Ich muss ihn zur Rede stellen! Wer weiß, was sich dieser langhaarige Baka da wieder eingebrockt hat!, stellte er schließlich fest und stand abrupt auf. Die anderen Piloten sahen ihn fragend an, so murmelte er leise:

"Hab noch etwas zu erledigen", und verließ dann den Salon, drei fragende Gesichter hinter sich lassend.

"Hab ich etwas verpasst, während ich weg war?", fragte Wufei trocken und richtete seinen Blick auf das Pärchen neben sich.

"Duo wurde von OZ verhaftet."

"Mal wieder?"

"Dieses Mal ist es ernst. Maxwell benimmt sich anders als sonst. Er lacht nicht mehr", entgegnete Trowa ruhig, wobei Wufeis Augenbraue ein paar Zentimeter in die Höhe schoss.

"Es hat ihn also schlimm erwischt."

Wiederum nickte der Heavyarms-Pilot.

"Wird er bei der nächsten Mission dabei sein können?"

Ein Schulterzucken war das Einzige, was er als Antwort bekam.

Quatre hatte während dem einsilbigen Dialog zwischen Wufei und Trowa nur die Tür, durch die sowohl Duo als auch Heero verschwunden waren, angesehen und wandte jetzt seinen Blick wieder dem Frühstückstisch zu.

"Ich werde nachher mit Duo sprechen", murmelte er fast unhörbar und vertiefte sich mit einer Tasse Tee stirnrunzelnd in seine Gedanken.

*



Heero hatte nun schon das ganze Gebäude durchsucht. Irgendwo musste der amerikanische Pilot doch sein! Er konnte doch nicht einfach so vom Erdboden verschwinden! Er wollte gerade wieder in einem der schier unendlichen Korridore verschwinden, als er mit Rashid zusammenstieß.

"Oh! Master Yuy!", sagte dieser überrascht, als er bemerkte, wen er fast überrannt hätte.

"Rashid", erwiderte Heero knapp und wollte schon weitergehen, als ihm etwas einfiel. Vielleicht wusste der Araber ja, wo Duo geblieben war.

"Haben Sie Duo gesehen?

Der Mann sah ihn erstaunt an, dann lächelte er jedoch und nickte.

"Ja, er hat sich gerade ein Auto geliehen und ist in die Stadt gefahren. Wieso?"

Heero winkte ab. "Nur so."

"Gut, dann entschuldigen Sie mich jetzt, ich habe noch etwas zu erledigen", sagte Rashid und der japanische Junge nickte.

Warum ist er in die Stadt gefahren?, überlegte Heero, während er seinen Weg zu ihren Gemächern fortsetzte. Nicht, dass ich neugierig bin, aber....

Na klar, nicht, dass du neugierig bist, äffte ihn die Stimme gehässig nach. Schleichst ihm durch die Korridore nach, willst genauestens wissen, was er gemacht hat und warum. Und du behauptest, NICHT neugierig zu sein? Sicher. Yuy, du belügst dich.

Ach, mache ich das?, erwiderte Heero gereizt. Und wenn, was ist so schlimm daran, dass ich mir Sorgen um ihn mache?!

Gar nichts, solange du es dir eingestehst, mein Lieber.

Ich...,begann er und war sprachlos. Widersprechen konnte Heero ihr nicht, er wusste, dass sie recht hatte. Er war äußerst besorgt um den Zustand des amerikanischen Jungen. Und das Schlimmste war, dass er nicht wusste, was es ausgelöst hatte und wie er es bekämpfen konnte.

Gott ja, ich will ihn wieder lachen sehen.

Heero stoppte. Er stand vor Duos Zimmertür.

Wenn Duo in der Stadt ist.... Nein! Das ging zu weit, er konnte doch nicht einfach so in die Privatsphäre seines Partners eindringen, noch dazu ohne sein Wissen! Oder..? War es unter diesen Umständen nicht mehr als gerechtfertigt?

Heero seufzte unterdrückt und legte dann eine Hand auf die Klinke zu Duos Zimmer. Es war verschlossen.

"Na wunderbar", stöhnte er und beförderte einen Dietrich aus seiner Hosentasche. "Wenn Duo das erfährt, bringt er mich um!"

Heero merkte, wie fremd dieser Satz in seinen Ohren klang. So ganz, als ob er nicht zu ihm gehörte.

Nun, er GEHÖRT ja auch nicht zu mir, berichtigte er sich selbst. Ich hatte nie Angst davor, anderen Menschen wehzutun, sie zu töten. Doch nun fürchte ich mich, dass Duo mich erwischt. Überhaupt...Furcht...ein komisches Gefühl. SO habe ich es noch nie gekannt.

Die Tür sprang auf und Heero glitt in den abgedunkelten Raum. Er stieg über die übliche Unordnung hinweg und suchte nach wichtigen Hinweisen, einem Tagebuch oder Ähnlichem.

Duo und seine Unordnung, seufzte Heero, als er die auf dem Boden verteilten Kleidungsstücke und Zeitungen begutachtete. Vielleicht war ja hier etwas dabei. Heero kniete sich hin, nahm eines der Blätter in die Hand und begann zu lesen.

Es waren Daten, Bilder, Beobachtungen. Nicht genau definiert, alles wild durcheinander, ohne irgendeine Verbindung zueinander. Heero ließ das Blatt wieder sinken und suchte weiter, fand aber nichts Interessantes mehr auf dem Boden, also stemmte er sich hoch und untersuchte die Schränke genauer, was ihm jedoch auch nicht den gewünschten Erfolg brachte. Es gab einfach NICHTS, was auf den momentanen Gefühlszustand des anderen Piloten hinwies.

