ‚Leben'. Niemand wird um mich trauern...niemand... außer vielleicht Albus.
Albus... Ich verdanke ihm so viel, und das ist auch der Grund, warum ich immer noch weitermache. Ich werde noch gebraucht... ich darf ihn nicht enttäuschen. Er ist der einzige, der erkannt hat, was ich wirklich bin, der mich als Mensch behandelt, mir sogar Freundschaft entgegenbringt...
Ich werde ihn nie im Stich lassen! Das ist das mindeste, was ich für ihn tun kann. Ich darf nicht an mich denken... wie ein Feigling den leichtesten Weg wählen...dabei möchte ich nur noch eines: endlich frei sein...frei...
Erzählt von Hermione Granger
„Professor?"
Schweigen.
„Severus?"
Als er den Kopf hebt, erschrecke ich vor der Verzweiflung und Hilflosigkeit, die ihm deutlich ins Gesicht geschrieben stehen. Die Maske, die er normalerweise allen zeigt, hat er fallengelassen, und ich sehe sein wahres Ich. Sofort dreht er sich wieder um und wendet mir verschlossen den Rücken zu. Mit leiser, eindringlicher Stimme fahre ich fort, innerlich ahnend, was ihn quält. „Sie müssen durchhalten! Bald ist es vorüber..."
Er lacht bitter auf. Seine dunklen Augen blicken leer in die flackernden Flammen des Kaminfeuers, als er endlich spricht. „Schön wäre es...Ich glaube nicht, dass ich noch länger...leben... kann..."
Bestürzt erkenne ich, dass ich mich geirrt habe... er sieht keinen Sinn mehr im Leben! Er will nicht mehr, sein Tod wäre ihm willkommen! Plötzlich empfinde ich heftige Wut auf all jene, die ihn täglich verspotten, sich über ihn lustig machen, ihm aus dem Weg gehen! Erkennt denn keiner, dass er stets nur seine Maske zeigt? Dahinter verbirgt sich ein anderer Mann! Einer, der für unser aller Sicherheit stets große Risiken eingeht, Schmerzen erduldet, und außer dem Direktor niemanden hat, der auch nur einmal daran denkt, wie er sich wohl fühlt! Wie es ihm geht! Er ist stets Snape, der Bastard. Wenn er nicht zum Unterricht kommt, herrscht überall Jubelstimmung. Die meisten Schüler wissen natürlich nicht Bescheid über seine Tätigkeit als Spion, aber auch diejenigen, die eingeweiht sind, wie Harry und Ron, oder einige Professoren, machen sich kaum Gedanken darüber, dass er wieder einmal schwer verletzt im Krankenflügel liegt! Merkt keiner, dass sein übellauniges Verhalten nur dem Selbstschutz dient? Leicht verlegen blicke ich zu Boden, als mir bewusst wird, dass ich meine Gedanken laut ausgesprochen habe...
Der Tränkemeister blickt mich fassungslos an.
Stille...
Ich bereite eine Kanne Tee zu und schenke ihm eine Tasse ein. Seine schwarzen Augen bohren sich tief in meine. Schließlich räuspert er sich und antwortet leise: „Hermione... danke... niemand außer Dumbledore hat sich je Gedanken darüber gemacht..."
Unfähig darauf zu antworten lächle ich ihn leicht an. Es gibt noch viel zu sagen, doch augenblicklich fehlt uns die Zeit dafür. Voldemort kann ihn jede Minute rufen und den fertigen Trank verlangen - also raffe ich mich auf und gehe ins Labor hinüber: „Was fehlt noch bei dem Trank?"
Auch er fasst sich wieder und folgt mir, während er mir genaue Anweisungen für die letzten Schritte gibt. Gemeinsam vollenden wir den Trank. Nach einigen Stunden ist es geschafft. Den abschließenden Zauberspruch führt der Meister der Zaubertränke persönlich durch, und ich lösche das Feuer. Der Trank muss nur noch auskühlen, bevor man ihn in eine Flasche füllen kann.
***
Keiner der beiden bemerkt die schmale Gestalt im Schatten der offenstehenden Tür zum angrenzenden Büro: Draco Malfoy. Einige Minuten verweilt er beobachtend in der Dunkelheit, bevor er sich mit leisen Schritten wieder zurückzieht...
