A/N: Okay, nun zu meiner ersten "Hürde": die Elbenrechnung. Normalerweise altern Elben wie Menschen und erst so ab dem zwanzigsten Jahr nicht mehr oder sehr viel langsamer. Leider funktioniert meine Story so nicht, und die Frage nach dem Alter wird immer wieder gestellt – daher habe ich mir eine ebenso simple wie lächerliche Umrechnung ausgedacht: Ein Jahrhundert entspricht 2 1/2 Jahren in menschlicher Entwicklung. (Okay, so sind sie zwar die ersten 50 Jahre ihres Lebens Babys, aber würde das nicht erklären, warum es schließlich immer weniger Elben gab? ^.~ Die armen Eltern!) So um die 1000 Jahre alt, gelten sie als reife Erwachsene, da ihr Körper beginnt, sich nur noch nach dem Status des Gemüts, oder der Seele, weiter zu verändern. Klingt das wenigstens halbwegs einleuchtend?

Natürlich müßt ihr trotzdem noch genau lesen und (vor allem später) auch selbst ein wenig mitrechnen, um das Alter von Legolas und Inuel herauszufinden. Sorry, aber ich mag solche Spiele. ^^" (Wem die Rechnerei doch zuviel wird, mailt mir – aber die Antwort erhaltet ihr erst, wenn das Kapitel mit den Hinweisen schon raus ist.)

Und vielen lieben Dank an nudel (Vielleicht wird durch die Rechenaufgabe sein Verhalten bald verständlicher ^^"), Sally Tse Schiep (Du spürst richtig. ^.^ Und ich hatte schon befürchtet, keiner mag sowas "anderes". Danke für den Zuspruch! *freu*) und vor allem amlugwen für die vielen Fragen. (Da nur du sie gestellt hast, kriegst auch nur du die Antworten. Zu allen anderen sagen wir: "Ätsch!" *fiesgrins*)

Disclaimer: Thranduil gehört Tolkien (ganz gleich, wie sehr er ihn vernachlässigt hat) und Osuldar mir. (Naja, da ich Legolas nicht haben kann … *seufz*) Ebenso Ankulan. Beider Namen habe ich mir ausgedacht, also sucht keine Bedeutung darin.

Rating: PG-13 (Wie ich das hier rechtfertigen will? Äh … sagen wir für psychischen Streß und ein klein wenig Blut, ja?)

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Früchte der Furcht

Kapitel Vier

Meine Hände tun weh. Mit diesem Gedanken kam Inuel zu sich. Das erste, was direkt vor seinen sich blinzelnd öffnenden Augen in Sicht geriet, waren seine verkrampften Finger, die sich mit eisernem Griff an ein Stück weichen Stoffes klammerten. Sein Kopf lehnte gegen irgend etwas Warmes, und unter seinem rechten Ohr vernahm er deutlich ein langsames, rhythmisches Klopfen, dessen sanfte Töne ihn fast wieder in den Schlaf lullten. Dann spürte er, wie etwas in seine Haare blies, und seine Augen weiteten sich, als sein erwachendes Gehirn alle Sinneseindrücke zusammensetzte.

Inuels Herz begann so laut zu hämmern, daß er sich sicher war, der Prinz müßte sicher durch den Lärm aufwachen. Denn er schlief noch, oder? Sicher schläft er noch, sonst würde er sich nie so erwischen lassen, versuchte Inuel sich zu überzeugen. Er lauschte auf Legolas' Herzschlag und atmete erleichtert auf, als sich dieser nicht im geringsten änderte.

Die Frage war, was sollte er jetzt tun? Er konnte sich von Legolas lösen, was aber den Prinzen aufwecken und sie beide in eine unangenehme Lage bringen würde. Er könnte … Legolas ansprechen, doch an der Lage würde das nichts ändern. Oder – er könnte wieder einschlafen, und den Prinzen die Sache regeln lassen, wenn dieser munter wurde.

Letzteres erschien ihm nicht nur die beste, sondern auch die bequemste Lösung. Inuel fühlte sich wohl, und er war noch nicht bereit, den Gestalten vom Vortag entgegen zu treten. Schon bei dem Gedanken lief ihm ein Schauer über den Rücken. Aber irgendwie schien die Anwesenheit des Prinzen die Geister von ihm fernzuhalten, also wollte Inuel hier so lange wie möglich verharren. Mit einer bewußten Anstrengung entspannte er seine Hände, glättete das knittrige Hemd vorsichtig und überließ sich vertrauensvoll den Armen des Prinzen, dessen Herzschlag ihn schnell wieder in einen sorglosen Schlummer beförderte.

Über seinem Kopf machte sich Legolas nicht die Mühe, das Grinsen zu unterdrücken. Feigling, dachte er amüsiert. Er hatte Inuels plötzliche Panik mitbekommen und wußte, daß diese Situation dem Jungen unangenehm war. Hast die Konfrontation vermieden, hm? Aber es war eine gute Lösung, welche im Endeffekt auch Legolas eine Erklärung ersparte, weshalb er die Entscheidung durchaus respektierte.

Bis Sonnenaufgang wartete er noch ohne sich zu rühren, doch mit den ersten Lichtstrahlen ließ er Inuel auf den Boden gleiten, warf seinen leichteren, aber wärmeren Umhang über den Jungen und begann, im Unterholz geeignetes Material für ein Feuer zu suchen. Absichtlich ließ er die Trümmerhaufen unangetastet, denn so schändlich sie auch bereits zugerichtet waren – diese Grabstädte noch weiter zu plündern erschien ihm ein Sakrileg, zu welchem er sich niemals herablassen würde.