Heero schloss gerade den letzten Schrank, als sein Blick auf die Badezimmertür fiel.

Du bist meine letzte Hoffnung!, beschwor er den Raum, atmete tief durch und betrat das kleine aber luxuriöse Zimmer. Auch hier hatte Duo keinen Wert auf irgendeine Ordnung gelegt: Handtücher hingen gemeinsam mit Kleidungsstücken über dem Badewannenrand, Duschgels und Badesachen waren auf dem Boden verteilt. Dazwischen lagen Rasierklingen, blutige Bandagen und verschieden Gels und Salben, alle ohne Verschluss und schon fast leer.

Wie findet er sich hier nur zurecht?, dachte Heero kopfschüttelnd. Und vor allem, wie kann er nur hier drin leben?

Nachdem er auch im Bad nichts Aufschlussreiches gefunden hatte, schloss Heero die Tür wieder und ging ins Schlafzimmer. Er ließ noch einmal den Blick über den in Dämmerung eingehüllten Raum gleiten, bevor er sich umdrehen und den Raum verlassen wollte. Doch noch während er das tat, tauchte der Gedankenblitz eines Gegenstandes vor seinen Augen auf, den er zwar zuvor wahrgenommen, doch nicht richtig realisiert hatte. Heero wandte sich wieder dem Fenster zu, überbrückte den Zwischenraum mit ein paar lautlosen Schritten und blieb stehen.

"Du liebst Blumen?", flüsterte er, als er sacht die Rose vor ihm berührte, die so einsam in einer hohen, schlanken Vase stand.

Aber.....sie ist schwarz! Warum....?

Heero wurde durch ein plötzliches Geräusch aus seinen Gedankengängen gerissen und er sah aus dem Fenster. Duo war zurück und hatte den Wagen gerade vor dem Eingang geparkt, den er jetzt betrat.

Shit! Wenn er mich hier sieht!, fluchte Heero stumm und lief zur Tür, verließ das Zimmer und schaffte noch gerade rechtzeitig die Tür zu verschließen und einen unauffälligen Eindruck zu machen, bevor Duo die Treppe hochkam und ihn kalt ansah. Heero erwiderte ruhig seinen Blick und sagte dann:

"Hallo Duo."

Der Blick des amerikanischen Piloten durchsetzte sich mit Misstrauen und er brummte leise. Dann schloss er die Tür zu seinem Zimmer auf, schlüpfte hinein und ließ einen verdutzten Wingpiloten stehen.

Heero starrte noch einen Moment auf die robuste Holztür, bevor er seinen Blick abwandte und nach unten gehen wollte. Gerade als er die letzte Treppenstufe hinter sich hatte, traf er auf Quatre, der ihn freundlich anlächelte.

"Heero, wie schön! Wolltest du zu uns?"

Der japanische Pilot nickte kurz, bleib dann jedoch stehen und erwägte einen Augenblick die Worte, die er nun leise aussprach:

"Hättest...du wohl einen Augenblick Zeit....Ich wollte etwas mit dir besprechen..."

Der blonde Araber sah ihn überrascht an, war jedoch zu gut erzogen, um direkt zu fragen, warum der sonst so stoisch ruhige Pilot ausgerechnet mit IHM sprechen wollte, also nickte er schweigend und bat Heero nach draußen, wo sie in den Garten und somit außer Hörweite der anderen gingen.

"Geht es um Duo?", fragte Quatre in die Stille hinein und Heero sah ihn verdutzt an.

War ihm das SO leicht anzusehen? War so leicht zu bemerken, dass er sich Sorgen um den langhaarigen Amerikaner machte?

"Ja, geht es", erwiderte er ruhig und setzte sich auf eine Parkbank. Quatre nahm neben ihm Platz.

"Duo ist irgendwie...anders, seitdem wir aus dem Gefängnis geflohen sind. Er ist......ruhiger...er lacht nicht mehr....er benimmt sich mir gegenüber anders..."

Heero seufzte beinahe erleichtert. Endlich hatte er die Worte, die ihm so am Herzen lagen, ausgesprochen, sie aussprechen können.

Quatre sah den Wingpiloten geschockt an und begriff. Er wurde gerade Zeuge, wie sich der unnahbare, Mr. Ich-habe-keine-Gefühle Yuy ihm offenbarte, ihm anvertraute, was ihm auf dem Herzen lag. Und erstaunlicherweise hatte er recht mit dem, was er sagte. Quatre war die minimale Veränderung des amerikanischen Piloten nicht entgangen, diese kleinen Zeichen geistiger Abwesenheit, gedanklicher Versunkenheit. All das war auch ihm schon aufgefallen.

"Heero....", begann er, überlegte dann einen kleinen Augenblick. "Wenn....wenn sich jemand so verhält wie Duo, dann...ja, wie soll ich dir das erklären....er öffnet sich dir. Er zeigt dir seine Schwachstelle. Er lässt die Maske, die er sonst immer trägt, fallen. Und das zeigt, dass er dir vertraut. Dass er sogar Hilfe von dir erwartet."

Quatre stoppte und sah dem Wingpiloten in die vor Überraschung geweiteten stahlblauen Augen.

"Ist...das dein Ernst?", fragte Heero heiser und der blonde Junge nickte.

"Glaub mir, ich weiß wovon ich spreche. Und so weh es auch tut, dass Duo sich uns nicht öffnet, freue ich mich für dich, dass er es dir gewährt."

Aber er gewährt es dir doch gar nicht!, rief eine Stimme verzweifelt in ihm. Er lässt dich doch gar nicht an sich heran! Wie kannst du das so etwas sagen?!

