A/N: Also, um welche Furcht geht es nun? Endlich komme ich dazu, euch auch das zu erzählen. ^.^ Zwar studiere ich (noch) nicht Psychologie, aber beschäftigt habe ich mich mit solchen Fragen schon immer. Meiner Meinung nach ist es eine wichtige Voraussetzung für Schriftsteller, daß man sich in alle seine Charaktere hineinversetzen kann und sie versteht. (Auch, wenn man sie nicht leiden kann. ^^")
Ah ja, amlugwen (okay, es ist Kapitel 5, sorry) hat die Frage aufgeworfen, wie denn Geister eigentlich aussehen, und mir ist aufgefallen, daß ich das nirgendwo beschreibe. Hm … Inuel sieht diese Leute nicht als Gespenster, sondern als Manifestation dessen, wie sie sich selbst wahrnehmen. Die Elben betrachten sich natürlich, wenn sie mit anderen sprechen, würdevoll als "heil". Daher wirken sie auf den Jungen wie reale Personen, es sei denn, sie verwirren ihre Erscheinungsform absichtlich. Das können sie ja steuern, indem sie sich einfach nicht mehr als "Elb" betrachten. Glaube ich. Aber ich bin kein Metaphysiker. Berühren kann er sie nicht, aber bei Hautkontakt spürt er deutlich ihre Präsenz.
Disclaimer: Auch Celabon gehört mir, der Name ist nur ausgedacht und bedeutungslos.
Rating: PG-13 (für ein klein bißchen Blut, ein bißchen Gewalt und ein bißchen mehr Haut … ach ja, und eine winzige Andeutung ^.~)
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Früchte der Furcht
Kapitel Fünf
Inuel erwachte durch die unerträgliche Hitze und ein lautes Knistern und Knacken, welches ihn zuerst an einen Überfall denken ließ. Doch es erschienen keine Angreifer abgesehen von den großen, weit fliegenden Funken des enormen Feuers, welches neben ihm brannte. Sie drohten bereits seine Kleidung zu entzünden.
Erschrocken sprang der Junge auf und lief halb um die Feuerstelle. Auf der anderen Seite kniete Prinz Legolas gefährlich nah an den Steinen und warf mit wilden Bewegungen nach und nach den ganzen Holzvorrat ins Feuer, während er mit einem undeutbaren, vernebelten Blick in die Flammen starrte.
"Was tust du denn da?" rief der Junge entgeistert und drängte sich zwischen den Elbenprinzen und den merklich geschrumpften Holzstapel. "Das ist ja das reinste Leuchtfeuer!"
Die Flammen sprangen inzwischen fast einen Meter hoch, und Inuel versuchte verzweifelt, die größeren Scheite aus dem Feuer zu ziehen. Es gelang ihm nur mit mäßigem Erfolg, denn wann immer er sich vorbeugte, legte Legolas nach.
"Hör auf!" Ohne nachzudenken, schlug er dem Prinzen einen Scheit aus den Händen. "Was soll das überhaupt? Willst du –"
In seiner Hast, das Feuer zu verkleinern, hatte er nicht bemerkt, wie Legolas den letzten Scheit wieder aufgenommen hatte. Allerdings landete das Holz diesmal nicht in den Flammen, sondern mit einem harten Schlag auf Inuels Hinterkopf. Die reine Kraft warf ihn nach vorn, und in seiner Benommenheit gelang es ihm erst im letzten Moment, sein Gewicht seitwärts zu verlagern, so daß er nicht köpflings in die Flammen fiele. Dafür stürzte Inuel nun ungebremst mit der Stirn gegen die kantigen Steine und verharrte einen langen Moment betäubt auf dem Boden, während er gegen die Bewußtlosigkeit ankämpfte.
Er lag seitlich, dem Feuer zugewandt, konnte aber außer flackernden Schemen nicht viel erkennen. Trotzdem spürte er, wie es stetig heißer wurde, und das Knarzen und Knacken nahm wieder zu. Er wußte, daß der Prinz dafür verantwortlich war, und daß das helle Licht nicht nur ungebetene Gäste anlocken, sondern auch Legolas verletzen könnte. Er wußte auch, daß er ihn aufhalten sollte, doch er fühlte sich extrem hilflos, und sein Körper gehorchte ihm nicht richtig.
Mühsam drehte sich der Junge auf den Bauch und zog die Knie an, dann versuchte er sich mit den Armen nach oben zu stemmen. Er brauchte vier Versuche, ehe er halbwegs die Balance halten und sich umdrehen konnte. Er blinzelte, um den heißen Dunst vor seinen Augen zu durchdringen. Dichte Rauchschwaden erfüllten inzwischen die gesamte Höhle, reizten die Atemwege und vernebelten die Sicht.
Schließlich erkannte Inuel verschwommen eine Gestalt, die praktisch an den Steinen kniete. Keine Handbreit vor ihm züngelten die heißen Flammen aufwärts, und der Prinz beugte sich vor, um den wahrscheinlich letzten Scheit möglichst auf der Spitze des Haufens zu plazieren. Unter Schock verlor Inuel wertvolle Sekunden, als er wie versteinert beobachtete, wie die Flammen von der Kleidung um Legolas' Arm Besitz ergriffen. Der Prinz schien es nicht zu merken.
"Vorsicht, Legolas, paß auf!" Endlich fiel die Starre von dem Jungen, als er mit aller verbliebener Kraft gegen den stärkeren Elben sprang und ihn im Fallen mitriß, in sichere Entfernung zum Feuer. Da er nichts Passendes zur Hand hatte, legte sich Inuel auf den brennenden Arm des Prinzen, bis die Flammen erstickten. Dann kniete er sich wieder hin und klopfte die letzten Funken aus. Legolas stöhnte leise.
"Es war ausgegangen", murmelte er. "Es war ausgegangen, es war aus …"
"Jaja", fuhr ihm Inuel hustend ins Wort und versuchte, den Prinzen hochzuziehen. Erfolglos. "Mußtest du deshalb gleich einen Großbrand entfachen? Komm schon, hilf mir hier; ich kann dich nicht tragen!"
Legolas rührte sich nicht. Er blickte starr nach oben, noch immer mit diesem undeutbaren Blick, welcher Inuel zu Tode erschreckte. Er murmelte weiter, undeutliche Worte, von denen Inuel nur hier und da ein "aus" oder "dunkel" verstand.
Als die Rauchschwaden immer noch dichter wurden und er schon fast nicht mehr atmen konnte, während der ältere Elb sich keinen Fingerbreit vom Fleck bewegte, verfiel der Junge in Panik. Er rüttelte den Prinzen, heiße Tränen in den gereizten Augen, und versetzte ihm in letzter Hoffnung eine schallende Ohrfeige: "Legolaaaaaas!"
Die Augen des Prinzen fielen zu und er verstummte, dann blinzelte er träge gegen den Qualm, ehe sein Blick auf den Jungen fiel. "Inuel?"
Es war nur ein heiseres Flüstern, doch es genügte, um Inuel zu beruhigen. Erneut zerrte er am unverletzten Arm des Prinzen, welcher diesmal reagierte und sich verwirrt aufrichtete. "Komm, wir müssen hier raus!" Halb zerrte, halb schob er seinen Begleiter in Richtung Höhlenausgang, doch je näher sie kamen, um so stärker sträubte sich Legolas gegen den drängenden Jungen.
Ziemlich entkräftet gab Inuel etwa zwei Meter vor dem Ausgang auf, stemmte sich aber entschlossen gegen die Rückzugsversuche des Prinzen. "Was hast du denn bloß?" keuchte er. "Wir können nicht hier drinnen bleiben, es ist zu stickig!" Ein atemloser Hustenanfall unterstütze sein Argument genau zum richtigen Zeitpunkt.