Als er mit einem Armvoll Brennholz zurückkehrte, saß Inuel bereits gähnend auf dem weiten Platz. Legolas' Umhang hatte er wie einen Schutzmantel um seine Schultern gezogen, und er ließ seinen Blick suchend von einem Trümmerplatz zum nächsten schweifen.

"Hey!" Bewußt setzte Legolas eine fröhliche Mine auf. "Du bist wach!"

"Offensichtlich", murmelte der Junge, ohne ihn anzusehen.

Legolas folgte seinem Blick, sah aber nichts. "Was ist los, Inuel? Suchst du was?"

"Äh", wandte sich Inuel von den Geistergestalten ab. "Nein, nichts." Sie waren auf ihn zugekommen, mit ängstlichen, warnenden Augen, doch als der Prinz aufgetaucht war, hatten sie sich blitzschnell unter die Trümmer verkrochen. Nur vereinzelt lugte ein Gesicht heraus, aber die geflüsterten Worte konnte Inuel nicht hören. Dankbar lächelte er seinen Beschützer an.

"Wie geht es dir?" fragte Legolas leichthin.

"Prima", antwortete Inuel fröhlich.

"Gut."

Inuel horchte alarmiert auf. Irgend etwas an diesem Wort stimmte nicht … es klang so … böse.

"Da es dir nun also besser geht", begann Legolas mit seidenweicher Stimme. "Und du anscheinend wunderbar geschlafen hast …" Noch immer dieser gönnerische Ton. "Könntest du eventuell die Kraft aufbringen …" Mit nur einem winzigen Hauch von Ironie. "Mir zu erklären …" Das letzte Wort eindringlich langgezogen, und nichts in seinem gutmütigen Lächeln verriet die nächste, jähe Bewegung, mit welcher der Prinz Inuel am Kragen packte und einhändig hochzog, ehe der Junge blinzeln konnte. "… was bei allen Dämonen dich geritten hat, allein loszupreschen, ohne mich auch nur zu warnen!"

Anstatt laut zu werden sprach der Elbenprinz immer leiser, legte aber gleichzeitig mehr und mehr Gewalt und Schärfe in jedes einzelne Wort.

Inuel starrte ihn mit entsetzt aufgerissenen Augen an. "Wieso … wieso …" murmelte er unglücklich. Zwar erinnerte er sich nur undeutlich an den Weg, aber war er nicht die ganze Zeit bloß Legolas gefolgt? "Ich bin dir nach … du hast ja nichts gesagt – wie vorher, und du warst dann weg – wie vorher … warst du's nicht?"

Trotz der unzusammenhängenden Erklärung bekam Legolas eine gute Idee davon, was der Junge ihm zu sagen versuchte. Nur daß er offensichtlich log.

"Als ich vom Wasserholen zurückkam, warst du weg. Wem bist du nachgegangen?" Berechnend durchbohrte er Inuel mit einem eisigen Blick.

Der Jüngere blinzelte angestrengt, als könne er den Blick dadurch abwehren, und zog seine Brauen in tiefer Bestürzung zusammen. "D-d-d-dir", behauptete er tapfer. "Oder nicht?"

So komme ich nicht weiter, sah Legolas ein. Anscheinend glaubte Inuel tatsächlich, ihm gefolgt zu sein. Das sah nicht nach einer absichtlichen Täuschung aus, und über seine Fingerknöchel an Inuels Hals spürte er deutlich dessen rasenden Puls. Er könnte mir nicht trotzen, wenn er was wüßte. Aber wen hatte Inuel dann gesehen? War da überhaupt jemand? War es vielleicht nur Einbildung gewesen, hervorgerufen durch seine Erschöpfung?

"Nein. Mir nicht", antwortete er und ließ Inuels Kragen los.

Unerwartet ergriff der Junge seinen Ärmel. "Pst, Prinz … dann war es vielleicht einer von denen."

Mit erhobenen Augenbrauen inklusive Stirnrunzeln folgte Legolas Inuels Blick über die herumliegenden Haustrümmer. Dann heftete er seinen Blick auf Inuels Gesicht und schüttelte vielsagend den Kopf.

"Aber sie sind doch –"

"Tot", unterbrach ihn der Prinz.

"Nein!" widersprach Inuel hitzig. "Ich meine, ja, schon, aber … sie sind nicht weg."

Noch einmal schaute sich Legolas suchend um, erblickte aber nichts außer zerstörten Bauten und lange, lange verwesten Körperteilen. Und nichts Lebendiges. "Hör zu, Inuel." Er legte ihm beide Hände auf die Schultern. "Diese Elben wurden heimtückisch überfallen."

"Ich weiß, aber –"

"Sie wurden mitten in der Nacht ohne Warnung angegriffen und ihr Leben zielstrebig ausgelöscht, ohne viele Umstände. Sie waren alle sofort tot."

"Woher …?"

"Ehre ihr Andenken, Inuel: Sprich nicht länger von den Toten, als weilten sie noch unter uns."

"Aber …"

"SCHWEIG!"

Wie ein Schwerthieb schnitt Legolas' Stimme Inuel das Wort ab, und der Junge schwieg.

Nach einer langen Pause befahl der Prinz: "Nie wieder, hörst du?"

Inuel hörte es. Er nickte, und schwieg.

*******

Sie kamen näher. Inuel spürte sie, ohne die Augen zu öffnen. Diesmal fürchtete er sich nicht so sehr. Schon als der Prinz losgezogen war, um herauszufinden, wie sich der Überfall abgespielt hatte, hatte Inuel diesen Moment erwartet. Natürlich hätte er mit dem Prinzen gehen und so in Sicherheit bleiben können, doch plötzlich begann er, an dieser Sicherheit zu zweifeln. Vielleicht sollte er nun ein paar Antworten verlangen.