"Aber....", brachte Heero stockend hervor. "Er benimmt sich so abweisend zu mir. Er...."

Wiederum umspielte ein kleines Lächeln Quatres Mund.

"Vielleicht will er, dass du ihm hilfst, doch irgendein Teil sträubt sich in ihm. Das muss er oder sogar du überwinden."

Woher weiß er das alles nur?

"Bist...du dir sicher...?"

Heeros Verhalten überraschte und beunruhigte Quatre zugleich immer mehr. Stand es so schlimm um Duo, dass sogar Heero sich Sorgen machte? Der Sandrock-Pilot runzelte besorgt die Stirn und fragte dann plötzlich:

"Heero....was ist mit Duo in der Basis passiert?"

"Das weiß ich eben nicht."

"Wie hat er sich denn verhalten, als ihr zwei Tage auf uns gewartet habt?"

Verängstigt, still, zurückhaltend, eigentlich so, wie er nie war...aber sonst ging es ihm gut, antwortete die Stimme in seinem Inneren ironisch und er musste ihr sogar Recht geben. Und dennoch....Duo wollte nicht, dass irgendjemand erfuhr, wie er sich fühlte. Und das hatte er auch zur Genüge zum Ausdruck gebracht. Heero beschloss, sich auf das unverfänglichste zu beschränken und antwortete:

"Er war...zurückhaltend."

Quatre überlegte einen Moment, bevor er sich wieder zu Heero wandte und ihm ernst in die Augen schaute.

"Lass ihm Zeit, die Sache zu vergessen. Und wende dich nicht von ihm ab. Er braucht deine Hilfe", bemerkte der blonde Junge, als plötzlich eine ihm sehr wohl bekannte Stimme fröhlich rief:

"Quaaaaaatre!"

"Duo?!", gab der arabische Pilot überrascht zurück und der amerikanische Junge kam auf die beiden zugehüpft.

"Oi, Q-chan! Was machst du denn hier so alleine mit Heero? Nicht, dass Trowa noch eifersüchtig wird!", lachte Duo verschmitzt und setzte sich zu den Beiden auf die Bank. Quatre seufzte ergeben.

"Duo....du weißt doch, dass ich...."

"Jaja...dass du Trowa niemals betrügen würdest, und schon gar nicht mit unserem Eisblock Heero Yuy. Ich weiß, ich weiß!"

Du weißt gar nichts, Duo!, fuhr Heero den Gundampilot in seinen Gedanken an. Du weißt doch noch nicht einmal, wie sehr du mich mit deinen Worten verletzt.

"Och Quatre, mir ist soooooo langweilig! Wollen wir nicht irgendetwas machen?"

Kaum hatte Duo den Satz ausgesprochen, fegte er auch schon von der Bank, zog Quatre mit sich fort und zurück zum Haus.

"Duo, und was ist mit Heero?", fragte der entrüstet und drehte sich in Richtung des japanischen Piloten, der nun unmerklich nickte, zum Zeichen, dass er nichts dagegen hatte. Der Sandrock-Pilot seufzte nun schon zum zweiten Mal ergeben und gab es auf, sich gegen Duos festen Griff zu wehren, sondern kam mit ihm ins Haus zurück.

*

Es waren noch anderthalb Wochen bis zur nächsten Mission und die Piloten bereiteten sich sowohl psychisch als auch physisch darauf vor. Alle bis auf Duo, der kurz nach Quatres und Heeros Gespräch weggefahren war.

"Ich werde für eine Woche wegfahren", hatte er den anderen am nächsten Morgen überraschend am Frühstückstisch eröffnet. Sie waren alle sprachlos gewesen, so hatte Heero sich eingemischt und ausdruckslos erwidert:

"Du kannst nicht gehen. Wir müssen uns vorbereiten. Wir müssen die Pläne auswendig lernen und unsere Kondition verbessern. Du kannst jetzt nicht so einfach verschwinden!"

"Ach? Meinst du nicht, dass ICH von uns allen die Basis am Besten kennen sollte? ICH war es schließlich, der dort ein paar Tage "Urlaub" gemacht hat! Und um meine Kondition kümmere ich mich selbst, Yuy, also sehe ich kein Problem, wieso ich nicht kurz wegfahren sollte um noch etwas zu erledigen!", hatte er schnippisch geantwortet und war dann aufgestanden um ein paar Minuten später mit einer Tasche im Gleiter zu verschwinden.

*

Heero ließ sich erschöpft in einen Sessel fallen. Nach drei Stunden Konditionstraining und einem weiteren Systemcheck war er fertig für heute, also beschloss er, sich erst einmal zu duschen und dann zu den anderen in den Salon zu gehen.

Nach fünfzehn Minuten fühlte er sich weitgehenst sauber und öffnete die Tür des Salons um einen Augenblick später von einem lauten "Hee-chan" begrüßt zu werden.

"Duo?", fragte er überrascht als er den langhaarigen Piloten erblickte, der zwar etwas ausgeruhter als vorher aussah, jedoch merklich dünner geworden war.

Er hat nichts gegessen, stellte sein Verstand rational fest.

"Der Gott des Todes in Person!", lachte Duo und stemmte sich vom Tisch ab. "Und fit wie immer!" fügte er noch hinzu, bevor er sich zu Quatre und Trowa auf den Balkon begab.

Heero folgte ihm nach kurzem Zögern.

Wieso bilde ich mir nur ein, dass das alles nur eine aufgesetzte Fassade ist? Wieso glaube ich ihm diese Fröhlichkeit nicht? Ich habe das Gefühl, ICH reagiere langsam über. Wahrscheinlich habe ich mir das nur eingebildet und er hat sich tatsächlich wieder gefangen, so wie Quatre es gesagt hat.

