Der japanische Pilot hastete eilig nach oben. Er hoffte, dass er seinen Partner dort treffen würde, wurde jedoch nach einer kurzen Suche in den Zimmern enttäuscht. Der Deathscythepilot schien wie vom Erdboden verschluckt zu sein.

Nein!, stöhnte Heero in Gedanken verzweifelt auf. Wo ist er? Wo zum Teufel ist Duo?

"Master Yuy?"

Der kurzhaarige Junge wandte sich bei dieser tiefen Stimme ruckartig um und fragte überrascht:

"Rashid? Was ist?"

Der große Araber nickte nur kurz und sagte dann scheinbar gleichgültig:

"Wenn Sie Master Maxwell suchen...er ist draußen...gerade an mir vorbeigerannt......ich dachte, ich benachrichtige Sie lieber."

Heero war kurz davor, Rashid erleichtert um den Hals zu fallen, verkniff es sich dann jedoch und erwiderte leicht nickend:

"Danke Rashid, Sie haben mir sehr geholfen!"

Dann rannte er wieder die Marmortreppen herunter und aus dem Gebäude hinein in den Wald, wo er Duo am Ehesten vermutete.

Und schließlich, nach einer schier endlosen Suche, fand er seinen Partner auch, wie er vollkommen außer sich mit seinen Fäusten auf einen mächtigen Baum einschlug und lauthals Verwünschungen schrie.
Heero näherte sich ihm lautlos und legte ihm dann eine Hand auf die Schulter, während er leise sagte:

"Du....."

Weiter kam er jedoch nicht, da sich sein Partner jetzt ruckartig umdrehte, laut "Mistkerl!" brüllte und seine Faust mitten auf Heeros Wange platzierte, sodass dieser vollkommen überrumpelt und konfus nach hinten stolperte, über einen Ast fiel und mit dem Hinterteil unsanft auf dem Boden landete.

Für einen Moment konnte er den amerikanischen Jungen nur anstarren, dann fuhr eine Hand zu seiner brennenden Wange und er gab einen fragenden Laut von sich.

"Duo?", flüsterte er ungläubig, doch der langhaarige Junge schien nicht zu bemerken, wen er vor sich hatte, so wutentbrannt leuchteten seine Augen.

"Mist....kerl....!", presste er mit kaum unterdrückter Wut hervor und kam bedrohlich nahe. "Allesamt! Jeder von euch!"

"Duo, ich bin es! Heero!"

Ein Fauchen war das einzige, was er als Antwort bekam, so versuchte der japanische Pilot sich auf die Knie hochzukämpfen, was jedoch effektvoll durch einen weiteren Schlag verhindert wurde, der Heero zurück auf den Boden schickte.

"Ihr...werdet...dafür...büßen......!", zischte sein Gegenüber gefährlich ruhig und lächelte grausam.

Du solltest etwas tun, schlug ihm die Stimme in seinem Inneren weise vor. Du weißt, dass er dich sonst umbringt.

Gut gemerkt!, knurrte Heero mehr als wütend und wich einem weiteren, heftigerem Schlag aus.

"Maxwell, komm zu dir!", brüllte er laut und kam mit einem Ruck auf die Beine. "Verdammt, ich bin es, Heero! Ich bin NICHT Treize!!"

Wie in den letzten Tagen auch hatte der Klang von Treizes Namen eine sofortige Wirkung auf Duo. In diesem Fall kam er ruckartig wieder zu sich und sah sich verschreckt um, als sein Blick dann schließlich auf Heero fiel und er verständnislos fragte:

"Was machst du da?"

Na was wohl, ich lasse mich von dir umbringen, antwortete Heero seinem Partner in Gedanken knurrend, blieb nach außen hin aber ruhig und erwiderte:

"Ich habe dich gesucht, weil du so plötzlich aus dem Zimmer gestürmt bist. Ich habe mir Sorgen um dich gemacht!"

