@Lady-of-Gondor: Hey Knuddelelbchen, danke fürs Reviewen!!! Wenigstens einen Reviewer hab ich jetzt bereits! *stolzbin* J

Dann geht's hier weiter mit der Story...

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‚Was hat es mit diesem Streicher auf sich? Wer ist er und weshalb weiss er so gut über mich Bescheid? Von was redet er eigentlich? Und was macht er überhaupt hier?'

Die letzte Frage plagte Bilbo schliesslich so stark, dass er sie laut aussprach. Streicher verlangsamte das Tempo ein wenig, so dass er auf gleicher Höhe mit dem Hobbit ging.

"Ich gehöre zu den Waldläufern. Seit jeher gehörte es zu unseren Aufgaben, die Bewohner von Mittelerde zu schützen. Wir wissen, dass seit einiger Zeit die Dunkelheit und das Böse im Osten eine immer bedrohlichere Gestalt annimmt und dass Sauron seine Fühler immer weiter ausstreckt. Das Auenland ist gefährdet und seine Einwohner wissen nichts von dem Krieg, der uns allen bevorsteht. Wenn alles gut geht wird es auch nie nötig sein, dass sie etwas davon erfahren, denn auch das gehört auch zu unseren Aufgaben. Kämpfen, ohne je auf Ruhm, Erholung oder Glück zu hoffen."

Streicher schwieg und Bitterkeit verhärtete seine Züge. Bilbo aber war viel zu aufgewühlt von der Nachricht der bevorstehenden Gefahr, als dass er die Veränderung des Waldläufers bemerkte. Krieg hatte er gesagt. Krieg hier in Mittelerde, wer weiss, vielleicht sogar im Auenland. Wie kam es dazu, dass er, Bilbo Beutlin, in all den Jahren seit seiner Rückkehr nie etwas davon gehört hatte?

‚In der Art und Weise in der ich lebte ging es mir gut. Die Aussenwelt kommt einem so unwirklich vor, wenn man zu Hause in einem warmen Sessel vor dem Feuer sitzt. Ich schätze, dass es mich nie genug interessiert hat, mich mehr darüber zu informieren. Selbst Gandalfs gelegentliche Besuche und seine Berichte von Gondor, Rohan und vom Düsterwald kamen mir eher wie ferne Geschichten vor.'

Bilbo war noch immer so mit sich selbst beschäftigt, dass er nicht merkte, dass sie mittlerweile am Waldrand angekommen waren und dass Streicher neben ihm stehen blieb. Erst als die letzten Strahlen der untergehenden Sonne zwischen dicken Wolken hindurch sein Gesicht berührten, merkte er, dass er nicht länger im dunklen Wald stand und dass der Waldläufer nicht mehr an seiner Seite war. Verdutzt blickte er sich nach Streicher um und erstarrte.

Streicher hatte sein Gesicht nach Westen gewandt, der untergehenden Sonne entgegen. Der Wind spielte in seinen dunklen Strähnen und er hätte ein Bild des vollkommenen Friedens abgegeben, wenn da nicht dieser Gesichtsausdruck gewesen wäre. Er hatte die Augen geschlossen und es zeichnete sich eine Müdigkeit auf seinem Gesicht ab, die nicht nur vom vergangenen Kampf herrührte. Seine Schultern hingen schlaff und er trug den Kopf etwas gesenkt. Ein bitterer Zug umrahmte seinen Mund und es schien, als ob er tief drinnen mit sich selber rang.

Bilbo wusste nicht, was so plötzlich über seinen Begleiter hergefallen war und er war sich nicht sicher darüber, was er tun sollte.

‚Er hat mich gerettet, also ist das Mindeste, was ich für ihn tun kann, ihn zu mir mit nach Hause nehmen und für seine Wunden sorgen. Er sieht aus, als ob er das dringend nötig hätte.'

Mit wenigen Schritten war er an Streichers Seite und berührte ihn vorsichtig am Arm. Der Waldläufer zuckte heftig zusammen, die Hand sofort am Griff seines Schwertes.

"Ruhig, mein Freund! Ich wollte dich nicht erschrecken. Du sahst plötzlich aus, als ob du dich deine Beine nicht mehr tragen würden."

Streicher blickte sich noch einmal wild um, wandte sich aber dann zu Bilbo um.

"Mir geht es gut", sagte er mit gezwungen ruhiger Stimme, aus der Bilbo ein leichtes Zittern heraushörte. "Ich war bloss in Gedanken."

