Gedanken eines Schulsprechers

Wenn der Kampf um Macht und Vorteil seine Blüten treibt, bleibt der rein, der erst gar nicht damit in Berührung kommt. Reiner aber ist der, der damit in Berührung kommt, ohne sich anstecken zu lassen.

Chinesisches Sprichwort

Erzählt von Draco Malfoy

Eigentlich wollte ich heute Nachmittag nur Professor Snape im Auge behalten. Vater wünscht Informationen über seinen Gesundheitszustand. Als ich vor zwei Tagen mit ihm nach Hogwarts appariert bin, war er nicht bei Bewusstsein. Ich habe Snape die Maske und seinen Umhang abgenommen, damit niemand Verdacht schöpfen kann. Ich hoffte, er würde später irgendeine plausible Ausrede für seinen Zustand finden. Ich wusste nicht, was ich tun sollte. Ich konnte ihn doch nicht in Voldemorts Festung verletzt liegen lassen! Glücklicherweise hat man im Schloss meinen Illuminatus-Zauber gesehen. Als Dumbledore und Granger näher kamen, habe ich mich in den Wald zurückgezogen. Man durfte mich schließlich nicht in meiner Death Eater Uniform sehen. Sie haben ihn ins Schloss gebracht, mehr weiß ich nicht.

Gestern war weder Dumbledore noch Snape beim Essen in der Großen Halle. Der Zaubertränke-Unterricht ist ausgefallen, stattdessen hatten wir Verteidigung gegen die dunklen Künste. Heute Morgen beim Frühstück brachte Lucius' Rabe Corvus eine neue Botschaft, Snapes Zustand betreffend. Als der Tränkemeister auch heute nicht zu den Mahlzeiten erschien, machte ich mich also auf den Weg zu seinem Büro...

...Die Tür zum Klassenraum ist offen, also schleiche ich hinein. Ich höre Stimmen durch eine angelehnte Tür, welche offenbar zu seinen Privaträumen führt. Er ist nicht allein. Leise gehe ich näher. Granger ist bei ihm. Sie spricht eindringlich auf ihn ein, ich bin jedoch zu weit entfernt, um die genauen Worte zu verstehen, also flüstere ich „Omnis audire!" und lausche aufmerksam.

Snape hat offenbar ziemlich viel getrunken, und ist in keiner guten Verfassung. Er will nicht mehr weiterleben. Das kann ich gut verstehen, ich empfinde oft genauso. Einzig die Tatsache, dass Lucius dann endgültig einen absoluten Versager in mir sehen würde, hält mich vor dem letzten Schritt zurück.

Immer wieder redet sie ihm zu und macht ihm Mut. Sie bereitet eine Kanne Tee, bevor sie ins Labor hinübergeht. Vorsichtig mache ich einen Schritt zurück, damit sie mich nicht sieht. Snape trinkt von dem Tee, und gibt ihr Anweisungen, offenbar für den Trank, den Voldemort erwartet.

Interessant... wieso weiß sie überhaupt davon? Die ganze Sache ist äußerst merkwürdig. Normalerweise, wie man jede Woche im Unterricht beobachten kann, sind Snape und Granger alles andere als Freunde. Er macht permanent über ihre Besserwisserei sarkastische Bemerkungen, und außerdem ist sie eine Gryffindor! Und doch arbeiten sie offenbar zusammen, und er spricht mit ihr weit offener als ich es je bei ihm erlebt habe!

Diese Informationen sind meine Rettung! Voldemort wird zufrieden sein, und Lucius bestimmt auch...

...Und nun stehe ich hier, auf der Plattform des Astronomieturms, wo mir der Wind durch die Haare pfeift. Es ist eisig kalt, doch hier oben fühle ich mich frei. In meinem Inneren tobt ein hitziger Kampf. Ich muss eine Entscheidung treffen. Heute. Jetzt.

Doch wie? Wenn ich die Informationen weitergebe, erlange ich dadurch Voldemorts Anerkennung und kann mir einen beträchtlichen Vorteil in seinen Reihen verschaffen. Auch Lucius wäre bestimmt sehr angetan! Snapes Tage an Voldemorts Seite wären endgültig vorbei! Wenn ich schweige, rette ich sein Leben. Aber um welchen Preis? Irgendwie würde Lucius sicher erfahren, dass ich Bescheid weiß, und dann... und was Voldemort mit mir machen würde, will ich erst gar nicht denken!

Habe ich überhaupt eine Wahl?

Graue Wolken ballen sich am Nachthimmel, und dicke Schneeflocken fallen herab, überdecken bald das gesamte Gelände rund um Hogwarts. Es ist so still und friedlich...

Ich weiß nicht, wie viele Stunden ich hier gestanden bin, tief in Gedanken versunken. Aber nun weiß ich endlich, was ich tun werde... tun muss... aber noch nicht gleich... es ist noch zu früh...