Ebenso atemlos, aber aus einem anderen Grund, beäugte Prinz Legolas die finstere, tiefschwarze Wand vor dem Höhleneingang. "Es … es ist dunkel draußen", erklärte er tonlos.
Schweigen von Inuel.
"NA UND?!" explodierte der Junge schließlich. "Lieber atme ich im Dunkeln, als im gleißenden Licht zu ersticken! Raus mit dir!"
Entschieden schob und drückte er den widerspenstigen Prinzen aus der Höhle auf die Plattform vor dem Eingang und um eine Ecke, um Abstand vom Rauch zu bekommen. Sobald sie außer Sicht des Feuerscheins waren, konnte er Legolas allerdings keinen Millimeter mehr bewegen, als würde er gegen eine Steinsäule ankämpfen. Eine bibbernde Steinsäule.
Besorgt hielt Inuel inne und umfaßte mit beiden Händen die Oberarme seines Gefährten. Tatsächlich vibrierten die Muskeln unter seinen Fingern, ein unaufhörliches Beben zog sich durch den Körper des Elben.
"Prinz", hauchte Inuel verlegen, "du zitterst ja."
Betroffen suchte er im Gesicht des Prinzen nach einer Antwort. Es war stockfinster hier draußen; der wolkenverhangene Himmel ließ nicht das kleinste Sternenfunkeln zur Erde dringen, geschweige denn Mondlicht, und sie standen tief im Schatten der hell erleuchteten Höhle. Nur die rötlich beschienenen Rauchschwaden, welche sich aus dem Ausgang träge aufwärts wölbten, warfen einen düsteren Schein auf die Augen des großen Elben, der verzweifelt in das einzige Licht starrte. Endlich erkannte Inuel den vorher undeutbaren Ausdruck.
"Legolas …"
Bettelnd richtete der Prinz seinen Blick auf den Jungen. Inuel schluckte: Furcht stand darin geschrieben. Legolas hatte genau solche Angst vor der Dunkelheit, wie der Jüngere das Wasser fürchtete. Zögernd ergriff Inuel die Hand des Prinzen und führte ihn zum Eingang zurück. Als jedoch Legolas beim Anblick des Feuers sofort in die Höhle stürzen wollte, hielt der Junge ihn krampfhaft zurück.
"Nicht da rein! Wir müssen am Eingang bleiben!"
Er zerrte Legolas zur Seite und drückte ihn an den Felsen, dann zog er ihn mit einiger Schwierigkeit in eine sitzende Stellung und legte sich halb über ihn, um den Stärkeren am Aufstehen und Wegrennen zu hindern. Es war natürlich lächerlich, und wäre Inuel nicht so erschöpft gewesen, hätte er vielleicht auch gelacht: Der Prinz hätte sich jederzeit mühelos erheben und den Jungen dabei problemlos über die zehn Meter entfernte Klippe schleudern können. Er tat es aber nicht, sondern fügte sich, was Inuel neuen Mut machte.
Dennoch verharrte er in seiner unangenehmen Lage, nur für den Fall. Als erneute Schauder den Prinzen erfaßten, griff Inuel blindlings nach der Hand auf seiner Seite und drückte fest zu. "Wir können nicht rein", sagte er beschwichtigend. "Es ist noch zu qualmig und –" Ein Hustenanfall unterbrach ihn. "Und ich kann ja kaum noch was sehen …"
Die Wirkung des Rauchs oder des Sturzes war noch nicht ganz abgeklungen, und die Nähe zu den Schwaden half auch nicht besonders. Benommen, aber in guter Absicht, murmelte Inuel weiter, ohne sich der Worte wirklich bewußt zu werden. Solange er nur Legolas irgendwie stillhalten konnte, würde schon alles in Ordnung gehen. Aber das Sprechen wurde schwerer, und Inuel spürte, wie er erneut an den Rand der Bewußtlosigkeit geriet. Diesmal fehlte ihm die Kraft, ihr zu widerstehen.
Plötzlich bewegte sich seine Umgebung, wodurch ihm ausgesprochen übel wurde. Es dauerte eine ganze Weile, ehe er erkannte, daß Legolas ihn hochgehoben hatte: Er lag nicht länger bäuchlings über den Beinen des Prinzen, sondern saß praktisch auf dessen Schoß, mit dem Kopf gegen seine Brust gelehnt. Darin vernahm er einen rasenden Herzschlag, der dem trägen Pochen in seinen eigenen Ohren stark widersprach. Inuel wußte auch, daß er noch immer redete, obwohl er keine Ahnung hatte worüber. Erst ein stechender Schmerz an seiner Stirn ließ ihn zusammenzucken und verstummen, während ungewollt Tränen seine Wangen hinabliefen.
"Entschuldige", drang Legolas' ruhige Stimme durch die Stille. "Das sieht nicht gut aus, Inuel." Die Stimme wurde leiser, als der sich verlangsamende Herzschlag unter seinem Ohr Inuels ganze Wahrnehmung einnahm. Bevor er sich der Dunkelheit übergab, hörte er undeutlich wie ein Seufzen im Wind: "Was hast du wieder angestellt?"
*******
Legolas spürte an Inuels zunehmendem Gewicht, daß der Junge eingeschlafen war. Erleichtert lehnte er sich zurück und drehte den Kopf so, daß er nur das hell erleuchtete Höhleninnere sah. Natürlich war ihm klar, daß der jüngere Elb Recht hatte: Sich in die rotgrauen Qualmwolken zu begeben, wäre Selbstmord gleichgekommen. Dennoch verspürte er nach wie vor den irrationalen Drang, aus dieser Dunkelheit zu fliehen, wenn nötig eben in den Rauch, solange es dort Licht gab.
Es fiel ihm unglaublich schwer, dieses Verlangen zu bekämpfen, aber zumindest verfügte er nun über genügend geistige Klarheit, den Kampf aufnehmen zu wollen. Die bloße Anwesenheit Inuels bestärkte ihn darin, denn ginge er tatsächlich in die Höhle, würde er auch das Leben des Jungen gefährden. Es sei denn, ich lasse ihn hier draußen …
Energisch zog der Prinz den Jungen dichter an sich. Plötzlich wünschte sich Legolas nichts sehnlicher, als daß der Kleine immer noch reden würde. Nicht, daß er viel Zusammenhängendes gesagt hatte, aber seine Stimme hatte Legolas von seiner Angst abgelenkt, und wäre der Junge noch bei Bewußtsein, hätte der Prinz nie erwogen, ihn hier liegen zu lassen und zum Licht zu gehen. Bei Bewußtsein … wiederholte er stumm den Gedanken.
"Du schläfst gar nicht, oder?" fragte er den reglosen Jungen und betrachtete aufmerksam das fahle Gesicht an seiner Brust.
Legolas hatte Inuel schon schlafen sehen und wußte, daß der junge Elb förmlich von einem Traum in den nächsten schlitterte, beinahe ohne Zwischenstopp. Er träumte auch sehr angeregt, sozusagen mit Händen und Füßen, und es wunderte Legolas kurz, daß ihm die betäubende Stille des Jüngeren erst jetzt auffiel. Dem glatten Gesicht fehlte jeglicher Ausdruck, die Wangen und Lippen waren äußerst blaß und auf der bleichen Stirn klaffte ein gezackter, blutverkrusteter Riß.