Das Summen vieler aufgeregter Stimmen legte sich, als er eine sehr starke Präsenz direkt vor sich fühlte. Der Junge brauchte nicht die Augen aufzuschlagen, um als Verursacher jenen Elben zu erkennen, welcher ihn am Vorabend ohne Warnung mit den letzten, schrecklichsten Erinnerungen der Opfer überschüttet hatte. Sogar seinen Namen kannte er.

"Ankulan", begrüßte er den Älteren respektlos. "Laß mich in Ruhe." Als er seinen Blick schließlich auf die hohe Gestalt des Elben heftete, legte das Clanoberhaupt seine Würde ab und setzte sich müde neben Inuel auf den Boden. "Was willst du?"

"Ich möchte mich entschuldigen", sagte der Älteste. Seine Stimme klang sehr melodisch, als hätte er in alter Zeit noch die Lieder gesungen, die durch das Leben geboren wurden.

Schnell erkannte Inuel, daß sein Gegenüber bereits unglaublich alt sein mußte. Kein Wunder, daß er solche Tricks beherrschte. "Wie habt ihr das gemacht?" fragte der Junge neugierig.

"Was meinst du, Junge?"

"Na, all die … Bilder … und so."

Der Älteste musterte Inuel verwundert. "Das war nicht ich", gab er zu. "Du selbst hast das bewirkt. Natürlich wußte ich, daß du es kannst, nachdem du mich sogar am Tage gesehen hast. Eine seltene Gabe, ja …" Er seufzte leise, als er den ungläubigen Blick dieses jungen, sehr jungen Elben traf. "Verzeih, daß ich so voreilig war. Deine Aura ist so stark; ich dachte, du wüßtest es."

"Was … was meinst du?" fragte Inuel tonlos, dann wandte er sich ab. "Nein – ich weiß von nichts."

Ankulan beobachtete das verwirrte Blinzeln, die Stirnrunzeln und diese unruhigen Finger, welche abwesend Figuren auf die Erde zeichneten. Äxte, Stichwaffen und Bögen. "Oh, ich verstehe", lächelte er nachsichtig. "So ist das also. Sag, Junge", fügte er hinzu, "da ich nicht über deine Gabe verfüge, willst du mir nicht deinen Namen sagen?"

Der Jüngere zögerte, entschied sich dann aber, dieser seltsam gruseligen und doch netten Elbenseele zu vertrauen. "Ich habe keinen", erklärte er, "aber Prinz Legolas hat mich Inuel genannt."

"Tatsächlich?" Ankulans Brauen schossen nach oben, und er tauschte gewichtige Blicke mit einigen anderen Elben aus, deren zaghaftes Nicken Inuel frösteln ließ. Der Älteste gewann seine Haltung schnell zurück: "Nun, das ist sicherlich – ein ausgefallener Name."

Da Inuel nicht nachfragen wollte, denn er betrachtete die Namengebung als ein bedeutendes Geschenk und wollte es nicht auseinandernehmen, senkte sich ein langes Schweigen über den Platz.

Irgendwann erkundigte sich Ankulan leise: "Inuel, fürchtest du uns?"

"Nein", kam die Antwort in sicherem Ton.

"Warum nicht, Junge?"

Inuel sah den Älteren nicht an. "Ich habe gesehen."

"Dann weißt du, was – und warum – passiert ist?"

Ein stummes Nicken.

"Und du hast auch gesehen, wer …?"

Zusammenfallende Schultern und ein gesenkter Kopf antworteten der ungestellten Frage zu Genüge.

Erneut legte sich Stille wie ein Leichentuch über die zerstörte Siedlung. Während Inuel nach der richtigen Frage suchte, und Ankulan nach dem weisesten Rat, senkte sich die wolkenverschleierte Sonne dem westlichen Gebirge entgegen und verharrte kurz vor dem Untertauchen, um eine dunkle Silhouette rücklings zu beleuchten, welche sich langsam auf dem Bergpfad näherte. Die Augen aller Seelen folgten Inuels Blick, und sofort erhob sich ein nervöses Murmeln, ehe die Seelen der Toten sich in ihre Verstecke zurückzogen.

Die Hand auf seiner Schulter konnte Inuel mehr ahnen als fühlen. "Was soll ich jetzt tun?" bat er kaum hörbar um Rat.

"Deinem Herzen folgen", empfahl Ankulan ohne viel Hoffnung. "Das allein kann dich zu deinem Ziel führen. Was auch immer es sein mag."

"Wie weiß ich, was mein Herz will?" fragte Inuel ratlos.

Der Älteste zögerte, dann schmunzelte er im Aufstehen. Als auch er sich davon stahl, vernahm der Junge die unklare Antwort: "Nun, du bist immer noch hier, nicht?" Ein sanftes Lachen klang lange in Inuels Ohr nach.

*******

Vom Bergpfad aus hatte Prinz Legolas mit scharfem Blick Inuels ruhig auf dem Boden sitzende Gestalt ausgemacht, und als er nun am Rande der Siedlung aus dem Schatten des Waldes trat, bemerkte er verwundert, daß Inuel sich anscheinend seit seinem Weggang am frühen Vormittag keinen Meter von der Stelle gerührt hatte. Genau wie am Morgen hielt er die Beine angewinkelt und die Unterschenkel übereinandergeschlagen, seine Arme hatte er noch immer so darum geschlungen, daß die Knie in den Armbeugen ruhten, die Schultern hingen merklich nach unten und er starrte Legolas teilnahmslos an.