Die Wut in Duos Blick war nun vollkommen verraucht und wich erneut dieser stetigen Angst, die er anscheinend in sich trug. Der amerikanische Pilot senkte schließlich den Kopf und flüsterte:

"Es tut mir leid, Heero....ich wollte dir keine Sorgen bereiten....."

Diese so leise und so demütig gesprochenen Worte ließen Heero auf der Stelle seine Wut vergessen und mit einem Satz bei seinem Partner sein.
"Es ist alles okay, Duo, keine Sorge...du brauchst dich nicht dafür zu entschuldigen!"

Violette Augen sahen hilfesuchend auf, krallten sich in stahlblaue und hielten ihren Blick gefangen.

"Danke", flüsterte Duo schüchtern und brachte dann etwas zustande, was Heero noch nie bei ihm gesehen hatte: ein ehrliches, offenes, wenn auch schüchternes Lächeln, voller Vertrauen und Zuneigung. Zuneigung, der Heero sich plötzlich nicht würdig fühlte.

Wie wahr, wie wahr....gab seine innere Stimme jetzt auch noch seinen Zweifeln recht. Du tötest Menschen, kaltblütig, hast ihn schon so oft abserviert und dennoch liebt er dich, genauso wie du ihn.

Heero konnte es nicht genau definieren, aber irgendwie jagte ihm dieses Gefühl einen leichten Schauer über den Rücken.

"Duo...", murmelte er sanft und strich mit einem Finger über die weiche Wange seines Freundes. "Ist wieder alles in Ordnung?", fragte er darauf und kam sich einen Moment wie ein vollkommener Idiot vor, weil er genau wusste, dass noch lange nichts in Ordnung war und dass es vielleicht auch nie so sein würde. Nicht, nachdem Duo so etwas angetan wurde.

"Es wird werden", erwiderte dieser immer noch scheu und sein Blick wanderte von Heeros Augen hinunter, während er erschrak.

"Heero!", rief er bestürzt. "Deine Wange!"

Dabei berührte er vorsichtig die mittlerweile schon blau anschwellende Wange des Wingpiloten und keuchte entsetzt auf.

"War....war ich das? Aber...."

Heero zuckte ungewollt bei der doch etwas schmerzhaften Berührung zurück und lächelte schief.

"Ist schon okay, Duo. Hat nur halb so weh getan wie es jetzt aussieht."

Lüge, Lüge, trällerte eine wohlbekannte Stimme in ihm. Es tut VERDAMMT weh, doch wir sind zu stolz, um es zuzugeben. Und was ist mit unserer anderen Wange? Lass mich raten, der Bluterguss dort hat die Form einer gesunden Hand mit fünf Fingern? Schönes Muster, wirklich.

Heero schüttelte unwillig den Kopf um dieses nervige zweite Ich zu vertreiben und tauchte dann aus seinen Gedankengängen wieder auf, nur um direkt in Duos besorgte Augen zu sehen.

"Heero.....ich hatte keine Ahnung, wie schlimm...", bemerkte er bestürzt, als er auch noch die andere Wange zu Gesicht bekam.

Der japanische Pilot lächelte gezwungen und bewegte tastend seinen Unterkiefer. Gebrochen war also nichts, zum Glück nicht.

Wird man etwa rot werden? Aber nicht doch!

Jetzt halt endlich deinen Mund!, fuhr Heero sein imaginäres Gegenüber, von dem er immer noch keine Ahnung hatte, was es eigentlich genau war, an und knurrte unwillig.
Dann richtete er seinen Blick wieder auf Duo und fragte:

"Sollen wir wieder zurück gehen oder willst du noch ein wenig draußen bleiben und Bäume zusammenschlagen, obwohl das", Heero deutete mit einem kurzen Nicken auf Duos blutige Handknöchel "Nicht gerade nützlich für deine Gesundheit wäre."

Duo, sich selbst noch nicht ganz der Folgen seines Handelns klar geworden, sah nun die blutigen Schrammen und bemerkte verwundert:

"Oh."

Dann strich er sich mit einer fahrigen Handbewegung einige Haarsträhnen hinter sein Ohr zurück und nickte schließlich.

