Der Zweifel ist menschlichen Wissens Grenze,
die nur der blinde Glaube überschreitet.
A .v. Chamisso, Faust
Es ist eine gefährliche Sache, aus deiner Tür hinauszugehen. Du betrittst die Straße, und wenn du nicht auf deine Füße aufpasst, kann man nicht wissen, wohin sie dich tragen.
Tolkien, Herr der Ringe, Bilbo Baggins
6. Dezember, knapp vor Mitternacht
~ Hogwarts, Kerker ~
Das Feuer flackert hell unter dem großen Kessel, in welchem eine blaugrüne Flüssigkeit brodelt. Leichte Dämpfe verbreiten sich im Raum, es ist heiß und riecht nach Rauch. Severus steht vor dem Kessel, in der Hand seinen Zauberstab. Noch ein Spruch und der Heiltrank ist fertig. Madam Pomfrey hat ihn vor einigen Tagen gebeten, eine große Menge herzustellen, in Anbetracht der bevorstehenden Ereignisse. Helle Funken sprühen aus dem Zauberstab und breiten sich über dem Kessel aus, als Severus die magischen Worte spricht.
Ein leises Klopfen durchbricht die Stille der Nacht. Der Tränkemeister zeigt mit dem Zauberstab auf die Tür, und befiehlt „Perspicio". Eine nebelumgrenzte Öffnung erscheint in der Tür, und offenbart den nächtlichen Besucher: Draco Malfoy.
Mittels Codewort, „Mixtura Venenata", entfernt Severus den Schutzzauber, welcher über dem Raum liegt, und auf ein leises „Alohomora" öffnet sich die schwere Tür. Der junge Slytherin betritt zögernd den Raum. Sein Gesicht ist sehr blass, und seine hellblauen Augen haben den Ausdruck von Arroganz und Kälte verloren. Irgendetwas muss geschehen sein...
***
~ Gryffindorturm ~
Erzählt von Harry Potter
Eigentlich bin ich müde... Seufzend richte ich mich kurz auf in meinem Bett und blicke auf die Uhr. Schon Mitternacht!
Es ist ruhig im Gryffindorturm, nur Rons leises Schnarchen ist hörbar. Die anderen schlafen schon längst, nur ich liege wach im Dunkeln...
Meine Narbe schmerzt stärker denn je. Dumbledore hat bestimmt Recht, es dauert nicht mehr lange bis Voldemort angreift. Ich spüre es deutlich...
Als der Direktor in der Großen Halle vom Angriff gesprochen hat, haben viele mich hoffnungsvoll angeschaut, als könnte ich, der Junge-der-lebt, Voldemort endgültig besiegen. Dabei habe ich keine Ahnung, wie ich das alleine schaffen könnte! Wir haben im Laufe der letzten Versammlungen des Ordens eine Verteidigungsstrategie ausgearbeitet, welche meiner Meinung nach sehr gut ist. Es gibt aber noch einige ungeklärte Punkte, denn noch weiß keiner, wie wir Voldemort dazu bringen in den Ritualraum zu gehen, damit Dumbledore die Beschwörung vollenden kann um den Dunklen Lord endgültig zu zerstören.
Dieses ewige Warten macht mich noch wahnsinnig! Alle haben eine Aufgabe, nur ich sitze hier in Hogwarts...
Sirius ist sofort nach unserem letzten Treffen vor wenigen Tagen aufgebrochen, um die Gefängnisinsel Askaban im Auge zu behalten. Wir befürchten, dass die Dementoren sich Voldemort anschließen werden.
Remus behält einige hochrangige Death Eater im Auge, und Bill ist vorgestern nach einem Gespräch mit Dumbledore abgereist um die Auroren, welche auch gegen den Willen des Ministeriums bereit sind zu kämpfen, möglichst schnell nach Hogwarts zu bringen. Sie müssten inzwischen schon in Hogsmeade angekommen sein.
Alastor Moody ist nach unserer letzten Stunde gar nicht nach London ins Ministerium zurückgekehrt, sondern in Hogwarts geblieben. Stundenlang tüftelt er mit Albus an verschiedenen Verteidigungsplänen herum.
Ich habe am Abend mit Hermione über meine Gedanken gesprochen, sie empfindet dieselbe Unruhe wie ich. Nachdem sie wochenlang mit Snape gearbeitet hat, bleibt auch ihr nun nichts als Warten...
Meine Augen wandern aus dem hohen Fenster auf den wolkenverhangenen Nachthimmel. Das Wetter hat in den letzten Tagen umgeschlagen, die Sonne ist verschwunden und dichte Wolken und Nebel hängen Tag und Nacht über Hogwarts.
Erneut durchzuckt starker Schmerz meine Narbe. Es geht bestimmt bald los...