Noch ehe der Prinz die Untersuchung beendet hatte, öffnete sich der Himmel und ließ ohne Vorwarnung das seit Tagen angestaute Wasser zur Erde fallen. Automatisch wich Legolas ein wenig vom Rand zurück, betrachtete aber nach einigen Minuten die Regenwand und die kleinen Wasserfälle, welche von dem knappen Vorsprung über dem Eingang stürzten, und überlegte es sich anders. Zum Glück gab es hier ein Gefälle, so daß sich keine Pfützen bildeten und auch nichts in die Höhle floß. Stück für Stück rutschte er an das Wasser und verharrte kaum eine Handbreit vor einem der größeren Fälle. So blieb der Prinz zwar trocken, konnte aber Inuels Kopf bequem unter die 'Dusche' halten, indem er seinen Nacken mit dem Unterarm stützte.
Etwas enttäuscht registrierte er, daß der Junge nicht aufwachte. Aber das kühle Naß konnte, wenn schon sonst nichts, wenigstens die Wunde ausspülen. Diesmal erhielt er keine Reaktion, als er den Riß berührte. Vorsichtig rieb Legolas die rußverschmierte Kruste ab und ließ das klare Wasser so lange auf die Wunde fallen, bis das helle Blut versiegte und die Kälte den Riß verschloß. Dann zog er Inuel wieder ins Trockne und studierte den Kratzer aufmerksam.
"Das kann's nicht sein", stellte er fest. Es gab weder eine Schwellung noch eine Entzündung; es war tatsächlich nur ein Kratzer. "Nichts, was eine Gehirnerschütterung verursachen könnte."
"Uuh", machte Inuel plötzlich.
"Bist du wach?" fragte der überraschte Legolas barscher als beabsichtigt. Dann räusperte sich und verlangte leiser: "Mach die Augen auf."
Gehorsam öffnete Inuel die Lider, doch er sah den Prinzen nicht an. Legolas erkannte im hellen Schein sofort, daß Inuels rechte Pupille sich nicht verkleinerte, und die linke nur langsam. Sein Blick schweifte ziellos umher, und seine Augen schienen sich nicht auf eine einheitliche Entfernung einigen zu können.
"Ist das Feuer wieder aus?"
Legolas blinzelte über seine Schulter in das blendende Licht, ehe er mit zitternder Stimme sagte: "Ja, Inuel. Es ist schon ziemlich weit runter gebrannt. Man kann kaum …" Langsam bewegte er seine linke Hand über Inuels Gesicht, "… die Hand vor Augen sehen."
"Ah", erwiderte Inuel müde. "Keine Sorge, es wird bestimmt bald Tag."
Ein kurzes Schweigen senkte sich über die Elben.
"Es regnet", murmelte Inuel dann.
"Ja."
"Gut … ich kann bestimmt", seine Augen fielen zu, "eine Dusche … brauchen …"
Legolas starrte ärgerlich auf den bewußtlosen Jungen. Ärgerlich, weil er die Ursache für die Bewußtlosigkeit nicht erkannte. Und während er Inuel betrachtete, sah er ein, daß der Jüngere tatsächlich eine Dusche brauchte, denn er war rußverschmiert und aschebeklebt. Na, wenn ich schon dabei bin … Mit der linken Hand fing der Prinz etwas Wasser auf und wusch Inuels Gesicht (welches dadurch nur noch blässer wirkte), dann hielt er dessen Kopf wieder unter die kleine Dusche und fuhr ihm mit der Linken leicht durch die Haare. Als er über Inuels Hinterkopf strich, hielt er inne. Und erinnerte sich.
"Oh, verdammt."
Eilig zog er den Jungen ins Trockne und kippte ihn vornüber, so daß er mit der Rechten die fast handgroße Beule betasten konnte. Die Schwellung hatte bereits einen unnatürlichen Schein, und unter der gespannten Haut pulsierte eine ungesund heiße Flüssigkeit. Es gab jedoch keine Öffnung, weshalb die Flüssigkeit nicht herauskonnte: Sie drückte schwer auf Inuels Gehirn, und vermutlich besonders auf den Sehbereich – es lag daher nicht an seinen Augen, daß er nichts sah, sondern … "Das ist es also!"
Der Elbenprinz vergaß Angst und Vorsicht, legte den Jungen auf den Boden und rannte durch den jetzt gefangenen, aber deutlich lichteren Rauch zum Feuer, wo er schnell seine Taschen fand und den Dolch aus der Scheide zog. Zurück bei Inuel ritzte er mit der scharfen Spitze einen flachen, aber ausreichenden Riß in die geschwollene Haut. Augenblicklich floß die heiße Flüssigkeit heraus, und wieder hielt Legolas den Jungen unter die Dusche, diesmal seitlich, um die Wunde auszuspülen. Allerdings brauchte er fast dreimal so lange wie beim ersten Versuch, und er wartete nicht, bis der Riß sich wieder schloß.
Danach drückte er ein sauberes Tuch gegen die Wunde und ließ Inuel wie zuvor an seiner Brust ruhen, während er mit klopfendem Herzen die zurückgegangene, aber nicht verschwundene Schwellung beobachtete. In dieser Nacht mußte Legolas die Behandlung mehrmals wiederholen. Gleichgültig betrachtete er die niederbrennenden Flammen, gleichgültig starrte er in die Finsternis vor der Regenwand, doch Inuels Ruhe ängstigte ihn, und er gestand sich ein, daß er an diesem Tag beinahe etwas zerstört hätte, das er nicht mehr missen wollte.
Und er verfluchte sich dafür, daß er es schon wieder geschehen ließ.
*******
Der Rauch hatte sich nach und nach verzogen, und das Feuer brannte langsamer, nachdem Legolas einige Scheite herauszogen hatte. Als Inuels Kopfwunde nicht erneut anschwoll, hatte sich der Prinz mit ihm nahe ans Feuer gesetzt, und dort fast eine Stunde lang den stetig kleiner werdenden Flammen zugeschaut. Inzwischen war das Holz völlig abgebrannt; nur rötliche Glut warf noch düstere Schatten an die Wände, und die Beklemmung des Prinzen wuchs.
Sein Zeitsinn sagte ihm, daß der Tag bereits angebrochen war, doch der Himmel blieb düster und grau, und der Regen versprach, für einige Tage anzuhalten. Das bedeutete, sie waren in dieser Höhle gefangen und konnten kein trockenes Brennholz mehr sammeln, denn nach dieser Nacht mußte selbst das versteckteste Unterholz völlig durchnäßt sein.
Legolas seufzte und spähte zum bewölkten Himmel hinaus. Nach und nach würde es noch ein klein wenig heller werden, wodurch er den Tag überstehen würde. Aber was, wenn es wieder Nacht wurde? Würde er sich beherrschen können, oder erneut eine Dummheit anstellen?
Eine leichte Veränderung in Inuels Atmung lenkte ihn ab. Legolas schwieg, betrachtete nur ruhig das immer noch bleiche Gesicht, bis der Junge die Augen langsam öffnete. Sein Blick wirkte unsicher und verwirrt, als er versuchte, im rötlichen Dämmerlicht Schemen zu erkennen. Doch nach einigem Blinzeln legte er den Kopf seitwärts und sah Legolas direkt in die Augen.
"Wie machst du das?" wollte er nach einer Weile wissen.
Der Prinz runzelte die Stirn. "Was meinst du?"
"Der ganze Qualm, und die Asche, und du … bist immer noch völlig sauber. – Wie machst du das?"
"Zauberei", lachte Legolas leise. Natürlich handelte es sich durchaus nicht um Zauberei, sondern um ein Stück Seife und eine kurze Haarwäsche unter der Dusche, aber wozu sollte er das verraten? Außerdem war seine Kleidung ebenso verrußt wie Inuels, was der Junge im düsteren Licht nur nicht erkennen konnte.
"Ah. Könntest du dann vielleicht was zu essen zaubern?"
"Sicher." Legolas griff blitzschnell in eine der Taschen und brachte einen großen Lembas hervor, welchen er Inuel praktisch in den Mund steckte. "Hier. Hast du's bequem?" fragte er ironisch.