"Lass uns reingehen, es wird bald regnen."

Und wie auf Kommando fing es erst leicht an zu tröpfeln, dann immer stärker, bis die Beiden endlich klatschnass im Hauptgebäude wieder ankamen.

"Ich liebe schottisches Wetter!", knurrte Heero fast bösartig und sah zu seinem Partner herüber, der jedoch seinen Blick auf etwas anderes gerichtet hatte, was ihn anscheinend vollkommen zu beanspruchen schien. Als Heero den starren violetten Augen folgte, sah er auch, was oder besser gesagt, wer es war: Zechs.

Heero trat vorsichtig an seinen Freund heran und murmelte unsicher:

"Duo? Was ist mit dir? Komm, lass uns nach oben gehen."

Doch der beachtete ihn gar nicht, sondern erwiderte nur stumm den fragenden Blick aus den eisblauen Augen und löste sich schließlich aus seiner Starre.

Auch in dem Tallgeesepiloten schien eine ähnliche Verwandlung vorgegangen zu sein, denn er schritt nun langsam auf die Beiden zu und blieb dann kurz vor ihnen stehen.
"Duo...", begann er zögernd, straffte dann aber sichtbar seine Schultern und fuhr fort:

"Wenn ich etwas Falsches gesagt haben sollte, tut es mir leid. Ich wusste nicht, dass ich dich, und auch Yuy so damit verletzt habe. Ich bitte also noch mal darum, dass du mir das nicht nachträgst", schloss er förmlich und Duo hatte plötzlich das Gefühl, dass der blonde Mann sich gleich vor ihm verneigen würde.

Komm schon Maxwell, schalt er sich selbst. Er ist nicht.....nicht ER. Und obwohl er sein Vertrauter war, hasst er ihn genauso wie du. Er wird es ganz bestimmt nicht wissen und hat deshalb leichtfertig etwas gesagt. Los, sag schon, dass du ihm verzeihst!

Duo entspannte seine gesamte Körperhaltung und merkte plötzlich, WIE angespannt er eigentlich gewesen war.

Natürlich hatte sein rationales Ich recht, das musste er zugeben, doch leider sah es in der Realität etwas anders aus als in der Theorie. Jemanden zu sehen, mit dem...ER.... befreundet gewesen war, der ebenfalls zu OZ gehörte, das war schon beinahe unerträglich für den amerikanischen Piloten. Und dann noch dazu zu glauben, dass dieser Mann wirklich den Krieg beenden wollte. OZ´ bester Soldat wollte gegen sie handeln, sie verraten. Das war so unheimlich unglaubwürdig.

Dann tu es um des Friedens Willen. Wufei liebt ihn und Heero scheint auch von seiner Ehrlichkeit überzeugt zu sein. Vertrau ihm, weil Heero ihm vertraut, wie wäre das?

Duo seufzte unterdrückt und nickte dann leicht. Gut, das war ein Argument. Er wusste, wenn einer ihn nicht enttäuschen würde, dann wäre das der japanische Pilot.

Er hat mich schon so oft gerettet. Wie auch dieses Mal, nur dass er mich dieses Mal vor mich selbst bewahrt hat.

"Es ist okay, Zechs....", begann er dann zögernd und leise. "Wahrscheinlich habe ich einfach nur überreagiert....."

Mit diesen Worten wandte er sich keine Antwort erwartend um und lief die marmorne Treppe zu ihren Zimmern hoch. Gleichzeitig hörte er, wie Heero noch etwas zu Zechs sagte und sich ihm dann anschloss.
Heero sprintete hinter Duo die Treppen hoch und holte ihn schließlich bei seiner Zimmertür ein. Als der amerikanische Pilot ihm einen fragenden Blick zuwarf, zuckte Heero nur mit den Schultern und lächelte dann leicht.

Wusstest du, meldete sich eine hämische Stimme plötzlich in seinem Kopf, dass du die Missionsberichte nun schon seit zwei Tagen hast links liegen lassen? Das wird Dr. J aber gar nicht freuen, mein Lieber.