Diese Gleichgültigkeit, gestand der Prinz sich ein, erschreckte ihn am meisten. Einen Moment hielt er inne und überprüfte den Gedanken. Nein, nicht erschreckend, korrigierte er schnell, es ist einfach nur unangenehm. Wenn er nicht bald damit aufhört …

Aber er wußte nicht, was er in diesem Fall tun sollte. Solche und ähnliche Gedanken hatten ihn bereits den ganzen Tag verfolgt, und langsam begann Legolas sich zu fragen, was ihn an der Stille nun eigentlich so störte. Schließlich hatte er selbst sie verlangt, woran er sich mindestens so deutlich erinnerte wie der Junge. Ob ich vielleicht ihn erschreckt habe?

Noch einmal lief der Streit überdeutlich vor seinem inneren Auge ab. Schweig, hatte er dem Jungen befohlen. Einsichtig entschied der Prinz, daß er sich tatsächlich mal wieder daneben benommen und dem unerfahrenen Elben gegenüber völlig falsch verhalten hatte. Was allerdings eine weitere Frage aufwarf: Warum störte das Inuel nicht?

Soweit er den Jungen bisher kennengelernt hatte, war er aufbrausend, ungezügelt und direkt. Er würde doch nicht einfach so nachgeben, oder? War also die zur Schau gestellte Gelassenheit in Wahrheit nur eben das, Fassade?

Ein kaum merkliches Lächeln umspielte Legolas' Lippen, als er sich Inuel schließlich näherte. Wird das also ein Wettkampf der Sturheit? Warte nur, Junge – darin bin ich unschlagbar.

Inuel fragte sich nervös, warum der Prinz so lange am Rand der Lichtung verharrte und ihn unentwegt musterte. Er fühlte sich innerlich auseinandergenommen und aufmerksam studiert, eine Vorstellung, bei welcher sich seine Nackenhaare sträubten, doch aus der großen Entfernung zwischen ihnen schöpfte er den Mut, ebenso durchdringend zurückzustarren. Der Junge hoffte nur, daß die bebenden Lippen seine Furcht nicht verrieten.

Beinahe gab er sich der Hoffnung hin, Legolas würde einfach wieder verschwinden und ihn in Ruhe lassen. Dadurch wäre die direkte Gefahr gebannt, und Inuel könnte sich vielleicht in der Dunkelheit am Fluß entlang nach Hause schleichen. Andererseits wünschte er sich von Herzen, nicht allein gelassen zu werden, Todesgefahr hin oder her. Mit einem Schaudern erinnerte er sich an die Bilder seiner Träume, ja, doch er erinnerte sich auch daran, daß allein Legolas' Anwesenheit sie vertrieben hatte. Vielleicht bleibt der Prinz einfach dort drüben, das wäre die beste Lösung.

Diese Hoffnung wurde zerschlagen, als sich Legolas mit langen Schritten auf ihn zu bewegte. Das hinterhältige Glitzern in den ohnehin schon brillanten Augen des Prinzen wirkte auf Inuel, dem gerade Fetzen seiner Alpträume durch die Gedanken spukten, wie ein Faustschlag in die Magengrube, und er wich unwillkürlich vor dem eisigen Blick zurück.

Dem Prinzen blieb diese Reflexbewegung nicht verborgen, und er zögerte kaum merklich, ehe er seine Schritte so geschickt an Inuel vorbei lenkte, als wäre das immer seine Absicht gewesen. Sofort verspürte er einen gewissen Stolz über den Eindruck, welchen er dadurch erweckte: als wäre der zusammengekauerte Junge kaum einen Meter zu seiner Rechten Luft für ihn.

Doch sein Sinn für die Energie der Umgebung vermittelte ihm eine kaum zu ertragende Spannung, obendrein hielt Inuel die Luft an, als bereite er sich auf einen Schlag vor, und Legolas konnte seine Angst buchstäblich riechen. Er wurde wütend, ballte aber die Fäuste und ging steifbeinig weiter zu seinem Gepäck, wo er sich hinkniete und ziellos in den verschiedenen Gürteltaschen wühlte, um sich zu beruhigen.

Angst. Es ging gar nicht um Sturheit und Trotz, es war pure, ungezügelte Angst und der Versuch, sie zu bewältigen. Plötzlich verstand Legolas, warum Inuel sich so seltsam verhielt: Untrainiert auch in psychischen Dingen wie er war, besaß er keine Möglichkeiten, seine enorm starken Gefühle, die ihn momentan zu überwältigen drohten, zu kontrollieren. Er reagierte unbewußt und instinktiv, indem er sich von der Ursache abzugrenzen versuchte.

Und die bin ich, stellte Legolas mürrisch fest. Deswegen klappt es auch nicht, denn zur Zeit ist er von meiner Anwesenheit abhängig und weiß das auch. Der Elbenprinz konzentrierte sich auf seinen inneren Ruhepunkt und entspannte sich, während er nachdachte. Wieso fürchtet er sich auf einmal so vor mir? Ich kann ihn doch unmöglich SO in Schrecken versetzt haben. Oder?

Eine Weile durchforschte er die Erinnerungen an die vielen Ereignisse in der kurzen Zeit mit Inuel. Na gut, räumte er ein, ich hab ihn ein paarmal ziemlich angefahren. Aber es war doch nur Spaß! Dann erinnerte er sich an den Haarschnitt. In Ordnung, es war Spaß für mich. Trotzdem – heute früh war er noch völlig normal, hat sogar rumgestritten … Legolas seufzte. "Vielleicht hätte ich ihn nicht so anschreien sollen", murmelte er gedankenverloren.