Bilbo schaute den Waldläufer skeptisch an. Eine plötzliche Blässe stahl sich auf dessen strenges Gesicht und die Hand, welche noch immer auf dem Schwertgriff ruhte, zitterte stärker. Als der andere schwankte, fasste Bilbo ihn am Arm, obwohl er wusste, dass er den viel grösseren Mann nicht würde stützen können, falls er fiel.

Aber so schnell der Anfall gekommen war, verschwand er auch wieder. Streicher schloss die Augen und als er sie wieder öffnete, hatte er sich erneut im Griff. Sanft entwand er Bilbo seinen Arm und atmete tief ein.

"Mir geht es gut, Bilbo, wirklich", bekräftigte Streicher bestimmt. Dieses Mal klang es zwar überzeugend, aber der Hobbit glaubte dem Mann noch immer nicht ganz. Dafür wurde er sich immer sicherer in seinem Vorhaben, Streicher zu sich nach Hause einzuladen.

"Ich bin dir zu Dank verpflichtet", begann Bilbo. "Ohne deine Hilfe hätte ich diesen Abend nicht überlebt. Deshalb bitte ich dich, komm mit mir! In Beutelsend kann ich mich um deine Wunden kümmern und du kannst dich erholen. Es ist nicht weit von hier entfernt, etwa zwei Stunden."

Doch Streicher schüttelte bereits den Kopf bevor Bilbo überhaupt zu Ende gesprochen hatte.

"Nein, ich kann nicht mit dir kommen, ich habe hier meine Aufgabe auszuführen. Stell dir einmal vor, diese ganze Meute von Wargen wäre über das Auenland hergefallen. Denn dazu wäre es bestimmt gekommen, wären wir nicht vorher auf sie gestossen. Nein, Bilbo, so gerne ich dein Angebot auch annehmen würde, ich kann nicht."

Dieses Mal entging Bilbo der bittere und verzweifelte Blick des Mannes nicht und er redete eindringlich auf ihn ein.

"Ach was, jetzt sind sie ja weg! Du hast mehr als die Hälfte dieser Biester getötet, die werden so schnell nicht wiederkommen."

"Ich kann nicht", sagte Streicher leise.

Bilbo wollte gerade noch einmal das Argument mit den Verletzungen mit einbringen, als hinter ihnen im Wald ein leises Rascheln erklang. Streicher wirbelte herum, das Schwert bereits in der Hand.

Das Zwitschern eines Vogels war aus einem nahen Gebüsch zu hören und Streicher seufzte erleichtert und steckte sein Schwert in die Scheide zurück. Einen Moment später traten zwei Männer hinter den Büschen hervor, beide gross und dunkelhaarig. Sie waren ähnlich wie Streicher gekleidet und auch sie trugen Waffen bei sich.

"Seid gegrüsst!", rief eine der beiden Männer. Er hatte wie Streicher ein markantes Gesicht, jedoch nicht ganz so kantig. Als er den Waldläufer und den Hobbit zusammen sah, blitzte es in seinen blauen Augen amüsiert auf. Er wirkte noch jung, etwa dreissig Jahre alt, nicht so wie Streicher, dessen Alter schwer einzuschätzen war da er in Bilbos Augen etwas Altersloses an sich hatte.

"Mae govannen, Halbarad", antwortete Streicher und nicht zum ersten Mal an diesem Tag blieb Bilbo nichts anderes übrig, als den Mann mit offenem Mund anzustarren. Seit seinem Abenteuer mit dem Drachen hatte er Einiges an Elbisch aufgeschnappt und er war mehr als nur erstaunt, die elbische Begrüssungsformel so mühelos von Streichers Mund zu hören.

Der Mann, welcher als Halbarad angesprochen wurde, kam näher und sein jüngerer Begleiter folgte ihm. Halbarad trug ein Lächeln auf dem Gesicht, welches aber sofort verschwand, als er die zerrissenen Kleider der beiden und das Blut darauf sah.

"Bei Elbereth, was ist passiert???"

Streicher seufzte.

"Wir wurden von Wargen angegriffen. Oder besser gesagt, dieser Hobbit hier - Bilbo Beutlin ist sein Name – ist auf eine ganze Meute gestossen und ich konnte das Schlimmste gerade noch verhindern. Es waren viele, Halbarad, und sie waren stark."