Der Wingpilot zuckte ob dieser plötzlichen Erkenntnis zusammen und stöhnte auf. DAS hatte er ja vollkommen vergessen!

"Was ist?", kam es auch prompt fragend von seinem Partner und Heero sah verwirrt auf.

"Die Missionsberichte", antwortete er wahrheitsgemäß und atmete laut aus. "Dr. J wollte sie schon vor zwei Tagen, doch ich habe sie vollkommen vergessen."

Es dauerte einen Moment, bis der amerikanische Pilot seinen ruhigen Blick von Heeros Augen abwandte und sich leise räusperte.

"Danke, Heero", sagte er schlicht und wandte sich dann zu seiner Zimmertür, um sie aufzuschließen und das abgedunkelte Zimmer zu betreten.

"Ich werde duschen gehen. In der Zwischenzeit kannst du ja Dr. J beruhigen und ihm diese Berichte schicken."
Heero war ob dieses Satzes ehrlich erstaunt. Er hätte nicht erwartet, dass Duo die Einmischung in sein Leben, diese plötzliche Gebundenheit so einfach akzeptierte, doch nun schien er es sogar vorauszusetzen, dass der japanische Pilot ein fester Bestandteil seines Lebens war, dass er bereit war, sich um ihn zu kümmern, für ihn seine sonst so undurchdringliche Fassade aus Kaltherzigkeit und Apathie aufzugeben.

Er liebt mich.

Dieser Satz tauchte so plötzlich in Heeros Gedanken auf, wie er auch schon verschwunden war. Und dennoch hinterließ er in dem kurzhaarigen Jungen eine Welle sanften Glücks, kaum beschreibbar, kaum erfassbar. Ein Gefühl, dass er nie zuvor hatte erfahren können, und das ihn jetzt wirklich glücklich machte. Was ihn glücklich machte, obwohl Duo es ihm nicht gesagt hatte, es noch nicht mal angedeutet hatte, und dennoch wusste er es. Nicht einmal Relena war in der Lage gewesen, ihn mit ihren ewigen Liebesschwüren so ein Gefühl in ihm auszulösen. Wie auch? Er liebte sie ja nicht.

Weil ich ihn liebe.

Auch dieser Satz war so ungewohnt für seine Gedanken, so neu und unverbraucht. Wie ein Schwur, eine geheime Botschaft drang er zu ihm vor. Wie lange habe ich geglaubt, keine Gefühle zu haben? Wie lange habe ich gedacht, ohne sie auszukommen? Zu lange. Und dennoch, irgendwie hat er mich gerettet, so komisch und kitschig es auch klingen mag, aber dieses Gefühl wärmt mich auf, lässt mich mich selbst menschlich fühlen.

Und dennoch.....vielleicht wird es nie ein Happyend für uns geben. Nicht nachdem das geschehen ist.

"Heero?"

Der japanische Pilot hob ruckartig den Kopf, als er von einer sanften Stimme aus seinen Gedankengängen gerissen wurde.

Er sah seinen Partner verständnislos an und fragte sich insgeheim, ob er etwas verpasst hätte, doch der langhaarige Junge schüttelte nur den Kopf und fuhr fort:

"Du bist zuviel in Gedanken."

Dann lächelte er leicht und ließ den amerikanischen Piloten draußen im Flur stehen. Es dauerte einen Moment, bis Heero begriff, was Duo damit gemeint hatte, doch dann ging auch er in sein Zimmer und setzte sich mit einem leisen Fluch an den PC, um dort mit einem nicht minder wütenden Dr. J zu sprechen, der ihm eine geschlagene Stunde lang Vorwürfe über sein unprofessionelles Verhalten machte und ihm im Falle eines Falles die härtesten Strafen androhte. Heero kannte diese Strafen und zuckte innerlich zusammen, ließ sich jedoch nichts anmerken und ging mit seiner obligatorischen Gleichgültigkeit daran, die Missionsberichte zu schreiben, was ihn auch noch eine Stunde kostete.