***
Zwei Stunden später
~ Dumbledores Büro ~
Der mit Hunderten Büchern gefüllte Raum wird gemütlich erhellt von zahlreichen in der Luft schwebenden Kerzen. Es ist still im Büro, nur von den Porträts der früheren Direktoren von Hogwarts hört man hin und wieder ein leises Schnarchen.
Albus Dumbledore sitzt an seinem Schreibtisch, in ein Buch über Dunkle Magie und alte Riten vertieft. Seine Augen haben die übliche Lebhaftigkeit verloren, er blickt müde über den Rand seiner halbmondförmigen Brillengläser.
Als hinter ihm im Kamin ein leises Rauschen ertönt, schreckt er hoch und dreht sich um und sieht, wie eine große Gestalt aus dem Feuer auf den Teppich steigt und sich die Asche von den Schultern klopft: Severus. In seinen schwarzen Augen funkelt ein lebhaftes Feuer.
„Albus! Es gibt Neuigkeiten! Draco war gerade bei mir." Aufgeregt geht der Tränkemeister im Turmzimmer hin und her, während er hastig die Ereignisse des heutigen Abends schildert. „Er will weg von Voldemort und Lucius, und auf unserer Seite gegen die dunklen Mächte kämpfen."
***
~ Askaban ~
Erzählt von Sirius Black
Ich wünschte, dieser Auftrag wäre bald vorbei... noch immer habe ich Panikattacken, wenn ich auch nur in die Nähe der Gefängnisinsel komme... Doch Dumbledore hat Recht, ich bin am besten für diesen Auftrag geeignet...leider...
Als ich an Land trabe, schüttle ich mich kräftig und vertreibe die Nässe aus meinem dichten Fell. Und das ausgerechnet im Dezember, bei Temperaturen knapp über dem Gefrierpunkt...
In meiner Animagusform können mich die Dementoren nicht spüren, und da ich mich auskenne auf der Insel, hat mich Dumbledore ausgewählt, um alles zu beobachten. In den letzten Tagen habe ich das Gefühl, irgendetwas bahnt sich an, und auch heute Nacht liegt eine große Unruhe in der Luft...
Vorsichtig klettere ich auf einen kleinen Hügel, von wo aus ich im Schutze der Büsche das Geschehen am hell erleuchteten Gefängnisgelände gut beobachten kann. Lange Zeit ist nichts Besonderes zu sehen. Die Kälte kriecht vom Boden in meine Knochen, und ich stehe kurz auf um mich zu strecken, als ich es plötzlich erblicke...
Was ist hier los? Verdammt! Ich muss so schnell als möglich Dumbledore informieren!
Hastig trabe ich zum Ufer und mache mich im Schutze der Dunkelheit auf den Weg zum Festland.
***
~ Hogwarts, Dumbledores Büro ~
Erzählt von Albus Dumbledore
Ich weiß nicht so recht, was ich von den Neuigkeiten halten soll, die Severus mir gerade mitgeteilt hat. Draco Malfoy war bei ihm, und der Tränkemeister ist überzeugt, dass er die Wahrheit gesagt hat: er steht auf unserer Seite.
Ich hoffe, Severus hat Recht. Einerseits ist dies nun genau die Situation, über die wir vor vielen Wochen diskutiert haben: die Slytherins werden ihre Entscheidung treffen, wenn es so weit ist. Andererseits hat sich inzwischen auch einiges geändert, Draco hat das Dunkle Mal empfangen und ist nun offiziell ein Death Eater. Der Kampf gegen Voldemort ist auf dem Höhepunkt, und jede Aktion muss wohlüberlegt sein. Eine Fehlentscheidung hätte fatale Auswirkungen. Was tun wir nun?
„Bist du sicher, Severus? Was, wenn das eine List Voldemorts ist?", frage ich zweifelnd.
Der Tränkemeister überlegt kurz, ehe er voll Überzeugung antwortet: „Ich vertraue Draco. Er hat ganz offen mit mir gesprochen, mir auch von der Party in Malfoy Manor berichtet, und von Lucius. Albus, der Junge ist verzweifelt. Er will endlich frei sein - frei von Voldemort und von seinem Vater."
Keine leichte Entscheidung... doch schließlich höre ich auf mein Gefühl. „In Ordnung. Ich vertraue ihm. Severus, das könnte sogar unsere Chance sein. Ich habe eine Idee..."
In diesem Augenblick zischt es im Kamin, und ein Gesicht erscheint in den Flammen. Sirius Black.
„Direktor, ich komme gerade von der Gefängnisinsel. Die Dementoren haben sich alle versammelt und verlassen die Insel! Bei ihnen waren einige Death Eater!" berichtet Sirius nervös. Seine schwarzen Haare hängen ihm nass ins Gesicht.