Der andere Waldläufer betrachtete ihn von oben bis unten und bemerkte dann trocken: "Das sieht man!"

Streicher schoss ihm einen etwas genervten Blick zu, ging aber nicht weiter auf den Kommentar ein.

"Wir müssen die Wachen verstärken. Es sind zu viele für einen einzelnen Mann, ich habe das beinahe zu spüren bekommen. Sie hatten mich bereits unten und es hätte nicht viel gefehlt und ich wäre jetzt ihre Beute. Zusammen mit dem Halbling."

Halbarads Gesicht nahm einen besorgten Zug an.

"Ich darf gar nicht daran denken, was dann alles passiert wäre. Unsere Hoffnung wäre verloren gewesen."

Streicher fuhr sich mit der einen Hand müde über die Augen.

"Noch nicht, mellon nîn. Es ist noch alles gut gegangen. Ich werde heute Nacht bei euch bleiben und morgen mache ich mich auf den Weg zum Hauptlager. Ich werde euch mehr Leute schicken, danach kehre ich wieder hierher zurück."

Der Ausdruck auf Halbarads Gesicht sagte deutlich, dass er nicht viel davon hielt, dass sich Streicher in seinem angeschlagenen Zustand auf eine solche Reise begab.

"Ich finde das keine so gute Idee. Ich kann Erador hier schicken, er ist zuverlässig und schnell."

Der junge Mann an Halbarads Seite errötete, neigte jedoch leicht seinen Kopf. Streicher aber schüttelte schon wieder den Kopf.

"Es ist gefährlich dort draussen, ausserdem will ich die Männer persönlich auswählen, die für diese Aufgabe geeignet sind. Ich werde selbst gehen."

"Aber wäre es nicht besser wenn..."

"Nein", unterbrach Streicher den anderen Mann harsch. "Ich bin noch immer dein Hauptmann und du scheinst das gerade zu vergessen. Es steht viel auf dem Spiel und ich habe keine Lust, alles zu verlieren, was wir uns mühsam erarbeitet haben, nur weil du dir Sorgen über meine Gesundheit machst."

Bilbo las in Halbarads besorgten Augen deutlich: ‚Ich mache mir um DICH Sorgen, nicht unbedingt um deine Gesundheit.'

Der jüngere Waldläufer aber schwieg, obwohl es noch immer trotzig in seinen Augen flackerte. Der Ausgang der Diskussion schien ihm überhaupt nicht zu passen, dennoch unterwarf er sich Streichers Entscheidung.

"Meine Herren, ich habe dazu auch noch etwas zu sagen", mischte sich Bilbo ein, der dem Gespräch bis jetzt aufmerksam, aber stillschweigend gefolgt war. Halbarad schaute den Hobbit an, als ob dieser gerade aus dem Boden gewachsen wäre, nickte aber dann, dass er fortfahren solle.

"Als Zeichen meines Dankes würde ich den Herrn Streicher gerne zu mir nach Hause einladen, Beutelsend liegt nur etwa zwei Stunden von hier entfernt. Es steht sowohl eine warme Bleibe, ein Bett wie auch ein gutes Abendessen bereit. Das ist das Mindeste, was ich tun kann."

Einen Augenblick lang herrschte Stille und der Anflug eines Lächelns schlich sich auf Halbarads Lippen, als er von so unerwarteter Seite Hilfe bekam. Streicher aber runzelte noch immer die Stirn und sah wenig überzeugt aus. Bevor der Waldläufer jedoch ablehnen konnte, änderte Bilbo seine Taktik und fuhr betont ängstlich fort.

"Ausserdem getraue ich mich fast nicht mehr nach Hause. Diese Biester sind in alle Richtungen davongerannt, wer weiss, ob sich nicht vielleicht einer hier im Auenland verkrochen hat? Ich habe fast das Gefühl, sie seien hierhin geflohen... Und dann habe ich keine Ahnung, wie ich diese Verletzung hier", Bilbo hielt seinen noch immer blutenden Arm hoch, "alleine versorgen soll. Die wird sich bestimmt infizieren."

"Es ist ja nur für eine Nacht", redete Halbarad auf seinen Hauptmann ein, als er sah wie dessen Widerstand langsam abbröckelte.

Streicher seufzte geschlagen. Wer konnte sich schon gegen eine solche Übermacht wehren?