Als er dann fertig war, streckte er sich gähnend und rümpfte schließlich die Nase, als er bemerkte, dass er seit zwei Tagen nicht mehr geduscht hatte. Ein Umstand, den er unmöglich so lassen konnte, so zog er sich mit einer fließenden Handbewegung aus und stieg dann bibbernd unter die Dusche, sich innerlich vormerkend, dass er doch langsam die Heizung anstellen sollte.

Heero drehte das Wasser auf heiß, als ihm einer von Duos scherzhaften Kommentaren einfiel, den er ihm bei der letzten Mission praktisch an den Kopf geworfen hatte.

"Kein Handgriff zuviel, Yuy!", hatte Duo gescherzt, als Heero sich ausgezogen hatte. Als er den brennenden Blick seines Gegenübers auf sich gespürt hatte, war Duo dann noch fortgefahren:

"Ist das in allen Lebenslagen so bei dir?"

Dabei lag die Betonung so eindeutig auf "Lebenslagen", dass Heero punktgenau gewusst hatte, was Duo meinte, und es hatte ihm die Schamesröte ins Gesicht getrieben, worauf er sich mit einem Knurren abgewandt und seine übliche Drohung ausgesprochen hatte, während der amerikanische Pilot sich glucksend auf das Bett geworfen hatte.
Was würde er jetzt, genau in diesem Moment darum geben, dass Duo diese Fröhlichkeit wiedererlangen würde? Alles, die ganze Welt, das ganze Universum, nur um diesen einen Jungen wieder lachen zu sehen, wieder ernsthaft und ernstgemeint lachen zu sehen.

Vielleicht schaffst du es ja auch, mischte sich die Stimme ein.

DU! Willst du dich wieder über mich lustig machen? HAST du nicht schon genug Schaden angerichtet? Willst du mich jetzt auch noch verspotten?

Nein, ich meine es ernst. Es liegt in deiner Macht, dieses Wunder zu vollbringen. Nutze sie, und du wirst erstaunt sein, was selbst DU erreichen kannst.

Na, dankeschön. Sehr aufmunternd. Wie gut, dass ich so etwas wie Minderwertigkeitskomplexe nicht kenne.

Immer gerne geschehen, erwiderte die Stimme galant und Heero hätte schwören können, dass sie leicht und ironisch knickste.
Heero griff nach seinem Duschgel und schrubbte sich unwirsch den Dreck von der Haut, mehr aus Wut auf die Stimme als auf sich selbst. Aber was wollte man machen? Er konnte sich höchstens bedanken, dass er "nur" die Stimme hörte und nicht gleich so schizophren wie Lady Une war.
Als er sich abgespült hatte, schnappte er sich brummend ein Handtuch und rubbelte seine Haut trocken, bis auch das kleinste Tröpfchen Nass verschwunden war, wobei er aber immer wieder an sein lädiertes Gesicht stieß und die Zähne zusammenbiss. Duo hatte einen sehr starken Schlag wenn er wollte.

Oder wenn er in seinen Erinnerungen gefangen ist und sich verzweifelt gegen diese Männer zu Wehr setzt, fügte Heero dem noch in Gedanken hinzu, zog sich dann bedächtig eine neue Jeans und einen warmen Pulli an, verstaute die alten, schmutzigen Sachen in dem Wäschekorb im Bad und räumte seine wenigen Habseligkeiten aus der Tasche. Dr. J hatte ihm nämlich verkündet, dass sie bis auf weiteres kein Mission zu erfüllen hatten und sich somit entspannen sollten. Dass Zechs nun praktisch dazu gehörte, hatte Heero vorerst einmal verschwiegen. Dr. J würde sich nur unnötig darüber aufregen und zudem wollte Heero selbst entscheiden, was nun weiter geschah oder nicht.

Heero drehte sich aufatmend um und besah sich sein Ebenbild im Spiegel. Die Stimme hatte Recht behalten, es war tatsächlich ein wunderhübscher Bluterguss in Form einer Hand zu erkennen, und das sogar mehr als deutlich.