Verdammt. „Das sind sehr schlechte Nachrichten, Sirius. Es geht also bald los. Komm so schnell du kannst nach Hogwarts!" Nach einem kurzen Nicken ist sein Kopf im Kamin verschwunden. Ich blicke besorgt in die Flammen... Nach einigen Sekunden gebe ich mir einen Ruck- wir dürfen keine Zeit verlieren. „Severus, du gehst zu Draco. Ich habe einen Auftrag für ihn. Voldemort glaubt, er ist ihm treu ergeben, das können wir zu unserem Vorteil nützen. Wir müssen Voldemort davon überzeugen, dass auch du ihm noch ergeben bist."
Seine schwarzen Augen mustern mich skeptisch. „Wie soll das funktionieren, Albus? Er wird mich vor dem Angriff rufen. Wenn ich nicht komme, ist ihm klar, dass ich nicht mehr auf seiner Seite bin. Er weiß ja, dass ich hier in Hogwarts bin!"
„Das ist auch gut so, Severus. Genau das ist der Punkt! Er vertraut Draco, also muss Draco ihn zu dir führen und ihn davon überzeugen, dass du gegen deinen Willen von mir festgehalten wirst, nachdem ich dich enttarnt habe. Voldemort wird dich befreien, sobald er im Schloss ist, und dann wird er bestimmt zu mir wollen. Immerhin liebt er solche Inszenierungen seiner Macht! Du musst ihn in den Ritualraum führen, damit ich die Beschwörung vollenden kann!" Fragend mustere ich meinen Freund.
„Das könnte funktionieren, Albus. Zumindest ist es eine Chance... es muss aber überzeugend genug dargestellt werden, damit Voldemort keinen Verdacht schöpft."
Wir unterbrechen das Gespräch, als am Fenster ein klopfendes Geräusch ertönt. Als ich öffne, fliegt ein Waldkauz eilig herein, am Bein eine Botschaft. Ein Windhauch vom offenen Fenster lässt die Kerzen flackern, als ich das Pergament entrolle.
Es beginnt! Sie haben den Verbotenen Wald im Osten betreten.
R.L.
Leise murmle ich: „Ich habe es befürchtet. Dort können sie am ehesten ungestört den Schutzzauber vernichten. - Merlin steh uns bei." Ich eile zum Kamin. „Minerva, Harry, Alastor! Verständigt alle! Schnell!" - „Severus, sprich bitte mit Draco. Wir haben vermutlich noch mehrere Stunden, bis sie den Schutzzauber außer Kraft gesetzt haben und das Gelände von Hogwarts betreten. Ich versammle hier alle Mitglieder des Ordens, bitte komm nach, sobald du kannst."
Mit einem knappen Nicken macht der Tränkemeister auf dem Absatz kehrt und ruft „Snapes Quartier", als er in die Flammen springt.
***
~ Hogwarts, Kerker ~
Erzählt von Severus Snape
Als ich meine Räume durch den Kamin betrete, fällt mein Blick auf Draco, welcher auf der Couch eingeschlafen ist. Seine blonden Haare hängen über sein Gesicht. Im Schlaf wirken seine Züge wesentlich entspannter als normalerweise. „Draco! Es geht los!", wecke ich ihn auf.
Sofort ist der junge Slytherin hellwach. „Sir?" Besorgt schaut er mich an.
„Die Dementoren haben Askaban verlassen, und wir haben Nachricht, dass eine Gruppe den Verbotenen Wald von Osten betreten hat. Ich habe mit dem Direktor gesprochen, Draco. Er hat einen wichtigen Auftrag für dich..." Schnell berichte ich ihm, was wir geplant haben. „...der Direktor ruft inzwischen alle zusammen und erwartet uns in seinem Büro", schließe ich meinen Bericht.
Draco ist blass, nickt aber und steht rasch auf.
Ich muss ihm noch etwas Wichtiges sagen. „Draco... wir haben nicht mehr viel Zeit um zu reden, aber ich weiß nicht, wie alles ausgehen wird, und ob wir morgen noch leben... Ich möchte, dass du weißt, dass mir deine Entscheidung gegen Voldemort, und dass du zu mir gekommen bist, sehr viel bedeutet..." Ich blicke tief in seine stahlgrauen Augen. Große Entschlossenheit und auch Zuversicht leuchtet mir entgegen. „Und nun komm, der Direktor wartet."
Ich greife rasch nach einer Schachtel voll gefüllter Phiolen, welche auf meinem Schreibtisch bereitsteht, ziehe meinen Umhang über und eile voraus zum Kamin.