Inuel hörte ihn. Alle seine Sinne waren auf diese unberechenbare Gefahr fokussiert, und so vernahm er auch die nur leise geflüsterte Aussage des Prinzen. Dennoch dauerte es eine Weile, ehe die Bedeutung der Worte den Nebel seiner Furcht durchdrang und ihm ein wenig Klarsicht verschaffte.

Anscheinend betrachtete Legolas die Auseinandersetzung des Morgens als den Grund für Inuels Furcht. Inuel hatte versucht, ihm zu sagen, was er gesehen hatte, und zu fragen … Doch der Prinz hatte ihn nicht zu Wort kommen lassen. Zuerst glaubte Inuel, der ältere Elb wollte einfach nicht über die Wahrheit sprechen, aber was, wenn er nicht mal daran denken wollte? Konnte es sein, daß Legolas gar nichts wußte, es vielleicht … gar nicht war? Unerwartet wärmte eine winzige Hoffnung sein Herz.

Auch Legolas spürte die Veränderung. Als hätte er durch seine eigene Entspannung auch Inuel beruhigt, löste sich die furchtgeladene Stimmung in seinem Rücken allmählich auf. Schließlich wagte der Prinz, sich umzudrehen, und er bemerkte überrascht einen entfernten, hoffnungsvollen und gleichzeitig mitleidigen Ausdruck in dem noch immer auf ihn gerichteten durchdringenden, feuchtschimmernd grünen Augenpaar.

Ihm stockte der Atem. "Woran denkst du jetzt, Inuel?" fragte er entgegen aller guten Vorsätze. "Sag mir, woran du denkst – gerade jetzt."

Seltsamerweise erhielt er sogar eine Antwort: "Ich überlege, ob du vielleicht – sag, Prinz: Hast du vielleicht einen Zwillingsbruder?"

"Ob ich – was?"

"Spielst du mit mir?"

Eine Kinderhand, nicht größer als seine eigene, aber schon viel stärker, zupfte an seinem untadeligen Gewand. Er versuchte, sie abzuschütteln und sich wieder auf die antike Schriftrolle zu konzentrieren, was unglücklicherweise genau den gegenteiligen Effekt hatte: Das Zupfen verwandelte sich in ein energisches Zerren.

"Willst du nicht mit mir spielen? Komm schon, Le, spiel doch mit mir!"

Widerwillig hob der kleine Prinz die Nase aus dem Text und starrte sein Spiegelbild finster an: "Ich mag deine Spiele nicht!"

"Wieso nicht?" fragte der andere Junge grinsend. "Alle spielen es doch, es ist ein tolles Spiel."

Legolas schnaubte verächtlich und vertiefte sich wieder in die Schrift. Mit Pfeil und Bogen auf unbewegliche Ziele zu schießen, mit stumpfen Schwertern auf hilflose Baumstämme einzudreschen und sich gegenseitig zu verprügeln betrachtete Legolas durchaus nicht als toll. Es kam ihm nicht nur furchtbar langweilig vor, sondern die Spiele ruinierten seine Kleidung, ganz zu schweigen von seiner Gesundheit.

"Du magst es ja nur nicht, weil du dauernd verlierst", stellte sein Bruder richtig fest.

Damit traf er den Nagel auf den Kopf, und Legolas war sich nicht zu fein, es vor seinem Zwilling einzugestehen: "Wenn du immerzu blutig nach Hause kämest, würdest du die Spiele auch nicht so bejubeln!" Und außerdem …

"Jaja, und außerdem kriegst du immer einen Anpfiff von Ada."

Und außerdem glaube ich, daß du Gedanken lesen kannst. "Ich lege nun einmal mehr Wert auf Vaters Meinung als du", verteidigte sich Legolas. Er hatte schon vor Jahren aufgehört, den Kosenamen zu benutzen; seit er das Konzept Respekt verstanden hatte. Nur sein Bruder weigerte sich stur, die lässige Bezeichnung abzulegen, und wies immer wieder darauf hin, er dürfe das, weil er der jüngere von beiden sei. "Was findest du überhaupt an den Kriegsspielen?"

Prinz Legolas erwartete keine Antwort: Diese Frage hatte er ein Dutzend Mal gestellt, um die Gespräche zu beenden. Für gewöhnlich funktionierte das ganz gut.

Wie auch immer, heute funktionierte es nicht: "Was schon?!", rief der jüngere Prinz aufgeregt. "Sie machen mich zum allerbesten Krieger in ganz Düsterwald, und bald kann ich mit dem Heer in den Krieg ziehen!"

"Kannst du nicht", warf Legolas nüchtern ein.

"Kann ich wohl! Ich weiß, normal darf man erst mit achthundert Jahren, aber wenn ich ganz gut bin, darf ich auch schon mit siebenhundert."

Prinz Legolas lachte leise: "Du bist doch noch nicht einmal vierhundert, Kleiner. Außerdem wird Vater es verbieten: Du bist immer noch ein Prinz."

"Na und? Ada hat ja dich. Ich will hier nicht rumhocken und versauern, ich geh lieber kämpfen. Ich werde alle platt machen, von den Zwergen über die Orks bis zur dnknmmm…!!!"

Einen Moment lang amüsierte sich Legolas über das entrüstete Funkeln in den Augen seines Zwillings, als er seine Hand fest auf den Mund des Jungen preßte. Doch als sein Bruder die Hand mühelos entfernte, wurde der Prinz wieder ernst.

"Sprich dieses Wort niemals aus, Osuldar."

Der nur wenige Minuten jüngere Elb senkte beschämt den Kopf, nickte aber vernünftig und schwieg.