Na wunderbar!, seufzte Heero ergeben. Das wird mir den Spott des gesamten Teams bringen.

Dann straffte er seine Schultern, zupfte seinen Pullover zurecht und verließ sein Zimmer, um kurz darauf vor Duos Tür zu stehen, anzuklopfen und schließlich, als er ein "Herein" vernommen hatte, einzutreten und neben Duo auch Quatre auf dem Sofa sitzen zu sehen.

Der amerikanische Pilot lächelte kurz und kaum merklich, bevor er in seiner mittlerweile gewohnten Ausdruckslosigkeit sagte:

"Komm rein. Quatre kam gerade zu mir und hat mich gefragt, ob wir nicht Lust hätten, herunterzukommen und uns mit den anderen zu treffen. Er meinte, es könnte nach so einer anstrengenden Mission nicht schaden. Was meinst du?"

Heero nickte stumm und fragte dann:

"Jetzt sofort?"

Der arabische Pilot nickte und stand schließlich auf, bewegte sich schwunghaft in Richtung Tür, worauf ihm die anderen Beiden folgten.
*
"Soll ich wirklich nicht bei dir schlafen?", fragte Heero, als sie nach einem sehr entspannenden Nachmittag und einem amüsanten Abend vor Duos Zimmertür standen, beide vollkommen müde und erschöpft. Doch der amerikanische Pilot schüttelte den Kopf, zwang dann ein Lächeln auf sein Lippen und brachte mit unsicherer Stimme hervor:

"Nein....ich denke, ich schaffe es auch so. Ich denke es...."

Heero war zwar keinesfalls davon überzeugt, doch er enthielt sich eines Kommentars und nickte schließlich stumm. Er konnte sich Duo ja nicht aufzwingen, in keinster Weise.

"Wie du möchtest, Duo. Und wenn du es dir anders überlegst....ich lasse meine Zimmertür unabgeschlossen. Du kannst jeder Zeit zu mir kommen."

Der langhaarige Junge blickte seinem Freund aus schimmernden violetten Augen entgegen und drehte sich dann um, um in seine Räume zu gehen.

"Gute Nacht", murmelte er und war schon verschwunden, wobei er einen nachdenklichen Heero zurückließ.

Ich bin keinesfalls davon überzeugt, dass das gut gehen wird. Was, wenn er sich wieder versucht selbst zu verletzen? Was wenn er sich wieder mit einer Rasierklinge diese Wunden zufügt? Und ich nicht da bin, um es zu verhindern?
Aber ich kann ihn auch nicht ewig bemuttern. Er braucht seine Freiheit, sein eigenes Leben. Es fordert doch schon immenses Vertrauen, dass er sich mir anvertraut hat, dass er sich geöffnet hat. Ich kann und darf ihn nicht bemuttern!

So ging auch Heero mit einem flauen Gefühl im Magen zu Bett.
*
Dunkelheit.

Er hatte Angst, spürte sie ganz deutlich, wie eine Spinne, die langsam ihren Weg über seine Haut kroch, wie ein Schleier, der sich über ihn legte, wie eine zweite Haut, immer stetig, immer präsent.

Dann gleißend helles Licht.

Im ersten Moment beruhigend, doch dann die Gestalt im Eingang. Groß, breitschultrig, Offizier.

Duo kannte ihn nicht, weder von Fernsehauftritten noch von vorherigen Verhören. Also ein unbedeutender Soldat.

Er wartete unbewegt auf die erste Bewegung des Offiziers und sah somit den ersten Schlag weder kommen noch konnte er ihn rechtzeitig abblocken.

Nein, nein....nicht....das darf nicht sein....nicht schon wieder!, stöhnte er schmerzerfüllt, schrie auf, konnte die Grausamkeit, mit der der Soldat vorging, nicht begreifen.

Dann stoppten die Schläge und Duo fragte sich benebelt, was dieser Bastard jetzt vorhatte, obwohl ein Teil in ihm es bereits wusste.