"Also gut, Bilbo, ich werde mit dir kommen. Aber wie Halbarad bereits angetönt hat, wird es bei dieser einen Nacht bleiben und ich werde mich morgen bereits wieder auf den Weg machen."

Der Hobbit lächelte und schaute kurz zu Halbarad, der ihm verstohlen zuzwinkerte. Streicher bemerkte den Blick.

"Euch zwei lasse ich so schnell nicht mehr zusammen."

Mit diesen Worten drehte er sich um und hinkte Richtung Hobbingen. Bilbo verabschiedete sich hastig von den zwei Waldläufern und fiel dann in Laufschritt, um Streicher einzuholen.

Halbarad blieb noch eine Weile auf dem kleinen Hügel stehen und schaute den beiden nach, bis sie hinter einem hohen Maisfeld verschwunden waren. Dann drehte er sich mit einem Seufzen zu Erador um, ein besorgter Ausdruck auf dem Gesicht tragend.

Der jüngere Waldläufer fragte etwas verwirrt: "Was bedrückt dich, Halbarad? Und weshalb wolltest du unbedingt, dass Aragorn mit dem Halbling geht?"

Halbarad schaute nachdenklich zu Boden.

"Aragorn hat sich verändert. Ich erkenne ihn kaum mehr wieder, seit er vor sechs Jahren aus dem Dienst von Rohan zurückgekehrt ist, um kurz darauf wieder in Gondor in den Dienst zu treten. Es waren nicht seine ersten Jahre im Krieg, aber dennoch hatten sie grossen Einfluss auf ihn. Wenn ich Aragorn nicht besser kennen würde, dann würde ich behaupten, dass er sein Ziel aus den Augen verloren hat."

Halbarads Blick schweifte wieder in die Richtung zurück, in die der Hobbit und der Waldläufer verschwunden waren.

"Ich hoffe, dass ihm vielleicht die kurze Zeit abseits des Krieges helfen wird, sich wieder etwas zu fassen. Dieser Halbling ist weiser als ich dachte, obwohl mich Gandalf ja vorgewarnt hat. Vielleicht kann er Aragorn zeigen, was alles Wunderbares zerstört werden würde, wenn er aufhört, an sich selbst zu glauben."

*~*~*

Aragorns Schritte wurden schwerer, je näher sie Hobbingen kamen. Das Hinken wurde deutlicher und Aragorn musste sich selbst eingestehen, dass er am Ende seiner Kräfte war.

‚Es ist vielleicht doch besser, dass ich mit dem Halbling mitgegangen bin', dachte der Waldläufer für sich und schaute müde zu seinem Gefährten hinüber. Auch Bilbo liess seine Schultern hängen und das anfänglich fröhliche Geschnatter des Halblings über Pilze und das Auenland war schon bald verstummt. Aragorn sah, dass er den rechten Arm eng an seinen Bauch gepresst hielt und dass er blass geworden war.

‚Hoffentlich ist es nicht mehr weit!'

Aragorns Wunsch wurde schon bald erfüllt, als er die ersten kleinen Höhlen zwischen den Hügeln auftauchen sah. Es war mittlerweile stockdunkel geworden und in vielen der winzigen Häuschen brannte ein warmes Licht.

Aragorn seufzte und zog seinen Umhang enger um sich, obwohl ihn das nur wenig vor der beissenden Kälte schützte. Der Wind hatte an Stärke zugenommen und beide Gefährten waren bis auf die Knochen durchgefroren.

"Diesen Weg entlang", hörte Aragorn Bilbo sagen und der Halbling drehte nach links ab. Ein schmaler Weg führte auf eine Anhöhe hinauf bis zu einer gemütlich aussehenden Höhle. Im Garten vor dem Häuschen wuchsen viele Pflanzen, sowohl Blumen, wie auch Gemüse und herrlich duftende Kräuter.

"Willkommen in Beutelsend."

Bilbo öffnete das Gartentor und Aragorn trat an ihm vorbei in den Garten. Erst jetzt fiel ihm auf, dass Licht durch die kleinen Fenster und auf das Gemüsebeet davor fiel.

"Du wohnst nicht alleine?", fragte Aragorn erstaunt. Gandalf hatte ihm erzählt, dass Bilbo ein ausgesprochener Einsiedler war und noch nie auch nur einen Gedanken an Ehe und Kinder verschwendet hatte.