Nach einer Weile schaute er seinen 'großen' Bruder bettelnd an: "Spielst du nun mit mir? Alle anderen sind schon zu schwach für mich. Sie haben Angst vor mir."

Legolas neigte den Kopf leicht zur Seite und betrachtete sein Ebenbild nachdenklich. Innerlich waren sie verschieden wie Feuer und Eis, und selbst äußerlich zeichneten sich trotz des Kindesalters schon Unterschiede ab: Osuldars Hautfarbe war von der Sonne dunkel gefärbt, die Oberfläche rauh, an vielen Stellen abgeschürft oder von Horn bedeckt. Er verfügte bereits über deutlich ausgeprägte Muskeln, wodurch seine Schultern breiter und seine Figur überhaupt stämmiger wirkte, und über die Gelenke spannten und entspannten sich die Sehnen mit unaufhaltsamem Tatendrang.

Es wunderte ihn kein bißchen, daß die übrigen Kinder ihn fürchteten. Selbst Legolas liefen bei dem Gedanken an einen weiteren Kampf entsetzte Schauer über den Rücken. Andererseits, wenn er nicht mit ihm spielte, wer dann?

"Na gut", entschied er und rollte den Text über Heilpflanzen zusammen, "aber danach mußt du mir beim Kräutersuchen helfen, damit Vater nicht wieder die blauen Flecken sieht. Abgemacht?"

Die eisblauen Augen strahlten wie die Sommersonne. "Oh super! Abgemacht!" Im Hinauslaufen warf er lachend über die Schulter: "Ich werde auch ganz sanft sein, versprochen!"

Seufzend betastete Prinz Legolas die Narbe hinter seinem rechten Ohr, welche ihm jener Kampf eingebracht hatte. Osuldar ist in der Tat sanft gewesen, sah er im Nachhinein ein. Ich hätte buchstäblich den Kopf verlieren können … Natürlich war der ganze Aufruhr König Thranduil nicht verborgen geblieben, und daß sein halbverbluteter Sohn in den Gängen des Schlosses praktisch vor seine Füße fiel, hatte ihn sicher auch nicht beruhigt.

Damals hatte Legolas, dessen Wunde sich sofort entzündet hatte, zwei Tage mit einem schweren Fieber im Bett gelegen. Schließlich war er zu sich gekommen, nur um festzustellen, daß Osuldar neben ihm lag, schlafend, aber mit Tränen im Gesicht. Mit beiden Händen umklammerte er die Reste seiner Lieblingswaffen, einen silbernen Schwertgriff mit abgebrochener Klinge und das gerade noch handlange Ende seines zersplitterten Bogens, an dem noch die lange Sehne hing.

Legolas hatte daraus geschlossen, das sei Thranduils Strafe gewesen, und war nur froh darüber, daß er für eine Weile nicht mehr mit Osuldar zu kämpfen brauchte. Aber Osuldar hatte sich danach verändert; er war nie wieder auf eine Herausforderung eingegangen, und Legolas hatte ihn nie wieder kämpfen sehen.

Nachdem er den Prinzen eine Weile betrachtet hatte, konnte Inuel den traurigen Ausdruck in dessen Augen nicht länger ertragen. Er räusperte sich, erhielt aber keine Reaktion.

"Es … es tut mir leid", stammelte er verwirrt. "I-Ich wollte nicht, ähm … ich dachte bloß, weil – naja, nun … du hattest einen, stimmt's." Als er den Satz endlich zu Ende brachte, klang es nicht einmal mehr wie eine Frage. In seinem Inneren kannte Inuel die Antwort, obwohl er sich nicht daran erinnern konnte woher.

"War das", fragte er zögernd und versuchte sich an den dunkel in seinem Geist schwimmenden Namen zu erinnern. "Ursula?"

Unmittelbar kehrte die Schärfe in Legolas' Blick zurück. "Osuldar", korrigierte er gereizt. "Und woher weißt du überhaupt von ihm?"

Der junge Elb dachte angestrengt nach, doch seine Erinnerung blieb verworren und verschwamm sogar noch mehr. "Ich weiß es nicht", gab er schließlich zu. "Vielleicht kannte ich ihn?"

"Unmöglich." Prompt und bestimmt. "Er war ein Prinz, und du nur … obwohl …" Ein Hauch von Zweifel legte sich auf Legolas' Stimme, gemischt mit einem Anflug von Belustigung. "Er ist eigentlich immer überall gewesen, nur nicht da, wo er sein sollte. Vielleicht kanntest du ihn tatsächlich."

Dazu gab es nichts zu sagen, also hielt Inuel den Mund und hing weiter seinen Gedanken nach. Wenn ich nur wüßte, wieso …

"Wieso hast du eigentlich so ein schlechtes Gedächtnis?"

Inuels Augen sprangen weit auf, dann kniff er sie argwöhnisch zusammen: "Kannst du Gedanken lesen?"

Plötzlich erinnerte sich Prinz Legolas an eine ähnliche, längst vergangene Unterhaltung, und mußte unwillkürlich lachen.

Es war ein freies, unbekümmertes Lachen, ein heller Ton, wie ihn Inuel zuvor noch nicht vom Prinzen gehört hatte. Freude und Zufriedenheit schwang darin wie der Klang einer Glocke, und es dauerte nicht lange, bis auch Inuels Herz erfaßt wurde und er begann, grundlos mitzulachen. Gemeinsam hielten sie mit diesem Augenblick Glück die von Osten nahende Finsternis eine Weile von sich fern.