Nicht....aufhören....

Das Geräusch reißenden Stoffes, eines Reißverschlusses brachte den amerikanischen Piloten mit voller Wucht in die Realität zurück.
Verweigerung ergriff jeden Muskel seines Körpers, bemächtigte sich seinen Sinnen. Er musste sich wehren, das durfte er nicht zulassen! Doch...wie....? Er versuchte es. Und scheiterte. Der Mann war einfach zu stark und hielt ihn fest, während er ihn umdrehte.

Nein.....nein....

Plötzlicher Schmerz, stärker als andere. Sein Unterleib brannte, während er selbst jedes kleine Detail mitbekam, in sich aufnahm. Die Stille der Zelle, der kalte Steinboden, das gleißend helle Licht der Neonlampen, das Stöhnen und höhnische Lachen des Bastards, seine eigenen Hände, hilflos zu Fäusten geballt, die Knöchel weiß vor Anspannung, und der allgegenwärtige, fast untragbare Schmerz der ihn entzwei spaltete.

Doch auch das nahm ein Ende, sein Peiniger ließ von ihm ab. Duo erwachte aus seiner verzweifelten Starre, versuchte, sich aufzurichten, in einem sinnlosen Akt gegen diesen Mann zu kämpfen, ihn umzubringen, doch der blockte lachend ab und fragte spöttisch, ob er noch nicht genug habe.

Was hast du getan?! Er wird nochmal.....er wird nochmal über dich herfallen.

Wimmernd versuchte Duo den Mann wegzustoßen, hatte aber keinerlei Erfolg bei diesem Vorhaben.

Er wird....nein.....
Plötzlich zuckte ein schier atemraubender Schmerz durch seinen Körper und er krümmte sich zusammen. Das Gesicht des Mannes veränderte sich, wurde durch ein anderes ersetzt, fein geschnitten, fast weiblich, aber nur fast.....

Treize......, hallte es durch Duos Geist, doch der Schmerz nahm nicht ab, im Gegenteil. Es kam noch neuer dazu, stärker als der Alte, auf seinem Rücken, in seinem Unterleib. Er litt höllische Qualen, wand sich in ihnen, konnte ihnen nicht entkommen, nicht vor ihnen fliehen. Verzweifelt warf er sich herum, versuchte, sich loszureißen, doch dann veränderte sich das Gesicht erneut, erst undeutlich, dann immer klarer, präziser. Die Konturen gewannen an Form, an Schärfe und ließen ihn aufschreien.

Zechs!
Duo fuhr mit einem lauten Schrei aus seinem Bett hoch und starrte leeren Blickes aus dem hohen Fenster seines Zimmers.

Nur ein Traum, nur ein Traum, versuchte er sich selbst zu beruhigen, als er nach Luft schnappend keuchte und eine Hand an sein rasendes Herz legte.

Vorbei, es ist vorbei....., versuchte Duo sich zu verdeutlichen, als er spürte, wie sich diese zweite Haut, dieser ständige Begleiter aus Schmerz, dieser Filz sich über ihn legte, ihn einwickelte.

"Nein, bitte nicht, nicht schon wieder!", murmelte Duo, während ihm bittere Tränen über die Wangen liefen.

Vollkommen aufgelöst brachte er es fertig, sich aus dem Bett zu schälen und ins Badezimmer zu wanken, wo er das Licht anschaltete und einen Blick auf sein Ebenbild warf, dass ihn mit entsetzten, ängstlichen Augen und eingefallenen Wangen anstarrte.

Es tut wieder so weh.....ich kann es nicht anders...ich muss es tun....der Schmerz muss weg....soll aus mir heraus....

Immer noch mit tränennassen Wangen griff er mit zitternden Fingern zu einer der Klingen, die er vor Yuy versteckt hatte und betrachtete kurz sein kleines Spiegelbild in der noch neuen Klinge. Dann führte er sie zu seinen Armen und drückte sie gegen das weiße, vernarbte Fleisch, fast sofort den willkommenen scharfen Gegenschmerz spürend und die rote Blutspur erkennend, die unter der Klinge hervorquoll.
Es tut mir leid, Heero. Wirklich. Aber es geht nicht anders, ich muss es tun, muss den Schmerz herauslassen. Sonst frisst er mich auf, zerstört mich bis ins Innerste.