"Wo ist eigentlich Wu?", fragte der amerikanische Pilot ausgelassen, während er damit beschäftigt war, Quatre mit seiner klammerartigen Umarmung fast zu erdrücken.

"Er ist heute noch mal weggefahren, er wollte jemanden besuchen", erwiderte Trowa und sah Duo mit seinem Lass-bloß-die-Finger-von-meinem-Freund- Blick an.

Der Deathscythepilot fauchte kurz herausfordernd und gab dann den arabischen Jungen frei, dessen Gesichtsfarbe schon ein mehr oder weniger ungesundes Rot angenommen hatte.

"Wo warst du eigentlich, Duo?", fragte er, als er wieder einigermaßen zu Luft gekommen war und der langhaarige Junge lachte.

"In der Kirche! Ich habe für unser Seelenheil gebetet!"

Drei ungläubige Blicke trafen und veranlassten ihn, in noch wilderes Gelächter auszubrechen.

"Ich habe mich nur ein wenig ausgeruht", erklärte er anschließend, ließ dabei jedoch bewusst außer Acht, wo und wie er das getan hatte.

"Gut, dann können wir ja loslegen", murmelte Heero und setzte sich zu den Dreien ins Freie.

Wir haben noch zwei Tage Zeit, dachte er abwesend. Und Duo benimmt sich, als wäre alles wieder normal. Ich wünschte, es wäre so. Obwohl er so überzeugend ist, glaube ich ihm seine gute Laune nicht, nein. Ich weiß, wie verängstigt und verstört er kurz nach seiner Befreiung war. Und dann ist da noch der Tod des Mannes....

Das beschäftigt dich, was?, meldete sich die spöttische Stimme in ihm. Es wurmt dich, dass du nicht mehr über diesen mysteriösen Mordfall erfahren konntest. Duo hat seine Spuren gut verwischt, nicht wahr? Du hast keine Anhaltspunkte über die Identität des Mannes gefunden, hast keine Verbindung zwischen ihm und dem langhaarigen Amerikaner feststellen können. Und so etwas nennt sich dann der "perfekte Soldat". Tsts....du lässt nach, mein Lieber, du lässt nach!

Halt deinen Mund!, zischte Heero wütend, wusste aber, dass sie recht hatte. Er hatte in der Tat nichts über diesen ominösen Toten herausfinden können.

"...ro! Heero!", holte ihn jemand plötzlich aus seinen Gedanken und er sah ruckartig auf.

"Was ist, Duo?", fragte er mit zusammengezogenen Augenbrauen, als er das lachende Gesicht seines Partners vor sich sah.

"Na, willst du uns nicht verraten, wovon du geträumt hast? Einem hübschen Mädchen vielleicht? Na, war es Relena, die dich so in ihren Bann gezogen hat, Hee-chan? Komm, sag es uns!"

Heero knurrte guttural und sah den Deathscythepiloten finster an.

"Was willst du?", wiederholte er noch einmal, dieses Mal jedoch etwas unfreundlicher.

"Ich habe Mr. Perfect Soldier gerade gefragt, wie denn nun der entgültige Missionsplan aussieht und wann Eure Majestät gedenken loszufliegen."

"Wir werden abends losfliegen, etwa gegen Mitternacht auf L2 ankommen, dann die Basis angreifen, verschiedene Ziele zerstören, wenn möglich, General Kushrenada eliminieren und uns schließlich auf die Erde zurückziehen. Treffpunkt wird dort das Winner estate in Schottland sein."

"Verstanden!", ahmte Duo einen Soldaten nach und grinste.

"Du solltest dir aber noch die Infrarotaufnahmen des Komplexes ansehen, Duo", setzte Heero nach und sah den Deathscythepiloten eindringlich an.

"Mach ich, mach ich.....", winkte dieser ab und stand auf. "Jungs, ich werde mich jetzt ein wenig hinlegen, die Reise war ziemlich anstrengend. Heero, gibst du mir diese Pläne?"

Der japanische Pilot nickte und bedeutete Duo, mit zu seinem Zimmer zu kommen.

"Wo warst du wirklich, Duo?", fragte er plötzlich, als die Beiden die Treppe zu den Gemächern hinaufstiegen und handelte sich darauf eine kalten Blick des amerikanischen Jungen ein.

"Das geht dich nichts an, Yuy", erwiderte er ausdruckslos und Heero zuckte zusammen. All die Freundlichkeit und Fröhlichkeit, die er gerade im Beisein der anderen Piloten an den Tag gelegt hatte, war von einem Moment auf den anderen verschwunden. Heero wandte ruckartig seinen Blick auf die blau- violetten Augen seines Gegenübers und musste feststellen, dass sie nichts von ihrem alten Glanz dazu gewonnen hatten. Sie waren immer noch so stumpf und leer wie vor ein paar Tagen.

"Duo....", begann er, wurde jedoch abrupt von seinem Gegenüber gestoppt.

"Gib mir einfach die Pläne und lass es gut sein, Yuy! Mir geht es bestens, ich bin okay, ich habe keine Schmerzen, ich kann mich voll konzentrieren. Was willst du noch hören, damit du aufhörst mich zu nerven?"

Heero glaubte seinem Partner kein einziges Wort. Und auch wenn der Blick nicht so ausdruckslos gewesen wäre, Duos Stimmlage hätte ihn verraten. Diese Worte, so kalt und absolut gleichgültig hervorgebracht, jagten Heero einen Schauer über den Rücken.