*******

"Wohin gehen wir jetzt?" erkundigte sich Inuel gutgelaunt. Er lief dem Prinzen mit leichten Schritten voran, Knüppel in der einen und Stab in der anderen Hand, während er spielerisch die größeren Felsblöcke am Wegrand untersuchte.

Prinz Legolas wunderte sich, ob der Junge ebenso neugierig vorauslaufen würde, hätte er ihn nicht bereits von der Ungefährlichkeit der Strecke überzeugt. Auf dem Rückweg von seinen Erkundungen hatte er etwas abseits des breiten Pfades einen weiten, tief in den Berg reichenden Überhang ausgemacht, zu dem sie jetzt unterwegs waren.

"Heute Nacht wird es regnen", erklärte er. "Du willst dann nicht draußen sein, oder? Wir gehen zu einem Unterschlupf."

"Aha." Der Erwiderung mangelte jegliches Interesse. "Wie weit ist es noch?"

"Hast du Hunger, Inuel?"

"Nein."

Ein gedämpftes Quallern ertönte aus dem Bauch des Jungen, der sich ertappt auf die Lippen biß, während sein Gesicht selbst in der Dunkelheit sichtbar zu glühen begann.

"Vielleicht ein bißchen", räumte er ein.

Legolas lachte leise, dann streckte er eine Hand aus und zeigte auf einen dunklen Fleck links von ihnen, nicht viel höher als sie bereits gekommen waren. "Wir sind fast da."

"Oh!"

Für den restlichen Weg schien Inuel die Felsbrocken zu vergessen; seine ganze Aufmerksamkeit war auf das sich nähernde, riesige schwarze Maul gerichtet. Ich laß ihm die Aufregung, entschied Legolas. Er wird früh genug enttäuscht werden. Immerhin handelte es sich um nichts weiter als eine vermutlich von Wasser ausgespülte Berghöhle, die sich von der Elbenstadt kaum unterschied. Mit der Ausnahme, daß sie entschieden zu karg war für den Geschmack des Prinzen. Nun ja, als Unterschlupf genügt es wohl, sagte er sich. Es wird schließlich nicht ewig regnen.

"Oh!" rief Inuel erneut, als er entzückt die Höhle musterte. "Ist das aber schön!"

Verwirrt starrte Legolas den Jungen an, der bereits in die Dunkelheit gerannt war und sich dort unbeschwert von einer Wand zur anderen tastete. Dann ließ er seinen Blick ebenfalls über die Felsen schweifen und versuchte herauszufinden, was Inuel an den tristen Felsen so faszinierte.

Nun, vielleicht war der Junge an ein viel engeres Quartier gewohnt und empfand den Platz deshalb als besonders erfreulich: Der Eingang schien etwa zehn Meter breit und fünf hoch, und dahinter wölbte sich der Raum noch etwas weiter aus. Auf beiden Seiten hielt er seine Breite, doch zum Berg hin gab es keine Rückwand: Die Decke zog sich in unerkennbare Finsternis nach hinten und traf sich vermutlich in weiter Ferne mit dem Boden.

Und Inuel hatte recht: Es war schön.

Im Osten stand jetzt ein voller Mond dicht über dem Horizont und warf sein fahles Licht direkt in die Öffnung, wo es zu allen Seiten von natürlich im Fels gelagerten Edelsteinen reflektiert wurde. Als Legolas vor Stunden diesen Ort gefunden hatte, lag er im Schatten der tiefstehenden Sonne, und die Details der Umgebung hatten ihn auch nicht wirklich interessiert. Doch jetzt übte die reine Schönheit der Höhle einen ästhetischen Reiz auf ihn aus, den er nicht zu leugnen vermochte.

Noch immer draußen stehend betrachtete er Inuel, der versuchte, die staubigen Lichtfäden mit seinen Händen zu unterbrechen. Im Stillen dankte der Prinz dem Jungen für den Hinweis auf die herrliche Umgebung. Wie schade, fügte er hinzu, daß der Mond dafür bald zu hoch steigen wird. Und plötzlich kam ihm eine Idee.

"He, Inuel? Was würdest du von einem Feuer halten?"

Der Junge überlegte, kam aber nicht auf den offensichtlichen Zweck. "Heißt das, es gibt heute etwas anderes als Lembas?"

Beinahe wäre der Prinz in Gelächter ausgebrochen, erinnerte sich aber rechtzeitig an Inuels Unwissenheit und bezwang diesen Drang. So unlogisch war die Annahme gar nicht, und mit Sicherheit praktischer als Legolas' Anliegen. "Ja, wenn du magst."

"Toll! Aber …" Inuel trat vor den Eingang und spähte an den Felswänden entlang. "Müssen wir bis zum Wald zurück?"

"Natürlich. Laß die Sachen hier, dann geht es schneller."

Er nahm mit einiger Zufriedenheit hin, daß Inuel sich nicht weiter beschwerte, und vermerkte in seinem Gedächtnis den Einfluß von NAHRUNG auf seinen jungen Begleiter mit großen Leuchtrunen. Allerdings hatte sich Legolas als Prinz nie selbst um die Zubereitung kümmern müssen und auf Reisen einfach die Lembas gegessen. Hoffentlich vermaßle ich das nicht.

Es dauerte keine Stunde, ehe sie mit vier Armvoll Holz in die weite Höhle zurückkehrten. Kurz darauf verschwand Inuel noch einmal ohne viele Worte, und Legolas kümmerte sich um die Vorbereitungen. Eine Feuerstelle war mit den herumliegenden Steinen schnell eingerichtet, und geschickt entfachte er ein Feuer, welches sie mit ihren Holzvorräten gut die ganze Nacht über erhalten konnten, wenn nötig. Zuletzt löste der Prinz vom Allzweckgürtel seinen einzigen metallenen Topf, in welchem er bisher nichts anderes als Wasser gekocht hatte. Unsicher drehte er den Gegenstand in seinen Händen hin und her.