"Nein, nicht mehr", antwortete Bilbo und ein warmes Lächeln schlich sich auf seine Lippen. "Vor einem halben Jahr kamen die Eltern meines Neffen bei einem Bootsunfall ums Leben und ich habe ihn zu mir genommen. Frodo ist sein Name. Er ist ein wundervolles Kind, obwohl er erst zwölf Jahre alt ist. Eines Tages wird er zum Erben von Beutelsend, wenn ich nicht mehr da bin."

Aragorn hörte die Zuneigung zu dem Jungen deutlich aus Bilbos Stimme heraus und war auf einmal gespannt darauf, ihn kennen zu lernen. Bilbo ging voraus, öffnete die Türe und trat ein. Aragorn folgte ihm, musste sich aber weit hinunter bücken, um sich nicht den Kopf zu stossen.

"Frodo, ich bin wieder da!"

Ein kleiner Junge, den Aragorn jünger als zwölf geschätzt hätte, kam um die Ecke gesaust und warf sich Bilbo in die Arme. Der kleine Halbling hatte zwar sein Gesicht in Bilbos Umhang versteckt, aber die heftig sich hebenden und senkenden Schultern verrieten Aragorn, dass er weinte.

"Was ist denn, Frodo, mein Junge?", fragte Bilbo bestürzt und drückte seinen Neffen enger an sich.

"Ich... ich dachte... dass du... vielleicht... nie mehr... zurückkommen... würdest", brach es undeutlich und zwischen Schluchzern hervor.

Erkenntnis zeigte sich auf Bilbos Gesicht, als er sich an sein Versprechen erinnerte.

~~ "Aber versprich mir, dass du dich beeilst!"

"Das verspreche ich dir. Ich werde bei Einbruch der Nacht wieder hier sein." ~~

Es war jetzt weit nach Einbruch der Dämmerung und Frodo war all die Zeit mit der Ungewissheit geblieben, was mit seinem Onkel geschehen war. Die Erinnerung an den Tod seiner Eltern war noch zu nah für ihn.

"Oh Frodo, es tut mir leid! Ich bin ja jetzt hier und es geht mir gut. Wir wurden aufgehalten und konnten nicht eher kommen."

"Wir?", piepste Frodo und hob den Kopf ein wenig. Seine Augen wurden gross, als er den hochgewachsenen Menschen bemerkte, der still schweigend neben Bilbo stand. Obwohl Aragorn noch immer etwas gebückt dastand, musste er einen gewaltigen Eindruck auf den jungen Halbling machen, denn dieser versteckte sich sogleich wieder in Bilbos Umhang.

"Nicht doch, Frodo", sagte sein Onkel beruhigend. "Streicher hier hat mir das Leben gerettet, du brauchst dich nicht vor ihm zu fürchten. Ohne ihn wäre die Sache böse ausgegangen. Ich habe ihn eingeladen und ich erwarte, dass du ihn freundlich behandelst."

Frodo löste sich von Bilbo und stellte sich noch immer etwas eingeschüchtert vor Aragorn hin. Dann tat er etwas, das den Waldläufer ziemlich erstaunte: Er verbeugte sich vor ihm.

"Wenn das so ist, seid Ihr natürlich herzlich willkommen."

Aragorn lächelte, als er sah, wie der junge Halbling zögernd auf ihn zukam und ihm dann sein Bündel und seinen Umhang abnahm.

"Ich danke dir, Frodo", sagte Aragorn und bemühte sich, seiner Stimme einen beruhigenden Klang zu geben. Er stellte jedoch fest, dass sie vor Erschöpfung rauer als sonst tönte. Frodo aber, der seinen ersten Schreck überwunden hatte, schien sich nicht daran zu stören.

"Ui, bist du aber gross!", kommentierte er unverblümt und verrenkte sich den Hals, um Aragorn ins Gesicht sehen zu können. Etwas in Aragorn löste sich und er fühlte ein Lachen in sich aufsteigen.

"Tja, ich habe das bisher als normal angesehen. Ihr Halblinge seid alle so klein", meinte er belustigt.

"Halblinge?", fragte Frodo empört. "Wir sind doch keine Halblinge! Wir sind Hobbits."

Aragorn lächelte. Er mochte den kleinen ‚Hobbit' schon jetzt.

"Ah und wieder habe ich etwas dazugelernt. Den Namen habe ich vorher noch nie gehört, aber wenn du darauf bestehst, seid ihr von jetzt an natürlich Hobbits."