"Dnkfff", nickte Inuel, fing an zu kauen und rührte sich kein Stück, um aus dem sicheren Halt des Prinzen zu fliehen.
Einen Moment überlegte Legolas, ob er lachen oder wütend werden sollte, entschied sich aber schließlich zur Gleichgültigkeit und begann, ebenfalls zu frühstücken. Immerhin hatte er selbst den Jungen in diese Lage gebracht, und wenn es ihm nicht peinlich war, nun … Ich werde mich nicht zuerst beschweren. Er fragte aber nach Kopfschmerzen, und daß Inuel außer einem leichten Ziehen keine hatte, beruhigte ihn ungemein.
Sie aßen langsam, und als sie fertig waren, hatte sich der Himmel draußen genügend aufgehellt, um stetes Dämmerlicht in die Höhle zu werfen. Inuel rollte sich schließlich frei, studierte neugierig die glimmende Glut und den Regenvorhang und startete danach aus lauter Langeweile eine Erforschung der tieferen Höhle. Legolas schnappte sich Inuels Wanderstab sowie seinen langen Dolch und begab sich zum Höhleneingang, wo er das beste Licht zum Arbeiten hatte. Wenn sie schon festsaßen, wollte er die Zeit wenigstens sinnvoll nutzen.
Entgegen Inuels Erwartungen bestand die Höhle nicht nur aus einem großen Loch im Gestein, wie es vom Eingang aus wirkte. Ganz hinten wand sich ein hoher Vorsprung zur rechten Seite und bildete einen engen, finsteren Spalt, welchen der Junge beinahe übersehen hätte. Vorsichtig ging er vorwärts, tastend und lauschend, denn in den Durchgang fiel nicht der kleinste Lichtschimmer, und Inuel konnte nicht einmal die Konturen der scharfen Kanten erkennen, an denen er pausenlos aneckte. Wahrscheinlich hätte ein muskulöserer Elb echte Probleme gehabt, durch die Öffnung zu treten … bei der Vorstellung, wie Legolas in der Passage stecken blieb, mußte der junge Elb unwillkürlich kichern.
Nach wenigen Schritten spürte er mehr Platz um sich. Es war kein wirklich freier Raum, doch der Spalt weitete sich merklich, so daß Inuel die beiden Wände nur noch mit weit ausgestreckten Armen berühren konnte; außerdem wirkte er unendlich viel höher, und der Junge spürte einen sanften Windhauch im Gesicht. Dennoch zweifelte er daran, daß der Spalt nach oben offen war: In dem Fall hätte inzwischen mindestens eine der Wände durchnäßt sein müssen, was nicht der Fall war.
Inuel beschloß, sich am rechten Fels zu orientieren, berührte ihn mit der Hand und ging vorsichtig weiter, halb tastend und halb stolpernd. Plötzlich griff er ins Leere, und da er sich auf die Stütze verlassen hatte, plumpste er unsanft auf den Hosenboden. Fluchend tatschte er um sich, zog sich an der nächsten Wand hoch und streifte mit einer Hand etwas Seltsames knapp über seinem Kopf. Überrascht suchte er in der Dunkelheit erneut danach, und fand es: Eine Fackelhalterung, und darin drei dicke Stäbe.
Neugierig zog der Junge einen heraus und roch daran. Er war noch unbenutzt. Was für ein Zufall, freute sich der junge Elb, ohne zu überlegen, woher sein Fund stammte. Er steckte die Fackel zurück und beschloß, sie auf dem Rückweg mitzunehmen. Legolas würde sich bestimmt darüber freuen. Im Moment aber nützte sie ihm gar nichts – er hatte keinen Zünder dabei.
Er tastete sich zum anderen Ende der Öffnung, dann weiter am Fels entlang, bis er vor sich einen gräulichen Schimmer sah und die Brise merklich auffrischte. Unter seinen Fingern fühlte er glitschige Nässe, und unerwartet platschte ihm ein Tropfen auf die Nase. Die nächste Biegung konnte er tatsächlich sehen, und er trat aus dem gezackten Eingang hinaus auf eine schmale Galerie.
Über ihm wand sich der Spalt in scharfem Winkel aufwärts, ein klaffender Riß mitten im Berg. Der Einschnitt selbst war gerade breit genug, um die geräumige, ovale Höhle mit einem angenehmen Dämmerlicht zu erfüllen, welches dem Ort eine verzauberte Atmosphäre verlieh. Warm beleuchtete es die überall im Fels eingebetteten Kristalle, was hervorragend zu den im See grünlich fluoreszierenden Algen paßte.
Dieses Gewässer nahm fast die gesamte Fläche des Raumes ein, welcher mindestens an die hundert Meter lang sein mußte. Inuel stand an einem der Enden auf einem Vorsprung, welcher den See überschattete. Rechts von ihm verlief sich die Galerie in der Wand, aber links führten grob behauene Stufen in einem weiten Bogen zu einem langen, jetzt durch den hohen Wasserstand nur noch recht schmalen, steinigen Ufer hinab.
Dem Jungen gegenüber, am anderen Ende der Höhle, polterte ein herrlicher Wasserfall in den See, und zwar direkt aus einem Loch im Gestein. Vermutlich handelte es sich dabei um den normalen Zulauf für das unterirdische Gewässer, der aber durch die beträchtlichen Regenmassen stark angeschwollen war. Außerdem rauschten vom höheren Spaltenrand an drei Stellen weitere enorme Sturzbäche mit lautem Tosen in den See zu Inuels Füßen.
Der Junge stand einige Minuten staunend, doch als er versehentlich einen Kiesel über die Kante schoß, zog er sich ängstlich zurück, ehe er das Schicksal des armen Steins teilte. Auf dem Rückweg überlegte er, wie er die Schönheit des Ortes in Worte fassen sollte. Also, darüber wird sich der Prinz definitiv freuen.
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"Inuel?"
Legolas, in seine Arbeit völlig vertieft, hatte das Verschwinden des Jungen nicht bemerkt. Erst jetzt fiel ihm der ausgesprochene Friede der Höhle auf. Das empfand er zwar nicht als unangenehm, aber als … bedenklich. Wohin er wohl verschwunden ist? Zögernd erhob sich der Prinz und näherte sich den dunkleren Bereichen an der hinteren Felswand. Zuerst bemerkte er nichts Seltsames, doch als er seine Sinne schweifen ließ, vernahm er ein leises Grollen, ein sich näherndes Tapsen – Inuel trampelt wie ein Ork, das muß ich ihm abgewöhnen. – und eine kaum noch fühlbare Brise auf seiner rechten Wange.
Suchend wandte er sich in diese Richtung, und dann dauerte es nicht mehr lange, ehe er den Spalt entdeckte … und stöhnte.
"Du bist nicht wirklich da rein gekrochen, oder?" schimpfte er den abwesenden Jungen aus. "Sag mir, daß das nicht wahr ist!" Wütend fügte er lauter hinzu: "Inuel!"
"Bin schon da!" erreichte ihn die unerwartet nahe Antwort, Sekunden ehe der Junge aus dem Spalt brach und Legolas beinahe umrannte. "Du wirst nicht glauben, was ich gefunden habe!" berichtete er aufgeregt. "Wie das gefunkelt hat … und all das Wasser! Mann, was für ein Krach … Die Fackeln funktionieren noch … Das war vielleicht unheimlich, puh … ich meine, wow! Das mußt du dir ansch–"
"Inuel!"
Der Junge verstummte, dann kratzte er sich erschöpft am Kopf. "So war das aber nicht geplant", nuschelte er.