Soll ich ihn damit konfrontieren? Soll ich ihm sagen, dass er lügt?, überlegte der japanische Pilot fast fieberhaft. Aber was würde das dann bringen? Was, außer Streit und dass er sich noch mehr von mir abkapselt, als er es jetzt schon tut? Außerdem muss ich an die Mission denken. Wenn ich nicht voll und ganz bei der Sache bin, können mir unverzeihliche Fehler unterlaufen. Und das darf einfach nicht passieren! Ich darf nicht noch einmal so nachlässig sein wie vor zweieinhalb Wochen! Dann muss ich meine Gedanken über Duo bis zum Abschluss der Mission in den Hintergrund stellen.

Sie waren da und betraten Heeros Zimmer.

"Ich muss den Plan ausdrucken", murmelte der japanische Pilot und setzte sich vor seinen Laptop. Duo ließ sich ihm gegenüber auf dem Bett nieder und starrte derweil abwesend aus dem Fenster.

Es ist so still hier, überlegte Heero, als er den Befehl zum Drucken gab. Ich frage mich, ob Duo jemals wieder so eine Fröhlichkeit an den Tag legen wird. Ob er jemals wieder diese falsche Maske aus dem Grinsen eines Clowns auflegt.

Der Drucker war fertig und Heero reichte seinem Partner kommentarlos die Blätter. Der nahm sie ebenso stumm entgegen, stand auf und verließ das Zimmer, ohne sich auch nur noch einmal zu ihm umgedreht zu haben.

Ich muss bis nach der Mission warten, mir darüber Gedanken zu machen, mahnte Heero sich selbst und ging wieder hinunter zu den beiden anderen Piloten, die immer noch turtelnd auf der Veranda saßen.

*

Der Vortag der Mission. Irgendwie überkam ihn bei diesem Gedanken eine leichte Unruhe, obwohl er nicht genau sagen konnte, warum. Und damit schien er auch nicht alleine zu sein. Schon beim Frühstückstisch herrschte eine merkwürdige Spannung zwischen den fünf Piloten. Niemand von ihnen sagte etwas, sogar Duo nicht.

An Duos Schweigen habe ich mich ja schon gewöhnt, aber das hier ist einfach nervenaufreibend, dachte Heero innerlich seufzend, als er zu seiner dritten Tasse Kaffee griff um wach zu werden, da die letzte Nacht ihm nicht viel Schlaf beschert hatte.

"Habt ihr alle die Basispläne im Kopf?", fragte er, nur um die Stille irgendwie zu überbrücken, und bekam zuerst nur Antwort in Form eines kollektiven Zusammenzuckens.

Na, da haben wir ja etwas angerichtet, hm?, fragte eine ihm allzu bekannte Stimme gehässig.

Halt´s Maul und verzieh dich!, knurrte Heero darauf imaginär und ließ somit jeden Widerspruch im Keim ersticken.

Nach und nach bekam er dann zustimmendes Brummen und Nicken als Beantwortung seiner Frage.

Gut, soweit ist alles geklärt.....nein, eine Sache steht noch offen.

"Duo...wie steht es mit dir? Konntest du dich noch rechtzeitig in die Daten einlesen?", fragte er steif und sah dem langhaarigen Piloten direkt in die verärgerten blau-violetten Augen.

"Warum sollte ich nicht? Ich bin schließlich kein Anfänger!", giftete er zurück und erntete sich damit überraschte Blicke der anderen vier Piloten ein. "Ist doch so", brummte er leise und zog abwehrend die Schultern hoch.

Heero hob beschwichtigend seine Hände. Das Letzte, was er jetzt gebrauchen konnte, war, dass sie sich gegenseitig an den Hals gingen und somit die Mission gefährdeten.

Nachdem das Frühstück beendet war, zogen sich die Piloten in ihre Privaträume zurück, um sich noch ein wenig zu entspannen und kamen nur zum Mittag- und Abendessen wieder zusammen, was jedoch auch nicht viel gesprächiger verlief. Ganz im Gegenteil: man hätte eine Stecknadel fallen hören können.



Heero gähnte ausgiebig und beschloss, dass es Zeit für ein wenig Schlaf war. Gut, sie würden erst am nächsten Abend starten, doch er fühlte sich jetzt schon so erschöpft, dass er es vorzog, sich lieber ein wenig hinzulegen, als das Buch weiterzulesen, welches er zur Entspannung angefangen hatte. Und kaum hatte er sich in sein Bett gelegt, schlief er auch schon tief und fest.



Heero fuhr aus dem Schlaf hoch. Irgendetwas stimmte hier ganz gewaltig nicht! Irgendetwas Unheilvolles geschah gerade, doch er konnte es nicht identifizieren.

DUO! Es ist Duo!, dachte er plötzlich und fuhr aus dem Bett. Etwas stimmt mit ihm nicht, ich muss zu ihm!

Das ist doch Blödsinn!, bemerkte der rationale Teil in ihm. Leg dich wieder hin und schlaf weiter! Das sind doch nur Hirngespinste!

Heero hatte aber nicht vor, auf den rationalen Teil seines Hirns zu hören. Seine Instinkte sagten ihm, dass irgendetwas mit Duo passierte und dass er seinem Partner helfen musste! Und zwar sofort!

Der japanische Junge ging zur Tür seines Zimmers, öffnete sie und schlich sich gewohnt lautlos den Gang entlang zum Zimmer seines Partners. Dort blieb er stehen und horchte, konnte aber im ersten Moment nichts Verdächtiges feststellen. Er runzelte besorgt die Stirn, als plötzlich ein erstickter Schrei aus dem Zimmer seines Partners klang.