***
~ Dumbledores Büro ~
Erzählt von Hermione Granger:
Heftig atmend öffne ich die Tür zum Büro des Direktors, ich bin gemeinsam mit Harry und Ron den ganzen Weg herauf gelaufen. Bis auf Sirius und Professor Lupin sind alle bereits versammelt, Professor Snape steigt gerade aus dem Kamin und klopft sich die Asche von Umhang. Doch wer steht hinter ihm? Harry und Ron schnappen nach Luft, und auch ich bin ziemlich überrascht, als ich die schmale Gestalt im dunkelgrünen Umhang erkenne.
„Malfoy!" ruft Ron voller Abscheu aus, und auch Harry kann seinen Hass auf den jungen Slytherin kaum verhehlen.
Auch die übrigen Anwesenden mustern Malfoy misstrauisch, Dumbledore lässt jedoch niemanden zu Wort kommen. „Es bleibt uns wenig Zeit für lange Erklärungen, nur so viel: Draco Malfoy ist auf unserer Seite, er übernimmt eine wichtige Rolle in meinem Plan. Ich vertraue ihm voll und ganz, und erwarte von allen übrigen zumindest, dass ihr ihn akzeptiert und einen Waffenstillstand bis nach dem bevorstehenden Kampf schließt."
Sirius und Remus sind bei seinen letzten Worten gerade in das Turmzimmer hereingestolpert, sie sehen müde und abgehetzt aus.
„Sie sind in Hogsmeade! Der Ort brennt, die Leute fliehen schreiend. Viele Tote liegen auf den Straßen! Ich bin gerade noch durchgekommen!" Panik liegt in Sirius' Stimme.
Dumbledore hält Bill Weasley zurück, welcher sofort loseilen will. Seine Stimme ist voll Trauer, als er befiehlt: „Bill, bleib hier. Wir haben zu wenige ausgebildete Zauberer, wir können niemanden entbehren. Ich brauche dich und deine Leute in Hogwarts. So leid mir die Leute in Hogsmeade tun, ich kann nur hoffen, dass Fudge nun endlich aktiv wird. Ich benachrichtige London." Er eilt zum Kamin und spricht mit dem Ministerium.
Währenddessen beobachte ich Malfoy. Er steht noch immer neben Severus, wirkt etwas unsicher in unserer Mitte. Ich hoffe bloß, Dumbledore weiß, was er da tut...Der Tränkemeister fängt meinen nachdenklichen Blick auf und nickt mir kaum merkbar zu. Auch er vertraut also Draco...
Dumbledores Stimme reißt mich aus meinen Gedanken. „...habe Fudge informiert, alles weitere liegt in seiner Hand. Wir können nur hoffen, dass er seine Leute schnellstens schickt. Bis dahin sind wir auf uns allein gestellt. Ich habe vorhin mit Severus einen Plan besprochen. Draco muss Voldemort davon überzeugen, dass Severus ihm noch immer treu ergeben ist, aber von mir enttarnt und gefangengenommen wurde. Sobald Voldemort ihn befreit, womit ich aufgrund seines Größenwahns und Geisteszustandes fest rechne, führt Severus Voldemort in den Ritualraum, wo ich ihn erwarte. Wenn alles funktioniert, wird er für immer vernichtet werden. Doch der Weg bis dorthin ist schwer... Hogwarts wird von allen Seiten angegriffen, die Truppe aus Hogsmeade kommt bestimmt auch herüber, und es wird ein harter Kampf. Nicht zu vergessen die Dementoren, und ich weiß nicht, ob Voldemort nicht auch noch andere Sympathisanten gefunden hat."
Da schaltet sich Moody ein. „Bezüglich der Dementoren: Wir haben Spezialisten für den Patronus-Zauber unter unseren Leuten, sobald wir wissen, von wo sie kommen, können entsprechende Maßnahmen getroffen werden."
Der Tränkemeister holt mehrere Phiolen aus seinem Umhang und verteilt sie. „Ich habe für alle hochkonzentrierte Stärkungstränke zubereitet. Schon ein Tropfen pro Person genügt. Verteilt sie unter allen, es wird eine lange und harte Nacht."
Dumbledore nickt. „Sehr gut. Das wird uns bestimmt helfen. Da ist allerdings noch etwas: Severus muss eingesperrt werden, am besten unten im Verließ, damit Voldemort Dracos Worte glaubt. Er darf weder von Voldemort noch von einem Death Eater hier oben gesehen werden. Ich selbst werde die Vorbereitungen zum Ritual beginnen, sobald die Angreifer Hogwarts betreten. Draco, du hältst dich vorerst im Hintergrund, damit niemand deine Treue zu Voldemort bezweifelt. – Möge Merlin uns beistehen in diesen schweren Stunden, und euch alle beschützen! Und nun, nehmt eure Positionen ein, wie wir es besprochen haben. Ich kann nur vermuten, wie lange sie durch den Wald brauchen, bis sie am Schutzzauber ankommen..."