Legolas untersuchte die jetzt nicht mehr rußige, sondern staubige Kleidung seines Gefährten, welche an den Schultern stark zerrissen war, die drei armlangen Stäbe, mit denen er vor ihm herumfuchtelte und sein nasses Gesicht. Dann konzentrierte er sich auf das Wesentliche.
"Fackeln?"
"Ja, die hingen da irgendwo, keine Ahnung w–"
Umsichtig unterbrach Legolas den erneuten Redeschwall: "Schon gut. Gib mir eine." Eilig entzündete er sie in der glühenden Asche und betrachtete die Machart genauer. Er erkannte sie; es handelte sich um eine Elbenfackel. Sie brannte gut, und er wußte, daß sie die ganze Nacht über halten würde. Was ihn erheblich beruhigte. Vielleicht haben die Elben diese Höhle genutzt, überlegte er sich. Was sie wohl hier wollten? Immerhin hatten diese Elben Thranduils Reich verlassen, weil ihnen das ewig unterirdische Leben nicht behagte. Sie wollten frei im Wald wohnen und umgehen; dazu aber war der Düsterwald zu gefährlich.
"Es ist so herrlich", beharrte Inuel. "Schaust du es dir an? Bitte, Leg–" Diesmal unterbrach er sich selber, dann korrigierte er verlegen: "Prinz."
Legolas starrte den Jungen durchdringend an. Inzwischen hatte er durch mentale Übungen fast seine gesamten Erinnerungen an die vorherige Nacht zurückgewonnen, und deutlich entsann er sich daran, daß Inuel ihn mehrmals beim Namen genannt hatte. Und daran, daß er das nicht nur als völlig normal, sondern sogar als wohltuend empfunden hatte.
Aber sollte er es ihm offiziell erlauben? Oder würde sich der Bengel dann unberechenbare Freiheiten herausnehmen? Legolas kniff die Augen zusammen. Sich womöglich noch einen Spitznamen ausdenken? Mit einem Seufzen wandte er sich ab. Seine Überlegungen waren gar nicht von Bedeutung: Inuel hatte gerade eben bewiesen, daß er sich früher oder später nicht mehr zurückhalten würde.
"Sag ruhig meinen Namen, wenn du willst."
Schweigen.
Legolas drehte den Kopf. Was ist? Hat es dir die Sprache verschlagen? Sag schon was! In Inuels Blick las er Unglauben und Mißtrauen, als suche er nach einem gemeinen Scherz, unter dem er irgendwann zu leiden hätte. Hm, überlegte der Prinz. Wer weiß, vielleicht wird er das ja.
"D-d-d-darf ich?" flüsterte Inuel schließlich. "In echt? Warum?"
Weil ich es mag, wie du meinen Namen sagst. Im letzten Moment preßte Legolas die Lippen aufeinander und sperrte die Antwort ein. Das kannst du ihm doch nicht sagen, Idiot! Das hast du nun davon … los, denk dir schon einen Grund aus, verdammt. Äußerlich begutachtete er noch immer die Fackel, scheinbar die Ruhe in Person.
"Weil …", er zog das Wort so weit wie möglich in die Länge. Endlich schoß ihm ein hilfreicher Gedanke durch den Kopf: "Damit du mich nicht verrätst, wenn wir unter Fremde kommen. Oder was denkst du, warum ich als Krieger reise?"
"Ah", meinte Inuel. Er wirkte enttäuscht. "Ach so. Na gut, ich merk's mir."
"Und außerdem", fügte Legolas hinzu, ehe der Junge sich abwandte, "willst du doch sicher nicht, daß ich unterwegs meinen richtigen Namen vergesse, hm?" Mit einem schelmischen Lächeln.
Inuel grinste zurück. "Nein … will ich nicht. Kommst du … Legolas?"
Der Prinz nickte und bedeutete ihm voranzugehen. Aufgeregt zwängte sich der Junge durch die Passage, dann hielt er inne, um Legolas' Vorankommen zu beobachten. Doch der große Elb drehte sich instinktiv zur Seite, bückte sich kaum merklich und durchquerte so den Durchgang, ohne den Felskanten auch nur nahe zu kommen. All das tat er mit der gelassenen Unachtsamkeit eines Spaziergängers im Park, und Inuel wandte sich verstimmt ab. Angeber.
Trotz der Fackel empfand Legolas den Weg zuerst als unheimlich, doch zu seiner Freude und Inuels Erstaunen fanden sich an den Wänden in regelmäßigen Abständen Halterungen mit je drei Fackeln, von denen er immer eine entzündete. Als er die Abzweigung zur Rechten entdeckte, wandte er sich dorthin, statt dem Jungen zu folgen. Prompt lief ihm Inuel hinterher.
"Was ist? Es geht da lang."
Legolas drehte sich nicht um. "Ich glaube, hier muß irgendwo ein Lager sein oder so. Das will ich mir mal ansehen."
"Können wir das nicht hinterher machen?"
Jetzt warf der Prinz einen strengen Blick zurück: "Erst die Arbeit, Inuel."
Der Junge ließ den Kopf hängen. "Na gut."
Bei der nächsten Halterung hielt Legolas an, um eine weitere Fackel zu entzünden. Dabei warf er seinem ungeduldigen Begleiter einen Blick zu: "Bist du denn kein bißchen neugierig?"
"Nein."
"Warum nicht?"
"Wessen Lager wird es wohl sein? Sie werden bestimmt sauer, wenn was fehlt."
Legolas lachte und ging weiter. "Es gehörte den Elben, aber jetzt gibt es hier keine mehr. Sie haben sicher nichts dagegen, wenn Angehörige ihres Volkes ihre Vorräte verwenden. Wer weiß, vielleicht gibt es sogar Gewürze hier."
"Gewürze?" Inuels Interesse war offensichtlich geweckt. "Du meinst, zum Kochen?"
"Kann man die noch für was anderes verwenden?"
"Ähm …"
"Vergiß es – hier, wir sind da."
Linkerhand öffnete sich der Gang in ein halbhohes, langgestrecktes Gewölbe. Nur am Eingang gab es zwei Fackeln, welche Legolas entzündete. Wahrscheinlich wollte man keinen Brand der Vorräte riskieren und hatte deshalb auf zusätzliches Licht verzichtet. Im ferneren Schein der Fackel entdeckte Legolas zu beiden Seiten des Mittelganges unzählige Kisten, ungeordnet und unbeschriftet, offenbar hektisch hergebracht und zur späteren Bestandsaufnahme stehen gelassen.
Dazu ist keiner mehr gekommen, schloß der Elbenprinz. Es muß ganz kurz vor dem Überfall geschehen sein … ob sie den Angriff ahnten? Aber warum haben sie dann nicht evakuiert? Wie seltsam.
Inuel schob sich an seinem Ellbogen vorbei durch den Eingang, überflog den Raum und stöhnte. "Du willst das hier nicht wirklich alles durchsuchen, oder?"
"Doch, natürlich", erklärte Legolas kalt.
Inuel zog ein schmollendes Gesicht.
"Aber nicht jetzt", grinste der Prinz.
Das Gesicht hellte sich auf. "Dann kommst du jetzt schauen?"
Nickend trat der Prinz aus der Höhle, doch ehe Inuel ihm folgte, schaute er noch einmal in das Chaos der Kisten – und zuckte zusammen.
Legolas bemerkte es. "Alles in Ordnung, Inuel?"
"Was?" Verwirrte Augen wandten sich ihm zu. "Oh, ja. Es war nur", energisch drängte er Legolas nach draußen, nicht ohne einen Schulterblick zurück, "ein Schatten. Nur ein Schatten."