Mist! Ich hatte also doch Recht! Ich muss in dieses verdammte Zimmer.

Doch der Raum war wieder abgeschlossen, so fluchte Heero kurz, lief in seine eigenen Gemächer zurück, holte den Dietrich und begann dann, Duos Türschloss zu knacken, was nach ein paar Sekunden nachgab und ihm Einlass gewährte.

Heero sah sich hastig um und konnte auf den ersten Blick nichts Ungewöhnliches feststellen. Duo lag in seinem Bett, die Decken weit von sich gekickt, das Haar wild geöffnet. Anscheinend hatte er gerade einen schlimmen Alptraum, denn er warf sich von einer zur anderen Seite und stöhnte dabei verzweifelt auf.

Heero löste sich aus seiner Starre, die das Bild Duos hervorgerufen hatte und bewegte sich lautlos auf den amerikanischen Piloten zu. Er kniete sich zu ihm ans Kopfende und strich ihm beruhigend über die schweißnasse Stirn.

"Sh......es wird alles gut! Du träumst nur!", versuchte er den schlafenden Jungen zu beruhigen, doch es half nichts. Ganz im Gegenteil. Er warf sich nur um so heftiger herum, während ihm Tränen über die Wangen liefen.

"Duo! Verdammt, wach auf! Du träumst nur!", versuchte Heero es jetzt noch einmal lauter, jedoch nur mit dem Erfolg, dass Duo anfing im Schlaf zu sprechen.

Als sein Murmeln lauter wurde und Heero es auch verstehen konnte, weiteten sich seine Augen vor Entsetzen. Der amerikanische Pilot wiederholte immer nur einen Satz.

"Oh Gott, bitte......nein.....warum ich...warum....?"

Dabei liefen ihm immer mehr Tränen über die Wangen.

Scheiße! Ich muss ihm helfen! Ich muss ihn da rausholen!, fluchte Heero stumm, packte den amerikanischen Jungen an den Schultern um ihn dann unsanft zu schütteln.

"DUO!", rief er jetzt offenkundig ängstlich. "Wach auf, verdammt noch mal!"

Zuerst passierte gar nichts, doch dann schoss der Deathscythepilot in die Höhe, starrte mit einem Blick voller Angst und Entsetzen geradeaus, während sein Oberkörper von Schluchzern geschüttelt wurde.

"Duo...Duo..", flüsterte Heero leise und strich dem verängstigten Jungen eine Haarsträhne aus der Stirn. Doch sein Gegenüber nahm ihn überhaupt nicht wahr, sondern starrte nur auf die Wand vor ihm und fing dann an zu zittern, was sich schließlich in einen Krampf steigerte.

"OH Gott! Was ist mit dir? Was hast du?", begann Heero entsetzt, wurde jedoch durch Duos abruptes Aufstehen unterbrochen.

Der langhaarige Junge fuhr plötzlich aus dem Bett, stürmte an ihm vorbei ins Bad, wo er die Tür aufriss, auf dem Boden panisch nach etwas suchte und es dann an seinen Arm hielt.

Heero erkannte den Bruchteil einer Sekunde später auch, was es war.

DIE RASIERKLINGE!! Oh mein Gott, was hat er vor?!

Doch noch während er das dachte, hatte Duo bereits begonnen, sich tiefe Schnitte an beiden Armen zuzufügen. Immer wieder setzte er die Klinge an und schnitt sich damit in sein weißes Fleisch, bis Heero wieder zu sich kam und entsetzt aufschrie.

"Duo! NEIN! HÖR AUF!"

Er versuchte Duos Hand mit der Klinge zu greifen und sie in einem eisernen Griff festzuhalten, doch der amerikanische Pilot schüttelte ihn ab und murmelte immer wieder:

"Raus aus meinem Körper! Der Schmerz soll endlich aus meinem Körper verschwinden!"

Heero schaffte es schließlich, beide Arme von Duo zu greifen und festzuhalten. Er spürte, wie ihm das Blut seines Partners über die Hand lief, während er eindringlich rief:

"Verdammt, Maxwell! Komm zu dir! Du musst aufwachen!"

Er sah in die vollkommen leeren Augen seines Partners und schüttelte ihn verzweifelt.

"DUO! Hör mich an! Verdammt, sieh mir in die Augen!! Du TRÄUMST!!!"

Die Gestalt in seinem Griff machte keine Anstalten sich zu wehren, sondern starrte nur leer vor sich hin. Heero richtete für einen Moment seinen Blick auf Duos Arme und erstarrte.

Da waren auch noch ältere Narben! Das hieß doch.....dass er es schon mal getan hatte, und nach den Schnitten zu urteilen mehr als einmal.

Verdammt, ich muss diesen Wahnsinn stoppen! Ich muss ihn wieder zu Bewusstsein bringen!, fluchte Heero stumm und schüttelte den langhaarigen Jungen heftigst.

"Duo!! Ich bitte dich, wach auf!"

Immer noch keine Reaktion, so zog der Wingpilot den anderen Jungen aus dem Bad und wieder auf sein Bett. Dort kniete er sich vor ihn und sah ihm in die leeren Augen.

"Duo!!"

Es war der vollkommen verzweifelte Ton in Heeros Stimme, der Duo wieder zurückbrachte, denn Sekunden später füllte sich sein Blick mit Leben und er sah entsetzt auf die vor ihm hockende Gestalt.

"Heero?", fragte er heiser und bekam ein erleichtertes Nicken als Antwort.

"Was machst du hier?"

Der japanische Pilot lachte kurz und freudlos.

"Ich halte dich davon ab, dich umzubringen! DAS mache ich!"