Frodo nickte, offensichtlich zufrieden mit sich selbst, das mit dem Namen klargestellt zu haben. Auf einmal blieb sein Blick an der tiefen Wunde am Bein des Waldläufers hängen, welche sich nur wenig unterhalb seiner Augenhöhe befand.

"Du bist ja verletzt!", rief er erschrocken. Sofort nahm er Aragorn an der Hand und drückte ihn auf das nächste Sofa. Das Sofa knirschte bedenklich unter Aragorns Gewicht, hielt aber stand.

"Mach dir um mich keine Sorgen. Dein Onkel Bilbo schien so schwer verletzt zu sein, dass er bereits Bedenken hatte, ob er es noch bis nach Hause schaffen würde. Merkwürdigerweise merke ich im Moment nicht viel davon."

Dabei blickte er Bilbo anklagend an, der sich vor das Feuer hingekniet hatte und Holz hinein warf. Bilbo drehte sich halb herum und lächelte bloss.

"Ich komme gleich. Ich wäre wirklich froh wenn du dir meinen Arm ansehen könntest, die Wunde brennt wie Feuer."

Aragorn nickte.

"Ja, das kann ich tun. Nur bin ich im Moment etwas knapp an Reserve von Heilkräutern, ich hatte einfach noch keine Zeit, meinen Bestand zu erneuern. Und einige saubere Bandagen wären auch nicht schlecht."

"Frodo, könntest du bitte..."

Der kleine Hobbit sauste bereits davon, um das Gewünschte zu holen. Bilbo stand auf und kam lächelnd zu dem Waldläufer hinüber.

"Siehst du jetzt, was ich meine? Er ist ein so wundervoller Junge, ich kann mir gar nicht vorstellen, dass es einmal eine Zeit gab, wo er nicht andauernd um mich herum war. Ein Kind bringt soviel Leben in diese Höhle."

In diesem Moment kam Frodo zurück und brachte den Beutel mit den Kräutern und Verbandszeug zusammen mit einer Schüssel Wasser und einem Lappen zu Aragorn. Dieser schaute sich die Kräuter einzeln an und komplimentierte Bilbo in Gedanken für die Qualität und Reichhaltigkeit der Heilkräuter. Er wählte einige davon aus, von denen er wusste, dass sie sowohl desinfizierend wie auch schmerzlindernd wirkten.

"Streck deinen Arm aus, Bilbo."

Der Hobbit tat wie ihm geheissen wurde und Aragorn legte sorgfältig die Bisswunde frei. Sie war ziemlich tief und es war Schmutz hineingeraten. Der Waldläufer wusste, dass Wargenbisse sich schnell entzündeten und war auf einmal trotz allem froh, dass er mit Bilbo mitgegangen war. Würde eine solche Wunde nicht genügend Aufmerksamkeit erhalten, könnte sie rasch zu einer ernst zu nehmenden Gefahr werden.

Rasch und geübt wusch er die Wunde aus, dann griff er nach den Kräutern, zerrieb sie und strich sie zusammen mit einer Salbe aus seinem Gepäck auf die Bisswunde. Obwohl Aragorn nicht im mindesten grob mit seinem Patienten umging, musste sich Bilbo doch einige Male einen Aufschrei verbeissen. Er atmete erleichtert aus, als der Waldläufer schliesslich den Arm verband und die Bandage befestigte.

"So, jetzt bist du dran, mein Freund", sagte Bilbo mit einer etwas heiseren Stimme.

Aragorn wusste, dass es nichts brachte, wenn er es hinauszögern würde, deshalb nickte er bloss. Bereits als Bilbo das viele Blut auf der dunklen Hose bemerkte, vermutete er, dass die Verletzungen des Waldläufers weitaus schwerer waren als er bis jetzt vermutet hatte. Als er aber dann die Wunde von nahem sah, stockte ihm der Atem. Der kräftige Kiefer eines Warges hatte so tiefe Bissspuren hinterlassen, dass der Hobbit neben all dem Blut das Weiss des Knochens sehen konnte. Das Muskelgewebe war gut durchblutet und so war die Blutung noch immer nicht ganz zum Stillstand gekommen. Bilbo wunderte sich, wie Streicher es überhaupt geschafft hatte, sich bis jetzt auf den Beinen zu halten.