Auf dem restlichen Weg verhielt sich der Junge schweigend, und Legolas war kurz davor, nach dem Schatten zu fragen, als Inuel um die letzte Ecke bog und der Prinz die Ursache erkannte für das leise Grollen, welches sich unterwegs in ein ausgewachsenes Tosen verwandelt hatte.
Legolas verharrte für eine kleine Unendlichkeit staunend auf der Galerie, ehe er seine Sprache wiederfand. "Es ist wirklich herrlich", stimmte er bewundernd zu.
"WAS?" brüllte Inuel, um das Tosen zu übertönen.
Unwillkürlich zuckte der Prinz zusammen: "Du brauchst nicht so zu schreien, ich hör dich."
"WAS?"
"SCHREI NICHT SO!" rief Legolas wütend.
"In Ordnung."
"Das ist besser."
"WAS? ICH KANN DICH NICHT HÖREN!"
Der Prinz stutzte, musterte Inuel kurz und schlug sich anschließend mit der Hand vor die Stirn. Natürlich, der Junge verfügte nicht über die mentalen Disziplinen, mit denen Krieger unangenehme, störende Wahrnehmungen verdrängten, um sich auf winzige Details konzentrieren zu können. Für Legolas war das Brausen der Wasserfälle längst zu einem Gluckern im Hintergrund geworden. Inuel mußte halb taub sein von dem Lärm.
"DU BRAUCHST NICHT ZU SCHREIEN, ICH HÖR DICH!" erklärte er in angebrachter Lautstärke. Der Junge nickte, und Legolas fuhr fort: "ICH SAGTE, ES IST WIRKLICH HERRLICH! UND AUCH SO PRAKTISCH!"
"Praktisch?" Mühsam blieb Inuel leise, auch wenn er sein eigenes Wort nicht verstand.
"JA! KOMM, WIR NEHMEN EIN BAD!" Spielerisch griff Legolas nach Inuels Hand.
Augenblicklich weiteten sich die Augen des Jungen, und der Prinz erkannte seinen Fehler, noch ehe sein Begleiter sich losriß und in den Gang zurück lief mit einem eindeutigen: "NEEEIIIN!"
Bedrückt folgte ihm Legolas und drückte sachte mit einer Hand Inuels Schulter. "Entschuldige bitte", bat er. "Ich habe nicht daran gedacht."
"Scho-schon gut", murmelte der Junge zwischen zwei keuchenden Atemzügen. "Ich … ich will nur nicht …"
"Ja, ich verstehe." Legolas überlegte schnell. "Aber ich brauche ein Bad. Wartest du kurz?"
Der Junge nickte, ohne ihn anzusehen, und Legolas beeilte sich, entzündete die an der Treppe entlang in geschützten Nischen angebrachten Fackeln und kehrte eilig in den Gang zurück.
"Schon fertig?" begrüßte ihn ein grinsendes Gesicht.
Es war ein unechtes Grinsen, was der Prinz auch durchschaute, doch er respektierte den Versuch und erwiderte es. "Nichts da, ich fang jetzt erst an. Aber ich will auch die Sachen waschen. Was meinst du, kannst du im Lager trockene Kleidung finden, und vielleicht etwas Seife?" Das würde den Jungen lange genug beschäftigen.
"Ich?"
"Ja, sicher." Auf den seltsamen Ausdruck in Inuels Augen konnte sich Legolas keinen Reim machen. Dann fiel ihm seine Reaktion von vorher ein. "Die Fackel kannst du natürlich mitnehmen. Das Licht … vertreibt die Schatten."
Zögernd nahm der Junge die Leuchte an sich und nickte dem Prinzen knapp zu, ehe er losging.
Legolas sah ihm eine Weile hinterher, doch schließlich verdrängte er die Fragen so leicht wie das Tosen und stieg erneut zum Ufer hinab.
*******
Lange wartete Inuel am Eingang, ehe der Schatten auf einer der Kisten scheinbar Substanz gewann und die Konturen eines sehr alten Elben annahm. Er begrüßte den Jungen mit einer leichten Kopfbewegung und bedeutete ihm auf dieselbe Weise, näher zu treten.
Inuel gehorchte und betrat den Raum, während er sich selbst eine stille Frage stellte und in sich hinein nach der Antwort lauschte. Schließlich fand er sie: "Celabon."
"Das ist mein Name", erwiderte die Seele des Alten. "Wie lautet deiner?"
"Inuel", antwortete der Junge diesmal ohne zu zögern. Erleichtert stellte er fest, daß sein Gegenüber ausnahmsweise mal nicht merkwürdig reagierte.
"Ich kenne dich nicht, Inuel. Woher kennst du mich?"
Wie soll ich das erklären? "Ankulan erzählte mir von dir."
"Du gehörst nicht zu unserem Dorf."
Ein Nicken bestätigte das.
"Ankulan ist lange vergangen. Du bist zu jung, seine Geschichten zu kennen. Du konntest ihn nicht hören."
"Ich höre dich."
Jetzt schwieg der Alte einen Moment. "Das ist wahr", gab er schließlich zu. "Du kennst meine Geschichte?"
Inuel nickte erneut und zitierte die fremde Information in seinen Gedanken: "Es war Celabons Wille, sich einsam in den Langen Schlaf zu fügen, an dem Ort, wo er seine Pflicht für alle Zeit erfüllen kann."
Die Seele stieß einen leisen Seufzer aus. "Nicht nur Pflicht hat mich getrieben, junger Inuel. Vielmehr kann ich in diesem Zustand ab und zu den Besuch meiner Freunde empfangen. Als Lebender war ich nicht empfänglich wie du."
Unangenehm berührt, wechselte Inuel eilig das Thema: "Du solltest all diese Güter bewachen. Tust du das noch immer?"
"Immer", bestätigte Celabon.
Inuel dachte nach. "Wenn das so ist, will ich sie nicht durchsuchen. Ich bitte dich aber, meinem Gefährten und mir einige Dinge zu leihen. Wir sind beides Elben, und kein Fremder begleitet uns."
Unerwartet lächelte der Alte ihn an: "Du kannst dir nehmen, was immer ihr braucht. Nicht vor Elben beschütze ich diese Dinge. Und wem, wenn nicht euch, sollten sie nützen?"
"Ich danke dir", erwiderte Inuel artig mit gesenktem Kopf. "Sind dir die Inhalte der Kisten bekannt?"
Celabon lachte laut. "Ich hatte mehrere Jahrhunderte, um meine Nase überall hineinzustecken! Ja, ich weiß, wo was ist. Was brauchst du denn?"
Der Junge sagte es ihm, und die Seele führte ihn durch die ganze Höhle zu verschiedenen Kisten. Während Inuel aus ihnen die gesuchten Kleidungsstücke, Seife, getrocknete Nahrung und andere Kleinigkeiten heraussuchte, lauschte er interessiert den lustigen Geschichten Celabons. Ihm fiel plötzlich auf, wie einsam der Alte sich hier fühlen mußte, und er fragte sich, ob er tatsächlich hin und wieder Besuch erhielt, oder ob die übrigen Elben seine Entscheidung zu sterben ablehnten und ihn daher mieden.
Eine lange Zeit später hatte er alles Nützliche auf einen Haufen neben dem Eingang gestapelt, griff nach dem Kleiderbündel und versprach dem Alten, für den Rest später wiederzukommen.
Celabon nickte erfreut, dann fragte er ernst: "Inuel, löschst du bitte das Licht? Es blendet mich."
Nachdem Inuel die Fackeln am Boden ausgedrückt hatte, lächelte er der sich auflösenden Seele des Alten noch einmal zu, ehe er ihn verließ und durch den hohen Spalt in die Wasserhöhle trat. "Legolas, ich habe hier …"
Weit und breit war niemand zu sehen.