Duos ängstlicher Blick wich der Verwirrung, die sich nun in seinem Gesicht ausbreitete.

"Maxwell, was hast du da gerade getan?"

Der langhaarige Junge sah verständnislos erst in Heeros Augen und dann auf die Hände, die seine Handgelenke noch immer in einem eisernen Griff festhielten und nicht bereit schienen, ihn loszulassen.

Sein Blick verhärtete sich und erwiderte plötzlich kalt:

"Nimm deine Finger von mir, Yuy!"

Heero war zuerst zu geschockt um etwas zu erwidern, dann stieg jedoch Wut in ihm auf. Wut auf den amerikanischen Piloten, der ihm offensichtlich nicht vertraute

"Nein, Duo! Dieses Mal nicht! Erst wirst du mir sagen, was das gerade eben sollte!"

Das wütende Funkeln in den Augen seines Partners nahm zu.

"Wie bitte?! Ich bin doch kein kleines Kind mehr, das nicht selbst auf sich aufpassen kann, verdammt!"

"Maxwell, ein kleines Kind würde sich auch nicht einfach so mit einer Rasierklinge die Arme aufschneiden!"

"Das geht dich überhaupt nichts an, hast du das verstanden! Und jetzt hau ab!", zischte Duo außer sich und versuchte, sich von Heeros unnachgiebigem Griff zu lösen. Doch der schüttelte nur ruhig den Kopf und sagt wie zu einem nachsichtigen Kind:

"Nein. Nicht eher, als bis du mit mir darüber gesprochen hast!"

"Da gibt es nichts zu bereden und jetzt lass mich los, sonst schreie ich!"

"Mach das und ich halte dir den Mund zu!", erwiderte Heero schlicht und sah, wie sich die Wut in Duos Blick verflüchtigte und einer plötzlichen Angst wich. Doch bevor Heero ihn darauf ansprechen konnte, hatte der amerikanische Pilot schon seinen Kopf gesenkt und somit seine Augen durch seine walnussbraunen Haarsträhnen verdeckt.

"Geh, Heero!", brachte er gepresst hervor. "Geh, ich will dich nicht mehr sehen!"

Der Wingpilot starrte seinen Partner einfach nur an.

Kann mir mal jemand sagen, was ich jetzt machen soll? Ich weiß, dass er sich mir nicht öffnen wird. Ich kann es ganz genau spüren. Doch kann ich riskieren, dass er sich noch mehr verletzt oder sogar noch umbringt?

Nein!, schrie eine entsetzte Stimme in ihm. Nein, das kannst du nicht! Du kannst nicht so verantwortungslos sein, Heero!

Obliegt es denn tatsächlich meiner Verantwortung auf ihn aufzupassen?

Ja! Ja, weil er dir etwas bedeutet! Er ist der einzige, an dem dir etwas liegt! DAS ist es!

Heero seufzte leise und sah Duo noch einmal in das abgewandte Gesicht.

Gut, wenn er will. Dann lasse ich ihn eben alleine, aber nicht bevor ich diese verdammten Rasierklingen gefunden habe, die er hier überall verstreut hat!, dachte Heero und versuchte sich fieberhaft daran zu erinnern, wo er die Klingen bei seinem Einbruch in Duos Zimmer gesehen hatte. Duo spürte, wie der Druck um seine Handgelenke gelöst wurde. Er sah überrascht auf.

"Was wird das Yuy?", fragte er misstrauisch, als er sah, dass Heero zuerst in sein Bad ging und dort etwas aufhob, sich schließlich wieder dem Schlafzimmer widmete und dort in verschiedenen Schränken und Schubladen wühlte.

"Heero!", hörte der japanische Pilot wütend hinter sich, störte sich aber nicht im Mindesten daran. Das war sie, die letzte Klinge, die er bei seinem vortägigen Besuch gesehen hatte. Er drehte sich wieder seinem Partner zu und sagte:

"So, damit du dich nicht aus Versehen umbringst. Soll ich dir noch die frischen Schnitte versorgen?", fragte er ruhig, wobei er die Betonung auf "frische" legte, sodass Duo genau wusste, dass Heero auch die Älteren bemerkt hatte.

"Hau ab!", stieß Duo noch wütender hervor und sah dem Wingpiloten in die Augen. Der erkannte das mordlustige Funkeln darin und zuckte mit den Schultern.

"Wenn du meine Hilfe nicht willst..."

Mit den Worten drehte Heero sich um und verließ scheinbar gleichgültig Duos Gemächer um in die Eigenen zurückzukehren und den Rest der Nacht darauf zu warten, dass sein Instinkt wieder einsetzte und ihn davor warnte, dass Duo Dummheiten anstellte.

Was treibt einen nur dazu, sich so zu verletzen? Hat OZ das nicht schon genug getan? Will er etwa den Schmerz, den sie ihm zugefügt haben, kompensieren? Mein Gott Duo, was ist nur mit dir geschehen?, dachte Heero, während er dem wandernden Mond über seinem Fenster in seiner Bahn folgte und schließlich vor Erschöpfung in den Morgenstunden einnickte.



Eine leichte Unruhe hatte Heero schon seit dem Aufwachen ergriffen und ließ ihn auch nicht mehr los. Er konnte förmlich spüren, dass die Mission heute Abend entweder ein Erfolg oder eine totale Katastrophe wurde, wobei er im Moment jedoch eher zur zweiten Möglichkeit tendierte. Schon alleine wegen Duo. Das, was letzte Nacht passiert war, konnte er nicht einfach so übergehen. Duo hatte versucht, sich ernsthaft zu verletzen. Warum, das wusste Heero nicht genau und wollte es bis nach der Mission auch gar nicht erfahren. Ich muss einen klaren Kopf behalten, sonst scheitert der Angriff auf die Basis schon in den Grundzügen, hielt er sich immer wieder vor Augen. Und dennoch, wenn er diese Nacht so etwas getan hatte, wäre es dann nicht unverantwortlich, ihn mit seinem Gundam auf diese Mission zu schicken? Nun, nicht, wenn er vorher etwas erledigte...