Weitaus weniger geübt, jedoch genauso zielsicher machte der Hobbit sich an die Arbeit. Nachdem er die Wunde ausgewaschen hatte und die bereitgelegten Kräuter aufgetragen hatte, bestand Streicher darauf, dass Bilbo die Wunde nähte. Der arme Hobbit hatte so etwas noch nie zuvor getan und ihm war es ein Gräuel, in das Fleisch eines Mannes zu stechen.

"Es ist in Ordnung, Bilbo, wirklich. Ich habe schon Schlimmeres überlebt", meinte Streicher nur, nachdem Bilbo Nadel und Faden bereitgemacht hatte und Frodo aus dem Zimmer geschickt hatte. So eine Prozedur war nicht unbedingt etwas für einen zwölfjährigen Jungen.

Bilbo atmete tief ein und versuchte sich selbst zu beruhigen, dann fing er an. Einige Male befürchtete der Hobbit wirklich, dass Streicher gleich das Bewusstsein verlieren würde, da dieser gepresst nach Luft rang und die Augen fest geschlossen hielt, aber als er den Faden schliesslich verknotete und die Wunde verband, schlug Streicher die Lider auf und sah ihn aus grausilbernen Augen an. Er war weiss wie ein Laken.

"Es tut mir leid", sagte Bilbo leise, als er sah, dass der Waldläufer sich wieder etwas im Griff hatte, "aber ich sollte mir besser noch deine Schulter ansehen. Die sah auch nicht sehr gut aus."

Streicher hatte keine Kraft mehr zum Antworten und nickte nur schwach. Als Bilbo ihm vorsichtig das Hemd auszog kam er erneut ins Stocken, aber dieses Mal nicht wegen der Schwere der Verletzung. Der ganze Oberkörper des Mannes war übersät mit Narben, halbverheilten Wunden und Blessuren.

‚Du meine Güte! Was ist mit ihm geschehen?', schoss es Bilbo durch den Kopf.

Streicher bemerkte den starrenden Blick und wich ihm aus. Auf was er jetzt am wenigsten Lust hatte, war zu erklären, wie er zu all diesen Wunden gekommen war und so griff er bereits wieder nach dem Hemd, um sie zu verdecken. Bilbo stoppte seine Hand.

"Nein, lass es, es ist schon gut. Ich will nur nach der Wunde sehen."

Streicher hielt inne und schloss die Augen. Da er nichts weiter tat, fasste Bilbo das als Zeichen der Zustimmung auf. Der Hobbit konzentrierte sich nur auf die Wunde vor ihm und es verging nicht viel Zeit, bis auch die Schulter in sauberen Bandagen eingewickelt war.

Als Bilbo fertig war und aufstand, bemerkte er mit einem leisen Lächeln, wie Streicher mit dem Schlaf kämpfte. Seine Augenlider schienen ihren eigenen Willen zu besitzen und wehrten sich gegen alle Versuche des Waldläufers, sie offen zu halten.

Schnell holte der Hobbit einige Decken hervor und richtete daraus ein Lager auf dem Boden her. Kein Bett in dieser Höhle würde dem Gewicht des Menschen standhalten und ausserdem wäre es so auch für Streicher gemütlicher. Behutsam half er dem verletzten Waldläufer, sich darauf niederzulassen.

Streicher wehrte sich überhaupt nicht und schien gar nicht mehr zu realisieren, was um ihn herum vorging. Noch bevor sein Kopf das Kissen berührte, waren seine Augen im Schlaf fest geschlossen.

‚Und in diesem Zustand wollte er tatsächlich dort draussen in der Wildnis übernachten und sich morgen auf eine weite Reise machen?", dachte sich Bilbo kopfschüttelnd. Die Art und Weise wie Streicher mit sich selbst umging, gefiel ihm überhaupt nicht. Das war nicht nur fahrlässig, sondern fast selbstzerstörerisch. Genauso wenig gefielen ihm die vielen Narben, die seinen Körper übersäten. Der Ausdruck auf Streichers Gesicht, kurz nachdem sie heute den Wald verlassen hatte, kam ihm wieder in den Sinn. Unzählige Lasten schienen ihn beinahe zu erdrücken, und eine tiefe Hoffnungslosigkeit hatte zu diesem Zeitpunkt seine grauen Augen verdunkelt.

Bilbo schüttelte den Kopf ab sich selbst.

‚Es ist nicht mein Platz, mir Sorgen über einen Waldläufer zu machen. Er wird schon wissen was er tut.'

Mit diesen Gedanken schlüpfte auch er ins Bett und war kurz darauf eingeschlafen.

TBC...