Zuerst vermutete Inuel, der Prinz wäre schon zurückgegangen. Doch alle Fackeln waren noch in ihren Nischen, und bald entdeckte er die schmutzigen, nichtsdestotrotz aber ordentlich gefalteten Sachen auf einem Stapel nahe der Wassergrenze. Besorgt beugte sich Inuel nach vorne, konnte aber auch im dunklen Wasser nichts erkennen. Ruhig, bleib ruhig, sagte er sich selbst. Er kann schwimmen. Das kann er doch, oder? Angestrengt dachte Inuel nach. Er kann schwimmen, beschloß er dann, ganz bestimmt.
Doch er rannte die groben Stufen trotzdem eiliger hinunter, als angebracht war, plazierte das neue Bündel unachtsam neben dem schmutzigen und suchte im warmen Fackellicht die spiegelnde Oberfläche ab. "Legolas?"
Nichts tat sich. Was soll ich jetzt machen? Ich kann doch nicht da rein … Er starrte in die Tiefen direkt vor sich, doch trotz der Ufernähe konnte er rein gar nichts erkennen. Da hilft nur eins.
"LEEEGOOOLAAAS!!!" rief er mit aller Kraft.
Unvermittelt explodierte die Oberfläche vor dem Jungen. Erschrocken verlor Inuel den Halt und kippte vorwärts, wurde aber von einer kräftigen Hand aufgefangen, ehe er das Naß berührte, und mit einem Stoß zurückgeschoben.
"WIESO BRÜLLST DU DENN SO? DARF MAN SICH HIER NICHT MAL ENTSPANNEN?"
Der Junge saß stumm am Ufer, auf wackligen Armen nach hinten gestützt, und starrte den Prinzen weitäugig an. Nachsichtig wartete Legolas auf eine Antwort, eine Erklärung für die Störung, bis er der Ansicht war, der Schock von dem Fast-Sturz müsse längst vergangen sein.
"WAS IST?"
Doch Inuel hatte nicht der Sturz so überrascht. Sprachlos begaffte er den nackten Prinzen, dessen Oberkörper bist fast zu den Hüften hinab aus dem Wasser ragte. Obwohl er in seinen Kleidern eher schmächtig wirkte, spannten sich deutlich erkennbare, starke Muskeln unter der seidig glänzenden, glatten Haut, welche im rötlichen Licht der Fackeln fast golden leuchtete. Seine Taille war schmal, und über dem flachen Bauch zuckten ebenfalls Muskeln bei jedem Atemzug, was außerordentlich geschmeidig aussah. Die Brust, glatt und unbehaart wie bei einem Kind, hob und senkte sich rhythmisch, wodurch einige nasse Haarsträhnen abwechselnd gegen seinen Körper stießen oder frei in der Luft schwangen. Da der Prinz seine strenge Frisur zum Baden gelöst hatte, wirkten seine Haare viel länger, und sie fielen ihm in sanften, glitzernden Wellen über die Stirn auf die Schulter und den Rücken hinab. So wirkte er viel jünger als sonst.
Legolas deutete den belustigten Blick des Jungen falsch: "ICH WEIß, DAß ICH SCHMUTZIG BIN! HAST DU SEIFE MITGEBRACHT?"
Endlich löste sich Inuel aus seiner Verzückung und deutete auf das Bündel. Da es außer Reichweite des Prinzen lag, machte dieser Anstalten, aus dem Wasser zu steigen.
"NICHT!" rief der Junge, sprang gerade noch rechtzeitig auf und schubste ihn stürmisch zurück. Dann kramte er die Seife aus dem Bündel, welche er dem verärgerten Prinzen reichte, sobald der wieder auftauchte.
"WAS SOLLTE DAS DENN?" prustete Legolas.
"Nicht, daß du dich erkältest", erklärte Inuel und hoffte, daß in diesem Licht sein sicher hochroter Kopf nicht so auffiel. "Das Wasser ist tief."
Verwirrt suchte Legolas nach dem Zusammenhang in den beiden Sätzen und entschied schließlich, daß dies einer von Inuels Gedankensprüngen war, welche er einfach nicht nachvollziehen konnte. "ICH WEIß", klärte er den Jungen auf. "DA DRÜBEN GEHT DIE TREPPE NOCH WEITER; ICH STEHE HIER AUF DEM EIGENTLICHEN STRAND! DAS HEIßT, DAS WASSER STEHT WEIT ÜBER EINEN METER ZU HOCH! DAS BEUNRUHIGT MICH ETWAS!"
Mich beruhigt das ungemein, dachte sich Inuel, schwieg aber.
"WENN ES ÜBER DIE GALERIE STEIGT, WIRD ES IN DIE HÖHLE LAUFEN! WIR SIND FAST NUR BERGAN GEGANGEN!"
Das war nun allerdings keine so beruhigende Aussicht. "Wie lange muß es dafür regnen?" fragte er.
Legolas zuckte kurz mit den Schultern; eine ausreichende Geste für Inuel. Dann näherte er sich dem schmalen Streifen, auf dem die Kleiderbündel lagen, und stemmte beide Arme auf den Fels. Die Absicht war eindeutig.
"Was hast du denn vor?" fragte Inuel trotzdem.
Verwundert starrte der Prinz ihn an. "MICH WASCHEN NATÜRLICH!"
"Ah – warum wäschst du nicht erst mal die Sachen?" schlug der Junge eilig vor. "Dann können sie schon mal trocknen."
Langsam richtete Legolas einen bohrenden Blick auf seinen Begleiter, bedachte seine weit zurückgelehnte Haltung und den ziellos umherschweifenden Blick, den scheinbar nur der hohe Spalt interessierte, und wurde auf die dunklen Flecken auf seinen Wangen aufmerksam. Ein verschmitztes Grinsen zog sich kurz über sein Gesicht, und nur mit Mühe vertrieb er die Belustigung aus seiner Stimme.
"WENN DU MEINST! ABER NICHT VON HIER DRIN; DAS WIRD LANGSAM KALT!" Erneut stemmte er sich aufwärts. "UND WAS MACHST DU?"
"Ich?" Der Junge sprang auf. "Ich brauch 'ne Dusche – draußen." Er lief bereits die Stufen hoch, warf aber einen Blick zurück auf den jetzt offen lachenden Prinzen. Ach, verdammt … "Möglichst eisig, wenn's geht."
*******
Erneut schnüffelte Inuel an seinem Handgelenk und grinste. Er hatte sich ziemlich lange draußen aufgehalten, hauptsächlich wegen der wirklich verdreckten Kleidung. Obwohl der schneidende Bergwind ihn bis auf die Knochen durchgefroren und der harte, eisige Regen seine Haut stark gerötet hatte, fühlte sich der Junge sehr wohl. Ich glaube, so sauber war ich noch nie. Sogar Seife hatte er benutzt, eine Hilfe, an welche er in seiner Heimat nur selten herankam.
Als er schließlich wieder in die Höhle getreten war, hatte das Licht draußen bereits begonnen, düsterer zu werden. Das war schon ziemlich lange her, und inzwischen war er viermal zu Celabon und zurück gegangen, um alles Nützliche in die vordere Höhle zu schaffen. Überdies hatte er in der hintersten Ecke des Lagers eine Vertiefung entdeckt, in welcher bis an die Decke hinauf Unmassen – nun, zumindest seiner Meinung nach – von Brennholz gestapelt waren. Es müßte mindestens zwei Wochen reichen.
Nun saß er am neu entfachten Feuer, wärmte sich in seiner neuen, leichten weißen Robe auf und fragte sich mürrisch, wo Legolas blieb. Und dann war da noch diese merkwürdige Vorrichtung, in welche der Prinz Inuels ernsthaft deformierten Wanderstab gezwängt hatte. Den kann ich vergessen, seufzte der Junge.