Heero sah auf und stockte einen Moment, dann nickte er unmerklich und begab sich zum Hangar, wo sie ihre Gundams für die Zeit zwischen den beiden Missionen gelagert hatten.



Es war Nachmittag, als Heero sich zu den anderen setzte und merkte, dass er mit seinem unguten Gefühl nicht alleine war. Alle schienen irgendwie zerstreut, in sich gekehrt. Alle außer Duo, der wie verrückt Witze machte und über jeden lachte.

Duo, seufzte Heero innerlich. Wieso tust du so etwas? Wieso bist du nicht ehrlich? Ich kann doch deine müden Augen sehen. Ich kann doch sehen, wie sie ihren alten Glanz verloren haben. Musst du denn dich und uns belügen? Warum erlaubst du nicht, dass wir dir helfen?

Die Stunden vergingen qualvoll langsam, als sie sich schließlich alle spätabends zur letzten Einsatzbesprechung trafen und sich in die Gundams setzten um sich dann auf den Flug nach L2 zu begeben.

Als sie in die Atmosphäre eintraten, schalteten die fünf Piloten ihre Radarstörsysteme ein und näherten sich der Basis. Bevor OZ irgendetwas unternehmen konnte, waren die Gundams schon über der Basis und hatten wichtige strategische Punkte angegriffen und zerstört.

Heero war gerade dabei, mit einem letzten Schuss das Waffenlager zu zerstören, als ein Schwadron Leos startete und ihn angriff. Er wollte gerade das Feuer erwidern, als Wufei ihm Rückendeckung bot und durch das Intercom rief:

"Kümmere du dich um das Waffenlager, ich mach die hier fertig!"

Und das machte er dann auch sauber und geschickt wie immer.

Duo, Trowa und Quatre hatten den Auftrag, das Hauptgebäude und die Kommunikationszentrale in die Luft zu sprengen um zu verhindern, dass nicht doch noch plötzlich Verstärkung gerufen wurde, die sie in arge Bedrängnis bringen konnte. Doch die Soldaten konnten nichts dergleichen tun. Sie waren viel zu überrascht und geschockt von dem plötzlichen Angriff der Terroristen, als dass sie ernste Abwehrmaßnahmen hätten ergreifen können außer zu den verbliebenen Leos und Waffen zu laufen und sich zumindest im Ansatz gegen die Piloten zu verteidigen oder fluchtartig die Basis zu verlassen. Die Gegenwehr mussten sie dann ihrem Trumpf überlassen.

Der jetzt auf der Bildfläche erschien.

Heero drehte sich gerade triumphierend von einem Berg brennenden Gebäudes weg, als über ihm ein heller Lichtstrahl durch die Luft zischte und seine Aufmerksamkeit erregte. Durch das Intercom bekam er mit, dass die anderen Piloten den feindlichen Gundam ebenfalls gesehen hatten und nun mehr oder weniger verhalten fluchten.

"Was zum Teufel ist das?", rief Wufei wütend, als plötzlich eine fremde und doch so bekannte Stimme erwiderte:

"Tallgeese II. Es freut mich die Ehre zu haben, mit euch zu kämpfen und fertig zu machen!"

Heero wollte sich gerade auf den Gundam stürzen, als er plötzlich zurück gehalten und zur Seite gestoßen wurde.

"ICH werde ihn erledigen!", hörte er Duo wütend knurren und schaltete die Vid-Com ein.

Heero sah in Duos vor Wut verzerrtes Gesicht und zuckte zusammen. Da war es wieder, diese absolut mordlustige Funkeln in den Augen seines Partners, diese blinde Mordlust.

"Duo...", rief er hastig, konnte seinen Satz jedoch nicht beenden, da der amerikanische Pilot die Kommunikation von sich aus unterbrach und einen schwarzen Bildschirm hinterließ. So blieb ihm nichts anderes übrig, als Deathscythe an sich vorbeiziehen und den Kampf mit Tallgeese aufnehmen zu lassen.

Duo ließ seine Finger in einer ungeheuren Geschwindigkeit über das Armaturenbrett fliegen.

Jetzt, genau JETZT hatte er die Chance, Kushrenada zu erledigen, und wenn er dafür starb, dieser Bastard musste vernichtet werden!

Mit einem Schrei und einer hocherhobenen Sense stürzte Duo sich auf den OZ- General, versuchte ihn an seiner Schwachstelle zu treffen, seinem Gundam bewegungsunfähig zu machen, was ihm aber nicht gelang, da Tallgeese um einiges schneller war als seine Deathscythe.

Erinnerungen überfluteten plötzlich die klaren Gedanken des Gundampiloten. Erinnerungen an das, was in der Basis passiert war, was sie ihm angetan hatten. Erinnerungen, die ihn für einen Moment unachtsam werden ließen.

Es war Heeros Schrei, der Duo in die Realität zurückbrachte, doch zu spät. Als er aufblickte, sah er, wie eine gewaltige Welle weißer Energie auf ihn zukam, unfähig, sich zu bewegen.

Er hörte noch, wie Heero verzweifelt:

"DUO! NEIIIIIN!", schrie, dann wurde sein gesamtes Blickfeld gleißend hell und er hörte das vertraute Knistern explodierender Technik.