Immer wieder die Rasierklinge über die Haut ziehend, stöhnte er plötzlich auf und ließ den scharfen Gegenstand fallen.

Nein...nein....das ist falsch...es bringt keine Heilung...kein Lindern des Schmerzes, nur neuen Schmerz....und dennoch...wieso fühle ich mich dann....besser...?

Duo bemerkte die Tränen, die ihm die Wangen hinunterliefen, erst, als er sie in seinem Mundwinkel schmeckte und sie überrascht abwischte.

"Ich will nicht mehr", murmelte er lautlos und schlich dann zurück ins Schlafzimmer, wo er sich seine dünne Decke nahm, sie um seine Hüften wickelte und schließlich in Richtung Tür ging.

Ich muss hier raus, ich kann das nicht mehr ertragen! Diesen Raum, diese Erinnerungen....

Er stürzte praktisch aus der Tür, knallte sie hinter sich zu und lief dann ohne genau auf die Richtung zu achten den Gang entlang, bis er vor einer Tür stehenblieb. Unbewusst, nur seinen Instinkten folgend stieß er die nur angelehnte Tür auf und sah Heero, der in seinem Bett lag, die Decken weit von sich gestoßen, ein nacktes Bein halb über dem Bettrand.

Duo stockte der Atem in Erinnerung an das Geschehene, er selbst zog irrationale Schlüsse und hielt sich davon ab, Heero als einen dieser Bastarde zu erkennen.

Nein, er ist mein Freund, er will mir helfen, will mich nicht verletzen. Ich bin sicher bei ihm, kann mich bei ihm gehen lassen. Er kennt mich, vertraut mir. Und ich vertraue ihm auch. Mehr als jedem anderen Menschen auf der Welt. Weil ich.....weil ich ihn geliebt habe.....bevor DAS passiert ist. Bedingungslos geliebt. Doch nun scheint es, als ob ich nichts außer Hass und Angst empfinden kann. Hass, Angst und Schmerz sind mein täglicher Lebensinhalt geworden, aus dem nur Heero mich herausbringen kann.

Duo tat einen Schritt nach vorne und fühlte, dass es genau das Richtige war. Keine Angst vor Schmerzen, die der japanische Pilot ihm zufügen könnte. Weil er es nicht tat.

Er wird mich vor den Dämonen, die mich heimsuchen, beschützen, richtig?

Ja, sagte er zu sich selbst. Das hat er mir versprochen.

Noch einen Schritt, dann noch einen, schließlich der Bettrand.

Duo sah, dass Heero wach war und ihn nun mit besorgten Augen anblickte.

"Duo, alles in Ordnung?", flüsterte er leise und wollte sich gerade hastig aufrichten, als der amerikanische Junge in mit einer minimalen Geste zum Schweigen und auch zum Erstarren brachte, sich dann in der gleichen Geschwindigkeit zu ihm auf das Bett gleiten ließ, unter die Decke kroch und sich zu seinem Partner umdrehte.
In die verwunderten stahlblauen Augen schauend, flüsterte Duo leise:

"Danke."

Dann zog er die Knie an, rollte sich zu einer kleinen Kugel zusammen und schloss die Augen, während er leise seufzte und sich langsam Heeros Oberkörper näherte, schließlich mit Hautkontakt stoppte und spürte, wie der japanische Junge leicht einen Arm um ihn schlang.

Nein, er würde ihm nicht wehtun. Nie.

Duo rollte sich noch tiefer zu einer Kugel zusammen und schlief dann nach einigen Minuten erlösten Atmens beruhigt ein, ohne Alpträume und ohne die Furcht vor den Geistern, die ihn immer noch heimsuchten und ihn quälten.

Doch dieses Mal blieben sie aus.