Es sah in der Tat etwas seltsam aus, wie der ehemals armdicke Stock – nun deutlich dünner und mehrmals geschwungen – zwischen mehreren großen, kaum zu bewegenden Felsen zu fast einem Halbkreis gebogen dalag, unter extremer Spannung, als würde er jeden Moment aus der Form springen. Oder zersplittern. Wann immer etwas Holz knackte, zuckte der Junge zusammen und schaute nach, ob der Stock noch ganz war. Was der Prinz wohl damit bezweckt?
Neugierig beugte er sich zu der Anlage hinüber und betastete zaghaft das unmerklich vibrierende Holz. Die Oberfläche schimmerte völlig glatt, ein wenig feucht, doch ohne die kleinste Schnitzspur. Wie macht er das nur? fragte sich der Junge zum x-ten Mal.
"Inuel", begrüßte ihn eine weiche Stimme.
Erschrocken warf sich der jüngere Elb auf seinen Platz zurück und blinzelte seinen Begleiter unschuldig an: "Ich hab nichts angefaßt", behauptete er eilig.
Lautlos war der Elb durch den Spalt und den ganzen Weg bis zum Feuer gekommen, ohne Inuel zu alarmieren. Vielleicht lag es daran, daß er barfuß war, denn seine Stiefel trug er samt der restlichen noch feuchten Kleidung unter einem Arm. Das Licht der Fackel in der anderen Hand mochte dem Jungen wegen des hellen Feuers entgangen sein. Trotzdem ist er unheimlich. Und kurz darauf folgte der ängstliche Gedanke: Wie lange ist er schon hier? Nicht, daß er denkt, ich habe was kaputt gemacht …
Legolas trug dieselbe weiße Robe wie Inuel, nur war seine Kleidung seiner Größe entsprechend um einiges länger und reichte ihm fast bis auf die Fußballen. Bei jedem Schritt schwang der Stoff wie in einer leichten Brise, lag aber gleichzeitig faltenlos an seinem Körper und ließ, anders als seine gewohnte Aufmachung, nicht viel der Phantasie übrig. Der Gürtel um seine Hüfte war nur einmal lose verknotet, wodurch das Oberteil einen Hauch zur Seite gerutscht war und den Blick auf Legolas' glatte Brust freigab. Besonders sicher wirkte die Halterung nicht.
In einem Anflug plötzlicher Klarheit kniff Inuel die Augen zusammen: Er will mich ärgern! Sein Blick heftete sich mit einiger Empörung auf die im Feuerschein beinahe violetten Augen des Prinzen, in welchen er schelmische Bestätigung las. Ansonsten zeigte das Gesicht keine Regung. Also … dieser …! Doch Inuel fand nicht einmal gedanklich eine passende Beleidigung, woraufhin er einfach laut und hell zu lachen begann.
Lange dauerte es nicht, ehe Legolas einstimmte. "Hier", beugte er sich kurz hinunter und reichte dem Jungen den Kamm aus seiner Brusttasche, mit dessen Hilfe er seine Frisur bereits wieder in perfekte Ordnung gebracht hatte. "Das war sehr umsichtig, danke. Aber du solltest ihn auch selbst benutzen." In einer automatischen Geste zerzauste er das unordentliche schwarze Haar, ehe er sich aufrichtete.
"Na gut. Aber denk jetzt bloß nicht", warnte Inuel den hohen Rücken, "daß das nicht irgendwann zurückkommt!"
"Ha", winkte der erfahrenere Elb verächtlich ab, "was, denkst du, habe ich nicht schon gesehen und erlebt? Ich habe ziemlich viel Zeit mit Kriegern verbracht."
Als keine Antwort kam, schaute Legolas über die Flammen in das arglose Gesicht des Jüngeren. Inuel lächelte oh so sanft mit nur dem kleinsten verschmitzten Zucken in einem Mundwinkel, und seine leuchtend grünen Augen blitzten unter einer gewagten Idee auf, was Legolas einen erregten Schauer bescherte. Doch was immer er im Sinn hatte, der Junge unternahm nichts, sondern wandte sich fast lautlos seufzend ab und murmelte etwas von Warten auf den richtigen Moment.
Mit einer ängstlichen Vermutung drehte sich der Prinz um und entdeckte Inuels alte Kleider über einer sauber gespannten Leine an einer gewölbten Wand. Er hing seine zum Trocknen dazu, betont sorgfältig, nur um sich irgendwie zu beschäftigen und seine rasenden Gedanken zu beruhigen, ehe er zum Feuer und dieser kleinen Herausforderung zurückkehrte.
Was ist hier gerade passiert? wunderte er sich mit einem mulmigen Gefühl in der Magengegend. Verwirrt erinnerte er sich an den Schauer, ein warmes, aufgeregtes Kribbeln, welches seinen ganzen Körper durchzog. Und entsann sich verlegen des Ausgangspunktes. Das kann doch nicht sein, dachte er fest. Oder? Ein Seitenblick zeigte ihm, wie der sich unbeobachtet fühlende Junge abermals den frisch geschnitzten Bogen untersuchte, mit grüblerisch gerunzelter Stirn.
Er erkennt es nicht! Verdammt, er ist fast noch ein Kind … und, fügte eine tief verborgene, kaum wahrnehmbare Stimme hinzu, noch so völlig unschuldig. Zögernd faltete Legolas sein Unterhemd über die Leine. Es war das letzte Kleidungsstück; anschließend müßte er zurückgehen. Willst du das wirklich riskieren? Willst du diese Verantwortung übernehmen, für einen Jungen, der nichts kann? Er ließ das Hemd los, als er zum Kern seiner Sorge kam: Aber darum geht es gar nicht, oder? Du weißt, daß er deinen Weg nicht ewig teilen wird. Endlich drehte er sich um und betrachtete den leise vor sich hin summenden, über nur für ihn sichtbare Bilder staunenden Jungen. Wie lange würde es wohl dauern, bis ihm das klar wird? Und dann?
Bedächtig schritt er zum Feuer und überflog erstmals die Organisation darum herum: Zwei dicke, weiche Fasermatten waren neben der Feuerstelle plaziert, einander nicht direkt gegenüber, sondern in einem solchen Winkel, daß sich die Inhaber anschauen konnten, ohne in die Flammen zu starren.
"Nichts angefaßt, hm?" grinste er den Jungen an, der prompt errötete.
Auf der dritten Seite standen in sauberer Ordnung einige Töpfe, etwas Geschirr und Beutel, bei deren Inhalt der Prinz schmunzelnd auf Nahrung tippte. Nun, er kann kochen, fiel ihm plötzlich ein. Vielleicht bringt er mir noch etwas bei, ehe sein Weg sich von meinem trennt. Verschiedene Messer und anderes Besteck und Kochgerät lagen daneben in einem Tuch, zusammen mit mehreren größeren Taschen, für deren Untersuchung Legolas im Moment die Neugier fehlte. All diese Dinge hatte Inuel ausgewählt und hergebracht, und ausnahmslos schienen sie nützlich zu sein. Außer der Schriftrolle. Verwundert fragte sich der Prinz, was es wohl damit auf sich hatte.
Dann kam ihm eine Idee: Vielleicht kann ich auch ihn lehren.
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A/N: Keine Sorge, das bißchen Gebrülle hat Legolas' Stimmbändern in keinster Weise geschadet! ^.~ Habt ihr eine Vorstellung davon, worauf ich mit den Gedanken der letzten Absätze hinaus will? Bitte laßt es mich wissen, falls ich zu unklar werde, ja?
Eure Mel
P.S. an nudel: Wie du (bei Celabon) siehst, kann sich der Kleine auch benehmen. *^.^*