"Was soll ich jetzt machen?" fragte er sich selbst.

In diesem Augenblick betrat Inuel die Höhle, hielt mit beiden Händen ein in große Blätter gewickeltes Bündel, welches er neben die Feuerstelle legte, und schaute dem verlegenen Prinzen in die Augen: "Darf ich?"

"Was hast du denn vor?" wollte Legolas wissen, überreichte ihm aber den Topf.

Inuel starrte ihn an. "Essen kochen?"

Mit knapper Not verbiß sich Legolas sämtliche Kommentare, und das Schweigen zog sich in die Länge, bis der noch immer starr vor ihm hockende Junge anmerkte: "Es … es sei denn, du möchtest nicht, daß ich … von mir … ähm, willst du vielleicht lieber selber kochen?"

"Zumindest bräuchte ich mir dann keine Sorgen um Nebenwirkungen zu machen", murmelte der Prinz. Jedoch nicht leise genug, wie ihm tiefe Furchen in Inuels Stirn bewiesen, weshalb er hinzufügte: "Kannst du überhaupt kochen?"

Ein eisiger Schatten strich über das Gesicht des jungen Elben. "Im Gegensatz zu anderen Personen in dieser Höhle bin ich nicht in der Lembasküche aufgewachsen."

Daraufhin hielt der Prinz es für klüger zu schweigen. Mit gemischten Gefühlen beobachtete er, was Inuel zusammenbraute. Zuerst legte der Junge zwei große, blattumhüllte Klumpen nahe an die Flammen, dann kochte er einige handtellergroße Blätter auf, bis das Wasser eine weißtrübe Färbung annahm und zähflüssig wurde. Als er die Blätter entfernte, strömte ein aromatischer, minziger Duft aus dem Topf, welchen Legolas erkannte: Heiler nutzten diese Kräuter, um Pasten herzustellen, die Kranken beim Atmen halfen. Unwillkürlich rümpfte er die Nase. Er hatte nicht vor, Medizin zu schlürfen.

Inuel ließ sich vom widerwilligen Ausdruck seines Begleiters nicht abschrecken. Ruhig mischte er zwei Sorten Beeren in die milchige Flüssigkeit und zerstampfte die Früchte, bis ein cremiger Brei entstand. Auch einige Nüsse hatte er am Waldrand aufgetrieben, und für einen kurzen Moment wünschte er sich, er könnte in dieser fruchtbaren Gegend bleiben und müßte nicht in den kargen Düsterwald zurückkehren. Geistesabwesend zerkleinerte er die Nüsse zwischen zwei Steinen, ehe er sie ebenfalls in die jetzt dunkelrote Creme rührte.

Prinz Legolas zappelte unruhig auf seinem Platz hin und her, während Inuel den Topf von der Feuerstelle zog und gleichmäßig die langsam erkaltende Creme umrührte. Er sorgte sich nicht länger um Krankheiten, im Gegenteil: Der minzig-süße Duft ließ ihm das Wasser im Mund zusammenlaufen, und er fragte sich allmählich, ob er heute noch essen dürfte, oder ob es morgen dabei würde.

Endlich fischte der jüngere Elb die blattumwickelten, halbverkohlten Brocken aus dem Feuer, zupfte die oberen Enden auf und schüttete die Creme hinein. Danach stellte er den Topf zur Seite und reichte dem Prinzen einen Löffel und den größeren Klumpen, welchen Legolas verwundert musterte. Vorsichtig plazierte er das heiße Bündel auf einem flachen Stein und zog die Blätter nach unten. Erst jetzt entdeckte er, daß es sich bei dem Stück um einen riesigen gebackenen Apfel handelte, welchen Inuel offenbar schon vorher ausgehöhlt hatte und der nun mit warmem Fruchtpudding gefüllt war. Es roch herrlich.

"Du kannst es ruhig essen", beschwerte sich Inuel, da Legolas sich nicht rührte. "Bloß vom Anstarren wird man nicht satt. Und du hast ja gesehen, daß nichts Giftiges drin ist, oder?"

Er selber langte schon arglos mit Legolas' Spatel zu, da der Prinz nur einen Löffel besaß. Hingerissen von dem Duft und überzeugt von seinem knurrenden Magen folgte der ältere Elb seinem Beispiel und aß in Windeseile auf.

"Das hat sehr gut geschmeckt", rang er sich schließlich zu einem Lob durch. "Inuel, wo hast du Kochen gelernt?"

Der Junge zuckte die Schultern: "Man muß schließlich satt werden. Und wenn man schon was macht, dann kann's wenigstens auch gut schmecken, nicht? – Ah, bin ich erledigt. Was dagegen, wenn ich schlafen gehe?"

"Äh …" Legolas zögerte. Er hatte zwar keine Antwort bekommen, aber Inuel schien wirklich müde zu sein, so schwer wie er auf den harten Boden sank. "Nein, natürlich nicht."

"Gut", gähnte der Junge. "Nacht."

Nach einer Weile fiel Legolas etwas ein: "Inuel?"

"Hm?" erklang die schläfrige Antwort.

"Danke."

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A/N: Die Elben leiden für gewöhnlich nicht an Wundfieber, es sei denn, die Waffe war vergiftet. *boshafte Andeutung mach* Legolas' Krankheit mag natürlich eine andere Ursache haben, aber mehr darf ich noch nicht verraten. *^_^* Bitte habt Geduld.

Eure Mel